TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/5 W226 2180617-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.11.2018
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Entscheidungsdatum

05.11.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W226 2180617-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA.:

Weißrussland, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.11.2017, Zl. 13-751858904-14463914, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.10.2018 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, § 8 Abs. 1 AsylG

2005, § 57 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, § 52 Absatz 9 FPG, § 46 FPG, § 55 Absatz 1 bis 3 FPG, als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der BF ist Staatsangehöriger von Weißrussland, gehört der weißrussischen Volksgruppe und dem orthodoxen Glauben an.

Bereits im Jahr 2005 beantragte er erstmals nach illegaler Einreise die Gewährung von Internationalem Schutz, damals unter der Identität

XXXX.

Im ersten Asylverfahren im Jahr 2005 schilderte der BF im Wesentlichen, dass er im Oktober 2005 in einem LKW versteckt aus Weißrussland weggefahren sei, er sei nach Österreich gekommen, sei dann in die Schweiz weitergereist. In der Schweiz habe er bereits im Jahr 2002 einen Asylantrag gestellt, auch dabei habe er politische Gründe angegeben.

In der Schweiz habe er sich allerdings als XXXX ausgegeben, dort sei der Asylantrag negativ beschieden worden, er habe auch kein Rechtsmittel eingelegt und sei er dann im XXXX nach Weißrussland auf dem Luftweg abgeschoben worden.

Der Fluchtgrund für das Jahr 2005 wurde vom BF dahingehend geschildert, dass im XXXX Leute versucht hätten, ihn zu entführen, er habe einen der Entführer weggeschoben, den anderen geschlagen und sei dann weggelaufen.

Der BF, der ein Engagement für eine näher genannte politische Partei behauptete, wurde im Zuge dieser Einvernahme befragt, wie denn der Vorsitzende seiner eigenen Partei heiße und lautete die Antwort, dass er "schon lange Zeit nicht mehr dabei sei", er wolle mit der weißrussischen Opposition auch nichts mehr zu tun haben.

In diesem ersten Asylverfahren wurde auch ein Einvernahmeprotokoll der Kantonspolizei XXXX (Schweiz) dem Verwaltungsakt beigelegt, wo der BF unter der Identität XXXX vor der Rücküberstellung nach Österreich die Gründe schilderte, welche ihn im Jahr 2005 zur Ausreise veranlasst hätten.

Demzufolge schilderte der BF, dass er die Schweiz im Juli 2005 habe verlassen müssen, es sei richtig, dass er in der Schweiz eine "Einreisesperre" bekommen habe. Er habe trotzdem in die Schweiz wollen, um nach Arbeit zu suchen und um Geld zu verdienen. Dem BF wurde im Zuge dieser Einvernahme in der Schweiz vorgehalten, dass er bereits wegen Diebstahls eine Vorstrafe aufweise, es würden zudem diverse Verhaftungsbefehle aufliegen.

Das erste Asylverfahren in Österreich wurde mit Aktenvermerk vom 18.11.2005 gemäß § 30 AsylG 1997 eingestellt, da der BF von der Bundesbetreuungsstelle abgemeldet wurde und ZMR-Anfragen negativ verlaufen waren.

Im ersten Asylakt befindet sich einzig noch eine Anzeige wegen Diebstahls sowie ein Kurzbrief der Polizeiinspektion XXXX aus dem Jahr 2007, wonach die Verfahrenskarte des BF betreffend sein Asylverfahren in einer Toilettenanlage eines Schweizer Bahnhofs aufgefunden worden sei, daher mit Sicherheit anzunehmen sei, dass der BF in der Zwischenzeit in die Schweiz ausgereist sei und sich dort illegal aufhalte.

Am 17.03.2014 stellte der BF den nunmehr gegenständlichen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge seiner Erstbefragung gab der BF seine nunmehrige Identität an, der Fluchtgrund liege darin, dass er in Opposition zur Regierung in Weißrussland stehe. An einem näher genannten Tag hätte in Weißrussland ein Aktionstag stattfinden sollen, die Regierung wolle diese Aktion verhindern.

Der BF habe sich bei einem Freund in der Hauptstadt aufgehalten, sei vermutlich von der Regierung gesucht worden. Der BF schilderte erneut, dass zivile Beamte gekommen seien, die ihn hätten festnehmen wollen, es sei ihm jedoch gelungen zu fliehen.

Zu den bisherigen Asylverfahren, die sich aus diversen Abfragen der Behörde ergaben, schilderte der BF freimütig, dass er bereits im Jahr 2005 mit Freunden in Österreich gewesen sei. Da es im Lager einen Konflikt mit Tschetschenen gegeben habe, sei er über Tschechien und Polen "wieder nach Weißrussland geflüchtet."

Eigentlich habe er damals in der Schweiz einen Asylantrag stellen wollen, sei dann aber bis August 2011 zu Hause gewesen, ehe er Weißrussland wieder illegal Richtung Holland verlassen habe. In Holland habe er Asyl beantragt, Ende 2011 sei dieser Antrag negativ beschieden worden, er sei dann freiwillig nach Weißrussland heimgefahren. Nach drei Monaten sei er wieder mit Schlepper in einem LKW nach Luxemburg gereist, habe auch dort Asyl beantragt, nach drei Monaten sei er wieder zurückgefahren und habe sein Asylverfahren in Luxemburg zurückgezogen. Dann habe er sich in Weißrussland in der Hauptstadt XXXX bis zur nunmehrigen Ausreise aufgehalten.

