Entscheidungsdatum
16.08.2018Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
L521 2134665-1/39E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.08.2016, Zl. 523043603-1760038 nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner schlepperunterstützten unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 07.06.2010 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 10.06.2010 gab der Beschwerdeführer an, den Namen XXXXzu führen und Staatsangehöriger des Iran zu sein. Er sei am XXXX geboren.
Zu den Gründen seiner Ausreise befragt, führte der Beschwerdeführer aus, er sei in seiner Heimat als Hirte berufstätig gewesen und vom Geheimdienst beschuldigt worden, mit Freiheitskämpfern zu tun zu haben bzw. für diese zu arbeiten. Da in seinem Heimatdorf schon mehrere Personen verschwunden seien, die vom Geheimdienst beschuldigt worden waren, habe er Angst bekommen. Er sei auch vom Geheimdienst mündlich bedroht worden.
2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 17.06.2010 und am 31.03.2011 vor dem Bundesasylamt im Beisein eines geeigneten Dolmetschers in der Sprache Sorani niederschriftlich einvernommen.
Zum Ausreisegrund befragt führte er zunächst am 17.06.2010 aus, dass er beschuldigt worden sei, die Peschmerga zu unterstützen. Er habe aber mit diesen Leuten nichts zu tun. Der Geheimdienst sei ein paar Mal bei ihm zuhause erschienen und habe nachgefragt. Es wären auch schon früher Personen beschuldigt worden, den Peschmerga zu helfen und diese wären in der Folge verschwunden.
Am 31.03.2011 führte der Beschwerdeführer aus, er habe sehr wohl die Peschmerga unterstützt, indem er Briefe von einem Ort zum anderen Ort getragen habe. Er habe allerdings nicht gewusst, was in den Briefen gestanden habe. Davon habe der Geheimdienst erfahren und der Beschwerdeführer habe Angst bekommen, weshalb er das Land verlassen hätte. Er habe von den Peschmerga erfahren, dass er vom Geheimdienst gesucht wird. Sie hätten ihn gewarnt, wenn sie ihn erwischen, würde er eingesperrt werden. Es gäbe auch Beweise gegen ihn und wenn der Geheimdienst Beweise habe, dann werde das noch schlimmer. Die Peschmerga wären zum Vater gekommen und hätten ihm geraten, Kontakt mit Schleppern aufzunehmen, dass der Beschwerdeführer flüchten könne.
3. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 28.04.2011, 10 04.994-BAS, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 09.06.2010 bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten sowie bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß den §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 AsylG 2005 jeweils in Verbindung mit § 2 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen. Unter einem wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Iran ausgewiesen.
Nach der Begründung des Bescheides wurden die Angaben zur Person und Herkunft des Beschwerdeführers für glaubhaft befunden. Nicht glaubhaft gemacht habe der Beschwerdeführer jedoch, eine politische Funktion inne gehabt zu haben und wegen dieser vom Geheimdienst gesucht zu werden. Es handle sich bei dem auffallend detailarmen Vorbringen um ein Konstrukt. Es habe daher eine Verfolgung des Beschwerdeführers oder eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung nicht festgestellt werden können. Dem Beschwerdeführer würden im Falle der Rückkehr auch keine Gefahren drohen, die eine Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würden. Er habe Eltern und weitere Verwandte im Herkunftsland, die ihn im Fall der Rückkehr unterstützen könnten. Der Beschwerdeführer sei auch bis zur Ausreise in der Lage gewesen, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Grundversorgung sei im Iran gesichert. Hinweise auf das Vorliegen eines Sachverhaltes, der zur Gewährung von subsidiärem Schutz führen würde, seien nicht vorgelegen. Der Beschwerdeführer habe in Österreich keine familiären Anknüpfungspunkte, die öffentlichen Interessen würden seine privaten Interessen am weiteren Verbleib in Österreich überwiegen und die Ausweisung sei daher gerechtfertigt.
4. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde an den Asylgerichtshof wurde von diesem mit Erkenntnis vom 29.05.2013, E2 419.478-1/2011/9E, abgewiesen. Das Erkenntnis des Asylgerichtshofs wurde dem Beschwerdeführer am 06.06.2013 eigenhändig zugestellt.
5. Die Behandlung der gegen das vorstehend angeführte Erkenntnis des Asylgerichtshofs erhobene Beschwerde lehnte der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 11.12.2013, U 1340/2013-3, ab.
6. Der Beschwerdeführer kam der Ausweisung aus dem Bundesgebiet nicht nach und stellte am XXXX einen neuerlichen und in diesem Verfahren nunmehr gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion St. Georgen im Attergau am XXXX gab der Beschwerdeführer an, bei seinem ersten Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich seines Namens, seiner Staatsangehörigkeit, seines Geburtsdatums und seiner Asylgründe gelogen zu haben. Tatsächlich führe er den im Spruch genannten Namen und sei Staatsangehöriger des Irak. Er sei am XXXX geboren, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, Moslem der sunnitischen Glaubensrichtung und ledig.
Zu den Gründen seiner Ausreise befragt, führte der Beschwerdeführer aus, sein Geschäft im Irak sei von drei Islamisten gestürmt und er dabei bedroht worden, da er angeblich gegen diese gearbeitet habe.
7. Mit Urteil des Landesgericht Wels vom 17.07.2014 zu XXXX wurde der Beschwerdeführer des Verbrechens der Vergewaltigung Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 StGB, des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB und des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er am XXXX mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit, indem er sie für einen Zeitraum von 42 Minuten in einer Toilettenkabine festhielt, dabei mehrfach seine Faust in ihren Mund schob sowie diesen mit seiner flachen Hand verschloss, sie gegen die Wand stieß und auf den Toilettensitz hinabdrückte, zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung teils genötigt, teils dies versucht, und zwar zur Einführung eines Fingers in ihre Scheide und zur Durchführung des Oralverkehrs, indem er ihren Kopf zu seinem erigierten Glied führte, wobei die Tatvollendung unterblieb, weil das Opfer seinen Mund nicht öffnete und sein Gesicht von ihm abwandte sowie zur Vornahme einer geschlechtlichen Handlung an ihm genötigt, indem er seinen Penis in ihre Hand legte.
Der Beschwerdeführer wurde zunächst gemäß §§ 201 und 202 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, davon 10 Monate bedingt, verurteilt. Aufgrund einer Berufung der Staatsanwaltschaft wurde die verhängte Strafe mit Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs vom 25.11.2014, 11 Os 97/14w, erhöht und der Beschwerdeführer zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 16 Monate bedingt, verurteilt.
Den unbedingten Teil der verhängten Strafe verbüßte der Beschwerdeführer vom 17.02.2015 bis zu seiner bedingten Entlassung am 27.07.2015 in der Justizanstalt Wels.
