Entscheidungsdatum
25.10.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W241 2191894-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hafner als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit Iran, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.03.2018, Zahl 103610802/160595292, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.09.2018 zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXXgemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
II. Gemäß § 3 Abs. 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
1. Verfahrensgang:
1.1. Die Beschwerdeführerin (in der Folge BF), eine iranische Staatsangehörige, reiste nach ihren Angaben irregulär in Österreich ein und stellte am 27.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).
1.2. In ihrer Erstbefragung am 27.04.2016 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab die BF im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Farsi im Wesentlichen an, dass sie zum Christentum konvertiert sei und deshalb von ihrer Familie und den Behörden verfolgt werde.
1.3. Bei ihrer Einvernahme am 13.03.2018 vor dem BFA, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Farsi, machte die BF Angaben zu ihren persönlichen Verhältnissen im Iran sowie zu ihren Fluchtgründen.
Ferner gab sie an, in Österreich getauft worden zu sein. Sie gehöre der XXXX, einer anerkannten Freikirche in Österreich, an.
Die BF legte in der Folge folgende Dokumente vor:
* Iranischer Reisepass, ausgestellt am 12.08.2014
* Iranischer Führerschein
* Schreiben der XXXX vom 28.02.2018
* Schreiben der XXXX vom 09.03.2018
* Taufzeugnis der XXXX in der Evangeliumsgemeinde, Taufe am 04.02.2017
* Ausbildungszeugnis und Schulzeugnis aus dem Iran
* Scheidungsurteil aus dem Iran
* Deutschkursbestätigungen
* Integrationsbestätigungen
1.4. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 16.03.2018 den Antrag der BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihr den Status einer Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung in Spruchpunkt III. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihr nicht erteilt. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise der BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).
In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person der BF und zur Lage in ihrem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das Vorbringen der BF sei unglaubhaft. Sie habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung der BF in den Iran. Im Falle der Rückkehr drohe ihr keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.
Die BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe ihr Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung der BF in den Iran. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die die BF bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.
Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass die BF bezüglich ihrer behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund ihrer Sprach- und Lokalkenntnisse - im Gegensatz zu ihrem Fluchtvorbringen - glaubwürdig wäre. Die Feststellungen zur Situation im Iran wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.
Ihre Fluchtgeschichte habe die BF angesichts mehrerer dargelegter Unstimmigkeiten nicht glaubhaft machen können. Ferner hätte eine Änderung ihrer inneren Überzeugung, sodass man von einer echten Konversion zum Christentum sprechen könnte, nicht festgestellt werden können.
Subsidiärer Schutz wurde ihr nicht zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr der BF in ihren Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes aufgrund der derzeitigen, allgemeinen Lage im Iran nicht drohe.
1.5. Gegen diesen Bescheid brachte die BF mit Schreiben ihrer gewillkürten Vertretung vom 09.04.2018 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim BVwG ein.
In der Beschwerdebegründung wurde erneut auf das Interesse der BF am christlichen Glauben und ihre Konversion verwiesen sowie verschiedene Integrationsunterlagen und ein ärztlicher Befund vorgelegt.
1.6. Die Beschwerde samt Verwaltungsakten langte am 10.04.2018 beim BVwG ein.
1.7. Das BVwG führte am 26.09.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Farsi durch, zu der die BF in Begleitung einer gewillkürten Vertreterin und einer Zeugin (Frau XXXX) persönlich erschien. Die belangte Behörde verzichtete auf eine Teilnahme an der Verhandlung.
Dabei legte die BF folgende Schriftstücke vor:
* Deutschkurs-Besuchsbestätigungen
* ein Schreiben einer Pfarrerin der XXXX
* ein Schreiben des Leiters der XXXX in Wien
* Konvolut verschiedener Teilnahmebestätigungen an Kursen
Daraufhin gab die BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):
"RI [Richter]: Ihre Tochter ist in Österreich. Hat Sie um Asyl angesucht?
BF: Ja, sie hat einen positiven Asylbescheid. Sie ist mir ihrem Mann und ihrem Sohn in Österreich.
RI: Wissen Sie, warum die Tochter aus dem Iran geflüchtet ist? Ist sie konvertiert oder gab es andere Gründe?
BF: Sie ist samt ihrem Mann konvertiert. Die Entscheidung erfolgte durch das Gericht in Linz. Mein Schwiegersohn heißt XXXX. Er ist, wenn ich mich nicht irre, am XXXX geboren.
RI ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. RI stellt diverse Fragen.
RI stellt fest, dass die BF die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen verstanden und auf langsamem und gebrochenem Deutsch beantwortet hat.
RI: Haben Sie Arbeit in Österreich? Gehen Sie einer regelmäßigen Beschäftigung nach?
BF: Seinerzeit, als ich im Flüchtlingscamp wohnte, habe ich bei der Reinigung mitgeholfen. Derzeit gehen wir manchmal zu einer Schneiderei. Wir werden von der Diakonie hingeschickt.
