TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/26 W266 2174889-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.11.2018
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Entscheidungsdatum

26.11.2018

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W266 2174891-1/14E

W266 2174886-1/12E

W266 2174889-1/11E

W266 2174888-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Stephan WAGNER über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX 3.) XXXX , geb. XXXX und 4.) XXXX , geb. XXXX alle StA. Afghanistan, 3.) und 4.) gesetzlich vertreten durch 2.), alle vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, Außenstelle Wien, vom 29.9.2017, Zlen.

1.) XXXX , 2.) XXXX , 3.) XXXX und 4.) XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.06.2018, zu Recht:

A)

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und die Drittbeschwerdeführerin (die minderjährige Tochter des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin) reisten spätestens Anfang Oktober 2015 illegal in das Bundesgebiet ein und stellten am 1.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Viertbeschwerdeführerin wurde in Österreich während des laufenden Asylverfahrens geboren. Der Asylantrag für sie wurde am 9.2.2017 gestellt. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet.

In der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 24.10.2015 gab der Erstbeschwerdeführer zu seine Fluchtgründen an, er habe Afghanistan wegen der Taliban verlassen, welche seinen Vater getötet hätten, weil dieser ein Schiit gewesen sei. Danach hätten sie über Bekannte auch den Erstbeschwerdeführer bedroht, weshalb dieser über den Iran in die Türkei geflohen sei. In der Türkei bekomme man aber kein Asyl und ohne Arbeit könne man nicht leben, weshalb der Erstbeschwerdeführer entschieden habe, die Türkei zu verlassen und in ein Land zu gehen, wo sein Kind eine Zukunft haben könne.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab in ihrer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 24.10.2015 zu ihren Fluchtgründen an, sie habe den Iran, wo sie nach dem Verlassen Afghanistans gelebt habe, verlassen, weil sie dort keine Dokumente gehabt habe. Afghanen seien im Iran sehr schlecht behandelt worden. Die Zweitbeschwerdeführerin habe dort als Kind nicht in die Schule gehen können und auch ihre eigenen Kinder hätten dort nicht in die Schule gehen können, weil sie sich illegal im Iran aufgehalten hätten.

Der Erstbeschwerdeführer wurde am 23.2.2017 vom Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen, Regionaldirektion Wien, Außenstelle Wien (im Folgenden BFA oder belangte Behörde) befragt. Im Zuge dieser Befragung gab er an, afghanischer Staatsangehöriger zu sein, der Volksgruppe der Hazara anzugehören und sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam zu bekennen. Er sei in der Provinz Balkh, Mazar-e Sharif, Distrikt XXXX , Dorf XXXX , geboren. Sein Vater sei vor 15 Jahren getötet worden, seine Mutter lebe noch im Heimatdorf, weiters habe er noch fünf Brüder und zwei Schwestern, welche noch in Afghanistan, teilweise im Heimatdorf, teilweise in Kabul, teilwiese anderswo in der Provinz Balkh leben würden. Die Schwiegermutter des Erstbeschwerdeführers würde in Österreich leben.

