TE Bvwg Beschluss 2018/9/25 L516 2201218-1

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Veröffentlicht am 25.09.2018
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Entscheidungsdatum

25.09.2018

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

L516 2201218-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, StA Pakistan, vertreten durch MigrantInnenverein St Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.06.2018, Zl XXXX, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein pakistanischer Staatsangehöriger, stellte am 23.07.2015 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Zu diesem wurde er am 24.07.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Mit Bescheid vom 03.02.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, ohne in die Sache einzutreten, zurückgewiesen und festgestellt, dass Ungarn für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei. Eine Abschiebung nach Ungarn sei zulässig.

1.1. In der Folge wurde der Beschwerdeführer jedoch nicht nach Ungarn überstellt.

2. Am 27.05.2016 stellte der Beschwerdeführer einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Zu diesem wurde er am selben Tag von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt sowie nach Zulassung des Verfahrens am 26.04.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen.

3. Das BFA wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 idgF hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I des bekämpften Bescheides) und gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan (Spruchpunkt II) ab. Das BFA erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III) und erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV). Das BFA stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V), und sprach aus, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI). Mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs 1 BFA-VG wurde dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren amtswegig eine juristische Person als Rechtsberater zur Seite gestellt.

4. Der Beschwerdeführer hat gegen diesen Bescheid des BFA am 16.07.2018 Beschwerde erhoben und diesen zur Gänze angefochten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Sachverhaltsfeststellungen

1.1. Der Beschwerdeführer begründete seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz vom 23.07.2015 damit, dass er als Schiit und von Sunniten schikaniert worden sei. Er habe religiöse Probleme gehabt. Das BFA wies jenen Antrag wegen Unzuständigkeit Österreichs zurück und traf damit keine inhaltliche Entscheidung.

1.2. Zur Begründung des verfahrensgegenständlichen zweiten Antrages auf internationalen Schutz führte der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung am 27.05.2016 aus, dass es Mitte März 2016 eine Auseinandersetzung samt Schießerei zwischen Sunniten und Schiiten gegeben habe. Seiner Familie sei vorgeworfen worden, dass sie und auch der Beschwerdeführer bei den Schießereien dabei gewesen sei(en), der Beschwerdeführer sei zu diesem Zeitpunkt jedoch in Österreich gewesen. Seine Familie habe dem Beschwerdeführer auch mitgeteilt, dass er wegen dieser Schießerei von der Polizei gesucht werde und auch die Sunniten ihn suchen würden, um ihn umzubringen (AS 5). Bei der Einvernahme vor dem BFA schilderte der Beschwerdeführer Auseinandersetzungen zwischen Schiiten sowie Sunniten und führte aus, dass die Sunniten begonnen hätten, falsche Anzeigen zu erstatten, denen die Polizei auch nachgekommen sei, und es sei auch zu Verhaftungen gekommen (AS 77, 79).

1.3. Das BFA begründete den angefochtenen Bescheid im Rahmen der Beweiswürdigung damit, dass die vom Beschwerdeführer vorgebrachten allgemeinen Streitigkeiten innerhalb der islamischen Konfessionen in Pakistan nachvollziehbar seien, eine individuelle Bedrohung seiner Person habe in diesem Zusammenhang jedoch nicht erkannt werden können. Dem Beschwerdeführer würden in seinem Herkunftsland zudem zahlreiche innerstaatliche Ausweichmöglichkeiten zur Verfügung stehen (Bescheid, S 76).

2. Beweiswürdigung:

Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem vom BFA vorgelegten und unverdächtigen Verwaltungsverfahrensakt zu den gegenständlichen Anträgen des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz, wobei zu den jeweiligen Feststellungen die entsprechenden Aktseiten des Verwaltungsverfahrensaktes (AS) angeführt sind.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Behebung des bekämpften Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit gemäß § 28 Abs 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl

3.1. Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2).

3.2. Gemäß § 28 Abs 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG wenn die Voraussetzungen des Abs 2 nicht vorliegen, in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

3.3. Zu § 28 Abs 3 VwGVG hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich meritorisch zu entscheiden haben, eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen jedoch insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

3.4. Zum gegenständlichen Verfahren

3.4.1. Der Beschwerdeführer brachte in der Erstbefragung zum gegenständlichen Antrag zusammengefasst vor, dass er und seine Familie beschuldigt seien, an einer Schießerei Mitte März 2016 beteiligt gewesen zu sein und auch er "von der pakistanischen Polizei deswegen gesucht werde." (AS 5). Bei der Einvernahme vor dem BFA gab er an, dass von den Sunniten "falsche Anzeigen gegen uns" erstattet worden seien, die Polizei dem nachgegangen sei und es auch zu Verhaftungen gekommen sei (AS 79).

