TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/9 I411 1406413-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.10.2018
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Entscheidungsdatum

09.10.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.8
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I411 1406413-2/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Robert POLLANZ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Nigeria, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Lothar KORN, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.08.2018 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Am 02.02.2009 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit Bescheid vom 24.04.2009 abgewiesen und ausgesprochen, dass eine Ausweisung nach Nigeria zulässig sei. Die hiergegen erhobene Beschwerde wurde vom Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom XXXX, Zl. XXXX, abgewiesen. Der für den 30.06.2011 geplanten Abschiebung entzog sich die Beschwerdeführerin durch Untertauchen, da der Aufenthaltsort der Beschwerdeführerin zu diesem Zeitpunkt unbekannt war. Die nächste aufrechte Meldung der Beschwerdeführerin scheint mit 09.07.2014 in Wien auf.

2. Mit Formularvordruck beantragte die Beschwerdeführerin am 17.02.2014 gemäß

"§ 56 Abs. 1 AsylG" die Erteilung eines Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen - Aufenthaltsberechtigung plus. Mit Schriftsatz vom 08.04.2014 änderte die Beschwerdeführerin durch ihren damaligen Rechtsvertreter ihren Antrag ab und begehrt nunmehr einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG, den sie mit ihrer starken Bindung zu Österreich begründetet.

3. Mit dem Bescheid vom XXXX, Zl. XXXX, wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK ab, erließ gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung nach Nigeria zulässig ist. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 13.04.2015 (bei der belangten Behörde eingelangt am selben Tag).

5. Mit Schriftsatz vom 14.04.2015, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 16.04.2015, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

6. Am 08.08.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, in Anwesenheit der Beschwerdeführerin, ihres Rechtsvertreters und einer Dolmetscherin für die englische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung statt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I. dargelegte Verfahrensgang wird festgestellt.

Darüber hinaus sind folgende Feststellungen zu treffen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die volljährige Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Nigeria und ledig. Sie lebt aber in Lebensgemeinschaft mit XXXX, einem ebenfalls nigerianischen Staatsangehörigen, welcher über einen spanischen Aufenthaltstitel, gültig bis 2020, verfügt. Gemeinsam haben sie die Kinder (XXXX, geb. am XXXX, XXXX, geb. am XXXX sowie XXXX, geb. am XXXX). Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung war die Beschwerdeführerin mit dem vierten gemeinsam Kind im achten Monat schwanger und ist XXXX am XXXX in Linz zur Welt gekommen. Die Kinder der Beschwerdeführerin sind ebenfalls nigerianische Staatsangehörige und befinden sich im anpassungsfähigen Alter. Derzeit lebt sie mit ihren drei Kindern in Linz und besucht sie ihr Lebensgefährte regelmäßig für zwei bis drei Wochen.

Die Beschwerdeführerin bekennt sich zum christlichen Glauben. Ihre Identität steht fest.

Die Beschwerdeführerin hält sich seit 2009 durchgehend in Österreich auf, wobei sie beinahe drei Jahre lang über keinen aufrecht gemeldeten Wohnsitz in Österreich verfügte. Sie hat zu keinem Zeitpunkt über einen regulären Aufenthaltstitel verfügt und war nur während der Dauer ihres Asylverfahrens zum Aufenthalt in Österreich berechtigt. Ihr wurde zu keinem Zeitpunkt ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet eine Karte für Geduldete ausgestellt. Nach rechtskräftigem Abschluss ihres Asylverfahrens ist die Beschwerdeführerin ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen und ist, um die Abschiebung zu verhindern, untergetaucht.

Die Beschwerdeführerin ist gesund und arbeitsfähig.

In Österreich verfügt die Beschwerdeführerin, abgesehen von ihren drei Kindern, über keine Verwandten und über keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen.

Die Beschwerdeführerin ist in Österreich nicht vorbestraft.

Sie verdient sich ihren Lebensunterhalt grundsätzlich mit Babysitten und Hairstyling, bezieht aber aufgrund ihrer Schwangerschaft derzeit Wochengeld von der Sozialversicherung. Bereits in Nigeria arbeitete die Beschwerdeführerin als Friseurin. In den Jahren 2010 und 2011 ging sie für ca. eineinhalb Jahre in Linz der Prostitution nach.

Die Beschwerdeführerin weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher und kultureller Hinsicht auf. Insbesondere spricht die Beschwerdeführerin trotz ihres beinahe 10-jährigen Aufenthaltes in Österreich Deutsch lediglich auf Niveau A1. Die Prüfung für das A2 Zertifikat am 14.09.2018 hat die Beschwerdeführerin nicht bestanden. Zu Mitgliedern der christlichen Gemeinde pflegt die Beschwerdeführerin soziale bzw. freundschaftliche Kontakte.