Hinsichtlich seiner Fluchtgründe gab der Erstbeschwerdeführer an, er habe in Ruhe leben wollen. Der Erstbeschwerdeführer sei in Afghanistan von Gegnern bedroht worden und habe ums Leben kommen können. Obwohl die Familie bedroht worden wäre, habe die Mutter des Erstbeschwerdeführers das Land nicht verlassen wollen. Die Feinde der Familie seien immer wieder gekommen und hätten nach den Kindern gefragt, da sie diese, wie den Vater des Erstbeschwerdeführers, töten haben wollen. Die Mutter des Erstbeschwerdeführers habe gesagt, er müsse das Heimatdorf verlassen. Daraufhin sei der Erstbeschwerdeführer nach Mazar-e Sharif gegangen und habe dort im Geheimen in einer Bäckerei gearbeitet. Nach ca. 4-5 Jahren sei der Erstbeschwerdeführer wieder ins Heimatdorf zurückgekehrt. Dort sei er von seinem Feind wiedergesehen worden und von diesem beleidigt und bedroht worden. Daraufhin sei er wieder nach Mazar-e Sharif gegangen und dort weitere zwei Jahre geblieben, ehe er in den Iran gegangen sei. Nach drei Jahren im Iran sei der Erstbeschwerdeführer von der dortigen Polizei festgenommen und in ein Polizeigefängnis in XXXX gebracht worden. Dort sei er geschlagen und nach Afghanistan zurückgeschoben worden. Der Erstbeschwerdeführer sei dann zwei weitere Jahre in Afghanistan geblieben, ehe er wieder in den Iran gegangen sie, wo er die Zweitbeschwerdeführerin geheiratet habe. Da die Familie nach wie vor illegal im Iran gewesen sei, seien sie schließlich nach Europa aufgebrochen.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab bei ihrer Einvernahme vor der belangten Behörde am 23.2.2017 an, sie sei afghanische Staatsangehörige, Hazara und Schiitin. Sie sei in Afghanistan in der Provinz Balkh, Mazar-e Sharif, Distrikt XXXX , Dorf XXXX geboren. Ihr Vater sei verstorben und ihre Mutter, sowie vier Brüder und drei Schwestern würden in Österreich leben. In Afghanistan würden noch drei Tanten mütterlicherseits und ein Onkel väterlicherseits leben, ein Onkel mütterlicherseits würde im Iran leben.

Zu ihren Fluchtgründen befragt gab die Zweitbeschwerdeführerin an, dass ihr Onkel ihre Mutter heiraten haben wollen, nachdem der Vater der Zweitbeschwerdeführerin bei einer Explosion getötet worden sei. Deshalb sei die Mutter der Zweitbeschwerdeführerin in den Iran geflüchtet. In Afghanistan sei es nicht sicher gewesen und im Iran seien sie illegal aufhältig gewesen, daher sei die Familie Richtung Europa aufgebrochen.

Für die Drittbeschwerdeführerin und die nachgeborene Viertbeschwerdeführerin wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.

Die belangte Behörde hat mit den im Spruch angeführten Bescheiden die Anträge auf internationalen Schutz jeweils bezüglich der Zuerkennung des Status des/der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Den beschwerdeführenden Parteien wurde jeweils gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 29.9.2018 erteilt (Spruchpunkt III.).

Gegen den Spruchpunkt I. dieser Bescheide wurde für alle vier Beschwerdeführer durch die amtswegig beigegebene Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde erhoben.

Mit Schreiben vom 28.11.2017, 2.1.2018 und 17.1.2018 wurden dem Bundesverwaltungsgericht Unterlagen zum Nachweis der Integration der Beschwerdeführer vorgelegt.

Am 20.6.2018 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, zu welcher die Beschwerdeführer und deren Rechtsvertreter anwesend waren. Die belangte Behörde ist entschuldigt nicht erschienen. In der Verhandlung wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin nochmals umfassend zu den Flucht- und Beschwerdegründen befragt.

Mit Schreiben vom 4.9.2018 wurde den Beschwerdeführern eine aktualisierte Länderinformation übermittelt und ihnen die Gelegenheit gegeben, zu diesen binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen.

Mit Schreiben vom 18.9.2018 machten die Beschwerdeführer davon Gebrauch und gaben eine Stellungnahme zur aktualisierte Länderinformation ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens insbesondere durch Einsicht in die behördlichen Verwaltungsakte, die vorgelegten und eingeholten Länderberichte und Einvernahme des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin im Rahmen der öffentlichen, mündlichen Verhandlung steht folgender entscheidungswesentlicher

Sachverhalt fest:

Zu den Personalien der beschwerdeführenden Parteien:

Die beschwerdeführenden Parteien führen die im Spruch genannten Namen und Geburtsdaten, sind afghanische Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Hazara an und bekennen sich zum schiitischen Islam. Die Identitäten der Erst- bis Drittbeschwerdeführer stehen nicht fest, jene der Viertbeschwerdeführerin steht fest.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet und die Eltern der minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführerin.

