TE Bvwg Beschluss 2018/10/22 W228 2207489-1

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Veröffentlicht am 22.10.2018
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Entscheidungsdatum

22.10.2018

Norm

AlVG §10
AlVG §38
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §8a

Spruch

W228 2207489-1/3Z

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER als Einzelrichter über den Antrag von XXXX, SVNR XXXX, vom 06.02.2018 auf Bewilligung der Verfahrenshilfe beschlossen:

A)

Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Mit Beschwerdevorentscheidung des Arbeitsmarktservice St. Pölten (im Folgenden: AMS) vom 16.08.2018 wurde festgestellt, dass XXXX, SVNR XXXX, den Tatbestand des § 10 iVm § 38 AlVG erfüllt habe und für den Zeitraum vom 18.05.2018 bis 12.07.2018 verloren habe. Nachsicht wurde nicht erteilt. Begründend wurde ausgeführt, dass die Antragstellerin die Beschäftigung bei der Firma XXXX als Reinigungskraft vereitelt habe. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin der versehentlich doppelten Versendung einer E-Mail an eine andre Firma wurde vom AMS wurde als Schutzbehauptung qualifiziert, da die doppelte Mailversendung seitens der Beschwerdeführerin beim AMS trotz Einräumung der Nachweismöglichkeit vor Ort nicht nachgewiesen wurde. Außerdem brachte die Beschwerdeführerin vor, sie wäre derzeit nicht in der Lage, ohne vorherige Therapie, einer Berufstätigkeit nachzugehen, obwohl laut Auskunft der Psychotherapeutin Mag. XXXX eine allgemeine Arbeitsunfähigkeit nicht abgeleitet werden kann,

Gegen den Bescheid brachte die Antragstellerin mit Schreiben vom 25.08.2018 fristgerecht einen Vorlageantrag ein, welcher unter Zuhilfenahme von externer Unterstützung erstellt wurde, und ersuchte um Gewährung von Verfahrenshilfe wegen mangelnder Rechtschreibkenntnisse und Ausdrucksweisen.

Der Verfahrenshilfeantrag und der Vorlageantrag wurden gemäß § 15 Abs. 2 letzter Satz VwGVG unter Anschluss der Akten des Verfahrens am 11.10.2018 dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Antragstellerin hat am 25.08.2018 einen Antrag auf Verfahrenshilfe gestellt. Das Verfahrenshilfeformular, mit dem Angaben zu Ihren Vermögensverhältnissen zu machen sind, wurde nicht ausgefüllt und beigebracht.

Der Bescheid wurde aufgrund einer für den Antragsteller negativen Rückmeldung erlassen.

Die Antragstellerin hat sich um die verfahrensgegenständliche Stelle nicht beworben.

Ein doppelter Mailversand an eine andere Firma fand nicht statt.

Die Antragstellerin ist arbeitsfähig.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum fehlenden Vermögensbekenntnis ergeben sich aus der mangelnden Befüllung des entsprechenden Formulars.

Die Feststellung zur negativen Rückmeldung ergibt sich aus einem Aktenvermerk des AMS.

Die Nichtbewerbung um die Stelle ergibt sich aus dem Vorbringen der Antragstellerin.

Die Feststellung zur Doppelversendung ergibt sich aus dem mangelnden Nachweis durch die Antragstellerin.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts:

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 9 Abs. 2 Z 1 VwGVG ist belangte Behörde in den Fällen des Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG jene Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat - vorliegend sohin das AMS St. Pölten.

§ 56 Abs. 2 AlVG normiert die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Entscheidung über Beschwerden gegen Bescheide einer Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine Anordnung einer Senatszuständigkeit enthält § 56 Abs. 2 AlVG, wonach das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide einer Geschäftsstelle durch einen Senat entscheidet, dem zwei fachkundige Laienrichter angehören, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und aus dem Kreis der Arbeitnehmer. Da es sich jedoch um keine Beschwerde gegen den Bescheid einer Geschäftsstelle handelt, sondern um einen Verfahrenshilfeantrag, unterliegt die Entscheidung über die Gewährung der Verfahrenshilfe somit der Einzelrichterzuständigkeit.

Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht:

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A) Zurückweisung des Antrags auf Verfahrenshilfe:

Verfahrenshilfe

§ 8a. (1) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ist einer Partei Verfahrenshilfe zu bewilligen, soweit dies auf Grund des Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, oder des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389, geboten ist, die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Juristischen Personen ist Verfahrenshilfe sinngemäß mit der Maßgabe zu bewilligen, dass an die Stelle des Bestreitens der Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts das Aufbringen der zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel durch die Partei oder die an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten tritt.

(2) Soweit in diesem Paragraphen nicht anderes bestimmt ist, sind die Voraussetzungen und die Wirkungen der Bewilligung der Verfahrenshilfe nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung - ZPO, RGBl. Nr. 113/1895, zu beurteilen. Die Bewilligung der Verfahrenshilfe schließt das Recht ein, dass der Partei ohne weiteres Begehren zur Abfassung und Einbringung der Beschwerde, des Vorlageantrags, des Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder zur Vertretung bei der Verhandlung ein Rechtsanwalt beigegeben wird.

(3) - (10)...

Gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG ist Verfahrenshilfe einer Partei zu gewähren, soweit dies auf Grund des Art. 6 Abs. 1 EMRK oder des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389, geboten ist. Durch den Verweis auf Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 GRC ist sichergestellt, dass die Verfahrenshilfe im verwaltungsgerichtlichen Verfahren den Anforderungen des Europäischen Menschenrechtsschutzes entspricht (siehe auch VwGH v. 03.09.2015, Zl. Ro 2015/21/0032).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist es nicht erforderlich, dass Verfahrenshilfe in allen erdenklichen Verfahren zu gewähren ist. Vielmehr bedarf es einer Prüfung im Einzelfall. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Prüfungsbeschluss, der zur Aufhebung des § 40 VwGVG führte, die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte dahingehend zusammengefasst, dass der "Zugang zu einem Gericht nicht bloß theoretisch und illusorisch, sondern effektiv gewährleistet sein müsse"; in jenen Fällen, in denen es "unentbehrlich sei, dass der Partei eines Verfahrens ein unentgeltlicher Verfahrenshelfer beigestellt werde," müsse ein solcher beigestellt werden. Für diese Beurteilung sind verschiedene Kriterien maßgeblich. Das sind zum einen Kriterien, die sich auf die Person der Parteien beziehen, nämlich ihre Vermögensverhältnisse oder ihre Fähigkeiten im Verkehr mit Behörden; zum anderen auch Kriterien, die in Zusammenhang mit der Rechtssache stehen, nämlich die Erfolgsaussichten, die Komplexität des Falles oder die Bedeutung der Angelegenheit für die Parteien (siehe 1255 der Beilagen XXV. GP - Regierungsvorlage - Erläuterungen zu § 8a VwGVG).

Im gegenständlichen Fall kann dahingestellt bleiben, ob die wirtschaftlichen Gegebenheiten der Antragstellerin die Bewilligung der Verfahrenshilfe rechtfertigen würden, weshalb auch kein Verbesserungsauftrag zur Vervollständigung des Vermögensbekenntnisses erteilt wurde, da andere Voraussetzungen für die Verfahrenshilfe nicht gegeben sind, die nunmehr zu erörtern sind.

Entsprechend der Rechtsprechung des EGMR im Fall Laskowska gegen Polen, Nr. 77765/01, und Airey gegen Irland, Nr. 6289/73, ist zu klären, ob es sich um einen komplexen Fall handelt. In der Zeugeneinvernahme sieht der EGMR grundsätzlich eine Komplexität gelegen ("[...] the necessity [...] to establish facts, involving [...] the examination of witnesses, [...]"). Dabei ist laut diesen Judikaten auch auf die Stellung des erkennenden Gerichts abzustellen. Das Bundesverwaltungsgericht, und das AMS im Vorverfahren, als Beschwerdeinstanz entscheiden aufgrund einer bescheidmäßigen Erstentscheidung. Das Bundesverwaltungsgericht ist letzte Tatsacheninstanz und für die Findung der Einzelfallgerechtigkeit zuständig. Dies wäre in den Entscheidungen des EGMR mit einem "Court of Appeal" gleichzusetzen. Nun sind die Hürden zur Einlassung in ein Verfahren für den Antragsteller beim Bundesverwaltungsgericht, samt Vorverfahren beim AMS, nicht durch die Vorschrift einer Anwaltspflicht gekennzeichnet, wie in den genannten Fällen des EGMR. Auch sonst handelt es sich in Verfahren nach dem AlVG um gebührenbefreite Verfahren. Somit wird nicht in jedem Verfahren Verfahrenshilfe notwendig sein, wenn absehbar ist, dass der Sachverhalt oder die Rechtsfrage so einfach ist, dass es zur Klärung nur der Einvernahme des Antragstellers bedarf und die gegnerische Partei die belangte Behörde ist. Da fallgegenständlich die Antragstellerin vorbringt, nicht arbeitsfähig zu sein, obwohl es keine objektivierbaren Umstände dazu gibt, handelt es sich um keinen komplexen Fall im Sinne der EGMR Judikatur, da aufgrund der im Akt befindlichen Unterlagen keine Einvernahme notwendig ist.