Am 03.11.2016 wurde der BF durch die belangte Behörde niederschriftlich zu seinem nunmehrigen Antrag einvernommen und führte er dabei im Wesentlichen aus, dass er in Weißrussland früher bei seinen Eltern gelebt habe, diese seien nun in Pension. Er sei nicht verheiratet und habe auch keine Kinder, mit den Eltern habe er Kontakt über Skype.

Der BF schilderte erneut seine bisherigen Asylverfahren in diversen europäischen Ländern, nämlich in Österreich, der Schweiz, Luxemburg, und den Niederlanden. Nach der letzten Rückkehr nach Weißrussland habe er bei einem namentlich genannten Freund in der Hauptstadt gelebt, die nähere Adresse könne er aber nicht sagen.

Der Fluchtgrund wurde dahingehend geschildert, dass wie dargestellt in Weißrussland ein Feiertag, der nicht offiziell sei, von der Opposition gefeiert werde. In diesem zeitlichen Zusammenhang sei eines Tages an der Tür der Wohnung seines Freundes geläutet worden, durch den Türspion habe er seinen Freund gesehen, der in Begleitung von zwei kräftigen Männern in Zivilkleidung vor der Tür gestanden sei. Er hätte die beiden Männer begleiten sollen, aber dem Freund sei es dann gelungen, die Männer aufzuhalten und er habe fliehen können. In Weißrussland gäbe es ein Dossier von ihm bei der Polizei, dass betreffe aber schon die Zeit, bevor er das erste Mal in die Schweiz gereist sei. Nachdem er von Luxemburg im Jahr 2012 nach Weißrussland zurückgekommen sei, habe er nicht mehr an den Veranstaltungen teilgenommen, es sei ihm zu gefährlich gewesen. Er wisse eigentlich nicht, warum die Leute entschieden haben, dass sie schon vor den Feierlichkeiten zum BF kommen, aber er wisse, dass die versuchte Festnahme irgendwie mit den Feierlichkeiten in Verbindung stehe.

Aus Luxemburg sei er deshalb freiwillig zurückgekehrt, weil sein Freund XXXX ihn angerufen habe und ihm vorgeschlagen habe, dass er bei ihm "im sicheren Versteck wohnen und arbeiten könne".

In den Jahren 2005 bis 2011 habe er sich nirgends mehr engagiert und habe er auch nicht aktiv an Feierlichkeiten teilgenommen. Das letzte Mal habe er überhaupt vor dem Jahr 2002 an Feierlichkeiten der Opposition teilgenommen, er sei damals zwei Wochen in Einzelhaft gewesen.

In weiterer Folge schaffte die belangte Behörde Unterlagen aus dem Asylverfahren des BF in der Schweiz bei, wobei Einvernahmeprotokolle und die Entscheidung des Schweizer Bundesamtes für Flüchtlinge auch übersetzt wurden.

Dem BF wurde in weiteren Folge mit Schreiben vom 24.08.2017 schriftliches Parteiengehör eingeräumt, insbesonders zur Frage, ob sich neue Gründe ergeben hätten und wie die Integration des BF in Österreich zu beurteilen sei. Der BF verwies in einer schriftlichen Stellungnahme darauf, das Deutschdiplom auf dem Niveau B1 absolviert zu haben, er lebe von Sozialhilfe in einem Flüchtlingswohnheim, er trainiere Fußball und gehe zum Deutschkurs.

Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des BFA vom 23.11.2017 wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz vom 17.03.2014 bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und unter Spruchteil II. gemäß § 8 Abs. 1 leg. cit. dieser Antrag auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Weißrussland abgewiesen. Unter Spruchteil III. wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Weißrussland gemäß § 46 FPG zulässig ist gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

Die Identität des BF wurde dabei festgestellt. Die belangte Behörde verwies darauf, dass der BF gesund und im arbeitsfähigen Alter sei, er sei in der Lage, den Lebensunterhalt in Weißrussland zu bestreiten. In Österreich verfüge er über keine Verwandten oder Familienangehörige.

Nicht feststellbar sei, dass der BF oppositionell tätig und Mitglied einer namentlich genannten Jugendorganisation gewesen sei. Es sei auch nicht feststellbar gewesen, dass der BF in der Heimat vorbestraft sei und von den Behörden gesucht werde.

Das Gesamtvorbringen des BF über seine politischen Probleme wurde somit als nicht glaubhaft beurteilt und im Rahmen der Beweiswürdigung wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF bereits im Jahr 2005 angeführt habe, sich nicht mehr politisch aktiv betätigen zu wollen, er wolle nichts mehr mit der Opposition zu tun haben.

Auch sei nicht nachvollziehbar, warum der Freund an der eigenen Haustür läute und nicht einfach aufsperre und hineingehe, auch sei nicht erklärbar, warum der Freund in Weißrussland die Beamten, welche den BF angeblich gesucht hätten, zu diesem geführt habe, dem BF aber dann zur Flucht verhelfe, indem er die Männer ablenke. Es sei auch unglaubwürdig, dass der BF es zweimal geschafft hätte, von einer direkten Festnahme zu fliehen und habe sich der BF zudem - aus näher dargestellten Gründen - auch bezüglich der angeblichen Haft vor dem Jahr 2002 widersprochen, da er in der Schweiz andere Daten und eine ganz andere Haftdauer angegeben habe.

Zudem habe der BF keine genaueren Angaben weder zu seiner angeblichen Partei noch zu seiner Mitgliedschaft machen können, auch die Schweizer Behörden hätten das Vorbringen als unglaubwürdig beurteilt. Darüber hinaus führte die belangte Behörde aus, dass es unglaubwürdig sei, dass der BF nur aufgrund eines Problems mit Tschetschenen nach drei Wochen wieder aus Österreich nach Weißrussland zurückgereist sei. Die Behauptung, es wäre leichter gewesen, das Problem in der Heimat auszusitzen als hier in Österreich zu bleiben, sei demzufolge vollkommen absurd und unglaubwürdig.

