TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/29 W237 2176062-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.10.2018
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Entscheidungsdatum

29.10.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §13 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W237 2176062-1/27E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Martin WERNER über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Somalia, vertreten durch XXXX, gegen die Spruchpunkte I. bis V. sowie VII. des Bescheids des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 11.10.2017, Zl. 1053268205-15025193, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.07.2018 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde betreffend die Spruchpunkte I. bis III. und VII. wird gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 57/2018, iVm § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1 Z 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 56/2018, iVm § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 56/2018 (im Folgenden: FPG), und § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 56/2018 (im Folgenden: BFA-VG), § 52 Abs. 9 iVm § 46 FPG sowie § 13 Abs. 2 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids wird mit der Maßgabe abgewiesen, dass die Dauer des Einreiseverbots gemäß § 53 Abs. 1 iVm § 53 Abs. 3 Z 1 FPG auf neun Jahre herabgesetzt wird.

III. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt V. wird mit der Maßgabe abgewiesen, dass dieser zu lauten hat:

"Gemäß § 55 Abs. 1 und 2 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste illegal nach Österreich ein und stellte am 10.03.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei gab er an, Staatsangehöriger Somalias und am XXXX geboren worden zu sein.

2. Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei brachte er zunächst vor, in Dhuusamareeb geboren worden zu sein, der Volksgruppe der Sheikhal anzugehören und verheiratet zu sein. Er habe in Somalia keine Schule besucht und sei Analphabet. Im Juni 2013 habe er Somalia verlassen und sei über den Sudan nach Libyen gereist, von wo er schließlich im Februar 2015 nach Italien und Österreich gelangt sei. Somalia habe er wegen der allgemein bekannten Probleme verlassen, er habe außerdem keine Arbeit und somit kein Geld gehabt. Dazu komme, dass er einer Minderheit angehöre.

3. In weiterer Folge wurde der Beschwerdeführer am 11.05.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die somalische Sprache niederschriftlich einvernommen. In dieser Einvernahme gab er an, dass es ihm sowohl physisch als auch psychisch gut gehe, er allerdings Medikamente gegen Gastritis einnehme. Zu seiner Erstbefragung wolle er anführen, dass keine Rückübersetzung erfolgt sei, weil dafür keine Zeit bestanden habe. Er habe aber die Wahrheit gesagt und die Fragen hätten vor allem die Reiseroute betroffen. Zu seiner Herkunft führte er an, in der Region Galgaduud geboren worden zu sein; im Alter von acht bis zehn Jahren sei er mit seiner Familie nach Gedo gezogen, wo er schließlich bis zu seiner Ausreise gelebt habe. Sein Vater habe Konflikte in der alten Region gehabt, weshalb die Familie umgezogen sei. Im Jahr 2013 habe der Beschwerdeführer seine Frau geheiratet, mit ihr allerdings nur sechs Monate zusammengelebt und keine Kinder gezeugt. Der Beschwerdeführer habe in Somalia als Maler gearbeitet, die letzten fünf Monate vor seiner Ausreise sei das allerdings nicht mehr möglich gewesen, weil es Kämpfe zwischen Milizen und kenianischen Soldaten gegeben habe. Zuletzt habe er gemeinsam mit seinem Bruder und dessen vier Kindern in einem Haus gewohnt; sein Bruder lebe dort noch immer, er habe gelegentlich Kontakt zu ihm. Am Wohnort des Bruders sei die Sicherheitslage etwas besser, in der Umgebung gebe es allerdings immer wieder Kämpfe zwischen der AMISOM und Terroristen. Sein Vater sei bei einem Autounfall und seine Mutter krankheitsbedingt verstorben.

Auf Nachfrage führte der Beschwerdeführer an, dass er einmal als Kind inhaftiert worden sei; in Somalia sei es üblich, dass Eltern ihre Kinder aus Erziehungsgründen inhaftieren lassen könnten. Sein Onkel habe ihn einmal inhaftieren lassen, weil er mit einem anderen Jungen in einem Café gekämpft habe.

