Entscheidungsdatum
22.11.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W164 2176738-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch das Land Salzburg als örtlich zuständiger Kinder- und Jugendhilfeträger, dieser vertreten durch RA DDr. Rainer Lukits, Salzburg, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg, vom 29.09.2017, Zl. 1093068000-151674231, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung 30.10.2018 zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben; XXXX wird gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 idgF der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass XXXX kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte am 27.10.2015 nach illegaler Einreise den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz und gab im Wesentlichen an, er sei am XXXX in Laghman, Afghanistan, geboren, sei ledig, Sunnit und Tadschike. Zuletzt habe er im Dorf XXXX , im Distrikt XXXX , in der Provinz Laghman, gelebt. Seine Eltern und jüngeren Geschwister (ein Bruder und zwei Schwestern) seien in Afghanistan. Zu seinem Fluchtgrund gab er an, dass er eine Koranschule besucht habe. Er sei dann zu einer anderen Koranschule gebracht worden. Dort sei er mit Waffen vertraut gemacht worden und es sei über Selbstmordattentate gesprochen worden. Nach sechs Tagen sei er geflüchtet und nach Hause gefahren. Er habe alles seinem Vater erzählt. Dann sei sein Vater von einigen Männern mitgenommen worden. Sein Onkel habe beschlossen, dass der BF Afghanistan verlassen solle.
Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme vom 17.07.2017 vor dem BFA bestätigte der BF seine in der Erstbefragung angegeben persönlichen Daten. Seine Tazkira habe er auf der Flucht verloren. Zu seinem Fluchtgrund gab der BF an, der Lehrer der Koranschule - es habe nur einen einzigen für ca. 35 Schüler gegeben - sei zu ihnen gekommen und habe gesagt habe, dass er sie in eine andere Schule schicken wolle, wo sie noch mehr lernen hätten sollen. Das habe der BF seinem Vater erzählt und der habe gemeint, dass es in Ordnung sei, wenn er in eine bessere Schule gehen könne. Zwei Tage danach seien sie von der Schule abgeholt worden und seien ca. drei bis vier Stunden mit dem Auto gefahren. Sie seien sechs Schüler gewesen. Der Lehrer sei auch mitgefahren, sei aber nur zwei Tage geblieben und dann wieder zurückgefahren. Sie seien nach ihrer Ankunft zum Schlafen in ihr Zimmer geschickt worden und ihnen sei gesagt worden, dass der Unterricht am nächsten Tag beginne. Im Unterricht habe man ihnen Waffen gezeigt. Es seien Taliban gewesen, die ihnen eine Gehirnwäsche hätten verpassen und ihnen beibringen wollen, dass sie gegen die afghanische Regierung arbeiten sollten und wie man mit Waffen umgehe. Befragt zu seinem Tagesablauf in dieser Koranschule führte er aus, sie hätten zuerst gebetet, dann Koranunterricht gehabt und danach gefrühstückt. Dazwischen hätten sie zwei Stunden Pause gehabt. Dann hätten sie Unterricht gehabt, der "islamische Erziehung" geheißen habe. Danach seien sie in der Waffenschule gewesen und hätten dort 2 Stunden Unterricht gehabt. Dann hätten sie gebetet, gegessen und den Koran gelesen bevor sie um 21:30 Uhr ins Bett gegangen seien. In dem Kurs über islamische Erziehung seien sie mit einer Rute auf die Handfläche geschlagen worden, wenn sie eine Antwort auf eine Frage nicht gewusst hätten. Die Waffen, Kalaschnikows, seien ihnen nicht in die Hand gegeben worden, sondern man habe sie ihnen nur gezeigt und darüber unterrichtet, wie man damit feuert. Ihnen seien auch Westen mit Granaten gezeigt worden und es sei ihnen gesagt worden, dass man sie brauche, um die "Gottlosen und Abtrünnigen" zu töten. Danach würden sie "Märtyrer". Der BF habe sich vorgenommen, von dort wegzulaufen. Mit einem gleichgesinnten Freund habe er beobachtet, wann die Leute Wache stehen und wann sie schlafen gehen. Eines Nachts sei er mit dem Freund, (der BF nannte seinen Namen) geflüchtet. Sie seien vier Stunden gelaufen und hätten nicht zurückgeschaut. Als sie zu einer Straße gekommen seien, hätten sie den Fahrer eines Fahrzeuges gebeten, sie nach Hause zu fahren. Zu Hause habe der BF seinem Vater von den Vorfällen erzählt. Dieser habe gemeint, er werde morgen zum Lehrer gehen und ihn fragen, weshalb dieser die Kinder dorthin gebracht habe, wo sie statt zu lernen mit Waffen umgehen lernen. Der BF denke, dass sein Vater das auch gemacht habe, da die Taliban in der Nacht darauf in sein Haus gestürmt seien. Seine Geschwister hätten geschlafen, aber er und seine Eltern seien wach gewesen als die Männer klopften. Diese seien ganz schnell mit dem Auto angefahren gekommen, seien ausgestiegen, hätten an die Türe geklopft und hätten nach dem BF gefragt. Die Gesichter der Männer, seien bedeckt gewesen. Die Männer seien bewaffnet gewesen. Da sein Vater keine Antwort gegeben habe, hätten sie mit ihren Waffen auf diesen eingeschlagen. Der BF sei daraufhin weggelaufen. Er sei über die Mauer gesprungen, in die Felder gelaufen, und dort bis in der Früh geblieben. Als er nach Hause gekommen sei hätten ihm seine Mutter und seine Geschwister erzählt, dass sein Vater von den Taliban verschleppt wurde. Seine Mutter habe gemeint, dass es hier nicht mehr sicher wäre für sie. Die Familie sei zum Großvater ms. gezogen. Der Onkel habe gemeint, dass auch dieser Platz für den BF nicht sicher wäre. Daraufhin habe seine Mutter alle ihre Wertsachen und Grundstücke verkauft um damit den Schlepper für seine Reise zu finanzieren. Der Vater sei seit August 2015 verschwunden und seither nicht zurückgekehrt.
