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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §18 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Rätin Dr. Gritsch, über die Beschwerde der Gertrude Speil in Ziersdorf, vertreten durch Dr. Erich Proksch, Rechtsanwalt in Wien XIII, Auhofstraße 1, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 11. November 1998, Zl. RU1-V-96048/04, betreffend Wiederaufnahme eines Verfahrens über die Verpflichtung zum Kanalanschluss (mitbeteiligte Partei:
Marktgemeinde Sitzendorf an der Schmida, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerde, dem Ergänzungsschriftsatz, dem angefochtenen Bescheid sowie dem vorliegenden Verwaltungsakt ist folgender Sachverhalt zu entnehmen:
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vom 27. Juni 1996 wurde die Beschwerdeführerin "gemäß § 56 Abs. 2 NÖ Bauordnung 1976, LGBl. 8200-13 in Verbindung mit § 17 Abs. 1, 2 und 3 Kanalgesetz 1977, LGBl. 8230-3" verpflichtet, ihre Liegenschaft Frauendorf Nr. 89 "an den in der KG Frauendorf neu gelegten Schmutzwasserkanal" anzuschließen. Mit Bescheid der NÖ Landesregierung vom 22. November 1996 wurde die dagegen erhobene Vorstellung der Beschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen. Mit hg. Erkenntnis vom 30. September 1997, Zl. 97/05/0063, wurde der dagegen erhobenen Beschwerde keine Folge gegeben.
In ihrem am 29. Mai 1998 bei der mitbeteiligten Marktgemeinde eingebrachten Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens trägt die Beschwerdeführerin vor, dass sie am 15. Mai 1998 eine "Kostenschätzung" der Firma W. GesmbH erhalten habe, wonach der Umbau der Kanalisationsanlage sowie der Anschluss an die öffentliche Kanalanlage zumindest eine Summe von S 1,523.100,-- betragen würde. Im Verfahren vor den Behörden der mitbeteiligten Marktgemeinde und vor der Landesregierung sei der Beschwerdeführerin nicht bekannt gewesen, dass Kosten in einer derartigen Höhe auflaufen würden. Es läge somit der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG vor. Für die Anschlussverpflichtung gemäß §§ 17 und 18 NÖ Kanalgesetz gelte das "Verhältnismäßigkeitsprinzip". Eine Verpflichtung zum Anschluss zum öffentlichen Kanalnetz dürfe somit nicht mit unverhältnismäßigen Kosten und Nachteilen für den Anschlusspflichtigen verbunden sein. Die nunmehr feststehenden Kosten für die ausgesprochene Anschlussverpflichtung seien unverhältnismäßig hoch. Wenn schon Abwasserpumpen gemäß § 56 NÖ Bauordnung 1976 einen Ausschlussgrund für die Anschlussverpflichtung gebildet hätten, weil diese mit hohen Kosten verbunden seien, so bedeute dies, dass auch gravierende Trennungsmaßnahmen mit einem derartigen hohen Investitionsaufwand Grund für die Ablehnung des Zwanges vom Anschluss seien. Vor Auferlegung einer Leistung sei die wirtschaftliche Zumutbarkeit zu prüfen. Eine vermögensmäßige Belastung eines Grundeigentümers sei verfassungsrechtlich aus Gründen des Gleichheitssatzes und des Eigentumsschutzes schon wegen des immanenten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur zulässig, wenn er wirtschaftlich dem Eigentümer zugemutet werden könne. Die Beschwerdeführerin erhalte eine Pension von S 7.300,-- monatlich, weshalb ihr die Tragung der Kosten des Kanalanschlusses nicht zumutbar sei. Die Tatsache der Kostenhöhe sei der Einschreiterin weder bekannt noch belegt gewesen. Es würden deshalb die neuen Beweismittel vorgelegt, die Tatsachen betreffen, die schon vor Erlassung des das wiederaufzunehmende Verfahren abschließenden Bescheides bestanden hätten, aber erst nach diesem Zeitpunkt bekannt geworden seien.
Mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 26. Juni 1998 wurde dieser Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens als unbegründet abgewiesen. Die nunmehr in der vorgelegten Kostenschätzung ausgewiesenen Kosten für die Anschlussverpflichtung seien der Beschwerdeführerin bereits im wiederaufzunehmenden Verfahren bekannt gewesen, wie aus der Berufung vom 15. Mai 1996 und der Vorstellung vom 22. Juli 1996 der Beschwerdeführerin hervorgehe. Es liege kein Grund zur Wiederaufnahme des Verfahrens vor, weil keine Tatsachen oder Beweismittel hervorgekommen seien, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht hätten werden können. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens sei aber auch deshalb nicht möglich, da die Ausnahmen von der Anschlusspflicht nach § 56 Abs. 2 NÖ Bauordnung 1976 taxativ aufgezählt seien. Eine hohe Kostenbelastung befreie nicht von der Anschlussverpflichtung.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der NÖ Landesregierung vom 11. November 1998 wurde die dagegen erhobene Vorstellung der Beschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen. Die Mitwirkung des Bürgermeisters an der Entscheidung des Gemeinderates der mitbeteiligten Marktgemeinde sei nicht rechtswidrig (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 27. September 1994, Zl. 94/07/0025). Das im Beschwerdefall vorgelegte "neue Beweismittel" soll belegen, dass der der Beschwerdeführerin auferlegte Anschluss ihrer Liegenschaft an den öffentlichen Kanal mit hohen Kosten verbunden sei. Dies decke sich aber mit den Ausführungen im abgeschlossenen Verfahren, in dem sie die behaupteten hohen Kosten allerdings noch nicht genauer beziffert habe. Nicht erkennbar sei, zu welch anderen Ergebnissen die Gemeindebehörden in dem mit Bescheid des Gemeinderates vom 27. Juni 1996 abgeschlossenen Verfahren hätten kommen können, wenn ihnen damals bereits genau bekannt gewesen wäre, welche Kosten mit dem aufgetragenen Kanalanschluss verbunden sein würden. Die Höhe der mit dem Kanalanschluss verbundenen Kosten sei im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren nicht zu prüfen gewesen. Das vorgelegte neue Beweismittel stelle keinen Wiederaufnahmegrund dar.
Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 23. Februar 1999, B 2399/98-7, wurde die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde abgelehnt und zur Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG abgetreten. Vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin in dem Recht auf Wiederaufnahme eines Verwaltungsverfahrens verletzt. Sie macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Vor dem Verwaltungsgerichtshof wiederholt die Beschwerdeführerin ihr bereits von der Vorstellungsbehörde als nicht zielführend erkanntes Vorbringen, über den Wiederaufnahmeantrag hätte nicht die zuständige Behörde entschieden.
Gemäß § 69 Abs. 4 AVG steht die Entscheidung über die Wiederaufnahme der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat, wenn jedoch in der betreffenden Sache ein unabhängiger Verwaltungssenat entschieden hat, diesem.
Der das seinerzeitige Verfahren abschließende letztinstanzliche Bescheid wurde vom Gemeinderat der mitbeteiligten Marktgemeinde erlassen, welcher daher gemäß § 69 Abs. 4 AVG zur Entscheidung über die Wiederaufnahme zuständig ist. Der Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde hat den über Beschluss des Gemeinderates in der Sitzung vom 24. Juni 1998 erlassenen Bescheid vom 26. Juni 1998 unterfertigt. Die Ausfertigung einer Erledigung eines Bescheides von einer anderen als der willensbildenden Behörde (Intimierung) ist zulässig (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 7. Juli 1992, Zl. 92/08/0018). Im Beschwerdefall hat jedoch der Bürgermeister als Vorsitzender des Gemeinderates dessen Bescheid ausgefertigt; diese Vorgangsweise ist jedenfalls zulässig. Eine allfällige Befangenheit des Bürgermeisters im Zusammenhang mit der Mitwirkung an der Wiederaufnahmeentscheidung deshalb, weil er im wiederaufzunehmenden Verfahren als Behörde erster Instanz den Bescheid erlassen hat, kann nicht auf § 7 Abs. 1 Z. 5 AVG gestützt werden, weil sich dieser Befangenheitsgrund nur auf das Berufungsverfahren bezieht (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 27. September 1994, Zl. 94/07/0025). Ein sonstiger Befangenheitsgrund wird von der Beschwerdeführerin nicht behauptet und ist für den Verwaltungsgerichtshof aufgrund der vorliegenden Akten auch nicht erkennbar.
