TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/8 W257 2146519-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.10.2018
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Entscheidungsdatum

08.10.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W257 2146519-1/9E

W257 2146522-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Herbert Gerhard MANTLER, MBA, als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX (BF1) und seinem leiblichen minderjährigen Sohn XXXX , geboren am XXXX (BF 2), beide Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan, beide vertreten durch

den "Verein Menschenrechte Österreich" in Wien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX vom XXXX , Zln. XXXX (BF1) und XXXX (BF2), nach Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung am 16.08.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang

1.1. Der Beschwerdeführer XXXX , in der Folge kurz "BF1" genannt, stellte am 01.02.2016 für sich und seinen leiblichen minderjährigen Sohn XXXX , in der Folge kurz "BF2" genannt, jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. In der Erstbefragung des BF1 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 02.02.2016 gab er an, er sei Staatsbürger der Islamische Republik Afghanistan, sei am XXXX geboren und stamme aus der Ortschaft XXXX , welche im Distrikt XXXX in der Provinz Daikundi liege. Er sei ledig und kinderlos. Sein Bruder lebe in Linz, sein Vater sei 70 Jahre alt und lebe in Afghanistan. Seine Mutter sei verstorben und er hätte noch zwei Schwestern. Ein weiterer Verwandte würde in Schweden leben. Er sei Schiiite und in Afghanistan seien alle Schiiten von den Sunniten verfolgt worden. Deswegen sei er mit seinem Sohn geflüchtet.

1.3. In der Einvernahme des BF1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge teilweise auch "Behörde" genannt) am 19.12.2016 führte der Beschwerdeführer ergänzend aus, dass er mit seinem Sohn in XXXX , XXXX lebe. Er sei ca 31 Jahre alt und gesund. Ca im Alter von 11 Jahren sei er mit seiner Familie in den Iran verzogen. Er hätte am 20.03.2009 seine Frau geheiratet, welche er im Iran kennen gelernt habe. Die Ehe sei vor ca 4 Jahren geschieden worden. Bis vor ca 1 1/2 Jahren hätte der Sohn bei seiner Frau gelebt, seitdem lebe er bei ihm. Der Sohn hätte regelmäßig telefonischen Kontakt zu seiner Mutter. Er hätte zuletzt mit seiner Frau im Iran gewohnt, sei aber nach der Scheidung nach Afghanistan abgeschoben worden. Er wäre wieder zu seinem Heimatdorf zurückgegangen und nach einem Jahr sei er wieder in den Iran eingereist. Er sei abermals abgeschoben worden und hätte sich ca. einem Monat in Herat aufgehalten. Bei dieser Abschiebung sei bereits sein Sohn bei ihm gewesen. Wegen der schlechten Sicherheitslage in Herat seien sie nach einem Monat wieder ausgereist. Der Sohn hätte nicht bei seiner Mutter verbleiben können, weil der neue Mann seiner geschiedenen Frau den Sohn nicht akzeptiert hätte. Insgesamt sei er fünfmal vom Iran nach Afghanistan zurück abgeschoben worden. Er wolle nicht, dass sein in Afghanistan als Landwirt enden würde. Sein Sohn habe keinen eigenen Fluchtgründe. Er sei gemeinsam mit seinem Bruder und seinem Sohn nach Europa geflohen.

1.4. Die Behörde wies die Anträge der Asylwerber mit den im Spruch erwähnten Bescheiden hinsichtlich des internationalen Schutzes ab, sowie wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten ebenso nicht zuerkannt. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers zulässig sei. Die Asylwerber bekamen eine zweiwöchige Frist für seine Ausreise zugestanden. Die Behörde erkannte bei dem Vorbringen keine asylrelevanten Fluchtgründe und vermeinte, dass die Beschwerdeführer nach Kabul zurückkehren könnten.

1.5. Gegen die Bescheide richtet sich die fristgerecht eingebrachte vollumfängliche Beschwerde der Beschwerdeführer, wobei sie im Wesentlichen die Verletzung der amtswegigen Ermittlungspflicht und unrichtige Beweiswürdigung geltend machten.

1.6. Der Verwaltungsakt langte am 02.02.2017 am Bundesverwaltungsgericht ein und wurde entsprechend der Geschäftseinteilung der Gerichtsabteilung W257 zugewiesen (OZ 1). Nachdem ein Familienverfahren nach § 34 AsylG vorliegt, wurden die Verfahren der beiden Beschwerdeführer zusammengefasst behandelt.

1.7. Das Bundesverwaltungsgericht setzte für den 16.08.2018 eine mündliche Verhandlung fest, wovon die Parteien nachweislich verständigt wurden.

1.8. Folgende Länderberichte des Herkunftsstaates wurden der Einladung angeschlossen und den Parteien im Rahmen des Parteiengehörs Gelegenheit geboten, dazu binnen 14 Tagen Stellung zu nehmen (OZ 5).

