Entscheidungsdatum
29.08.2018Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13Spruch
G307 2182387-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Irak, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige Gesellschaft mbH - ARGE Rechtsberatung in 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.12.2017, Zahl XXXX nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des bekämpften Bescheides wird gemäß als unbegründet a b g e w i e s e n .
II. Im Übrigen wird der Beschwerde stattgegeben, eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 9 Abs. 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl I Nr. 87/2012 idgF, iVm § 55 Abs. 1 Z1 und Z2 AsylG 2005, auf Dauer für unzulässig erklärt und Ali Hassan Rashid RASHID gemäß § 54 Abs. 1 Z 1, § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 AsylG 2005, der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von 12 Monaten erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) stellte am 24.05.2015, den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005).
2. Am 25.05.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion XXXX die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt.
3. Am 16.10.2017 wurde der BF im Asylverfahren niederschriftlich durch ein Organ des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl der Regionaldirektion Oberösterreich (im Folgenden: BFA) einvernommen.
4. Mit dem oben im Spruch genannten Bescheid des BFA, dem BF persönlich zugestellt am 11.12.2017, wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V.), sowie gemäß § 55 Abs. 1 und 3 FPG eine zweiwöchige Frist zur freiwilligen Ausreise festgesetzt (Spruchpunkt VI.)
5. Mit am 03.01.2018 datierten und am selben Tag beim BFA eingebrachtem Schriftsatz erhob der BF durch seine Rechtsvertretung (im Folgenden: RV) Beschwerde gegen den oben genannten Bescheid an das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG).
Darin wurden beantragt, der Beschwerde stattzugeben und dem BF den Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG, diesem in eventu jenen eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG zuzuerkennen, in eventu festzustellen, dass die erlassene Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, festzustellen dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 AsylG vorlägen, dem BF einen Aufenthaltstitel gemäß § 58 Abs. 2 AsylG zu erteilen und gleichzeitig die Spruchpunkte IV. und V. des bekämpften Bescheides zu beheben. Alternativ wurde beantragt, den angefochtenen Bescheid der Erstbehörde zur neuerlichen Entscheidung und Verfahrensergänzung an diese zurückzuverweisen, in eventu eine mündliche Verhandlung durchzuführen.
6. Die gegenständliche Beschwerde und der zugehörige Verwaltungsakt wurden vom BFA am 08.01.2018 vorgelegt und sind dort am 10.01.2018 eingelangt.
7. Am 06.07.2018 fand in der Außenstelle Graz des Bundesverwaltungsgerichtes eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an welcher der BF und seine RV teilahmen.
8. Mit Schreiben vom 26.07.2018 teilte die RV des BF mit, dass die für den BF bei der XXXX vorgesehene Arbeitsstelle mittlerweile anderweitig besetzt worden sei. Ferner wurde eine email des Bezirkspolizeikommandos XXXX (im Folgenden: BPDXXXX) übermittelt, wonach der BF für dieses als Vertrauensperson tätig sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der BF führt die im Spruch angegebene Identität (Namen und Geburtsdatum), ist irakischer Staatsbürger, bekennt sich zum sunnitischen Islam und ist Angehöriger der Volksgruppe der Araber. Seine Muttersprache ist Arabisch. Der BF ist ledig und frei von Obsorgepflichten. Der BF hat 4 Brüder und 4 Schwestern, wovon sich in Deutschland zwei seiner Brüder, in Schweden einer aufhält bzw. aufhalten. Die Mutter und die restlichen Familienangehörigen des BF lebt in einem Flüchtlingslager im Norden des Irak, sein Vater ist bereits verstorben.
1.2. Der BF absolvierte von 1996 bis 2005 die Grundschule in XXXX, erlernte danach jedoch keinen Beruf. Im Irak betrieb der BF zur Sicherung seines Lebensunterhalts zusammen mit anderen Familienmitgliedern vorerst eine Autowäscherei, führte mit einem anderen Partner ein Geschäft, in dem er Mobiltelefone verkaufte und arbeitete zuletzt als Leibwächter für den Richter XXXX. Für diese Tätigkeit erhielt er etwa US $ 1.200,00, die er von einem Sicherheitsunternehmen erhielt, welches wiederum vom Innenministerium beauftragt war. Der Richter war beim Gericht in XXXX zugeteilt und wohnte mit seiner Frau wie dem BF im Stadtteil XXXX in XXXX. Die finanzielle Lage des BF im Irak war gut.
1.3. Er verließ den Irak im September 2014, hielt sich etwa bis April 2015 in der Türkei auf und reiste von dort über Griechenland nach Österreich, wo er am XXXX2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
1.4. Der BF ist gesund, arbeitsfähig, strafrechtlich unbescholten und verfügt über Deutschkenntnisse des Niveaus "A2". Am XXXX2018 bestand der BF die Integrationsprüfung des österreichischen Integrationsfonds.
1.5. Der BF verfügte bis Juli 2018 über eine Arbeitsplatzzusage der XXXX in XXXX als Maler, Maurer und Bauhelfer. Diese Stelle wurde jedoch mittlerweile vergeben. Ferner ist der BF Mitglied derXXXX und für diese ehrenamtlich tätig. In diesem Rahmen entfaltet der BF etwa Trägertätigkeiten für ein von der XXXX betriebenes Möbelgeschäft, hilft bei der Anschaffung von Lebensmitteln und beim Sammeln von Spenden für die Bedürftige. Vom XXXX2015 bis XXXX2017 war der BF tageweise bei der Gemeinde XXXXbeschäftigt und verrichtete dort gemeinnützige Tätigkeiten. Im Übrigen ist der BF für das BPK XXXX als Vertrauensperson tätig.
1.6. Aktuell lebt der BF überwiegend von Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Davon abgesehen pflegt der BF intensive Kontakte zu zahlreichen Personen seines sozialen Umfeldes, welches ihn unter anderem als hilfsbereit, fleißig, zuverlässig, integrationswillig, offen, lernwillig, tolerant, genau, kontaktfreudig, arbeitswillig und höflich bezeichnet.
1.7. Der Richter, für den der BF gearbeitet hat, untersuchte seit der Jahreswende 2013/2014 einen Kindesmord, welcher von Schwester und Onkel des Opfers an diesem begangen wurde. Letzterer gehört dem Stamm der XXXX an, der im Irak über großen Einfluss verfügt. Aus diesem Anlass suchten Männer des XXXXStammes diesen Richter zu einem nicht genau eruierbaren Zeitpunkt auf und wollten ihn zur Rede stellen. Die Männer beabsichtigten den Richter zu schlagen, wehrte der BF diesen Angriff ab und wurden sie angezeigt. Ende April explodierte in der Nähe des vom BF ins Treffen geführten Gerichtes in XXXX eine Flaschenbombe, welche in einer Entfernung von etwa 500 m vom Gericht entfernt detonierte. Es konnte nicht festgestellt werden, dass dieser Anschlag ausschließlich dem BF galt und vom Staat geduldet oder initiiert wurde. Nachdem der IS XXXX im Juni 2014 übernommen hatte, verhalf der Onkel des BF diesem zur Flucht. Nach einem 3- bis 4tägigen Aufenthalt inXXXX begab sich der BF schließlich über XXXX in die Türkei.
Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Bruder des BF, XXXX im Zuge der Detonation der Flaschenbombe verletzt wurde. Nicht festgestellt werden konnte ferner, dass der BF seine Dienstpistole bei seiner Mutter hinterlassen, diese dem IS für dessen Bruder US $ 5.000,00 an Lösegeld gegeben hat und gegen ihn wegen der Nichtrückgabe seiner Dienstwaffe ein Haftbefehl erlassen wurde.
1.8. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der BF im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt ist oder dass sonstige Gründe vorliegen, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat entgegenstünden.
1.9. Zum Irak wird festgestellt:
1.9.1. Zum Stamm der Al-Jubbur (al-jubouri)
Die Jubbur bilden einen der größten arabischen Stammesverbände. Der Stamm der Jubur, der sunnitische wie schiitische Mitglieder hat, ist vorrangig entlang des Tigris-Flusses angesiedelt, mit Stammesgebieten, die bis nach Mosul und Khabour im Norden reichen (Perspectives on Terrorism, 1/2007). Es ist nicht genau bekannt, wie viele Mitglieder der Jubbur-Stamm hat, jedoch stimmen offizielle Quellen und Nichtregierungsquellen darin überein, dass dies der größte Stamm im Irak sei. Er verteilt sich auf 717 Dörfer, in denen 90-100 Prozent der Einwohner den Jubbur angehören. Mitglieder der Jubbur sind von Zakho (äußerster Norden des Irak) bis Al-Faw (äußerster Süden des Irak) zu finden. Es gibt auch kurdische sowie drei jesidische Clans, deren Wurzeln zu den Jubbur zurückreichen. Die Angaben zur Anzahl der Jubbur sind geschätzt und belaufen sich auf etwa vier bis acht Millionen Angehörige. Gemäß dieser Schätzungen machen die Jubbur sieben bis zehn Prozent der Gesamtbevölkerung des Irak aus und gibt es in allen irakischen Provinzen zu den Jubbur gehörende Clans. Es gibt auch weiteren Orte, an denen fast ausschließlich Mitglieder der Jubbur leben. Laut dieser Auflistung gibt es in allen 18 irakischen Provinzen solche Orte, besonders viele davon in den Provinzen Ninawa, Kirkuk, Diyala und Salahaddin. Was die Provinz Ninawa anlangt, so spricht der Eintrag von 217 Dörfern, die vornehmlich von Jubbur bewohnt werden und erwähnt die Jubbur als den größten Stamm in der Provinz. In der Provinz Salahaddin sei der Jubbur-Stamm ebenfalls der Größte in der Provinz und stelle bis zu 20 Prozent der Einwohner mit 117 Dörfern, die ausschließlich von Jubbur besiedelt würden. Unter diesen Dörfern werden auch die Orte Duluiya und Alam erwähnt (Anazzah al-Wa'iliya, 13. März 2015).
Im Juni 2015 erreichten IS-Kämpfer Duluiya und stellten den Jubbur ein Ultimatum, sich ihnen anzuschließen oder zu sterben. Der Stamm beschloss, gegen den IS zu kämpfen und sich mit der irakischen Armee und schiitischen Milizen zu verbünden. Im Dezember 2015 wurde der IS aus Duluiya vertrieben. Rund 200 Stammeskämpfer der Jubbur nahmen zu Beginn des Jahres 2015 an einer gegen den IS gerichteten Offensive in Tikrit teil (The National, Abu Dhabi, März 2015).
Marefa, ein nutzergeneriertes Portal ähnlich Wikipedia, aber mit arabischsprachigen Inhalten, enthält einen Eintrag zu den Jubbur, der von mehreren Nutzern erstellt und zuletzt im Februar 2017 aktualisiert worden ist. Dort wird erwähnt, dass der Jubbur-Stamm aus zahlreichen Clans, bis zu 290 Subclans sowie bis zu 750 Familien bestehe. Eigentlich handle es sich bei den Jubbur um neun größere Stämme und mehr als 100 Clans. Als Siedlungsgebiete der Jubbur werden unter anderem Qayyara, Badusch, Hamam al-Alil [alle in der Provinz Ninawa, Anm. ACCORD], Shirqat [Provinz Salahaddin], jedoch sogar Basra im Südirak genannt. Die Anzahl der Jubbur im Irak belaufe sich auf circa 7,9 Millionen (Marefa, zuletzt bearbeitet: Februar 2017).
Berichte über den Stamm der Jubbur in Mosul
Ein Bericht von UNAMI vom Jänner 2016 (Beobachtungszeitraum: Mai bis Oktober 2015) erwähnt, dass IS-Mitglieder im September 2015 in Hamam Alil im Distrikt Mosul vier Männer des Jubbur-Stammes verbrannt hätten. Die Männer seien beschuldigt worden, den irakischen Sicherheitskräften und der internationalen Koalition Ziele für Luftangriffe übermittelt zu haben.
Auf dem sozialen Netzwerk Facebook findet sich eine Gruppe mit dem Namen Qabilat al-Sada al-Mashayikh [etwa: der Stamm derer, die ihre Ursprünge bis zur Prophetenfamilie zurückverfolgen, Anm. ACCORD] auf deren Profil Videos und Berichte über Stammesgeschichte und feierliche Anlässe geteilt werden. Hier findet sich ein Eintrag vom August 2013, in dem die Clans der Jubbur sowie die zu ihnen gehörenden Familien aufgelistet werden. Laut dieser Übersicht würde in Mosul die Familie Aal Abd al-Hadi zu den Jubbur gehören. (Qabilat al-Sada al-Mashayikh, 26. August 2013)
1.9.2. Zur aktuellen Lage in Mosul
Trotz der Anzeichen für eine Wiederbelebung der Stadt sind die Erinnerungen an den Krieg und die Kosten, welcher der Sieg über den Islamischen Staat mit sich gebracht hat, immer noch spürbar, besonders in der Altstadt, in der stärker beschädigten Westseite von Mosul.