Zu seinen Fluchtgründen befragt führte der Beschwerdeführer aus, einer Minderheit anzugehören, weshalb seine Familie diskriminiert worden sei. Sein Onkel habe Lebensmittel von Ort zu Ort transportiert und Geld bezahlen müssen, um als Transporter zu arbeiten. Es gebe in Somalia keine Zentralregierung, man habe ihnen ihr Vermögen weggenommen. Sein Onkel sei eines Tages zu einem Kontrollpunkt gekommen und habe alle Lebensmittel abgeben müssen, die er mit sich geführt habe. Aus diesem Grund habe sein Onkel dort nicht mehr arbeiten können, weil er kaum etwas verdient habe. Die Probleme des Beschwerdeführers bestünden nur wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit, er habe deshalb immer Abstand zu Menschen gehalten. Der Beschwerdeführer habe selbst zwei Monate für einen Mann gearbeitet, der ihm sein Gehalt nicht ausbezahlt habe. Auf Nachfrage, wieso der Beschwerdeführer sein Heimatland nicht bereits im Jahr 2011 verlassen habe, führte er aus, dass er zwar immer Verbesserungen herbeigesehnt habe, dies jedoch nie so eingetreten sei. Sein Bruder lebe seit zwei Jahren in Deutschland, habe allerdings noch keinen Aufenthaltstitel.

Zu seinem Leben in Österreich gab der Beschwerdeführer an, er habe bereits einen Deutschkurs besucht und würde in Österreich jede Arbeit annehmen, weil er nichts gelernt habe. Er lebe von der Grundversorgung und mache in seiner Freizeit viel Sport.

4. Mit Verfahrensanordnung vom 04.01.2017 teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer mit, dass er sein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet wegen einer von der Staatsanwaltschaft eingebrachten Anklage wegen einer gerichtlich strafbaren Vorsatzhandlung sowie wegen verhängter Untersuchungshaft verloren habe.

5. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit Bescheid vom 11.10.2017 den Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 68/2017, (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg.cit. (Spruchpunkt II.) ab, erkannte dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 leg.cit. nicht zu, erließ im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 3 leg.cit. iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 25/2016, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 84/2017, und stellte gemäß § 52 Abs. 9 leg.cit. fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 leg.cit. nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters erließ das Bundesamt gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 leg.cit. ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt IV.) und erklärte, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt V.). Gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 25/2016, erkannte das Bundesamt einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VI.); schließlich erklärte das Bundesamt, dass der Beschwerdeführer sein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet ab dem 04.01.2017 verloren habe (Spruchpunkt VII.).

Begründend hielt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen fest, dass der Beschwerdeführer keine Fluchtgründe vorgebracht habe. Da er vier Geschwister und eine Ehefrau in Somalia habe und mit diesen Personen in Kontakt stehe, könne - auch vor dem Hintergrund, dass es sich bei ihm um einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann handle - keine Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 und 3 EMRK im Falle seiner Rückkehr nach Somalia erkannt werden. Der Beschwerdeführer habe keine familiären Beziehungen im Bundesgebiet; den Großteil seines Lebens habe er in Somalia verbracht und er weise keine besonderen Integrationsaspekte auf. Es sei daher eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wobei die Abschiebung des Beschwerdeführers zulässig sei. Das auf eine Dauer von zehn Jahren befristete Einreiseverbot gründe sich auf die beiden strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers wegen Körperverletzung und versuchter Vergewaltigung samt der daraus resultierenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. Damit begründete das Bundesamt auch die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung: Die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers sei - unmittelbar nach dessen Haftentlassung - erforderlich. Durch seine Straffälligkeit habe der Beschwerdeführer sein asylrechtliches Aufenthaltsrecht ab dem 04.01.2017 verloren.

6. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid vollinhaltlich Beschwerde, in der er der Behörde unter anderem Ermittlungsmängel und die Verletzung in seinem Recht auf Parteiengehör vorwirft. Letzteres sei gröblich dadurch verletzt worden, dass zwischen der Einvernahme des Beschwerdeführers und der Erlassung des angefochtenen Bescheids 17 Monate vergangen seien. Die Rückkehr des Beschwerdeführers sei in Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage und Versorgungssituation in Somalia jedenfalls im Sinne des Art. 3 EMRK unzulässig; eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe ihm mangels familiärer Anknüpfungspunkte in anderen Landesteilen Somalias nicht offen. In diesem Zusammenhang werde auch die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung im angefochtenen Bescheid bekämpft.