8. Nach Zulassung des neuerlichen Asylverfahrens wurde der Beschwerdeführer am 29.12.2015 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, im Beisein einer geeigneten Dolmetscherin in der Sprache Sorani niederschriftlich vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter einvernommen.
Eingangs bestätigte der Beschwerdeführer, bis dato - von seiner kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit abgesehen - nicht der Wahrheit entsprechende Angaben zu seiner Person und zu seinen Ausreisegründen getätigt zu haben. Er habe sich wahrheitswidrig verantwortet, da er befürchtet habe, von Islamisten gefunden zu werden. Diese würde sich mittlerweile als Islamischer Staat bezeichnen.
Er sei tatsächlich im Irak in der Stadt XXXX geboren und irakischer Staatsbürger. Aufgewachsen sei er in der Stadt XXXX, wo sich auch gegenwärtig seine Eltern und seine Geschwister aufhalten würden. In XXXX habe er zehn Jahre lang die Schule besucht und anschließend ein eigens Geschäft eröffnet und mit Computern gehandelt.
Den Irak habe er verlassen, da er von islamistischen Gruppierungen "nicht in Ruhe gelassen" worden sei. Er erachte sich als nicht religiös und habe sich für die Religion nicht interessiert und auch manchmal Alkohol getrunken. Nachdem er mit seinen Kunden über die Ideologie des Islamischen Staates debattiert habe, seien diese nach und nach ausgeblieben. Ein Kunde habe ihm schließlich eröffnet, dass er als Ungläubiger angesehen werde und deshalb niemand mehr zu ihm kommen würde.
Am 02.04.2010 hätten drei bewaffnete Personen ihn in seinem Geschäft aufgesucht, ihn als Ungläubigen beschimpft und ihn aufgefordert, auf den rechten Weg zurückzukehren. Nachdem sie ihn bedroht hätten, seien sie abgezogen. Er habe sich daraufhin an einen befreundeten Polizisten gewandt, dieser habe ihm jedoch mitgeteilt, dass er von der Polizei keinen Schutz erwarten könne, da er Anhänger der Gorran-Partei sei. Am 11.04.2010 sei aus einem vorbeifahrenden Fahrzeug drei Mal auf sein Geschäft geschossen worden, er habe die Angreifer jedoch nicht erkannt. Nach dem Angriff habe er alles liegen gelassen und sei geflohen. Im Fall einer Rückkehr in den Irak werde er vielleicht umgebracht oder dort "verrückt" werden.
9. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.08.2016 der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung wurde gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-Verfahrensgesetz als auf Dauer unzulässig erklärt und dem Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt (Spruchpunkt III.).
Begründend führte die belangte Behörde nach der Wiedergabe der Einvernahme des Beschwerdeführers und den Feststellungen zu dessen Person aus, es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung im Herkunftsstaat einer staatlichen oder sonst asylrelevanten Verfolgungsgefahr ausgesetzt sei. Eine Rückkehr in den Irak sei dem Beschwerdeführer zumutbar und möglich, da er über familiäre Anknüpfungspunkt verfüge und nicht festgestellt werde könne, dass ihm im Fall einer Rückkehr die Existenzgrundlage entzogen wäre oder er in eine anderweitige Notlage geraten würde.
In der Beweiswürdigung wird diesbezüglich dargelegt, der Beschwerdeführer habe bereits in seinem ersten Asylverfahren wahrheitswidrige Angaben getätigt. Seine nunmehrige Verantwortung vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sei bereits in Anbetracht seiner Angaben als "vollkommen unglaubwürdig" zu erachten. Die weiteren Abschnitte der Beweiswürdigung erschöpfen sich demgemäß auch in der wörtlichen Widergabe der Aussage des Beschwerdeführers, ohne dass dem angefochtenen Bescheid nähere beweiswürdigende Erwägungen entnommen werden können.
In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewärtigen, sodass kein internationaler Schutz zu gewähren sei. Dem Beschwerdeführer sei der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, da er im Irak über genügend Anknüpfungspunkte verfüge und keine reale Gefahr einer Verletzung in elementaren Rechte sowie keine Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts drohe. Da er sich bereits lange Zeit in Österreich aufhalte und er unbescholten (!) und sozial integriert sei, sei die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären.
10. Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.08.2016 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.
11. Gegen die Spruchpunkt I. und II. des der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers am 24.08.2016 durch Hinterlegung zugestellten Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
In dieser wird inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und beantragt, den angefochtenen Bescheid abzuändern und dem Antrag auf internationalen Schutz Folge zu geben und dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten oder hilfsweise den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen. Eventualiter wird ein Aufhebungsantrag gestellt und jedenfalls eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht begehrt.
In der Sache bringt der Beschwerdeführer nach Wiederholung seiner bereits vorgebrachten Ausreisegründe im Wesentlichen vor, das belangte Bundesamt habe den Beschwerdeführer entgegen der Verpflichtung zur amtswegigen Vervollständigung der Angaben zum Sachverhalt nur unzureichend befragt und damit die Beweislast auf den Beschwerdeführer überwälzt. Ferner habe das belangte Bundesamt die Entscheidung auf unzureichende Informationen zur Lage im Herkunftsstaat gestützt und in der Beweiswürdigung jegliche Auseinandersetzung mit den getroffenen Feststellungen zur Situation im Irak unterlassen. So bleibe etwa vollkommen unklar, wie der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr seinen Lebensunterhalt bestreiten sollte.
12. Die Beschwerdevorlage langte am 13.09.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.
13. Die rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers gab mit Note vom 22.05.2017 die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses bekannt.
14. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte dem Beschwerdeführer mit Note vom 08.06.2017 zur Vorbereitung der anberaumten mündlichen Verhandlung aktuelle Länderdokumentationsunterlagen zur Lage im Herkunftsstaat zur Abgabe einer Stellungnahme. Das Poststück wurde dem Bundesverwaltungsgericht am 05.07.2017 mit dem Vermerk "Nicht behoben" zurückgestellt.
15. Am 05.07.2017 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers und eines Dolmetschers für die Sprache Sorani durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung im Irak anhand aktueller Länderdokumentationsunterlagen sowie dreier Anfragebeantwortungen zur Lage in der Autonomen Region Kurdistan und sechs weiterer Quellen zur Lage von LGBTI-Personen im Irak erörtert. Dem Beschwerdeführer wurden die erörterten länderkundlichen Berichte ausgehändigt und ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist der mündlichen Verhandlung entschuldigt ferngeblieben. Dem unvertretenen Beschwerdeführer wurde eingangs der Verhandlung eine Vertagung zum Zweck der Ladung der ihm zugewiesenen Rechtsberatungsorganisation angeboten, worauf er verzichtete.
Im Gefolge der Verhandlung brachte der Beschwerdeführer insbesondere vor, seine sexuelle Orientierung habe sich geändert, er sei "anders geworden". Im Fall einer Rückkehr in den Irak befürchte er nunmehr auch Verfolgung seitens seines Stammes sowie Schwierigkeiten mit seiner Familie aufgrund seiner sexuellen Orientierung.