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Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, letzte Kurzinformation eingefügt am 30.01.2018 (Beilage 1)

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"Fact Finding Mission" der Staatendokumentation zu Afghanistan vom April 2018 (Beilage 2)

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UNHCR-Richtlinie zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016, (Beilage 3)

Die Parteien nahmen von dieser Gelegenheit nicht Gebrauch.

1.9. Nachdem das Länderinformationsblatt (sh vorherigen Punkt, erster Spiegelstrich) eine Gesamtaktualisierung erfuhr, wurde die aktuelle Fassung vom 29.06.2018 den Parteien am 04.07.2018 zur Stellungnahme übersandt (OZ 6). Eine Stellungnahme hierzu langte ebenso nicht ein.

1.10. Vor dem Bundesverwaltungsgericht brachte BF1 Folgendes vor:

Sowohl er als auch sein Sohn sind grundsätzlich gesund. Sein Sohn habe keine eigenen Fluchtgründe, sondern leite er seine Flucht von ihm, BF1 ab. Er sei in Afghanistan in der Provinz Daikundi, in einer ländlichen Gegend geboren worden. Als er ca. 7 Jahre alt war, sei die Familie in den Iran verzogen. Zuletzt wäre er im Alter von 27 Jahren in seinem Heimatdorf gewesen. In Afghanistan würden noch zwei Halbbrüder, vier Schwestern und zwei weitere Halbschwestern leben. Ein leiblicher Bruder würde mit seiner Familie in XXXX , XXXX , leben. Zu dieser Familie pflege er regelmäßig Kontakt; sie würden sich ca einmal im Monat persönlich sehen. Sein Vater würde ebenso in Afghanistan leben, zu dem er allerdings keinen Kontakt mehr habe. Im Iran würde nur seine geschiedene Frau leben. Seine Frau hätte kein Sorgerecht über den gemeinsamen Sohn (BF2). Sein Sohn würde bis zur Volljährigkeit bei ihm bleiben. Hier in Österreich kümmere sich sein in XXXX lebender Bruder auch ein wenig um den Sohn, in Afghanistan habe er keinen, der ihm unterstützten könne. Im Falle einer Rückkehr könne er von seinen Familienangehörigen keine Unterstützung erwarten.

Er spreche Dari, Farsi, und etwas Deutsch. Er hätte 10 Jahre im Iran als Bauer gearbeitet und danach ca 12 Jahre in einer Fabrik, welche Getränke und Säfte hergestellt habe. Er hätte dort die Maschinen bedient. Er sei Analphabet.

Er könne nicht nach Afghanistan zurückkehren, weil die Hazaras, so wie er und sein Sohn sind, überall getötet werden würden. In Herat hätte er zwar ein Monat gelebt, doch hätte er sich dort mit seinem Sohn nicht frei bewegen können. Er könne nicht auf die Unterstützung seines Vaters hoffen. Er sei mit ihm nicht groß geworden und insgesamt kenne er die afghanische Kultur nicht. Er wolle nur das Beste für seinen Sohn.

Er sei wiederholt vom Iran nach Afghanistan abgeschoben worden und hätte versucht im Heimatort mit seinem Vater zu reden. Dieser hätte ihn bereits nach der zweiten Zurückschiebung geschlagen und man hätte ihn sogar an einem Pferd hinterhergezogen. Er hätte sterben können. Er wäre am Bein durch einen Messerstich verletzt worden. Er hätte aber nicht bei seinem Vater gewohnt, sondern in einem eigenen Zimmer. Auch nach der dritten Abschiebung sei er in sein Heimatdorf zurückgegangen, weil er nicht gewusst habe, wohin er sonst gehen solle. Er sei aus Afghanistan wegen der allgemeinen schlechten Sicherheitslage geflohen. Zudem hätte er mitbekommen, dass Hazaras generell in Afghanistan verfolgt werden würden. Er könne nicht zurückkehren, weil die Familie ihn töten würde. Außerdem gebe es dort keine Ausbildungsmöglichkeit für seinen Sohn. Schließlich brachte er vor, dass er schwere Kindheit erleben hätte müssen.

Zuletzt als er im Iran aufgegriffen worden sei, hätte man von ihm verlangt, dass er in den Syrienkrieg kämpfen gehen solle. Dies habe er abgelehnt und sei mit seinem Bruder nach Österreich gereist.

Er lebe hier in XXXX , XXXX . Er hätte die A1-Prüfung leider nicht bestanden. Er sei Analphabet und immer auf Unterstützung angewiesen. Tagsüber sorge er sich um seinen Sohn, welcher die Schule besucht und rasch die Sprache erlerne.

Die Rechtsvertretung wies in der Verhandlung darauf hin, dass eine Rückführung die menschliche Existenz beider Beschwerdeführer gefährden würde. Dies wird damit begründet, dass er keine Unterstützungsmöglichkeiten habe, seit jeher im Iran aufgewachsen sei und daher die afghanische Kultur nicht kenne. Verwiesen wird auf den Bericht der Friederike Stahlmann, Asylmagazin 3/2017, dem Gutachten von Ihr vom 28.03.2018, sowie auf den Aufsatz von Thomas Ruttig vom Juni 2017.

