TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/25 W176 2153832-1

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Veröffentlicht am 25.10.2018
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Entscheidungsdatum

25.10.2018

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs3
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W176 2153832-1/8E

W176 2153825-1/6E

W176 2153831-1/6E

W176 2153829-1/6E

W176 2153828-1/6E

W176 2199424-1/7E

W176 2199421-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. NEWALD als Einzelrichter über die Beschwerde von (1.) XXXX , geb. XXXX , (2.) XXXX , geb. XXXX , (3.) XXXX , geb. XXXX , (4.) XXXX , geb. XXXX ,

(5.) XXXX , geb. XXXX , (6.) XXXX , geb. XXXX , sowie (7.) XXXX , geb. XXXX , alle syrische Staatsangehörige, alle vertreten durch RA Dr. Benno WAGENEDER, gegen die Spruchpunkte I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom (1.-5.) 17.03.2017 bzw. (6.-7.) 04.05.2018, Zlen. (1.) 1091151707-151553523, (2.) 1091152704-151553540, (3.) 1091050301-151553574, (4.) 1091050105-151553582, (5.) 1091050007-151553595, (6.) 1184097703-180247345 bzw. (7.) 1184096510-180247183, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A) Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1

Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005), und XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX sowie XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 AsylG 2005 jeweils der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX sowie XXXX damit kraft Gesetzes jeweils die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundesverfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) brachten am XXXX .2015 für sich sowie ihre minderjährigen Kinder, die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer (BF3 bis BF5), Anträge auf internationalen Schutz ein.

Bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 15.10.2015 brachte der BF1 im Wesentlichen Folgendes vor: Er sei Kurde, in XXXX geboren, bekenne sich zum Islam sunnitischer Ausrichtung und habe Syrien XXXX 2015 illegal verlassen. Als Fluchtgrund gab er an, dass durch den Krieg sein Haus zerstört worden sei. Da er Reservist sei, sei er wieder zum Heer einberufen worden; er habe sich jedoch für die Flucht entschieden, da er keine Menschen töten wolle.

Die BF2 gab in der Erstbefragung an, sie sei Kurdin, ebenfalls in XXXX geboren, bekenne sich zum Islam und habe gemeinsam mit dem BF1 und den BF3, BF4 und BF5 Syrien XXXX 2015 illegal verlassen. Als Fluchtgrund gab sie an, dass durch den Krieg ihr Haus zerstört worden sei und es in Syrien keine Zukunft für ihre Kinder gebe. Die BF 3, BF 4 und BF 5 hätten dieselben Fluchtgründe.

2. Am 02.02.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) erstmalig niederschriftlich einvernommen, führte der BF1 - zusammengefasst - Folgendes an: Er sei syrischer Staatsbürger und gehöre der Volksgruppe der Kurden an. Er habe von 1995 bis 1998 den Militärdienst geleistet. Während des Wehrdienstes habe er als Kraftfahrer und Chauffeur für die Offiziere gearbeitet. Danach habe er ebenfalls als Kraftfahrer und Minibusfahrer gearbeitet. Er sei wegen dem Krieg geflüchtet und habe Angst um das Leben seiner Kinder gehabt. Weiters hätten ihn das Regime, die Freie Syrische Armee (FAS) oder die Kurden ihn zum Militär eingezogen, wenn sie ihn erwischt hätten. Er habe noch keinen Einberufungsbefehl erhalten, aber sein Wohngebiet sei das Kampfgebiet sämtlicher Gruppierungen und es könne sein, dass ihm etwas geschickt worden sei, er es jedoch nicht erhalten habe. Der BF1 legte sein Familienbuch, seinen syrischen Führerschein, sein Militärbuch, seinen syrischen Personalausweis und ein Militärzeugnis vor.

Die BF2 gab bei ihrer Befragung durch die belangte Behörde im Wesentlichen Folgendes an: Durch eine Bombe sei der Bus des BF1 zerstört und sein Bruder am selben Tag umgebracht worden. Auch habe der BF1 Angst vor dem Militärdienst gehabt. Die BF2 habe wegen des Krieges Angst um das Leben ihrer Familie. Die BF2 legte ihren syrischen Personalausweis vor.

