TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/24 W222 2201237-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.10.2018
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Entscheidungsdatum

24.10.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W222 2201237-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Obregon als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.06.2018, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF und §§ 52, 55 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, eine indische Staatsangehörige, reiste unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am 21.06.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dazu wurde sie am gleichen Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich einvernommen. Die Beschwerdeführerin gab an, am XXXX in XXXX/Indien geboren worden zu sein. Sie gehöre der Religionsgemeinschaft der Sikh und der Volksgruppe der Tarkan an. Sie habe 12 Jahre die Grundschule in ihrem Heimatland besucht und zuletzt als selbstständige Schneiderin gearbeitet. Ihr Vater sei bereits verstorben. Ihre Mutter, ihr Bruder und ihre Schwester würden in Indien aufhältig sein. Den Entschluss zur Ausreise habe sie im März 2016 gefasst. Sie habe ihren Wohnort am 02.07.2016 verlassen. Ihr Onkel habe die Reise organisiert. Die Reise habe 1.000.000 indische Rupien gekostet und die Kontaktaufnahme mit dem Schlepper sei durch ihren Onkel erfolgt. Als Fluchtgrund gab die Beschwerdeführerin an, dass ihre Familie sie gegen ihren Willen verheiraten habe wollen. Ihr Onkel habe ihr geholfen auszureisen. Ihr Onkel habe gemeint, es wäre besser für sie das Land zu verlassen. Bei ihrer Rückkehr befürchte sie, dass ihre Familie sie gegen ihren Willen verheiraten würde.

Bei der niederschriftlichen Einvernahme am 27.03.2018 vor dem BFA gab die Beschwerdeführerin an, dass sie nicht in ärztlicher Behandlung stehe und keine Medikamente nehme. Sie leider auch nicht an einer lebensbedrohenden Erkrankung. Auf die Frage, ob sie Deutsch spreche, antwortete die Beschwerdeführerin auf Englisch „A little bit". Sie spreche am besten Punjabi und Hindi. In ihrer Heimat würden sich ihre Mutter und ihre zwei Geschwister aufhalten. Seitdem sie in Österreich sei, habe sie keinen Kontakt zu ihren Familienangehörigen mehr. Wie es ihren Familienangehörigen geht, wisse sie nicht. Sie sei illegal in Österreich eingereist und habe sich durchgehend in Österreich aufgehalten. Sie sei nicht Mitglied in einem Verein oder einer Organisation. Sie gehe auch keiner legalen Arbeit nach. Sie habe auch keine Verwandten in Österreich. Sie lebe auch nicht mit einer Person in einer Familiengemeinschaft oder einer Familienähnlichen Lebensgemeinschaft. Als Fluchtgrund gab die Beschwerdeführerin folgendes an: „A: Meine Familie wollte mich mit einem Mann verheiraten, der doppelt so alt war wie ich und einen Sohn hatte, der so alt war wie ich, ersterer war bereits verheiratet. Meine Familie ist finanziell in der Mittelschicht, aber der Mann den ich heiraten hätte sollen, war sehr wohlhabend. Sein Sohn ist in Australien vor ca. 7 Jahren verstorben. Mein Vater beging Selbstmord wegen nicht begleichbarer Schulden, weil er von den Gläubigern belästigt wurde. Der Mann, den ich heiraten sollte, kam öfter zu uns nach Hause. Zwei oder drei Gläubiger haben uns angezeigt, der Mann, den ich heiraten sollte, bezahlte dann die Schulden. Da der Sohn des Mannes verstorben war und er einen Erben brauchte, brauchte er ein weiteres Kind. Das ich hätte gebären sollen. Meine Eltern haben versucht auf mich einzureden, aber ich habe gleich Nein gesagt. Ich hatte niemanden mehr, der auf meiner Seite war, meine Familie hatte zu den anderen Verwandten meines Vaters keinen Kontakt mehr. Meine Familie hat versucht, liebevoll auf mich einzureden, aber ich wollte mein Leben nicht verschwenden und wollte aus mir etwas machen, deshalb lehnte ich die Hochzeit ab. Sie haben nach meiner Absage versucht, auf mich einzureden und haben in jeder Art und Weise mich mehr psychisch gefoltert. Ich habe den Vorfall meinem Onkel mütterlicherseits erzählt, er wusste, dass das eine gute Entscheidung von mir war und hat mir geholfen. Wenn ich der Hochzeit zugesagt hätte, hätte ich Selbstmord begangen oder würde durch das Foltern durch meine Familie sterben. Mein Onkel hat gesagt, dass ich noch einige Tage warten sollte, bis er einen Ausweg gefunden hätte. Mein Onkel hat dann als Ausweg die Flucht gefunden. Er sagte mir, dass ich in Indien nicht leben kann, weil es niemanden gibt, der auf meiner Seite ist. Er war der einzige, der mir bis hierher geholfen hat. Vor 7 oder 8 Monaten ist dieser Onkel auch gestorben. Somit habe ich in Indien niemanden mehr, der mir helfen kann. Mein Onkel dachte, ich wäre hier in Sicherheit. Nun bin ich hier, aber ich kann nicht mehr nach Indien zurück." Die Zwangsheirat sei für März oder April 2016 geplant gewesen. In weiterer Folge wurde ausgeführt: "L: Der Mann, den Sie heiraten hätten sollen, war nach Ihren Angaben bereits verheiratet. In Indien ist Polygamie illegal. Was sagen Sie dazu?