Der Erstbeschwerdeführer wurde in Afghanistan in der Provinz Balkh, Mazar-e Sharif, Distrikt XXXX , Dorf XXXX , geboren. Der Vater des Erstbeschwerdeführers ist vor mehr als 15 Jahren verstorben, wobei die genaue Todesursache nicht festgestellt werden kann. Die Mutter des Erstbeschwerdeführers sowie seine Geschwister und sonstigen Verwandten leben noch in Afghanistan, teilweise im Heimatdorf, teilweise in Kabul oder in anderen Distrikten der Provinz Balkh. Ein Bruder ist verstorben. Der Erstbeschwerdeführer hat in Afghanistan keine Schule besucht und ist Analphabet. Er hat in Afghanistan als Hilfsarbeiter in eine Bäckerei in Mazar-e Sharif gearbeitet. Weiters hat er seiner Mutter beim Teppichknüpfen geholfen und in der Landwirtschaft gearbeitet. Im Zuge seiner Fluchtbewegungen hat der Erstbeschwerdeführer auch zwei Jahre im Iran und drei Jahre in der Türkei gelebt.

Die Zweitbeschwerdeführerin wurde in Afghanistan in der Provinz Balkh, Mazar-e Sharif, Distrikt XXXX , Dorf XXXX geboren. Ihr Vater ist verstorben, ihrer Mutter wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.9.2017, W249 2149028-1/10E, der Status der subsidiär Schutzberechtigten verliehen. Weiters hat sie noch drei Tanten mütterlicherseits in Mazar-e Sharif und einen Onkel mütterlicherseits im Iran. Von einem weiteren Onkel väterlicherseits kennt sie weder den Namen, noch den Wohnort. Die Zweitbeschwerdeführerin hat im Iran viereinhalb Jahre eine Schule besucht und als Obstpflückerin, Stickerin und Bedienerin gearbeitet. Letztere Tätigkeit hat sie auch in der Türkei ausgeübt. Die Zweitbeschwerdeführerin hat sich nachdem sie Afghanistan verlassen hat zehn Jahre im Iran und drei Jahre in der Türkei aufgehalten.

Die Drittbeschwerdeführerin wurde in XXXX , Türkei geboren. Sie reiste zusammen mit dem Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin nach Österreich ein.

Die Viertbeschwerdeführerin wurde in Österreich, XXXX geboren.

Zur Situation der beschwerdeführenden Parteien in Österreich:

Die Beschwerdeführer (Erstbeschwerdeführer bzw- Zweit- und Drittbeschwerdeführerin) reisten spätestens am 1.10.2015 illegal nach Österreich ein. Die Viertbeschwerdeführerin wurde am XXXX in Österreich geboren. Allen wurde in Österreich der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

Die Beschwerdeführer leben im Familienverband in XXXX .

Der Erstbeschwerdeführer hat Deutschkurse besucht und bisher ein Zertifikat bis Niveau A1 erreicht. Weiters hat er einen Werte- und Integrationskurs besucht. Er geht keiner Erwerbstätigkeit nach und lebt von der Grundversorgung.

Der Tagesablauf des Erstbeschwerdeführers gestaltet sich folgendermaßen: Am Morgen bringt er die Drittbeschwerdeführerin in den Kindergarten. Danach lernt er zu Hause Deutsch und von 13:00 bis 16:00 Uhr besucht er dann im Deutschkurs.

Die Zweitbeschwerdeführerin hat in Österreich ebenfalls Deutschkurse besucht, aber kein Zertifikat erreicht. Ihre Deutschkenntnisse sind als schlecht einzustufen. Sie lebt, wie der Erstbeschwerdeführer, von der Grundversorgung.

Der Tagesablauf der Zweitbeschwerdeführerin gestalte sich folgendermaßen: Am Morgen nach dem der Erstbeschwerdeführer die Drittbeschwerdeführerin in den Kindergarten gebracht hat, widmet sich die Zweitbeschwerdeführerin, neben der Versorgung der Viertbeschwerdeführerin, Hausarbeiten und dem Zubereiten des Mittagessens. Am Nachmittag holt sie die Drittbeschwerdeführerin vom Kindergarten ab. Danach geht sie entweder mit den Kindern in den Park oder Radfahren. Mitunter trifft sie sich mit ihren Nachbarn und besucht diese zuhause oder trifft sich mit Freunden. Am Abend kocht sie das Abendessen. Wenn nötig, geht sie auch einkaufen (z.B. Lebensmittel oder Kleidung).