Mit Bescheid des BFA vom 29.09.2017 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 24.09.2018 erteilt.
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass beim BF keine Verfolgung in seinem Heimatland festgestellt werden konnte. Er habe keine im Sinne der GFK asylrelevanten, konkret gegen ihn gerichteten Gefahren oder Verfolgungshandlungen vorgebracht. Der Reiseweg bei einer Rückkehr in seine Heimatprovinz bzw. in die Provinz, in der seine Eltern momentan leben würden, wäre wegen der volatilen Verhältnisse nicht zumutbar. Dem BF werde ausschließlich aufgrund seiner Minderjährigkeit der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.
Gegen den Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides erhob der BF fristgerecht Beschwerde.
Darin wird ausgeführt, dass die von der Behörde getroffenen Feststellungen zu den Fluchtgründen aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung fehlerhaft seien. Die Schilderung der Fluchtgründe des BF sei schlüssig gewesen. Es sei allgemein bekannt, dass Kinder in ländlichen Gebieten in Koranschulen gehen würden. Aus den Länderinformationen ergebe sich, dass die Taliban in der Heimatprovinz des BF aktiv seien. Vor diesem Hintergrund sei das Vorbringen glaubhaft. Die Zwangsrekrutierung sei auch keinesfalls ein Randphänomen. Auch seien die Schilderungen des BF zum Ausbildungslager nicht detailarm gewesen sei. Hinsichtlich der Entführung des Vaters sei anzumerken, dass das ein sehr traumatisches Erlebnis gewesen sei, was bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit zu berücksichtigen sei. Dass die Mutter gleich nach dem Vorfall die Grundstücke verkauft habe, sei glaubwürdig, da es keine Hoffnung gegeben habe, dass der Vater zurückkehre, da von den Taliban entführte Personen nur in den seltensten Fällen wieder zurückkommen würden. Der BF habe glaubhaft dargelegt, dass er von den Taliban zu einem Attentäter hätte ausgebildet werden sollen und sein Vater nach seiner Flucht verschleppt worden sei. Die Furcht des BF sei daher wohlbegründet und beruhe auf dem Konventionsgrund der unterstellten, der Ideologie der Taliban widersprechenden politischen bzw. religiösen Gesinnung. Der BF habe auch keine Möglichkeit durch Polizei und Sicherheitsbehörden aufgrund von Korruption Rechtsschutz zu erlangen. Es bestehe auch keine innerstaatliche Fluchtalternative. Es wurden ein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt, sowie ein Antrag auf Abänderung des angefochtenen Bescheides dahingehend, dass dem Antrag stattgegeben werde und dem BF der Status des Asylberechtigten zuerkannt werde.
Am 30.10.2018 wurde beim Bundesverwaltungsgricht eine mündliche Verhandlung abgehalten, an der BF in Begleitung seines Rechtsvertreters und einer Vertreterin des Magistrates der Stadt Salzburg, Jugendamt, teilnahm. Das ebenfalls geladene BFA nahm an der Verhandlung nicht teil.
Der BF machte zusammengefasst die folgenden Angaben:
Jener Lehrer, den der BF in seiner ersten Koranschule hatte sei im Dorf beliebt gewesen. Die Leute hätten ihm vertraut. Er habe aus dem gleichen Dorf gestammt. Der Lehrer habe einen Teil der Klasse gefragt ob sie bereit wären, in eine andere Koranschule zu wechseln und habe diejenigen aus der Klasse ausgewählt, die besonders brav waren und im Unterricht gute Noten hatten. Er habe ihnen gesagt sie sollen zu einer anderen Koranschule wechseln, um noch tiefgründiger lernen zu können. Der Treffpunkt zur Abholung sei die Koranschule, die Moschee gewesen. Von seinen Eltern habe sich der BF bereits zu Hause verabschiedet. Der Treffpunkt sei in unmittelbarer Nähe von zu Hause gewesen. Bereits auf der Hinfahrt zur neuen Schule habe der Lehrer die Kinder angewiesen, sich die Augen zu verbinden. Auf ihre Frage nach dem Grund habe er gesagt, dass das so sei und dass man das tun müsse. Als die Kinder in der neuen Schule ankamen, hätten sie sich in einem Tal befunden, rundherum hätten sich Zelte befunden und kleine Lehmhütten. Man habe ihnen mitgeteilt, dass sie zunächst in die für sie vorgesehene Zimmer schlafen gehen sollten und dass man sie am nächsten Morgen in der Früh aufwecken würde. In einer Lehmhütte hätten zwischen zehn und 15 Kinder nebeneinander geschlafen. Es sei Sommer gewesen. In der Nacht sei es nicht besonders kalt gewesen. Gegessen hätten sie ebenfalls in einer Hütte und auch ein Platz zur Waschung fürs Gebet habe sich in einer Hütte befunden. Bevor der Lehrer, der sie begleitet hatte, wieder ins Dorf zurückgefahren sei, habe der BF ihn noch einmal ansprechen können. Der BF hätte gleich bemerkt, wie streng sich die Lehrer dort verhalten, wie streng der Unterricht war. Auch, dass er Waffen gesehen habe und der Platz der Schule mitten in der Wüste gelegen sei habe ihm Angst gemacht. Der BF habe seine Besorgnis den Lehrer mitteilen wollen. Dieser habe gemeint dass es keinen Grund gäbe, sich Sorgen zu machen und dass alles in Ordnung sei. Er werde nun weggehen und der BF solle bleiben und brav lernen. Befragt nach dem Ablauf des ersten Unterrichtstages gab der BF an, die Kinder seien geweckt worden, sie hätten gebetet, dann den Koran gelesen. Nach dem Koran lesen hätten sie gefrühstückt dann hätten sie eine Pause gehabt und seien in ihre Hütten gegangen. Um die Mittagszeit hätten sie das Mittagsgebet verrichtet danach habe man ihnen gepredigt, etwa 3 bis 4 Stunden lang. Dann hätten sie das Spätnachmittagsgebet verrichtet und seien danach in ihre Hütten gegangen. Nach dem Abendessen hätten sie das Abendgebet verrichtet und dann das Nachtgebet. Danach seien Sie schlafen gegangen. So seien die ersten 2 bis 3 Tage abgelaufen. Danach habe man sie unter Tags weggebracht, zu einer Stelle