A: Das stimmt, aber er wollte einen Erben, das war seine Absicht. Seine Frau war ebenso einverstanden.

L: Wann und wie vom Tod Ihres Onkels erfahren?

A: Ich hatte Kontakt mit ihm. Als ich ihn angerufen habe, habe ich von seinem Sohn erfahren, dass er tot ist. Das war zu dem Zeitpunkt wo er gestorben ist.

L: Haben Sie gegen diese von Ihnen angegebene Zwangsheirat etwas unternommen, z.B. eine Anzeige erstattet?

A: Ich habe keine Anzeige erstattet, ich hatte niemanden der auf meiner Seite war. Nachgefragt gebe ich an, dass mein Onkel in Neu Delhi lebte, ich im Punjab, daher war die Unterstützung bei einer Anzeige nicht möglich.

L: Warum sollte dann Ihrem Onkel die Unterstützung bei der Ausreise, wo zumindest ein gültiger Reisepass, ein Ticket, Schlepperunterstützung und nach Ihren Angaben 1.000.000,-- indische Rupien erforderlich waren, möglich gewesen sein?

A: Ich wollte nicht gegen meine Familie sein und eine Anzeige machen, weil es in Indien bereits tausende solcher Fälle gibt. Am Ende begehen diese Mädchen Selbstmord, weil Ihnen nicht geholfen werden kann. Ich wollte mich nicht in diesen Mädchen sehen, deshalb entschlossen wir uns zur Ausreise.

L: Warum haben Sie sich nicht in einem anderen Landesteil von Indien niedergelassen?

A: Ich hatte niemanden in anderen Bereichen, der mir hätte helfen können.

L: Sie waren als Schneiderin selbständig tätig und somit selbsterhaltungsfähig. Daher wäre Ihnen bei Wahrheitsunterstellung der von Ihnen angegebenen Fluchtgründe eine innerstaatliche Fluchtalternative zumutbar und möglich gewesen. Was sagen Sie dazu?

A: Aber ich habe mich in Indien nicht sicher gefühlt, ich habe das gemacht, was mir mein Onkel vorgeschlagen hat, weil ich mich eben dort nicht sicher fühlte.

L: Indien hat über 1,2 Mrd. Einwohner, ist besteht kein Meldewesen. Daher wäre es Ihnen möglich gewesen, in einem anderen Teil Indiens in Sicherheit zu leben. Was sagen Sie dazu?

A: Die Hauptsache ist die dass ich dort in Indien nicht leben möchte, weil ich nicht diese Situationen erleben möchte und nicht Selbstmord begehen möchte wie tausende andere Mädchen, die zwangsweise verheiratet werden.

L: Das wäre aber auch bei Ihnen nicht der Fall, wenn Sie sich in einem anderen Teil Indiens in Sicherheit niederlassen würden. Was sagen Sie dazu?

A: Ich weiß, die Situation würde dort eskalieren. Wenn ich in Indien leben könnte, würde ich dort leben. Ich habe mich in Indien nicht sicher gefühlt, deshalb habe ich diesen Schritt gewagt. Nachgefragt gebe ich an, dass ich mit der Eskalation der Situation gemeint habe, dass ich entweder durch meine Familie durch Folter oder durch Selbstmord sterben würde. Ich weiß dass Indien sehr groß ist, man hätte auch dort leben können, aber der Grund warum ich nicht dort bin sondern hier ist die Zwangsheirat.

L: Können Sie Beweismittel vorlegen, die eine konkrete gegen Ihre Person gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch Dritte belegen?

A: Nein.

Befürchtungen bei einer Rückkehr:

L: Was befürchten Sie im Falle einer Rückkehr in Ihr Heimatland?

A: Wenn man das eigene Land verlässt, denkt man tausend Mal darüber nach. Ich habe nicht die Kraft, diese Situationen noch einmal zu erleben, man liest jeden Tag in der Zeitung, dass es tausende solcher Vorfälle gibt.

L: Gibt es konkrete Hinweise, dass Ihnen bei Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohen bzw. dass Sie im Fall einer Rückkehr in Ihren Heimatstaat mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen hätten?

A: Nein. Aber ich möchte nicht nach Indien, ich habe nicht die Kraft diese Situation zu erleben. Mit staatlichen Sanktionen musste ich nur rechnen, wenn ich gegen das Gesetz verstoßen würde. Ich möchte aus mir etwas machen und auf eigenen Beinen stehen. Ich möchte nicht zwangsverheiratet werden und Kinder gebären.

L: Es wird nunmehr mit Ihnen erörtert, auf welcher Basis und unter Zugrundelegung welcher Länderfeststellungen das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) in Ihrem Fall zur Entscheidung gelangen wird. Die auf die allgemeine Situation im Herkunftsstaat stützenden Aussagen basieren auf einer Zusammenstellung der Staatendokumentation des BFA vom Jänner 2017, letzte Kurzinformation vom 21.12.2017. Diese ist zur Objektivität verpflichtet und unterliegt der Beobachtung eines Beirates. Es ist daher davon auszugehen, dass sämtliche Feststellungen von angesehenen staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen stammen, ausgewogen zusammengestellt wurden und somit keine Bedenken bestehen, sich darauf zu stützen.

Aus der allgemeinen Lage selbst ist ebenso wie aus Ihren persönlichen Merkmalen nichts abzuleiten, das auf eine Verfolgung oder Furcht vor solcher im Sinne der GFK und den darin genannten Gründen schließen ließe. Die von Ihnen in den Raum gestellte Gefährdungslage ist nicht asylrelevant.