1.3. Zu den Feststellungen zur Lage in Nigeria:

Der Beschwerdeführerin wurde gemeinsam mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 08.08.2018 das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Nigeria zur Stellungnahme übermittelt. Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin machte hiervon Gebrauch und führte aus, dass eine alleinstehende Frau mit vier Kindern in Nigeria keine Überlebensmöglichkeiten habe.

Das politische System Nigerias orientiert sich stark am System der Vereinigten Staaten; in der Verfassungswirklichkeit dominieren der Präsident und die ebenfalls direkt gewählten Gouverneure. Die lange regierende People¿s Democratic Party (PDP) musste nach den Wahlen 2015 erstmals seit 1999 in die Opposition; seither ist die All Progressives¿ Congress (APC) unter Präsident Muhammadu Buhari an der Macht.

In Nigeria herrscht keine Bürgerkriegssituation, allerdings sind der Nordosten, der Middle Belt und das Nigerdelta von Unruhen und Spannungen geprägt. Für einzelne Teile Nigerias besteht eine Reisewarnung, insbesondere aufgrund des hohen Entführungsrisikos.

Im Norden und Nordosten Nigerias hat sich die Sicherheitslage verbessert; in den ländlichen Teilen der Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa kommt es aber weiterhin zu Anschlägen der Boko Haram. Es gelang den Sicherheitskräften zwar, Boko Haram aus den meisten ihrer Stellungen zu vertreiben, doch war es kaum möglich, die Gebiete vor weiteren Angriffen durch die Islamisten zu schützen. Der nigerianischen Armee wird vorgeworfen, im Kampf gegen Boko Haram zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben; die von Präsident Buhari versprochene Untersuchung blieb bisher aber folgenlos.

Das Nigerdelta (Bundesstaaten Ondo, Edo, Delta, Bayelsa, Rivers, Imo, Abia, Akwa Ibom und Cross River) ist seit Jahren von gewalttätigen Auseinandersetzungen und Spannungen rund um die Verteilung der Einnahmen aus den Öl- und Gasreserven geprägt. Von 2000 bis 2010 agierten in der Region militante Gruppen, die durch ein im Jahr 2009 ins Leben gerufene Amnestieprogramm zunächst beruhigt wurden. Nach dem Auslaufen des Programmes Ende 2015 brachen wieder Unruhen aus, so dass eine weitere Verlängerung beschlossen wurde. Die Lage hat sich seit November 2016 wieder beruhigt, doch bleibt sie volatil. Insbesondere haben Angriffe auf die Ölinfrastrukturen in den letzten zwei Jahren wieder zugenommen. Abgelegene Gebiete im Nigerdelta sind teils auch heute noch unter der Kontrolle separatistischer und krimineller Gruppen.

In Zentralnigeria (Middle Belt bzw. Jos Plateau) kommt es immer wieder zu lokalen Konflikten zwischen ethnischen, sozialen und religiösen Gruppen. Der Middle Belt bildet eine Brücke zwischen dem vorwiegend muslimischen Nordnigeria und dem hauptsächlich christlichen Süden. Der Ursprung dieser Auseinandersetzungen, etwa zwischen (überwiegend muslimischen nomadischen) Hirten und (überwiegend christlichen) Bauern, liegt oft nicht in religiösen Konflikten, entwickelt sich aber häufig dazu.

Es besteht kein spezielles Unterstützungsprogramm für allein zurückkehrende Frauen und Mütter. Organisationen, die Unterstützungsprogramme betreiben, konzentrieren sich hauptsächlich auf Opfer des Menschenhandels (IOM 8.2013). Nigeria verfügt hier über eine Anzahl staatlicher und halbstaatlicher Einrichtungen, insbesondere die National Agency for the Prohibition of Trafficking in Persons (NAPTIP), die sich um die Rehabilitierung und psychologische Betreuung rückgeführter Frauen annehmen und in jeder der sechs geopolitischen Zonen Regionalbüros unterhalten. NAPTIP kann als durchaus effektive nigerianisches Institution angesehen werden und kooperiert mit mehreren EUMS bei der Reintegration. NAPTIP ist Rückführungspartner für Drittstaaten und leistet u.a. Integrationshilfe (ÖBA 9.2016).

Hinsichtlich Menschenhandels ist ein ausgeklügeltes und effektives rechtliches und institutionelles Netz aktiv. Die wichtigste Institution ist NAPTIP. Sie ist für die Untersuchung und Anklage von Fällen des Menschenhandels verantwortlich, für Kooperation und Koordination, für die Unterstützung von Opfern und für die Vorbeugung. Das nigerianische Modell wird als eines der besten existierenden Modelle erachtet (OHCHR 14.3.2014). NAPTIP hat nach eigenen Angaben seit ihrer Gründung bis 2011 über 4.000 Opfer des organisierten Menschenhandels befreit und seit 2008 die Verurteilung von mindestens 120 Menschenhändlern erreicht (AA 21.11.2016).