wo man ihnen den Umgang mit Waffen und Sprengstoffen zeigte. Dort seien Burschen gewesen, die mit Waffen herum liefen. Es habe auch ein paar Zelte gegeben. Zu seinen Entschluss, zu flüchten sei der BF gekommen, da er zum ersten Mal in seinem Leben die Waffen und den Umgang damit sowie die Aussagen, dass man den Umgang mit diesen Waffen lernen müsse, schrecklich gefunden habe. Diese Sachen hätten ihm Angst eingejagt. Der BF habe einen anderen Freund gefunden, der die gleichen Gedanken hatte. Sie hätten nicht dort bleiben wollen. Eines Abends habe sich Gelegenheit dazu ergeben, zu flüchten. Sie hätten die Wachen beobachtet und als sich diese von ihren Posten entfernten, sei der BF mit den Freund geflüchtet. Sie seien lange gelaufen und hätten schlussendlich eine Straße erreicht. Dort hätten sie gewartet, bis ein Auto kam. Den Fahrer hätten sie um Hilfe gebeten. Beide hätten ihre Wohnadresse bekannt gegeben und seien eingestiegen. Der Freund sei unterwegs ausgestiegen, danach habe der BF den Fahrer ersucht ihn noch zu seiner Wohnadresse zu bringen. Daheim habe er seinem Vater alles erzählt. Dieser habe beschlossen, gleich zum Dorflehrer zu gehen und diesen zu fragen warum er dem BF so etwas angetan habe. Der Vater habe das Haus verlassen und sei weggegangen. Nach 1 Stunde sei er wieder gekommen und habe gesagt, dass er sich und die Sache an nächsten Tag kümmern werde. Noch am selben Abend habe jemand geklopft. Der BF habe sich sofort im Haus versteckt. Der Vater sei zur Tür gegangen. Draußen seien mehrere bewaffnete Männer gestanden, diese hätten den Vater zuerst nach den BF gefragt und hätten dann auf ihn eingeschlagen. Der BF habe die Flucht aus dem Haus nach hinten ergriffen und sei über die Mauer geklettert. Er sei auf die Felder gelaufen und habe sich zwischen den Saaten versteckt. Er habe auf dem Feld übernachtet. In der Früh sei er nach Hause zurück gegangen und habe seine Mutter weinend vorgefunden. Er habe nach dem Vater gefragt und erfahren, dass die Leute diesen mitgenommen hätten. Die Mutter habe gesagt, dass sie dort nicht weiterleben könnten. Sie habe ihre wertvollen Sachen eingepackt und sei mit den BF und seinen kleinen Geschwistern zum Großvater mütterlicherseits gezogen. Dort sei die Familie geblieben. Ein Onkel, ein Bruder der Mutter hätten dort in der Nähe gewohnt und für den BF die Flucht nach Europa organisiert.
Befragt, wie er herausgefunden habe, dass ein weiterer Schüler flüchten wollte, gab der BF an er habe dies in Gesprächen in der Pause erfahren. Zwar habe es eine Aufsicht gegeben, die Aufpasser seien aber nicht ständig bei den Kindern gestanden. Es habe die Möglichkeit gegeben, sich auszutauschen. Gemeinsam mit dem Freund habe der BF beobachtet, wann die Wache von ihren Posten weggeht und wann die neue Wache kommt. Die beiden hätten sich nahe dem Toilettenhaus, wo man auch Waschungen fürs Gebet vornehmen konnte, getroffen, seien dann hineingegangen und hätten durch das Fenster beobachtet, wie die Wachposten einander abgelösten und wie viel Zeit dazwischen verging. Dabei habe einer die Wache aus dem Fenster beobachtet, der andere habe vor der Tür der Toilette gewartet. Das sei etwa um Mitternacht gewesen. Zu dieser Zeit hätten die meisten Kinder schon geschlafen. Man habe sich aber aus der Lehmhütten entfernen dürfen, wenn man sagte das man die Toilette benützen und eine Waschung fürs Gebet vornehmen wolle. Dies hätten der BF und sein Freund gemacht. Dadurch sei nicht aufgefallen dass sie mehrere Tage hindurch nachts länger auf der Toilette zu brachten. Die beiden hätten drei oder vier Mal von der Toilette aus die Wachen beobachtet, dies jeweils um Mitternacht. Nach der Flucht seien sie durch eine wüstenartige Landschaft gelaufen. In der Ferne hätten sie Lichter gesehen und hätten versucht sich diesen anzunähern. Sie seien mehrere Stunden gelaufen. Als sie zur Straße kamen und das Auto stehen blieb, habe der Fahrer sie gefragt was sie so spät in der Nacht hier verloren hätten. Sie hätten gesagt, dass er sich verlaufen hätten. Sie hätten den Fahrer ersucht, sie nach Hause zu bringen. Der Fahrer sei ganz normal gekleidet gewesen wie alle Männer in der Gegend dort. Als der Freund ausgestiegen war, sei eine Person zum Fahrer gekommen und habe mit diesen gesprochen. Ob er ihm bezahlt habe wisse der BF nicht. Als der BF nach Hause kam, habe er seinen Vater geholt und dieser habe den Fahrer bezahlt. Zu seinem Dorf gefunden habe der BF in der Weise, als er dem Fahrer zunächst die Distriktshauptstadt nannte. Von dort habe er den Weg zu seinem Dorf gekannt und habe dem Fahrer sagen können, wo er fahren müsse. Etwa um 7:00 oder 8:00 Uhr früh sei er nach Hause gekommen. Es sei schon hell gewesen. Von dem Gespräch, dass der Vater mit dem Lehrer geführt hatte, habe dieser nichts erzählt. Er habe auch nicht gesagt, was er für den nächsten Tag plane. Der Vater habe zum BF gesagt, er solle zu Hause bleiben und sich ausruhen. Befragt wie der BF jene Männer die den Vater mit Waffen schlugen von seinem Versteck auch aus sehen konnte, gab der BF an, er habe sich im Haus hinter einer Mauer versteckt. Dort sei es dunkel gewesen. Er habe die Tür beobachtet und die Männer sehen können. Diese hätten gefragt, wo der Sohn sei. Der Vater habe geantwortet "Mein Sohn ist doch bei ihnen. Sie haben ihn doch mitgenommen." Daraufhin hätten die Leute zum Vater gesagt, dass der Sohn nicht mehr dort sei sondern geflüchtet sei und hätten den Vater geschlagen. Der BF habe diese Leute nicht erkannt. Sie seien vermummt gewesen. Als die Männer begannen, den Vater zu schlagen habe der BF sofort die Flucht ergriffen. Die Mutter sei da gewesen. Sie habe geweint.