Ebenso ist nichts festzustellen, dass eine reale Gefahr für Ihre Leben oder die Gesundheit bedeuten würde oder für Sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Weder lässt sich eine solche Gefahr aus der allgemeinen Situation im Herkunftsstaat noch aus einer etwaigen lebensbedrohlichen und in Ihrem Herkunftsstaat nicht ausreichend behandelbaren Erkrankung Ihrer Person ableiten.

In Anbetracht der Kürze Ihres Aufenthaltes sowie auch fehlender familiärer oder privater Bindungen in Österreich ist nicht ersichtlich, dass eine Rückkehrentscheidung einen ungerechtfertigten Eingriff in Ihr Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens darstellen würde."

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.06.2018 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Beweiswürdigend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl betreffend die konkreten Gründe für das Verlassen des Herkunftslandes unter anderem aus, dass das Vorbringen nicht glaubhaft ist: "In persönlicher Hinsicht ist es Ihnen nicht gelungen, beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als glaubwürdig in Erscheinung zu treten.

Im Verfahren brachten Sie einerseits vor, dass Sie in Ihrem Heimatstaat zwangsverheiratet hätten werden sollen und Sie in Indien niemanden hätten, der Sie unterstützen würde. Andererseits gaben Sie an, dass ein Onkel von Ihnen binnen einigen Tagen Ihre Flucht aus Indien organisiert hätte, wozu zumindest ein gültiger Reisepass, ein Ticket, Schlepperunterstützung und nach Ihren Angaben 1.000.000,-- indische Rupien erforderlich waren.

Sie haben angegeben, dass die von Ihnen behauptete Zwangsheirat für März oder April 2016 geplant gewesen wäre (Seiten 5 und 6 der EV vom 22.03.2018). Indien haben Sie jedoch erst im Juni 2016 verlassen (Seite 3 der EB vom 21.06.2016).

In Indien ist zudem Polygamie verboten, wie sich aus den Länderfeststellungen des Bundesamtes zu Ihrem Herkunftsland Indien klar ergibt. Der Mann, den Sie heiraten hätten sollen, war zu diesem Zeitpunkt bereits verheiratet.

Sie haben angegeben, dass Sie keine Maßnahmen gegen die von Ihnen angegebene drohende Zwangsheirat, wie z.B. eine Anzeige bei der Polizei, ergriffen haben.

Sie konnten keine Beweismittel vorlegen, die eine konkrete gegen Ihre Person gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch Dritte belegen würden.

Wie sich nun aus obigen Ausführungen klar entnehmen lässt, war für die erkennende Behörde nicht glaubhaft, dass der von Ihnen ins Treffen gerückte Sachverhalt der Grund für Ihre Ausreise war, sondern ist viel mehr davon auszugehen, dass Sie die Ausreise in reinem Auswanderungsinteresse antraten und lediglich ein frei erfundenes Vorbringen in den Raum stellen, um Ihren Antrag auf internationalen Schutz zu begründen, ohne tatsächlich vom Vorgebrachten betroffen gewesen zu sein.

Sollte man entgegen obigen Ausführungen in Bezug auf die Unglaubhaftigkeit Ihrer Angaben zur Annahme gelangen, Ihre Behauptungen könnten den Tatsachen entsprechen, so könnte dennoch nicht die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten erfolgen. Ihr Vorbringen ist nicht dazu geeignet eine asylrelevante Furcht vor Verfolgung im Sinne der GFK glaubhaft zu machen, zumal in keiner Weise davon ausgegangen werden könnte, dass der indische Staat und seine Behörden nicht gewillt wären und nicht auch versuchen würden, seine Bürger vor derartigen Vorfällen zu schützen. Dies ist obigen Feststellungen zur Situation im Heimatland klar zu entnehmen und ändert daran auch der Umstand nichts, dass, wie in jedem anderen Staat auch, nicht jederzeit umfassender Schutz vor kriminellen Machenschaften möglich ist. Der indische Staat ist grundsätzlich funktionsfähig, schutzwillig und schutzfähig.

Das Bundesamt geht nicht davon aus, dass Sie in Ihrem Heimatland verfolgt werden, dennoch sei erwähnt, dass in Ihrem Heimatland kein Meldewesen existiert und Sie somit nicht ohne weiteres auffindbar wären. Daher kann davon ausgegangen werden, dass Ihnen die Möglichkeit offen steht sich in einem andern Landesteil in Indien niederzulassen, sollten Sie im Heimatort tatsächlich Probleme haben.

Überdies muss nach der Rechtsprechung des VwGH die Verfolgung bzw. die objektiv begründete Furcht vor einer solchen im gesamten Staatsgebiet eines Asylwerbers bestanden haben (vgl. Erk. des VwGH v. 21.6.1994, Zl. 94/20/0333).

Ihre Angaben und Behauptungen zu Ihrer Arbeitsfähigkeit und zu Ihren familiären Anknüpfungspunkten waren nachvollziehbar und für glaubhaft zu befinden. Sie haben auch angegeben, zumindest zwölf Jahre die Grundschule besucht zu haben. Weiters gaben Sie an, dass Sie zuletzt als selbständige Schneiderin gearbeitet hätten.

Auch leben Familienangehörige in Ihrem Herkunftsstaat, weswegen Sie über Anknüpfungspunkte im Falle einer Rückkehr verfügen.