Zivile Fahrzeuge, die in der gesamten Altstadt zerstört und verlassen wurden, werden langsam gesammelt und stehen als stilles, rostiges Symbol für die schrecklichen Kämpfe. Wenn man inmitten der hoch aufragenden Berge von Autos und Lastwagen spaziert, die unter einer Überführung gestapelt sind, kann man fast das Geräusch des Krieges hören, der sie ausgelöscht hat.
Vor weniger als einem Jahr ging der fast neunmonatige Kampf um Mosul zu Ende, als es von der Gruppe des Islamischen Staats zurückerobert wurde. Jetzt kehrt in vielen Teilen der Stadt das Leben zurück; das Gefühl der Sicherheit ist spürbar. Neue Unternehmen öffneten ihre Pforten und die Leute bleiben zum ersten Mal seit Jahren bis spät in den Abend draußen. Es gibt unter den Menschen hier einen Sinn, dass Mosul endlich von kriminellen Banden und hartnäckigen islamischen Fraktionen befreit ist.
Neben der neu erbauten alten Brücke, die über den Tigris führt, nahm eine Gruppe junger Schrottsammler eine Pause von der Arbeit, um sich abzukühlen. Einige der Jungen wussten nicht, wie man schwimmen sollte, und stopften Styroporstücke in ihre Unterwäsche, um sie über Wasser zu halten (New York Times, 25.05.2018).
1.9.3. Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat des BF
Die wachsende Macht schiitischer Milizen hat die Sicherheitslage im Irak massiv verschlechtert und ein Klima der Rechtlosigkeit entstehen lassen. Im Irak kämpft die Gruppe Asa¿ib Ahl al-Haqq derzeit im Bündnis der Volksmobilmachung gegen jenen Rest des IS, der im Irak noch ums Überleben kämpft . Das Bündnis wurde im Irak zu einem offiziellen Arm des Staates erklärt und damit ihre Rolle im Kampf gegen den islamischen Staat gewürdigt.
http://www.ecoi.net/local_link/328799/469652_de.html (Zugriff am 14. Dezember 2017)].
Eine der wichtigsten Milizen innerhalb der PMF (Popular Mobilization Forces; Volksmobilisierungseinheiten). Die Asa¿ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen oder Khaz¿ali-Netzwerk, League oft he Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz¿ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US-amerikanischen Truppen im Irak. Asa¿ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern. Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Organisation und Kata¿ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefütchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierung, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Khaz¿ali ist einer der bekanntesten Anführer der Volksmobilisierungseinheiten (Süß 21.8.2017).
Minderheiten
Traditionelle Stammesstrukturen und ethnisch-religiöse Zugehörigkeiten bestimmen die gesellschaftlichen und politischen Loyalitäten bzw. Konfliktlinien. Die wichtigsten ethnisch-religiösen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60 bis 65% der Bevölkerung ausmachen (AA 7.2.2017), [gemäß CIA-Factbool 55-60 Prozent (CIA 2010)] und vor allem den Süden und Südosten des Landes bewohnen; (arabische) Sunniten (17 bis 22%) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak (aus dieser Gruppe stammte bis zum Ende der Diktatur von Saddam Hussein 2003 der größte Teil der politischen und militärischen Führung) und die vor allem im Norden des Landes lebenden überwiegend sunnitischen Kurden (15 bis 20%). (AA 7.2.2017). In der Hauptstadt Bagdad wird die Mehrheit der Bevölkerung von den schiitischen Arabern gestellt (USDOS 10.8.2016).
Allgemeine Menschenrechtsage
Die Menschenrechtslage ist vor allem in Hinblick auf die mangelhafte staatliche Kontrolle und das wenig ausgeprägte Gewaltmonopol samt verbreiteter Straflosigkeit desolat, in der KRI vergleichsweise etwas besser (ÖB 12/2017). Im gesamten Land gibt es einen Mangel an Schutzmöglichkeiten, und die Menschen sind ernstzunehmenden Verletzungen des internationalen humanitären Rechts sowie der Menschenrechte ausgesetzt. Mangelnder Zugang zu sicheren Orten, Mangel an Bewegungsfreiheit, Gewalt und unfaire Behandlung verschlimmern die Spannungen zwischen den Volksgruppen (OCHA 7.3.2017). Den Großteil der gravierendsten Menschenrechtsverletzungen beging die Terrororganisation IS, die unter anderem Angriffe gegen folgende Gruppen verübte: Zivilisten (im speziellen Schiiten aber auch Sunniten, die den IS ablehnen);
Mitglieder anderer religiöser und ethnischer Minderheiten;
einschließlich Frauen und Kinder. Die Behörden entdeckten während des Jahres 20216 etliche Massengräber (USDOS 3.3.2017).
Allgemein kam es von Seiten Angehöriger der ISF und verbündeter Gruppen zu Vergehen an der flüchtenden Zivilbevölkerung, an Binnenvertriebenen und Rückkehrern. Die zielgerichtete Gewalt gegen sunnitische Araber hat in Bagdad und anderen von der Regierung kotrollierten Gebieten des Irak seit 2014 zugenommen. Sunnitische Araber erhalten Todesdrohungen, ihre Häuser werden zerstört und sie werden zwangsweise vertrieben, entführt/verschleppt und außergerichtlich hingerichtet. (UNHCR 14.11.2016).
Menschenrechtslage: IS-"Islamischer Staat" Aus den Berichten der Vereinten Nationen und mehrerer Menschenrechtsorganisationen geht hervor, dass der IS an Angriffen gegen die Zivilbevölkerung, Ermordungen (einschließlich Hinrichtung ohne Gerichtsverfahren, Entführungen, Folter, Vergewaltigung und sonstigen Formen sexueller Gewalt, sexueller Sklaverei, Zwangskonvertierungen und der Einberufung von Kindern zum Militärdienst beteiligt war. (UNHCR 14.11.2016).
IDPs und Flüchtlinge /Bewegungsfreiheit
Die Vorstöße des IS in den Jahren 2014/2015 und die nachfolgenden militärischen Operationen gegen den IS haben zu Massenvertreibungen geführt (UNHCR 14.11.2016), während gleichzeitig humanitäre Hilfsorganisationen einen starken Rückgang internationaler Finanzhilfen beklagten (ÖB 12.2017).
Staatliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit
Laut Einschätzung des UNHCR sind die Möglichkeiten einer innerstaatlichen Fluchtalternative für IDPs durch die aktuellen Umstände, das Ausmaß innerstaatlicher Vertreibung, die ernstzunehmende humanitäre Krise, die zunehmenden interkommunalen Spannungen, die Beschränkungen bzgl. des Zuganges und /oder Aufenthaltes in fast allen Teilen des Landes und durch den steigenden Druck der IDPs in ihre Heimatgebiete zurückzukehren, eingeschränkt (UNHCR 12.4.2017). Laut Amnesty International schränkten die Behörden des Irak sowie der KRI die Bewegungsfreiheit vertriebener arabischer Sunniten willkürlich und in diskriminierender Weise ein (AI 22.2.2017).