Mit Schreiben vom 16.11.2018 brachte die Rechtsvertretung des BF eine schriftliche Stellungnahme ein, fasste den vom BF vorgebrachten Sachverhalt zusammen und verwies unter Berücksichtigung von Quellen zu allgemeinen Situation in Afghanistan auf die besonders gefährdete Lage des BF als Mann im wehrfähigen Alter, als Person, die sich einer Zwangsrekrutierung widersetzt habe und als Mitglied einer Familie, die die Kooperation und Loyalität mit den Taliban aktiv verweigert hätten. Eine Rückkehr des BF in seine Heimatregion würde sich rasch herumsprechen. Der BF hätte zu erwarten, von den als professionell geltenden geheimdienstlichen Strukturen der Taliban erfasst zu werden. Staatliche Akteure wären nicht in der Lage und nicht bereit, den BF vor den vorhandenen Gefahren zu schützen. Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei bereits im angefochtenen Bescheid abgelehnt worden und sei daher nicht anzunehmen. Dem BF drohe aufgrund seiner (angenommenen oder tatsächlichen) talibanfeindlichen politischen und religiösen Einstellung bzw. aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der wehrfähigen männlichen Jugendlichen und der sozialen Gruppe der Familie asylrelevante Verfolgung.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , er wurde am XXXX in Laghman, Afghanistan, geboren, ist Staatsangehöriger von Afghanistan, ledig, Sunnit und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Er wuchs mit seinen Eltern, einem jüngeren Bruder und zwei jüngeren Schwestern im Dorf XXXX , im Distrikt XXXX , in der Provinz Laghman auf, besuchte dort die Koranschule und half seinem Vater in der Landwirtschaft. Als der BF etwa 13 Jahr alt war, forderte der Lehrer eine von ihm ausgewählte Gruppe von Schülern auf, in eine andere Koranschule zu wechseln, um noch mehr zu lernen. Der BF berichtete seinem Vater; dieser war mit dem Vorschlag einverstanden. Der BF wurde mit sechs Klassenkollegen von der Koranschule abgeholt und in ein etwa drei bis vier Autostunden entferntes Camp gebracht. Auch der Lehrer fuhr mit und blieb für zwei Tage, ehe er wieder zurückfuhr. Der BF wurde nun im Umgang mit Waffen und Sprengstoffwesten unterrichtet. Weiters wurde den Schülern im Rahmen der sog. Islamischen Erziehung die Rolle eines "Märtyrers" (Selbstmordattentäters) positiv vermittelt. Der BF fühlte sich von Anfang an nicht wohl. Sein Lehrer, den er noch vor dessen Rückreise ansprechen konnte, beruhigte ihn und ermunterte ihn, weiter brav zu lernen. In Pausengesprächen fand der BF unter den Schülern einen Gleichgesinnten. Gemeinsam beschlossen sie die Flucht. Spätabends meldeten sie sich aus ihrem Schlafraum ab, um die Waschung für das Nachgebet vornehmen zu können. Von der Toilette aus beobachtete einer der beiden die Wachablöse, während der andere Schmiere stand. In der fünften solchen Nacht bot sich für beide die Gelegenheit, unbeobachtet zu fliehen, die sie nutzten. Gemeinsam liefen sie bis sie zu einer Straße kamen. Ein Autofahrer blieb stehen und brachte sie auf ihr Ersuchen zu ihren Eltern. Der BF erzählte alles seinem Vater. Dieser wollte den Lehrer des Dorfes drauf ansprechen und wies den BF an, sich auszuruhen. Als der Vater wieder heimkam, sagte er nur, er werde sich am nächsten Tag um die Sache kümmern. Am Abend kamen Männer zum Haus der Familie, fragten nach dem BF, schlugen den Vater und nahmen diesen mit. Der BF floh hinter das Haus in die Felder und verbrachte die Nacht zwischen hochgewachsenen Saaten. Die Mutter beschloss am nächsten Tag mit dem BF und seinen kleinen Geschwistern zu ihrer elterlichen Familie zu ziehen. Ihr Bruder veranlasste die Flucht des BF nach Europa.
Allgemeine Länderfeststellungen:
Quelle:
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender; Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), 30.08.2018, HCR/EG/AFG/18/02:
Afghanistan ist weiterhin von einem nicht internationalen bewaffneten Konflikt betroffen, bei dem die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF), unterstützt von den internationalen Streitkräften, mehreren regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) gegenüberstehen.
