TE Bvwg Beschluss 2018/10/31 W115 2162360-1

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Veröffentlicht am 31.10.2018
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Entscheidungsdatum

31.10.2018

Norm

BBG §42
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W115 2162360-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian DÖLLINGER als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Ursula GREBENICEK sowie die fachkundige Laienrichterin Dr. Regina BAUMGARTL als Beisitzerinnen über die Beschwerde von

XXXX, geb. XXXX, bevollmächtigt vertreten durch den Kriegsopfer- und Behindertenverband für Wien, Niederösterreich und XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle XXXX, vom XXXX, OB: XXXX, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG idgF zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer hat am XXXX beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass sowie auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960) gestellt.

1.1. Die belangte Behörde hat zum Vorliegen der Voraussetzungen für die Ausstellung des beantragten Behindertenpasses sowie für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung kein Ermittlungsverfahren geführt, sondern wurde das im Rahmen eines Verfahrens nach dem Behinderteneinstellungsgesetz eingeholte Sachverständigengutachten Dr. XXXX, Fachärztin für Innere Medizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am XXXX, herangezogen, in welchem der Grad der Behinderung zwar in Höhe von 60 vH bewertet wurde, die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung jedoch nicht vorliegen würden.

In diesem Gutachten wurden folgende Funktionseinschränkungen angeführt:

? Morbus Crohn unter immunsuppressiver Therapie, anhaltende Fistelbildung mit Zustand nach operativer Sanierung

? Diabetes mellitus - insulinpflichtiger Diabetes bei stabiler Stoffwechsellage, unter multimodaler Medikation und Insulin

? Kniegelenke - Funktionseinschränkungen beidseitig

? Ohrengeräusche (Tinnitus) - einseitig, teilweise dekompensiert mit vegetativen Begleiterscheinungen

Zu den Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung wurde Folgendes angeführt (Auszug aus dem eingeholten Sachverständigengutachten, Schreibfehler korrigiert):

"[...]

1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

Der Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel ist behinderungsbedingt und trotz der Einschränkungen im Bewegungsapparat zumutbar. Haltegriffe für den sicheren Transport können uneingeschränkt benützt werden. Das sichere Ein- und Aussteigen sowie das Zurücklegen kurzer Wegstrecken sind möglich, es besteht keine Gehbehinderung. Im Bedarfsfall ist die Unterstützung durch eine Gehhilfe (Stock) zulässig. Es liegen weder cardio/pulmonale noch intellektuelle Einschränkungen im Hinblick auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor.

2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?

nicht zutreffend

[...]"

2. Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer am XXXX einen unbefristeten Behindertenpass ausgestellt und einen Grad der Behinderung in Höhe von 60 vH eingetragen sowie die Zusatzeintragungen "Gesundheitsschädigung gemäß

§ 2 Abs. 1 erster und dritter Teilstrich der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBl. 303/1996" vorgenommen.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß § 42 und § 45 BBG abgewiesen.

Begründend wurde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, dass das durchgeführte Beweisverfahren ergeben habe, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei.

In der rechtlichen Beurteilung zitierte die belangte Behörde die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) sowie Auszüge der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen (Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen).

Weiters wurde von der belangten Behörde ergänzend angemerkt, dass aufgrund des Nichtvorliegens der Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" über den Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO 1960 nicht abgesprochen werde.

Als Beilage zum Bescheid wurde von der belangten Behörde das medizinische Sachverständigengutachten Dris. XXXX übermittelt.

4. Gegen diesen Bescheid wurde vom bevollmächtigten Vertreter des Beschwerdeführers fristgerecht Beschwerde erhoben.

Ohne Vorlage von Beweismitteln wurde im Wesentlichen zusammengefasst vorgebracht, dass entgegen den Ausführungen im Gutachten, dass keine schwere Erkrankung des Immunsystems vorliege, der Morbus Crohn des Beschwerdeführers immunsuppressiv therapiert werde und der Beschwerdeführer sich alle 10 Tage das Medikament Humira spritzen müsse, damit es zu keiner Verschlechterung des Morbus Crohn komme. Das Immunsystem sei daher nicht in der Lage sich gegen Infektionen von außen zu schützen, wodurch es dem Beschwerdeführer nicht möglich sei, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Außerdem habe der Beschwerdeführer - teilweise mit Blut im Stuhl - durchschnittlich 15 Stuhlgänge täglich, sodass ihm auch aus diesem Grund die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar sei, da es ihm in öffentlichen Verkehrsmitteln oft nicht möglich sei, rechtzeitig eine Toilette zu erreichen.

5. Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakt langte der Aktenlage nach am XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 17. Mai 1990 über die Beratung, Betreuung und besondere Hilfe für behinderte Menschen (Bundesbehindertengesetz - BBG), BGBl. Nr. 283/1990 idgF, hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Gemäß § 46 BBG beträgt die Beschwerdefrist abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.