Wiedererstandene Grenze zu Syrien
Die irakische Armee sucht die syrische Grenze, die der IS auf der Höhe seiner Macht als aufgehoben erklärt hatte, wieder ihrer ganzen Länge nach abzusichern und dieser IS-Leute habhaft zu werden.
Auf der syrischen Seite der Grenze stehen meist Truppen der SDF, das heißt der Syrischen Demokratischen Kräfte, die zur Mehrheit aus syrischen Kurden bestehen, zur Minderheit aus mit diesen zusammenarbeitenden Arabern. Sie erhalten zurzeit noch Unterstützung von der amerikanischen Luftwaffe sowie die Hilfe amerikanischer Berater und Sondertruppen auf dem Boden.
Der südlichste Sektor dieser Grenze jedoch - wo die Grenzlinie das Euphrattal überquert und in den Wüsten südlich davon - befindet sich in der Hand der syrischen Regierungsarmee, die ihrerseits Hilfe von der russischen Luftwaffe erhält.
Der irakische Krieg gegen den IS ist insofern nicht abgeschlossen, als es nach wie vor eine Untergrundpräsenz von IS-Terroristen gibt, die bereit sind, Selbstmordanschläge durchzuführen, und offenbar vorläufig auch in der Lage, solche zu organisieren. Bagdad bleibt ihr bevorzugtes Ziel. Doch Anschläge kommen auch weiter im Süden vor, im Inneren der von Schiiten bewohnten südlichen Provinzen sowie im Norden in den neu dem IS entrissenen Landesteilen.
Milizen: Terroristen oder Sicherheitsfaktoren?
Zurzeit erklären die Amerikaner, ihrer Ansicht nach sollten die irakischen Milizen der sogenannten Volksmobilisation aufgehoben werden. Milizionäre, die weiter als Militärs zu dienen gedächten, sollten in die reguläre Armee eingegliedert werden. Doch die Anführer der mächtigsten der Milizen widersprechen laut. Am vergangenen Samstag erklärte der Stellvertretende Kommandant der Volksmilizen, Abual-Mahdi al-Muhandis: "Wir brauchen militärische Kräfte, die erfahren sind in Kämpfen gegen Terroristen und gegen alle Bedrohungen von außen, und wir müssen genügend Kräfte aufrechterhalten. Wir sehen unsere Rolle als ergänzend zu derjenigen der Armee. Sie können nicht kämpfen ohne uns, und wir nicht ohne sie!"
Fast gleichzeitig hat ein Mitglied des amerikanischen Senats ein Gesetz vorgeschlagen, durch das gewisse irakische Volksmilizen wie jene, die sich "Asaib Ahl al-Haqq" und "Harakat Hizbullah an-Nujaba" nennen, ("Scharen der Anhänger der Wahrheit" und "Bewegung der Edlen der Partei Gottes") zu Terroristen erklärt werden sollen. Der Anführer dieser zweitgenannten Gruppierung, Akram al-Kaabi, wurde schon 2008 von den USA als Terrorist klassifiziert.
Der Chef einer der bekanntesten dieser Milizen, der pro-iranischen "Badr Brigade", Hadi al-Amri, verweist auf einen Widerspruch, den er in der Haltung der USA sieht, weil diese erklären, sie selbst seien unentbehrlich für die irakische Armee, während die Volksmobilisation entbehrlich sei. "Diese Doppelmoral muss aufhören!", donnerte er. "Wir erleben zurzeit die letzten Tage des IS, doch es wäre falsch zu denken, das Ende von IS sei das Ende der Angelegenheit!" Welche Angelegenheit er meint, sagte er nicht.
Übergewicht der Schiiten
Gesamthaft gibt es zur Zeit 140'000 Angehörige der Volksmobilisation. Von ihnen sind 34'000 Mann sunnitische Kämpfer und rund 10'000 Angehörige der Minderheiten wie Christen, Schabak und Jesiden, alle in ihren eigenen Einheiten. Die übrigen knapp 100'000 sind Schiiten.
Doch auch unter den Schiiten gibt es Unterschiede. Manche von ihren Milizen sind loyal gegenüber dem irakischen Grossayatollah Sistani und anderen irakischen Geistlichen, andere jedoch neigen dem iranischen "Herrschenden Gottesgelehrten" Khamenei zu. Letztere werden direkt von Iran unterstützt.
Seit dem vergangenen Sommer sind die Milizen der Volksmobilisation durch einen Parlamentsbeschluss reguläre Angehörige der irakischen Streitkräfte, und Ministerpräsident Haidar al-Abadi gilt formell als ihr Oberbefehlshaber. Doch sie stehen weiterhin unter ihren eigenen Anführern und rekrutierten ihre eigenen Mannschaften. Der Staat bezahlt gegenwärtig jedem Milizsoldaten den Gegenwert von 500 Dollar im Monat. Die regulären Armeesoldaten erhalten das Doppelte, doch es gibt Bestrebungen im Parlament, ihren Sold auf den Gegenwert von monatlich 2'000 Dollar zu erhöhen.
Muqtada as-Sadrs Wandlungen
Neben diesen Milizen, die im Krieg gegen den IS mitgekämpft haben, gibt es noch die Anhänger des schiitischen Geistlichen Muqtada as-Sadr. Er verfügt über eine große Zahl von ihm fanatisch ergebenen Gefolgsleuten, meist aus den schiitischen Elendsvierteln der Großstädte Bagdad und Basra. Zur Zeit der amerikanischen Besetzung kämpften sie gegen die Amerikaner, später hat Sadr sie in ein Friedenscorps umgewandelt und eingesetzt für Demonstrationen gegen die Korruption der irakischen Politiker.
Zur Zeit der Bedrohung Bagdads durch den IS, im Sommer 2014, wurden Teile der Sadr-Anhänger wieder bewaffnet und auch als Volkserhebungsmiliz mobilisiert. Doch Sadr will sie nun wieder entwaffnen und nicht als permanent bewaffnete Gruppe aufrechterhalten. Ihre Zahl ist nicht in den 140'000 der gegenwärtigen Volksmobilisation inbegriffen. Sie waren in den südlichen Städten und in der Hauptstadt verblieben und hatten nicht am Feldzug gegen den IS teilgenommen. Ihr Chef, Sadr, ist heute ein irakischer Nationalist, der für den Zusammenhalt der drei Bevölkerungsgruppen des Iraks unter einer zentralen Regierung in Bagdad eintritt.