Dem UN-Generalsekretär zufolge steht Afghanistan weiterhin vor immensen sicherheitsbezogenen, politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen. Die Sicherheitslage soll sich insgesamt weiter verschlechtert und zu einer sogenannten "erodierenden Pattsituation" geführt haben Berichten zufolge haben sich die ANDSF grundsätzlich als fähig erwiesen, die Provinzhauptstädte und die wichtigsten städtischen Zentren zu verteidigen, im ländlichen Raum hingegen mussten sie beträchtliche Gebiete den Taliban überlasssen.
Es wird berichtet, dass die Taliban zum 31. Januar 2018, 43,7 Prozent aller Distrikte Afghanistans kontrolliert oder für sich beansprucht haben. Die Taliban haben ihre Angriffe in Kabul und anderen großen Ballungsräumen verstärkt, mit zunehmenden Fokus auf afghanische Sicherheitskräfte, die große Verluste zu beklagen haben. Das ganze Jahr 2017 hindurch führten die Taliban mehrere umfangreiche Offensiven mit dem Ziel durch, Verwaltungszentren von Distrikten zu erobern. Es gelang ihnen mehrere solcher Zentren unter ihre Kontrolle zu bringen und vorübergehend zu halten. Meldungen zufolge festigten die Taliban gleichzeitig ihre Kontrolle über größtenteils ländliche Gebiete, was ihnen ermöglichte, häufigere Angriffe - insbesondere im Norden Afghanistans - durchzuführen. Es wird berichtet, dass der Islamische Staat (ISIS)52 inzwischen trotz verstärkter internationaler und afghanischer Militäroperationen widerstandsfähig blieb. Sein kontinuierliches Engagement hinsichtlich Auseinandersetzungen sowohl mit der afghanischen Regierung als auch mit den Taliban scheint "anzudeuten, dass die Gruppe ihren geografischen Aktionsradius ausgeweitet und begonnen hat, ihre Präsenz auch über den Osten des Landes hinaus zu festigen". ISIS soll inländische und ausländische militärische Ziele und die Zivilbevölkerung angegriffen haben, wovon insbesondere religiöse Stätten, geistige Führer und Gläubige, Schiiten, Journalisten und Medienorganisationen betroffen waren, sowie Anschläge gegen Ziele verübt haben, die sich anscheinend gegen die internationale Gemeinschaft richteten. Es heißt, dass diese Angriffe konfessioneller Art "eine beängstigende Entwicklung im bewaffneten Konflikt Afghanistans" anzeigten.
Auch von regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppen wird berichtet, dass sie die Autorität der Regierung in ihrem Einflussbereich untergraben; sie werden auch mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht. Es wird berichtet, dass die Regierung der nationalen Einheit (NUG) weiterhin durch ethnische Spaltung, Spannungen aufgrund von Klientelpolitik und internen Uneinigkeiten in zentralen strategischen Fragen behindert wird. Die Besorgnis um die sich verschlechternde Sicherheitslage hat Berichten zufolge dazu geführt, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung schwindet. Nachdem die Parlamentswahlen, die ursprünglich für 2015 geplant waren, immer wieder verschoben wurden, gab die Regierung im April 2018 bekannt, dass am 20. Oktober 2018 Parlaments- und Distriktratswahlen und 2019 Präsidentschaftswahlen abgehalten würden. Im September 2016 wurde ein neues Wahlgesetz verabschiedet und im November 2016 eine neue Unabhängige Wahlkommission (IEC) eingesetzt. Laut diesem Gesetz muss die IEC Wahllokale an geografisch ausgewogenen Standorten einrichten, und zwar auch in Gebieten unter der Kontrolle von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs). UNAMA brachte ihre Bedenken über die zunehmende Unsicherheit und die mit den Wahlen in Zusammenhang stehende Gewalt gegen Zivilisten und zivile Einrichtungen in diesem frühen Stadium des Wahlprozesses zum Ausdruck - eine Tendenz, die an das Muster der Gewalt um die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 erinnere. Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor unbeständig und die Zivilbevölkerung trägt weiterhin die Hauptlast des Konflikts. In den Jahren nach dem Abzug der internationalen Streitkräfte 2014 waren eine fortgesetzte Verschlechterung der Sicherheitslage und eine Intensivierung des bewaffneten Konflikts in Afghanistan zu beobachten. Aus Berichten geht hervor, dass die Taliban ihre Offensive zur Ausweitung ihrer Kontrolle über weitere Distrikte fortsetzt, während der Islamische Staat angeblich immer nachdrücklicher seine Fähigkeit unter Beweis stellt, seine geografische Reichweite auszudehnen, was eine weitere Destabilisierung der Sicherheitslage zur Folge hat.
Von dem Konflikt sind weiterhin alle Landesteile betroffen. Seit dem Beschluss der Regierung, Bevölkerungszentren und strategische ländliche Gebiete zu verteidigen, haben sich die Kämpfe zwischen regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) und der afghanischen Regierung intensiviert. Es wird berichtet, dass regierungsfeindliche Kräfte immer öfter bewusst auf Zivilisten gerichtete Anschläge durchführen, vor allem durch Selbstmordanschläge mit improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und komplexe Angriffe. Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) setzen ihre groß angelegten Angriffe in Kabul und anderen Städten fort und festigen ihre Kontrolle über ländliche Gebiete. Es wurden Bedenken hinsichtlich der Fähigkeit und Effektivität der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) geäußert, die Sicherheit und Stabilität in ganz Afghanistan zu gewährleisten.
