TE Bvwg Beschluss 2018/9/19 L523 1262668-2

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Veröffentlicht am 19.09.2018
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Entscheidungsdatum

19.09.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

L523 1262668-2/5E

L523 1310918-2/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Tanja Danninger-Simader als Einzelrichterin über die Beschwerden von XXXX (BF1), geb. XXXX1951 und XXXX (BF2), geb. XXXX1956, StA. Armenien, beide vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 27.06.2017, Zlen. XXXX, beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerden werden die angefochtenen Bescheide

behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer 1 (BF1), armenischer Staatsangehöriger und Ehemann der Beschwerdeführerin 2 (BF2), stellte am 28.04.2004 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Rechtskraft 18.06.2005 gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen wurde. Gleichzeitig wurde die Zulässigkeit der Abschiebung nach Armenien festgestellt und der BF1 aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (AS 29). Sein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde mit Bescheid des BFA vom 11.07.2005 gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG abgewiesen (AS 54), die Berufung dagegen gemäß § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurückgewiesen (AS 197).

Das mit Bescheid der Bundespolizeidirektion (BPD) Wien vom 02.11.2006 gegen den BF1 auf die Dauer von 10 Jahren befristet erlassene Rückkehrverbot wegen strafrechtlicher Verurteilungen (AS 151) wurde mit Berufungsbescheid der Sicherheitsdirektion Wien vom 13.06.2007 mit der Maßgabe bestätigt, dass gegen den BF1 ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen wurde (AS 166).

Dem Antrag des BF1 auf Aufhebung dieses Aufenthaltsverbotes vom 29.06.2011 wurde mit Bescheid der Landespolizeidirektion (LPD) Wien vom 06.11.2012 entsprochen und das gegen den BF1 erlassene Rückkehrverbot aufgehoben.

Die Beschwerdeführerin 2 (BF2), armenische Staatsangehörige und Ehefrau des BF1, stellte am 11.01.2006 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher nach Beschwerdeerhebung mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 19.05.2009 gemäß §§ 3, 8 Abs. 1 Z 1 und 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 abgewiesen wurde. Mit Beschluss vom 16.09.2009 wurde vom VfGH der Beschwerde zunächst die aufschiebende Wirkung zuerkannt und in der Folge die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

2. Ein Verfahren zur Sicherung der Ausreise der BF1-BF2 im Jahr 2010/2011 scheiterte, da unter den angegebenen Identitäten die armenische Staatsangehörigkeit nicht habe festgestellt werden können. Der BF1 gab im Verfahren (niederschriftliche Einvernahmen vor der BPD Wien vom 31.03.2010 und 24.02.2011 sowie Stellungnahme vom 02.02.2011) an, dass es ihm derzeit nicht möglich sei, die erforderlichen Dokumente von der armenischen Botschaft zu erhalten, dass seine Angaben über seine Person der Wahrheit entsprechen würden und er nicht verstehe, warum die Botschaft keine Dokumente für ihn ausstelle.

Die BF2 gab im Verfahren (niederschriftliche Einvernahme vom 19.05.2010 und 24.02.2011) an, dass sie die Daten zu ihrer Person richtig angegeben habe und sie sich selbst um die Ausstellung eines Reisedokumentes kümmern werde bzw. dass sie nicht verstehe, warum die Botschaft keine Dokumente für sie ausstelle.

Mit Fremdeninformation vom 03.03.2011 wurde um Ergänzung der Fremdeninformation im FIS mit dem Zusatz "Erlangung eines Heimreisezertifikates nicht möglich" ersucht.

3. Die BF1-BF2 stellten am 29.01.2015 jeweils persönlich und ohne Vorlage eines Ausweises einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Besonderer Schutz" gemäß

§ 57 Abs 1 Z 1 AsylG.

4. Mit Schreiben des BFA vom 17.09.2015 wurden die BF1-BF2 vom Ergebnis der Beweisaufnahme verständigt, ihnen die Beibringung der fehlenden Urkunden bzw. Nachweise (Reisedokument, Geburtsurkunde, Heiratsurkunde) aufgetragen und sie wurden dahingehend belehrt, dass ihr Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen sei, sollten sie ihrer allgemeinen Mitwirkungspflicht nicht nachkommen.

Trotz beantragter Fristerstreckung wurden keine Dokumente vorgelegt.