3. Mit Bescheiden vom 17.03.2017 wies die belangte Behörde die Anträge der BF1 bis BF5 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (jeweils Spruchpunkt I.), erkannte ihnen gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status von subsidiär Schutzberechtigten zu (jeweils Spruchpunkt II.) und erteilte ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung (jeweils Spruchpunkt III.).

Zur Abweisung der Anträge im Asylpunkt wurde ausgeführt, es habe nicht festgestellt werden können, dass den BF1 bis BF5 in Syrien eine Verfolgung drohe. Das Fluchtvorbringen des BF1 habe sich als nicht asylrelevant erwiesen. Die BF2 bis BF5 hätten keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht. Die Beschwerdeführer hätten Syrien aufgrund des Krieges verlassen.

4. Jeweils gegen Spruchpunkt I. dieser Bescheide erhoben die BF1 bis BF5 fristgerecht Beschwerde und brachten im Wesentlichen vor, dass der BF1 die Zwangsrekrutierung durch eine der Konfliktparteien befürchte und XXXX im wehrfähigen Alter sei. Insofern gehöre der BF1 zu einer sozialen Gruppe, die im jeweiligen Herrschaftsgebiet mit Repressionen bedroht werde. Es gebe kein Recht darauf, den Kriegseinsatz verweigern zu können. Der BF1 werde als ausgebildeter Reservist wegen seiner Feldverwendbarkeit im Bürgerkrieg gesucht und sogar verfolgt.

5. Mit Schreiben vom 21.04.2017, eingelangt am 24.04.2017, legte die belangte Behörde die Beschwerde samt den Bezug habenden Verfahrensunterlagen - ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen - dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

6. Am XXXX 2018 wurden die Sechst- und Siebtbeschwerdeführerinnen (BF6 und BF7) in Österreich geboren. Am 09.03.2018 stellten sie, vertreten durch den BF1, jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheiden vom 04.05.2018 wies die belangte Behörde die Anträge der BF6 und BF7 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (jeweils Spruchpunkt I.), erkannte ihnen gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status von subsidiär Schutzberechtigten zu (jeweils Spruchpunkt II.) und erteilte ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung (jeweils Spruchpunkt III.).

7. Am 05.10.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche Beschwerdeverhandlung statt, an der die belangte Behörde entschuldigt nicht teilnahm.

Bei seiner Vernehmung gab der BF1 u.a. Folgendes an: Die Familie der BF2 sei sehr religiös und habe verlangt, dass die BF3 nach Syrien zurückkehre, um dort zwangsweise verheiratet zu werden. Die Familie der BF2 habe dies vor ca. einem Jahr telefonisch der BF2 mitgeteilt. Der BF1 und die BF2 lehnten eine Rückkehr und Verheiratung der BF3 ab. Der Vater und ein Bruder des BF1 seien verstorben, er wisse nicht, wo sich seine Mutter und anderen Geschwister aufhielten.

Die BF2 gab bei ihrer Vernehmung an, dass ihre Familie die BF3 im Falle einer Rückkehr verheiraten würde. Ihre Familie würde sie töten, wenn sie der Eheschließung nicht zustimme. Ein Bruder der BF2 sei wegen der Gefahr der Zwangsverheiratung seiner Tochter nach Deutschland geflohen.

Auf Nachfrage gab der BF1 an, die Familie der BF2 würde sie töten, wenn sie sich einer Zwangsverheiratung der BF3 widersetzen würden. Auf Vorhalt, dass das Gebiet unter der Kontrolle der PYD steht, gab der BF1 an, dass dort die Stammesregeln herrschten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der BF und den Fluchtgründen der BF3:

Die BF sind syrische Staatsangehörige kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit und muslimischen Glaubens und stammen aus XXXX , wobei die BF6 und BF7 in Österreich geboren wurden.

Der BF1 und die BF2 sind sowohl traditionell als auch standesamtlich verheiratet. Die BF3 bis BF7 sind die minderjährigen, ledigen Kinder des BF1 und der BF2.

BF1 bis BF5 stellten am 14.10.2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz, die BF6 und BF7 am 09.03.2018.