Es wird berichtet, dass der Islamische Staat (ISIS)52 inzwischen trotz verstärkter internationaler und afghanischer Militäroperationen widerstandsfähig blieb. Sein kontinuierliches Engagement hinsichtlich Auseinandersetzungen sowohl mit der afghanischen Regierung als auch mit den Taliban scheint "anzudeuten, dass die Gruppe ihren geografischen Aktionsradius ausgeweitet und begonnen hat, ihre Präsenz auch über den Osten des Landes hinaus zu festigen". ISIS soll inländische und ausländische militärische Ziele und die Zivilbevölkerung angegriffen haben, wovon insbesondere religiöse Stätten, geistige Führer und Gläubige, Schiiten, Journalisten und Medienorganisationen betroffen waren, sowie Anschläge gegen Ziele verübt haben, die sich anscheinend gegen die internationale Gemeinschaft richteten. Es heißt, dass diese Angriffe konfessioneller Art "eine beängstigende Entwicklung im bewaffneten Konflikt Afghanistans" anzeigten
Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden laut Berichten in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betreffenden Gebiete tatsächlich kontrolliert. In von der Regierung kontrollierten Gebieten kommt es Berichten zufolge regelmäßig zu Menschenrechtsverletzungen durch den Staat und seine Vertreter. In Gebieten, die (teilweise) von regierungsnahen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden, begehen diese Berichten zufolge straflos Menschenrechtsverletzungen. Ähnlich sind in von regierungsfeindlichen Gruppen kontrollierten Gebieten Menschenrechtsverletzungen, darunter durch die Etablierung paralleler Justizstrukturen, weit verbreitet. Zusätzlich begehen sowohl staatliche wie auch nicht-staatliche Akteure Berichten zufolge außerhalb der von ihnen jeweils kontrollierten Gebiete Menschenrechtsverletzungen. Aus Berichten geht hervor, dass besonders schwere Menschenrechtsverletzungen insbesondere in umkämpften Gebieten weit verbreitet sind.
Berichten zufolge begehen regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) extralegale Hinrichtungen, Folter und Misshandlungen. Sie hinderten Zivilisten zudem an der Ausübung ihrer Rechte auf Bewegungsfreiheit, auf Freiheit der Meinungsäußerung, auf Religionsfreiheit, auf politische Teilhabe sowie auf Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung sowie zu ihrem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf. Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) nutzen das Fehlen staatlicher Justizmechanismen oder -dienste dazu aus, eigene, parallele "Justiz"-Strukturen - vor allem, wenn auch nicht ausschließlich - in Gebieten unter ihrer Kontrolle, durchzusetzen. UNAMA stellt fest, dass "alle von einer parallelen Justizstruktur durch nichtstaatliche bewaffnete Gruppen verhängten Strafen nach afghanischem Recht unrechtmäßig sind, eine rechtswidrige Handlung darstellen und als Kriegsverbrechen eingestuft werden können". Zu den durch parallele Justizstrukturen verhängten Strafen zählen öffentliche Hinrichtungen durch Steinigung und Erschießen, Schläge und Auspeitschung sowie Amputation. Berichten zufolge erheben regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) zudem in Gebieten, in denen sie die Einrichtung paralleler Regierungsstrukturen anstreben, illegale Steuern.
Sogar dort, wo der rechtliche Rahmen den Schutz der Menschenrechte vorsieht, bleibt die Umsetzung der nach nationalem und internationalem Recht bestehenden Verpflichtung Afghanistans diese Rechte zu fördern und zu schützen, in der Praxis oftmals eine Herausforderung. Die Regierungsführung Afghanistans und die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit werden als besonders schwach wahrgenommen.
Die Fähigkeit der Regierung, die Menschenrechte zu schützen, wird durch Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) untergraben. Ländliche und instabile Gebiete leiden Berichten zufolge unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden. Von der Regierung ernannte Richter und Staatsanwälte seien oftmals aufgrund der Unsicherheit nicht in der Lage, in diesen Gemeinden zu bleiben. Der UN-Ausschuss gegen Folter brachte seine Sorge darüber zum Ausdruck, dass die Regierung keine geeigneten Maßnahmen zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern und Journalisten vor Repressalien für ihre Arbeit ergreift.
Beobachter berichten von einem hohen Maß an Korruption, von Herausforderungen für effektive Regierungsgewalt und einem Klima der Straflosigkeit als Faktoren, die die Rechtsstaatlichkeit schwächen und die Fähigkeit des Staates untergraben, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu bieten. Berichten zufolge werden in Fällen von Menschenrechtsverletzungen die Täter selten zur Rechenschaft gezogen und für die Verbesserung der Übergangsjustiz besteht wenig oder keine politische Unterstützung. Wie oben angemerkt, begehen einige staatliche Akteure, die mit dem Schutz der Menschenrechte beauftragt sind, einschließlich der afghanischen nationalen Polizei und der afghanischen lokalen Polizei, Berichten zufolge in einigen Teilen des Landes selbst Menschenrechtsverletzungen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Berichten zufolge betrifft Korruption viele Teile des Staatsapparats auf nationaler, Provinz- und lokaler Ebene. Es wird berichtet, dass afghanische Bürger Bestechungsgelder zahlen müssen, um öffentliche Dienstleistungen zu erhalten, etwa dem Büro des Provinzgouverneurs, dem Büro des Gemeindevorstehers und der Zollstelle. Innerhalb der Polizei, so heißt es, sind Korruption, Machtmissbrauch und Erpressung ortstypisch. Das Justizsystem sei auf ähnliche Weise von weitverbreiteter Korruption betroffen.
Berichten zufolge wenden sich lokale Gemeinschaften in einigen Gebieten an parallele Justizstrukturen, etwa örtliche Räte oder Ältestenräte oder Gerichte der Taliban, um zivile Streitfälle zu regeln. UNAMA stellt allerdings fest, dass diese Strukturen den Gemeinschaften in der Regel aufgezwungen werden und dass die in diesem Rahmen verhängten Strafen wie Hinrichtungen und Amputationen nach afghanischem Recht kriminelle Handlungen darstellen.