Die Rückkehrentscheidung wurde von der belangten Behörde dahingehend begründet, dass der BF niemals habe darauf vertrauen können, sich wegen des Asylantrages, welcher auf falsche Behauptungen gestützt war, in Österreich bleiben zu können.

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, dabei wurden diverse integrative Aspekte in den Vordergrund gerückt. Der BF verwies darüber hinaus auf seine bisherigen Angaben und wiederholte im Wesentlichen seine Fluchtgründe, die ihn zur Flucht aus Weißrussland veranlasst haben sollen.

Am 18.10.2018 wurde der BF durch das erkennende Gericht nochmals zu den angeblich fluchtauslösenden Ereignissen, den bisherigen Verfahren in der Europäischen Union und der Schweiz sowie zu seiner Integration im Bundesgebiet befragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat nach Durchführung einer Beschwerdeverhandlung am 18.10.2018 erwogen:

Beweis wurde erhoben durch den Inhalt des vorliegenden Verwaltungsakts des BF, beinhaltend die niederschriftlichen Einvernahmen vor dem BFA, die Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, die vorgelegten Dokumente bzw. Unterlagen, die Beschwerde vom 19.12.2017, durch Einsicht in Auszüge aus ZMR, GVS, IZR und Strafregister und schließlich durch Berücksichtigung aktueller Länderinformationen zum Herkunftsstaat.

1. Feststellungen:

Feststellungen zum BF:

Der BF ist Staatsangehöriger von Weißrussland. Er ist Angehöriger der weißrussischen Volksgruppe. Seine Identität steht nach Vorlage unbedenklicher Dokumente (Führerschein) fest.

Nicht festgestellt werden kann, dass dem BF in Weißrussland mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität - oder eine sonstige Verfolgung maßgeblicher Intensität - in der Vergangenheit gedroht hat bzw. aktuell droht.

Nicht festgestellt werden kann, dass der BF im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Weißrussland in seinem Recht auf Leben gefährdet wären, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würde oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass der BF im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde und ihm die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

Darüber hinaus kann nicht festgestellt werden, dass der BF an dermaßen schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen leidet, welche eine Rückkehr nach Weißrussland iSd. Art. 3 EMRK unzulässig machen würden. Vielmehr ist der BF gesund.

Der BF hat Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 erworben, er spielt in der Freizeit Fußball, fährt Ski und betreibt Sport. Seinen Unterhalt bestreitet er seit Jahren aus Mitteln der Grundversorgung.

Im Herkunftsstaat verfügt der BF über familiären Anschluss. Dort konnte er bis zur Ausreise das wirtschaftliche Auslangen finden. Im Falle der Rückkehr steht es dem BF frei, den Unterhalt durch eigene Tätigkeit zu erwirtschaften.

Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat des BF:

A.) Aktuelles Länderinformationsblatt der Staatendokumentation:

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

Keine aktuellen Kurzinformationen vorhanden.

2. Politische Lage

Die Republik Belarus hat bei einer Landesfläche von 207.600 Quadratkilometern eine Bevölkerung von 9,5 Millionen (Stand 1.7.2014). Staatsoberhaupt ist seit 20.7.1994 Präsident Alexander Grigorjewitsch Lukaschenko, der diktatorisch herrscht. Er wurde zuletzt am 11.10.2015 für weitere 5 Jahre gewählt. Regierungschef ist Andrej Kobjakow. Das weißrussische Parlament (Nationalversammlung) umfasst 110 Abgeordnete in der Repräsentantenkammer und 64 Deputierte im Rat der Republik. Die Mitglieder der Repräsentantenkammer wurden zuletzt am 11.9.2016 gewählt (AA 3.2017a).

Ihre staatliche Unabhängigkeit erhielt die Republik Belarus im Dezember 1991 mit der Auflösung der Sowjetunion. Im Sommer 1994 fanden erstmals Präsidentschaftswahlen statt, aus denen Alexander Lukaschenko mit über 80% der Stimmen als Sieger hervorging (AA 3.2017b). Seit Anfang der 1990er Jahre und besonders nach 1996 hat Belarus ein parteiloses politisches System gefördert (FH 29.3.2017). Eine Regierungspartei im eigentlichen Sinn gibt es in Weißrussland nicht. Mehr als 95% der Abgeordneten des belarussischen Parlaments sind parteilos. Im November 2007 wurde die pro-Lukaschenko-Sammelbewegung "Belaja Rus" gegründet, die sich nach ihrem Statut in eine Partei umwandeln könnte, was jedoch bisher nicht geschehen ist (AA 3.2017a). Politischen Parteien und nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) wird keine wichtige Rolle bei der Entscheidungsfindung zuerkannt (FH 29.3.2017).

Im November 1996 ließ Präsident Lukaschenko ein Referendum zur Änderung der Verfassung abhalten, das ihm erheblich erweiterte Machtbefugnisse zu Lasten der demokratischen Gewaltenteilung einräumte. Der Präsident verfügt über umfangreiche legislative Rechte und kann präsidiale Dekrete, Erlässe und Anordnungen mit bindender, de facto den Gesetzen übergeordneter Wirkung, erlassen. Die Präsidentschaftswahlen am 19. Dezember 2010 entsprachen nicht den OSZE-Standards. Noch am Wahlabend folgten gewalttätige Übergriffe der Ordnungskräfte gegen Demonstranten. Es erfolgten über 700 Festnahmen und in weiterer Folge eine umfassende Repressionswelle gegen die Opposition sowie gegen unabhängige Medien und die Zivilgesellschaft. Die EU reagierte mit Sanktionen. Die Präsidentschaftswahl am 11. Oktober 2015 gewann Staatspräsident Lukaschenko erneut mit über 80% der Stimmen. Nachdem die Präsidentschaftswahl zwar mit erheblichen Mängeln, aber im Vergleich zu 2010 gewalt- und repressionsfrei und unter umfassender internationaler Beobachtung erfolgt war, wurden die von der EU verhängten Sanktionen gegen Weißrussland zunächst suspendiert und dann Ende Februar 2016 weitgehend aufgehoben. Auch die Parlamentswahlen am 11. September 2016 verliefen trotz bestehender Kritikpunkte weitgehend repressionsfrei (AA 3.2017b).