Folgende Unterlagen, welche die Integrationstiefe beweisen sollten, wurden vorgelegt:

Vier Empfehlungsschreiben, Bestätigung bei der Teilnahme an einem Adventmarkt, Kursbestätigung "Deutschkurs für Asylwerber" vom 31.05.2017, 31.08.2017 und vom 06.03.2018, Teilnahme am Projekt " XXXX " vom 05.07.2017 bis zum 23.08.2017, Schulbesuchsbestätigung des BF2 des Schuljahres 2016/17 (Vorschulstufe als ao Schüler, VS XXXX ), Schulbesuchsbestätigung des BF2 des Schuljahres 2017/18.

Zudem wurden folgende Aufsätze seitens der Rechtsvertretung vorgelegt:

1.10.1. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan. Situation für Afghaninnen (insbes. Hazar) die ihr ganzes Leben im Iran verbracht haben... (a-9219) vom 12.06.2015,

1.10.2. Gutachterliche Stellungnahme im Auftrag der Gerichtsabteilung W140 vom 15.09.2017, Frau XXXX

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

2. Feststellungen:

Der entscheidungswesentliche Sachverhalt steht fest!

2.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

2.1.1. Die Beschwerdeführer führen die Namen XXXX und XXXX . XXXX ist der leibliche Sohn des XXXX . In dem gerichtlichen Akt wurde der Familienname des Zweitbeschwerdeführers irrtümlich falsch geschrieben ( XXXX ) und berichtigt. Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige und Angehörige der Volksgruppe der Hazaras. BF1 bekannt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Der minderjährige BF2 folgt dieser Richtung.

2.1.2. Ein leiblicher Bruder lebt in XXXX , XXXX . Er hat einen Vater in Afghanistan, vier Schwestern, zwei Halbschwestern und zwei Halbbrüder. Seine Mutter ist verstorben.

Nachdem zwischen den beiden Beschwerdeführer ein unmittelbares Verwandtschaftsverhältnis besteht, wurden die beiden Verfahren miteinander verbunden. XXXX , der Vater, wurde im gegenständlichen Verfahren als BF1 und XXXX , dessen Sohn, wurde als BF2, bezeichnet.

2.1.3. BF1 wurde in der Provinz Daikundi geboren und wuchs dort auf. Im Alter von 11 Jahren verließ seine Familie Afghanistan und siedelte sich im Iran an.

Im Jahr 2009 heiratete er seine Frau und bekam seinen Sohn BF2. BF2 kam im Iran auf die Welt und ist heute acht Jahre alt. Die Ehe wurde nach vier Jahren aus Initiative seiner Frau geschieden. Nach einem Jahr heiratet sie wieder. Der neue Mann akzeptierte den BF2 nicht, woraufhin BF2 in die Obhut von BF1 kam.

BF1 wurde oftmals von Afghanistan in den Iran abgeschoben und versuchte nach jeder Abschiebung mit seinem Vater Kontakt aufzunehmen.

Aufgrund seiner Angaben lassen sich folgende Abschiebungen nach Afghanistan zusammenfassen:

-

Im Alter von 20 Jahren für einen Monat in Afghanistan

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mit 23 Jahren 5 Monate in Afghanistan

-

mit 27 Jahren Dauer unbekannt

-

mit 28 Jahren für 3 bis 4 Monate in Afghanistan.

BF1 floh gemeinsam mit BF2 aus Afghanistan, sowie gemeinsam mit seinem Bruder, welcher aus Iran die Reise nach Europa antrat. Der Bruder lebt mittlerweile in XXXX .

Die Beschwerdeführer reisten unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellten am 01.02.2016 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.

BF1 hat nie eine Schule besucht. BF2 ist in Österreich schulpflichtig.

BF1 verfügt über mehrjährige Berufserfahrung als Bauer und Arbeiter in einer Fabrik im Iran, welche Getränke herstellt.

Die Familie des BF1 besteht aus seinem Sohn, seinem Bruder samt seiner Familie, welche in XXXX , XXXX , leben, einen weiteren Verwandten in Schweden und die in Afghanistan verbliebenen Familienangehörigen. Diese umfassen: Seinem Vater zwei Halbbrüder zwei Halbschwestern und vier Schwestern.

2.1.4. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer zu seinen Familienangehörigen in Afghanistan keinen Kontakt mehr hätte. Das Gericht geht davon aus, dass BF1 im Falle der Rückkehr für sich und BF2 eine persönliche und finanzielle Unterstützung erwarten kann.

Die Beschwerdeführer sind gesund. BF1 ist arbeitsfähig.

Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari. Er spricht außerdem Farsi und ein wenig Deutsch.

BF1 ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. BF2 ist strafunmündig.