16. Mit Schriftsatz vom 19.07.2017 gab die vormalige rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers neuerlich die Begründung des Vollmachtsverhältnisses bekannt. Unter einem wurde eine Stellungnahme zu den dem Beschwerdeführer ausgefolgten Länderdokumentationsunterlagen erstattet und insbesondere darauf hingewiesen, dass der Verfassungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung erkenne, dass von homosexuellen Asylwerbern nicht verlangt werden dürfe, ihre Sexualität nicht oder nur im Geheimen zu leben.
17. Das Bundesverwaltungsgericht ersuchte den Beschwerdeführer mit Note vom 16.08.2017 um Bekanntgabe der Anschrift diverser Zeugen. Dem Ersuchen wurden - nach Fristerstreckung - mit Eingaben vom 30.08.2017 und vom 03.10.2017 entsprochen.
18. Das Bundesverwaltungsgericht richtete am 18.09.2017 eine Anfrage an die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zur Lage von bi- und homosexuellen Personen in der Autonomen Region Kurdistan. Die diesbezügliche Anfragebeantwortung langte am 15.03.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde dem Beschwerdeführer mit Note vom 19.03.2018 zur Abgabe einer Stellungnahme übermittelt.
Die diesbezügliche Stellungnahme lange am 27.03.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
19. Am 28.03.2018 wurde die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Beisein des Beschwerdeführers, seiner rechtsfreundlichen Vertretung und eines Dolmetschers für die Sprache Sorani fortgesetzt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde ein Partner des Beschwerdeführers als Zeuge einvernommen und der Beschwerdeführer ergänzend insbesondere im Hinblick auf seine Rückkehrbefürchtungen und sein Vorbringen betreffend seine sexuelle Orientierung befragt.
Ferner wurden dem Beschwerdeführer aktualisierte Länderdokumentationsunterlagen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ausgefolgt ausgehändigt und ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt. Die diesbezügliche Stellungnahme langte am 06.04.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
20. Zuletzt wurden dem Beschwerdeführer mit Note vom 02.07.2018 weitere Artikel und Berichte zur Lage von LGBTI-Personen im Irak sowie mit Note vom 25.07.2018 länderkundliche Informationen zur allgemeinen Lage im Irak und in der Autonomen Region Kurdistan übermittelt und langte eine diesbezügliche Stellungnahme am 03.07.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Zur Note vom 25.07.2018 wurde keine Stellungnahme abgegeben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX, ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe und spricht Kudisch-Sorani. Er wurde am XXXX in XXXX geboren und lebte zuletzt in der Stadt XXXX in der Autonomen Region Kurdistan bei seiner Familie in einem Haus im Eigentum seiner Familie. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Er ist gesund und steht nicht in medizinischer Behandlung.
Der Beschwerdeführer ist Moslem der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam, erachtet sich selbst jedoch nicht als religiös und konsumiert gelegentlich Alkohol. Er ist aus der islamischen Glaubensgemeinschaft nicht ausgetreten.
Der Beschwerdeführer besuchte im Irak in XXXX insgesamt zehn Jahre die Schule. Im Anschluss an den Schulbesuch war der Beschwerdeführer zunächst in der Werkstatt seines Vaters und anschließend als EDV-Händler erwerbstätig.
Im Irak halten sich derzeit die Eltern des Beschwerdeführers sowie dessen drei Brüder und vier Schwestern auf. Die Eltern leben in XXXX in einem in ihrem Eigentum stehenden Haus. Der Vater des Beschwerdeführers ist Automechaniker und betreibt eine eigene Werkstatt, die Mutter führt den Haushalt. Zwei Brüder und eine Schwester des Beschwerdeführers leben in XXXX, zwei Schwestern und ein Bruder bei dessen Eltern in XXXX. Ein Bruder ist als Geflügelhändler tätig, ein weiterer ist Automechaniker und der dritte Bruder geht zur Schule. Zwei Schwestern sind verheiratet, zwei gehen zur Schule und werden von den Eltern unterstützt.
Der Beschwerdeführer steht mit seinen Geschwistern und seiner Familie in telefonischem Kontakt, wobei sich dieser unregelmäßig gestaltete.
An einem nicht feststellbaren Tag im Mai 2010 verließ der verließ der Beschwerdeführer den Irak von XXXX ausgehend über über XXXX und Erbil im Landweg in die Türkei und reiste in weiterer Folge schlepperunterstützt nach Österreich, wo er am 07.06.2010 einreiste und am 09.06.2010 einen Asylantrag stellte. Der Beschwerdeführer gab dabei an, den Namen XXXX zu führen, am XXXX geboren und Staatsangehöriger des Iran zu sein.
Der erste Asylantrag des Beschwerdeführers wurde mit im Instanzenzug ergangenem Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 29.05.2013, Zl. E2 419.478-1/2011/9E abgewiesen und der Beschwerdeführer aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Der Beschwerdeführer kam der Ausweisung nicht nach und stellte am XXXX einen neuerlichen und in diesem Verfahren nunmehr gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Der Beschwerdeführer verfügt über ein irakisches Ausweisdokument im Original (Personalausweis).
1.2. Der Beschwerdeführer ist bisexuell orientiert, er hat Neigungen zu beiden Geschlechtern. Im Bundesgebiet ging der Beschwerdeführer eigenen Angaben zufolge sowohl heterosexuelle als auch homosexuelle Beziehungen bzw. Bekanntschaften ein.
1.3. Der Beschwerdeführer gehörte seit 2009 der politischen Partei Gorran (Bzutineweyz Gorran, bekannt als Liste für Wandel - Lîstî Gorran - oder Bewegung für Wandel) in der Autonomen Region Kurdistan an und engagierte sich ehrenamtlich als Wahlhelfer. Seit seiner Einreise in das Bundesgebiet ist der Beschwerdeführer nicht politisch aktiv.
Der Beschwerdeführer hatte in seinem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit und seines sunnitischen Religionsbekenntnisses zu gewärtigen.
1.4. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt in seinem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr in die Autonome Region Kurdistan einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.
Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor der Ausreise aus der Autonomen Region Kurdistan des Irak einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte wegen einer bestehenden oder ihm unterstellten bi- oder homosexuellen Orientierung ausgesetzt war.
Ferner kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in die Autonome Region Kurdistan des Irak einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte - insbesondere Familien- oder Stammesmitgliedern - wegen einer bestehenden oder ihm unterstellten bi- oder homosexuellen Orientierung ausgesetzt wäre.
1.5. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge in der Autonomen Region Kurdistan des Irak.