Es kann nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass die BF3 bei einer Rückkehr nach Syrien Verfolgungshandlungen (insbesondere Zwangsverheiratung und anderer geschlechtsspezifischer Gewalt) durch Verwandte der BF2 von im gegebenen Zusammenhang ausreichender Intensität ausgesetzt wäre, wobei die Machthaber in XXXX nicht in der Lage wären, diese zu verhindern.

Die BF sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:

Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Stand 25.01.2018 (letzte Kurzinformation eingefügt am 24.08.2018):

Politische Lage

Im Norden Syriens gibt es Gebiete, welche unter kurdischer Kontrolle stehen und von den Kurden Rojava genannt werden (Spiegel 16.8.2017). 2011 soll der damalige irakische Präsident Jalal Talabani ein Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), deren Mitglieder die PYD gründeten, vermittelt haben: Im September 2011 stellte der iranische Arm der PKK, die Partei für ein Freies Leben in Kurdistan (Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê - PJAK), ihren bewaffneten Kampf gegen den Iran ein. Etwa zur selben Zeit wurde die PYD in Syrien neu belebt. Informationen zahlreicher Aktivisten zufolge wurden bis zu zweihundert PKK-Kämpfer aus der Türkei und dem Irak sowie Waffen iranischer Provenienz nach Syrien geschmuggelt. Aus diesem Grundstock entwickelten sich die Volksverteidigungseinheiten (YPG). Ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel begann die PYD, die kurdische Bevölkerung davon abzuhalten, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine "zweite Front" in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Baath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden ?Afrin, ?Ain al-?Arab (Kobanî) und die Dschazira von PYD und YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (ES BFA 8.2017). Im März 2016 wurde die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte. Afrin steht zwar unter kurdischer Kontrolle, ist jedoch nicht mit dem Rest des kurdischen Gebietes verbunden (ICC 4.5.2017; vgl. IRIN 15.9.2017). Das von der PYD in den kurdischen Gebieten etablierte System wird von der PYD als "demokratische Autonomie" bzw. "demokratischer Konföderalismus" bezeichnet. "Demokratischer Konföderalismus" strebt danach, die lokale Verwaltung durch Räte zu stärken, von Straßen- und Nachbarschaftsräten über Bezirks- und Dorfräte bis hin zu Stadt- und Regionalräten. "Demokratischer Konföderalismus" muss somit als Form der Selbstverwaltung verstanden werden, in der Autonomie organisiert wird. Die Realität sieht allerdings anders aus. Tatsächlich werden in "Rojava" Entscheidungen weder von den zahlreichen (lokalen) Räten getroffen, noch von Salih Muslim und Asya Abdullah in ihrer Funktion als Co-Vorsitzende der PYD, stattdessen liegt die Macht bei der militärischen Führung im Kandilgebirge, die regelmäßig hochrangige Parteikader nach Syrien entsendet (ES BFA 8.2017 und ICC 4.5.2017). In den kurdischen Gebieten haben die Bürger durch die PYD auch Zugang zu Leistungen, wobei die Partei unter anderem die Bereitstellung von Leistungen nutzt, um ihre Macht zu legitimieren. Die Erbringung öffentlicher Leistungen variiert jedoch. In Gebieten, in denen die PYD neben Behörden der Regierung existiert, haben sich zahlreiche Institutionen entwickelt und dadurch wurden Parallelstrukturen geschaffen. In Gebieten in denen die PYD mehr Kontrolle besitzt, bleibt die Macht in der Hand der PYD zentralisiert, trotz den Behauptungen der PYD die Macht auf die lokale Ebene zu dezentralisieren (CHH 8.12.2016).

Aus https://syria.liveuamap.com/ (Stand 23.10.2018) ergibt sich, dass Al-Hasaka derzeit unter der Kontrolle von kurdischen Machthabern (anstelle des syrischen Regimes) steht.

