Entscheidungsdatum
06.09.2018Norm
BBG §40Spruch
W162 2177459-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ulrike LECHNER, LL.M. als Vorsitzende und die Richterin Mag. Julia STIEFELMEYER sowie die fachkundige Laienrichterin Verena KNOGLER, BA MA als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Niederösterreich, vom 13.11.2017, betreffend die Abweisung des Antrags auf Neufestsetzung eines Behindertenpasses in nicht-öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird teilweise stattgegeben.
Der angefochtene Bescheid wird insoweit abgeändert, als festgestellt wird, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses auf Grund des festgestellten Grades der Behinderung in Höhe von 50 (fünfzig) von Hundert (v.H.) vorliegen.
Der Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung vom 29.05.2017 wird abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
1. Die Beschwerdeführerin ist seit 02.10.2010 Inhaberin eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H.
2. Die Beschwerdeführerin stellte am 29.05.2017 bei der belangten Behörde einen Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung.
3. In der Folge wurden von der belangten Behörde eine Reihe an medizinischen Sachverständigengutachten eingeholt: Das medizinische Sachverständigengutachten eines HNO-Facharztes vom 15.06.2017 sowie das Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 10.07.2017, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 04.07.2017. Dabei wurde ein Gesamtgrad der Behinderung von 40 v.H. festgestellt.
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Koronare Herzkrankheit Oberer Rahmensatz bei Zustand nach Myocardinfarkt 1/2017 und erfolgreicher Bypassversorgung, arterielle Hypertonie mitberücksichtigt
05.05.02
40
2
Hauterkrankungen, Entzündliche, exanthematische, toxische, allergische, infektiöse, immunologische bzw. autoimmunologische, nicht entzündliche Erkrankungen und gutacrtige Neubildungen der Haut, Narben, Fehlbildungen und Pigmentstörungen, sichtbarer Schleimhäute und der Hautanhangsgebilde; Mittelschwere ausgedehnte Formen Unterer Rahmensatz, ohne funktionelle Beeinträchtigung
01.01.02
20
3
Diabetes mellitus Unterer Rahmensatz, stabil unter Diät, Hyperlipidämie bei Adipositas mitberücksichtigt
09.02.01
10
4
Hörstörung beidseits Tabelle Z2/K2 unterer Rahmensatz berücksichtigt die resultierende Diskriminationsschwäche
12.02.01
10
5
Latente Hypothyreose Unterer Rahmensatz, stabil ohne therapeutische Konsequenz
09.01.01
10
In Folge des
eingeräumten Parteiengehörs gem. § 45 Abs. 3 AVG legte die Beschwerdeführerin einen Befund vor, aufgrund dessen eine weitere Stellungnahme eines Sachverständigen eingeholt wurde. Mit Stellungnahme vom 26.07.2017 wurde ausgeführt, dass der vorgelegte Befund nicht geeignet sei, eine Änderung des Grades der Behinderung zu bewirken. Dieser Befund sei bereits in das aktuelle Gutachten eingearbeitet worden.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 13.11.2017 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung ab und stellte fest, dass die Beschwerdeführerin nicht mehr die Voraussetzungen für die Ausstellung des Behindertenpasses erfülle. Der Behindertenpass sei einzuziehen und unverzüglich dem Sozialministeriumservice vorzulegen. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die Beschwerdeführerin Inhaberin eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H. sei. Das medizinische Beweisverfahren habe einen Grad der Behinderung von 40 v.H. ergeben, somit seien die Voraussetzungen zur Ausstellung eines Behindertenpasses nicht mehr gegeben.
5. Gegen diesen Bescheid wurde von der Beschwerdeführerin fristgerecht am 20.11.2017 Beschwerde erhoben. Unter Vorlage eines Befundes eines Spitals vom 05.09.2017 brachte sie im Wesentlichen vor, dass die Untersuchung oberflächlich gewesen wäre und wurde um eine neuerliche ärztliche Begutachtung ersucht wurde.
6. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten langten am 23.11.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
7. Seitens des Bundesverwaltungsgerichts wurde ein Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin eingeholt. In diesem Gutachten vom 11.07.2018 wurde in der Folge ein GdB von 50 v.H. festgestellt:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Koronare Herzkrankheit Oberer Rahmensatz bei Zustand nach Herzinfarkt und Bypassversorgung, der Bluthochdruck mitberücksichtigt
05.05.02
40
2
Psoriasis und chronische Urticaria Oberer Rahmensatz, da nur unzureichendes Ansprechen auf die eingeschränkt mögliche Therapie und die gut wirksame TNF-alpha-Blocker-Medikation wegen Herzerkrankung abgesetzt werden musste
01.01.02
40
3
Diabetes mellitus Typ II Unterer Rahmensatz, da diätetisch kompensiert
09.02.01
10
4
Hörstörung beidseits Tabelle Z2/K2 unterer Rahmensatz berücksichtigt die resultierende Diskriminationsschwäche
12.02.01
10
5
Latente Hypothyreose Unterer Rahmensatz, da stabil und ohne Therapiekonsequenz
09.01.01
10
Gesamt GdB: 50
v. H.
Leiden 1 wird durch Leiden 2 um 1 Stufe erhöht, da von klinischer Relevanz und in Kombination ungünstige Auswirkung auf den Gesamtorganismus besteht, Leiden 3 bis 5 erhöhen nicht, da von zu geringer funktioneller Relevanz.
Ein GdB von 50% ist mit Sicherheit ab 09/2017 anzunehmen, da durch den dermatologischen Befund vom 05.09.2017 eine schwere Psoriasis bestätigt und eine Exacerbation nach Absetzen der wirksamen Humira-Therapie beschrieben wird.
Vergleich zum Vorgutachten: Leiden 2 wird um 2 Stufen erhöht, da durch das erforderliche Absetzen der bisher wirksamen TNF-alpha-Blocker-Therapie wegen des Herzleidens eine Verschlechterung der Hautsituation zu verzeichnen ist.
Eine Nachuntersuchung wird nicht vorgeschlagen, da laut dermatologischen Befund vom 30.01.2018 bei zusätzlicher chronischer Urticaria und eingeschränkter Therapieoptionen keine wesentliche Besserung zu erwarten ist.
Der mitgebrachte Befund vom 30.01.2018 unterliegt der Neuerungsbeschränkung, es leitet sich aus diesem keine andere medizinische Beurteilung ab, es ist jedoch eine Chronifizierung des Hautleidens herauszulesen."
8. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte mit Schreiben vom 19.07.2018 das genannte Sachverständigengutachten an die Parteien des Verfahrens mit der Möglichkeit, hierzu eine Stellungnahme abzugeben. Keine der Parteien gab innerhalb der gewährten Frist eine Stellungnahme ab.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin ist seit 02.10.2010 Inhaberin eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H.
Die Beschwerdeführerin erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz im Inland.
Folgende Funktionseinschränkungen wurden festgestellt:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Koronare Herzkrankheit Oberer Rahmensatz bei Zustand nach Herzinfarkt und Bypassversorgung, der Bluthochdruck mitberücksichtigt
05.05.02
40
2
Psoriasis und chronische Urticaria Oberer Rahmensatz, da nur unzureichendes Ansprechen auf die eingeschränkt mögliche Therapie und die gut wirksame TNF-alpha-Blocker-Medikation wegen Herzerkrankung abgesetzt werden musste
01.01.02
40
3
Diabetes mellitus Typ II Unterer Rahmensatz, da diätetisch kompensiert
09.02.01
10
4
Hörstörung beidseits Tabelle Z2/K2 unterer Rahmensatz berücksichtigt die resultierende Diskriminationsschwäche
12.02.01
10
5
Latente Hypothyreose Unterer Rahmensatz, da stabil und ohne Therapiekonsequenz
09.01.01
10
Der Gesamtgrad
der Behinderung beträgt 50 v. H. und ist ab 05.09.2017 anzunehmen.