Da Ihnen im Herkunftsstaat keine Verfolgung droht, und Sie Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat haben, geht die Behörde davon aus, dass Ihnen im Herkunftsstaat auch keine Gefahren drohen, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würden.

Insgesamt steht daher für das Bundesamt fest, dass Sie in Ihrem Heimatland keiner wie auch immer gearteten asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt waren und dies nach einer Rückkehr nach menschlichem Ermessen auch nicht sein werden.

Dass Sie nach einer Rückkehr nach Indien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine wirtschaftlich existenzbedrohende Lage geraten würden, ist schon deshalb anzunehmen, weil es sich bei Ihnen grundsätzlich um eine gesunde Frau im arbeitsfähigen Alter handelt, der offenkundig auch bisher schon ihr Auskommen in Indien gefunden hat. Dass es Ihnen nicht zumutbar wäre, Ihren Lebensunterhalt nach einer Rückkehr, notfalls auch durch Gelegenheitsarbeiten, zu verdienen oder sich beruflich anders zu orientieren, ergibt sich weder aus Ihren Angaben noch kann in Hinblick auf die dem ggst. Bescheid zugrunde gelegten Länderinformationen erkannt werden, dass die objektive Lage in Indien dies von vornherein als aussichtlos erscheinen ließe.

Gesamt betrachtet ergaben sich aus Ihrem Vorbringen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es konkret gegen Sie gerichtete asylrelevante Verfolgung gegeben hätte bzw. welche Ihre Flucht begründet hätte."

Gegen diese Entscheidung wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Indien und stammt aus dem Punjab. Die Beschwerdeführerin hat in Indien 12 Jahre eine Schule besucht und zuletzt als selbständige Schneiderin gearbeitet. Die Beschwerdeführerin stellte am 21.06.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Beschwerdeführerin hat keine in Österreich lebenden Familienangehörigen und verfügt über keine intensiven sozialen Bindungen im Bundesgebiet. Die Beschwerdeführerin ist strafgerichtlich unbescholten. Die Beschwerdeführerin verfügt über keine nennenswerten Deutschkenntnisse. Es können keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration der Beschwerdeführerin in Österreich in sprachlicher, sozialer und beruflicher Sicht festgestellt werden. Sie ist gesund und arbeitsfähig.

Nicht festgestellt werden kann, dass die Beschwerdeführerin ihr Herkunftsland aus den von ihr genannten Gründen verlassen hat.

Zur allgemeinen politischen und menschenrechtlichen Situation in Indien wird das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zugrunde gelegt und insbesondere Folgendes festgestellt:

Politische Lage:

Indien ist mit über 1,2 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA Factbook 12.12.2016; vgl. auch: AA 16.8.2016, BBC 27.9.2016). Die - auch sprachliche - Vielfalt Indiens wird auch in seinem föderalen politischen System reflektiert, in welchem die Macht von der Zentralregierung und den Bundesstaaten geteilt wird (BBC 27.9.2016). Die Zentralregierung hat deutlich größere Kompetenzen als die Regierungen der Bundesstaaten (AA 9.2016a). Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 13.4.2016). Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus (AA 9.2016a).

Die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung entspricht britischem Muster (AA 16.8.2016), der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist durchgesetzt (AA 9.2016a). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit, die über einen dreistufigen Instanzenzug verfügt, ist verfassungsmäßig garantiert (AA 16.8.2016). Das oberste Gericht in New Delhi steht an der Spitze der Judikative (GIZ 11.2016). Die Entscheidungen der staatlichen Verwaltung (Bürokratie, Militär, Polizei) unterliegen überdies der Kontrolle durch die freie Presse des Landes, die nicht nur in den landesweiten Amtssprachen Hindi und Englisch, sondern auch in vielen der Regionalsprachen publiziert wird. Indien hat zudem eine lebendige Zivilgesellschaft (AA 9.2016a).

Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 13.4.2016). Die Legislative besteht aus einer Volkskammer (Lok Sabha) und einer Staatenkammer (Rajya Sabha). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Bundesstaatsebene (AA 16.8.2016).

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister Leiter der Regierung ist (USDOS 13.4.2016). Das Präsidentenamt bringt vor allem repräsentative Aufgaben mit sich, im Krisenfall verfügt der Präsident aber über weitreichende Befugnisse. Seit Juli 2012 ist Präsident Pranab Kumar Mukherjee indisches Staatsoberhaupt (AA 9.2016a). Das wichtigste Amt innerhalb der Exekutive bekleidet aber der Premierminister (GIZ 11.2016).

Wahlen zum Unterhaus finden nach einfachem Mehrheitswahlrecht ("first-past-the-post") alle fünf Jahre statt, zuletzt im April/Mai 2014 mit knapp 830 Millionen Wahlberechtigten (AA 16.8.2016). Dabei standen sich drei große Parteienbündnisse gegenüber: Die United Progressive Alliance (UPA) unter Führung der Kongresspartei, die National Democratic Alliance (NDA) unter Führung der Bharatiya Janata Party (BJP - Indische Volkspartei) und die so genannte Dritte Front, die aus elf Regional- und Linksparteien besteht sowie die aus einem Teil der India-Against-Corruption-Bewegung hervorgegangene Aam Aadmi Party (AAP) (GIZ 11.2016; vgl. auch: FAZ 16.5.2014). Abgesehen von kleineren Störungen, verliefen die Wahlen korrekt und frei (AA 16.8.2016).