Weiters ist die Verfahrenshilfe gem. § 8a VwGVG erster Halbsatz zu bewilligen, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist. Zur damit zum Ausdruck gebrachten Subsidiarität der Verfahrenshilfe gem. § 8a VwGVG (vgl. 1255 BlgNR 25. GP, 2 ff.) ist im vorliegenden Fall darauf hinzuweisen, dass die Antragstellerin gem. § 14 iVm. § 10 Abs. 1 Z. 1 Arbeiterkammergesetz 1992 - AKG, nach Maßgabe des § 7 AKG und der auf Grund des § 7 AKG ergangenen Regelungen Anspruch auf Rechtsberatung und Rechtsschutz durch die Arbeiterkammer hat. Dieser im Rahmen-Regulativ betreffend Rechtsschutz gemäß § 7 Abs. 1 AKG 1992 konkretisierte Rechtsschutz enthält der Verfahrenshilfe entsprechende Regelungen, welche ebenfalls eine unentgeltliche Unterstützung der Partei im Verfahren ermöglichen (vgl. Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, § 8a, K2). Die Antragstellerin hat nicht nachgewiesen, dass die Arbeiterkammer ein Rechtsschutzansuchen von ihr bescheidmäßig abgelehnt hat.

Abschließend ist im Rahmen einer Gesamtabwägung im konkreten Fall folglich davon auszugehen, dass die Gewährung der Verfahrenshilfe nicht geboten erscheint, da aufgrund des Vorbringens, dass die Antragstellerin nicht arbeitsfähig sei, obwohl dafür auch auf Nachfrage des AMS bei der Psychotherapeutin keine konkreten ärztlichen Hinweise vorliegen, die Rechtsverfolgung aussichtslos ist, da sie durch dieses Vorbringen sowohl den Tatbestand der Vereitelung auf objektiver und subjektiver Ebene erfüllt. Selbst wenn das Bundesverwaltungsgericht - entgegen der Annahmen in dieser Entscheidung - die Arbeitsunfähigkeit der Antragstellerin seinen Feststellungen zugrunde legen würde, wäre für die Antragstellerin nichts gewonnen, da dann nicht nur ein zeitlich eingeschränkter Anspruchsverlust einhergehen würde, sondern der Bezug der Leistungen nach dem AlVG dann wegen Verlust der Arbeitsfähigkeit bis zu deren Wiederherstellung dauerhaft eingestellt würde.

Folglich ist der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe spruchgemäß gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG zurückzuweisen, da die Voraussetzung der Ablehnung des Rechtsschutzersuchens durch die Arbeiterkammer nicht erfüllt ist. Obiter wird angemerkt, dass er auch aufgrund von Aussichtlosigkeit und mangelnder Komplexität abzuweisen wäre.

Angemerkt wird, dass mit der gegenständlichen Entscheidung eine Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweggenommen wird und der dort erkennende Senat durch die gegenständliche Entscheidung und die vorgenommene Grobprüfung des Einzelrichters im Hauptverfahren in keine Richtung gebunden wird.

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, es an einer Rechtsprechung fehlt oder die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als uneinheitlich zu beurteilen ist.

Im vorliegenden Fall ist die Revision zulässig, weil es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 8a VwGVG fehlt und da sich die Entscheidung auf Bestimmungsteile des § 8a VwGVG bezieht, die einen Rückgriff auf die bisherige Judikatur zu § 40 VwGVG, die vor dem 01.01.2017 ergangen ist, nicht erlaubt.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Revision zulässig, Verfahrenshilfe, Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W228.2207489.1.01

Zuletzt aktualisiert am

22.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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