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin haben keine österreichischen Freunde.

Die Drittbeschwerdeführerin besucht derzeit einen Kindergarten in XXXX . Sie soll im kommenden Jahr in die Schule kommen. Die Viertbeschwerdeführerin befindet sich im Kleinkindalter.

Zu den Fluchtgründen:

Der Vater des Erstbeschwerdeführers wurde nicht von den Taliban getötet und wurde der Erstbeschwerdeführer auch deswegen nicht in asylrelevanter Weise von diesen in Afghanistan verfolgt bzw. droht ihm aktuell keine derartige Verfolgung in Afghanistan.

Dem Erstbeschwerdeführer droht wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder zur schiitischen Religion keine konkrete und individuelle physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan. Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass jeder Angehörige der Volksgruppe der Hazara oder der schiitischen Religion in Afghanistan physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt ist.

Der Erstbeschwerdeführer ist in Afghanistan weder vorbestraft noch wurde er dort jemals inhaftiert und hatte auch mit den Behörden des Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst Probleme.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Zweitbeschwerdeführerin in Afghanistan durch die Taliban in Afghanistan aktuelle und individuelle Verfolgung droht.

Es kann weiter nicht festgestellt werden, dass der Zweitbeschwerdeführerin durch einen Onkel, welcher ihre Mutter heiraten wollte, in Afghanistan asylrelevante Verfolgung droht.

Auch der Zweitbeschwerdeführerin droht aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder zur schiitischen Religion keine konkrete und individuelle physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan. Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass jeder Angehörige der Volksgruppe der Hazara oder der schiitischen Religion in Afghanistan physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt ist.

Die Zweitbeschwerdeführerin ist in Afghanistan weder vorbestraft noch wurde sie dort jemals inhaftiert und hatte auch mit den Behörden des Herkunftsstaates weder auf Grund ihres Religionsbekenntnisses oder ihrer Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst Probleme. Die Zeitbeschwerdeführerin war und ist nicht politisch tätig und gehörte bzw. gehört keiner politischen Partei an. Insbesondere droht der Zweitbeschwerdeführerin keine aktuelle und konkrete Bedrohung alleine aufgrund ihres Geschlechts oder wegen ihres Lebensstils.

Die Zweitbeschwerdeführerin pflegt in Österreich zwar einen etwas lockereren Lebensstil als in Afghanistan, diesen hat sie aber noch nicht vollkommen verinnerlicht. In Österreich trägt sie hellere Kleidung aber nach wie vor ein lockeres Kopftuch. Sie wünscht sich, in Österreich eine Arbeit zu bekommen. Auch für die Dritt- und die Viertbeschwerdeführerin wünscht sie sich eine angemessene Schulbildung. Ihr genereller Tagesablauf unterscheidet sich jedoch nur unwesentlich von jenem vor ihrer Ausreise nach Österreich und sie ist in einigen Bereichen noch vom Erstbeschwerdeführer abhängig.

Die Zweitbeschwerdeführerin hat noch keine Lebensweise angenommen, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Jedenfalls ist diese Lebensführung noch nicht zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Zweitbeschwerdeführerin geworden, dass von ihr nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten in Afghanistan zu unterdrücken, um einer bedrohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen.

Die persönliche Haltung der Zweitbeschwerdeführerin zur grundsätzlichen Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft steht nicht in maßgeblichem Widerspruch zu den in Afghanistan bislang vorherrschenden gesellschaftlich religiösen Zwängen, denen Frauen dort mehrheitlich unterworfen sind. Sie ist nicht an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen und Gesellschaftsbild orientiert. Zwar gibt es Merkmale an der "westlichen Art" zu leben, die die sie schätzt, und sich wünscht, doch ist sie nicht derart selbständig und lebt auch nicht völlig eigenständig, sondern vielmehr noch in Abhängigkeit von ihrem Mann. Der von der Zweitbeschwerdeführerin in Österreich gepflegte Kleidungsstil (sie kam mit Kopftuch und heller traditioneller Kleidung, zur mündlichen Verhandlung) verstößt jedenfalls nicht in einer solchen Form gegen die sozialen Normen in Afghanistan, dass er bereits eine (asylrelevante) Verfolgung auslösen würde. Eine vorübergehende intensivere Verhüllung zur Vermeidung einer etwaigen sozialen Ausgrenzung wäre der Erstbeschwerdeführerin im Übrigen zumutbar. Es konnte auch nicht glaubhaft dargelegt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin während ihres dreijährigen Aufenthalts in Österreich eine Lebensweise angenommen hätte, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde. Insbesondere bestünde keine reale Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung, wenn sie versuchen sollte, ihren Kindern eine schulische Ausbildung zukommen zu lassen.

Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin mit wenigen Ausnahmen noch nach der konservativen islamisch geprägten Lebensweise lebt, wie sie auch von der afghanischen Mehrheitsgesellschaft gelebt wird. Soweit Sie in Ansätzen in Österreich ein etwas freieres Leben führt und den Wunsch verspürt, die Sprache zu lernen und arbeiten zu gehen, ist jedoch festzustellen, dass sie die von ihr als "westlich" bezeichnete Lebensweise jedenfalls noch nicht verinnerlicht hat.

Hinsichtlich der Drittbeschwerdeführerin kann schon allein aufgrund ihres Alters keine konkrete Bedrohung oder die Gefahr einer solchen aus den Gründen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Einstellung festgestellt werden. Insbesondere wäre es ihr (und später auch der Viertbeschwerdeführerin) möglich, in Afghanistan, jedenfalls in den Großstädten wie Kabul oder Mazar-e Sharif, auch als Mädchen eine Schule zu besuchen. Eine asylrelevante Verfolgungsgefahr wegen einer westlichen Orientierung kann hinsichtlich der Drittbeschwerdeführerin schon aufgrund ihres anpassungsfähigen, jungen Alters nicht festgestellt werden. Dies gilt erst recht für die sich im Kleinkindalter befindliche Viertbeschwerdeführerin.

Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Das Bundesverwaltungsgericht trifft folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 [Schreibfehler teilweise korrigiert]):

Zu Kabul:

Bei Kabul handelt es sich um eine für Normalbürger, die nicht mit Ausländern zusammenarbeiten, über den Flughafen gut und sicher erreichbare, sichere und relativ stabile Stadt, auch wenn es dort in jüngster Zeit vermehrt zu vereinzelten öffentlichkeitswirksamen Anschlägen kommt. Diese richten sich weiterhin größtenteils gegen ausländische Organisationen bzw. Einrichtungen oder solche der Regierung. Die Situation am Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie hinsichtlich der Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern ist zwar sehr angespannt, jedoch ist die Versorgung der Bevölkerung mit diesen grundlegend gesichert.

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).

Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018).

Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte) (ACLED 23.2.2018).

Zu Mazar-e Sharif:

Die Stadt Mazar-e Sharif ist genauso wie Kabul über einen Flughafen sicher erreichbar. Zwar gilt auch für Mazar-e Sharif, dass die Lage am Arbeitsmarkt und Wohnungsmarkt extrem angespannt ist und trifft dies auch auf die Versorgungslage mit den lebensnotwendigsten Gütern zu, jedoch ist auch hier die Versorgung der Bevölkerung grundlegend gesichert.

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Sie hat folgende administrative Einheiten: Hairatan Port, Nahra-i-Shahi, Dihdadi, Balkh, Daulatabad, Chamtal, Sholgar, Chaharbolak, Kashanda, Zari, Charkont, Shortipa, Kaldar, Marmal, und Khalm; die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz grenzt im Norden an Tadschikistan und Usbekistan. Die Provinz Samangan liegt sowohl östlich als auch südlich von Balkh. Die Provinzen Kunduz und Samangan liegen im Osten, Jawzjan im Westen und Sar-e Pul im Süden (Pajhwok o.D.y).

Balkh grenzt an drei zentralasiatische Staaten: Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan (RFE/RL 9.2015). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (CSO 4.2017).

Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.:

Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (BFA Staaatendokumentation 4.2018). In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35).

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (Pajhwok 7.6.2017).