2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

BF1 brachte vor, aus Afghanistan geflohen zu sein, weil er Angst hatte. Dies wird begründet auf die allgemeine schlechte Sicherheitslage. Folgende Aussage in der Verhandlung verdeutlicht dies:

"In Kabul bin ich verloren. Ich wurde als Kind bereits ein Flüchtling. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie ich in Afghanistan über die Runden kommen soll, weil ich dort nie richtig gelebt habe. Das, was ich weiß ist, dass man in Afghanistan Hazara allgemein ablehnt. Jene, die meiner Volksgruppe, also den Hazara angehören, sind eher Gefahren ausgesetzt, Frauen und Männer. Wir als Hazara können nicht überall in Afghanistan leben, nicht einmal überall in Kabul ist das möglich"

"Zuletzt habe ich Afghanistan verlassen müssen, vor allem wegen der Sicherheitslage. Ich sehe dort keine Verbesserung, ich habe die Hoffnung aufgegeben. Es besteht diese Familienfeindschaft. Darüber hinaus habe ich mitbekommen, dass viele Hazara aus der Heimat flüchten. Ich habe entschieden, Afghanistan zu verlassen."

Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF, weder BF1 noch BF2 für sich alleine, noch BF1 und BF2 im Zusammenwirken, in ihrem Herkunftsstaat Afghanistan einer systematischen Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, dh. wegen der Zugehörigkeit zu einer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt war oder ihm in Falle einer Rückkehr derartiges droht.

BF1 reiste aus Afghanistan aus, um die Situation seines Sohnes zu verbessern und ihm eine Ausbildung zu ermöglichen. Dies brachte er selbst vor, wie zB.:

"In Afghanistan gibt es keine Ausbildungsmöglichkeiten. In Afghanistan herrscht Krieg, weil die Menschen hauptsächlich ungebildet sind. Ich möchte nicht, dass mein Sohn so ein Analphabet wird. Ich möchte, dass er in einer Umgebung aufwächst und die Umgebung ihn positiv beeinflusst und ein guter Mensch aus ihm wird."

Der Grund für seine eigenen Kinder die wirtschaftliche Situation zu verbessern bzw. ihnen eine entsprechende bildungsgerichtete Zukunft zu ermöglichen, ist jedoch kein Asylgrund nach der Genfer Flüchtlingskonvention.

2.3. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat:

2.3.1. BF1 würde bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Afghanistan, Daikundi kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen oder einer Verfolgung ausgesetzt sein.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF1 im Falle einer allfälligen Rückkehr in sein Heimatdorf nicht im Stande wäre, für ein ausreichendes Auskommen im Sinne der Sicherung seiner Grundbedürfnisse und der Grundbedürfnisse seines Sohnes (BF2) zu sorgen und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr ausgesetzt wäre, in eine existenzbedrohende Notlage für sich und seinen Sohn zu geraten.

Die Heimatprovinz der Beschwerdeführer ist aus infrastruktureller Sicht vom internationalen Flughafen in Kabul über das Straßennetz in Afghanistan erreichbar. Eine über die allgemeine Sicherheitslage hinausgehende besondere Gefährdung konnte nicht festgestellt werden.

2.3.2. BF2 würde bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Afghanistan, Daikundi, unter der Annahme der Obsorge von seinem Vater BF1, kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen oder einer Verfolgung ausgesetzt sein.

Es sind im ganzen Verfahren keine Gründe hervorgetreten, welche ihm gegenüber anderen Kinder in seinem Alter in der Herkunftsprovinz des BF1, insofern hervorheben würde, als dass von einer realen Gefahr, sowohl von wirtschaftlicher, als auch von sicherheitsrelevanter Sicht, gesprochen werden kann.

BF1 ist gegenüber BF2 alleinig obsorgeberechtigt und kann bei einer Rückkehr in das Heimatdorf eine Unterstützung seitens der Verwandten erwarten.

2.4. Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Die Beschwerdeführer sind seit ihrer Antragstellung am 01.02.2016 aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Sie beziehen Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung.

Die Beschwerdeführer verfügen in Österreich über Verwandte. Der Bruder des BF1 mitsamt seiner Familie lebt in XXXX , XXXX . Die Familien haben regelmäßig, ca einmal im Monat, persönlichen Kontakt zueinander.

BF1 hat zwar Deutschkurse besucht, jedoch die A1-Prüfung nicht bestanden. BF2 besucht die Schule. Die Familie lebt in XXXX . BF1 sorgt sich um BF2.

2.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

In der Folge bedeutet "LIB" folgende Quelle: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 29.06.2018 (sh Punkt 1.9).

2.5.1. Zur allgemeinen Sicherheitslage:

"Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018). (LIB auf Seite 24)."

2.5.2. Zur aktuellen Sicherheitslage in Kabul (LIB ab Seite 46ff)

"Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. ....

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018). Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).

Informationen und Beispiele zu öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) können dem Kapitel 3. "Sicherheitslage (allgemeiner Teil)" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die folgende Darstellung der Staatendokumentation veranschaulicht werden sollen:

(Grafik)

Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).

Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018). Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte) (ACLED 23.2.2018)."