5. Mit Bescheiden des BFA vom 27.06.2017, Zlen. XXXX, wurden die Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (§ 57 Abs. 1 Z 1 AsylG) gemäß § 58 Abs 11 Z 2 AsylG als unzulässig zurückgewiesen. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF1-BF2 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF1-BF2 gemäß § 46 FPG nach Armenien zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1-3 FPG wurde eine Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise festgelegt.

Begründend wurde ausgeführt, dass die Identität der BF1-BF2 mangels deren Mitwirkung nicht feststellbar sei und die Anträge auf Erteilung der begehrten Aufenthaltstitel daher zurückzuweisen seien. Die Interessensabwägung habe ergeben, dass dem langen Aufenthalt der BF1-BF2 im Bundesgebiet deren fehlende Integration und deren beharrliches und konsequent rechtswidriges Verhalten im Bundesgebiet entgegenstehe und es sei daher die Rückkehrentscheidung iVm mit der Zulässigkeit der Abschiebung zu treffen gewesen.

6. Mit Verfahrensanordnungen des BFA vom 03.07.2017 wurden den BF1-BF2 gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

7. Gegen die am 25.09.2017 ausgefolgten Bescheide des BFA vom 27.06.2017 wurde mit Schriftsatz vom 09.10.2017 fristgerecht Beschwerde erhoben.

Begründend wurde ausgeführt, dass das BFA kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt habe, zumal zwischen dem Parteiengehör und dem Bescheid zwei Jahre ohne Ermittlungsschritte liegen würden. So seien weder die Familienverhältnisse erhoben worden - in Österreich würden mittlerweile auch die beiden Kinder der BF1-BF2 mit deren Ehepartnern und Kindern leben, die über einen Aufenthaltstitel Daueraufenthalt EU bzw. subsidiären Schutz verfügen würden und es bestehe zwischen den BF1-BF2 und den Kindern und Enkelkindern ein enges familiäres Verhältnis - noch sei der mittlerweile schlechte Gesundheitszustand der BF1-BF2 oder das soziale Engagement der BF2 berücksichtigt worden. Zudem sei die belangte Behörde ihrer gesetzlich auferlegten Manuduktionspflicht nicht nachgekommen, sei doch offensichtlich, dass die BF1-BF2 einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG beantragen wollten. Die belangte Behörde habe auch eine rechtswidrige Interessensabwägung vorgenommen, indem sie ihrer Entscheidung einen veralteten Sachverhalt zugrunde gelegt habe, zumal sie auch vor Bescheiderlassung nicht aufgefordert wurden, ihre aktuellen persönlichen Verhältnisse darzulegen. Die BF1-BF2 würden über einen mehr als zehnjährigen Aufenthalt in Österreich verfügen, seien in Österreich integriert, würden über familiäre Anknüpfungspunkte verfügen und würde ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Kindern bestehen. Darüber hinaus befänden sich die BF1-BF2 in schlechter gesundheitlicher Verfassung und seien die Länderfeststellungen hinsichtlich der medizinischen Versorgungsmöglichkeit für die BF1-BF2 mangelhaft.

Letztendlich stellten die BF1-BF2 ihre Identität richtig und gaben diese nunmehr mit XXXX und XXXX - bei gleichbleibenden Geburtsdaten - bekannt und belegten diese mit der Vorlage der Heiratsurkunde samt beglaubigter Übersetzung und der Geburtsurkunden der Kinder. Aus Angst vor ihrer Abschiebung hätten sie bisher ihre Identität nicht richtiggestellt und würden dies zutiefst bedauern.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte der Verwaltungsbehörde und der eingebrachten Beschwerden.

1. Feststellungen:

Hinsichtlich des Verfahrensganges und des festzustellenden Sachverhaltes wird grundlegend auf die unter Punkt I getroffenen Ausführungen verwiesen.

Die belangte Behörde hat jedoch die notwendigen Ermittlungen des maßgeblichen Sachverhaltes unterlassen, weshalb dieser zum Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde nicht hinreichend feststand.

2. Beweiswürdigung:

Der für die gegenständliche Zurückverweisung des Bundesverwaltungsgerichtes relevante Sachverhalt ergibt sich aus der Aktenlage zweifelsfrei.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg. cit nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht.

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. dazu ausführlich das Erk. Des VwGH vom 26.6.2014, Zl. Ro 2014/03/0063).

