TE Vwgh Erkenntnis 1999/8/24 98/11/0298

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Veröffentlicht am 24.08.1999
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Index

L94409 Krankenanstalt Spital Wien;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §37;
B-VG Art140 Abs1;
KAG Wr 1987 §4 Abs2 lita;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Doralt, über die Beschwerde der Ärztekammer für Wien, vertreten durch Braunegg, Hoffmann & Partner, Rechtsanwälte in Wien I, Gonzagagasse 9, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 25. September 1998, Zl. MA 15-II-H/8/545/96, betreffend Errichtung eines Zahnambulatoriums (mitbeteiligte Partei: M & M GmbH, vertreten durch Dr. Michael Graff, Rechtsanwalt in Wien I, Gonzagagasse 15), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Kostenbegehren der beschwerdeführenden Partei wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der mitbeteiligten Partei gemäß § 4 des Wiener Krankenanstaltengesetzes 1987 die Bewilligung zur Errichtung einer privaten Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde an einem näher bezeichneten Standort im 8. Wiener Gemeindebezirk unter einer Vielzahl von Vorschreibungen erteilt.

In ihrer an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten, auf § 4 Abs. 6 Wr. KAG 1987 in Verbindung mit Art. 131 Abs. 2 B-VG gestützten Beschwerde macht die beschwerdeführende Partei Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde, Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend; sie beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt. Sie und die mitbeteiligte Partei haben jeweils eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet. Die beschwerdeführende Partei und die mitbeteiligte Partei haben weitere Schriftsätze eingebracht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die beschwerdeführende Partei führt aus, die mitbeteiligte Partei habe gar keinen Antrag auf Erteilung einer krankenanstaltenrechtlichen Bewilligung, wie sie ihr mit dem angefochtenen Bescheid erteilt worden ist, gestellt.

Dazu ist aus dem Verwaltungsakt festzuhalten, dass der Antrag vom 17. Oktober 1996 von Frau Dr. W. gestellt worden ist. Mit Eingabe vom 10. Dezember 1997 teilte die Antragstellerin (sie ist laut Gegenschrift der mitbeteiligten Partei neben ihrem Ehegatten zu 50 % an der Gesellschaft beteiligt) mit, dass nunmehr die mitbeteiligte Partei als Antragstellerin in das Verfahren eintrete. Der Antrag war damit zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides der - bereits bestehenden - mitbeteiligten Partei zuzurechnen. Die von der beschwerdeführenden Partei gerügte funktionelle Unzuständigkeit der belangten Behörde (infolge Erlassung eines antragsbedürftigen Verwaltungsaktes ohne zugrundeliegenden Antrag) ist damit nicht gegeben.

Gemäß § 4 Abs. 2 lit. a Wr. KAG 1987 darf eine Bewilligung zur Errichtung einer Krankenanstalt unter anderem nur dann erteilt werden, wenn nach dem angegebenen Anstaltszweck und dem vorgesehenen Leistungsangebot im Hinblick auf das bereits bestehende Versorgungsangebot öffentlicher, privater gemeinnütziger und sonstiger Krankenanstalten mit Kassenverträgen sowie bei Errichtung einer Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbstständigen Ambulatoriums auch im Hinblick auf das Versorgungsangebot durch niedergelassene Kassenvertragsärzte, kasseneigene Einrichtungen und Vertragseinrichtungen der Kassen, bei Zahnambulatorien auch im Hinblick auf niedergelassene Dentisten mit Kassenvertrag, ein Bedarf gegeben ist.

Ein Bedarf in diesem Sinne ist dann gegeben, wenn durch die Errichtung des Ambulatoriums die ärztliche Betreuung der Bevölkerung wesentlich erleichtert, beschleunigt, intensiviert oder in anderer Weise wesentlich gefördert wird. Bei der Prüfung daraufhin sind andere als die in § 4 Abs. 2 lit. a Wr. KAG 1987 genannten Ärzte (Dentisten) und Einrichtungen nicht zu berücksichtigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 1. Juli 1999, Zl. 98/11/0280 mwH).