Bemerkenswert ist, dass bei den Parlamentswahlen am 11. September 2016 erstmals seit 20 Jahren nun auch oppositionelle Abgeordnete gewählt wurden. Die junge Anwältin Anna Kanopazkaja gewann einen Sitz für die liberale Vereinigte Bürgerpartei und Jelena Anisim von der Gesellschaft für Weißrussische Sprache trat als Unabhängige an, gilt jedoch ideologisch der gegen Ende der Sowjetunion gegründeten Weißrussischen Nationalen Front (BNF) nahe und setzt sich für eine Stärkung der weißrussischen Sprache ein. Die restlichen der insgesamt 110 Mandate gingen an regimetreue Kandidaten. Nach Angaben der Wahlkommission lag die Wahlbeteiligung bei knapp 75%. Beobachter werten die Wahl der beiden Oppositionellen als Zeichen für eine gewisse Kooperationsbereitschaft von Machthaber Alexander Lukaschenko mit dem Westen, der sich in diesem Zusammenhang wohl auch eine Stärkung der wirtschaftlichen Beziehungen erhofft, um sein Land aus der tiefen Wirtschaftskrise führen zu können. Manche Beobachter vertreten auch die Auffassung, Lukaschenko habe die beiden Oppositionellen ins Parlament einziehen lassen, um die Kritik von EU und Vereinigten Staaten zu neutralisieren, dass es in Weißrussland keine demokratischen Wahlen gäbe (ZO 12.9.2016; vgl. RFE/RL 11.9.2016 und NZZ 12.9.2016). Tatsächlich kritisierte die OSZE die Wahlen wegen mangelnder demokratischer Standards (OSZE 11.9.2016; vgl. NZZ 12.9.2016). Neben ungleichen Bedingungen für die Kandidaten und der staatlichen Dominanz der Medien bestand ein entscheidender Mangel an Transparenz, der Zweifel an den offiziellen Ergebnissen aufkommen ließ (FH 29.3.2017).

Insgesamt betrachtet hat Weißrussland seit Anfang der 1990er Jahre keine Wahl abgehalten, die als frei und demokratisch bewertet wurde (RFE/RL 11.9.2016).

Obwohl die politische Opposition unter ungünstigen Bedingungen operiert und regelmäßig mit administrativem Druck oder Unterdrückung konfrontiert ist, hat sich das allgemeine politische Klima in den letzten beiden Jahren insgesamt etwas verbessert. Die wirtschaftliche Situation bleibt schwierig, die außenpolitischen Beziehungen zur Europäischen Union und zu den Vereinigten Staaten haben sich zuletzt deutlich entspannt (FH 29.3.2017). Allerdings hat sich im Zuge massiver Proteste gegen einen Gesetzesvorschlag im März 2017 ("Antiparasitismus"-Steuer) gezeigt, dass die Regierung zumindest zwischenzeitlich zu ihren Praktiken der Massenverhaftungen und gefälschten Anschuldigungen zurückgekehrt ist. Die Tatsache, dass der Präsident allerdings kurz nach den Demonstrationen beschlossen hat, die Einziehung der "Antiparasitismus"-Steuer auszusetzen, lässt den Schluss zu, dass er und seine Regierung sehr wohl auf die öffentlichen Widerstand hören können, wenn dieser eine bestimmte Schwelle erreicht. Nach Ansicht des Sonderberichterstatters zeigt die weitgehend unterdrückungszentrierte offizielle Reaktion auf die Ereignisse jedoch, dass die Regierungsführung in Belarus darauf abzielt, die Konsolidierung der Macht in den Händen des Präsidenten und seiner Verwaltung zu schützen, anstatt Orte für alternative Ideen zu schaffen (UN 22.9.2017).

Trotz traditionell enger Beziehungen zwischen Russland und Weißrussland gehört Minsk inzwischen zu Moskaus schwierigsten postsowjetischen Partnern. Seit mindestens drei Jahren ändert Lukaschenko schleichend seinen prorussischen Kurs. Schlüsselmoment dafür war die Annexion der Krim, die Weißrussland bis heute nicht als russisches Territorium anerkennt. Vielmehr wird offen die territoriale Integrität der Ukraine unterstützt. Als Reaktion auf die von Minsk eingeführte Visa-Freiheit für Kurzbesuche von EU-Bürgern führte Russland nach beinahe 20 Jahren wieder Grenzkontrollen zu Weißrussland ein. Linienflüge aus Weißrussland, zuvor wie Inlandsflüge behandelt, werden in Russland nun in internationalen Terminals abgefertigt. Allmählich machen sich Lukaschenkos Behörden Positionen zu eigen, die zuvor seinen Gegnern vorbehalten und vom Staat unterdrückt waren, wie die Betonung der Rolle der weißrussischen Sprache oder den kritischen Zugang zum Erbe von Sowjetunion und Romanow-Reich (WeltN24 18.11.2017 und 11.2.2015, vgl. CoE 6.6.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Belarus, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/belarus-node, Zugriff 17.10.2017

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AA - Auswärtiges Amt (10.2017b): Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/belarus-node/-/202924, Zugriff 17.10.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (10.2017c): Außenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/belarus-node/-/202922, Zugriff 17.10.2017

-

CoE - Council of Europe Parlamentary Assembly (6.6.2017): Bericht zu Menschenrechten sowie zu bürgerlichen und politischen Rechten in Belarus (Lage nach Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, die 2015 bzw. 2016 abgehalten wurden; Menschenrechtslage und neue Welle von Repressalien mit Stand März 2017; Außenbeziehungen, https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1497354295_the-situation-in-belarus.pdf, Zugriff 20.11.2017

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FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017, https://www.ecoi.net/local_link/338522/481524_de.html, Zugriff 18.10.2017.