2.5.3. Zur wirtschaftlichen Situation im Falle der Rückkehr:

2.5.3.1. Aus dem Länderbericht, eingebracht seitens des BF, sh Punkt

1.10.1

"...Dem Artikel zufolge würden die RückkehrerInnen als "Afghan-e Badal" oder falsche AfghanInnen bezeichet. Nur wenige von ihnen hätte politische Verbindungen in den Iran, aber aufgrund ihrer Zeit im Iran seien sie in den Augen der AfghaneInnen, die das Land nicht verlassen hätten, kulturell nicht authentisch und politisch verdächtig..."

2.5.3.2. Aus dem Länderbericht, eingebracht seitens des BF, sh

1.10.2

"... In Afghanistan herrscht eine generelle negative Einstellung gegenüber Rückkehrern, denen von den in Afghanistan verbliebenen Personen vorgeworfen wird, dem Krieg entflohen zu sein und das Land sowie die Bevölkerung im Stich gelassen zu haben und selbst ein wohlhabendes Leben im Ausland geführt zu haben. Ihnen wird auch vorgeworfen, dass sie zurückgekehrt seien um von der sich teilweise stabilisierten Lage im Land zu profitieren. Die afghanische Regierung hat im Jahr 2001 ein Dekret erlassen, welches die Diskriminierung von Rückkehrern verbietet. Trotz dieses Dekrets werden Rückkehrer aus dem Iran von der Bevölkerung und der Regierung diskriminiert und schikaniert. ....

Rückkehrer, die über keine familiären und sozialen Anknüpfungspunkte am Wohnort verfügen, fällt es ohne sozialen Beziehungen schwerer eine Unterkunft oder Verdienstmöglichkeit zu finden. ...

Berichten der internationalen Hilfsorganisationen zufolge leben geschätzte drei Millionen afghanische Flüchtlinge in Pakistan sowie zirka 2,5 Millionen im Iran. Darunter befinden sich viele im Exil geborene Afghanen der zweiten und dritten Generation....

Besonders im Iran sind afghanische Staatsangehörige nicht erwünscht, wo sie sehr benachteiligt sind und kaum über eine Perspektive verfügen. Bereits seit November 2013 schickt der Iran tausende Afghanen zum Kampf gegen die IS nach Syrien. Im Gegenzug verspricht die iranische Regierung afghanischen Flüchtlingen das Bleiberecht im Iran oder finanzielle Anreize. Einigen Afghanen soll aber auch mit der Abschiebung gedroht worden sein, falls sie sich weigern sollten, nach Syrien zu gehen. Am 2. Mai 2016 verabschiedete das Teheraner Parlament ein Gesetz, wonach im Falle eines Todes die Angehörigen der afghanischen Kämpfer die iranische Staatsbürgerschaft erhalten. Damit bestätigte die iranische Regierung erstmals die Existenz ausländischer Söldner....

Zur Situation von Rückkehrern in Afghanistan:

Afghanische Rückkehrer geraten beim Wiederaufbau einer Lebensgrundlage in Afghanistan in gravierende Schwierigkeiten. Diese verfügen über eine unzureichende Existenzgrundlage sowie einen schlechten Zugang zu Lebensmitteln und Unterkunft. Außerdem erschwert die prekäre Sicherheitslage die Rückkehr der meisten in ihre Heimatregionen. Es wird berichtet, dass viele Rückkehrende ihre Dörfer innerhalb von zwei Jahren erneut verlassen müssen und in die Städte ausweichen, insbesondere nach Kabul, wo es ihnen nach der Rückkehr auch wirtschaftlich schlechter geht als im Exilland.

Es darf nicht ungesagt bleiben, dass Rückkehrer bei ihrer Ankunft in Afghanistan nach einer Abwesenheit bemerken, dass sie weitgehend von den Verwandtschafts-, Geschäfts- und Patronage-Beziehungen - falls überhaupt vorhanden - ausgeschlossen werden. Damit ist gemeint, dass es für Rückkehrer besonders schwierig ist, sich ohne etwaige Verwandte oder Freunde zu Recht zu finden und Zugang zu Arbeitsstätten zu bekommen. Ihnen fehlt somit jeglicher Zugang zu nützlichen Ressourcen. Nach ihrer Rückkehr nach Afghanistan gelten sie als Fremde im eigenen Land. Darüber hinaus müssen die meisten Jugendlichen, die aus dem Iran und Pakistan zurückkehren bzw. abgeschoben werden und über keine Fachausbildung verfügen, mit dem Problem der Arbeitslosigkeit kämpfen. Auf Grund der unsicheren Lage fühlen sich viele Unternehmer dazu gezwungen, ihre Firmen zu schließen. Dies führt ebenfalls zu einer schwierigen Situation am Arbeitsmarkt. Daraus ergibt sich, dass tausende junge Menschen derzeit auf dem Weg sind, außerhalb von Afghanistan Möglichkeiten nach wirtschaftlichem Überleben zu suchen. Jene Rückkehrer, die im Land verbleiben, geraten oft in die Drogenszene und leben zum Teil in Parkanlagen und in nicht bewohnbaren Häusern. Auf Grund dieser Umstände ist die Kriminalitätsrate, vor allem unter jungen Menschen, stark gestiegen. Diese Situation der jungen Rückkehrer hat dazu geführt, dass die afghanische Regierung vor allem die Nachbarländer gebeten hat, afghanische Flüchtlinge nicht abzuschieben.