RI: Wenn Sie in Österreich bleiben dürften, welchen Beruf würden Sie gerne ergreifen?
BF: Ich übe gerne den Beruf als Fahrschullehrerin aus und ich würde mich dafür einsetzen, diesen Beruf hier weiter ausüben zu können.
RI: Haben Sie Ihren Führerschein umschreiben lassen?
BF: Ich bin dabei, ihn umschreiben zu lassen.
RI: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?
BF: Normalerweise gehe ich zwei bis dreimal pro Woche in die Kirche. Am Vormittag besuche ich den Deutschkurs. Es gibt in XXXX nachmittags ein Sprachkaffee. Das nennt sich Nachbarhilfe.
RI: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt oder von einer Behörde mit einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot belegt?
BF: Nein.
Z wird ersucht, den Raum bis Aufruf zu verlassen.
Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:
RI: Nennen Sie jetzt bitte abschließend und möglichst umfassend alle Gründe, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben bzw. warum Sie nicht mehr in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren können (Fluchtgründe). Nehmen Sie sich dafür nun bitte ausreichend Zeit, alles vorzubringen.
BF: Weil ich zum Christentum konvertierte und im Iran gläubig wurde, bekam ich einige Probleme, die mich zum Verlassen meines Landes zwangen. Vor ca. sechs Jahren bin ich vom Islam ausgetreten. Vor vier Jahren interessierte ich mich für die Satellitensendungen, wie Joice Maier und Mohabat. Ich habe mir diese Sendungen regelmäßig angeschaut. Es hat mir sehr gut gefallen. Es wurde ständig von Liebe und Frieden gesprochen. Ich wußte damals nicht, dass dies christliche Sendungen sind. Bis eines Tages mein Schwiegersohn zu mir nach Hause kam. Er sah, dass ich mich für diese Sendungen interessiere und ich sie mir anschaue. Ich wusste damals nicht, in welchem Stadium der Konversion er ist. Nachdem er bemerkte, dass ich mich für diese Sendungen interessiere, brachte er mir einige Schriften über das Christentum. Er sagte, ich soll diese Schriften lesen. Ich fragte, was sind das für Schriften. Er sagte, dass das Ausschnitte aus der Heiligen Schrift sind. Ich fragte, was ist die Heilige Schrift. Er sagte, die Heiligen Schrift ist die Bibel. Er hat mir auch etwas über die Heilige Schrift und die Bibel erklärt. Es war schwer für mich, den Inhalt dieser Schriften zu verstehen. Er hat versucht, mir diese weiter zu erklären und zum Verstehen zu geben. Er sagte weiters, dass, was ich mir anschaue und anhöre, komme ja aus der Heiligen Schrift. Zusätzlich warnte er mich davor, irgendjemandem davon zu erzählen, dass ich mir diese Sendungen ansehe und mich für diese Schriften interessiere. Ich wußte nicht, dass dies im Iran verboten ist, solche Sendungen anzusehen und sich mit diesen Schriften zu beschäftigen. Auf diese Weise bin ich von meinem Schwiegersohn zum Christentum eingeladen worden. Ich akzeptierte seine Einladung bzw. das Evangelium. Auf der anderen Seite ist meine Beziehung zu meiner eigenen Familie von Tag zu Tag schwächer geworden. Meine Familie war eine sehr religiöse Familie, sodaß, wenn sie zu mir kamen, habe ich den Fernseher ausgeschaltet. Mein Konversion führte dazu, dass ich immer weniger an islamischen Feierlichkeiten teilnahm. So, dass meine Familie Verdacht schöpfte. Auf diese Weise kamen sie darauf, dass ich eine andere Meinung habe. Deshalb bekam ich große Schwierigkeiten mit meiner Familie. Die Familie war religiös. Einige arbeiteten bei der Polizei und beim Rathaus und auch einige bei Erschad Islami. Das ist das islamische Kulturministerium. Ich bekam Angst, dass ich von Mitgliedern meiner Familie angezeigt werde oder sogar sie selbst etwas gegen mich anstellen würden. Diese Sorge führte dazu, dass ich an das Verlassen meines Landes denke und dann auch das Land verlassen habe.
RI: Wie kann ich das verstehen, dass Sie in einem Land wie dem Iran aus dem Islam ausgetreten sind?
BF: Seit langem habe ich mir diese Überlegungen gemacht, warum in islamischen Ländern Blutvergießen und Kriege herrschen.
RI: Wie tritt man im Iran aus dem Islam aus?
BF: Damals habe ich nicht gewusst, was das Austreten aus dem Islam ist. Ich war nicht mehr gläubige Muslimin. Ich habe meinen Glauben eigentlich verloren. Den Gott, der für so viel Krieg und Blutvergiessen zuständig ist, will ich nicht haben.