Glaubwürdige und populäre Milizenführer
Die Milizen und ihre Anführer sind im Irak populär, natürlich vor allem bei den Schiiten. Ihre Führer gelten nicht als korrupt und auf eigenen Vorteil bedacht, wie es den meisten Politikern, auch den ins Parlament gewählten keineswegs ohne Grund nachgesagt wird.
Die Bevölkerung des Südens und Bagdads erinnert sich auch daran, dass die irakische Armee nach der Überrumpelung von Mosul durch den IS im Sommer 2014 zusammenbrach, und dass es einzig die damals nach Aufrufen von Sistani entstandene Volksmobilisation war, die dafür sorgte, dass Bagdad und der Süden des Iraks gegen den IS verteidigt wurden.
Im kommenden Frühling und Sommer stehen lokal- und Parlamentswahlen bevor. Viele der Parlamentarier versuchen mit Milizführern ein politisches Bündnis zu schliessen, weil sie bessere Chancen haben, Stimmen zu gewinnen, wenn Milizführer für sie eintreten.
Zweieinhalb Jahre Krieg gegen den IS
Die Rückeroberung von Süden nach Norden hatte schon im April 2015 mit der Provinzhauptstadt Tikrit begonnen. In der Endphase des Krieges gegen den IS wurde im vergangenen Juli Mosul von der regulären Armee und kurz darauf auch die letzte der irakischen Städte des Nordens, Tel Afar, durch die Milizen der Volksmobilisation eingenommen. Danach erfolgte noch ein Feldzug dem Euphrat entlang aufwärts bis zur syrischen Grenze, beendet am 13. Dezember dieses Jahres.
Gegenwärtig läuft der Versuch, den IS aus dem Wadi Hauran zu vertreiben. Dies ist ein beinahe immer wasserloses Wüstental, tief eingeschnitten und mit Höhlen ausgestattet. Der Wadi ist in seinem irakischen Teil 350 Kilometer lang. Er beginnt in Jordanien, im Grenzraum des Dreiländerecks von Saudi-Arabien, Jordanien und dem Irak und zieht sich hin bis an den Euphrat nahe der Stadt Haditha unterhalb der syrischen Grenze. Er scheint der IS-Führung als letztes Versteck zu dienen. Das Wüstental befand sich seit Juni 2014 im Besitz des IS.
Wiedereingliederung der Sunniten
Mit dem Ende der Kämpfe rücken die Fragen des Wiederaufbaus und der künftigen Ordnung des Iraks ins Zentrum. Sie hatten sich schon zuvor gestellt. Doch die militärische Aktion überschattete sie. Nun muss sich zeigen, ob das Land in der Lage ist, den sunnitisch-arabischen Teil seiner Bevölkerung, zwischen sieben und acht Millionen Menschen, wieder als Vollbürger in den irakischen Staat einzuverleiben. Bisher ist dies misslungen. Seitdem das Land zur Zeit der amerikanischen Besetzung in den Jahren 2006 und 2007 in zwei Teile zerfiel, kämpften Sunniten und Schiiten gegeneinander. Nach dem Abzug der Amerikaner von 2010 fanden die beiden Religionsgemeinschaften nicht zusammen, weil der damalige Ministerpräsident, Nuri al-Maleki, die Schiiten privilegierte und mit ihrer Unterstützung das Land zu beherrschen suchte.
Die Schiiten bilden eine knappe Mehrheit von etwa 55 Prozent der rapide anwachsenden irakischen Bevölkerung von beinahe 40 Millionen. Gegenwärtig zählen die Schiiten rund 22 Millionen. So gut wie alle Schiiten sind arabophon. Die Sunniten jedoch sind geteilt in gut sieben Millionen Araber und knapp sieben Millionen Kurden. Der IS hatte die Ressentiments der arabischsprechenden Sunniten ausgenützt, um in Mosul, der größten sunnitischen Stadt des Iraks, die Macht zu erlangen. Etwas später hatte er dann auch die wichtigsten anderen sunnitisch-arabischen Städte beherrscht. Es sind daher die sunnitischen Städte und Provinzen, die am meisten durch den Krieg zu leiden hatten. Sie sind heute weitgehend zerstört. Viele ihrer Bewohner befinden sich noch immer in Lagern.
Der Wiederaufbau der sunnitischen Landesteile und mit ihm die Wiedereingliederung der arabischen Sunniten wird aber jedenfalls schwierig werden. Er benötigt große Summen, über welche der irakische Staat angesichts der relativ niedrigen Erdölpreise nicht verfügt. Wenn die Korruption nicht rasch und gründlich gemeistert werden kann, wird außerdem noch ein großer Teil der Gelder denen zufallen, die sie auf ihre Mühlen zu leiten wissen. Das würde für weitere Ressentiments bei den durch den Krieg in erster Linie geschädigten arabischen Sunniten sorgen. Quelle:
https://www.journal21.ch/irak-nach-dem-krieg
Verfolgungshandlungen, denen der sunnitische Bevölkerungsteil ausgesetzt ist, weisen im Irak die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische Verfolgungsdichte nicht auf (U.v. 9.1.2017 - 13a ZB 16.30740 - juris m.w.N.). Der Umfang der Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter, die an die sunnitische Religionszugehörigkeit anknüpfen, rechtfertigt in der Relation zu der Größe dieser Gruppe nicht die Annahme einer alle Mitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung. Die irakische Bevölkerung setzt sich zu 60 bis 65% aus arabischen Schiiten, zu 17 bis 22% aus arabischen Sunniten und zu 15 bis 20% aus (überwiegend sunnitischen) Kurden zusammen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 7.2.2017 S. 7). Bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 36 Millionen Einwohnern (vgl. www.auswaertiges-amt.de - Länderinfos, Stand: März 2017) würde das bedeuten, dass sechs bis acht Millionen arabische Sunniten im Irak im oben geschilderten Sinn als Gruppe verfolgt würden. Für eine solche Annahme gibt es keine ausreichenden Hinweise. Dies gilt auch für die Stadt Bagdad, in der 7,6 Millionen Einwohner leben (vgl. www.auswaertiges-amt.de - Irak, Länderinformation, Stand: März 2017).