Rechtsschutz in Gebieten unter kurdischer Kontrolle

Im von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) kontrollierten Gebiet wurde die "Verfassung von Rojava" erstellt, welche als "sozialer Vertrag" zwischen den Bürgern der kurdischen Gebiete beschrieben wird und eine parlamentarische Demokratie mit Pluralismus und gleichen Rechten für Männer und Frauen vorsieht (BTI 2016). Es wurden Komitees gegründet, die die Erhaltung des "sozialen Friedens" zum Ziel haben und Straftaten unter diesem Gesichtspunkt regeln (FT 23.12.2015). Die von der PYD geführte Verwaltung umfasst neben einer eigenen Polizei auch Gerichte, Gefängnisse, Ministerien und Gesetze. Für die Militärgerichtsbarkeit sind die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) verantwortlich (AI 12.7.2017). Die Erbringung öffentlicher Dienste variiert in den kurdisch kontrollierten Gebieten. In Gebieten, in denen die PYD neben Behörden der Regierung existiert, haben sich zahlreiche Institutionen entwickelt und dadurch Parallelstrukturen geschaffen. Zum Beispiel fordert die PYD die Bevölkerung dazu auf sich bei den Institutionen der PYD zu registrieren, gleichzeitig müssen sich Bürger jedoch auch bei den örtlichen staatlichen Gerichten um offizielle Dokumente bemühen, da Dokumente der PYD vom syrischen Staat nicht anerkannt werden (CHH 8.12.2017).

Allgemeine Menschenrechtslage

Syrische Kinder sind auch hinsichtlich Kinderehen gefährdet (USDOS 27.6.2017; vgl. UNOCHA 31.7.2017).

Zur Situation von Frauen in Syrien allgemein

Die Situation von Frauen verschlechtert sich durch den andauernden Konflikt dramatisch, weil Frauen Opfer unterschiedlicher Gewalthandlungen der verschiedenen Konfliktparteien werden. Aufgrund der Kampfhandlungen (orig. shelling) zögern Familien, Frauen und Mädchen das Verlassen des Hauses zu erlauben. Sie nehmen diese aus der Schule, was zur Minderung der Rolle von Frauen und zu ihrer Isolation in der Gesellschaft führt (BFA 8.2017).

Generell wird die Lage junger unverheirateter Frauen in Syrien allgemein (...) als prekär bezeichnet (BFA 8.2017).

Kinderehen gab es in Syrien bereits vor dem Konflikt. Im Zuge dessen steigt seither die Zahl an Früh- und Zwangsehen jedoch an, wobei sich die Dynamik und die Gründe für eine Ehe verändert haben (BFA 8.2017). Besonders bei vertriebenen und flüchtenden Familien ist die Anzahl der Kinderehen hoch (FH 1.2017), und junge Mädchen werden aus Gründen der Sicherheit verheiratet, oder um die Mädchen versorgt zu wissen. Dies kann jedoch zur Folge haben, dass manche dieser Ehen zu sexueller Ausbeutung führen. Auch aufeinanderfolgende Zeitehen werden immer häufiger und setzen besonders heranwachsende Mädchen dem Risiko von Vergewaltigung, frühen und ungewollten Schwangerschaften und Trauma aus (BFA 8.2017).

Vergewaltigungen sind weit verbreitet und die Regierung und deren Verbündete setzten Vergewaltigungen gegen Frauen, aber auch gegen Männer und Kinder ein, welche als der Opposition zugehörig wahrgenommen werden, um diese zu terrorisieren oder zu bestrafen. Das tatsächliche Ausmaß von sexueller Gewalt in Syrien lässt sich nur schwer einschätzen, weil viele Vergehen nicht angezeigt werden. Es passieren auch Vergewaltigungen durch Wächter und Sicherheitskräfte in Haftanstalten (USDOS 3.3.2017).

Frauen und Mädchen sind besonders im Kontext von Hausdurchsuchungen, an Checkpoints, in Haftanstalten, an Grenzübergängen und nach einer Entführung durch regierungstreue Einheiten von sexueller Gewalt betroffen, während Männer und Jungen vor allem während Verhören in Haftanstalten der Regierung von sexueller Gewalt betroffen sind (WILPF 11.2016 und BFA 8.2017).