Als deutlicher Sieger mit 336 von 543 Sitzen löste das Parteienbündnis NDA (AA 16.8.2016), mit der hindu-nationalistischen BJP (AA 9.2016a) als stärkster Partei (282 Sitze), den Kongress an der Regierung ab (AA 16.8.2016). Die seit 2004 regierende Kongress-geführte Koalition unter Manmohan Singh erlitt hingegen große Verluste, womit Sonia Gandhi und Sohn Rahul nun auf die Oppositionsbank rücken (Eurasisches Magazin 24.5.2014; vgl. auch:

FAZ 16.5.2014, GIZ 11.2016). Die AAP, die 2013 bei der Wahl in Delhi 28 von 70 Sitzen erringen konnte, errang landesweit nun nur vier Sitze (GIZ 11.2016; vgl. auch: FAZ 16.5.2014). Der BJP Spitzenkandidat, der bisherige Ministerpräsident von Gujarat, Narendra Modi, wurde zum Premierminister gewählt (AA 16.8.2016) und steht seit 16.5.2014 (GIZ 11.2016) einem 65-köpfigen Kabinett vor (AA 16.8.2016).

Die seit 2014 im Amt befindliche neue Regierung will nicht nur den marktwirtschaftlichen Kurs fortsetzen, sondern ihn noch intensivieren, indem bürokratische Hemmnisse beseitigt und der Protektionismus verringert werden soll. Ausländische Investoren sollen verstärkt aktiv werden (GIZ 12.2016).

Unter Premierminister Modi betreibt Indien eine aktivere Außenpolitik als zuvor. Die frühere Strategie der "strategischen Autonomie" wird zunehmend durch eine Politik "multipler Partnerschaften" mit allen wichtigen Ländern in der Welt überlagert. Wichtigstes Ziel der indischen Außenpolitik ist die Schaffung eines friedlichen und stabilen globalen Umfelds für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und die Profilierung als aufstrebende Großmacht (AA 9.2016b). Ein ständiger Sitz im VN-Sicherheitsrat ist dabei weiterhin ein strategisches Ziel (GIZ 12.2016). Gleichzeitig strebt Indien eine stärkere regionale Verflechtung mit seinen Nachbarn an. Indien ist Dialogpartner der südostasiatischen Staatengemeinschaft (Association of Southeast Asian Nations - ASEAN) und Mitglied im "ASEAN Regional Forum" (ARF). Auch bilateral hat Indien in den letzten Monaten seine Initiativen in den Nachbarländern verstärkt. Überdies nimmt Indien am East Asia Summit und seit 2007 auch am Asia-Europe Meeting (ASEM) teil. In der BRICS-Staatengruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) hat Indien im Februar 2016 von Russland den diesjährigen Vorsitz übernommen. Bei ihrem Treffen in Ufa im Juli 2015 beschloss die Shanghai Cooperation Organisation (SCO), Indien und Pakistan nach Abschluss der Beitrittsprozeduren als Vollmitglieder aufzunehmen (AA 9.2016b).

Die Beziehungen zum gleichfalls nuklear gerüsteten Nachbarn Pakistan haben sich jüngst erneut zugespitzt. In den Jahrzehnten seit der Unabhängigkeit haben sich wiederholt Phasen des Dialogs und der Spannungen bis hin zur kriegerischen Auseinandersetzung abgelöst.

Größtes Hindernis für eine Verbesserung der Beziehungen ist weiterhin das Kaschmirproblem (AA 9.2016b).

Indien ist durch das Nuklearabkommen mit den USA ein Durchbruch gelungen. Obwohl es sich bis heute weigert, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten, bedeutet das Abkommen Zugang zu Nukleartechnologie. Ebenfalls positiv hat sich das Verhältnis Indiens zu China entwickelt. Zwar sind die strittigen Grenzfragen noch nicht geklärt, aber es wurden vertrauensbildende Maßnahmen vereinbart, um zumindest in dieser Frage keinen Konflikt mehr herauf zu beschwören. Auch ist man an einer weiteren Steigerung des bilateralen Handels interessiert, der sich binnen eines Jahrzehnts mehr als verzehnfacht hat (GIZ 12.2016).

Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze, kontrolliert Indien die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs, und war Indien maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert. Die Beziehungen des Landes zur EU sind vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht von besonderer Bedeutung. Die EU ist der größte Handels- und Investitionspartner Indiens. Der Warenhandel in beide Richtungen hat sich faktisch stetig ausgeweitet (GIZ 12.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (16.8.2016): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

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AA - Auswärtiges Amt (9.2016a): Indien, Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_AC539C62A8F3AE6159C84F7909652AC5/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Indien/Innenpolitik_node.html, Zugriff 5.12.2016

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AA - Auswärtiges Amt (9.2016b): Indien, Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_F210BC76845F7B2BE813A33858992D23/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Indien/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 29.12.2016

-

BBC - British Broadcasting Corporation (27.9.2016): India country profile - Overview,

http://www.bbc.co.uk/news/world-south-asia-12557384, Zugriff 5.12.2016

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CIA - Central Intelligence Agency (15.11.2016): The World Factbook

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India,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/in.html, Zugriff 9.1.2017

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Eurasisches Magazin (24.5.2014): Wohin geht die größte Demokratie der Erde?,

http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/Indien-nach-den-Wahlen-eine-Analyse/14017, Zugriff 4.1.2017