RI: Wie lange vor Ihrer Ausreise hat es begonnen, dass Ihre Verwandten Sie verdächtigt haben?
BF: Ca. 1-1,5 Jahre vor meiner Ausreise.
RI: Der Grund für die Verdächtigungen war, dass Sie an islamischen Festlichkeiten nicht mehr teilgenommen haben?
BF: Ein Grund war das, was Sie erwähnt haben. Ein anderer Grund war meine Art, mich zu artikulieren und meine Meinung zu äußern. Mein Verhalten, das Weglegen des Hijab.
RI: Das bedeutet, dass Sie fünf Jahre lang seit Ihrem Desinteresse am Islam vor sechs Jahren trotzdem an den islamischen Feierlichkeiten teilgenommen haben?
BF: Die Definition des Austretens aus dem Islam habe ich damals nicht begriffen. Ich habe weiterhin mitgemacht, bis ich zum Christentum konvertiert bin. Seitdem machte ich nicht mehr mit.
RI: Können Sie Englisch?
BF: Leider nicht.
RI: Wie haben Sie dann die Predigten von Joice verstanden, sie ist Amerikanerin?
BF: Es war in Farsi übersetzt mit Untertitel.
RI: Auf einem christlichen Sender im Iran, wie kann ich das verstehen?
BF: Es waren unterschiedliche Sender, die ausgestrahlt wurden. Ich weiss nicht genau, welcher Sender das war.
RI: Haben Sie jemals an einer Versammlung, einer so genannten Hauskirche teilgenommen?
BF: Nein, weil mein Schwiegersohn mich davor gewarnt hat, dies niemandem weiterzuerzählen. Ich hatte Angst und nahm nicht teil an Hauskirchenveranstaltungen.
RI: Ist Ihr Schwiegersohn vor oder nach Ihrer Einreise nach Österreich gekommen?
BF: Sieben oder acht Monate vorher.
RI: Haben Sie sonst zu irgendwelchen Christen im Iran Kontakt gehabt?
BF: In meinem Wohnort wohnten auch andere Christen. Ich habe mit ihnen Gespräche geführt. Ich habe mich aber nicht als Christin zu erkennen gegeben. Wenn mein Auto kaputt ging, ließ ich es bei den armenischen Mechanikern reparieren.
RI: Waren es Konvertiten oder geborene Christen?
BF: Es waren geborene Christen.
RI: Sie haben vor dem BFA gesagt, dass Sie auch von Bekannten verdächtigt wurden. Jetzt sagen Sie mir, es waren Ihre Verwandten, was stimmt jetzt?
BF: Verwandte waren es. Auch beim BFA gab ich an, dass es der Schwager war.
RI: Mich wundert, dass Sie vor dem BFA, mit keinem Wort erwähnt haben, dass die Kontaktaufnahme zum Christentum durch Ihren Schwager erfolgte. Erklären Sie dies.
BF: Ich wurde danach nicht befragt. Die Einvernahme war sehr kurz gehalten.
RI: Haben Ihre Verwandten Sie nur beschuldigt, dass Sie nicht mehr am Islam interessiert sind oder Sie verdächtigt, konvertiert zu sein?
BF: Ich habe von meinen Schwestern erfahren, dass ihre Männer über mich die Meinung vertreten, dass meine Aussagen, derjenigen, die konvertiert sind, ähneln.
RI: Können Sie mir einige Aussagen nennen? Was sagen die Verwandten zu Ihnen, dass Sie sich verdächtig machen?
BF: Ich habe gesagt, den Gott, den ihr so beschreibt, dass die Menschen bestraft oder verbrannt werden, ist nicht der Gott des Himmels und der Erde. Der Gott des Himmels und der Erde ist sehr lieb zu seinen Geschöpfen.
RI: Wurden Sie durch Ihre Verwandten bedroht? Wurde mit einer Anzeige gedroht?
BF: Ich persönlich wurde weder bedroht noch angezeigt von meinen Verwandten. Aber ich entnahm ihren Gesprächen, als sie über andere Konvertierte sprachen, dass sie mit Anzeigen bedroht wurden.
RI: Das heisst eigentlich: Ein richtig fluchtauslösendes Ereignis gab es nicht bei Ihnen. Sie haben nur befürchtet, dass Sie verhaftet werden könnten?
BF: Wenn sie gewusst hätten, dass ich konvertiert bin, hätten sie bestimmt etwas gegen mich unternommen. Sogar, wenn man im Gespräch etwas über den Khameni erwähnt, haben sie sich aufgeregt. Sie waren sehr religiös.
RI: Vor Ihrer Eingebung vor sechs Jahren, dass Sie dem Islam nicht mehr folgen mögen, waren Sie davor auch religiös?
BF: Ja. Es ging nicht schlagartig, sondern langsam kam ich zu der Entscheidung, aus dem Islam auszutreten.
RI: Warum haben Sie sich ausgerechnet das Christentum ausgesucht? Es gäbe ja noch andere Religionen zum Aussuchen?
