Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Stefula und die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller und Mag. Andreas Schlitzer in der Arbeitsrechtssache der klagenden Parteien 1. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Webergasse 4, 1203 Wien, und 2.
Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, beide vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. K***** GmbH und 2. S***** S*****, beide vertreten durch Dr. Nikolaus Vogler, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, wegen 140.541,80 EUR sA (erstklagende Partei) bzw 73.110,12 EUR sA (zweitklagende Partei) und jeweils Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. August 2018, GZ 9 Ra 65/18x-19, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1
ASGG).
Text
Begründung:
A***** S***** erlitt am 21. 10. 2010 als Dienstnehmer der Erstbeklagten einen schweren Unfall. Die Erstklägerin als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannte mit Bescheid vom 15. 6. 2011 diesen Unfall als Arbeitsunfall und sprach unter einem dem verunglückten Versicherten eine 100%-ige Dauerrente zu. Die Klägerinnen erbrachten im Zeitraum 16. 12. 2010 bis zum 31. 8. 2017 Leistungen in der Höhe des jeweiligen Klagsbetrags. Auch die Leistungen der Zweitbeklagten wurden – unstrittig (Berufungsurteil S 9) – aufgrund eines von ihr im Jahr 2011 rechtskräftig erlassenen Bescheids erbracht. Mit der am 22. 9. 2017 eingebrachten Klage begehren die Klägerinnen von den Beklagten nach § 334 ASVG Ersatz.
Die Vorinstanzen wiesen das auf § 334 ASVG gestützte Klagebegehren wegen Verjährung gemäß § 337 Abs 1 ASVG ab.
Die Klägerinnen relevieren in der außerordentlichen Revision als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO, ob der Fristlauf nach § 337 Abs 1 ASVG auch dann ausgelöst wird, wenn der Sozialversicherungsträger keine nach § 1489 ABGB geforderte Kenntnis von Schaden, Schädiger und – iSd § 334 ASVG – haftungsbegründenden Umständen (qualifiziertes Verschulden) hat. Von solchen (als Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zu wertenden und daher einen Anspruch nach § 334 ASVG tragenden) haftungsbegründenden Umständen erfuhren die Klägerinnen – zumindest ihrem Vorbringen nach – erst im Zuge eines späteren Verfahrens über eine Integritätsabgeltung des Verunfallten.
Rechtliche Beurteilung
1. Gemäß § 334 Abs 1 Satz 1 ASVG hat der Dienstgeber oder ein ihm gemäß § 333 Abs 4 ASVG Gleichgestellter (ua Aufseher im Betrieb) dann, wenn er den Arbeitsunfall vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit verursacht hat, den Trägern der Sozialversicherung alle nach diesem Bundesgesetz zu gewährenden Leistungen zu ersetzen.
Ein Ersatzanspruch des Versicherungsträgers gemäß § 334 ASVG verjährt gemäß § 337 Abs 1 ASVG in drei Jahren nach der ersten rechtskräftigen Feststellung der Entschädigungspflicht. Maßgebend für den Beginn des Laufs der Verjährungsfrist ist in diesem Fall nach ständiger Rechtsprechung der Zeitpunkt, in dem über die Feststellung der Leistung des Versicherungsträgers eine Entscheidung vorliegt, die keinem weiteren Rechtszug (Klage, Berufung) unterliegt (RIS-Justiz RS0085010). Auch nach den Gesetzesmaterialien zu § 337 ASVG (ErläutRV 599 BlgNR 7. GP 100) und der einhelligen Lehre stellt § 337 Abs 1 ASVG für den Verjährungsbeginn gegenüber § 1478 Satz 2 und § 1489 ABGB die lex specialis dar (Mader/Janisch in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1478 Rz 11, § 1489 Rz 33; Vollmaier in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1478 Rz 67; Dehn in KBB5 § 1478 Rz 3). Es kommt also gerade nicht – wie die Klägerinnen meinen – auf eine bestimmte Kenntnis des Versicherungsträgers iSd § 1489 ABGB an (Auer-Mayer in SV-Komm § 337 ASVG Rz 2).