Der Beschwerdeführer ist ein gesunder, arbeits- und anpassungsfähiger Mensch mit hinreichender Ausbildung in der Schule und Berufserfahrung im Herkunftsstaat als Arbeiter und als selbständiger Händler mit EDV-Komponenten. Der Beschwerdeführer verfügt über eine - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherte Existenzgrundlage in seinem Herkunftsstaat sowie über familiäre Anknüpfungspunkte und eine hinreichende Versorgung mit Nahrung und Unterkunft. Davon abgesehen ist dem Beschwerdeführer die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu Sicherstellung des eigenen Auskommens möglich und zumutbar.
Da er über Berufserfahrung verfügt, der Landessprache mächtig ist und ein arbeits- und anpassungsfähiger Mensch ist, wird der Beschwerdeführer außerdem in der Lage sein, sich in den Städten Erbil oder XXXX eine Existenz aufzubauen. Insbesondere in der anfänglichen Zeit nach der Rückkehr wird er dabei in der Lage sein, sowohl auf bestehende Unterstützungsprogramme für Rückkehrer als auch auf die Unterstützung durch seine Familie zurückgreifen. Die Sicherheitslage in Erbil und in XXXX ist stabil, beide Städte verfügen über einen Flughafen und sind sicher erreichbar.
1.6. Mit Urteil des Landesgericht Wels vom 17.07.2014 zu XXXX/13x wurde der Beschwerdeführer des Verbrechens der Vergewaltigung
Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 StGB, des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB und des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB schuldig erkannt und im Instanzenzug zu einer zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 16 Monate bedingt, verurteilt.
Den unbedingten Teil der verhängten Strafe verbüßte der Beschwerdeführer vom 17.02.2015 bis zu seiner bedingten Entlassung am 27.07.2015 in der Justizanstalt Wels.
Dem Urteil zufolge hat er am XXXX mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit, indem er sie für einen Zeitraum von 42 Minuten in einer Toilettenkabine festhielt, dabei mehrfach seine Faust in ihren Mund schob sowie diesen mit seiner flachen Hand verschloss, sie gegen die Wand stieß und auf den Toilettensitz hinabdrückte, zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung teils genötigt, teils dies versucht, und zwar zur Einführung eines Fingers in ihre Scheide und zur Durchführung des Oralverkehrs, indem er ihren Kopf zu seinem erigierten Glied führte, wobei die Tatvollendung unterblieb, weil das Opfer seinen Mund nicht öffnete und sein Gesicht von ihm abwandte sowie zur Vornahme einer geschlechtlichen Handlung an ihm genötigt, indem er seinen Penis in ihre Hand legte.
Der Beschwerdeführer wurde zunächst gemäß §§ 201 und 202 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, davon 10 Monate bedingt, verurteilt. Aufgrund einer Berufung der Staatsanwaltschaft wurde die verhängte Strafe mit Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs vom 25.11.2014, 11 Os 97/14w, erhöht und der Beschwerdeführer
1.7. Zur Lage in der autonomen Region Kurdistan werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der angeführten Quellen getroffen:
Informationen zu Menschenrechtsverletzungen, die allgemein Kurden sunnitischen Glaubens betreffen sowie Informationen zur Frage, ob Rückkehrer aus dem Ausland behördlichen Schikanen oder anderen Diskriminierungen ausgesetzt sind, sind nicht auffindbar.
In einer Grundsatzerklärung des Außenamtes der Kurdischen Regionalregierung zu internationalen Beziehungen vom Mai 2017 wird erwähnt, dass die Regierung der Region Kurdistan die Kurden, die im Ausland leben und zu einer Rückkehr bereit seien, zu dieser Rückkehr ermuntern würde, um sich am Wiederaufbau der Region zu beteiligen. Es sei bekannt, dass viele der Kurden, die nach Europa gegangen seien, alles verloren hätten, um ein neues Leben zu beginnen. Es handle sich nach Auffassung der Kurdischen Regionalregierung um eine humanitäre Angelegenheit, weshalb sie die Aufnahmeländer darum bitte, das Leiden der Kurden in Betracht zu ziehen, bevor man zu politische Richtlinien übergehe, die sich auf das Leben von Asylsuchenden auswirken könnten. Die Bewohner der Region Kurdistan seien jedoch unabhängig der Interessen der Länder, die Kurden aufgenommen hätten und deren Entscheidungen im Hinblick auf Einwanderungsgesetze, dazu bereit, alles zu geben, um Personen, deren Rückkehr in die Region Kurdistan erzwungen worden sei, zu helfen.
Das US-amerikanische Außenministerium schreibt in seinem Länderbericht zur Menschenrechtslage vom März 2017 (Berichtszeitraum 2016), dass das Höchstkomitee der Kurdischen Regionalregierung zur Evaluierung und Beantwortung internationaler Berichte sich mit den gegen die Peschmerga gerichteten Vorwürfen von Misshandlungen vor allem von Binnenflüchtlingen befasst und die Peschmerga daraufhin in öffentlichen Berichten und Stellungnahmen entlastet habe. Regierungsangestellte, Mitarbeiter der Sicherheitskräfte und der Peschmerga sowie Milizen hätten faktisch straffrei handeln können. In einigen Haftanstalten der Region Kurdistan seien Berichten zufolge unter bestimmten Voraussetzungen missbräuchliche Verhörmethoden angewandt worden. Darunter seien Haftanstalten der für die innere Sicherheit verantwortlichen Asayish-Kräfte und der Geheimdienste der beiden größten politischen Parteien, dem zur KDP [Demokratische Partei Kurdistans] gehörenden Parastin und dem Zanyari der PUK [Patriotische Union Kurdistans]. Laut Berichten der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen im Irak hätten 70 Häftlinge während Besuchen in Haftanstalten vom Jänner 2015 bis Juni 2016 angegeben, während ihrer Verhöre Folter bzw. anderen Misshandlungen ausgesetzt gewesen zu sein. Laut Angaben örtlicher NGOs und dem Leiter des parlamentarischen Menschenrechtskomitees der Autonomen Region Kurdistan (ARK) seien manche Personen in Haftanstalten der Asayish mehr als 6 Monate ohne Anklage festgehalten worden. Laut NGO- und Presseberichten hätten die Polizei und interne Sicherheitskräfte der ARK Demonstranten und Aktivisten, die der kurdischen Regionalregierung gegenüber kritisch gewesen seien, festgenommen und mehrere Tage lang festgehalten. Im Dezember 2016 seien beispielsweise 13 Lehrer in Sulaimaniya im Vorfeld einer Demonstration wegen nicht ausbezahlten Löhnen im öffentlichen Sektor verhaftet worden. Örtliche NGOs hätten über ein Gefühl der Straffreiheit unter Mitgliedern der kurdischen Sicherheitskräfte berichtet, so habe es örtlichen Menschenrechtsbeobachtern zufolge Vorwürfe von Vergewaltigung und Totschlag gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte gegeben.