Zwar hat nach der Dokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) der Republik Österreich vom 24. August 2017 die zielgerichtete Gewalt gegen sunnitische Araber in Bagdad ebenso wie in anderen von der Regierung kontrollierten Gebieten des Irak seit 2014 zugenommen. In Bagdad sei gemeldet worden, dass sunnitische Binnenvertriebene gedrängt worden seien, aus schiitischen und gemischt sunnitisch-schiitischen Wohngebieten auszuziehen, wie auch die Klagepartei vorträgt. Auch gewaltsame Vertreibungen von Sunniten aus mehrheitlich von Schiiten bewohnten Vierteln Bagdads seien vorgekommen. Zum Teil gehe es allerdings darum, die Grundstücke der vertriebenen Familien übernehmen zu können. Laut Berichten begingen die (schiitischen) PMF-Milizen in Bagdad immer wieder Kidnappings und Morde an der sunnitischen Bevölkerung. Viele Familien seien in Bagdad durch den konfessionellen Konflikt dazu gezwungen gewesen, ihre Häuser zu verlassen und sich zunehmend entlang konfessioneller Grenzen wieder anzusiedeln. Somit seien separate sunnitische und schiitische Viertel entstanden. Bagdad sei weiterhin entlang konfessioneller Linien gespalten (zu alldem siehe: VGH München, Beschluss v. 16.11.2017 - 5 ZB 17.31639).
1.9.4. Asylrelevante Tatsachen
Staatliche Repressionen
Staatliche Stellen sind nach wie vor für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich und trotz erkennbarem Willen der Regierung Abadi nicht in der Lage, die in der Verfassung verankerten Rechte und Grundfreiheiten zu gewährleisten. Derzeit ist es staatlichen Stellen zudem nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Dies geht nach Informationen von Menschenrechtsorganisationen sowie den VN einher mit Repressionen, mitunter auch extralegalen Tötungen sowie Vertreibungen von Angehörigen der jeweils anderen Konfession.
Politische Opposition
Belastbare Erkenntnisse über die gezielte Unterdrückung der politischen Opposition durch staatliche Organe liegen nicht vor. Politische Aktivisten berichten jedoch von Einschüchterungen und Gewalt durch staatliche, nichtstaatliche oder paramilitärische Akteure, die abschrecken sollen, neue politische Bewegungen zu etablieren und die freie Meinungsäußerung teils massiv einschränken. Dabei ist zu beachten, dass die Parteienlandschaft - und damit auch die Opposition - weitestgehend entlang konfessioneller Linien verläuft. Das politische System Iraks ist eine Balance zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden. Forderungen aus dem politischen Raum nach einer stärker überkonfessionell ausgerichteten Zusammenarbeit sind vergleichsweise neu, haben zuletzt aber erkennbar zugenommen. Nichtdestotrotz können Drangsalierungen einzelner Gruppierungen oft auch als Beeinträchtigung der Opposition gesehen werden.
Im Kontext des kurdischen Unabhängigkeitsreferendums wurden die kurdischen Parlamentsabgeordneten zum Teil heftig angefeindet. Kurdischen Politikern und Beamten wurde dabei im Falle einer Beteiligung am Referendum auch mit Strafverfolgung gedroht. In der Region Kurdistan-Irak ist im Raum Erbil und Dohuk eine Oppositionsbewegung kaum existent. Die KDP gilt in weiten Teilen als alternativlos. In der Region um Sulaymania und Halabdscha haben sich in den vergangenen Jahren auch Gruppen von der PUK abgewandt. Versuche, mit neuen Parteien oder Bewegungen ein Gegengewicht zu bilden, sind im Osten der RKI weiter verbreitet.
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit
Die Verfassung vom 15.10.2005 (Art. 38 C und 39) sieht die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit unter dem Vorbehalt der öffentlichen Ordnung vor und stellt die nähere Ausgestaltung durch ein Gesetz in Aussicht, das es aber noch nicht gibt. Im Alltag wird die Versammlungs- und Meinungsfreiheit durch das seit dem 07.11.2004 geltende "Gesetz zur Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit" eingeschränkt, das u. a. die Verhängung eines bis zu 60-tägigen Ausnahmezustands ermöglicht. Die wöchentlichen Demonstrationen gegen Korruption können weitgehend ungestört stattfinden. In den KDP-Gebieten der Region Kurdistan-Irak finden kaum Demonstrationen statt, werden sie doch meist bereits im Keim erstickt. In den PUK-Gebieten, v.a. in der Stadt Sulaymania, sind Demonstrationen (beispielsweise gegen Gehaltskürzungen) hingegen keine Seltenheit. Art. 38 A und B der Verfassung garantieren die Freiheit der Meinungsäußerung, solange die öffentliche Ordnung nicht beeinträchtigt wird. Das "Gesetz zum Schutz von Journalisten" von 2011 hält u. a. mehrere Kategorien des Straftatbestands der "Diffamierung" aufrecht, die in ihrem Strafmaß z. T. unverhältnismäßig hoch sind. Klagen gegen das Gesetz sind anhängig. In Irak existiert eine lebendige, aber wenig professionelle, zumeist die ethnisch-religiösen Lagerbildungen nachzeichnende Medienlandschaft, die sich zudem weitgehend in ökonomischer Abhängigkeit von Personen oder Parteien befindet, die regelmäßig direkten Einfluss auf die Berichterstattung nehmen. Überdies wird die journalistische Arbeit durch Übergriffe auf Journalisten behindert. Nach Angaben von "Reporter ohne Grenzen" ist Irak für Journalisten eines der gefährlichsten Länder. Auf ihrem Index für Pressefreiheit kam Irak im Jahr 2017 auf Platz 158 von 180. Das Land nahm im Straflosigkeitsindex (Zeitraum 2007 - 2016) des "Committee to Protect Journalists" zudem den weltweit vorletzten Platz in Bezug auf die Aufklärung von Morden an Journalisten ein. Danach wurden in den letzten zehn Jahren 32 Morde an Journalisten nicht aufgeklärt. Zuletzt wurde ein Journalist im umstrittenen Kirkuk ermordet. Die Verantwortung dafür schieben sich Erbil und Bagdad gegenseitig zu. Die Bagdader Regierung hat im Nachgang zum Unabhängigkeitsreferendum angekündigt, den kurdischen Nachrichtensender Rudaw (welcher der kurdischen Regierungspartei KDP gehört) zu schließen, wenngleich dies praktisch kaum durchsetzbar sein wird. Der Zugang zum Internet unterliegt in der Regel keinen Beschränkungen. Für kurze Zeiträume von wenigen Stunden wird das Internet regelmäßig während Großereignissen gesperrt.