-

FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (16.5.2014): Modi ist Mann der Stunde,

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/fruehaufsteher/wahlentscheid-in-indien-modi-ist-der-mann-der-stunde-12941572.html, Zugriff 4.1.2017

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (12.2016): Indien,

http://liportal.giz.de/indien/geschichte-staat.html, Zugriff 5.12.2016

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmBH (11.2016): Indien, Wirtschaftssystem und Wirtschaftspolitik, http://liportal.giz.de/indien/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 5.12.2016

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USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, http://www.ecoi.net/local_link/322482/461959_de.html, Zugriff 5.12.2016

Sicherheitslage

Indien ist reich an Spannungen entlang von Ethnien, Religionen, Kasten und auch Lebensperspektiven. Widersprüche, Gegensätze oder Konflikte entladen sich in den gesellschaftlichen Arenen und werden von der Politik aufgegriffen, verarbeitet und teilweise instrumentalisiert (GIZ 11.2016). Blutige Terroranschläge haben in den vergangenen Jahren in Indiens Millionen-Metropolen wiederholt Todesopfer gefordert (Eurasisches Magazin 24.5.2014). Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (GIZ 11.2016). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt (AA 16.8.2016).

Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011

Mumbai, September 2011 New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 Chennai und Dezember 2014 Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt (AA 24.4.2015). Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2011 1.073 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt, für das Jahr 2012 803, für das Jahr 2013 885, für das Jahr 2014 976 für das Jahr 2015 722 und für das Jahr 2016 835 [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 9.1.2017).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir, die nordöstlichen Regionen und der maoistische Gürtel. In Jharkhand und Bihar setzten sich die Angriffe von maoistischen Rebellen auf Sicherheitskräfte und Infrastruktur fort. In Punjab kam es bis zuletzt durch gewaltbereite Regierungsgegner immer wieder zu Ermordungen und Bombenanschlägen. Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten (maoistische Untergrundkämpfer) zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People's Liberation Front etc.). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, vielmehr als "communal violence" bezeichnet (ÖB 12.2016).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 16.8.2016).

Pakistan und Indien

Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (AA 9.2016b). Seit 1947 gab es bereits drei Kriege, davon zwei aufgrund des umstrittenen Kaschmirgebiets. Friedensgespräche, die 2004 begannen, wurden trotz Spannungen wegen der Kaschmirregion und sich immer wieder ereignenden schweren Bombenaschlägen bis zu den von Islamisten durchgeführten Anschlägen in Mumbai 2008, fortgesetzt (BBC 27.9.2016).

Indien wirft Pakistan vor, Infiltrationen von Terroristen auf indisches Staatsgebiet zumindest zu dulden, wenn nicht zu befördern. Größere Terroranschläge in Indien in den Jahren 2001 und 2008 und der jüngste terroristische Angriff auf eine Militärbasis im indischen Teil Kaschmirs hatten die Spannungen in den bilateralen Beziehungen erheblich verschärft. Indien reagierte auf den Anschlag, bei dem 18 indische Soldaten ums Leben kamen, mit einer begrenzten Militäroperation ("surgical strike") im pakistanisch kontrollierten Teil Kaschmirs, die sich nach indischen Angaben gegen eine bevorstehende terroristische Infiltration richtete. In der Folge kommt es immer wieder zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir. Indien sieht Pakistan in der Verantwortung für die terroristischen Bedrohungen an seiner Nordwestgrenze und erhöht den Druck auf den Nachbarn, um wirksame pakistanische Maßnahmen gegen den Terrorismus zu erreichen (AA 9.2016b). Bei einem Treffen in New York Ende September 2013 vereinbarten die Premierminister Singh und Sharif lediglich, den Waffenstillstand künftig besser einhalten zu wollen (GIZ 11.2016a). Der von 2014-2015 Hoffnung gebende Dialogprozess zwischen beiden Seiten ist über die aktuellen Entwicklungen zum Stillstand gekommen. Noch am Weihnachtstag 2015 hatte Premierminister Modi seinem pakistanischen Amtskollegen einen Überraschungsbesuch abgestattet und damit kurzzeitig Hoffnungen auf eine Entspannung aufkeimen lassen (AA 9.2016b).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Indien

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AA - Auswärtiges Amt (16.8.2016): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

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AA - Auswärtiges Amt (9.2016b): Indien - Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_09493FC61FD08185D486477F8D93E1EE/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Indien/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 5.12.2016

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BBC - British Broadcasting Corporation (27.9.2016): India country profile - Overview,

http://www.bbc.co.uk/news/world-south-asia-12557384, Zugriff 5.12.2016

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Eurasisches Magazin (24.5.2014): Wohin geht die größte Demokratie der Erde?,

http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/Indien-nach-den-Wahlen-eine-Analyse/14017, Zugriff 5.12.2016

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2016a): Indien,

http://liportal.giz.de/indien/geschichte-staat.html, Zugriff 5.12.2016

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ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2016):

Asylländerbericht Indien

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SATP - South Asia Terrorism Portal (9.1.2017): Data Sheet - India Fatalities: 1994-2016,

http://www.satp.org/satporgtp/countries/india/database/indiafatalities.htm, Zugriff 9.1.2017

Rechtsschutz/Justizwesen

In Indien sind viele Grundrechte und -freiheiten verfassungsmäßig verbrieft und die verfassungsmäßig garantierte unabhängige indische Justiz bleibt vielmals wichtiger Rechtegarant. Die häufig lange Verfahrensdauer aufgrund überlasteter und unterbesetzter Gerichte sowie verbreitete Korruption, vor allem im Strafverfahren, schränken die Rechtssicherheit aber deutlich ein (AA 16.8.2016; vgl. auch:

USDOS 13.4.2016). Eine generell diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis lässt sich nicht feststellen, allerdings sind vor allem die unteren Instanzen nicht frei von Korruption (AA 24.4.2015).