Vergewaltigung außerhalb der Ehe ist zwar laut Gesetz strafbar, die Regierung vollstreckt dieses Gesetz jedoch nicht. Außerdem kann der Täter Straffreiheit erlangen, wenn er das Opfer heiratet, um so das soziale Stigma einer Vergewaltigung zu vermeiden (USDOS 3.3.2017). Die gesellschaftliche Tabuisierung von sexueller Gewalt führt zu einer Stigmatisierung von Frauen, die in Haft waren, zur Erniedrigung von Opfern, Familien und Gemeinschaften und zu einer hohen Dunkelziffer bezüglich der Fälle von sexueller Gewalt. Eltern oder Ehemänner verstoßen oftmals Frauen, die während der Haft vergewaltigt wurden oder eine Vergewaltigung auch nur vermutet wird. Es gibt Fälle von Frauen, die nach einer Vergewaltigung Opfer von Ehrenmorden werden. Berichten von NGOs zufolge kam es seit dem Ausbruch des Konfliktes zu einem starken Anstieg bei Ehrenmorden infolge weit verbreiteter Fälle von Vergewaltigungen durch Regierungseinheiten und Ausbeutung durch den IS (BFA 8.2017; vgl. USDOS 3.3.2017).

Die vorherrschende Gewalt und der starke kulturelle Druck schränken die Bewegungsfreiheit von Frauen in vielen Gebieten erheblich ein. Zusätzlich gibt es ein Gesetz, das bestimmten männlichen Verwandten erlaubt, Frauen das Reisen zu verbieten (USDOS 3.3.2017). Frauen haben eine etwas größere Bewegungsfreiheit an Checkpoints - allerdings bei erhöhter Gefahr, Opfer von sexueller und physischer Gewalt durch die Kriegsparteien oder individuelle kriminelle Elemente zu werden (UNHRC 11.2.2016).

Zur Situation von Frauen in von der PYD kontrollierten Gebieten

2013 akzeptierte die kurdische Autonomieregierung wichtige Maßnahmen, um die Rechte von Frauen zu verbessern. So werden Ehrenmorde nun als strafbare Verbrechen angesehen, Zwangsehen und Eheschließungen von Minderjährigen wurden verboten und Männer, die mehr als eine Ehefrau haben, wurden von allen Organisationen und Komitees ausgeschlossen (TF 27.8.2017).

Die Emanzipation der Frauen in Rojava ist ein laufender Prozess. Gemäß der Aussage von Janet Biehl via Toward Freedom sind dort patriarchale Traditionen tief eingebettet und mit Religion verbunden (TF 27.8.2017). Laut der syrischen Aktivistin Mahwash Sheiki entstanden diese Veränderungen jedoch nicht durch Veränderungen im sozioökonomischen System, sondern waren eine von der PYD-Spitze getroffene Entscheidung, nicht von der breiten Bevölkerung. Die Raten von Fällen von Gewalt gegen Frauen sind jedenfalls gesunken, wobei Polygamie, sexuelle Gewalt, Frühehen, Vergewaltigung etc. noch immer sensible Themen in Nordsyrien sind. Aufgrund des Bürgerkriegs lassen sich die längerfristigen Entwicklungen auch im Bezug auf Frauenrechte schwer einschätzen (Syria Untold 25.3.2017).

Aus den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 5. Aktualisierte Fassung:

Frauen und Mädchen mit bestimmten Profilen oder in besonderen Situationen

Die Situation von Frauen hat sich durch den Konflikt ausgesprochen verschlechtert, da sie aufgrund ihres Geschlechts in zunehmendem Maße Opfer einer Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen werden, die die verschiedenen Konfliktparteien begehen. Berichten zufolge wurden Frauen gezielt Opfer von Übergriffen in Form von willkürlichen Festnahmen, Isolationshaft, Entführungen, Folter und sexueller Gewalt sowie Hinrichtungen aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung von oder Verbindung zu einer Kriegspartei, einschließlich aufgrund ihrer eigenen politischen Meinungen oder Aktivitäten, familiären Verbindungen, religiösen oder ethnischen Identität oder ihres Wohn- oder Heimatortes. Laut Meldungen haben sowohl die Regierungstruppen als auch bewaffnete oppositionelle Gruppen Frauen als Faustpfand für den Austausch von Geiseln benutzt.