Es gibt viele Frauengruppen, die die Interessen der Frauen vertreten, praktische Hilfe und Zuflucht anbieten (UKHO 8.2016b). In Nigeria sind neben den UN-Teilorganisationen 40.000 NGOs registriert, welche auch im Frauenrechtsbereich tätig sind. Die Gattinnen der 36 Provinzgouverneure sind in von ihnen finanzierten "pet projects" gerade im Frauenbildungs- und Hilfsbereich sehr aktiv und betreuen Frauenhäuser, Bildungseinrichtungen für junge Mädchen, rückgeführte Prostituierte und minderjährige Mütter sowie Kliniken und Gesundheitszentren für Behinderte, HIV-Erkrankte und Pensionisten neben zahlreichen Aufklärungskampagnen für Brustkrebsfrühuntersuchungen, gegen Zwangsbeschneidung und häusliche Gewalt. Für unterprivilegierte Frauen bestehen in großen Städten Beschäftigungsprogramme, u.a. bei der Straßenreinigung (ÖBA 9.2016).

Auch Diskriminierung im Arbeitsleben ist für viele Frauen Alltag.

Alleinstehende Frauen begegnen dabei besonderen Schwierigkeiten: Im traditionell konservativen Norden, aber auch in anderen Landesteilen, sind sie oft erheblichem Druck der Familie ausgesetzt und können diesem häufig nur durch Umzug in eine Stadt entgehen, in der weder Familienangehörige noch Freunde der Familie leben. Im liberaleren Südwesten des Landes - und dort vor allem in den Städten - werden alleinstehende oder allein lebende Frauen eher akzeptiert (AA 21.11.2016).

Die Verfassung und Gesetze sehen für interne Bewegungsfreiheit vor und Berichten zufolge treten Frauen aus dem ganzen Land kurze oder lange Reisen alleine an. Die Bewegungsfreiheit der Frauen aus muslimischen Gemeinden in den nördlichen Regionen ist jedoch stärker eingeschränkt. Im Allgemeinen ist eine interne Relokation für insbesondere alleinstehende und kinderlose Frauen nicht übermäßig hart, im Falle der Flucht vor einer lokalen Bedrohung, die von ihrer Familie oder nicht-staatlichen Akteuren ausgeht (UKHO 8.2016b).

Eine Auswahl spezifischer Organisationen:

• African Women Empowerment Guild (AWEG): 29, Airport Road, Benin

City, Edo State Tel.: 08023514832, 08023060147, aweg95@yahoo.comnosaaladeselu@yahoo.co.uk(AWEG o.d.a). Die AWEG versucht, Frauen die nötigen Fähigkeiten zu vermitteln, um sich privat und beruflich weiterzuentwickeln und sich durch Bildung, Lese- und Schreibkenntnisse Perspektiven zu eröffnen. Die AWEG hat in der Vergangenheit Wiedereingliederungshilfe für Frauen, die Opfer von Menschenhandel wurden, geleistet und wurde hierbei vom UN Office on Drug and Crime Control (UNODC) unterstützt. Die Organisation bemüht sich um Finanzmittel, um das Projekt fortzusetzen. Die AWEG hat in Zusammenarbeit mit religiösen Organisationen eine Unterkunft für Opfer von Menschenhandel eingerichtet, beherbergt hier jedoch derzeit keine Personen (IOM 8.2013; vgl. AWEG o.D.b).

• The Women's Consortium of Nigeria (WOCON): 13 Okesuna Street, Off Igbosere Road, Lagos, Nigeria, Tel.: 234-1-2635300, 2635331234-4-1-2635331, 234-(0) 8033347896, Email: wocon95@yahoo.com (WOCON o.D.a). Das Women's Consortium of Nigeria (WOCON) ist eine private gemeinnützige Organisation (NGO), die sich der Durchsetzung der Frauenrechte und der Erzielung von Gleichheit, persönlicher Entwicklung und Frieden widmet. Aktuelle Projekte: Aufklärung bezüglich Menschenhandel, Mobilisierung der Frauen, der Jugend, der öffentlichen Transportunternehmen und der Hotelmitarbeiter im Kampf gegen TIP [Anm.: Trafficking in people]. WOCON leitet Opfer des Menschenhandels an die entsprechenden Schutzunterkünfte der Regierung weiter. Andere Reintegrationsleistungen sind Beratung, Berufsausbildung und Familienzusammenführung sowie die Mobilisierung qualifizierter Frauen zur Teilnahme an der Politik. Das Projekt erstreckt sich auf die Regionen Ogun, Lagos und Ondo (IOM 8.2013; vgl. WOCON o.D.b).