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NZZ - Neue Zürcher Zeitung (12.9.2016): Zwei Oppositionelle gewählt,

http://www.nzz.ch/international/europa/weissrussland-zwei-oppositionelle-gewaehlt-ld.116368, Zugriff 17.10.2017

-

OSZE - Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (11.9.2016): International Election Observation Mission, Republic of Belarus - Parliamentary Elections, 11.9.2016, http://www.osce.org/odihr/elections/263656?download=true, Zugriff 23.10.2017

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RFE/RL - Radio Free Europe / Radio Liberty (11.9.2016):Opposition Figures Win Seats In Belarusian Parliament, http://www.rferl.org/content/article/27980719.html, Zugriff 18.10.2017

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UN General Assembly (22.9.2017): Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in Belarus, https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1508760889_n1729738.pdf, Zugriff 22.11.2017

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WeltN24 (18.11.2017): Putins widerpenstiger Bruder, https://www.welt.de/politik/ausland/article170709919/Putins-widerspenstiger-Bruder.html, Zugriff 20.11.2017

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WeltN24 (11.2.2015): Kämpfen, auch wenn der Gegner Putin heißt, https://www.welt.de/politik/ausland/article137355346/Kaempfen-auch-wenn-der-Gegner-Putin-heisst.html, Zugriff 20.11.2017

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ZO - Zeit Online (12.9.2016): Oppositionelle schaffen es ins Parlament von Belarus,

http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-09/alexander-lukaschenko-belarus-wahl-opposition-parlament, Zugriff 18.10.2017

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3. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Weißrussland ist gut (BMEIA 3.10.2017).

Quelle:

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BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (3.10.2017): Belarus. Sicherheit und Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/belarus/, Zugriff 4.12.2017

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4. Rechtsschutz/Justizwesen

Die Justiz in Weißrussland ist nicht unabhängig. Die volle Exekutivgewalt und auch ein bedeutender Teil der Gesetzgebungsbefugnis liegen beim Präsidenten, der auf eigene Initiative Dekrete erlassen kann, denen eine größere Rechtskraft zukommt als der gewöhnlichen Gesetzgebung. Außerdem hat der Präsident praktisch unbegrenzte Befugnisse bei der Ernennung von Richtern und bei der Neuordnung von Gerichten (FH 29.3.2017).

Das Verfassungsgericht ist nicht unabhängig. Vor allem dann nicht, wenn es Entscheidungen zu fällen hat, die für den Präsidenten von wesentlicher Bedeutung sind. Letzterer ernennt die Verfassungsrichter, wobei er gemäß Verfassung über sechs Richter allein entscheiden kann, während die übrigen sechs Richter die Zustimmung des Oberhauses der Nationalversammlung (Rat der Republik) benötigen. Alle Richterernennungen (nicht nur für die obersten Gerichte) erfolgen grundsätzlich per Präsidialerlass (AA 21.6.2017).

Korruption, Ineffizienz und politische Einmischung in Gerichtsentscheidungen sind weit verbreitet. Gerichte verurteilen Personen aufgrund falscher und politisch motivierter Anklagen. Beobachtern zufolge diktieren hohe Regierungsvertreter und Behörden die Urteile. Menschenrechtsorganisationen beklagen, dass Staatsanwälte zu viel Macht hätten und somit beispielsweise die Haft ohne Hinzuziehung eines Richters verlängern können. Auch ist zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung ein Machtgefälle gegeben. Verteidiger können Ermittlungsakten nicht einsehen, bei Verhören nicht anwesend sein oder Beweise gegen Angeklagte prüfen, bis ein Staatsanwalt den Fall förmlich vor Gericht gebracht hat. Das alles gilt besonders für Fälle mit einem politischen Hintergrund. Rechtsanwälte unterstehen dem Justizministerium und müssen ihre Lizenz alle fünf Jahre erneuern lassen. Laut Gesetz gilt die Unschuldsvermutung. Der Mangel an richterlicher Unabhängigkeit, Vorverurteilung durch die staatlichen Medien und weit verbreitete Einschränkungen der Verteidigungsrechte bringen es aber mit sich, dass es tatsächlich häufig dem Angeklagten obliegt, seine Unschuld zu beweisen. Obwohl die Gesetze öffentliche Verfahren garantieren, wird die Öffentlichkeit gelegentlich ausgeschlossen. Es gibt keine Geschworenenprozesse. Richter entscheiden alleine oder in schweren Fällen im Kollegium mit zwei Laienrichtern. Die Rechte der Verteidigung werden nicht in vollem Maße respektiert. Auch das Recht des Angeklagten auf Durchführung des Prozesses in belarussischer Sprache und auf freie Wahl des Verteidigers wird immer wieder eingeschränkt. NGO-Anwälte dürfen etwa nur Mitglieder ihrer NGO vertreten. Anwälte, die politisch heikle Fälle übernehmen, erhalten regelmäßig Berufsverbote. Auch müssen Verteidiger häufig Geheimhaltungsvereinbarungen unterschreiben, die es erschweren, Informationen über das Verfahren nach außen dringen zu lassen. Überdies werden von den Gerichten Aussagen zugelassen, die durch die Androhung körperlicher Gewalt während der Verhöre zustande gekommen waren. Das Beschwerderecht gegen Gerichtsentscheidungen wird von den meisten Verurteilten genutzt; trotzdem werden Urteile in der Mehrheit der Fälle bestätigt (USDOS 3.3.2017).