Berichten zufolge werden Fälle der Zwangsrekrutierung von Kindern zu einem großen Teil unzureichend erfasst. Jedoch geht aus Berichten hervor, dass die Rekrutierung und der Einsatz von Kindern durch alle Konfliktparteien für Unterstützungs- und Kampfhandlungen im ganzen Land beobachtet werden. Regierungsfeindliche Kräfte nutzen in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben, Berichten zufolge verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang. Personen, die sich der Rekrutierung widersetzen, sind Berichten zufolge ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden. Regierungsfeindliche Kräfte rekrutieren, so wird berichtet, weiterhin Kinder, um sie für Selbstmordanschläge, als menschliche Schutzschilde oder für die Beteiligung an aktiven Kampfeinsätzen zu verwenden, um Sprengsätze zu legen, Waffen und Uniformen zu schmuggeln sowie als Spione, Wachposten oder Späher für die Aufklärung.
In Gebieten, in denen mit dem Islamischen Staat verbundene Gruppen präsent sind, wurden Zivilisten, die der Unterstützung der Taliban verdächtigt wurden, Berichten zufolge von solchen Gruppen bedroht und getötet.
Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative:
Eine Bewertung der Möglichkeiten für eine Neuansiedlung setzt eine Beurteilung der Relevanz und der Zumutbarkeit der vorgeschlagenen internen Schutzalternative voraus. In Fällen, in denen eine begründete Furcht vor Verfolgung in einem bestimmten Gebiet des Herkunftslandes nachgewiesen wurde, erfordert die Feststellung, ob die vorgeschlagene interne Schutzalternative eine angemessene Alternative für die betreffende Person darstellt, eine Bewertung, die nicht nur die Umstände berücksichtigt, die Anlass zu der begründeten Furcht gaben und der Grund für die Flucht aus dem Herkunftsgebiet waren. Auch die Frage, ob das vorgeschlagene Gebiet eine langfristig sichere Alternative für die Zukunft darstellt, sowie die persönlichen Umstände des jeweiligen Antragstellers und die Bedingungen in dem Gebiet der Neuansiedlung müssen berücksichtigt werden. Wenn eine interne Schutzalternative im Zuge eines Asylverfahrens in Betracht gezogen wird, muss ein bestimmtes Gebiet für die Neuansiedlung vorgeschlagen werden und es müssen alle für die Relevanz und Zumutbarkeit des vorgeschlagenen Gebiets im Hinblick auf den jeweiligen Antragsteller maßgeblichen allgemeinen und persönlichen Umstände soweit wie möglich festgestellt und gebührend berücksichtigt werden. Dem Antragsteller muss eine angemessene Möglichkeit gegeben werden, sich zu der angenommenen Relevanz und Zumutbarkeit der vorgeschlagenen internen Schutzalternative zu äußern. eine interne Schutzalternative in Gebieten des Landes, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, nicht gegeben in den von aktiven Kampfhandlungen zwischen regierungsnahen und regierungsfeindlichen Kräften oder zwischen verschiedenen regierungsfeindlichen Kräften betroffenen Gebieten nicht gegeben Geht die Verfolgung von regierungsfeindlichen Kräften aus, muss berücksichtigt werden, ob die Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese Akteure den Antragsteller im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet verfolgen. Angesichts des geografisch großen Wirkungsradius einiger regierungsfeindlicher Kräfte, einschließlich der Taliban und des Islamischen Staates, existiert für Personen, die durch solche Gruppen verfolgt werden, keine interne Schutzalternative. Ferner müssen die Nachweise in Abschnitt II.C hinsichtlich der aufgrund ineffektiver Regierungsführung und weit verbreiteter Korruption eingeschränkten Fähigkeit des Staates, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen durch regierungsfeindliche Kräfte zu bieten, berücksichtigt werden.
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in den Akt der belangten Behörde durch Einsichtnahme in die zitierten allgemeinen Länderfeststellungen sowie durch Abhaltung der mündlichen Verhandlung vom 30.10.2018. Die Sachverhaltsfeststellungen gründen sich auf die Angaben des BF. Die Identität des BF erscheint unbedenklich. Seine Angaben sind insgesamt betrachtet (soweit für die hier zu treffende Beurteilung wesentlich) widerspruchsfrei. Der BF war in der Lage, Detailfragen zu den Ereignissen, die zu seiner Flucht geführt haben, zu beantworten. Seine Vorbringen geben die Situation, welche den BF zur Flucht veranlasst hat, nachvollziehbar wieder. Abweichungen etwa betreffend genaue zeitliche Angaben waren vor diesem Hintergrund zu vernachlässigen. Die Angaben des BF stehen auch mit den aktuell verfügbaren Länderberichten über die Situation in Afghanistan im Einklang. Die Angaben der BF werden vor diesem Hintergrund als glaubwürdig beurteilt. Die strafrechtliche Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus dem Strafregister der Republik Österreich.
Soweit dem BF in der Begründung des angefochtenen Bescheides vorgehalten wird, er habe keinen Versuch unternommen, sich unter den Schutz der staatlichen Polizei zu stellen, so ist dem unter Berücksichtigung der obigen allgemeinen Länderfeststellungen entgegenzuhalten, dass seine mütterliche Verwandtschaft nach der Entführung des Vaters wohl zu Recht davon ausgegangen sein wird, dass die Familie ins Blickfeld eines regierungsfeindlichen Netzwerkes geraten war und dass der BF als Jugendlicher, der sich der Rekrutierung durch regierungsfeindliche Kräfte widersetzt hatte, nun besonders gefährdet war. Wie sich aus den obigen Länderfeststellungen ergibt, ist der afghanische Staat aktuell landesweit nicht in der Lage, in Fällen wie dem vorliegenden ausreichend Schutz bieten. Soweit im angefochtenen Bescheid eingewendet wird, der BF habe keine unmittelbar gegen ihn gerichteten Bedrohungshandlungen vorgebracht, wird dem nicht gefolgt. Die Aussagen des BF ergeben das klare Bild einer auf illegalem Weg erzwungenen Rekrutierung mit dem Ziel, den BF für die Zwecke eines kriminellen regierungsfeindlichen Netzwerks zu benutzen. Dass dabei nicht von Anfang an körperliche Gewalt sondern zunächst das Instrument der Täuschung eingesetzt wurde, ändert nichts an dieser Einschätzung. Aus dem gleichen Grund ist dem im angefochtenen Bescheid angewendeten Argument, eine Rekrutierung durch die Taliban im eigentlichen Sinn sei nicht festgestellt worden, nicht zu folgen. Die Aussagen des BF ergeben klar, dass dieser von seinem Lehrer, dem man im Dorf vertraute, unter Vorspielung der falscher Tatsachen in ein Ausbildungslager gebracht wurde, wo der BF für Zwecke eines kriminellen regierungsfeindlichen Netzwerks missbraucht werden sollte.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A)
§ 3. AsylG 2005 in der anzuwendenden Fassung:
(1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder
2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.