Frauen und Mädchen sind den Meldungen zufolge auch besonderen Formen bzw. Ausprägungen von Verfolgung ausgesetzt. Aus den Berichten ergibt sich, dass sexuelle Gewalt während des gesamten Konflikts systematisch eingesetzt wurde, u. a. als Kriegswaffe. Andere Formen geschlechtsspezifischer Gewalt, einschließlich häuslicher Gewalt, "Ehrendelikten", Kinder- und Zwangsehen sowie Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und Zwangsprostitution, sind Berichten zufolge weitverbreitet und nach Jahren des Bürgerkriegs zum "Normalfall" geworden. Weibliche Überlebende sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt sind Berichten zufolge schwer traumatisiert, was oft durch Zurückweisungen und Stigmatisierungen verschlimmert wird, die sie von ihren Familienangehörigen und Mitgliedern ihrer Gemeinschaft erfahren. Geschiedene Frauen und Witwen werden laut Meldungen von der Gesellschaft stigmatisiert und rechtlich diskriminiert.

(...) Berichten zufolge besteht für Frauen und Mädchen in Lagern für Binnenvertriebene außerdem die erhebliche Gefahr, sexuelle Gewalt zu erleiden und ausgebeutet zu werden. UNHCR ist der Auffassung, dass Frauen, die unter die nachstehenden Kategorien fallen, aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu der bestimmten sozialen Gruppe, die als "Frauen in Syrien" definiert wird, ihrer Religion, ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Meinung oder einer Kombination aus diesen und anderen maßgeblichen Gründen je nach den Umständen des Einzelfalls wahrscheinlich internationalen Schutz benötigen: a) Frauen, die sexuelle Gewalt überlebt haben oder gefährdet sind, Opfer sexueller Gewalt zu werden; b) Frauen, die eine Zwangs- und/oder Kinderehe, häusliche Gewalt und "Ehrendelikte" überlebt haben oder gefährdet sind, davon betroffen zu werden; c) Frauen, die Zwangsprostitution und Menschenhandel überlebt haben oder gefährdet sind, davon betroffen zu werden; d) Frauen, denen Verstöße gegen die Scharia vorgeworfen werden und die in Gebieten leben, die unter der Kontrolle oder dem Einfluss extremistisch-islamistischer bewaffneter Gruppen stehen; e) Frauen und Mädchen ohne echte familiäre Unterstützung, einschließlich Witwen und geschiedener Frauen.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Situation in Syrien basieren auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Syrien vom 25.01.2018 (letzte Kurzinformation eingefügt am 24.08.2018). Das genannte Länderinformationsblatt stützt sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Syrien ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Die Feststellungen zur Person der BF ergeben sich aus den Angaben des BF1 und der BF2 im Zusammenhang mit den von ihnen vorgelegten Dokumenten.

Die Feststellung zur Rückkehrgefährdung der BF3 stützt sich auf folgende Erwägungen:

Zunächst ist aufgrund der lebensnahen und im Wesentlichen übereinstimmenden Schilderungen des BF1 und der BF2 in der Beschwerdeverhandlung anzunehmen, dass das Vorbringen bezüglich der drohenden Zwangsverheiratung der BF3 im Falle einer Rückkehr nach Syrien durch die Familie der BF2 den Tatsachen entspricht. Der Umstand, dass ein Bruder der BF2 nach Deutschland geflüchtet ist, um der drohenden Zwangsverheiratung seiner Tochter durch seine Familie zu entgehen, lässt ein familien- bzw. stammestypisches Muster vermuten. Dass BF1 und BF2 die drohende Zwangsverheiratung erst in der Beschwerdeverhandlung vorgebracht haben, erschüttert nicht ihre Glaubwürdigkeit, da die Absicht, die BF3 zu verheiraten, nach ihren Angaben etwa ein Jahr vor der Verhandlung und somit nach der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde kundgetan wurde. Das Vorbringen der BF ist auch vor dem Hintergrund der aktuellen Länderberichte objektivierbar: Aus den Feststellungen ergibt sich, dass die Machtausübung in den kurdischen Gebieten komplex ist. Auch wenn von der politischen Führung formal gleiche Rechte für Männer und Frauen vorgesehen sind oder Maßnahmen beschlossen wurden, um die Rechte von Frauen zu verbessern, führt dies nicht uneingeschränkt zu deren Umsetzung in der Praxis. In den kurdischen Gebieten Syriens ("Rojava") sind patriarchale Traditionen tief eingebettet und mit Religion verbunden - auch die Familie der BF2 ist sehr religiös - und wurden die genannten Veränderungen von der PYD-Spitze vorgenommen, nicht von der breiten Bevölkerung; Polygamie, sexuelle Gewalt, Frühehen, Vergewaltigung etc. sind noch immer sensible Themen in Nordsyrien. Längerfristige Entwicklungen in Bezug auf Frauenrechte sind angesichts der Sicherheitslage schwer abschätzbar, es kann jedenfalls aktuell nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von einer Verbesserung ausgegangen werden. Angesichts der tiefen gesellschaftlichen und religiösen Einbettung patriarchaler Traditionen ist nicht davon auszugehen, dass die kurdischen Machthaber in XXXX in der Lage sind - selbst wenn sie willens wären -, die Verfolgung der BF3 zu verhindern. Auch über die kurdischen Gebiete hinaus sind Frauen durch die Sicherheitslage und die weit verbreitete geschlechtsspezifische Gewalt besonders gefährdet, Zwangs- und Kinderehen in Syrien weit verbreitet.