7. Die gegenständliche Beschwerde wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl samt Verwaltungsakt am 10.11.2017 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

Am selben Tag brachte der Beschwerdeführer über seine zu seiner Vertretung bevollmächtigte Rechtsberaterin eine Beschwerdeergänzung ein, in der auf die derzeitige Dürresituation in Somalia hingewiesen und moniert wird, die belangte Behörde habe sich in Bezug darauf nicht mit der individuellen Lage des Beschwerdeführers auseinandergesetzt. Eine Ansiedlung in Mogadischu sei ihm nicht möglich, weil er nie dort gelebt habe. Als Angehöriger der Minderheit der Sheikhaal könne er keine Unterstützung erhalten; da seine Familie in Kenia sei, hätte er keinen familiären Rückhalt im Falle einer Rückkehr nach Somalia.

8. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.11.2017 wurde der Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. des Bescheids Folge gegeben und dieser ersatzlos behoben. Gemäß

§ 18 Abs. 5 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 145/2017, wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

9. Mit Schreiben vom 16.04.2018 wurden der Beschwerdeführer und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 12.06.2018 unter gleichzeitiger Übermittlung der aktuellen Länderberichte zur Lage in Somalia geladen. Mit Schreiben vom 08.06.2018 beraumte das Bundesverwaltungsgericht die für den 12.06.2018 anberaumte mündliche Verhandlung ab. In weiterer Folge wurde der Beschwerdeführer zu einer mündlichen Verhandlung am 03.07.2018 unter gleichzeitiger Übermittlung weiterer Länderberichte neuerlich geladen. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 03.07.2018 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die somalische Sprache und des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, die allerdings auf Grund von Unwohlsein des Beschwerdeführers abgebrochen und auf den 18.07.2018 verschoben werden musste.

Am 18.07.2018 fand schließlich im Beisein des Beschwerdeführers und seiner Rechtsvertreterin sowie in Anwesenheit eines Dolmetschers für die somalische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung statt.

9.1. In dieser wurde der Beschwerdeführer zunächst zu seinem bisherigen Lebenslauf, seinen familiären Verhältnissen sowie seiner angeführten Herkunftsregion Bulo Hawo näher befragt. Auf die Frage nach seinen Fluchtgründen meinte der Beschwerdeführer, er habe aufgrund seiner Clanzugehörigkeit Probleme bekommen. Als er sich sein Einkommen nicht mehr ausreichend erwirtschaften habe können, habe er seine Ausreise beschlossen. Der Beschwerdeführer schilderte daraufhin seinen Weg nach Österreich bzw. die Modalitäten seiner Schleppung nach Europa. Auch sein Bruder sei nach Europa gereist und lebe nunmehr bei seiner Frau in Deutschland; derzeit habe er keinen Kontakt zu ihm, womöglich könne er diesen aber durch seine Schwester oder Freunde herstellen. Soweit er vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl angegeben habe, in einem "Gefängnis" gewesen zu sein, stellte der Beschwerdeführer klar, dass er einmal für zwei oder drei Stunden von seinem Onkel als Disziplinierungsmaßnahme eingesperrt worden sei, nachdem er mit einem anderen Burschen in einem Lokal gestritten und gerauft habe. Sein Onkel lebe nunmehr in Kenia, er habe aber keinen Kontakt zu ihm. Auch zu seiner Frau pflege er seit dem Jahr 2016 keinen Kontakt mehr, zumal er sie aus Europa nicht unterstützen könne. Er habe allerdings zu seiner Schwester Kontakt die mit ihrem Mann und ihrer Familie in Bulo Hawo lebe; sein Schwager schmuggle Waren nach Kenia. Auf die von ihm ins Treffen geführten Diskriminierungen angesprochen meinte der Beschwerdeführer, Angehörige des Mehrheitsclans der Marehan hätten ihn diskriminiert. Auf wiederholte Nachfrage, um welche Diskriminierungen es sich gehandelt habe, erzählte der Beschwerdeführer schließlich, er sei im April 2012 von Marehan-Angehörigen wegen des Führens einer Waffe näher bedroht worden. Dies habe er vor der belangten Behörde nicht erzählt, weil er nicht gedacht habe, dass dies von Bedeutung sei. Nach Vorhalt weiterer Berichte zur Lage in seiner Herkunftsregion wurde der Beschwerdeführer schließlich zu seinem Leben in Österreich befragt. Insbesondere wurden dem Beschwerdeführer seine im Bundesgebiet begangenen Straftaten sowie sonstige Handlungen vorgehalten, über die im Verfahrensakt polizeiliche Berichte aufliegen.