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 10. März 1999, G 64, 65/98, die in seinem Einleitungsbeschluss vom 12. März 1998 geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Regelung über die Bedarfsprüfung bei Errichtung selbstständiger Ambulatorien als nicht zutreffend und diese Regelung insgesamt als verfassungskonform erachtet. Im Lichte dieses Erkenntnisses sieht sich der Verwaltungsgerichtshof nicht veranlasst, der Anregung der mitbeteiligten Partei folgend beim Verfassungsgerichtshof die neuerliche Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der gegenständlichen Regelung über die Bedarfsprüfung zu beantragen.

Die belangte Behörde hat zur Frage des Vorliegens eines Bedarfes ein Ermittlungsverfahren durchgeführt und diesen bejaht. Im Hinblick auf das durch § 4 Abs. 6 Wr. KAG 1987 begründete, auf die Bedarfsfrage eingeschränkte Beschwerderecht der beschwerdeführenden Partei, die das Vorliegen eines Bedarfes in Abrede stellt, hat der Verwaltungsgerichtshof zu prüfen, ob die Bejahung eines Bedarfes am gegenständlichen Ambulatorium zu Recht erfolgt ist.

Die belangte Behörde begründete die Bejahung des Bedarfes im Hinblick auf die vorgesehenen Öffnungszeiten in den Nachmittags- und Abendstunden (Öffnungszeiten laut Punkt 25 der Bescheidauflagen: von Montag bis Freitag von 9.00 Uhr bis 13.00 Uhr und von 15.00 Uhr bis 22.00 Uhr) sowie mit dem Hinweis auf die behindertengerechte Ausführung des gegenständlichen Ambulatoriums und dessen Situierung im Bereich einer bettenführenden Krankenanstalt. Dadurch werde die zahnmedizinische Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich sowie jene der Patienten der Krankenanstalt wesentlich erleichtert und intensiviert.

Die belangte Behörde stützte sich hiebei auf das Gutachten eines ärztlichen Amtssachverständigen vom 18. November 1997. Danach werde das geplante Leistungsspektrum auch in den Vertragszahnpraxen der Fachzahnärzte für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde und der Vertragsdentisten sowie in den Zahnambulatorien im Einzugsgebiet, wenn auch je nach dem Schwerpunkt der medizinischen Einrichtungen, in unterschiedlichem Umfang erbracht. Mit

22 Vertragszahnärzten/Dentisten im 8. Bezirk ergebe sich bei einer Einwohnerzahl von 23.987 Personen ein Verhältnis von 1.090 Personen pro Vertragseinrichtung. Hiebei wäre auch noch das Zahnambulatorium der Versicherungsanstalt öffentlicher Bediensteter im 8. Bezirk zu berücksichtigen. Das Österreichische Bundesinstitut für Gesundheitswesen gehe von einer Solldichte von mindestens 2.827 bis maximal 2.947 Personen pro "§ 2 - Kassenvertragseinrichtung" aus. Selbst unter Berücksichtigung der Einpendler bestehe daher eine beachtliche Überversorgung an Zahnbehandlern im 8. Bezirk und in den angrenzenden Bezirken (1., 7. und 9. Bezirk). Es sei jedoch festzuhalten, dass durch die Errichtung dieses Ambulatoriums im Areal der Privatklinik Josefstadt/Confraternität die Patienten beiderseits durch ein sinnvoll ergänzendes Leistungsangebot profitieren würden (Möglichkeit der verbesserten postoperativen Betreuung der Patienten des Ambulatoriums bei umfangreichen zahnchirurgischen Eingriffen durch stationäre Aufnahme in der Privatklinik; Möglichkeit für deren Patienten zur zahnärztlichen Abklärung bei einer Vielzahl von Erkrankungen und geplanten Therapiemaßnahmen). Aus diesem Grund und weil durch die von den anderen Zahnbehandlern nicht angebotenen ausgedehnten Öffnungszeiten in den Abendstunden und durch die behindertengerechte Ausführung die gesundheitliche Versorgung zusätzlich verbessert werde, könne ein Bedarf nach dem Ambulatorium bejaht werden.