Das Gerichtswesen ist von der Exekutive getrennt (FH 27.1.2016). Das Justizsystem gliedert sich in den Supreme Court, das Oberstes Gericht mit Sitz in Delhi; das als Verfassungsgericht die Streitigkeiten zwischen Zentralstaat und Unionsstaaten regelt. Es ist auch Appellationsinstanz für bestimmte Kategorien von Urteilen wie etwa bei Todesurteilen. Der High Court bzw. das Obergericht ist in jedem Unionsstaat. Kollegialgericht als Appellationsinstanz sowohl in Zivil- wie auch in Strafsachen. Er führt auch die Dienst- und Personalaufsicht über die Untergerichte des Staates, um so die Justiz von den Einflüssen der Exekutive abzuschirmen. Subordinate Civil and Criminal Courts sind untergeordnete Gerichtsinstanzen in den Distrikten der jeweiligen Unionsstaaten und in Zivil- und Strafrecht aufgeteilt. Fälle werden durch Einzelrichter entschieden. Richter am District und Sessions Court entscheiden in Personalunion sowohl über zivilrechtliche wie auch strafrechtliche Fälle (als District Judge über Zivilrechtsfälle, als Sessions Judge über Straffälle). Unterhalb des District Judge gibt es noch den Subordinate Judge, unter diesem den Munsif für Zivilsachen. Unter dem Sessions Judge fungiert der 1st Class Judicial Magistrate und, unter diesem der 2nd Class Judicial Magistrate, jeweils für minder schwere Strafsachen (ÖB 12.2016).

Das Gerichtswesen ist auch weiterhin überlastet und der Rückstau bei Gericht führt zu langen Verzögerungen oder der Vorenthaltung von Rechtsprechung. Eine Analyse des Justizministeriums ergab mit 1.8.2015 eine Vakanz von 34% der Richterstellen an den Obergerichten (USDOS 13.4.2016). Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre. Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft. Dies führt dazu, dass Zeugen vor Gericht häufig nicht frei aussagen, da sie bestochen oder bedroht worden sind (AA 16.8.2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016).

Richter zeigten einen beträchtlichen Einsatz in der Bearbeitung von sogenannten "Public Interest Litigation" (Klagen im öffentlichen Interesse). Insbesondere in unteren Ebenen der Justiz ist Korruption weit verbreitet und die meisten Bürger haben große Schwierigkeiten, ihr Recht bei Gericht durchzusetzen. Das System ist rückständig und stark unterbesetzt, was zu langer Untersuchungshaft für eine große Zahl von Verdächtigen führt. Vielen von ihnen bleiben so länger im Gefängnis, als der eigentliche Strafrahmen wäre (FH 27.1.2016). Die Dauer der Untersuchungshaft ist entsprechend zumeist exzessiv lang. Außer bei von Todstrafe bedrohten Delikten soll der Haftrichter nach Ablauf der Hälfte der drohenden Höchststrafe eine Haftprüfung und eine Freilassung auf Kaution anordnen. Allerdings nimmt der Betroffene mit einem solchen Antrag in Kauf, dass der Fall über lange Zeit gar nicht weiterverfolgt wird. Mittlerweile sind ca. 70% aller Gefangenen Untersuchungshäftlinge, viele wegen geringfügiger Taten, denen die Mittel für eine Kautionsstellung fehlen (AA 16.8.2016).

In der Verfassung verankerte rechtsstaatliche Garantien (z.B. das Recht auf ein faires Verfahren) werden durch eine Reihe von Sicherheitsgesetzen eingeschränkt. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt (AA 16.8.2016).

Die Inhaftierung eines Verdächtigen durch die Polizei ohne Haftbefehl darf nach den allgemeinen Gesetzen nur 24 Stunden dauern. Eine Anklageerhebung soll bei Delikten mit bis zu zehn Jahren Strafandrohung innerhalb von 60, in Fällen mit höherer Strafandrohung innerhalb von 90 Tagen erfolgen. Festnahmen erfolgen jedoch häufig aus Gründen der präventiven Gefahrenabwehr sowie im Rahmen der Sondergesetze zur inneren Sicherheit, z.B. aufgrund des Gesetzes über nationale Sicherheit ("National Security Act", 1956) oder des lokalen Gesetzes über öffentliche Sicherheit ("Jammu and Kashmir Public Safety Act", 1978). Festgenommene Personen können auf Grundlage dieser Gesetze bis zu einem Jahr ohne Anklage in Präventivhaft gehalten werden. Auch zur Zeugenvernehmung können gemäß Strafprozessordnung Personen über mehrere Tage festgehalten werden, sofern eine Fluchtgefahr besteht. Fälle von Sippenhaft sind dem Auswärtigen Amt nicht bekannt (AA 16.8.2016).