Gemäß § 54 Abs. 18 BBG tritt § 46 BBG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 57/2015 mit 1. Juli 2015 in Kraft.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Gemäß § 29 Abs. 1 zweiter Satz VwGVG sind die Erkenntnisse zu begründen. Für Beschlüsse ergibt sich aus § 31 Abs. 3 VwGVG eine sinngemäße Anwendung.

Zu Spruchpunkt A):

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,

1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11.).

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014,

Ro 2014/03/0063, zur Auslegung des § 28 Abs. 3 2. Satz ausgeführt hat, ist vom prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auszugehen. Nach der Bestimmung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG kommt bereits nach ihrem Wortlaut die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht (vgl. auch Art. 130 Abs. 4 Z 1 B-VG). Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.

Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im oben angeführten Erkenntnis ausgeführt hat, wird eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite

73 f).

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:

Gemäß § 1 Abs. 2 BBG ist unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen (Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen), BGBl. II Nr. 495/2013 idgF, ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls die Feststellung einzutragen, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

? erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

? erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

? erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

? eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

? eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d

vorliegen.

Gemäß § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der/die Antragsteller/in dauernd an seiner/ihrer Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem/der Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.05.2012, 2008/11/0128, und die dort angeführte Vorjudikatur sowie VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; 27.01.2015, 2012/11/0186).

Maßgebend für die Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" im Behindertenpass ist die Feststellung der Art, des Ausmaßes und der Auswirkungen der beim Beschwerdeführer vorliegenden Gesundheitsschädigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.

Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080; 22.10.2002, 2001/11/0242).

Der Beschwerdeführer hat bereits im Zuge der Antragsstellung u.a. vorgebracht, an Morbus Crohn und einer chronischen Analfissur zu leiden.

Im Zusammenhang mit der beschwerdegegenständlichen Zusatzeintragung hatte der Verwaltungsgerichtshof schon wiederholt Krankheitsbilder zu beurteilen, die wiederkehrende Phasen der Inkontinenz beinhaltet haben: Im Erkenntnis vom 17.06.2013, 2010/11/0021, wurde der Umstand, dass (im Zusammenhang mit der Verdachtsdiagnose Morbus Crohn) die "mehrmals im Monat auftretenden Phasen der Stuhlinkontinenz und Flatulenzen unvorhersehbar und schubartig" aufgetreten sind, als Argument für die Annahme der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gewertet, insbesondere aufgrund der "Häufigkeit, Unvorhersehbarkeit und Unabwendbarkeit" der behaupteten Zustände, wie sie sich damals aus den ärztlichen Gutachten ergaben. In seinem Erkenntnis vom 23.02.2011, 2007/11/0142, wurde dieselbe Schlussfolgerung aus den Feststellungen der Behörde gezogen, wonach die damalige Beschwerdeführerin an einer Belastungsinkontinenz litt und täglich sechs bis sieben Mal ihre Vorlagen wechseln musste, wobei mit der Inkontinenz auch eine Geruchsbelästigung verbunden war. Diese Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof in dem Erkenntnis vom 21.04.2016, Ra 2016/11/0018, bestätigt (vgl. auch VfGH 23.09.2016, E 439/2016-13).

Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung ist es im gegenständlichen Verfahren erforderlich zu erheben, ob hinsichtlich des Krankheitsbildes des Beschwerdeführers ein Zustand vorliegt, aus welchem eine Durchfallerkrankung mit häufigem und imperativem Stuhlgang, bei in der Regel weder vorhersehbaren noch beeinflussbaren Zeitpunkten des Stuhlganges, resultiert.

In dieser Hinsicht hat die belangte Behörde im angefochtenen Verfahren aber nur ansatzweise Ermittlungen geführt.

Die belangte Behörde hat zur Überprüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung lediglich ein im Rahmen eines Verfahrens nach dem Behinderteneinstellungsgesetz eingeholtes medizinisches Sachverständigengutachten herangezogen, in dem zwar die Art und die Schwere der objektivierten dauernden Gesundheitsschädigungen durch Zuordnung zu Positionen der Einschätzungsverordnung und Feststellung des jeweiligen Grades der Behinderung beschrieben werden, zur Frage der beschwerdegegenständlichen Zusatzeintragung erfolgt jedoch keine ausreichende individualisierte Beurteilung (siehe in diesem Zusammenhang den unter Punkt I.1.1. wiedergegebenen Inhalt der herangezogenen Sachverständigengutachten).

Dieses Gutachten ist somit nicht geeignet, um die in der Judikatur festgelegten Anforderungen zur Beurteilung der Rechtsfrage, ob dem Beschwerdeführer aufgrund der im Gutachten festgestellten Gesundheitsschädigung "Morbus Crohn" die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist, zu erfüllen. So wird in diesem Sachverständigengutachten keinerlei Stellungnahme zu den Auswirkungen des beim Beschwerdeführer festgestellten Darmleidens auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel abgegeben. Zudem wird nicht dargelegt, wie sich die aufgrund des Morbus Crohn erforderliche immunsuppressive Therapie auf die Möglichkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. In diesem Zusammenhang wird von der Sachverständigen lediglich ausgeführt, dass Morbus Crohn unter immunsuppressiver Therapie mit anhaltender Fistelbildung und operativer Sanierung vorliegt und dass eine schwere Erkrankung des Immunsystems nicht besteht.