Amnesty International erwähnt im Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Irak vom Februar 2017 (Berichtszeitraum 2016), dass Journalisten, Aktivisten und Politiker, die der regierenden Demokratischen Partei Kurdistans kritisch gegenüberstanden, schikaniert und bedroht wurden, und einige von ihnen wurden aus der Provinz Erbil vertrieben. Fälle von getöteten Journalisten und Kritikern oder Gegnern der kurdischen Behörden aus den vergangenen Jahren waren immer noch nicht untersucht worden.
Im Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Irak vom Februar 2017 (Berichtszeitraum 2016) berichtet Amnesty International davon, dass Journalisten und Blogger Opfer von Schlägen, Überwachung, willkürlichen Festnahmen, Todesdrohungen und Verleumdungskampagnen, die sie oder ihre Familienangehörigen diskreditierten. Vor dem Unabhängigkeitsreferendum in der Region Kurdistan wurde die Tendenz, immer stärker in das Recht auf Meinungsfreiheit von Journalisten und Bloggern einzugreifen, besonders deutlich. Von Juni bis September 2017 dokumentierte Amnesty International zwölf Fälle von willkürlichen Festnahmen, Schlägen und Einschüchterungen von Journalisten und Bloggern.
Im Oktober 2016 gaben die Behörden der Regionalregierung bekannt, dass der allgemeine Sicherheitsdienst Asayish Ghishti und die Asayish-Abteilung in Erbil seit Anfang des Jahres 2801 Terrorverdächtige festgenommen hätten. Vor allem sunnitische arabische Männer und Jugendliche werden als Terrorverdächtige verhaftet. Die Behörden verstießen in mehrfacher Weise gegen deren Recht auf ein faires Verfahren, u. a. indem sie die Überstellung der Inhaftierten an die Justizbehörden extrem verschleppten und ihnen über lange Zeiträume keinen Zugang zu ihren Familienangehörigen gewährten.
Gerichte in der teilautonomen Region Kurdistan verhängten weiterhin Todesurteile für terroristische Straftaten. 2016 gab es jedoch keine Hinrichtungen
Ekurd Daily, ein in den USA ansässiges Nachrichtenportal mit Fokus auf Angelegenheiten der Kurden, berichtet im Dezember 2016, dass die Unabhängige Menschenrechtskommission in der Autonomen Region Kurdistan ihre Statistiken zu Menschenrechtsverletzungen, Morden und Selbstmorden für den Monat November (2016) veröffentlicht habe. Der Statistik zufolge habe es acht Fälle von Menschenrechtsverletzungen gegeben, darunter einen Angriff auf einen Journalisten, Entführung von Kindern, Folter von Kindern, sowie Brandanschläge auf Aktivisten und ein Politbüro der KDP. Die Zahlen seien im Vergleich zum vorigen Monat zurückgegangen.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) meldet im Februar 2018, dass Sicherheitskräfte der kurdischen Regionalregierung Teilnehmer an Protesten in Sulaimaniya im Dezember 2017 festgenommen und sie gezwungen hätten, Erklärungen zu unterzeichnen, in denen sie versprochen hätten, nicht die Regierung zu kritisieren. Die Protestteilnehmer seien bis zu acht Tage lang festgehalten worden, bevor sie einem Richter vorgeführt worden seien. Die Sicherheitskräfte hätten zudem drei Journalisten festgenommen, die über die Proteste berichtet hätten.
Quelle:
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ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Menschenrechtslage in der Autonomen Region Kurdistan: Lage von Kurden sunnitischen Glaubens; behördliche Schikanen oder andere Diskriminierungen für Rückkehrer aus dem Ausland vom 10.05.2017
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ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Autonome Region Kurdistan: Menschenrechtslage, insbesondere für sunnitische Kurden vom 29.03.2018
Das in der Autonomen Region Kurdistan ansässige kurdische Mediennetzwerk Rudaw berichtet im September 2016, dass mehr als ein Zehntel der Bevölkerung der Region Kurdistan unter der Armutsgrenze leben würde. Bis zu 680.000 Personen der geschätzten 5,5 Millionen Bewohner der Region würden von weniger als 87 US-Dollar [etwa 80 Euro] pro Monat leben, die nach Weltbank-Standard als Armutsgrenze für den Irak und die Region Kurdistan festgelegt worden seien. Die Arbeitslosigkeit habe sich seit 2010 beinah verdreifacht und sei von 4,8 auf 13,3 Prozent angestiegen. Laut Angaben des Ministeriums für Arbeit und soziale Angelegenheiten sei die reale Arbeitslosigkeit jedoch wahrscheinlich wesentlich größer. Laut Angaben des Statistikamtes in Erbil sei der dramatische Anstieg der Armut und der Arbeitslosigkeit zum Teil durch den Zustrom von 1,8 Millionen Flüchtlingen in die Region Kurdistan sowie durch die Finanzkrise bedingt, von der die Wirtschaft der Region seit dem Fall der Ölpreise und dem Krieg gegen die Gruppe Islamischer Staat (IS) bestimmt sei.
Rudaw erwähnt in einem weiteren Artikel vom September 2016, dass die Arbeitslosigkeit 14 Prozent erreicht habe und unter Frauen und jungen Leuten höher liege. Die kurdische Regionalregierung habe Hilfe internationaler wirtschaftlicher Institutionen angefordert, um einen Reformplan zur Stärkung von Jobs im privaten Sektor umzusetzen. Das Planungsministerium der kurdischen Regionalregierung habe im Mai 2016 in Partnerschaft mit der Weltbank einen Dreijahresplan angekündigt, um die Wirtschaft anzukurbeln und die Finanzkrise zu überwinden, die die Region bereits seit mehr als zwei Jahren im Griff halte. Laut Angaben des Ministers für Arbeit und soziale Angelegenheiten, Mohammed Hawdyani, würden mehr als 53 Prozent der Einwohner Kurdistans ihren Lebensunterhalt aus dem staatlichen Sektor beziehen. Laut Hawdyani würden Statistiken aufzeigen, dass Sozialversicherungsgesetze in der ARK nicht erfolgreich gewesen seien. Der Reformplan der kurdischen Regionalregierung, der bis 2020 laufe, sehe vor, mehr Arbeitsplätze zu schaffen und einen Pensions- und Sozialversicherungsfonds für in der Privatwirtschaft Beschäftigte zu etablieren. Die Arbeitslosenrate sei höher unter Frauen und jungen Leuten. Bei Frauen liege sie bei 29,4 Prozent gegenüber 9,7 Prozent bei Männern. 24 Prozent der jungen kurdischen Männer zwischen 15 und 24 Jahren seien arbeitslos, gegenüber einem Anteil von 69 Prozent bei kurdischen Frauen im gleichen Alter.
Die International Organization for Migration (IOM) geht von einer Arbeitslosenrate von 14% aus. Die Organisation habe Schwierigkeiten, Arbeitsmöglichkeiten für aus Europa zurückkehrende Kurden zu finden, da viele Firmen gerade ihre Arbeitskräfte reduzieren würden.