In Hinblick auf das somit glaubwürdige Vorbringen, der BF3 würde Zwangsverheiratung durch die Familie der BF2 drohen, kann nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass die BF3 bei einer Rückkehr nach Syrien geschlechtsspezifischen Verfolgungsverhandlungen durch Verwandte der BF2 ausgesetzt wäre.

Diese Einschätzung deckt sich auch mit den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (5., aktualisierte Fassung), wonach u.a. Frauen, die gefährdet sind, von einer Zwangs- und/oder Kinderehe betroffen zu werden, wahrscheinlich internationalen Schutz benötigen. Es ist davon auszugehen, dass die BF3 in diese von UNHCR angeführte Risikogruppe fällt (zur Indizwirkung von UNHCR-Positionen vgl. etwa VwGH 16.1.2008, 2006/19/0182, m.w.N.).

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit der stützt sich bezüglich des BF1 und der BF2 auf eine aktuelle Abfrage des Strafregisters, während sich die Unbescholtenheit der BF3 bis BF7 bereits aus ihrem Alter ergibt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013 (BVwGG), entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Mangels einfachgesetzlicher materienspezifischer Sonderregelung liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, BGBl. 51/1991 (AVG) mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung BGBl. Nr. 194/1961 (BAO), des Agrarverfahrensgesetzes BGBl. Nr. 173/1950 (AgrVG), und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 BGBl. Nr. 29/1984 (DVG), und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.2. Zu Spruchpunkt A):

3.2.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Bei der Entscheidung, ob eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung besteht, handelt es sich immer um eine Prognoseentscheidung, die eine auf die Zukunft gerichtete Verfolgung verlangt. Das Wort "Furcht" bezieht sich dabei nicht nur auf Personen, die tatsächlich verfolgt wurden, sondern auch auf solche, die einer Situation aus dem Wege gehen möchten, die eine Gefahr der Verfolgung in sich birgt (vgl. UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst, vom 30. November 2016, S. 1)

Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

Dass eine Verfolgung der BF3 auf Grund von "Zwangsverheiratung" unter dem Gesichtspunkt einer geschlechtsspezifischen Verfolgung als Angehörige einer bestimmten sozialen Gruppe nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK asylrelevant sein kann, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH Ra 15.10.2015, 2015/20/0181; 15.09.2010, 2008/23/0463).

Die Angehörigen einer bestimmten sozialen Gruppe haben ein gemeinsames soziales Merkmal, ohne dessen Vorliegen sie nicht verfolgt würden (VwGH 20.10.1999, 99/01/0197). Auch eine alleine auf das Geschlecht bezugnehmende Verfolgung ist als Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe zu werten (VwGH 31.01.2001, 99/20/0497).

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. zB VwGH 24.03.1999, 98/01/0352 mwN; 15.03.2001, 99/20/0036). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwSlg. 16.482 A/2004). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" (VwSlg. 16.482 A/2004) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, 29.03.2001, 2000/20/0539; 17.03.2009, 2007/19/0459).