3.2. Aus folgenden Gründen muss angenommen werden, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt wurde:

Die BF verschleierten während des gesamten Verfahrensverlaufes - und auch im zuvor durchgeführten Asylverfahren - ihre wahre Identität und legten auch keine gültigen (Reise) Dokumente vor. Die Nichtvorlage eines gültigen Reisedokuments rechtfertigt bei Unterbleiben einer Antragstellung § 4 Abs. 1 Z 3 und § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG-DV 2005 grundsätzlich eine auf § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 gestützte zurückweisende Entscheidung (VwGH 21.09.2017, Ra 2017/22/0128 und 17.05.2017, Ra 2017/22/0059 mit Hinweisen auf E 30.06.2015, Ra 2015/21/0039; 14.04.2016, Ra 2016/21/0077; 15.09.2016, Ra 2016/21/0187) und wäre daher grundsätzlich die Zurückweisung des Antrags auf den begehrten Aufenthaltstitel zu Recht erfolgt.

Wird aber der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56, 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung gemäß § 10 Abs 3 AsylG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs 9 Z 1 bis 3 vorliegt.

Aus § 10 Abs. 3 AsylG 2005 ergibt sich, dass dann, wenn kein Fall des § 58 Abs. 9 AsylG 2005 vorliegt, auch eine Antragszurückweisung mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden ist (VwGH 17.05.2017, Ra 2017/22/0059).

Im gegenständlichen Fall sprach das BFA daher zu Recht auch eine neuerliche Rückkehrentscheidung aus, diese jedoch ohne die notwendige Ermittlung des Sachverhalts.

Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd Art. 8 Abs.- 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.

Unter diesem Aspekt leidet der angefochtene Bescheid unter dem schweren Mangel, dass sich das BFA mit der Frage des Privat- und Familienlebens der BF1-BF2 und daraus folgend mit der Frage der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung nicht in gehöriger Weise auseinandergesetzt hat. Das BFA hat in der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 17.09.2015 lediglich einen Verbesserungsauftrag hinsichtlich der Vorlage von Identitätsdokumenten erteilt, Fragen zur Beantwortung ihres Privat- und Familienlebens wurden jedoch nicht gestellt und auch eine persönliche Befragung vor dem BFA fand nicht statt. Eine persönliche Äußerungsmöglichkeit fand in diesem Zusammenhang letztmalig im Laufe der Asylverfahren der BF1-BF2 statt, welche bereits seit 18.06.2005 (BF1) bzw. 23.02.2010 (BF2) in Rechtskraft erwachsen sind.

Auch wenn den Verfahrensvorschriften in einem Ermittlungsverfahren gem. §§ 55 - 57 AsylG keine generelle Verpflichtung, den Antragsteller niederschriftlich einzuvernehmen, entnommen werden kann, mag doch in einzelnen Fällen eine Verpflichtung hierzu anzunehmen sein, insbesondere dann, wenn es zur Beurteilung der privaten Interessen der Partei der Verschaffung eines persönlichen Eindruckes durch die Behörde bedarf. Dies wird insbesondere dann anzunehmen sein, wenn seit dem letzten Zeitpunkt, in dem sich die Behörde einen persönlichen Eindruck von der beschwerdeführenden Partei verschaffte, ein langer Zeitraum verstrich und der letztmalige persönliche Eindruck nicht mehr als aktuell anzusehen ist. Der im gegenständlichen Fall zuletzt verschaffte persönliche Eindruck aus den Jahren 2005 bzw. 2009 kann jedenfalls nicht mehr als aktuell angesehen werden. Wie das BFA im angefochtenen Bescheid dennoch zur Feststellung gelangte, dass - beispielsweise - eine Integration der BF1-BF2 so gut wie überhaupt nicht vorhanden sei (Bescheid des BF1, Seite 9 bzw. Bescheid der BF2, Seite 7) bzw. bloß marginale Deutschkenntnisse der BF1-BF2 (Bescheid des BF1, Seite 35 bzw. Bescheid der BF2, Seite 33) vorhanden wären, erschließt sich dem Bundesverwaltungsgericht nicht, zumal sich das BFA weder vom (Nicht-)Vorhandensein einer allfälligen Integration noch von Deutschkenntnissen der BF1-BF2 Kenntnis verschaffte. In diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, dass bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, sind Aufenthaltsbeendigungen auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig anzusehen (VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0325). Dazu hätte es aber einer tatsächlichen Befassung mit den Lebensbedingungen und Integrationsschritte der BF1-BF2 bedurft und muss dieses Versäumnis des BFA als besonders gravierende Ermittlungslücke angesehen werden.