BF: Ich bin deswegen zum Christentum konvertiert, weil ich die Rettung im Christentum gefunden und gesehen habe.
RI: Hat sich durch das Interesse am Christentum in Ihrem Leben etwas geändert, verbessert? Wenn ja, was?
BF: 100%-ig, ansonsten hätte ich das Christentum nicht gewählt.
RI wiederholt die Frage.
BF: Ich habe innere Ruhe gefunden. Wenn ich bete, dann habe ich das Gefühl, dass meine Gebete erhört werden.
RI: Sind Sie von den Verwandten erwischt worden, als Sie diese Sender geschaut haben? Haben Sie eine Bibel?
BF: Ich wurde nicht von Verwandten beim Schauen der christlichen Sendungen erwischt. Ich hatte nur die Schrift von meinem Schwiegersohn, als sie das Land verließen, gaben sie mir ihre Bibel.
Die Verhandlung wird um 14.43 Uhr unterbrochen. Die Verhandlung um
14.56 Uhr fortgesetzt.
RI: Sie kommen in Österreich an. Wie sind Sie dann mit der christlichen Kirche in Kontakt gekommen?
BF: Als ich in Österreich angekommen bin, bin ich am nächsten Tag in Begleitung meiner Familie zur Kirche gegangen.
RI: Ist Ihre Tochter auch in dieser XXXX?
BF: Sie war auch in dieser Kirche. Aber seitdem sie der deutschen Sprache mächtiger wurde, hat sie die Kirche gewechselt. Sie war 1,5 bis 2 Jahre in der selben Kirche wie ich.
RI: Wie ist es dann weitergegangen? Sie bekamen zum ersten Mal einen Gottesdienst mit.
BF: Es wurden von der Kirche Vorbereitungskurse angeboten. Ich habe an den Kursen teilgenommen. Auch an anderen Angeboten habe ich teilgenommen.
RI: Engagieren Sie sich auch außerhalb des Gottesdienstes? Nehmen Sie an Veranstaltungen teil?
BF: Diese Kirche hat außerhalb der Kirche keine Aktiviäten.
RI: Können Sie mir das Datum Ihrer Taufe nennen?
BF: Am 04.02.2017.
RI: Wie sind Sie dann eigentlich dazu gekommen, die evangelische Kirche zu besuchen?
BF: Weil die evangelische Kirche hat besser zu meinem Glauben gepasst als die andere.
RI: Warum haben Sie außer der XXXX noch die evangelische A.B. Kirche besucht?
BF: Meine Kirche ist eigentlich die XXXX. Die A.B. Kirche besuche ich, weil sie gegenüber des Flüchtlingsheims ist. Ich wollte auch meine deutsche Sprache verbessern und mich mit der österreichischen Kultur vertraut machen.
RI: Bei der A.B. Kirche, gibt es da Veranstaltungen neben dem Gottesdienst, wo Sie teilnehmen?
BF: Manchmal gibt es ausserkirchliche Aktivitäten, an denen ich 2 bis 3mal teilgenommen habe.
RI: Können Sie das Vater unser, können Sie mir die ersten Zeilen sagen?
BF spricht Gebet auf Farsi.
RI: Können Sie auch andere Gebete benennen?
BF: Ich kenne keine anderen Gebete.
RI: Sagt Ihnen das Glaubensbekenntnis etwas? Sprechen Sie das nicht in der A.B. Kirche?
BF spricht die ersten Zeilen (die Hälfte) des Glaubensbekenntnisses.
RI: Nennen Sie mir die wichtigsten Feiertage.
BF: Weihnachten am 25.12, Karfreitag, wo Jesus Christus gekreuzigt wurde, Ostern, Pfingsten, Christi Himmelfahrt.
RI: Gibt es bei Ostern auch ein Datum, dass Sie mir nennen können?
BF: März / April. Es verschiebt sich, Ende März bis April.
RI: Sie gehen in eine evangelische A.B.Kirche, wissen Sie, was der nächste wichtige Feiertag ist?
BF: Allerseelen ist das.
RI: Ende Oktober (31.10.) ist ein wichtiger Tag für die evangelische Gemeinde? An wen wird da gedacht?
BF: Da ist der Reformationstag Martin Luther.
RI: Wie oft lesen Sie die Bibel?
BF: Ich versuche, regelmäßig zu lesen oder vom Internet.
RI: Aus welchen beiden Teilen besteht die Bibel? Worum geht es jeweils?
BF: Altes und Neues Testament. Im Alten Testament geht es um die Vereinbarungen zwischen Gott und Moses und die Prognosen über das Neue Testament. Im Neuen Testament geht es um die Geburt Jesus und die Geschichten, die nach Jesus kommen.
RI: Um welches Volk geht es hauptsächlich im Alten Testament?
BF: Im Alten Testament geht es von Abraham bis zu Jesus. Es geht um sehr viele Völker.