(4) Einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, kommt eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.
(4a) Im Rahmen der Staatendokumentation (§ 5 BFA-G) hat das Bundesamt zumindest einmal im Kalenderjahr eine Analyse zu erstellen, inwieweit es in jenen Herkunftsstaaten, denen im Hinblick auf die Anzahl der in den letzten fünf Kalenderjahren erfolgten Zuerkennungen des Status des Asylberechtigten eine besondere Bedeutung zukommt, zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen is
(4b) In einem Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 gilt Abs. 4 mit der Maßgabe, dass sich die Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, richtet.
(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
§ 11 AsylG 2005 in der anzuwendenden Fassung:
(1) Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.
(2) Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen.
Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definiert, dass als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die "begründete Furcht vor Verfolgung".
Die begründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn objektiver Weise eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z. B. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis 17.3.2009, 2007/19/0459 ausgesprochen hat, wird die Voraussetzung wohlbegründeter Furcht in der Regel nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht. Der für die Annahme einer aktuellen Verfolgungsgefahr erforderliche zeitliche Zusammenhang zwischen den behaupteten Misshandlungen und dem Verlassen des Landes besteht auch bei länger zurückliegenden Ereignissen dann, wenn sich der Asylwerber während seines bis zur Ausreise noch andauernden Aufenthaltes im Lande verstecken oder sonst durch Verschleierung seiner Identität der Verfolgung einstweilen entziehen konnte. Ab welcher Dauer eines derartigen Aufenthaltes Zweifel am Vorliegen einer wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung begründet erscheinen mögen, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. VwGH 94/20/0793 vom 7.11.1995).
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen.
Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011).
Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn die Asylentscheidung erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; VwGH 27.06.1995, 94/20/0836; VwGH 23.07.1999, 99/20/0208; VwGH 21.09.2000, 99/20/0373; VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; VwGH 12.09.2002, 99/20/0505 sowie VwGH 17.09.2003, 2001/20/0177) liegt eine dem Staat zuzurechnende Verfolgungshandlung nicht nur dann vor, wenn diese unmittelbar von staatlichen Organen aus Gründen der Konvention gesetzt wird, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären.
Mangelnde Schutzfähigkeit des Staates liegt nicht schon dann vor, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine BürgerInnen gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen (vgl. VwGH 2006/01/0191 vom 13.11.2008); Mangelnde Schutzfähigkeit des Staates ist jedoch dann gegeben, wenn der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 22.03.2003, 99/01/0256). Für eine/n Verfolgte/n macht es nämlich keinen Unterschied, ob er/sie aufgrund staatlicher Verfolgung mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ihm/ihr dieser Nachteil aufgrund einer von dritten Personen ausgehenden, vom Staat nicht ausreichend verhinderbaren Verfolgung mit derselben Wahrscheinlichkeit droht. In beiden Fällen ist es ihm/ihr nicht möglich bzw im Hinblick auf seine/ihre wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen.
Die Voraussetzungen der GFK sind nur dann gegeben, wenn der Flüchtling im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet. (VwGH 8.10.1980, VwSlg. 10.255).
Verfolgungsgefahr muss nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem/der Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden. Vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der/die Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er/sie könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 9.3.1999, 98/01/0370; 22.10.2001 2000/01/0322).
Rechtliche Beurteilung des konkreten Sachverhaltes:
Im vorliegenden Fall wurde der BF als Jugendlicher unter Beihilfe seines Lehrers von regierungsfeindlichen Gruppen zwangsrekrutiert, konnte jedoch fliehen. Er ist damit in das Blickfeld eines kriminellen regierungsfeindlichen Netzwerks geraten und hat sich diesem widersetzt. Dieser Umstand ist im vorliegenden Gesamtzusammenhang asylrelevant:
Die vom BF dargelegte Verfolgung hat ihre Ursache in einem Grund, welchen Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt. Sie ist Ursache dafür, dass sich der BF außerhalb seines Heimatlandes befindet. Der BF hat Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aus Gründen einer ihm unterstellten politischen Gesinnung.
Für den BF existiert keine sinnvolle interne Fluchtalternative. Die Umstände, die der BF als Grund für die Ausreise angegeben werden und die Ausreise selbst standen in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang. Der damals noch minderjährige BF versteckte sich mit seiner Mutter und seinen kleinen Geschwistern zunächst beim Großvater. Sein Onkel mütterlicherseits organisierte von dort seine Flucht.
Die vom BF erwartete Verfolgung ist als ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des BF anzusehen. Sie ist geeignet, die Unzumutbarkeit seiner Rückkehr nach Afghanistan zu begründen. Die vom BF dargelegte Verfolgung droht ihm mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit. Sie ist auch aktuell.
Die vom BF dargelegte Verfolgung stellt eine dem Staat zuzurechnende Verfolgungshandlung dar, da aktuell von mangelnder Schutzfähigkeit des Afghanischen Staates ausgegangen werden muss. Dem BF wäre es nicht möglich bzw im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen.
Es sind auch keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Asylausschlussgrundes gegeben.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung, Minderjährigkeit,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W164.2176738.1.00Zuletzt aktualisiert am
22.01.2019