9.2. Weiters legte der Beschwerdeführer im Rahmen der Verhandlung eine schriftliche Stellungnahme vom 18.07.2018 zu den ihm mit der Ladung vorgehaltenen Länderberichten vor. In dieser führt er aus, dass Somalias Bevölkerung weiterhin unter schweren Dürren und Hungersnöten leide. Die Dürre des Jahres 2017 sei die schlimmste seit 40 Jahren gewesen, zusätzlich werde das Land seit Anfang 2018 von zerstörerischen Überschwemmungen heimgesucht. Die seit 2016 anhaltende Dürre habe Auswirkungen auf alle Wirtschaftszweige Somalias, insbesondere auf die Landwirtschaft. Im Februar 2018 habe der somalische Präsident die Krise als "nationale Katastrophe" bezeichnet, im April 2017 hätten Hilfsorganisationen geschätzt, dass fast 6 Millionen Menschen Hilfe benötigten und etwa die Hälfte von Hunger bedroht sei. Im April 2018 sei es zu mittelschweren bis starken Regenfällen gekommen; die Niederschlagsmenge habe in fast ganz Somalia 200 % des mehrjährigen Durchschnitts betragen. Durch Zufluss beträchtlicher Mengen Wasser aus dem äthiopischen Hochland komme es zu weiteren Überschwemmungen; am stärksten sei Beletweyne betroffen. Wegen der Überflutungen seien auch Choleraverdachtsfälle gestiegen. Darüber hinaus habe am 19.05.2018 ein Zyklon in Somalia getobt, der eine Spur der Verwüstung in Somaliland und Puntland hinterlassen habe. Es sei keinesfalls mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auszuschließen, dass Personen bei einer Rückkehr nach Somalia allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet des Landes oder der Heimatregion tatsächlich der Gefahr einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt wären. Eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Somalia sei daher unzulässig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der unter Pkt. I dargelegte Verfahrensgang wird festgestellt.

1.2. Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

1.2.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Somalia, gehört dem Clan der Sheikhal (auch: Sheikhaal) sowie dem Subclan Reer Aw Qutub an und bekennt sich zum muslimischen Glauben.

Er wurde in der Provinz Galgaduud geboren, zog jedoch bereits im Kindesalter in die Region Gedo, wo er im Bezirk Bulo Hawo (auch: Bulo Xawo) in der gleichnamigen Ortschaft bis zu seiner Ausreise lebte. In Somalia besuchte er keine Schule; als Kind wirkte er in der elterlichen Viehwirtschaft mit und übte später handwerkliche Hilfstätigkeiten als Schweißer und Bauhelfer aus. Die Eltern des Beschwerdeführers sind bereits verstorben. Einer seiner Brüder lebt in Deutschland, der andere unterrichtet Arabisch in der kenianischen Stadt Mandera (die unmittelbar an Bulo Hawo grenzt und in welcher der Beschwerdeführer selbst bereits häufig war). In Bulo Hawo selbst leben noch eine Schwester des Beschwerdeführers mit ihrem Mann und drei Kindern in ärmlichen Verhältnissen. Im Jahr 2013 ehelichte der Beschwerdeführer seine Frau, lebte mit dieser aber nur sechs Monate zusammen; der Kontakt mit ihr brach 2016 ab, zu diesem Zeitpunkt lebte die Frau des Beschwerdeführers bei ihrer Familie. Ein Onkel des Beschwerdeführers wohnt in Kenia. Der Beschwerdeführer hätte die Möglichkeit, zu sämtlichen genannten Verwandten Kontakt aufzunehmen.