RI: Welchem Volk gehören die Leute an, die darin vorkommen?
BF: Arabisches Volk.
RI: Jesus war Araber?
BF: Ich verstehe die Frage nicht.
RI: Jesus hat einem Volk angehört. Welcher? Was war vor dem Christentum?
BF: Juden.
RI: Wissen Sie, was die Schöpfungsgeschichte ist und wie sie beginnt?
BF: Der Gott brauchte sechs Tage, um die Welt zu schaffen. Am ersten Tag hat er den Himmel und die Erde geschaffen, dann den Mond und die Sonne.
RI: Ist Jesus getauft gewesen?
BF: Ja, er wurde von Johannes dem Täufer getauft im Jordan.
RI: Wissen Sie, was zu Pfingsten im Mittelpunkt der Feierlichkeiten steht?
BF: Dass der Heilige Geist die Menschen erfasste.
RI: Welches Tier steht für den Heiligen Geist?
BF: Taube.
RI: Was ist der Heilige Geist? Wovon ist er ein Teil?
BF: Ein Teil der Dreifaltigkeit. Seine Aufgabe ist es, Menschen zu Gott zu führen.
RI: Ist Jesus alleine gekreuzigt worden?
BF: Mit zwei anderen Verbrechern. Einer der beiden wird am Schluß gläubig.
RI: Was passierte mit dem Leichnam, als Jesus noch am Kreuz hing?
BF: Meinen Sie, dass die schwarzen Wolken kamen?
RI: Mit seinem Leichnam hat jemand noch etwas gemacht.
BF: Sein Leichnam wurde von einer Lanze durchbohrt. Blut und Wasser kamen heraus.
RI: Können Sie mir das erste Wunder, das Jesus vollbracht hat, erzählen?
BF: Er hat Wasser in Wein umgewandelt bei einer Hochzeit in einem Dorf.
RI: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in den Iran zurückkehren müssten? Würden Sie Ihren Glauben weiter ausüben, auf welche Weise?
BF: Ich würde gläubig bleiben. Ich würde meinen Glauben auch ausüben. Ich würde das nicht verheimlichen, sondern in die Öffentlichkeit gehen. Weil Gott sagt, wer mich leugnet, werde ich auch diese Person beim Gott leugnen.
RI: Wissen Sie eine bekannte Person im Neuen Testament, die Jesus verleugnet hat?
BF: Petrus, dreimal.
RI: Würden Sie im Iran auch anderen Leuten von Ihrem Glauben erzählen, mit Verwandten darüber reden?
BF: Ja.
RI: Wie würden Sie das machen?
BF: Ich frage, ob sie gerettet werden wollen. Ich erkläre ihnen, dass die Rettung im Glauben an Jesus Christus liegt. Wenn ihr an Jesus Christus glaubt, dann werdet ihr gerettet und es gibt keinen Tod mehr. Ich erzähle ihnen von meinem Vorleben, bevor ich gläubig wurde. Ich stelle einen Vergleich dar. Ich würde Überzeugungsarbeit leisten.
RI: Wie oft gehen Sie pro Woche in die XXXX oder A.B. Kirche?
BF: Ein bis zweimal pro Woche zur XXXX, Samstag auf jeden Fall. Einmal gehe ich in die A.B. Kirche
.
Z betritt den Raum.
Belehrung der Zeugin:
Der RI belehrt die Zeugin gemäß § 49 AVG und weist auf das Recht auf Verweigerung der Aussage hin.
Der RI macht die Zeugin nach §§ 50 und 49 Abs. 5 AVG auf die Folgen einer ungerechtfertigten Verweigerung (Ersatz der dadurch verursachten Kosten, Verhängung einer Ordnungsstrafe) und einer falschen Beweisaussage vor dem Bundesverwaltungsgericht (gerichtliche Strafbarkeit gemäß § 288 StGB) aufmerksam.
RI belehrt Zeugin bezüglich Kostenersatz. Zeugin gibt an, über eine Jahreskarte zu verfügen.
RI: Erzählen Sie mir einfach, wie haben Sie Frau XXXX kenngelernt?
Z: Seit diesem großen Schub von Flüchtlingen sind hunderte Flüchtlinge in XXXX gelandet. Die meisten dieser Flüchtlinge sind Moslems, aber auch Christen oder Geheimchristen sind dabei. Nachdem unsere Kirche in der Nähe des XXXX sind, ist es naheliegend, dass diese dann unsere Gottesdienste in der evangelischen A.B. XXXX besuchen. Die BF war eine dieser Flüchtlinge. Ich spreche mit allen diesen Leuten. Die BF war auch darunter. Sie hatte im März 2018 ihr Interview vor dem BFA und hat mich gebeten, sie dorthin zu begleiten. Sie war eine der Iranerinnen, die seit 1,5 Jahren regelmäßig zu uns in die Kirche gekommen sind. Ich kann bestätigen, dass sie regelmäßig unsere Kirche besucht. Nach dem Gottesdienst wird meistens ein Buffet angeboten. Dort treffe ich die BF und wir unterhalten uns. Über religiöse Sachen wird dabei nicht gesprochen. Ich kann bestätigen, dass sie regelmäßig in die Kirche kommen, obwohl sie nicht gut Deutsch können. Sie haben eine kleine Bibel mit und lesen den Lesungstext in Farsi mit. Es gibt auch jemanden, der nach vorne kommt und den Text auf Farsi für die iranischen Teilnehmer vorliest. Meiner Meinung nach sind das Zeichen, dass den Iranern die Teilnahme am Gottesdienst wichtig ist. Die BF hat mich vor der Verhandlung gebeten, mit ihr gemeinsam das ‚Vater unser' zu sprechen."