Wenn Rückkehrer über kein soziales Netzwerk verfügen und auch keine finanzielle Unterstützung zugesichert bekommen, sind sie gezwungen, in Zelten zu leben und haben zudem nur geringen Zugang zu Nahrungsmitteln und Wasser. Die Situation ist insbesondere für junge afghanische Rückkehrer hart, zumal die afghanische Regierung nicht über die nötigen Ressourcen verfügt, um diese beim Aufbau einer Existenzgrundlage zu unterstützen. Viele Afghanen haben Afghanistan aufgrund des langjährigen Krieges verlassen, können aber, obwohl es in manchen Gebieten wieder sicher ist, wegen der wirtschaftlichen Lage nicht mehr dorthin zurückkehren.

Rückkehrer aus dem Iran berichten über soziale Ablehnung durch jene Afghanen, die während der Konfliktjahre in Afghanistan geblieben sind. Oftmals werden Rückkehrer als ‚Eindringlinge' oder ‚Fremde' angesehen. Im Großen und Ganzen gibt es eine generelle negative Einstellung gegenüber Rückkehrern, denen von den in Afghanistan verbliebenen Personen vorgeworfen wird, dem Krieg entflohen zu sein und das Land und die Bevölkerung im Stich gelassen zu haben und selbst ein wohlhabendes Leben im Ausland geführt zu haben. Vor allem Flüchtlinge zweiter Generation erleben Diskriminierung aus ethnischen, religiösen und politischen Gründen intensiver als die der ersten Generation.

Die Tatsache, dass die Mehrheit der im Iran geborenen Afghanen, vor allem die Dari- bzw. Farsi-sprechenden sunnitischen Tadschiken und schiitischen Hazara, durch ihren Schulbesuch oder durch die Ausübung eines Berufes im Iran die iranische Kultur und Lebensweise angenommen haben, erschwert die Rückführung dieser in die afghanische Gesellschaft. Für viele ist auch die Vorstellung, in ländliche Gebiete Afghanistans zurückzukehren, die meist nur ein sehr grundlegendes Maß an Infrastruktur, sozialen Diensten und Beschäftigungsmöglichkeiten bieten, beängstigend.

Die afghanische Bevölkerung betrachtet Rückkehrer aus dem Iran mit Argwohn und ist der Meinung, dass diese die Identität Afghanistans ändern und das Land ‚iranischer' machen. Sie werden auch oft als ‚falsche' Afghanen bezeichnet. Dieser Umstand führt oft zu Spannungen zwischen den Rückkehrern und jenen, die während der Kriegsjahre in Afghanistan verblieben sind. Rückkehrer berichten auch über ein unfreundliches Verhalten der Afghanen im Land und dass die afghanische Gesellschaft eine negative Wahrnehmung von Rückkehrern aus dem Iran habe. Auch werden solche Rückkehrer als kulturell nicht authentisch und politisch verdächtig angesehen. Die Aussprache, nämlich der iranische Akzent der Rückkehrer, führt zur sozialen Ausgrenzung, dem zufolge sie mit Diskriminierung und Erniedrigung seitens einiger staatlicher Einrichtungen, darunter auch Bildungseinrichtungen, konfrontiert sind. Ohne Beziehungen zu dort wohnhaften und mit der dortigen Gesellschaft vertrauten Personen ist es nahezu unmöglich, in Afghanistan Arbeit zu finden. Ihnen wird unter anderem auch vorgeworfen, dass sie zurückgekehrt seien, um von der sich teilweise stabilisierten Lage im Land zu profitieren.

Die afghanische Regierung hat im Jahr 2001 ein Dekret erlassen, welches die Diskriminierung von Rückkehrern verbietet. Trotz dieses Dekrets werden Rückkehrer aus dem Iran von der Bevölkerung und der Regierung diskriminiert und schikaniert. Am schwierigsten erweist sich die Situation für jene, die nicht in ihre Heimatdörfer zurückkehren wollen, vor allem aus Sicherheitsgründen oder wegen fehlender familiärer Anknüpfungspunkte. Diese Rückkehrer sind besonders verwundbar. Als Fremde im eigenen Land fehlen ihnen die wichtigen Netzwerke, die sie in der afghanischen Stammesgesellschaft brauchen. Eine Unterkunft oder eine Verdienstmöglichkeit zu finden, ist ohne solche Beziehungen viel schwieriger."