• Women's Rights Advancement and Protection Alternative (WRAPA),

19, Monrovia Street, Off Aminu Kano Way, Wuse II Abuja;, Tel.:

08188699961, 08172125692, 07063807887, Email: Wrapa399@gmail.com, wrapa399@yahoo.com, (WRAPA o.D.a). Women's Rights Advancement and Protection Alternative (WRAPA) ist eine Organisation, die Opfern von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung und sexueller Belästigung etc. kostenlose Rechtsberatung bietet. Darüber hinaus bietet die Organisation Frauen bei entsprechender Finanzierung Berufsausbildungsprogramme. Die Organisation betreibt Büros in jedem der 36 Bundesstaaten Nigerias. Die Organisation plant die Einrichtung zehn landesweiter Beratungszentren für kostenlose Rechtsberatungen und Ausbildungsmöglichkeiten für Frauen, sucht aber noch nach der entsprechenden Finanzierung. Die Organisation bietet in ihren verschiedenen Büros auch weiterhin kostenlosen Rechtsbeistand und Beratungen für Frauen an (IOM 8.2013; vgl. WRAPA o. D.b).

• Women Aid Collective (WACOL), Email: wacolenugu@wacolnigeria.org, wacolnig@gmail.com, wacolnig@yahoo.com, wacolenugu@yahoo.com; Women House, No. 12 Mathias Iloh Avenue, Newton Enugu;, Tel.:

+234-0909-561-9586 +234-0806-609-2184, Fax: +234-42-256831, (WACOL o. D.a); Women Aid Collective (WACOL) ist eine Wohltätigkeitsorganisation, die von der African Commission on Human and Peoples' Rights beobachtet wird. WACOL bietet verschiedene Unterstützung an: Schulungen, Forschung, Rechtsberatung, Unterkunft, kostenloser Rechts- und Finanzbeistand, Lösung familieninterner Konfliktsituationen, Informationen und Bücherdienste. Die Angebote für Frauen und Kinder umfassen: Schutz und sichere Unterkunft in Krisensituationen, Rechtsberatung und Beistand, Beratung von Opfern und deren Familien (IOM 8.2013; vgl. WACOL o.D.b).

Die Justiz Nigerias hat ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Professionalität erreicht, doch bleibt sie politischem Einfluss, Korruption und einem Mangel an Ressourcen ausgesetzt. Eine systematisch diskriminierende Strafverfolgung ist nicht erkennbar, doch werden aufgrund der herrschenden Korruption tendenziell Ungebildete und Arme benachteiligt. Das Institut der Pflichtverteidigung gibt es erst in einigen Bundesstaaten. In insgesamt zwölf nördlichen Bundesstaaten wird die Scharia angewendet, Christen steht es aber frei, sich einem staatlichen Gerichtsverfahren zu unterwerfen. Der Polizei, die durch geringe Besoldung und schlechte Ausrüstung eingeschränkt ist, wird oftmals die Armee zur Seite gestellt. Insgesamt ist trotz der zweifelsohne vorhandenen Probleme im Allgemeinen davon auszugehen, dass die nigerianischen Behörden gewillt und fähig sind, Schutz vor nichtstaatlichen Akteuren zu bieten. Problematisch ist aber insbesondere, dass Gefangene häufig Folterung und Misshandlung ausgesetzt sind. Disziplinarrechtliche oder strafrechtliche Folgen hat dies kaum. Die Bedingungen in den Haftanstalten sind hart und lebensbedrohlich. Nigeria hält an der Todesstrafe fest, diese ist seit 2006 de facto ausgesetzt, wobei es in den Jahren 2013 und 2016 in Edo State aber zu einzelnen Hinrichtungen gekommen war. Die Regierung Buharis hat der Korruption den Kampf erklärt, doch mangelt es ihr an effektiven Mechanismen.

Die Menschenrechtssituation in Nigeria hat sich in den letzten 20 Jahren verbessert, schwierig bleiben aber die allgemeinen Lebensbedingungen. Die Versammlungsfreiheit ist verfassungsrechtlich garantiert, wird aber gelegentlich durch das Eingreifen von Sicherheitsorganen bei politisch unliebsamen Versammlungen eingeschränkt. Die politische Opposition kann sich aber grundsätzlich frei betätigen; es gibt auch keine Erkenntnisse über die Verfolgung von Exilpolitikern durch die nigerianische Regierung. Gelegentlich gibt es aber, vor allem bei Gruppen mit sezessionistischen Zielen, Eingriffe seitens der Staatsgewalt. Dabei ist insbesondere die Bewegung im Süden und Südosten Nigerias zu nennen, die einen unabhängigen Staat Biafra fordert. Dafür treten sowohl das Movement for the Actualisation of the Sovereign State of Biafra (MASSOB) und die Indigenous People of Biafra (IPOB) ein. Seit der Verhaftung des Leiters des inzwischen verbotenen Radiosenders "Radio Biafra" im Oktober 2015 kommt es vermehrt zu Demonstrationen von Biafra-Anhänger, gegen die laut verschiedenen Berichten, unter anderem von Amnesty International, von den nigerianischen Sicherheitskräften mit Gewalt vorgegangen worden sein soll.