Richter genießen zwar eine gewisse Autonomie, doch besteht - insbesondere wenn ein Fall wesentliche Interessen der Behörden betrifft - die Möglichkeit, direkt Einfluss auf die Richter zu nehmen und endgültige gerichtliche Entscheidungen zu revidieren. Dies gilt sowohl für strafrechtliche als auch verwaltungsrechtliche Fälle, einschließlich derjenigen, die sich auf die Unterdrückung politischer Aktivitäten im Land beziehen, sowie auf Zivilsachen, die die wirtschaftlichen Interessen der herrschenden Kreise oder staatseigener Unternehmen betreffen. Die Einflussnahme erfolgt in der Regel durch direkte Weisungen von Exekutivbeamten an Gerichtshöfe, die den Richtern dann die entsprechenden Anweisungen übermitteln (FH 29.3.2017).

2016 war die politische Abhängigkeit der Gerichte in Verwaltungsverfahren gegen die Organisatoren von Straßenprotesten deutlich sichtbar. Menschenrechtsorganisationen wiesen auf die Verwendung von Gerichten hin, um politische Aktivisten, Journalisten und Vertreter der Zivilgesellschaft während des Jahres zu bestrafen. Der offensichtlichste Indikator für die Politisierung von Gerichten ist die rasche Revision der Strafverfolgungspolitik nach einer Änderung der politischen Situation. Bei der Prüfung der Mehrheit der Wahlstreitigkeiten nehmen die Gerichte auch die Seite der Behörden ein (FH 29.3.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.6.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Belarus, per E-Mail

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FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Belarus, https://www.ecoi.net/local_link/338522/481524_de.html, Zugriff 20.10.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Belarus, https://www.ecoi.net/local_link/337124/479884_de.html, Zugriff 17.10.2017

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5. Sicherheitsbehörden

Die Sicherheitsbehörden wie das Innenministerium, das Komitee für Staatssicherheit (KGB) und das 2012 neu aufgestellte Ermittlungskomitee, unterliegen keiner effektiven unabhängigen parlamentarischen oder sonstigen Kontrolle. Sie unterstehen unmittelbar dem Präsidenten. Die Sicherheitsorgane werden für die gezielte Einschüchterung politischer Gegner - vor allem bei nicht genehmigten Demonstrationen - instrumentalisiert. Ein im Juli 2012 in Kraft getretenes neues Gesetz gibt dem Geheimdienst KGB polizeiliche Befugnisse, die er aber de facto auch schon vorher ausübte. Durchsuchungen von Wohnungen und Büros, Festnahmen und falls erforderlich auch Anwendung von Waffengewalt liegen nunmehr ausdrücklich auch in der Befugnis des KGB. Die Justiz trägt nicht zur Mäßigung der Sicherheitsorgane bei, vielmehr wird das Rechtssystem zur staatlich geleiteten Repression und Einschüchterung aktiv genutzt. Die Streitkräfte sind grundsätzlich nicht mit polizeilichen Aufgaben betraut (AA 21.5.2017).

Die zivilen Behörden, insbesondere Präsident Lukaschenko, üben die tatsächliche Kontrolle über die Sicherheitskräfte aus. Der Präsident hat das Recht, alle Sicherheitsorgane seinem persönlichen Kommando zu unterstellen. Die Polizei untersteht dem Innenministerium. Der KGB, die Abteilung für Finanzuntersuchungen des Staatlichen Kontrollkomitees, das Untersuchungskomitee und die präsidentiellen Sicherheitsdienste üben ebenfalls Polizeifunktionen aus. Einzelpersonen können Polizeiübergriffe zwar der Staatsanwaltschaft anzeigen, aber die Regierung geht diesen oft nicht nach bzw. bestraft die Täter nicht. Die Behörden agieren generell in einem Klima der Straflosigkeit (USDOS 3.3.2017).

Quellen:

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AA- Auswärtiges Amt (21.6.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Belarus, per E-Mail

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Belarus, https://www.ecoi.net/local_link/337124/479884_de.html, Zugriff 17.10.2017

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6. Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassung von 1996 verbietet Folter und andere Arten unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung.

Menschenrechtsaktivisten und Anwälte sowie unabhängige weißrussische Medien berichteten demgegenüber mehrfach, dass Untersuchungsbehörden durch physischen und psychischen Druck versuchen, Geständnisse zustande zu bringen. Bei Festnahmen und Vernehmungen durch die Miliz kommt es mitunter auch zu schweren körperlichen Übergriffen. Die dafür Verantwortlichen innerhalb der Sicherheitskräfte müssen kaum mit Verfolgung rechnen (AA 21.6.2017).