Nach monatelangen Diskussionen hat Ende März 2018 der ehemalige Gouverneur der Provinz Balkh Atta Noor seinen Rücktritt akzeptiert und so ein Patt mit dem Präsidenten Ghani beendet. Er ernannte den Parlamentsabgeordneten Mohammad Ishaq Rahgozar als seinen Nachfolger zum Provinzgouverneur (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Reuters 22.3.2018). Der neue Gouverneur versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Sicherheit im Norden des Landes zu garantieren (Tolonews 24.3.2018).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans (RFE/RL 23.3.2018), sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan (Khaama Press 16.1.2018; vgl. Khaama Press 20.8.2017). Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Khaama Press 16.1.2018).

Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (Tolonews 7.3.2018), oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (BBC 22.4.2017; vgl. BBC 17.6.2017).

In der Provinz befindet sich u.a. das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North) (NATO 11.11.2016; vgl. iHLS 28.3.2018), sowie auch das Camp Shaheen (BBC 17.6.2017; vgl. Tolonews 22.4.2017).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen in Balkh

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen (Khaama Press 16.1.2018). Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT.3.2018, Pajhwok 21.8.2017, Pajhwok 10.7.2017). Dabei werden Taliban getötet (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT 6.3.2018, Pajhwok 10.7.2017) und manchmal auch ihre Anführer (Tolonews 18.3.2018; vgl. Tolonews 7.3.2018, PT 6.3.2018, Tolonews 22.4.2017). Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 7.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Balkh

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben (Khaama Press 16.1.2018). Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen (Khaama Press 20.8.2017). Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (ACLED 23.2.2018).

Zur aktuellen Sicherheitslage im Allgemeinen, zur Lage der Schiiten und Hazara, zur Menschenrechts-, Wirtschafts- und Versorgungslage, zur Lage der Frauen und Kinder und weiteren einschlägigen Themen:

Sicherheitslage:

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

? Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

? Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

? Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

? Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

? Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

? Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

? Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

? Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

? Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

? Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).

? Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

? Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)

? Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).

? Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018) .

? Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Kart-e Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).

? Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).

? Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötung zweier religiöser Persönlichkeiten in der Provinz Kandahar. Die Tötungen legitimierten die Taliban, indem sie die Getöteten als Spione der Regierung bezeichneten (UNAMA 7.11.2017).

? Angriff auf schiitische Moschee: Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat City; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (BBC 3.8.2017; vgl. Pajhwok 2.8.2017). Insgesamt war von 100 zivilen Opfer die Rede (Pajhwok 2.8.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 3.8.2017).

? Entführung in Nangarhar: Die Taliban entführten und folterten einen religiösen Gelehrten in der Provinz Nangarhar, dessen Söhne Mitglieder der ANDSF waren - sie entließen ihn erst, als Lösegeld für ihn bezahlt wurde (UNAMA 7.11.2017).

In der Provinz Badakhshan wurde ein religiöser Führer von den Taliban entführt, da er gegen die Taliban predigte. Er wurde gefoltert und starb (UNAMA 7.11.2017).

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018). Es folgt eine Auflistung der größten Vorfälle:

? Bei einem Selbstmordanschlag auf ein für die Wahlregistrierung errichtetes Zelt vor einer Moschee in der Provinz Khost kamen Quellen zufolge am 6.5.2018 zwischen 13 und 17 Menschen ums Leben und mindestens 30 weitere wurden verletzt (DW 6.5.2018; vgl. Tolonews 6.5.2018, AJ 6.5.2018).

? Am 22.4.2018 kamen in der Nähe einer Behörde zur Wahlregistrierung in Pul-e-Khumri in der Provinz Baghlan sechs Menschen ums Leben und fünf weitere wurden verletzt; bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 22.4.2018; vgl. NZZ 22.4.2018).

? Am 22.4.2018 kamen vor einer Behörde zur Wahlregistrierung in Kabul 60 Menschen ums Leben und 130 wurden verletzt. Der Angriff fand im mehrheitlich aus ethnischen Hazara bewohnten Kabuler Distrikt Dacht-e-Barchi statt. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag, der gegen die "schiitischen Apostaten" gerichtet war (USIP 24.4.2018; vgl. Slate 22.4.2018).

Zivilist/innen

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009-31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).

Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und intern

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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