Dies wiegt umso schwerer, als die beim Beschwerdeführer vorliegende Darmerkrankung unter Positionsnummer 07.04.06 der Anlage zur Einschätzungsverordnung (Chronische Darmstörungen schweren Grades mit schweren chronischen Schleimhautveränderungen) mit einem Grad der Behinderung in Höhe von 50 vH eingeschätzt worden ist und für die Heranziehung dieser Positionsnummer u.a. tägliche, auch nächtliche Durchfälle sowie anhaltende oder häufig rezidivierende erhebliche Beschwerden erforderlich sind.

Auch ist eine schlüssige und nachvollziehbare Auseinandersetzung mit jenen Befunden, die dem Sachverständigengutachten zugrunde gelegt worden sind, nicht erfolgt. Es werden von der Sachverständigen zwar Angaben über den Inhalt dieser Befunde gemacht, Aussagen über die Art und Schwere der darin beschriebenen Gesundheitsschädigungen bzw. wie sich diese auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirken, sind jedoch nicht getroffen worden. Auch wird im eingeholten Sachverständigengutachten nicht erörtert, ob bzw. welche Therapieoption hinsichtlich der Darmerkrankung besteht und ob diese erfolgversprechend sowie dem Beschwerdeführer zumutbar ist. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass sich die von der Sachverständigen zitierten Befunde auch nicht im vorgelegten Verwaltungsakt finden und somit auch in dieser Hinsicht eine Prüfung, wie die Sachverständige zu ihrer Beurteilung gelangt ist, durch das Bundesverwaltungsgericht nicht erfolgen kann.

Der eingeholte medizinische Sachverständigenbeweis vermag daher die verwaltungsbehördliche Entscheidung nicht zu tragen. Ein Gutachten bzw. eine medizinische Stellungnahme, welche Ausführungen darüber vermissen lässt, aus welchen Gründen der ärztliche Sachverständige zu einer Beurteilung gelangt ist, stellt keine taugliche Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung dar (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321). In diesem Zusammenhang ist weiters anzuführen, dass auch im angefochtenen Bescheid auf die beim Beschwerdeführer vorliegende Darmerkrankung keinerlei Bezug genommen wird. In der Begründung wird von der belangten Behörde lediglich ausgeführt, dass das ärztliche Begutachtungsverfahren, welches als schlüssig erkannt worden sei, ergeben habe, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorliegen. Eine weitergehende Begründung ist dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen. Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage daher nicht möglich.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde ein Sachverständigengutachten der Fachrichtung Innere Medizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers, zu den oben dargelegten Fragestellungen einzuholen und die Ergebnisse unter Einbeziehung des Beschwerdevorbringens bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben. In diesem Zusammenhang ist insbesondere abzuklären, welche Auswirkungen das vorliegende Leiden "Morbus Crohn" auf das Stuhlverhalten des Beschwerdeführers hat und inwieweit der Beschwerdeführer laufend mit Stuhlgang rechnen muss, welcher nicht oder kaum beeinflussbar binnen weniger Minuten spontan auftritt und in diesem Sinne unvorhersehbar und unabwendbar ist. Auch ist zu erheben, in welchem Ausmaß ein allfälliger imperativer Stuhlgang bzw. Durchfallattacken (tägliche Frequenz) vorliegen. Des Weiteren ist zur Frage der Reduktion der Immunabwehr des Beschwerdeführers aufgrund der Therapie mit immunsuppressiver Medikation Stellung zu nehmen. Anschließend hat sich die belangte Behörde mit der Rechtsfrage auseinanderzusetzen, ob dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist. Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird der Beschwerdeführer mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre", ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes und angesichts der im gegenständlichen Fall unterlassenen Sachverhaltsermittlungen - nicht ersichtlich.

Im Übrigen scheint die Zurückverweisung der Rechtssache an die belangte Behörde auch vor dem Hintergrund der seit 01.07.2015 geltenden Neuerungsbeschränkung in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 46 BBG zweckmäßig. Dies insbesondere im Hinblick darauf, dass dem Beschwerdeführer im Rahmen des verwaltungsbehördlichen Verfahrens keine Möglichkeit gegeben wurde, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer hatte sohin keine Gelegenheit, der sachverständigen Beurteilung konkret und substantiiert entgegenzutreten und auszuführen ob, gegebenenfalls welche, gutachterlichen Ausführungen dem tatsächlichen Leidensausmaß widersprechen.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall des Beschwerdeführers noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A) wurde ausführlich unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, ausgeführt, dass im verwaltungsbehördlichen Verfahren notwendige Ermittlungen unterlassen wurden.

Schlagworte

Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W115.2162360.1.00

Zuletzt aktualisiert am

22.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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