Al-Monitor, eine auf Berichterstattung zum Nahen Osten spezialisierte Medienplattform, schreibt im Oktober 2016, dass tausende Staatsbedienstete, darunter insbesondere Lehrer und Universitätsprofessoren, am 30. September gegen die von der kurdischen Regionalregierung vorgenommenen Lohnkürzungen demonstriert hätten. Manche Staatsbedienstete würden sich in einer sehr schwierigen Situation befinden. Laut Beobachtungen von Al-Monitor würden Wohnbauprojekte stillstehen. Kurdische Bürger würden keine Einkaufszentren mehr besuchen beziehungsweise seien diese bereits geschlossen. Es scheine, dass die schlechte Wirtschaftslage die kurdischen Bürger dazu bringe, nach alternativen Einkommensmöglichkeiten zu suchen. Dabei würden sie sich besonders auf Handel und Tourismus mit Arabern konzentrieren, die aus Bagdad und anderen Provinzen des Irak nach Kurdistan kommen würden.
Dem Länderinformationsblatt Irak von 2017 des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und von IOM zufolge liegen die in Städten der Autonomen Region Kurdistan die Miete bei 300 - 600 USD für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt stark von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage zum Mieten stieg, nahm die Nachfrage zum Kaufen ab.
Durchschnittliche Betriebskosten pro Monat: Gas (15,000 IQD) [etwa 10 Euro] Wasser (10 - 25,000 IQD) [etwa 6,80 - 17 Euro] Öffentliche Elektrizität (30 - 40,000 IQD) [etwa 20,50 bis 27 Euro] Private oder nachbarschaftliche Generatoren (40,000 IQD) [etwa 27 Euro].
Die von einem in Serbien ansässigen Softwareentwickler betriebene Website Numbeo gibt mithilfe von nutzergenerierten Daten die Durchschnittspreise für Konsumgüter, Wohnkosten und weitere Lebenskosten in ausgewählten Städten an. Nutzer, die über Informationen zum Preisniveau verschiedener Güter in einer bestimmten Stadt verfügen, können diese über Numbeo eintragen. Aus den verschiedenen Preisangaben der Nutzer werden dann Durchschnittspreise für die einzelnen Güter angegeben. Solche Preisprofile existieren auch für die in der ARK gelegenen Städte Erbil und Sulaimaniya.
Was die Angaben zu Erbil anlangt, so wird auf der Seite erklärt, dass die Angaben mit dem Stand März 2018 von 60 verschiedenen Nutzern stammen würden und innerhalb der letzten 18 Monate erfolgt seien. Die Monatsmiete einer Einzimmerwohnung im Zentrum von Erbil wird mit dem Durchschnittspreis von 327 Euro angegeben (Preisspektrum: 187 - 487 Euro), für die Miete einer Einzimmerwohnung außerhalb des Zentrums wurde ein Durchschnittspreis von 247 Euro (Preisspektrum: 162 - 365 Euro) errechnet. Weiters finden sich auch Angaben zu einer Dreizimmerwohnung. (Numbeo, Stand: März 2018).
Zum Preisprofil für die Stadt Sulaimaniya haben nach Angaben von Numbeo 26 Nutzer mit dem Stand Februar 2018 in den vorigen 18 Monaten Daten beigetragen. Für die Monatsmiete einer Einzimmerwohnung im Zentrum von Sulaimaniya wird ein Durchschnittspreis von 294 Euro angegeben (Preisspektrum: 243-405 Euro), für die Miete einer Einzimmerwohnung außerhalb des Zentrums wurde ein Durchschnittspreis von 203 Euro (Preisspektrum: 162-243 Euro) errechnet. Weiters finden sich auch Angaben zu einer Dreizimmerwohnung. (Numbeo, Stand: Februar 2018).
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) gibt in ihrem im Jänner 2017 erschienenen Handbuch zum Wiederaufbau im Irak einen Überblick über Projekte in mehreren Orten verschiedener irakischer Provinzen. Darunter findet sich auch eine Aufstellung der Projekte in Azady (Azadi), einem ländlichen Ort in der Provinz Dohuk. Für diesen Ort werden durchschnittliche Mietkosten von 200-400 US-Dollar monatlich (etwa 183-366 Euro) angegeben.
Ein im März 2016 veröffentlichter Bericht von Oxfam International, einem internationalen Verbund verschiedener Hilfs- und Entwicklungsorganisationen enthält Informationen zum im ganzen Irak geltenden Lebensmittelverteilungssystem PDS (Public Distribution System). Das PDS sei ein Subventionssystem der Regierung, über das seit 1991 lokal produzierte Nahrungsmittel sowie Importe verteilt würden. Es werde vom Handelsministerium verwaltet und stelle dem Großteil der irakischen Bevölkerung über Lebensmittelkarten subventionierte Nahrungsmittel zur Verfügung. Dabei schließe das PDS nicht nur die ärmsten Haushalte ein, sondern jeder, der im Irak ansässig sei, habe ein Anrecht auf monatliche Rationen. Theoretisch sehe die Lebensmittelkarte monatliche Nahrungsmittelrationen pro Person von 9kg Weizen, 3kg Reis, 2kg Zucker, einem Liter pflanzlichem Öl und drei Packungen (450g) Milchpulver vor. Das PDS, so Oxfam, sei seit einigen Jahren in Schwierigkeiten, da es sehr teuer und von schlechter Organisation und mangelnder Transparenz entlang der Versorgungswege gekennzeichnet sei. In den letzten Jahren habe die Regierung versucht das PDS zu verbessern, indem sie Staatsbedienstete mit einem monatlichen Einkommen von mehr als 1.286 US-Dollar vom Programm ausgeschlossen habe. Versuche, das PDS ab 2012-2013 mit einem Geldtransfer-System zu ersetzen, hätten bis jetzt aufgrund von mangelndem politischen Willen und großflächigen öffentlichen Protesten keinen Erfolg gezeigt. Die Weltbank arbeite mit der irakischen Regierung daran, das PDS in ein auf Vulnerabilität basierendes Sozialsystem umzuwandeln. Derzeit gebe es große Verzögerungen bei der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln. Im Jänner 2016 seien Reis mit einer Verzögerung von drei Monaten und Öl mit einer Verzögerung von sieben Monaten ausgegeben worden. Zucker und Milchpulver seien seit mindestens sechs Monaten nicht mehr verteilt worden. Theoretisch habe ein Haushalt, der seine PDS-Rationen seit mindestens drei Monaten nicht mehr erhalten habe, ein Anrecht darauf, mit Bargeld kompensiert zu werden. Allein in der Provinz Dohuk gebe es 1.400 Lebensmittelausgabestellen. Das World Food Programme (WFP) unterstütze das PDS in der Region Kurdistan seit 1996. Derzeit würden Hilfsorganisationen daran arbeiten, die Versorgungslücken des PDS zu füllen, um die Bevölkerung zu versorgen. Dabei wolle man auch versuchen, die gegenwärtige humanitäre Hilfe und das Regierungsgesteuerte System zu vernetzen. Derzeit würden PDS-Lebensmittelkörbe nicht in regelmäßigen Abständen verteilt, noch seien diese immer komplett. Trotz der Verzögerungen bei der Ausgabe einiger Lebensmittelkörbe funktioniere das PDS-System jedoch relativ gut in Dohuk und Zakho.