2.5.3.3. Aus dem LIB zu den Rückkehrern:

Als Rückkehrer/innen werden jene afghanische Staatsbürger/innen bezeichnet, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghan/innen, die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben, als auch nicht-registrierte Personen, die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind, sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012-2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt. Die Anzahl der Rückkehrer/innen hat sich zunächst im Jahr 2016 im Vergleich zum Zeitraum 2012-2015, um 24% erhöht, und ist im Jahr 2017 um 52% zurückgegangen. In allen drei Zeiträumen war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer/innen zu verzeichnen hatte (499.194); zweimal so viel wie Kabul (256.145) (IOM/DTM 26.3.2018). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig, als auch zwangsweise) (IOM 2.2018). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (IOM 7.7.2017).

Im Rahmen des Tripartite Agreement (Drei-Parteien-Abkommen) unterstützt UNHCR die freiwillige Repatriierung von registrierten afghanischen Flüchtlingen aus Pakistan und Iran. Insgesamt erleichterte UNHCR im Jahr 2017 die freiwillige Rückkehr von 58.817 Personen (98% aus Pakistan sowie 2% aus Iran und anderen Ländern) (UNHCR 3.2018).

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen (USDOS 20.4.2018). Nichtsdestotrotz versucht die afghanische Regierung die gebildete Jugend, die aus Pakistan zurückkehrt, aufzunehmen (BTI 2018). Von den 2.1 Millionen Personen, die in informellen Siedlungen leben, sind 44% Rückkehrer/innen. In den informellen Siedlungen von Nangarhar lebt eine Million Menschen, wovon 69% Rückkehrer/innen sind. Die Zustände in diesen Siedlungen sind unterdurchschnittlich und sind besonders wegen der Gesundheits- und Sicherheitsverhältnisse besorgniserregend. 81% der Menschen in informellen Siedlungen sind Ernährungsunsicherheit ausgesetzt, 26% haben keinen Zugang zu adäquatem Trinkwasser und 24% leben in überfüllten Haushalten (UN OCHA 12.2017).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Hierfür stand bislang das Jangalak-Aufnahmezentrum zur Verfügung, das sich direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand und wo Rückkehrende für die Dauer von bis zu zwei Wochen untergebracht werden konnten. Im Jangalak Aufnahmezentrum befanden sich 24 Zimmer, mit jeweils 2-3 Betten. Jedes Zimmer war mit einem Kühlschrank, Fernseher, einer Klimaanlage und einem Kleiderschrank ausgestattet. Seit September 2017 nutzt IOM nicht mehr das Jangalak-Aufnahmezentrum, sondern das Spinzar Hotel in Kabul als temporäre Unterbringungsmöglichkeit. Auch hier können Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig:

IOM (internationale Organisation für Migration) bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an (Assisted Voluntary Return and Reintegration - AVRR). In Österreich wird das Projekt Restart II seit 1.1.2017 vom österreichischen IOM-Landesbüro implementiert, welches vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und AMIF (dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU) mitfinanziert wird. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und in den Iran, nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. Das Projekt läuft mit 31.12.2019 aus und sieht eine Teilnahme von 490 Personen vor. IOM setzt im Zuge von Restart II unterschiedliche Maßnahmen um, darunter Rückkehr - und Reintegrationsunterstützung. In Kooperation mit Partnerninstitutionen des European Reintegration Network (ERIN) wird im Rahmen des ERIN Specific Action Program, nachhaltige Rückkehr und Reintegration freiwillig bzw. zwangsweise rückgeführter Drittstaatangehöriger in ihr Herkunftsland implementiert. IRARA (International Returns & Reintegration Assistance) eine gemeinnützige Organisation bietet durch Reintegrationsdienste nachhaltige Rückkehr an. ACE (Afghanistan Centre for Excellence) ist eine afghanische Organisation, die Schulungen und Arbeitsplatzvermittlung anbietet. AKAH (Aga Khan Agency for Habitat) ist in mehreren Bereichen tätig, zu denen auch die Unterstützung von Rückkehrer/innen zählt. Sowohl ACE als auch AKAH sind Organisationen, die im Rahmen von ERIN Specific Action Program in Afghanistan tätig sind. AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation) bietet zwangsweise zurückgekehrten Personen aus Europa und Australien Beratung und Unterstützung an. Unter anderem betreibt AMASO ein Schutzhaus, welches von privaten Spendern finanziert wird (BFA Staatendokumentation 4.2018).