Religionsfreiheit
Die Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an: Gemäß Art. 2 Abs. 1 ist der Islam Staatsreligion und eine Hauptquelle der Gesetzgebung, in Abs. 2 wird das Recht einer jeden Person auf Religions- und Glaubensfreiheit sowie das Recht auf deren Ausübung garantiert. Art. 3 legt ausdrücklich die multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Ausrichtung Iraks fest, betont aber auch den arabisch-islamischen Charakter des Landes. Art. 43 verpflichtet den Staat zum Schutz der religiösen Stätten. Das Strafgesetzbuch kennt keine aus dem islamischen Recht übernommenen Straftatbestände, wie z. B. den Abfall vom Islam; auch spezielle, in anderen islamischen Ländern existierende Straftatbestände, wie z. B. die Beleidigung des Propheten, existieren nicht. Die alten irakischen Personalausweise enthielten ein Feld zur Religionszugehörigkeit, was von Menschenrechtsorganisationen als Sicherheitsrisiko im aktuell herrschenden Klima religiöskonfessioneller Gewalt kritisiert wurde. Mit Einführung des neuen Personalausweises wurde dieser Eintrag zeitweise abgeschafft. Mit Verabschiedung eines Gesetzes zum neuen Personalausweis im November 2015 wurde allerdings auch wieder ein religiöse Minderheiten diskriminierender Passus aufgenommen: Art. 26 stipuliert, dass Kinder eines zum Islam konvertierenden Elternteils automatisch auch als zum Islam konvertiert geführt werden. Die meisten religiös-ethnischen Minderheiten sind im Parlament vertreten. Grundlage bildet ein Quotensystem bei der Verteilung der Sitze (fünf Sitze für die christliche Minderheit sowie jeweils einen Sitz für Jesiden, Sabäer, Mandäer und Schabak). Das kurdische Regionalparlament sieht jeweils fünf Sitze für Turkmenen, Chaldäer und Assyrische Christen sowie einen für Armenier vor. Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten und Schiiten sowie Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt. Im Führungsgremium der Kommission für die Vorbereitung und Durchführung der Wahlen 2018 sind nur Schiiten, Sunniten und Kurden vertreten. Jeweils ein Turkmene und ein Christ sollen nicht-stimmberechtigte Mitglieder werden. Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Allerdings ist nach dem Ende der Herrschaft Saddam Husseins die irakische Gesellschaft teilweise in ihre (konkurrierenden) religiösen und ethnischen Segmente zerfallen - eine Tendenz, die sich durch die IS-Gräuel gegen Schiiten und Angehörige religiöser Minderheiten weiterhin verstärkt hat. Gepaart mit der extremen Korruption im Lande führt diese Spaltung der Gesellschaft dazu, dass im Parlament, in den Ministerien und zu einem großen Teil auch in der nachgeordneten Verwaltung, nicht nach tragfähigen, allgemein akzeptablen und gewaltfrei durchsetzbaren Kompromissen gesucht wird, sondern die zahlreichen ethnisch-konfessionell orientierten Gruppen oder Einzelakteure ausschließlich ihren individuellen Vorteil suchen oder ihre religiös geprägten Vorstellungen durchsetzen. Ein berechenbares Verwaltungshandeln oder gar Rechtssicherheit existieren nicht. Die Hauptsiedlungsgebiete der religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in den Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des IS standen. Hier kam es zu gezielten Verfolgungen von Jesiden, Mandäern, Kakai, Schabak und Christen. Es liegen zahlreiche Berichte über Zwangskonversionen, Versklavung und Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, Folter, Rekrutierung von Kindersoldaten, Massenmord und Massenvertreibungen vor. Auch nach der Befreiung der Gebiete wird die Rückkehr der Bevölkerung durch noch fehlenden Wiederaufbau, eine unzureichende Sicherheitslage, unklare Sicherheitsverantwortlichkeiten sowie durch die Anwesenheit von schiitischen Milizen zum Teil erheblich erschwert. In der Region Kurdistan-Irak sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Hier haben viele Angehörige von Minderheiten Zuflucht gefunden.
Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis
Es liegen keine belastbaren Erkenntnisse zur Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis vor. Eine Verfolgung von Straftaten findet nur unzureichend statt. Es mangelt an ausgebildeten, unbelasteten Richtern; eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssen, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen auf 30 Tage ausgedehnt. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über "schiitische Siegerjustiz" und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten. Hinzu kommt eine Stigmatisierung, unter der Sunniten oftmals automatisch als ISUnterstützer gesehen werden. Ehemalige IS-Kämpfer - oder Personen die dessen beschuldigt werden - werden aktuell in unzulänglichen Prozessen zu lebenslanger Haft oder zum Tode verurteilt und häufig auch hingerichtet (vgl. unter III.3. zur Todesstrafe). Auch die Lage in der Region Kurdistan-Irak ist von Defiziten der rechtsstaatlichen Praxis gekennzeichnet. Die Asayisch-Sicherheitskräfte operieren immer wieder außerhalb der Kontrolle des zuständigen Innenministeriums (insbesondere in der Provinz Sulaymania). In einem glaubhaft belegten Fall berichtet Amnesty International von einem Gefangenen, der seit zehn Jahren ohne Verfahren in Haft sitzt. Untersuchungen nach Übergriffen seitens der Sicherheitskräfte bleiben oft ohne Ergebnis. Haftbesuche sind, auch für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), grundsätzlich möglich.
Militärdienst
Es gibt keine Wehrpflicht. Nach der Auflösung der Sicherheitskräfte des Regimes von Saddam Hussein wurden bei den neuen irakischen Sicherheitskräften nur Personen ohne Verbindungen zum alten Regime eingestellt. Bei der Einstellung in den Polizeidienst werden teilweise Schiiten bevorzugt.
Repressionen durch nicht-staatliche Akteure
Neben die staatliche tritt die Repression durch nicht-staatliche Akteure, vor denen Regierung und Staat die Bürger nicht schützen können. Auch wenn das "Kalifat" des Islamischen Staats in Irak territorial weitestgehend besiegt ist, werden IS-Sympathisanten weiterhin Andersdenkende bedrohen und angreifen. Auch die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil von Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potentiell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren. In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten.
Militante Opposition, Milizen, Terrorgruppen, Sicherheitslage
eile der nordwestlichen Provinzen waren noch zu Jahresbeginn 2017 nicht oder nur teilweise unter der Kontrolle der Zentralregierung. Im Laufe des Jahres 2017 hat die Regierung, mit Unterstützung von kurdischen Peschmerga und PMF-Milizen, die Gebiete in zum Teil heftigen Kämpfen weitestgehend vom IS befreit. Die territoriale Zurückdrängung des IS dürfte wieder vermehrt zur asymmetrischen Kriegsführung des IS mit verstärkten terroristischen Aktivitäten führen. Die internationale Anti-IS Koalition führte in Koordinierung mit der irakischen Regierung regelmäßig Luftschläge gegen IS-Stellungen in Syrien und im Norden Iraks durch. Auch die Türkei führt Luftschläge durch und nimmt dabei auch PKK-Stellungen in der Region Kurdistan-Irak ins Visier.