Leiden 1 wird durch Leiden 2 um 1 Stufe erhöht, da von klinischer Relevanz und in Kombination ungünstige Auswirkung auf den Gesamtorganismus besteht, Leiden 3 bis 5 erhöhen nicht, da von zu geringer funktioneller Relevanz. Leiden 2 wird um 2 Stufen erhöht, da durch das erforderliche Absetzen der bisher wirksamen TNF-alpha-Blocker-Therapie wegen des Herzleidens eine Verschlechterung der Hautsituation zu verzeichnen ist.
Da die Beschwerdeführerin einen Gesamtgrad der Behinderung von 50% (fünfzig v.H.) erreicht, sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses weiterhin erfüllt. Die Voraussetzungen für die Neufestsetzung des Grades der Behinderung liegen nicht vor.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zum Zeitpunkt der Ausstellung des Behindertenpasses und zur Einbringung des gegenständlichen Antrages auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung basieren auf dem Akteninhalt. Die Feststellungen zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Inland ergeben sich aus der seitens des Bundesverwaltungsgerichts aktuell durchgeführten Abfrage aus dem Zentralen Melderegister, aus der sich ein Hauptwohnsitz im österreichischen Bundesgebiet ergibt; konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführerin ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland hätte, sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Auch die belangte Behörde ging vom Vorliegen dieser Voraussetzung aus.
Der Gesamtgrad der Behinderung gründet sich auf das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 11.07.2018, basierend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am selben Tag.
Darin wird auf die Art der Leiden der Beschwerdeführerin und deren Ausmaß vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Die medizinische Gutachterin setzt sich umfassend und nachvollziehbar mit den vorgelegten Befunden, dem Beschwerdevorbringen, sowie mit der Frage der wechselseitigen Leidensbeeinflussungen und dem Zusammenwirken der zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen auseinander. Die getroffenen Einschätzungen basieren auf dem im Rahmen der persönlichen Untersuchung erhobenen Befund und entsprechen auch den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen; die Gesundheitsschädigungen sind nach der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft.
Im Unterschied zu dem seitens der belangten Behörde eingeholten allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten vom 10.07.2017 wird das Leiden 2 "Psoriasis und chronische Urticaria" nunmehr unter der Position 01.01.02 mit einem GdB von 40 v.H. eingestuft. Die Einstufung erfolgte nunmehr am oberen Rahmensatz, da nur ein unzureichendes Ansprechen auf die eingeschränkt mögliche Therapie vorliegt und die gut wirksame TNF-alpha-Blocker-Medikation aufgrund der Herzerkrankung abgesetzt werden musste. Dadurch war eine Verschlechterung der Hautsituation zu verzeichnen. Zudem wurde nunmehr nachvollziehbar festgestellt, dass Leiden 1 "Koronare Herzkrankheit" durch Leiden 2 um 1 Stufe erhöht wird, da in Kombination eine ungünstige Auswirkung auf den Gesamtorganismus besteht.
Damit berücksichtigt die medizinische Sachverständige das umfangreiche Beschwerdevorbringen der Beschwerdeführerin und die von ihr in diesem Zusammenhang vorgelegten medizinischen Befunde.
Die Einstufung sämtlicher anderer Leiden erfolgte von der durch das Bundesverwaltungsgericht beauftragten medizinischen Sachverständigen im Wesentlichen im gleichen Ausmaß wie die Bewertung durch die von der belangten Behörde beauftragte Sachverständige.
Durch diese neue Einschätzung wird dem Beschwerdevorbringen und den vorgelegten medizinischen Befunden Rechnung getragen.
Zusammenfassend wirkt sich die geänderte Beurteilung des Leidens 2 erhöhend auf den Gesamtgrad der Behinderung aus, der nunmehr festgestelltermaßen 50 v.H. beträgt.
Seitens des Bundesverwaltungsgerichts bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens vom 11.07.2018.