2. Beweisaufnahme:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:
* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung am 27.04.2016 und der Einvernahme vor dem BFA am 13.03.2018 sowie die Beschwerde vom 09.04.2018
* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat der BF im erstbehördlichen Verfahren (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation)
* Einvernahme der BF und einer Zeugin im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 26.09.2018
* Einsicht in die von der BF vorgelegten Schriftstücke
* Einsichtnahme in das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 03.07.2018
3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):
Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:
3.1. Zur Person der BF:
3.1.1. Die BF führt den Namen XXXX, geboren am XXXX, ist Staatsangehörige des Iran und geschieden. Die Muttersprache der BF ist Farsi, sie spricht bereits auch etwas Deutsch.
Die BF hat einen Sohn, der in Australien lebt, und eine Tochter, die mit ihrem Ehegatten in Österreich aufhältig ist. Sowohl die Tochter als auch der Schwiegersohn haben nach Angaben der BF aufgrund ihrer Konversion in Österreich Asyl erhalten.
Die BF verließ am 09.04.2016 den Iran und reiste mittels eines Visums legal nach Österreich.
3.1.2. Die BF wurde als schiitische Muslimin im Iran geboren und kam bereits in ihrem Herkunftsstaat durch ihren Schwiegersohn mit dem Christentum in Kontakt, indem dieser ihr eine Bibel überließ und sie im Geheimen christliche Fernsehsendungen konsumierte.
In der Folge interessierte sich der BF auch in Österreich für das Christentum und besuchte mit ihrer Tochter die XXXX und später auch die XXXX. ie ist vom Islam zum Christentum konvertiert, hat bei der XXXX Taufunterreicht erhalten und wurde schließlich am 04.02.2017 in Wien getauft.
Die XXXX ist eine anerkannte freikirchliche Gemeinde in Österreich und gehört zur Freien Christengemeinde (FCGÖ).
Die BF ist praktizierende Angehörige der XXXX und aktiv am christlichen Leben dieser Religionsgemeinschaft beteiligt. Sie besucht regelmäßig den Gottesdienst sowohl der XXXX als auch der XXXX (beide sind dem evangelischen Glauben zuordenbar) und nimmt auch an sonstigen Aktivitäten in der Pfarrgemeinde XXXX teil.
Bei einer Rückkehr in den Iran würde die BF nicht zum Islam zurückkehren, sondern Christin bleiben.
3.2. Im Entscheidungszeitpunkt kann im Hinblick auf die aktuelle Lage im Iran für konvertierte Christen nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die BF im Falle ihrer Rückkehr in den Iran auf Grund ihrer nunmehr christlichen Religion keiner asylrelevanten Verfolgung unterliegt.
Der BF steht als vom Islam zum Christentum Konvertierte keine innerstaatliche Fluchtalternative offen.
3.3. Es liegen keine Gründe vor, nach denen die BF von der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten auszuschließen ist oder nach denen ein Ausschluss der BF hinsichtlich der Asylgewährung zu erfolgen hat. Solche Gründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen.
3.4. Zur Lage im Herkunftsstaat der BF (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über den Iran vom 03.07.2018):
Politische Lage
Die komplexen Strukturen politischer Macht in der Islamischen Republik Iran sind sowohl von republikanischen als auch autoritären Elementen gekennzeichnet. Höchste politische Instanz ist der "Oberste Führer der Islamischen Revolution", Ayatollah Seyed Ali Khamene'i, der als Ausdruck des Herrschaftsprinzips des "velayat-e faqih" (Vormundschaft des Islamischen Rechtsgelehrten) über eine verfassungsmäßig verankerte Richtlinienkompetenz verfügt, Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist und das letzte Wort in politischen Grundsatz- und ggf. auch Detailfragen hat. Er wird von einer vom Volk auf acht Jahre gewählten Klerikerversammlung (Expertenrat) auf unbefristete Zeit bestimmt (AA 6.2018a, vgl. BTI 2018, ÖB Teheran 9.2017). Das Herrschaftsprinzips des "velayat-e faqih" besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage sei, eine legitime Regierung zu führen bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten werde. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel "Revolutionsführer" (GIZ 3.2018a).