3.4.2. Das BFA hat es in der Folge zur Gänze unterlassen, zum Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er von der Polizei gesucht werde, Ermittlungen durchzuführen und sich damit überhaupt auseinanderzusetzen; weder wurde der Beschwerdeführer zu jenem Teil seines Vorbringens befragt noch wurde er aufgefordert, dazu Bescheinigungsmittel vorzulegen. Im Falle einer tatsächlichen Suche nach dem Beschwerdeführer durch die pakistanische Polizei und einer gegen ihn bestehenden Anzeige ist die Beurteilung des BFA (Bescheid, S 76), wonach keine individuelle Bedrohung für den Beschwerdeführer zu erkennen sei und es in seinem Fall zudem zahlreiche innerstaatliche Fluchtalternativen gebe, zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht haltbar.

3.4.3. Die dargestellten Unterlassungen des BFA sind vor dem Hintergrund der zuvor getroffenen Ausführungen als besonders gravierende Ermittlungslücke anzusehen und kann ohne Nachholung der hier aufgezeigten und für die Prüfung notwendigen Tatsachenerhebungen nicht davon ausgegangen werden, dass der Sachverhalt entsprechend entscheidungsrelevant ermittelt wurde.

3.4.4. Das BFA wird daher im fortgesetzten Verfahren eine neuerliche Einvernahme mit dem Beschwerdeführer durchzuführen haben und den Beschwerdeführer in dieser zu dem hier aufgezeigten Vorbringensteil erstmals zu befragen haben; er wird dabei auch zur Vorlage von Bescheinigungsmitteln aufzufordern sein und nach Durchführung der demnach allenfalls anschließenden weiteren erforderlichen, geeigneten und angemessenen Ermittlungen werden dem Beschwerdeführer vom BFA die Ermittlungsergebnisse und insbesondere auch entscheidungsrelevante, aktuelle und auf den festgestellten Sachverhalt abgestimmte Länderfeststellungen mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme innerhalb einer angemessenen Frist zur Kenntnis zu bringen sein. In weiterer Folge wird das BFA das Ermittlungsergebnis unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Bescheinigungsmittel einer - schlüssigen - Beweiswürdigung zu unterziehen und individuelle Feststellungen zu treffen zu haben, welche als Basis für die rechtliche Beurteilung dienen.

3.4.5. Auch unter Effizienzgesichtspunkten verbietet sich eine Heranziehung des § 28 Abs 2 Z 2 VwGVG, zumal die Verwaltungsbehörde die erforderlichen Ermittlungsschritte und damit die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes im Sinne des Gesetzes zumindest mit der gleichen Raschheit und mit nicht höheren Kosten als das Verwaltungsgericht bewerkstelligen wird können. Im Gegenteil ist angesichts der erforderlichen Beweisaufnahme und der grundsätzlich gegebenen Verhandlungspflicht nicht anzunehmen, dass die zur Erforschung der materiellen Wahrheit ergänzenden Ermittlungen unter Wahrung des Parteiengehörs durch das Bundesverwaltungsgericht selbst mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre. Wobei es bei der Beurteilung der Kostenersparnis und Raschheit darüber hinaus nicht auf die Auswirkungen auf das Gesamtverfahren, sondern nur auf die Ersparnis an Zeit und Kosten für die jeweilige konkrete Amtshandlung ankommt. Dass die Zurückverweisung den gesamten Verfahrensverlauf verlängert, ist bei der Zeit- und Kostenersparnis nicht in Rechnung zu stellen, weil ansonsten eine kassatorische Entscheidung nie in Frage käme (vgl Hengstschläger/Leeb, AVG, § 66 Rz 20 mwN).

3.5. Von diesen Überlegungen ausgehend ist daher im gegenständlichen Fall das dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung auszuüben und das Verfahren spruchgemäß an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen.

Entfall der mündlichen Verhandlung

3.6. Aufgrund der Behebung des angefochtenen Bescheides konnte eine Verhandlung gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG entfallen.

Zu B)

Revision

3.7. Die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage ist durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt, weshalb die Revision nicht zulässig ist.

3.8. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Anzeige, Befragung, Ermittlungspflicht, Haft, Kassation, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:L516.2201218.1.00

Zuletzt aktualisiert am

16.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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