Inhaftierte werden von Mitarbeitern der Staatssicherheit (KGB), der Bereitschaftspolizei und anderer Sicherheitskräfte, die oft in zivil auftreten, regelmäßig geschlagen. Die Sicherheitskräfte sollen Berichten zufolge auch Personen während der Ermittlungen misshandeln. Menschenrechtsverteidiger, Oppositionsführer und Aktivisten, die aus Haftanstalten entlassen wurden, berichteten weiterhin von Misshandlung und anderen Formen körperlichen und psychischen Missbrauchs von Verdächtigen während strafrechtlicher und administrativer Ermittlungen. Angriffe auf neue Rekruten sollen in der Armee weiterhin vorkommen, mit Schlägen und anderen Formen physischer und psychischer Misshandlung. Beobachter sprechen davon, dass es im Vergleich zu den Vorjahren weniger derartige Fälle gegeben haben mag, da die Regierung die Verfolgung der Täter verstärkt hat. So berichteten beispielsweise am 12.1.2017 verschiedene Medien, dass ein Landgericht in Hrodna zwei hochrangige Polizeibeamte in geschlossenen Anhörungen zu vier Jahren bzw. sechs Jahren Gefängnis verurteilt hat, weil sie "Verbrechen im Zusammenhang mit Gewalt, Folter oder Missbrauch von Verdächtigen begangen haben". Die Behörden hätten den beiden nach ihrer Haftentlassung für fünf Jahre verboten, Positionen in Strafverfolgungsbehörden zu bekleiden (USDOS 3.3.2017).

Auch Freedom House berichtet davon, dass die Behörden die Anwendung von Folter durch Strafverfolgungsbehörden insgesamt eingeschränkt zu haben scheinen, wenngleich als Beispiel für den zyklischen Aspekt der Repression in Weißrussland die Ereignisse im Februar und März 2017 gezeigt haben, dass immer noch auf Folter zurückgegriffen wird. So wird berichtet, dass eine Reihe von Personen, die an den Demonstrationen gegen das Präsidialdekret Nr. 3 teilgenommen haben, während ihrer Festnahme und Inhaftierung willkürlich misshandelt wurden. Auch ist in einigen Fällen die Rede von Elektroschocks, Wasserentzug, Verweigerung der medizinischen Versorgung und ähnlichen Maßnahmen. In den Berichten wird insbesondere auf die Haftanstalten des Staatssicherheitsausschusses in Minsk hingewiesen. Besonders bedenklich scheint die Situation auch in der Haftanstalt der Bezirke Homiel und Tsentralny zu sein; dort wurde den Häftlingen mehrere Tage lang Heizung und fließendes Wasser zum Duschen vorenthalten. Wegen des Ausmaßes der erniedrigenden Behandlung und der hohen Zahl angeblicher Folterfälle hat ein Menschenrechtsverteidiger, eine öffentliche Beschwerde an den Generalstaatsanwalt gerichtet: Dieser hat sich jedoch geweigert, eine entsprechende Untersuchung durchzuführen. Dies verdeutlicht nach Ansicht des Sonderberichterstatters die mangelnde Bereitschaft der staatlichen Behörden, systemische Fragen anzuerkennen (UN 22.9.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.5.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Belarus, per E-Mail

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UN - United General Assembly (22.9.2017): Situation of human rights in Belarus; Note by the Secretary-General; Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in Belarus, https://ecoi3.ecoi.net/en/file/local/1416268/1226_1508760889_n1729738.pdf, Zugriff 4.12.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Belarus, https://www.ecoi.net/local_link/337124/479884_de.html, Zugriff 17.10.2017

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7. Korruption

Korruption stellt auf allen Regierungsebenen ein Problem dar, kommt aber im Rahmen der alltäglichen Interaktion zwischen Bürgern und kleinen Staatsbeamten in der Regel nicht vor. Das Nichtvorhandensein eines unabhängigen Justizsystems und einer unabhängigen Strafverfolgung sowie das Fehlen von Gewaltenteilung und einer unabhängigen Presse machen es aber praktisch unmöglich, das tatsächliche Ausmaß der Korruption abzuschätzen oder effektiv zu bekämpfen. Die Generalstaatsanwaltschaft ist für die Organisation und Koordinierung der Aktivitäten zur Bekämpfung der Korruption einschließlich der Überwachung der Strafverfolgungsmaßnahmen, der Analyse der Wirksamkeit der umgesetzten Maßnahmen sowie der Ausarbeitung weiterer Rechtsvorschriften zuständig. Sie berichtete, dass Gerichte von Januar bis Mai 2016 451 Korruptionsfälle im Vergleich zu 533 Fällen im gleichen Zeitraum im Jahr 2015 behandelt haben. Die korruptesten Sektoren waren hierbei die staatliche Verwaltung und Beschaffung, der Industriesektor, die Bauindustrie, das Gesundheitswesen und die Bildung. Im Juli 2015 unterzeichnete der Präsident ein Gesetz zur Antikorruptionsgesetzgebung, das am 24. Januar 2016 in Kraft trat und die bestehenden Korruptionsbekämpfungsvorschriften verstärken sollte. Nach dem geänderten Gesetz sind Personen, die wegen Korruption auf geringerem Niveau entlassen werden, mit einem fünfjährigen Beschäftigungsverbot im öffentlichen Dienst konfrontiert, während sie bei schwerwiegenderen Missbräuchen auf unbestimmte Zeit von staatlichen Stellen ausgeschlossen sind. Das Gesetz erlaubt auch die Beschlagnahme von über 25% des jährlichen Einkommens von Beamten, die sich korrupter Praktiken schuldig gemacht haben. Antikorruptionsgesetze verlangen weiters Einkommen- und Vermögenserklärungen von ernannten und gewählten Beamten, ihren Ehepartnern und Mitgliedern von Haushalten, die das gesetzliche Alter erreicht haben und weiterhin mit ihnen im selben Haushalt leben. Dem Gesetz zufolge überwachen und korrigieren Spezialkorruptionsabteilungen innerhalb des Generalstaatsanwaltsbüros, des KGB und des Innenministeriums Antikorruptionspraktiken, und der Generalstaatsanwalt und alle Staatsanwälte sind beauftragt, die Durchsetzung des Antikorruptionsgesetzes zu überwachen. Eine Ausnahme gilt für Kandidaten, die in Präsidentschafts-, Parlaments- und Kommunalwahlen tätig sind. Es gibt administrative Sanktionen und Disziplinarstrafen bei Nichteinhaltung (USDOS 3.3.2017).

