Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Doralt, über die Beschwerde des J H in G, vertreten durch Dr. Gerald Kreuzberger, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 10/3, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 11. März 1999, Zl. 11-39-290/98-6, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die gegen den Erstbescheid der Bundespolizeidirektion Graz vom 21. April 1998, mit dem dem Beschwerdeführer gemäß § 74 Abs. 1 in Verbindung mit § 73 Abs. 3 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A und B auf die Dauer von zwei Wochen vorübergehend entzogen sowie einer Berufung gegen diesen Bescheid gemäß § 64 Abs. 2 AVG die aufschiebende Wirkung aberkannt worden ist, erhobene Berufung abgewiesen.
In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend und beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Grund für die bekämpfte Entziehungsmaßnahme war, dass der Beschwerdeführer am 1. Juli 1997 als Lenker eines Pkws die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf einem näher bezeichneten Autobahnabschnitt um mehr als 50 km/h überschritten habe. Wegen dieser Geschwindigkeitsüberschreitung wurde er rechtskräftig bestraft (Bescheide der Bundespolizeidirektion Graz vom 13. März 1998 und des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 11. Dezember 1998).
1. Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, dass der erstinstanzliche Entziehungsbescheid (Bundespolizeidirektion Graz vom 21. April 1998) mehr als zehn Monate nach dem besagten Vorfall ergangen ist. Zu diesem Zeitpunkt sei er nicht mehr verkehrsunzuverlässig gewesen, da während dieser Zeit gegen ihn keine "verkehrsrechtlichen Beanstandungen" vorgelegen seien.
Die belangte Behörde verweist in diesem Zusammenhang zutreffend auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach bei jenen Entziehungsmaßnahmen, die nach Art und Ausmaß im Gesetz abschließend geregelt sind - wie es bei der gegenständlichen Entziehung nach § 73 Abs. 3 in Verbindung mit § 66 Abs. 2 lit. i KFG 1967 der Fall ist -, eine aktuelle Verkehrsunzuverlässigkeit nicht erforderlich und eine derartige Entziehung (im Anwendungsbereich des KFG 1967) innerhalb eines Jahres von der Vollstreckung der Strafe bzw. der Entrichtung der Geldstrafe an zulässig ist (vgl. das Erkenntnis vom 28. November 1996, Zl. 96/11/0254).
2. Der Beschwerdeführer hält weiters den Ausspruch des erstinstanzlichen Entziehungsbescheides vom 21. April 1998 betreffend den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Berufung nach § 64 Abs. 2 AVG für rechtswidrig. Da seit der Tat bereits mehr als 10 Monate vergangen seien und er sich in dieser Zeit nichts habe zu Schulden kommen lassen, was seine Verkehrsunzuverlässigkeit begründen könnte, sei die Entziehung der Lenkerberechtigung keinesfalls im Sinne des § 64 Abs. 2 AVG wegen Gefahr im Verzug dringend geboten gewesen.
Dieses Vorbringen richtet sich der Sache nach gegen den erstinstanzlichen Entziehungsbescheid. Die belangte Behörde hat mit dem angefochtenen Bescheid in der Sache selbst abschließend entschieden, indem sie den erstinstanzlichen Entziehungsausspruch wie auch den Ausspruch nach § 64 Abs. 2 AVG bestätigte. Es ist nicht ersichtlich, dass dadurch Rechte des Beschwerdeführers verletzt worden wären. Die belangte Behörde hätte die Tatsache, dass die Entziehung bereits mit Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides wirksam geworden ist, nicht mehr aus der Welt schaffen können. Eine Aufhebung des erstinstanzlichen Ausspruches nach § 64 Abs. 2 AVG und die Entziehung der Lenkerberechtigung nunmehr mit Wirkung ab Erlassung des angefochtenen Bescheides hätte für den Beschwerdeführer im Ergebnis die Entziehung der Lenkerberechtigung in der Dauer von insgesamt vier Wochen bedeutet und ihn damit bedeutend schlechter gestellt.
In diesem Zusammenhang sieht sich der Verwaltungsgerichtshof zu der Feststellung veranlasst, dass in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem neun Monate nach der Tat eine Entziehung der Lenkerberechtigung für zwei Wochen verfügt wird, die Annahme von Gefahr im Verzug und der darauf gestützte Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Berufung nicht in Betracht kommt.
3. In der Sache selbst ging die belangte Behörde von der Annahme aus, der Beschwerdeführer habe am 1. Juli 1997 mit einem Pkw auf der Autobahn die durch Verkehrszeichen kundgemachte zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 50 km/h überschritten, was durch Nachfahren in gleichbleibendem Abstand mit einem mit einer geeichten "Pro-Vi-Da-Anlage" ausgestatteten Dienstfahrzeug festgestellt worden sei, und dadurch eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. i KFG 1967 gesetzt.