Im Vielvölkerstaat Nigeria ist Religionsfreiheit einer der Grundpfeiler des Staatswesens. Etwa 50% der Bevölkerung sind Muslime, 40 bis 45% Christen und der Rest Anhänger von Naturreligionen. Im Norden dominieren Muslime, im Süden Christen. Religiöse Diskriminierung ist verboten. In der Praxis bevorzugen die Bundesstaaten aber in der Regel die jeweils durch die lokale Mehrheitsbevölkerung ausgeübte Religion. Insbesondere in den Scharia-Staaten ist die Situation für Christen sehr schwierig. Die Toleranz zwischen den Glaubensgemeinschaften ist nur unzureichend ausgeprägt, mit Ausnahme der Yoruba im Südwesten Nigerias, unter denen auch Ehen zwischen Christen und Muslimen verbreitet sind. Speziell in Zentralnigeria kommt es zu lokalen religiösen Auseinandersetzungen, die auch zahlreiche Todesopfer gefordert haben. In Nigeria gibt es auch noch Anhänger von Naturreligionen ("Juju"); eine Verweigerung der Übernahme einer Rolle als Priester kann schwierig sein, doch wird dies nicht als Affront gegen den Schrein empfunden und sind auch keine Fälle bekannt, in denen dies zu einer Bedrohung geführt hätte. Im Süden Nigerias sind auch Kulte und Geheimgesellschaften vorhanden; insbesondere im Bundesstaat Rivers überschneiden sich Kulte häufig mit Straßenbanden, kriminellen Syndikaten etc. Mafiöse Kulte prägen trotz ihres Verbotes das Leben auf den Universitäten; es wird auch über Menschenopfer berichtet.

Insgesamt gibt es (je nach Zählweise) mehr als 250 oder 500 Ethnien in Nigeria. Die wichtigsten sind die Hausa/Fulani im Norden, die Yoruba im Südwesten und die Igbo im Südosten. Generell herrscht in Nigeria Bewegungsfreiheit und ist Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie verboten. Allerdings diskriminieren Gesetze jene ethnischen Gruppen, die am jeweiligen Wohnort nicht eigentlich indigen sind. So werden etwa Angehörige der Volksgruppe Hausa/Fulani im Bundesstaat Plateau diskriminiert.

Generell besteht aufgrund des fehlenden Meldewesens in vielen Fällen die Möglichkeit, Verfolgung durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen. Dies kann aber mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn man sich an einen Ort begibt, in dem keinerlei Verwandtschaft oder Bindung zur Dorfgemeinschaft besteht.

Nigeria verfügt über sehr große Öl- und Gasvorkommen, der Großteil der Bevölkerung ist aber in der Landwirtschaft beschäftigt. Abgesehen vom Norden gibt es keine Lebensmittelknappheit. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung leben in absoluter Armut. Offizielle Arbeitslosenstatistiken gibt es nicht, allerdings gehen verschiedene Studien von einer Arbeitslosigkeit von 80% aus. Die Großfamilie unterstützt beschäftigungslose Angehörige.

Die medizinische Versorgung ist mit jener in Europa nicht vergleichbar, sie ist vor allem im ländlichen Bereich problematisch. Leistungen der Krankenversicherung kommen nur etwa 10% der Bevölkerung zugute. In den Großstädten ist eine medizinische Grundversorgung zu finden, doch sind die Behandlungskosten selbst zu tragen. Medikamente sind verfügbar, können aber teuer sein.

Besondere Probleme für abgeschobene Asylwerber nach ihrer Rückkehr nach Nigeria sind nicht bekannt. Das "Decree 33", das eine Doppelbestrafung wegen im Ausland begangener Drogendelikte theoretisch ermöglichen würde, wird nach aktueller Berichtslage nicht angewandt.

Eine nach Nigeria zurückkehrende Person, bei welcher keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, wird durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der Beschwerdeführerin vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zu Nigeria sowie durch Einvernahme der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vom 08.08.2018. Zusätzlich wurden vom Bundesverwaltungsgericht aktuelle Auszüge aus dem Zentralen Melderegister (im Folgenden: ZMR), dem Strafregister, dem Grundversorgungssystem (im Folgenden: GVS) sowie aus dem Informationssystem Zentrales Fremdenregister (im Folgenden: IZR) eingeholt.