2.1. Der Senat befasste sich erst
jüngst in der Entscheidung 9 ObA 49/18y mit der Verjährungsbestimmung des § 337 Abs 1 ASVG. In jenem Verfahren hatte der dort von der (auch hier) klagenden Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt nach § 334 ASVG in Anspruch genommene Erstbeklagte gegen die am 22. 12. 2016 eingebrachte Klage eingewendet, die Klagsforderung sei verjährt, weil die Klägerin vom Unfall bereits am 15. 10. 2013 Kenntnis gehabt habe. Nach dem festgestellten Sachverhalt hatte die Klägerin den der Klage zugrundeliegenden Unfall mit Bescheid vom 9. 7. 2014 als Arbeitsunfall anerkannt und dem verunfallten Versicherten eine Versehrtenrente gewährt. Der Senat verwarf den Verjährungseinwand, zumal der Erstbeklagte, soweit er auf einen anderen Beginn der Verjährungsfrist abstellte, von der „eindeutigen Gesetzeslage“ abwich.
2.2. Dass die Gesetzeslage eindeutig ist, gilt jedenfalls insofern, als – was auch vorliegend hinsichtlich beider Klägerinnen der Fall ist und in der außerordentlichen Revision nicht in Zweifel gezogen wird – durch Erlassung eines Bescheids die Entschädigungspflicht des Versicherungsträgers rechtskräftig festgestellt wurde und hierauf mehr als drei Jahre bis zur Klagseinbringung verstrichen. Dass nicht auf eine Kenntnis, sondern auf den objektiven Tatbestand der rechtskräftigen Feststellung der Entschädigungspflicht abzustellen ist, kann im Einzelfall – wie in 9 ObA 49/18y – für den Versicherungsträger von Vorteil, aber auch – wie im vorliegenden Fall – von Nachteil sein.
2.3. Eine Unsachlichkeit der Anknüpfung an den objektiven Tatbestand der rechtskräftigen Feststellung der Entschädigungspflicht vermag der Senat nicht zu erblicken. Die Anknüpfung lässt sich mit der Annahme erklären, dass der Feststellung einer Entschädigungspflicht mittels Bescheids ein Verfahren vorausgeht, in dem regelmäßig auch jene Umstände zu Tage treten bzw zumindest vom Versicherungsträger geprüft werden können, die einen Ersatzanspruch nach § 334 ASVG begründen könnten. Zudem tritt nach ständiger Rechtsprechung ganz grundsätzlich die Verjährung eines Rechts – außerhalb von an die Kenntnis anknüpfenden besonderen Verjährungsregeln wie insbesondere § 1489 ABGB – auch dann ein, wenn der Berechtigte keine Kenntnis von diesem Recht hatte (RIS-Justiz RS0034337; RS0034248 [T7, T9]), nach hA sogar dann, wenn der Berechtigte bei bestem Willen keine Kenntnis von diesem Recht erlangen konnte (8 Ob 627/86; 5 Ob 2105/96m; F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts [1996] 168 [in FN 171]; Mader/Janisch in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1478 Rz 6; R. Madl in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.05 § 1478 Rz 15). Die Frist darf nur nicht allzu kurz sein, dem Berechtigten muss eine faire Chance zur Rechtsausübung bleiben (Vollmaier in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1451 Rz 26 mwH). Dass eine Frist von drei Jahren ab rechtskräftiger Feststellung der Ersatzpflicht des Sozialversicherers unzureichend wäre, um ihm im Normalfall eine faire Chance zu geben, allfällig noch unbekannte Umstände zu eruieren, die für eine erfolgreiche Geltendmachung des Anspruchs nach § 334 ASVG erforderlich sind, ist nicht ersichtlich.
2.4. Wann im Fall, dass ein Versicherungsträger, ohne einen Bescheid erlassen zu haben, Leistungen erbringt („schlichte Leistungsgewährung“), die Verjährungsfrist für einen Anspruch nach § 334 ASVG beginnt, ist in der Literatur strittig (für den Beginn des Laufs der Verjährungsfrist mit der Leistungserbringung Auer-Mayer in SV-Komm § 337 ASVG Rz 2; für die Geltung der Verjährungsbestimmung des § 1489 ABGB hingegen Atria in Sonntag, ASVG9 §§ 333–335 Rz 74). Die Frage kann hier mangels Relevanz offen bleiben.
3. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine klare, das heißt
eindeutige Regelung trifft (RIS-Justiz
RS0042656). Dies ist in Bezug auf die hier zu lösende Frage der Fall. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.
Textnummer
E123777European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:009OBA00113.18K.1128.000Im RIS seit
22.01.2019Zuletzt aktualisiert am
08.07.2019