Fälle schlechter Behandlung oder Festnahmen von Rückkehrern sind keine bekannt.
Das australische Außen- und Handelsministerium (DFAT) veröffentlicht mit dem Zweck der Verwendung in Verfahren zum internationalen Schutz im Juni 2017 einen Länderbericht zum Irak. Hierin wird berichtet, dass DFAT deutliche Beweise dafür habe, dass Iraker aus Australien zurückkehren und im Irak unter anderem Geschäfte eröffnen, Arbeit aufnehmen oder eine frühere Arbeit wieder aufnehmen würden. Die Praxis, um Asyl im Ausland anzusuchen und dann, wenn es die Umstände erlauben würden, in den Irak zurückzukehren, sei unter Irakern akzeptiert. Eine große Anzahl von Kurden, darunter insbesondere alleinstehende Männer, kehre freiwillig vor allem aus Europa in die Region Kurdistan zurück. Wie auch in anderen Regionen des Irak seien hier familiäre Verbindungen wichtig und eine erneute Integration falle denjenigen leichter (insbesondere im Hinblick auf Unterkunft und Arbeit), die weiterhin über Verbindungen in die Region Kurdistan verfügen würden.
REACH, eine Initiative der humanitären NGOs IMPACT und ACTED sowie von UNOSAT, veröffentlicht im Juni 2017 einen Bericht zur Migration von Irakern nach Europa sowie deren Rückkehr in den Irak. Bei Gesprächen mit Gemeinschaftsführern (unter anderem in Sulaimaniya) sei erwähnt worden, dass Rückkehrer wieder in ihre Gemeinschaften aufgenommen würden und dass die Gemeinschaften keine Schwierigkeiten hätten, Rückkehrer zu akzeptieren. Manchen Gemeinschaftsführern zufolge sei es für die Rückkehrer selbst schwierig, da sie bei ihrer Migration nicht erfolgreich gewesen seien und es nicht vermocht hätten, ein besseres Leben im Ausland aufzubauen. Die meisten der befragten Gemeinschaftsführer hätten auch angemerkt, dass es für Rückkehrer keine Möglichkeiten bei der Rückkehr gebe. Sie hätten in Europa keine neuen Fertigkeiten erlernt und dadurch, dass sie Zeit in Europa verschwendet hätten und es nur wenig Beschäftigungsmöglichkeiten gebe, gehe es ihnen oft schlechter als vor ihrer Migration. Nach der Rückkehr würden diese Personen oft in notdürftigen Unterkünften leben und seien Berichten zufolge stark abhängig von Unterstützungsleistungen der Familie oder der Gemeinschaft.
Für den Bericht der REACH-Initiative vom Juni 2017 zur Rückkehr in den Irak wurden zwischen April und Juni 2017 qualitative Daten an besonders von Rückkehr betroffenen Orten in Kurdistan sowie in Bagdad erhoben. Insgesamt wurden 65 Rückkehrer zu den Motiven ihrer Rückkehr sowie zur Lage nach ihrer Rückkehr befragt. In der Region Kurdistan hätten neun von 34 befragten Personen angegeben, dass der Mangel einer passenden Unterkunft zu ihren Hauptproblemen zähle. Rückkehrer, die Probleme hinsichtlich einer Unterkunft angegeben hätten, würden normalerweise Wohnraum mieten und seien oft Binnenvertriebene und hätten daher Probleme, die Miete zu bezahlen. In der Provinz Sulaimaniya würden die meisten Binnenvertriebenen in Mietunterkünften leben und seien mit hohen Mieten konfrontiert.
25 der 34 in der Region Kurdistan befragten Rückkehrer hätten angegeben, dass sie keine Arbeit hätten oder es für sie schwer sei, eine passende Arbeit zu finden. Insbesondere Binnenflüchtlinge, die in die Autonome Region Kurdistan anstatt an ihren ursprünglichen Wohnort zurückgekehrt seien, hätten Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche gehabt. Die 23 Rückkehrer, die angegeben hätten, eine Arbeit gefunden zu haben, hätten ebenfalls berichtet, dass sie mit ihrem derzeitigen Job nicht zufrieden seien und darauf hoffen würden, eine Arbeit zu finden, die besser bezahlt und besser auf ihre Ausbildung abgestimmt sei. Fünf Rückkehrer hätten angegeben, in Branchen zu arbeiten, die nichts mit ihrer bisherigen Ausbildung zu tun hätten. Sie würden demnach als Taxifahrer und in Geschäften arbeiten, wohingegen sie früher im Businessbereich gearbeitet oder studiert hätten. Auch wenn Rückkehrer durch die Familie oder externe Hilfsprogramme Unterstützung erhalten würden, dann sei diese den Befragten zufolge nicht ausreichend gewesen, um ihr Leben wieder aufzubauen. Die Mehrheit der befragten Rückkehrer habe berichtet, dass sie sich hinsichtlich Unterstützung eher auf ihre Familien als auf die lokale Gemeinschaft oder Organisationen verlassen könnten. Die Gemeinschaften hätten mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen und Rückkehrer würden bisweilen nicht als Gruppe wahrgenommen, die einen besonderen Unterstützungsbedarf habe. Iraker, die über offizielle Rückkehrerprogramme zurückgekehrt seien, hätten Unterstützungsleistungen durch Reintegrationsprogramme von IOM oder ERIN (European Reintegration Network) erhalten.
Vier Rückkehrer, die eine solche Unterstützung erhalten hätten, hätten angegeben, dass diese finanzielle Hilfe nicht nachhaltig gewesen sei, da sie zwar anfallende Kosten decke, aber keine Investitionen für neue Projekte ermögliche. Ein Rückkehrer habe mit offizieller Unterstützung ein Geschäft eröffnen können, ein anderer habe sein Geschäft aufgrund zu niedriger Einnahmen nicht aufrechterhalten können. Einige Rückkehrer hätten berichtet, dass sie das Gefühl hätten, Binnenvertriebene würden mehr Unterstützung erhalten als Rückkehrer aus Europa. Das Bundesministerium für Inneres nimmt seit Juni 2016 als offizielle Partnerorganisation am ‚European Reintegration Network', kurz ERIN-Programm teil und bietet Reintegrationsunterstützung in unterschiedlichen Herkunftsländern, darunter der Autonomen Region Kurdistan. Im Rahmen des ERIN Programms erhält jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin eine Reintegrationsleistung in der Höhe von 3.500 Euro, wobei 500 Euro als Bargeld und 3.000 Euro als Sachleistung vom Service Provider im Herkunftsland ausgegeben werden. Bei den Service Providern handelt es sich entweder um eine im Herkunftsland angesiedelte Internationale Organisation oder eine lokale NGO, die den Rückkehrer und die Rückkehrerin bei ihrer Wiedereingliederung in der Heimat unterstützt. Leistungsumfang (pro Haushalt erhält eine Person Reintegrationsunterstützung):
* Abholung/Empfang und Assistenz am Ankunftsort (z.B. Flughafen)
* Kurzfristige Unterkunft am Ankunftsort
* Beratung und Unterstützung bei der Existenzgründung im Herkunftsland
* Unterstützung in sozialen, medizinischen und rechtlichen Angelegenheiten
* Unterstützung bei Wohnungssuche / Wohnraumbeschaffung (ggf. Mietzuschuss)
* Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens (Erstellung eines Businessplans, etc.)