Darüber hinaus haben korrupte Beamte keine Pensionsansprüche. Auch wird ein Institut für öffentliche Kontrolle mit Mechanismen für Bürgerbeteiligung eingerichtet (FH 29.3.2017).

Unternehmen im öffentlichen Beschaffungswesen werden zugunsten von staatseigenen Unternehmen diskriminiert und informelle Zahlungen oder die Abgabe von Geschenken zur Sicherung von Regierungsverträgen sind übliche Praktiken. Während Kleinkriminalität relativ begrenzt ist, bleibt Korruption auf hoher Ebene ungestraft. Die Antikorruptionsbestimmungen sind vage und erfordern eine Verbesserung. Darüber hinaus werden die Korruptionsbekämpfungsgesetze schlecht durchgesetzt (GAN 6.2017).

Die überwiegende Mehrheit der Informationen über Korruption stammt aus offiziellen Quellen, und die Tätigkeit der NGOs in diesem Bereich ist aufgrund ihres fehlenden Zugangs zu Informationen begrenzt. Investigativer Journalismus mit Schwerpunkt auf Korruption ist selten. Präsident Lukaschenko nutzt den Kampf gegen die Korruption, um die Popularität und Legitimität der Regierung zu erhöhen. Offizielle Antikorruptionsprozesse und ihre Berichterstattung in den Medien sind zu einem Standard des politischen Lebens geworden. Um die Kohärenz im Kampf gegen Korruption zu demonstrieren, kündigten die Behörden im Jahr 2016 Strafverfolgungen kleiner und auch hochrangiger Beamten und sogar eines dem Präsidenten nahestehenden Geschäftsmanns an. Dieser wurde der Steuerhinterziehung angeklagt, dann aber unter der Bedingung der Begleichung seiner Steuerschulden wieder auf freien Fuß gesetzt (FH 29.3.2017).

Im Laufe des Jahres gab es zahlreiche weitere Korruptionsermittlungen, aber die Strafverfolgung blieb selektiv, undurchsichtig, und erschien, laut unabhängigen Beobachtern und Menschenrechtsverteidigern, in einigen Fällen politisch motiviert. Am 1. März verurteilten die Behörden Vyachaslau Pakholchyk, einen ehemaligen Chef der örtlichen Exekutivbehörden in der Stadt Uzda, zu sieben Jahren Gefängnis. Sein Vermögen wurde eingezogen wegen der Annahme eines Bestechungsgeldes in Höhe von etwa 31.500 Rubel (15.000 US-Dollar). Pakholchyk wurde auch verboten, für fünf Jahre in Verwaltungspositionen zu dienen (USDOS 3.3.2017).

Im September 2016 veröffentlichte die Gruppe der Staaten des Europarates gegen Korruption (GRECO) eine Zusammenfassung ihres Berichts über Weißrussland. Hierbei wird festgestellt, dass Weißrussland nur eine der 20 anhängigen Empfehlungen zur Korruptionsbekämpfung umgesetzt hat, während bei anderen kein Fortschritt registriert wurde. Der einzige Bereich, in dem Fortschritte erzielt wurden, betrifft die Einführung einer Verwaltungshaftung juristischer Personen für Geldwäschedelikte. Eine evidenzbasierte umfassende Strategie und ein Aktionsplan sowie unabhängige Mechanismen zur Korruptionsbekämpfung fehlen noch immer. Es wurden keine Initiativen ergriffen, um die Unabhängigkeit des Generalstaatsanwalts oder der Justiz zu stärken (CoE 8.9.2017).

Es ist üblich, korrupte Personen zu begnadigen, den finanziellen Schaden aber durch Bußgelder in zumindest doppelter Höhe des veruntreuten Betrags zu kompensieren. Dies schafft Möglichkeiten für den Missbrauch von Begnadigungen und erhöht das Potenzial für eine de facto Kommerzialisierung von Antikorruptionsmaßnahmen (FH 29.3.2017).

Weißrussland liegt im 2016 Corruption Perceptions Index von Transparency International mit einer Bewertung von 40 von 100 (0=sehr korrupt, 100=nicht korrupt) auf Platz 79 (von 176) und hat sich in den vergangenen drei Jahren um 44 Plätze im Ranking verbessert. Damit liegt das Land gleichauf mit Brasilien, China und Indien und vor z.B. Russland, das Platz 131 einnimmt (TI 2016, vgl. TI 2013).

Quellen:

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COE (8.9.2017): 72nd GRECO Plenary Meeting: Summary Report, Group of States against Corruption, https://rm.coe.int/16806cb6f0, Zugriff 23.10.2017

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FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017, https://www.ecoi.net/local_link/338522/481524_de.html, Zugriff 18.10.2017.

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GAN - Business Anti Corruption Portal (6.2017) Belarus Corruption Report,

http://www.business-anti-corruption.com/country-profiles/belarus, Zugriff 23.10.2017

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TI - Transparency International (2013): Corruption Perceptions Index, https://www.transparency.org/cpi2013/results, Zugriff 23.10.2017

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TI - Transparency International (2016): Corruption Perceptions Index,

https://www.transparency.org/news/feature/corruption_perceptions_index_2016, Zugriff 23.10.2017

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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