Im Mai 2013 reiste der Beschwerdeführer schlepperunterstützt aus Somalia über Äthiopien und den Sudan nach Libyen, von wo er mit einem Boot nach Italien übersetzte. Von dort reiste er illegal nach Österreich weiter und stellte am 10.03.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Seitdem befindet er sich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung durchgängig im Bundesgebiet, lebt in einer Flüchtlingsunterkunft und bezieht Leistungen aus der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer geht derzeit keiner legalen Arbeit nach und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er arbeitete im Jahr 2016 als Bauhelfer in Bludenz, derzeit verrichtet er für eine geringe Entlohnung immer wieder Reinigungsdienste in seiner Unterkunft. Der Beschwerdeführer leidet an keiner schweren physischen Krankheit, gibt aber von sich aus an, ein "Alkoholproblem" zu haben. In Österreich leben keine Familienangehörigen des Beschwerdeführers; im Rahmen seiner Freizeit knüpfte er soziale Kontakte. Er hat rudimentäre Kenntnisse der deutschen Sprache und vermag sich auf grundlegendem Niveau in Deutsch zu verständigen; einen Deutschkurs besuchte er nur wenige Monate.

1.2.2. Im März 2016 begab sich der Beschwerdeführer mit zwei anderen somalischen Staatsangehörigen eines nachts in alkoholisiertem Zustand in einen Tankstellenshop, wobei sich die Gruppe auf eine Weise ausfällig und unangenehm verhielt, dass sie des Shops verwiesen wurde. Dabei entwendeten die drei Personen auch mehrere Flaschen Bier. Der Beschwerdeführer erachtet sein damaliges Verhalten heute als falsch.

Im Mai 2016 geriet der Beschwerdeführer in alkoholisiertem Zustand mit zwei anderen somalischen Staatsangehörigen verbal aneinander und es kam zu Handgreiflichkeiten. Der Beschwerdeführer war danach drei bis vier Tage im Krankenhaus. Nach seiner Entlassung traf er einen der beiden Somalier wieder und verletzte ihn - erneut alkoholisiert - am Körper, indem er ihm mehrmals Faustschläge ins Gesicht versetzte. Der Beschwerdeführer wurde aufgrund dieser Tathandlung am XXXX durch das XXXXwegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB verurteilt; dieses Urteil erwuchs in Rechtskraft. Mit dem Opfer hat er sich zwischenzeitig versöhnt.

Am Abend des XXXX versuchte der zum damaligen Zeitpunkt stark alkoholisierte Beschwerdeführer in einem Gebäude in XXXX vor einer Arztpraxis, eine dort aufhältige Reinigungskraft zu vergewaltigen; nur aufgrund der körperlichen Gegenwehr des Opfers und des beeinträchtigten Zustands des Beschwerdeführers ließ dieser schließlich von ihr ab. Wegen dieser Tat wurde der Beschwerdeführer (im Wege der Berufung wegen Strafe) durch das XXXX am XXXX wegen des Verbrechens der versuchten Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs. 1 StGB zu einer (in Hinblick auf das Urteil des XXXX vom XXXX verhängten) Zusatzfreiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten rechtskräftig verurteilt.

Während der Verbüßung der Strafhaft geriet der Beschwerdeführer am XXXX mit einem pakistanischen Mithäftling wegen der angeführten versuchten Vergewaltigung in einen Streit, im Zuge dessen er den Mithäftling mit der Faust ins Gesicht schlug.

Im März 2018 wurde der Beschwerdeführer aus der Strafhaft entlassen.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Somalia:

Politische Lage

Das Gebiet von Somalia ist de facto in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt: a) Somaliland, ein 1991 selbstausgerufener unabhängiger Staat, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird; b) Puntland, ein 1998 selbstausgerufener autonomer Teilstaat Somalias; c) das Gebiet südlich von Puntland, das Süd-/Zentralsomalia genannt wird (EASO 8.2014). Im Hinblick auf fast alle asylrelevanten Tatsachen ist Somalia in diesen drei Teilen zu betrachten (AA 1.1.2017).