* Beratung bei der Suche und Vermittlung von Arbeitsstellen
* Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen
* Sonstige individuelle Hilfsangebote
Während die Geldleistung grundsätzlich dazu gedacht ist die unmittelbaren Bedürfnisse nach der Rückkehr zu decken, dient die Sachleistung insbesondere als Investition zur Schaffung einer Existenzgrundlage und trägt somit zu einer nachhaltigen Rückkehr bei.
Lifos, das Zentrum für Länderinformationen der schwedischen Einwanderungsbehörde, schreibt in einem Bericht zur Sicherheitslage im Irak vom Dezember 2017, dass sich in der Region Kurdistan aufgrund fallender Ölpreise und eines teuren Kampfes gegen die Gruppe Islamischer Staat (IS) die wirtschaftliche Lage verschlechtere und sich dies wiederum auf die lokale Bevölkerung auswirke. Daher sei in der Region die Kriminalität angestiegen darunter insbesondere die organisierte Kriminalität des Drogen- und Goldschmuggels sowie Diebstähle. Der Verlust von Ölfeldern in Kirkuk und Ninawa, die sich vormals unter Kontrolle der kurdischen Regionalregierung befunden hätten, verschärfe die wirtschaftliche Lage in Kurdistan noch zusätzlich. Die Ölexporte der Autonomen Region Kurdistan seien bereits um 55 Prozent zurückgegangen. Dies wiederum mache es der kurdischen Regionalregierung schwer, die Beamtengehälter auszuzahlen. Viele Beamte hätten bereits seit mehr als zwei Jahren nicht mehr ihren kompletten Lohn erhalten. Zudem hätten sich bei der kurdischen Regionalregierung 20 Milliarden US-Dollar Schulden für Energieabkommen mit der Türkei und Russland angehäuft.
Quelle:
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ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: wirtschaftliche Lage in der autonomen Region Kurdistan-Irak für RückkehrerInnen vom 10.05.2017
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ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Autonome Region Kurdistan: Lage von Rückkehrern aus dem Ausland: Schikanen, Diskriminierungen, Wohnraum, Kosten, Arbeitslosenrate, Erwerbsrestriktionen; Sozialsystem; Schwierigkeiten für Rückkehrer aus Europa vom 29.03.2018
Die schwedische Einwanderungsbehörde Migrationsverket bemerkt in einer rechtlichen Stellungnahme zur Lage im Irak vom Jänner 2018, dass die Sicherheitslage in den kurdischen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaimaniya nicht einem bewaffneten Konflikt oder anderen schweren Auseinandersetzungen gleiche. Die Lage werde jedoch nach dem Referendum und den anschließenden Militäroperationen in den [zwischen der Zentralregierung und der kurdischen Regionalregierung] umstrittenen Gebieten als fragil eingestuft. Die politischen Spannungen zwischen kurdischen Gruppierungen einerseits und zwischen der irakischen Zentralregierung und der kurdischen Regionalregierung andererseits könnten Auswirkungen auf die Region und ihre Einwohner mit sich bringen. Derzeit werde die Sicherheitslage jedoch als stabil betrachtet. Was die Existenz von staatlichem Schutz angehe, so meint Migrationsverket, dass es ein angemessenes Maß an staatlichem Schutz gebe, obwohl es auch Einschränkungen und Defizite gebe, wie beispielsweise beim Schutz vor Ehrverbrechen.
Iraq Body Count ist eine Datenbank, die von der in London ansässigen Firma Conflict Casualties Monitor betrieben wird und die auf Basis von Berichten verschiedener Quellen zu Vorfällen und Opfern des Konflikts im Irak Statistiken zu den einzelnen Provinzen erstellt. Soweit aus den Statistiken zu den drei Provinzen der ARK (Dohuk, Erbil und Sulaimaniya) ersichtlich, wurden nur Daten bis einschließlich Februar 2017 erhoben. Für die Monate Jänner und Februar 2017 wird für die ARK lediglich ein sicherheitsrelevanter Vorfall mit einem getöteten Zivilisten in der Provinz Sulaimaniya angezeigt. (Iraq Body Count, ohne Datum)
Auf Musings on Iraq, einem Blog des US-Amerikanischen Irakanalysten Joel Wing, finden sich in einwöchigen oder zweiwöchigen Abständen Übersichten zu sicherheitsrelevanten Vorfällen im Irak, deren Daten sich wiederum auf verschiedene meist regionale Nachrichtenquellen stützen. Eine Übersicht zur Woche vom 8. bis 14. Jänner 2018 erwähnt zwei sicherheitsrelevante Vorfälle in der Provinz Sulaimaniya, bei denen es zwei Tote und drei Verletzte gegeben habe. Für die Woche vom 15. bis zum 21. Jänner wurde ein sicherheitsrelevanter Vorfall in der Provinz Sulaimaniya, bei dem es sich um eine Schießerei gehandelt habe, vermerkt. Es finden sich keine Angaben zu Toten oder Verletzten. Der Übersicht über die Woche vom 22. bis zum 28_Jänner ist zu entnehmen, dass es einen sicherheitsrelevanten Vorfall in der Provinz Dohuk gegeben habe, bei der eine Person getötet worden sei. Bei einem weiteren sicherheitsrelevanten Vorfall in der Provinz Sulaimaniya habe es sich um einen Raketeneinschlag gehandelt, hierzu werden keine Angaben über mögliche Tote und Verletzte gemacht. Für die Woche vom 1. bis zum 7. Februar berichtet Musings on Iraq von Gefechten an der irakisch-türkischen Grenze im Gebiet der ARK zwischen Kämpfern der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und dem türkischen Militär. Die Übersicht zur Woche vom 8. bis zum 14. Februar enthält keine Meldungen zu sicherheitsrelevanten Vorfällen in der Autonomen Region Kurdistan. In der Woche vom 15. bis zum 21. Februar sei es laut Musings on Iraq zu einem sicherheitsrelevanten Vorfall in der Pr