2.2. Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Feststellungen zu ihren Lebensumständen bzw. ihrem Familienleben, ihren Kindern, ihrem Gesundheitszustand, ihrer Arbeitsfähigkeit, ihrer Herkunft, ihrer Glaubenszugehörigkeit sowie ihrer Staatsangehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesverwaltungsgericht. Dass die Beschwerdeführerin in Österreich, abgesehen von ihren Kindern, über keine maßgeblichen persönlichen und familiären Beziehungen verfügt, ergibt sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin anlässlich ihrer Einvernahme vor dem Bundesverwaltungsgericht am 08.08.2018.

Da die Beschwerdeführerin über einen gültigen nigerianischen Reisepass verfügt, steht ihre Identität fest.

Dass die Beschwerdeführerin zu keinem Zeitpunkt in Österreich über einen Aufenthaltstitel oder eine Karte für Geduldete verfügte, ergibt sich aus dem vorgelegten fremdenpolizeilichen und aufenthaltsrechtlichen Akt der belangten Behörde.

Die Feststellung über die strafgerichtliche Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.

Die Feststellung zu ihrem gegenwärtigen Wohnsitz ergibt sich aus dem, dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden, am 26.01.2018 abgefragten Speicherauszug aus dem Zentralen Melderegister. Aus diesem ergibt sich darüber hinaus, dass die Beschwerdeführerin im Zeitraum 27.05.2011 bis 09.07.2014 über keinen aufrechten Wohnsitz im Bundesgebiet verfügte. Dass sie sich dennoch im Bundesgebiet aufhielt und untergetaucht ist, um eine Abschiebung zu verhindern, ergibt sich aus der diesbezüglich glaubhaften Aussage der Beschwerdeführerin vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Ebenfalls ergibt aus der Aussage der Beschwerdeführerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung, dass sie sich ihren Lebensunterhalt grundsätzlich mit Babysitting und Hairstyling verdient, zurzeit aber, aufgrund ihrer Schwangerschaft, Wochengeld von der Sozialversicherung bezieht. Aus ihrer Aussage ergibt sich ebenfalls die Feststellung, dass sie für ca. eineinhalb Jahre in Österreich der Prostitution nachgegangen ist.

Dass die Beschwerdeführerin trotz ihres beinahe zehnjährigen Aufenthaltes in Österreich Deutsch lediglich auf Niveau A1 spricht ergibt sich aus dem vorgelegten ÖSD Zertifikat vom 18.09.2018, mit welchem bescheinigt wird, dass sie die Prüfung A2 am 14.09.2018 nicht bestanden hat. Auch in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht war die Beschwerdeführerin durgängig auf die Dolmetscherin angewiesen. Dass die Beschwerdeführerin zu Mitgliedern der christlichen Gemeinde soziale bzw. freundschaftliche Kontakte pflegt, ergibt sich aus ihrer ebenfalls glaubhaften Aussage sowie den in Vorlage gebrachten Unterstützungserklärungen.

2.4. Zum Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Nigeria vom 07.08.2017 samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von Nichtregierungsorganisationen, wie bspw. Open Doors, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat in Nigeria ergeben sich insbesondere aus den folgenden Meldungen und Berichten:

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AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria

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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): Nigeria - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Innenpolitik_node.html, Zugriff 6.7.2017

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AA - Auswärtiges Amt (4.2017c): Nigeria - Wirtschaft, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Wirtschaft_node.html, Zugriff 26.7.2017

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AA - Auswärtiges Amt (24.7.2017): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/NigeriaSicherheit.html, Zugriff 24.7.2017

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AI - Amnesty International (6.2017): Submission To The United Nations Committee On The Elimination Of Discrimination Against Women,

https://www.ecoi.net/file_upload/1930_1500389874_int-cedaw-ngo-nga-27623-e.pdf, Zugriff 28.7.2017

-

AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Nigeria, http://www.ecoi.net/local_link/319680/458848_de.html, Zugriff 28.7.2017

-

AI - Amnesty International (24.11.2016): Sicherheitskräfte töten mindestens 150 friedliche Demonstrierende, https://www.amnesty.de/2016/11/22/nigeria-sicherheitskraefte-toeten-mindestens-150-friedliche-demonstrierende, Zugriff 13.6.2017

-

BMEIA - Außenministerium (24.7.2017): Reiseinformationen - Nigeria,

http://www.bmeia.gv.at/aussenministerium/buergerservice/reiseinformation/a-z-laender/nigeria-de.html, Zugriff 24.7.2017

-

BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Nigeria Country Report,

https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Nigeria.pdf, Zugriff 6.7.2017

-

EASO - European Asylum Support Office (6.2017): EASO Country of Origin Information Report Nigeria Country Focus, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1496729214_easo-country-focus-nigeria-june2017.pdf, Zugriff 21.6.2017