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass unerlaubte Ermittlungsmethoden angewendet werden, insbesondere um ein Geständnis zu erlangen. Das gilt insbesondere bei Fällen mit terroristischem oder politischen Hintergrund oder solchen mit besonderem öffentlichem Interesse. Es gibt Fälle, in denen Häftlinge misshandelt werden. Hierbei kann die ethnische oder religiöse Zugehörigkeit sowie die politische Überzeugung des Opfers eine Rolle spielen. Ein im Mai 2016 von der renommierten National Law University Delhi veröffentlichter empirischer Bericht zur Situation der Todesstrafe in Indien zeichnet ein düsteres Bild des indischen Strafjustizsystems. So haben beispielsweise 80% aller Todeskandidaten angegeben, in Haft gefoltert worden zu sein (AA 16.8.2016).

Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung, ausgenommen bei Anwendung des "Unlawful Activities (Prevention) Amendment Bill und sie haben das Recht, ihren Anwalt frei zu wählen. Das Strafgesetz sieht öffentliche Verhandlungen vor, außer in Verfahren, in denen die Aussagen Staatsgeheimnisse oder die Staatssicherheit betreffen können. Es gibt kostenfreie Rechtsberatung für bedürftige Angeklagte, aber in der Praxis ist der Zugang zu kompetenter Beratung oft begrenzt (USDOS 13.4.2016). Das Gesetz erlaubt den Angeklagten in den meisten Zivil- und Kriminalfällen den Zugang zu relevanten Regierungsbeweisen, aber die Regierung behält sich das Recht vor, Informationen zurückzuhalten und tut dies auch in Fällen, die sie für heikel erachtet. Die Angeklagten haben das Recht, sich dem Ankläger zu stellen und ihre eigenen Zeugen und Beweismittel zu präsentieren, jedoch konnten Angeklagte dieses Recht manchmal aufgrund des Mangels an ordentlicher Rechtsvertretung nicht ausüben. Gerichte sind verpflichtet Urteile öffentlich zu verkünden und es gibt effektive Wege der Berufung auf beinahe allen Ebenen der Justiz. Angeklagte haben das Recht, die Aussage zu verweigern und sich nicht schuldig zu bekennen (USDOS 13.4.2016).

Gerichtliche Ladungen in strafrechtlichen Angelegenheiten sind im Criminal Procedure Code 1973 (CrPC, Chapter 4, §§61-69), in zivilrechtlichen Angelegenheiten im Code of Civil Procedure 1908/2002 geregelt. Jede Ladung muss schriftlich, in zweifacher Ausführung ausgestellt sein, vom vorsitzenden Richter unterfertigt und mit Gerichtssiegel versehen sein.

Ladungen werden gemäß CrPC prinzipiell durch einen Polizeibeamten oder durch einen Gerichtsbeamten an den Betroffenen persönlich zugestellt. Dieser hat den Erhalt zu bestätigen. In Abwesenheit kann die Ladung an ein erwachsenes männliches Mitglied der Familie übergeben werden, welches den Erhalt bestätigt. Falls die Ladung nicht zugestellt werden kann, wird eine Kopie der Ladung an die Residenz des Geladenen sichtbar angebracht. Danach entscheidet das Gericht, ob die Ladung rechtmäßig erfolgt ist, oder ob eine neue Ladung erfolgen wird. Eine Kopie der Ladung kann zusätzlich per Post an die Heim- oder Arbeitsadresse des Betroffenen eingeschrieben geschickt werden. Falls dem Gericht bekannt wird, dass der Betroffene die Annahme der Ladung verweigert hat, gilt die Ladung dennoch als zugestellt. Gemäß Code of Civil Procedure kann die Ladung des Gerichtes auch über ein gerichtlich genehmigtes Kurierservice erfolgen (ÖB 12.2016).

Im ländlichen Indien gibt es auch informelle Ratssitzungen, deren Entscheidungen manchmal zu Gewalt gegen Personen führt, die soziale Regeln brechen - was besonders Frauen und Angehörige unterer Kasten betrifft (FH 27.1.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Indien

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AA - Auswärtiges Amt (16.8.2016): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

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FH - Freedom House (27.1.2016): Freedom in the World 2016 - India, http://www.ecoi.net/local_link/327703/468368_de.html, Zugriff 7.12.2016

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ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2016):

Asylländerbericht Indien

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USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, http://www.ecoi.net/local_link/322482/461959_de.html, Zugriff 6.12.2016

Sicherheitsbehörden

Die indische Polizei (Indian Police Service) ist keine direkte Strafverfolgungs- oder Vollzugsbehörde (BICC 6.2016) und untersteht den Bundesstaaten (AA 16.8.2016). Sie fungiert vielmehr als Ausbildungs- und Rekrutierungsstelle für Führungsoffiziere der Polizei in den Bundesstaaten. Im Hinblick auf die föderalen Strukturen ist die Polizei dezentral in den einzelnen Bundesstaaten organisiert. Die einzelnen Einheiten haben jedoch angesichts eines nationalen Polizeigesetzes, zahlreichen nationalen Strafrechten und der zentralen Rekrutierungsstelle für Führungskräfte eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Allgemein ist die Polizei mit der Strafverfolgung, Verbrechensprävention und -bekämpfung sowie Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut und übt gleichzeitig eine teilweise Kontrolle über die verschiedenen Geheimdienste aus. Innerhalb der Polizei gibt es eine Kriminalpolizei (Criminal Investigation Department - CID), in die wiederum eine Sondereinheit (Special Branch) integriert ist. Während erstere mit nationalen und bundesstaatenübergreifenden Verbrechen betraut ist, hat die Sondereinheit Informationsbeschaffung und

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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