TE Bvwg Beschluss 2018/10/31 G314 2208358-1

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Veröffentlicht am 31.10.2018
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Entscheidungsdatum

31.10.2018

Norm

B-VG Art.133 Abs4
FPG §67
VwGVG §28 Abs3

Spruch

G314 2208358-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, polnischer Staatsangehöriger, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 25.09.2018, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer (BF) hält sich nach eigenen Angaben seit mehreren Monaten durchgehend in Österreich auf. Er war obdachlos; eine Meldung nach dem MeldeG ist nicht aktenkundig. Ihm wurde keine Anmeldebescheinigung ausgestellt. Er war auf Arbeitssuche und ging keiner Erwerbstätigkeit nach.

Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Im August 2016 und im August 2018 wurde er jeweils wegen Diebstahlsverdachts angezeigt. Am XXXX.2018 wurde er wegen des Verdachts des schweren Raubes in XXXX festgenommen, weil er (massiv alkoholisiert) versucht haben soll, einem anderen durch die Bedrohung mit einem Messer Bargeld wegzunehmen. Seither wird er in der Justizanstalt XXXX in Untersuchungshaft angehalten. Eine Verurteilung ist bislang noch nicht erfolgt. Zum Vorwurf des Diebstahls von Getränken im Wert von ca EUR 9 im August 2016 zeigte er sich geständig; Informationen über seine Verantwortung zu den Vorwürfen wegen der Straftaten, die er 2018 begangen haben soll, sind nicht aktenkundig.

Mit dem Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 05.09.2018 wurde der BF aufgefordert, sich zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern. Er erstattete eine entsprechende Stellungnahme, die am 10.09.2018 beim BFA einlangte.

Mit dem oben genannten Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein siebenjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit dem Verdacht des schweren Raubes und den vorangegangenen Diebstahlsanzeigen gegen den BF begründet.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde des BF mit den Anträgen, das Aufenthaltsverbot aufzuheben, in eventu, die Dauer herabzusetzen, und dem BF einen Durchsetzungsaufschub zu gewähren. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt. Der BF begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass sein aggressives Verhalten auf seine Alkoholsucht, die er versuche, in den Griff zu bekommen, zurückzuführen sei, was die Behörde nicht berücksichtigt habe. Er sei unbescholten, sodass von ihm keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ausgehe, die ein siebenjähriges Aufenthaltsverbot erforderlich mache.

Das BFA legte die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo sie am 25.10.2018 einlangten, und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Sachverhalt ergibt sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des Gerichtsakts des BVwG. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor.

Rechtliche Beurteilung:

Der BF ist als Staatsangehöriger von Polen EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG.

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch den Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Wenn der EWR-Bürger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt (so etwa, wenn er zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt wurde), kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden.

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).

Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG (Bescheidbeschwerden) in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Gemäß § 28 Abs 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Bescheidbeschwerden in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist dann an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Die Zurückverweisungsmöglichkeit gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG ist eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte. Eine Aufhebung des Bescheids kommt nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Die Verwaltungsgerichte haben nicht nur bei Vorliegen der in den Z 1 und Z 2 des § 28 Abs 2 VwGVG genannten Voraussetzungen in der Sache selbst zu entscheiden, sondern nach Maßgabe des § 28 Abs 3 VwGVG grundsätzlich auch dann, wenn trotz Fehlens dieser Voraussetzungen die Verwaltungsbehörde dem nicht unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063). Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009).

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen hier die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung durch das BVwG nicht vor. Weder steht der maßgebliche Sachverhalt fest noch würde seine Feststellung durch das Gericht die Prozessökonomie fördern, zumal ganz gravierende Ermittlungslücken vorliegen.

Da der BF strafgerichtlich unbescholten ist und wegen der gegen ihn erhobenen Vorwürfe noch keine Verurteilung erfolgte, steht noch nicht fest, ob gegen ihn eine strafgerichtliche Sanktion verhängt werden muss und wenn ja, welche und wegen welcher konkreten Taten. Auch allfällige Strafzumessungsgründe sind naturgemäß noch nicht bekannt. Ebensowenig sind konkrete Verstöße des BF gegen die öffentliche Ordnung aktenkundig. Da somit die relevanten Sachverhaltselemente für die vorzunehmende Gefährdungsprognose fehlen, kann noch nicht beurteilt werden, ob gegen den BF ein Aufenthaltsverbot verhängt werden muss und wenn ja, in welcher Dauer. Auf der Grundlage der bisherigen Ermittlungen des BFA ist daher noch keine abschließende rechtliche Beurteilung des Sachverhalts möglich; dieser ist vielmehr in wesentlichen Teilen ergänzungsbedürftig.

Die Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren den Ausgang des Strafverfahrens gegen den BF abzuwarten haben und je nach dessen Ergebnis entscheiden müssen, ob gegen den BF ein Aufenthaltsverbot (oder allenfalls eine Ausweisung) zu erlassen ist.

Da zu den tragenden Sachverhaltselementen noch keine Beweisergebnisse vorliegen, zur Klärung des relevanten Sachverhalts zusätzliche Ermittlungen notwendig sein werden und dadurch bedingte Weiterungen des Verfahrens nicht ausgeschlossen werden können, führt es weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung, wenn das BVwG die Erhebungen selbst durchführt. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass § 67 FPG grundsätzlich (nur) Fälle schwerer Kriminalität erfasst und dem BFA bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots ein entsprechender Begründungsaufwand zukommt (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 67 FPG K1).

Im Ergebnis ist der angefochtene Bescheid daher - dem in der Beschwerde eventualiter gestellten Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag entsprechend - gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurückzuverweisen.

Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Die Revision war wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen (siehe z.B. VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109).

Schlagworte

Aufenthaltsverbot, Ermittlungspflicht, EU-Bürger, Kassation,
mangelnde Sachverhaltsfeststellung, mangelnder Anknüpfungspunkt,
strafrechtliche Verfolgung, Untersuchungshaft, Zeitpunkt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:G314.2208358.1.00

Zuletzt aktualisiert am

22.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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