-

FFP - Fund for Peace (10.12.2012): Beyond Terror and Militants:

Assessing Conflict in Nigeria,

http://www.fundforpeace.org/global/library/cungr1215-unlocknigeria-12e.pdf, Zugriff 21.6.2017

-

FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Nigeria, https://www.ecoi.net/local_link/341818/485138_de.html, Zugriff 26.7.2017

-

FH - Freedom House (2.6.2017): Freedom in the World 2017 - Nigeria, http://www.refworld.org/docid/5936a4663.html, Zugriff 12.6.2017

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (7.2017a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html, Zugriff 2.8.2017

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (4.2017b): Nigeria - Ge-sellschaft, http://liportal.giz.de/nigeria/gesellschaft.html, Zugriff 13.6.2017

-

IOM - International Organization for Migration (8.2014): Nigeria - Country Fact Sheet,

https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698704/8628861/17247436/17297905/Nigeria_-_Country_Fact_Sheet_2014%2C_deutsch.pdf?nodeid=17298000&vernum=-2, Zugriff 21.6.2017

-

ÖBA - Österreichische Botschaft Abuja (9.2016): Asylländerbericht Nigeria

-

OD - Open Doors (2017): Nigeria, https://www.opendoors.de/christenverfolgung/weltverfolgungsindex/laenderprofile/2017/nigeria, Zugriff 14.6.2017

-

SBM - SBM Intel (7.1.2017): A Look at Nigeria's Security Situation,

http://sbmintel.com/wp-content/uploads/2016/03/201701_Security-report.pdf, Zugriff 24.7.2017

-

UKHO - United Kingdom Home Office (8.2016b): Country Information and Guidance Ni-geria: Women fearing gender-based harm or violence, https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/595734/CIG_-_Nigeria_-_Women.pdf, Zugriff 12.6.2017

-

USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom (26.4.2017): Nigeria,

https://www.ecoi.net/file_upload/5250_1494486149_nigeria-2017.pdf, Zugriff 7.7.2017

-

USDOS - U.S. Department of State (19.7.2017): Country Report on Terrorism 2016 - Chapter 2 - Nigeria, https://www.ecoi.net/local_link/344128/487671_de.html, Zugriff 28.7.2017

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USDOS - U.S. Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Prac-tices 2016 - Nigeria, http://www.ecoi.net/local_link/337224/479988_de.html, Zugriff 8.6.2017

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde

3.1. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK

3.3.1. Rechtslage

Gemäß § 55 Abs 1 Z 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird. Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

§ 9 BFA-VG normiert, dass wenn durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig ist, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall

Die Beschwerdeführerin hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 aus Gründen des Art. 8 EMRK beantragt. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass sich der Aufenthalt der Beschwerdeführerin nach illegaler Einreise zunächst auf einen im Ergebnis unbegründeten Asylantrag stützte, und dass sich die Beschwerdeführerin seit dem rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens im Jahr 2009, und damit seit über neun Jahren, illegal im Bundesgebiet aufhält. Trotz aufrechter Rückkehrentscheidung (iSv § 75 Abs. 23 AsylG 2005) ist die Beschwerdeführerin ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen. Die Beschwerdeführerin hält sich somit seit 2009 in Österreich auf, wobei sie beinahe drei Jahre untertauchte und dadurch ihre rechtskräftig als zulässig festgestellte Abschiebung nach Nigeria verhinderte.

Die im Wesentlichen erst nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens begründeten Integrationsaspekte werden daher dadurch relativiert, dass diese überhaupt erst durch die Missachtung der gegen die Beschwerdeführerin ergangenen Ausweisung bzw. Rückkehrentscheidung erreicht werden konnte (vgl. auch VwGH 30.06.2016, Ra 2016/21/0165, Rn. 24).

Sie lebt mit ihren vier Kindern derzeit in Linz. Ihr Lebensgefährte und gleichzeitig Kindesvater verfügt über einen spanischen Aufenthaltstitel und besucht die Familie nur zeitweise für zwei bis drei Wochen.

Die Beschwerdeführerin verdient sich grundsätzlich ihren Lebensunterhalt mit Babysitting und Hairstyling und ist somit selbstständig tätig. Darüber hinaus ist sie Mitglied einer afrikanischen Kirche in Linz und pflegt freundschaftlichen Kontakt zu ein paar Österreichern, insbesondere ebenfalls Mitgliedern der christlichen Gemeinde. Die Beschwerdeführerin zeigt dadurch und durch die vorgelegten Unterstützungserklärungen durchaus Integrationsbemühungen auf.

Darüber hinaus beschränkt sich aber ihre Integration in Österreich auf den Umstand, dass sie Deutsch, trotz ihres beinahe 10-jährigen Aufenthaltes in Österreich, lediglich auf Niveau A1 spricht.