Das iranische Regierungssystem ist ein präsidentielles, d.h. an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (Amtsinhaber seit 2013 Hassan Rohani, wiedergewählt: 19.05.2017). Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird die Majlis - Majles-e Shorâ-ye Eslami/ Islamische Beratende Versammlung -, ein Einkammerparlament mit 290 Abgeordneten, das (mit europäischen Parlamenten vergleichbare) legislative Kompetenzen hat sowie Regierungsmitgliedern das Vertrauen entziehen kann. Die letzten Parlamentswahlen fanden im Februar und April 2016 statt. Über dem Präsidenten, der laut Verfassung auch Regierungschef ist, steht der Oberste Führer [auch Oberster Rechtsgelehrter oder Revolutionsführer], seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei. Der Oberste Führer ist wesentlich mächtiger als der Präsident, ihm unterstehen u.a. die Revolutionsgarden (Pasdaran) und auch die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen. Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen (ÖB Teheran 9.2017). Der Revolutionsführer ist oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter, kann zentrale Entscheidungen aber nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Die Mitgliedschaft und Allianzen untereinander unterliegen dabei ständigem Wandel. Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt und unterstützen im Wesentlichen den im politischen Zentrum des Systems angesiedelten Präsidenten Rohani (AA 2.3.2018).
Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch insgesamt wesentlich mächtiger als ein europäisches Verfassungsgericht. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei Wahlen (ÖB Teheran 9.2017, vgl. AA 6.2018a, FH 1.2018, BTI 2018).
Der Schlichtungsrat besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Er hat zum einen die Aufgabe, im Streitfall zwischen verschiedenen Institutionen der Regierung zu vermitteln. Zum anderen hat er festzustellen, was die langfristigen "Interessen des Systems" sind
Diese sind unter allen Umständen zu wahren. Der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 3.2018a).
Parteien nach westlichem Verständnis gibt es nicht, auch wenn zahlreiche Gruppierungen nach dem iranischen Verfahren als "Partei" registriert sind. Bei Parlaments- oder Präsidentschaftswahlen werden keine Parteien, sondern Personen gewählt (AA 6.2018a, vgl. GIZ 3.2018a). Zahlreiche reformorientierte Gruppierungen wurden seit den Präsidentschaftswahlen 2009 verboten oder anderweitigen Repressionen ausgesetzt. Am 26. Februar 2016 fanden die letzten Wahlen zum Expertenrat und die erste Runde der Parlamentswahlen statt. In den Stichwahlen vom 29. April 2016 wurde über 68 verbliebene Mandate der 290 Sitze des Parlaments abgestimmt. Zahlreiche Kandidaten waren im Vorfeld durch den Wächterrat von einer Teilnahme an der Wahl ausgeschlossen worden. Nur 73 Kandidaten schafften die Wiederwahl. Im neuen Parlament sind 17 weibliche Abgeordnete vertreten (AA 6.2018a).
Das iranische Wahlsystem entspricht nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Das Resultat ist, dass die iranischen Wähler nur aus einem begrenzten und aussortierten Pool an Kandidaten wählen können (FH 1.2018, vgl. AA 2.3.2018).
Die Mitte Juli 2015 in Wien erfolgreich abgeschlossenen Verhandlungen über das iranische Atomprogramm im "Joint Comprehensive Plan of Action" (JCPOA) genannten Abkommen und dessen Umsetzung am 16. Jänner 2016 führten zu einer Veränderung der Beziehungen zwischen Iran und der internationalen Gemeinschaft: Die mit dem iranischen Atomprogramm begründeten Sanktionen wurden aufgehoben bzw. ausgesetzt. Seither gibt es einen intensiven Besuchs- und Delegationsaustausch mit dem Iran, zahlreiche neue Wirtschaftsverträge wurden unterzeichnet. Die Erwartung, dass durch den erfolgreichen Abschluss des JCPOA die reformistischen Kräfte in Iran gestärkt werden, wurde in den Parlamentswahlen im Februar bzw. April (Stichwahl) 2016 erfüllt: Die Reformer und Moderaten konnten starke Zugewinne erreichen, so gingen erstmals alle Parlamentssitze für die Provinz Teheran an das Lager der Reformer. 217 der bisherigen 290 Abgeordneten wurden nicht wiedergewählt. Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohanis wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen "unislamisches" oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Es kann daher noch nicht von einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage gesprochen werden. Ein positiver Schritt war die Publikation der Bürgerrechtscharta im Dezember 2016. Die rechtlich nicht bindende Charta beschreibt in 120 Artikeln die Freiheiten, die ein iranischer Bürger haben sollte (ÖB Teheran 9.2017).