Die Beschwerdeführerin ist diesem Sachverständigengutachten im Rahmen des ihr durch das Bundesverwaltungsgericht eingeräumten Parteiengehörs nicht entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.06.2000, Zl. 2000/11/0093). Die belangte Behörde gab ebenfalls keine Stellungnahme ab.
Dieses medizinische Sachverständigengutachten wird daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.
2. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
1. Zur Entscheidung in der Sache:
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:
"§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
...
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.
...
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
...
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen."
Die maßgebenden Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung, BGBl. II. Nr. 261/2010 idgF BGBl II. Nr. 251/2012) lauten auszugsweise wie folgt:
"Behinderung
§ 1. Unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Grad der Behinderung
§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.
(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.
(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.
Gesamtgrad der Behinderung
§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.
(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 v.H. sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht. Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.
(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn
-
sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,
-
zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.
(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.
Grundlage der Einschätzung
§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.
(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.
..."
Zunächst ist rechtlich festzuhalten, dass der Grad der Behinderung im Beschwerdefall - wie dies auch die belangte Behörde zu Recht annahm - nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen war, was im Verfahren auch unbestritten geblieben ist.
Die Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung hat bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen nicht im Wege der Addition der einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen zu erfolgen, sondern es ist bei Zusammentreffen mehrerer Leiden zunächst von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für welche der höchste Wert festgestellt wurde, und dann ist zu prüfen, ob und inwieweit durch das Zusammenwirken aller zu berücksichtigenden Funktionsbeeinträchtigungen eine höhere Einschätzung des Grades der Behinderung gerechtfertigt ist (vgl. den eindeutigen Wortlaut des § 3 der Einschätzungsverordnung, sowie die auf diese Rechtslage übertragbare Rechtsprechung, VwGH 17.07.2009, 2007/11/0088; 22.01.2013, 2011/11/0209 mwN).
Wie oben unter Punkt 2. (Beweiswürdigung) ausgeführt, wird der gegenständlichen Entscheidung das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 11.07.2018, beruhend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin, zu Grunde gelegt. Demnach beträgt der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin aktuell 50 v.H. und ist dieser ab 05.09.2017 anzunehmen. Keine der Parteien bestritt dieses Sachverständigengutachten.
Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 50 v.H. sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses bei der Beschwerdeführerin somit erfüllt.
Der Beschwerde war daher spruchgemäß teilweise stattzugeben.
Die Beschwerdeführerin ist bereits seit 02.10.2010 Inhaberin eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 50 von Hundert (in der Folge v.H.). Sie stellte am 29.05.2017 einen Antrag auf Neufeststellung des Grades der Behinderung. Das vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführte Ermittlungsverfahren ergab, dass bei der Beschwerdeführerin nach wie vor ein Grad der Behinderung von 50 v.H. vorliegt. Damit kann dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Neufeststellung des Grades der Behinderung keine Folge gegeben werden, weswegen dieser Antrag spruchgemäß abzuweisen war.
2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung
Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und auf das über Veranlassung des Bundesverwaltungsgerichts eingeholte medizinische Sachverständigengutachten, das auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin beruht, auf alle Einwände und vorgelegten Atteste der Beschwerdeführerin in jeweils fachlicher Hinsicht eingeht, und welchem die Beschwerdeführerin nicht substantiiert entgegengetreten ist. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens wurden keine diesem Gutachten widersprechende Befunde oder Gegengutachten vorgelegt. Die strittige Tatsachenfrage, genauer die Art und das Ausmaß der Funktionseinschränkungen der Beschwerdeführerin, sind einem Bereich zuzuordnen, der von einem Sachverständigen zu beurteilen ist. Beide Parteien haben keinen Verhandlungsantrag gestellt. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Vielmehr hängt die Entscheidung von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.
Es handelt sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, welche im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behindertenpass, Grad der Behinderung, Neufestsetzung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W162.2177459.1.00Zuletzt aktualisiert am
22.01.2019