Die Beschwerdeführerin stützt die beantragte Wiederaufnahme des Verfahrens auf den Wiederaufnahmsgrund des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG. Demnach ist einem Wiederaufnahmsantrag stattzugeben, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten.
Die Beschwerdeführerin stützt ihren Wiederaufnahmsgrund auf die von ihr behauptete Tatsache, die ausgesprochene Anschlussverpflichtung an den Kanal der mitbeteiligten Marktgemeinde würde Kosten in der Höhe von S 1,523.100,-- inklusive Mehrwertsteuer verursachen. Zum Beweis dieser Tatsachenbehauptung wird von der Beschwerdeführerin eine Kostenschätzung der Firma W. GesmbH vom 15. Mai 1998 dem Wiederaufnahmsantrag beigelegt.
Eine bereits im wiederaufzunehmenden Verfahren geltend gemachte Tatsache kann jedoch keinesfalls einen Wiederaufnahmsgrund im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG begründen (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 14. September 1994, Zl. 92/12/0043). Ein Vorbringen, das im Wesentlichen nur eine Wiederholung von bereits während des wiederaufzunehmenden Verwaltungsverfahrens vorgebrachten Umständen oder eine Bekämpfung der von der Behörde vorgenommenen Beweiswürdigung enthält, ist daher nicht geeignet, nach § 69 AVG eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu begründen. Wenn die Behörde einen Beweisantrag nicht berücksichtigt hat und dies auch im aufsichtsbehördlichen Verfahren von der Vorstellungsbehörde und schließlich vom Verwaltungsgerichtshof als mit der Rechtslage vereinbar angesehen worden ist, kann dieses Versäumnis in der Folge nicht durch einen Wiederaufnahmeantrag nachgeholt werden (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 19. September 1990, Zl. 90/01/0042).
Schon in der Berufung gegen den Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 29. April 1996 hat die Beschwerdeführerin ausgeführt, dass durch den Anschlusszwang eine Belastung ihrer Landwirtschaft und ihres Gewerbebetriebes durch Investitionen von über S 1,500.000,-- eintreten würde. Zum Beweis dafür beantragte die Beschwerdeführerin die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Dieses Vorbringen wurde im Berufungsbescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 27. Juni 1996 als rechtlich nicht beachtlich unter Hinweis auf die taxativ aufgezählten Ausnahmefälle des § 56 Abs. 2 der NÖ Bauordnung 1976 angesehen. Es scheidet daher im Beschwerdefall die im Wiederaufnahmeantrag behauptete und nunmehr mit einer "Kostenschätzung" belegte Tatsache, die rechtskräftig festgesetzte Kanalanschlussverpflichtung sei mit zu hoher Kostenbelastung verbunden, als Wiederaufnahmegrund im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG aus.
Da somit schon der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 31. August 1999
Schlagworte
Ablehnung eines Beweismittels Befangenheit innerhalb der Gemeindeverwaltung Baurecht Bindung an die Rechtsanschauung der Vorstellungsbehörde Ersatzbescheid Intimation Zurechnung von Bescheiden Zurechnung von Bescheiden IntimationEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1999050057.X00Im RIS seit
24.01.2001