Die Entscheidung des amerikanischen Präsidenten Donald Trump, dass sich die USA aus dem internationalen Atomabkommen mit dem Iran zurückziehen werde, stieß international auf Kritik. Zudem will Trump die in der Folge des Wiener Abkommens von Juli 2015 ausgesetzten Finanz- und Handelssanktionen wiedereinsetzen (Kurier 9.5.2018).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (6.2018a): Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/-/202450, Zugriff 20.6.2018
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AA - Auswärtiges Amt (2.3.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der
Islamischen Republik Iran
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BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report - Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf, Zugriff 22.3.2018
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FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1426304.html, Zugriff 21.3.2018
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Kurier (9.5.2018): Trump kündigt Iran-Abkommen: So reagiert die Weltgemeinschaft,
https://kurier.at/politik/ausland/trump-kuendigt-iran-abkommen-so-reagiert-die-weltgemeinschaft/400033003, Zugriff 25.6.2018
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GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2018a):
Geschichte und Staat Iran,
https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/, Zugriff 25.4.2018
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ÖB Teheran (9.2017): Asylländerbericht
Sicherheitslage
Auch wenn die allgemeine Lage insgesamt als ruhig bezeichnet werden kann, bestehen latente Spannungen im Land. Sie haben wiederholt zu Kundgebungen geführt, besonders im Zusammenhang mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei ist es in verschiedenen iranischen Städten verschiedentlich zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gekommen, die Todesopfer und Verletzte gefordert haben, wie beispielsweise Ende Dezember 2017 und im Januar 2018 (EDA 20.6.2018).
In Iran kommt es, meistens in Minderheitenregionen, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Seit den Pariser Anschlägen vom November 2015 haben iranische Behörden die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran, erhöht. Am 7. Juni 2017 ist es nichtsdestotrotz in Teheran zu Anschlägen auf das Parlamentsgebäude und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini gekommen, die Todesopfer und Verletzte forderten (AA 20.6.2018b).
In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region (AA 20.6.2018b, vgl. BMeiA 20.6.2018).
In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen und Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit März 2011 gab es in der Region wieder verstärkt bewaffnete Zusammenstöße zwischen iranischen Sicherheitskräften und kurdischen Separatistenorganisationen wie PJAK und DPIK, mit Todesopfern auf beiden Seiten. Insbesondere die Grenzregionen zum Irak und die Region um die Stadt Sardasht waren betroffen. Trotz eines im September 2011 vereinbarten Waffenstillstandes kam es im Jahr 2015 und verstärkt im Sommer 2016 zu gewaltsamen Konflikten. In bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen iranischen Sicherheitskräften und Angehörigen der DPIK am
6. und 7. September 2016 nahe der Stadt Sardasht wurden zehn Personen und drei Revolutionsgardisten getötet. Seit Juni 2016 kam es in der Region zu mehreren derartigen Vorfällen. Bereits 2015 hatte es nahe der Stadt Khoy, im iranisch-türkischen Grenzgebiet (Provinz West-Aserbaidschan), Zusammenstöße mit mehreren Todesopfern gegeben (AA 20.6.2018b).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (20.6.2018b): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise,
https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/iransicherheit/202396, Zugriff 20.6.2018
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BMeiA - Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (10.5.2017): Reiseinformation Iran, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/iran/, Zugriff 20.6.2018
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EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (20.6.2018): Reisehinweise Iran, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/iran/reisehinweise-fuerdeniran.html, Zugriff 20.6.2018
Rechtsschutz / Justizwesen
Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 9.2017).
Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative. Er ist laut Art.157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz; der Justizminister hat demgegenüber vorwiegend Verwaltungskompetenzen. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption. Nach belastbaren Aussagen von Rechtsanwälten ist ca. ein Drittel der Richter bei entsprechender Gegenleistung zu einem Entgegenkommen bereit. In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer ("Iranian Bar Association"; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen insbesondere in politischen Verfahren ausgesetzt (AA 2.3.2018).
Obwohl das Beschwerderecht garantiert ist, ist es in der Praxis eingeschränkt, insbesondere bei Fällen, die die nationale Sicherheit oder Drogenvergehen betreffen (BTI 2018).
Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 20.4.2018). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die unter Anwendung von Folter gemacht wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 18.1.2018). Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie das Recht auf einen Rechtsbeistand unmittelbar nach der Festnahme und während der Untersuchungshaft (AI 22.2.2018, vgl. HRW 18.1.2018).
In der Normenhierarchie der Rechtsordnung Irans steht die Scharia an oberster Stelle. Darunter stehen die Verfassung und das übrige kodifizierte Recht. Die Richter sind nach der Verfassung angehalten, bei der Rechtsanwendung zuerst auf Grundlage des kodifizierten Rechts zu entscheiden. Im Zweifelsfall kann jedoch gemäß den Art. 167 und 170 der iranischen Verfassung die Scharia vorrangig angewendet werden (AA 9.12.2015, vgl. US DOS 15.8.2017).
In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die "Sondergerichte für die Geistlichkeit" sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015, vgl. BTI 2018).
Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:
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Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erden";