Damit geht der Amtssachverständige selbst von einem bestehenden Überangebot an Zahnbehandlern bzw. Zahnbehandlungseinrichtungen im 8. Wiener Gemeindebezirk und in den angrenzenden Bezirken sowie davon aus, dass das geplante Leistungsspektrum von ihnen, wenn auch in jeweils unterschiedlichem Ausmaß, angeboten wird. Von daher gesehen ist ein Bedarf im Sinne des Gesetzes nach dem geplanten Ambulatorium nicht erkennbar. Die Gründe, die den Amtssachverständigen (und ihm folgend die belangte Behörde) bewogen haben, dennoch einen Bedarf für gegeben zu erachten, sind nicht geeignet, das Bestehen eines solchen Bedarfes darzutun. Dafür, dass in den Abendstunden eine erhebliche Versorgungslücke und damit ein Bedarf im Sinne des Gesetzes bestehe, bietet das Gutachten keinen hinreichenden Anhaltspunkt. Im Übrigen wäre selbst unter der Annahme eines Bedarfes in diesen Zeiten die erteilte Bewilligung überschießend, weil nicht auf diesen Bedarf abgestellt, entfallen doch die vorgesehenen Öffnungszeiten vorwiegend auf Zeiten, in denen der Bedarf ohnedies ausreichend gedeckt ist. Das Angebot "ausgedehnter Öffnungszeiten" in den Abendstunden allein sagt über das Bestehen eines Bedarfes nichts aus. Zu ermitteln wäre insoweit zumindest gewesen, ob zu diesen Zeiten tatsächlich eine Nachfrage besteht, die bisher nicht befriedigt wird. Darüber finden sich allerdings in den Ausführungen des medizinischen Amtssachverständigen keine auf überprüfbare Erhebungs- bzw. Beweisergebnisse gegründeten Feststellungen. Ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass insoweit von einer keinesfalls zu vernachlässigenden Nachfrage auszugehen sei, ist dem Verwaltungsgerichtshof nicht bekannt. Dazu kommt, dass selbst eine nicht bloß vereinzelte Nachfrage nach solchen Behandlungszeiten noch nicht zwingend die Annahme einer erheblichen Versorgungslücke und damit eines Bedarfes im Sinne des Gesetzes nahe legte. Davon könnte erst dann die Rede sein, wenn Schmerzpatienten deshalb nicht innerhalb angemessen kurzer Frist versorgt werden könnten. Davon ist aber im Gutachten des Amtssachverständigen mit keinem Wort die Rede.

Zutreffend wurde im gegebenen Zusammenhang von der beschwerdeführenden Partei auch auf das Vorhandensein eines täglichen zahnärztlichen Nachtdienstes in der Zeit von 20 Uhr bis 1 Uhr früh hingewiesen, wozu noch der Wochenend- (Samstag und Sonntag) bzw. Feiertagsdienst von 9 Uhr bis 18 Uhr kommt.

Was das Argument der behindertengerechten Einrichtung des Ambulatoriums anlangt, enthält das Gutachten keinerlei Ausführungen über die Anzahl behindertengerechter Einrichtungen im Einzugsgebiet sowie darüber, welche Anzahl behindertengerechter Ordinationen insgesamt vorhanden sein müsste, um den gegebenen Bedarf zu decken. Das Gutachten bietet damit auch insoweit keine taugliche Grundlage für die Bejahung der Bedarfsfrage.

Das Argument der "Synergieeffekte" geht, soweit auf die Möglichkeit der Nachbetreuung von Patienten des Ambulatoriums in der benachbarten Privatklinik abgestellt wird, insofern fehl, als es im gegebenen Zusammenhang nicht auf Leistungsangebote anderer Krankenanstalten, sondern allein auf das Leistungsangebot der zu errichtenden Krankenanstalt ankommt. Die Möglichkeit der Erbringung zahnmedizinischer Leistungen für die Patienten der Privatklinik ist schon angesichts des festgestellten Überangebotes an Zahnbehandlern kein Grund, der die Annahme eines Bedarfes im Sinne des Gesetzes an der Errichtung des gegenständlichen Zahnambulatoriums rechtfertigen könnte. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die Regelung über die Bedarfsprüfung auf dem vom (Grundsatz)Gesetzgeber gewollten Vorrang der Leistungserbringung durch niedergelassene Kassenärzte beruht (Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 10. März 1999, G 64/65/98).

Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Das Kostenersatzbegehren der beschwerdeführenden Partei war gemäß § 47 Abs. 4 VwGG abzuweisen.

Wien, am 24. August 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1998110298.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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