3.2.1.2. Wie sich aus den Feststellungen ergibt, läuft die BF3 mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der "Frauen, die gefährdet sind, von einer Zwangsund/oder Kinderehe betroffen zu werden", Gefahr, in Syrien Verfolgungshandlungen nichtstaatlicher Akteure von ausreichender Intensität ausgesetzt zu sein. Somit besteht ein ausreichender Konnex zu einem in der GFK genannten Grund.

Eine Inanspruchnahme des Schutzes durch die kurdischen Machthaber in ihrem Herkunftsgebiet ist für sie auszuschließen. Aus den Länderberichten ergibt sich, dass offensichtlich auch nach dem formalen Gebot von Zwangsverheiratungen diese weiter vorgenommen werden und zeigt dies, dass die kurdischen Machthaber nicht in der Lage sind, Frauen davor zu schützen.

Vom Vorliegen einer zumutbaren innerstaatliche Fluchtalternative kann schon deshalb nicht ausgegangen werden, da die Annahme einer solchen im Widerspruch zum aufgrund der Situation in Syrien bereits gewährten subsidiären Schutz stünde (vgl. VwGH 25.3.2015, Ra 2014/18/0168; 29.6.2015, Ra 2014/18/0070).

Da sich auch kein Hinweis auf einen der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe ergeben hat, war der BF3 gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten zuzuerkennen.

3.2.2.1. § 34 AsylG 2005 lautet:

"(1) Stellt ein Familienangehöriger von

1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

3. einem Asylwerber

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist und

(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)

3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist;

(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)

3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und

4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:

1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;

2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;

3. im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 NAG)."

Gemäß § 22 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

3.2.2.2. Die BF1 und BF2 sind als Elternteile der minderjährigen BF3 deren Familienangehörige iSd § 22 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005. Die BF 4, BF 5, BF 6 und BF 7 sind als zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährige und ledige Kinder von BF 1 und BF2 deren Familienangehörige iSd § 22 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005, weshalb diese gemäß § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005 ebenfalls den Status von Asylberechtigten von der BF3 (über Vermittlung des BF1 bzw. der BF2) ableiten können.

Daher war ihnen - bei Fehlen von Hinweisen auf Endigungs- oder Ausschlussgründe sowie vor dem Hintergrund der Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit - gemäß § 34 AsylG 2005 ebenfalls der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen und gleichfalls gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festzustellen, dass ihnen damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass das Gesetz nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 30.04.2018, Ra 2017/01/0418) beim Status des Asylberechtigten nicht differenziert. Weder kennt das Gesetz einen ‚originären' Status des Asylberechtigten, noch spricht das Gesetz in § 34 Abs. 4 AsylG davon, dass im Familienverfahren ein anderer, nur ‚abgeleiteter' Status zuzuerkennen ist. Im Gegenteil spricht der zweite Satz des § 34 Abs. 4 AsylG 2005 ausdrücklich davon, dass ‚der' Status des Asylberechtigten zuzuerkennen ist, was nur bedeuten kann, dass der Status des Asylberechtigten an sich (ohne weitere Differenzierung) zuzuerkennen ist. Im Übrigen lässt sich auch der Status-Richtlinie 2011/95/EU eine solche Differenzierung bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht entnehmen (vgl. insbesondere deren Art. 13). Daher kann auf die Prüfung der eigenen Fluchtgründe einer Person verzichtet werden, wenn dieser Asyl im Familienverfahren zuerkannt werden kann (VwGH 30.04.2018, Ra 2017/01/0418).

3.2.3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.3. Zu Spruchpunkt B):

3.3.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

3.3.2. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung. Des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Asylgewährung, asylrechtlich relevante Verfolgung, begründete Furcht
vor Verfolgung, Bürgerkrieg, erhebliche Intensität,
Flüchtlingseigenschaft, illegale Ausreise, inländische
Schutzalternative, innerstaatliche Fluchtalternative, maßgebliche
Wahrscheinlichkeit, mündliche Verhandlung, Nachvollziehbarkeit,
Prognoseentscheidung, soziale Gruppe, Unzumutbarkeit,
Verfolgungsgefahr, Verfolgungshandlung, Wahrscheinlichkeit,
wohlbegründete Furcht, Zwangsehe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W176.2153832.1.00

Zuletzt aktualisiert am

22.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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