Der Beschwerdeführer macht in diesem Zusammenhang geltend, eine Bindung der Entziehungsbehörde an das Ausmaß der von den Verwaltungsstrafbehörden der Bestrafung zugrunde gelegten Geschwindigkeitsüberschreitung sei nicht gegeben und es hätte ihm daher im Entziehungsverfahren vor Erlassung des Entziehungsbescheides Parteiengehör und Einblick in die bei dem Vorfall hergestellte Videoaufzeichnung gewährt werden müssen.
Der Beschwerdeführer hat keine konkreten Angaben über sein Vorbringen im Falle, dass ihm die vermissten Mitwirkungsrechte eingeräumt worden wären, gemacht, aus welchen Gründen die Annahme der belangten Behörde über das Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung mangelhaft sein sollte. Nach den Angaben in der Anzeige des Landesgendarmeriekommandos für Steiermark vom 1. Juli 1997 erfolgte das Nachfahren, bei dem die qualifizierte Geschwindigkeitsüberschreitung festgestellt wurde, über eine Strecke von 850 m; dabei hat der Beschwerdeführer angeblich unterschiedliche Fahrgeschwindigkeiten zwischen 168 und 134 km/h eingehalten.
Da die belangte Behörde keine eigenen Ermittlungen zum Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung angestellt hat, hat sie ihr Ermittlungsverfahren mangelhaft geführt. Dieser Verfahrensmangel wäre freilich dann nicht wesentlich, und zöge nicht die Aufhebung des angefochtenen Bescheides nach sich, wären die von den Behörden des Verwaltungsstrafverfahrens getroffenen Feststellungen dergestalt, daß daraus schlüssig eine Fahrgeschwindigkeit des Beschwerdeführers, die die zulässige verordnete um mehr als 50 km/h überstiegen hätte, ableitbar wäre. Das ist nicht der Fall. Die belangte Behörde ist nach der Begründung ihres Bescheides von den Feststellungen der Strafbehörde erster Instanz ausgegangen. Danach wären dem Beschwerdeführer drei Geschwindigkeitsüberschreitungen zur Last gefallen; er sei zunächst mit 167 km/h statt mit den höchstzulässigen 100 km/h, sodann mit 168 km/h statt der höchstzulässigen 80 km/h und schließlich mit 134 km/h statt der höchstzulässigen 60 km/h gefahren. Der Beschwerdeführer hätte damit sein Fahrzeug während der beobachteten und der Schätzung zugrundegelegten Fahrt zunächst geringfügig beschleunigt und in der Folge nicht unerheblich verlangsamt. Dies wäre auf einer Strecke von ungefähr 850 m erfolgt. Das Ablesen der Fahrgeschwindigkeit - auch mittels eines geeichten Tachometers - wäre damit unter Verhältnissen erfolgt, die an sich eine unbedenkliche Feststellung der Fahrgeschwindigkeit des Beschwerdeführers nicht zulassen. Die belangte Behörde hat zudem übersehen, dass das erstinstanzliche Straferkenntnis zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides durch das Ergehen des Berufungsbescheides des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark bereits überholt war und die Berufungsbehörde auf Grund eigener Ermittlungen (insbesondere eines Sachverständigengutachtens) zur Annahme erheblich geringerer Geschwindigkeitsüberschreitungen gekommen ist (nämlich von 53 bzw. 62 km/h). Diese Überschreitungen lägen aber nur mehr um 3 bzw. 12 km/h über den im § 66 Abs. 2 lit. i KFG 1967 genannten 50 km/h. Die Annahme, der Beschwerdeführer sei zumindest an einer Stelle um mehr als 50 km/h zu schnell gefahren, ist daher angesichts der gegebenen Verhältnisse, insbesondere der wechselnden Fahrgeschwindigkeiten, nicht schlüssig.
4. Wenn der Beschwerdeführer rügt, das Entziehungsverfahren sei entgegen seinem Antrag nicht bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Verwaltungsstrafverfahren ausgesetzt worden, so vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu erkennen, wieso dies seine Rechte verletzen könnte. Für eine Entziehung der Lenkerberechtigung auf Grund einer bestimmten Tatsache nach § 66 Abs. 2 lit. i KFG 1967 ist ausdrücklich normierte Voraussetzung, dass das erstinstanzliche Strafverfahren abgeschlossen ist. Im Übrigen ist schon im Hinblick auf den Ausgang des Berufungsverfahrens eine durch das Unterbleiben der Aussetzung bewirkte Verletzung von Rechten nicht erkennbar.
Der angefochtene Bescheid war aus dem unter 3. genannten Grund wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 24. August 1999
Schlagworte
Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der BehördeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1999110145.X00Im RIS seit
19.03.2001