Daran anknüpfend ist das Ermittlungsverfahren mangelhaft geblieben und fehlt dem Bundesverwaltungsgericht eine ausreichende Beurteilungsgrundlage für die Lösung der Frage, ob die Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorliegen. Ohne Nachholung der hier aufgezeigten und für die Prüfung einer Rückkehrentscheidungen notwendigen Tatsachenerhebungen zur Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Sachverhalt entsprechend entscheidungsrelevant ermittelt wurde; der Sachverhalt steht somit nicht fest.

Hinzu kommt, dass das BFA auch die Familienverhältnisse der BF1-BF2 bezweifelt, geht es doch von der "angeblichen" Ehegattin/dem "angeblichen" Ehegatten/den "angeblichen" Kindern (Bescheid des BF1, S 7 und S 32 bzw. Bescheid der BF2, 5 und S 30) aus, obwohl die aufrechte Ehe der beiden BF beispielsweise bereits im Erkenntnis des AsylG vom 19.05.2009, XXXX, festgestellt worden ist und dass deren beiden Kinder - zum damaligen Zeitpunkt - Asylwerber in Österreich waren (Erkenntnis des AsylG vom 19.05.2009, S 8).

Das BFA hat sich im fortgesetzten Verfahren daher in geeigneter Weise mit der Identität der BF1-BF2, mit deren Privat- und Familienleben sowie deren Gesundheitszustand und den für die Entscheidung über die Erlassung einer Rückkehrentscheidung erforderlichen Faktoren im Rahmen einer ausführlichen Einvernahme auseinanderzusetzen und eine entsprechende individuelle Würdigung hinsichtlich der Prüfung der Rückkehrentscheidung vorzunehmen. Sollte sich herausstellen, dass für den von den BF1-BF2 beabsichtigten Aufenthaltszweck ein anderer Aufenthaltstitel benötigt werden würde, wird zudem auf die allenfalls erforderliche Belehrungsverpflichtung gemäß § 58 Abs. 6 AsylG verwiesen. Es werden daher Einvernahmen der BF1-BF2 durchzuführen sowie entsprechende Ermittlungen zu führen sein, welche unter Berücksichtigung sämtlicher - zum Entscheidungszeitpunkt bekannter - Bescheinigungsmittel einer schlüssigen Beweiswürdigung zu unterziehen sind und wird das BFA aktuelle, individuelle Feststellungen zu treffen haben, welche als Basis für die rechtliche Beurteilung dienen.

Durch das Versäumnis, aktuelle Feststellungen zum Privat- und Familienleben der BF1-BF2 zu treffen, hat die belangte Behörde im gegenständlichen Fall sohin ein grob mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt, weshalb der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet ist und zu beheben war. Dem Gesetzeswortlaut zufolge ist eine Zurückweisung des Antrags mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, weshalb mit der Aufhebung der Rückkehrentscheidung auch die zurückweisende Entscheidung über den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für sich alleine keinen Bestand haben kann, sodass der gesamte angefochtene Bescheid spruchgemäß zu beheben war (vgl. dazu auch VwGH 24.09.2015, 2012/07/0083, wonach ein Teilabspruch, der in Rechtskraft erwachsen kann, nur dann in Betracht kommt, wenn jeder der getrennten Bescheidpunkte für sich allein ohne inneren Zusammenhang mit anderen Punkten einem gesonderten Abspruch zugänglich ist, also die Entscheidung über jeden dieser Punkte ohne Einfluss auf die Entscheidung über alle anderen Punkte ist).

Die gegenständlichen behördlichen Verfahren erweisen sich aus den dargelegten Gründen insgesamt als so mangelhaft, dass von dem in § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG eingeräumten Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung Gebrauch zu machen war. Insofern war die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der Beschwerde stattzugeben bzw. die angefochtenen Bescheide aufzuheben waren.

Zu B)

Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. beispielshaft Erk. d. VwGH v. 16.12.2009, GZ. 2007/20/0482; Erk. d. VwGH vom 19.11.2009, 2008/07/0167, VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Begründungspflicht, Ermittlungspflicht, gesundheitliche
Beeinträchtigung, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
persönliche und soziale Bindungen, Rückkehrentscheidung,
Verfahrensführung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:L523.1262668.2.00

Zuletzt aktualisiert am

22.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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