Militante Gruppen
Die Terrormiliz IS verübt sowohl in Irak als auch in Syrien schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen gegen alle, die sich ihrer Ideologie nicht unterwerfen. Teilweise unterstützt wurde sie von sunnitischen Stammesmilizen in Anbar und von Anhängern des alten Saddam-Regimes in Salah al-Din und Ninawa. Territorial ist der IS zwar weitestgehend besiegt, das weiterhin bestehende Gefühl einer politischen und gesellschaftlichen Marginalisierung vieler Sunniten kann jedoch wieder zum Erstarken extremistischer Gruppen führen. Die Zahl der Milizen in Irak schätzen Beobachter auf rund 50. Darunter sind große, gut ausgerüstete, quasi militärische Verbände wie die Badr-Organisation mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten wie Iran oder Saudi-Arabien unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mosul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, die sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegeln und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beitragen. Durch ein Gesetz über "Mobilisierungskräfte" wurde den Milizen ab 2017 ein Status, aber auch ein rechtlicher Rahmen innerhalb der irakischen Sicherheitskräfte gegeben.
Besonders gefährdete gesellschaftliche Gruppen
Polizisten, Soldaten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte, alle Mitglieder des Sicherheitsapparats sind besonders gefährdet. Auch Mitarbeiter der Ministerien sowie Mitglieder von Provinzregierungen werden regelmäßig Opfer von gezielten Attentaten. Inhaber von Geschäften, in denen Alkohol verkauft wird (fast ausschließlich Angehörige von (Minderheiten, vor allem Jesiden und Christen), Zivilisten, die für internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen oder ausländische Unternehmen arbeiten sowie medizinisches Personal werden ebenfalls immer wieder Ziel von Entführungen oder Anschlägen. Eine Vielzahl von ehemaligen Mitgliedern der seit 2003 verbotenen Baath-Partei Saddam Husseins ist, soweit nicht ins Ausland geflüchtet, häufig auf Grund der Anschuldigung terroristischer Aktivitäten in Haft. Laut der VN-Mission haben viele von ihnen weder Zugang zu Anwälten noch Kontakt zu ihren Familien. Mit Verabschiedung des Gesetzes zur Generalamnestie am 25. August 2016 durch das irakische Parlament besteht jedoch Aussicht auf eine Verbesserung der Situation. Vereinzelte Fälle von Entlassungen wurden bereits bekannt.
Grundversorgung/Wirtschaft
Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten zumindest außerhalb der Region Kurdistan-Irak schwierig. Nach Angaben des Programms "Habitat" der Vereinten Nationen gleichen die Lebensbedingungen von 57 % der städtischen Bevölkerung im Irak denen von Slums (AA 7.2.2017). Das Land befindet sich in einer anschwellenden humanitären Krise, die durch anhaltende Konflikte, beschränkten Zugang zu humanitären Hilfsleistungen, zunehmendes Versagen bestehender Bewältigungsmechanismen und finanzielle Engpässe gekennzeichnet ist. (...) (UNHCR 14.11.2016). Es gibt derzeit im Irak mehr schutzbedürftige Menschen und mehr Menschen, die auf humanitäre Unterstützung angewiesen sind, als zu irgendeinem Zeitpunkt der letzten Jahre (OCHA 7.3.2017). Aufgrund des Ausmaßes und der Komplexität der humanitären Krise haben die Vereinten Nationen im August 2014 die "Notstandstufe 3" - die höchste Stufe - für den Irak ausgerufen und seitdem jedes Jahr bestätigt (UNHCR 14.11.2016).
Medizinische Versorgung
Die medizinische Versorgung bleibt angespannt: In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen 8AA 7.2.2017).
Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Versorgung sicherzustellen. (...) (AA 7.2.2017). Die Jahre des bewaffneten Konflikts haben das Gesundheitssystem ernsthaft deformiert und im Irak gibt es beträchtliche Lücken bei der Bereitstellung von medizinischen Leistungen, auch wenn es regionale Unterschiede gibt. In Konfliktzonen sind viele Gesundheitseinrichtungen außer Betrieb oder zerstört (AIO 12.6.2017).
Die Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen, insbesondere in der Provinz Basra, war, als Folge einer Sicherheitsoffensive staatlicher Militärkräfte im Gefolge interkonfessioneller Gewalt im Jahr 2007, ab 2008 stark verbessert und bis 2014 insgesamt stabil. Auch war die Region nicht unmittelbar von der Invasion der Truppen des IS im Irak in 2013 und 2014 betroffen. Die Gegenoffensive staatlicher Sicherheitskräfte und deren Verbündeter gegen den IS in Anbar und den nördlicher gelegenen Provinzen bedingte vorerst eine Verlagerung von Militär- und Polizeikräften in den Norden, die wiederum eine größere Instabilität im Süden verbunden vor allem mit einem Anstieg an krimineller Gewalt mit sich brachte. Aktuell sind im Gefolge der Vertreibung des IS aus seinem früheren Herrschaftsgebiet im Irak keine maßgeblichen sicherheitsrelevanten Ereignisse bzw. Entwicklungen für die Region bekannt.
Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt durch die genannten Ereignisse im Zusammenhang mit dem Eindringen des IS in den Zentralirak. Es waren jedoch vereinzelte Anschläge bzw. Selbstmordattentate auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern zu verzeichnen, die, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS dazu, sich gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden. Auch für den Großraum Bagdad sind im Gefolge der nunmehrigen Vertreibung des IS aus seinem früheren Herrschaftsgebiet im Irak zuletzt keine außergewöhnlichen sicherheitsrelevanten Ereignisse bzw. Entwicklungen bekannt geworden.
Quellen:
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http://www.ecoi.net/local_link/328799/469652_de.html (Zugriff am 14. Dezember 2017)
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http://www.amnesty-at/de/irak/ (Zugriff am 14. Dezember 2017)
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AA-Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, http://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455296_deutschland-auswaertiges amt-bericht-ueber-die-asyö-und-abschiebungsrelevantelage-in-der-republik-irakstand-dezember-2016-07-02-2017.pdf, Zugriff 6.8.2017,
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UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (14.11.2016): UNHCR Position on Returns to Iraq,
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1479283205_2016-11-14- unhcr-position-iraq-returns.pdf, http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1485247972_opendocpdf.pdf, Zugriff 6.8.2017
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ÖB-Österreichische Botschaft Amman (12.2016):Asylländerbericht-Irak, per E-Mail
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USDOS-US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016-Iraq.
http://www.ecoi.net/local_link/337187/479950_de.html, Zugriff 6.8.2017
-
OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (7.3.2017): Humanitarian Needs Overview, http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/irq_2017_hno.pdf, Zugriff 16.6.2017