Im Jahr 1988 brach in Somalia ein Bürgerkrieg aus, der im Jahr 1991 im Sturz von Diktator Siyad Barre resultierte. Danach folgten Kämpfe zwischen unterschiedlichen Clans, Interventionen der UN sowie mehrere Friedenskonferenzen (EASO 8.2014). Seit Jahrzehnten gibt es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder zentralstaatlicher Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft, hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 1.1.2017).

Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2016). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten. Das im Dezember 2016 gewählte Parlament stellt dabei auch einen deutlichen demokratischen Fortschritt gegenüber dem 2012 gewählten Parlament dar. Während 2012 135 Clanälteste die Zusammensetzung bestimmten (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017), waren es 2016 über 14.000 Clan-Repräsentanten (UNHRC 6.9.2017) bzw. 13.000. Während die 54 Mitglieder des Oberhauses von den Parlamenten der Bundesstaaten gewählt wurden, wählten die o.g. Clan-Repräsentanten die 275 auf Clan-Basis ausgewählten Abgeordneten des Unterhauses (UNSC 9.5.2017).

Auch wenn es sich um keine allgemeine Wahl gehandelt hat, ist diese Wahl im Vergleich zu vorangegangenen Wahlen ein Fortschritt gewesen (DW 10.2.2017). Allerdings war auch dieser Wahlprozess problematisch, es gibt zahlreiche Vorwürfe von Stimmenkauf und Korruption (SEMG 8.11.2017). Im Februar 2017 wählte das neue Zweikammerparlament Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmaajo" zum Präsidenten; im März bestätigte es Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, SEMG 8.11.2017). Das Parlament bestätigte am 29.3.2017 dessen 69-köpfiges Kabinett (UNSC 9.5.2017).

Die Macht wurde friedlich und reibungslos an die neue Regierung übergeben (WB 18.7.2017). Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein fragiler Staat (AA 1.1.2017). Die Regierung stellt sich den Herausforderungen, welche Dürre und Sicherheit darstellen. Überhaupt hat die Regierung seit Amtsantritt gezeigt, dass sie dazu bereit ist, die Probleme des Landes zu beheben (UNSC 5.9.2017). Dabei mangelt es der Bundesregierung an Einkünften, diese sind nach wie vor von den wenigen in Mogadischu erzielten Einnahmen abhängig (SEMG 8.11.2017).

Außerdem wird die Autorität der Zentralregierung vom nach Unabhängigkeit strebenden Somaliland im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen al Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Außerdem gibt es aber keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach (AA 1.1.2017). Die föderale Regierung hat es bislang kaum geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (ÖB 9.2016).

Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 (UNSC 9.5.2017) bzw. 2021 vorgesehen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNNS 13.9.2017). Deren Durchführung wird aber maßgeblich davon abhängen, wie sich die Sicherheitslage entwickelt, ob sich Wahlkommissionen auch in den Bundesstaaten etablieren können und ob ein Verfassungsgericht eingerichtet wird (UNSC 5.9.2017).

Neue föderale Teilstaaten (Bundesstaaten)

Generell befindet sich das föderalistische System Somalias immer noch in einer frühen Phase und muss in den kommenden Jahren konsolidiert werden (UNSC 9.5.2017). Zwar gibt es in manchen Gebieten Verbesserungen bei der Verwaltung und bei der Sicherheit. Es ist aber ein langsamer Prozess. Die Errichtung staatlicher Strukturen ist das größte Problem, hier versucht die internationale Gemeinschaft zu unterstützen (BFA 8.2017).

Kaum ein Bundesstaat ist in der Lage, das ihm zugesprochene Gebiet tatsächlich unter Kontrolle zu haben. Bei den neu etablierten Entitäten reicht die Macht nur wenige Kilometer über die Städte hinaus (BFA 8.2017; vgl. NLMBZ 11.2017).

Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, begann mit dem international vermittelten Abkommen von Addis Abeba von Ende August 2013 der Prozess der Gliedstaatsgründung im weiteren Somalia, der nach der Gründung der Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und Hirshabelle 2016 seinen weitgehenden Abschluss fand (AA 4.2017a). Offen ist noch der finale Status der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, BFA 8.2017).

Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance.

Rein technisch bedeutet dies: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir (BFA 8.2017).

Die Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten sind angespannt, da es bei der Sicherheitsarchitektur und bei der Ressourcenverteilung nach wie vor Unklarheiten gibt (SEMG 8.11.2017). Außerdem hat der Schritt zur Föderalisierung zur Verschärfung von lokalen Clan-Spannungen beigetragen und eine Reihe gewalttätiger Konflikte ausgelöst. Die Föderalisierung hat zu politischen Kämpfen zwischen lokalen Größen und ihren Clans geführt (BS 2016). Denn in jedem Bundesstaat gibt es unterschiedliche Clankonstellationen und überall finden sich Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden. Sie fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).

Im Zuge der Föderalisierung Somalias wurden mehrere Teilverwaltungen (Bundesstaaten) neu geschaffen: Galmudug Interim Administration (GIA); die Jubaland Interim Administration (JIA); Interim South West State Administration (ISWA). Keine dieser Verwaltungen hat die volle Kontrolle über die ihr unterstehenden Gebiete (USDOS 3.3.2017). Außerdem müssen noch wichtige Aspekte geklärt und reguliert werden, wie etwa die Machtverteilung zwischen Bund und Ländern, die Verteilung der Einkünfte oder die Verwaltung von Ressourcen. Internationale Geber unterstützen den Aufbau der Verwaltungen in den Bundesstaaten (UNSC 5.9.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): Somalia - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Somalia/Innenpolitik_node.html, Zugriff 13.9.2017

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BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017

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BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,

https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 20.11.2017

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DW - Deutsche Welle (10.2.2017): Kommentar: Farmajo, der neue Präsident Somalias - Wie viele Löcher hat der Käse? http://www.dw.com/de/kommentar-farmajo-der-neue-pr%C3%A4sident-somalias-wie-viele-l%C3%B6cher-hat-der-k%C3%A4se/a-37496267, Zugriff 24.11.2017

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EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1457606427_easo-somalia-security-feb-2016.pdf, Zugriff 21.12.2017

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EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf, Zugriff 21.11.2017

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NLMBZ - (Niederlande) Ministerie von Buitenlandse Zaken (11.2017):

Algemeen Ambtsbericht Zuid- en Centraal- Somalië, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1512376193_correctie-aab-zuid-en-centraal-somalie-2017-def-zvb.pdf, Zugriff 10.1.2018

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ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia

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SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017): Report of the SEMG on Somalia,

https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2017/924, Zugriff 14.11.2017

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UNHRC - UN Human Rights Council (6.9.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia http://www.refworld.org/docid/59c12bed4.html, Zugriff 11.11.2017

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UNNS - UN News Service (13.9.2017): Somalia facing complex immediate and long-term challenges, UN Security Council told, http://www.refworld.org/docid/59bfc8b34.html, Zugriff 11.11.2017

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UNSC - UN Security Council (5.9.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1505292097_n1726605.pdf, Zugriff 8.11.2017

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UNSC - UN Security Council (9.5.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1496910356_n1712363.pdf, Zugriff 10.11.2017

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UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (13.9.2017):

SRSG Keating Briefing to the Security Council, https://unsom.unmissions.org/srsg-keating-briefing-security-council-1, Zugriff 11.11.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017

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WB - World Bank (18.7.2017): Somalia Economic Update,

http://documents.worldbank.org/curated/en/552691501679650925/Somalia-economic-update-mobilizing-domestic-revenue-to-rebuild-Somalia, Zugriff 20.11.2017

Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Vergleicht man die Areas of Influence der Jahre 2012 und 2017, hat es kaum relevante Änderungen gegeben. Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das "urban island scenario" besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017).

Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden - etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017).

Quellen:

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ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2017): Africa Data, Version 8 (1997-2017), https://www.acleddata.com/data/, Zugriff 10.1.2018

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ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2016): Africa Data, Version 7 (1991-2016), http://www.acleddata.com/data/, Zugriff 21.12.2017

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BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM,

http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017

Süd-/Zentralsomalia

Die Präsenz von AMISOM in Somalia bleibt auch mittelfristig essentiell, um die Sicherheit in Somalia zu gewährleisten. Sollte AMISOM überhastet abziehen oder die Verantwortung zu früh an somalische Sicherheitsbehörden übergeben, besteht das Risiko von Rückschritten bei der Sicherheit (UNSC 5.9.2017; vgl. ICG 20.10.2017).