Ihre integrativen Bemühungen sind auch in Anbetracht der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu relativieren. Selbst die Umstände, dass ein Fremder perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, stellen keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale dar (Hinweis E 26.1.2009, 2008/18/0720).

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin hat im Rahmen der Interessenabwägung weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung des die aufenthaltsbeendende Maßnahme gebietenden öffentlichen Interesses zur Folge (VwGH 14.03.2000, 98/18/0412).

Dementgegen kann auch nach wie vor vom Bestehen einer Bindung der Beschwerdeführerin an ihren Heimatstaat Nigeria ausgegangen werden. Die Beschwerdeführerin lebte dort bis zu ihrer Ausreise und erfuhrt dort ihre Hauptsozialisierung. Sie spricht auch noch ihre Muttersprache und kann davon ausgegangen werden, dass sie nach wie vor die lokale Eigenheit und Gebräuche ihres Herkunftsstaates kennt. Von einer vollkommenen Entwurzelung der Beschwerdeführerin kann somit nicht ausgegangen werden.

Zudem kann das Familienleben in Nigeria weitergeführt werden. Alle Familienangehörige sind nigerianische Staatsbürger und befinden sich alle Kinder der Beschwerdeführerin im anpassungsfähigen Alter, sodass auch ihnen eine gemeinsame Rückkehr mit ihrer Mutter nach Nigeria zugemutet werden kann. Des Weiteren ist die Beschwerdeführerin in Österreich als Hairstylistin bzw. Babysitterin selbstständig erwerbstätig und war sie auch vor ihrer Ausreise aus Nigeria bereits als Friseurin tätig. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass es ihr auch bei ihrer Rückkehr nach Nigeria möglich sein wird, ihren Lebensunterhalt und den ihrer Kinder zu bestreiten.

Darüber hinaus wird auch das Gewicht der privaten Interessen der Beschwerdeführerin dadurch gemindert, dass sie in einem Zeitpunkt entstanden, als sie sich ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war (vgl VwGH 19.02.2009, 2008/18/0721; 30.04.2009, 2009/21/0086; VfSlg. 18.382/2008 mHa EGMR 24.11.1998, 40.447/98, Mitchell; EGMR 11.04.2006, 61.292/00, Useinov)

Die Beschwerdeführerin musste sich seit der negativen Entscheidung ihres Antrages auf internationalen Schutz vom 10.06.2009 bewusst sein, dass ihr Verbleib in Österreich nicht gesichert ist. Auch musste sie sich bewusst sein, dass ihre berufliche und soziale Verfestigung auf einem unsicheren Aufenthaltsstatus beruht.

Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie die Beschwerdeführerin erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen. Überdies würde dies dazu führen, dass Fremde, die die fremdenrechtlichen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen beachten, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, die ihren Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich durch ihre illegale Einreise und durch die Stellung eines unbegründeten oder sogar rechtsmissbräuchlichen Asylantrages erzwingen, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (zum allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen, vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11.12.2003, Zl. 2003/07/0007; vgl. dazu auch das Erkenntnis VfSlg. 19.086/2010, in dem der Verfassungsgerichtshof auf dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Bezug nimmt und in diesem Zusammenhang explizit erklärt, dass "eine andere Auffassung sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu Verhaltenden führen würde.")

Darüber hinaus stehen dem bestehenden Interesse der Beschwerdeführerin an einem Verbleib in Österreich auch öffentliche Interessen gegenüber.

Ihm steht das öffentliche Interesse daran gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel aufhältig sind - gegebenenfalls nach Abschluss eines allfälligen Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz - auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden. Bei einer Gesamtbetrachtung wiegt unter diesen Umständen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Durchsetzung der geltenden Bedingungen des Einwanderungsrechts und an der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art 8 Abs 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt (vgl zB VwGH 30.04.2009, 2009/21/0086), schwerer als die schwach ausgebildeten privaten Interessen der Beschwerdeführerin am Verbleib in Österreich.

Vor diesem Hintergrund und nach einer individuellen Abwägung der berührten Interessen ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs 1 AsylG 2005 jedenfalls nicht geboten und kann ein Eingriff in das Privatleben der Beschwerdeführerin jedenfalls als im Sinne des Art. 8 EMRK verhältnismäßig angesehen werden.

Da somit die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 nicht gegeben sind, war die Beschwerde im Umfang des ersten Spruchteils - gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung und zur Zulässigkeit der Abschiebung

3.2.1. Rechtslage

Gemäß § 10 Abs 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz (dem AsylG) mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen wird.

Gemäß § 52 Abs 1 Z 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Gemäß § 52 Abs 3 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG zurück- oder abgewiesen wird.

Gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

Gemäß § 52 Abs 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder 3 EMRK oder deren 6. bzw 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Gemäß § 50 Abs 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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