NRC (Norwegian Refugee Council) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an. Auch hilft NRC Rückkehrer/innen bei Grundstücksstreitigkeiten. Kinder von Binnenvertriebenen und speziell von Rückkehrer/innen aus Pakistan sollen auch die Möglichkeit haben die Schule zu besuchen. NRC arbeitet mit dem afghanischen Bildungsministerium zusammen, um Schulen mit Unterrichtsmaterialien zu unterstützen und die Kapazitäten in diesen Institutionen zu erweitern. IDPs werden im Rahmen von Notfallprogrammen von NRC mit Sachleistungen, Nahrungsmitteln und Unterkunft versorgt; nach etwa zwei Monaten soll eine permanente Lösung für IDPs gefunden sein. Auch wird IDPs finanzielle Unterstützung geboten: pro Familie werden zwischen 5.000 und 14.000 Afghani Förderung ausbezahlt. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission). UNHCR und die Weltbank haben im November 2017 ein Abkommen zur gemeinsamen Datennutzung unterzeichnet, um die Reintegration afghanischer Rückkehrer/innen zu stärken. UNHCR leitet Initiativen, um nachhaltige Lösungen in den Provinzen Herat und Nangarhar zu erzielen, indem mit nationalen Behörden/Ministerien und internationalen Organisationen (UNICEF, WHO, IOM, UNDP, UN Habitat, WFP und FAO) zusammengearbeitet wird. Diese Initiativen setzen nationale Pläne in gemeinsame Programme in jenen Regionen um, die eine hohe Anzahl an Rückkehrer/innen und Binnenvertriebenen vorzuweisen haben (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung

Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (wenngleich sich das Jangalak-Aufnahmezentrum bis September 2017 direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand, wurde dieses dennoch von IOM betrieben und finanziert). Seit 2016 erhalten die Rückkehr/innen nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (siehe Jangalak-Aufnahmezentrum). Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Ausführliche Informationen zu den Programmen und Maßnahmen der erwähnten Organisationen sowie weitere Unterstützungsmaßnahmen können dem FFM-Bericht Afghanistan 4.2018 entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

Die Rolle unterschiedlicher Netzwerke für Rückkehrer/innen

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

2.5.4. Zu den Kindern in Afghanistan, aus dem LIB, Seite 298 ff

"Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Während Mädchen unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen waren, machen sie von den heute ca. acht Millionen Schulkindern rund drei Millionen aus. Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Den geringsten Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika) (AA 5.2018). Landesweit gehen in den meisten Regionen Mädchen und Buben in der Volksschule in gemischten Klassen zur Schule; erst in der Mittel- und Oberstufe werden sie getrennt (USDOS 3.3.2017).

Bildungssystem in Afghanistan

Der Schulbesuch ist in Afghanistan bis zur Unterstufe der Sekundarbildung Pflicht (die Grundschule dauert sechs Jahre und die Unterstufe der Sekundarbildung drei Jahre). Das Gesetz sieht kostenlose Schulbildung bis zum Hochschulniveau vor (USDOS 20.4.2018).

Aufgrund von Unsicherheit, konservativen Einstellungen und Armut haben Millionen schulpflichtiger Kinder keinen Zugang zu Bildung - insbesondere in den südlichen und südwestlichen Provinzen. Manchmal fehlen auch Schulen in der Nähe des Wohnortes (USDOS 3.3.2017). Auch sind in von den Taliban kontrollierten Gegenden gewalttätige Übergriffe auf Schulkinder, insbesondere Mädchen, ein weiterer Hinderungsgrund beim Schulbesuch. Taliban und andere Extremisten bedrohen und greifen Lehrer/innen sowie Schüler/innen an und setzen Schulen in Brand (USDOS 20.4.2018). Nichtregierungsorganisationen sind im Bildungsbereich tätig, wie z. B. UNICEF, NRC, AWEC und Save the Children. Eine der Herausforderungen für alle Organisationen ist der Zugang zu jenen Gegenden, die außerhalb der Reichweite öffentlicher Bildung liegen. Der Bildungsstand der Kinder in solchen Gegenden ist unbekannt und Regierungsprogramme sind für sie unzugänglich - speziell, wenn die einzigen verfügbaren Bildungsstätten Madrassen sind. UNICEF unterstützt daher durch die Identifizierung von Dorfgemeinschaften, die mehr als drei Kilometer von einer ordentlichen Schule entfernt sind. Dort wird eine Dorfschule mit lediglich einer Klasse errichtet. UNICEF bezeichnet das als "classroom". Auf diese Art "kommt die Schule zu den Kindern". Auch wird eine Lehrkraft aus demselben, gegebenenfalls aus dem nächstgelegenen Dorf, ausgewählt - bevorzugt werden Frauen. Lehrkräfte müssen fortlaufend Tests des Provinzbüros des Bildungsministeriums absolvieren. Je nach Ausbildungsstand beträgt das monatliche Gehalt der Lehrkräfte zwischen US$ 90 und 120. Die Infrastruktur für diese Schulen wird von der Dorfgemeinschaft zur Verfügung gestellt, UNICEF stellt die Unterrichtsmaterialien. Aufgrund mangelnder Finanzierung sind Schulbücher knapp. Wenn keine geeignete Lehrperson gefunden werden kann, wendet sich UNICEF an den lokalen Mullah, um den Kindern des Dorfes doch noch den Zugang zu Bildung zu ermöglichen. UNICEF zufolge ist es wichtig, Kindern die Möglichkeit zu geben, auch später einem öffentlichen Schulplan folgen zu können (BFA Staatendokumentation 4.2018).

In Afghanistan existieren zwei parallele Bildungssysteme; religiöse Bildung liegt in der Verantwortung des Klerus in den Moscheen, während die Regierung kostenfreie Bildun

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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