AMISOM hat große Erfolge erzielt, was die Einschränkung der territorialen Kontrolle der al Shabaab anbelangt (ICG 20.10.2017). Weite Teile des Landes wurden durch AMISOM und durch die somalische Armee aus den Händen der al Shabaab zurückgeholt (UNHRC 6.9.2017), und AMISOM hat al Shabaab weitgehend zurückgedrängt (ÖB 9.2016). AMISOM und die somalische Regierung konnten ihre Kontrolle in zurückgewonnenen Gebieten etwas konsolidieren (AI 22.2.2017). Es ist aber kaum zur Einrichtung von Verwaltungen gekommen (BFA 8.2017).

Gleichzeitig hat AMISOM ihre Kräfte überdehnt. Die Mission tut sich schwer dabei, nunmehr den Kampf gegen eine Rebellion führen zu müssen, welche sich von lokalen Konflikten nährt. Die al Shabaab ist weiterhin resilient (ICG 20.10.2017). Außerdem beherrschen einige der neu errichteten Bundesstaaten nicht viel mehr, als ein paar zentrale Städte. Der effektive Einfluss von AMISOM und den somalischen Verbündeten bleibt jedoch in vielen Fällen auf das jeweilige Stadtgebiet konzentriert, auch wenn es teils zu weiteren Exkursionen kommt. In einigen Städten ist es in jüngerer Vergangenheit zu Verbesserungen gekommen. Dies gilt mehrheitlich auch für Mogadischu (BFA 8.2017).

Seit Beginn des Bürgerkrieges 1991 gab es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden. In Süd-/Zentralsomalia herrscht weiterhin in vielen Gebieten Bürgerkrieg. Die somalischen Sicherheitskräfte kämpfen mit Unterstützung der Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) gegen die radikalislamistische Miliz al Shabaab. Die Gebiete sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der al Shabaab oder anderer Milizen (AA 1.1.2017; vgl. ÖB 9.2016) oder sind von AMISOM Offensiven betroffen (ÖB 9.2016). Kämpfe - vor allem unter Beteiligung von al Shabaab, aber auch unter Beteiligung von Clans - sowie Zwangsräumungen haben zu Vertreibungen und Verlusten geführt (HRW 12.1.2017). Dabei haben AMISOM und die somalische Armee seit Juli 2015 keine großen Offensive mehr geführt (SEMG 8.11.2017). Im Jahr 2016 gab es zwar Kämpfe zwischen AMISOM/Regierung und al Shabaab, es kam aber kaum zu Gebietswechseln (AI 22.2.2017). Im Jahr 2017 ist es zu weniger direkten militärischen Auseinandersetzungen zwischen al Shabaab und AMISOM gekommen. Die am meisten vom militärischen Konflikt betroffenen Gebiete sind die Frontbereiche, wo Ortschaften und Städte wechselnder Herrschaft unterworfen sind; sowie das Dreieck Mogadischu-Afgooye-Merka (BFA 8.2017).

Die reduzierten Kapazitäten der al Shabaab haben dazu geführt, dass sich die Gruppe auf Guerilla-Taktik und asymmetrische Kriegsführung verlegt hat. Al Shabaab begeht verübt komplexe Angriffe, Selbstmordattentate, und gezielte Attentate auf Einzelpersonen (UKHO 7.2017). Die Gruppe setzt den Guerillakampf im ländlichen Raum Süd-/Zentralsomalias fort. Regelmäßig kommt es zu Angriffen auf somalische und AMISOM-Truppen, die sich auf Verbindungsstraßen bewegen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNSC 9.5.2017).

Al Shabaab kontrolliert weiterhin wichtige Versorgungsrouten und hält gegen Städte unter Kontrolle von AMISOM und Regierungskräften Blockaden aufrecht (HRW 12.1.2017). Durch Guerilla-Aktivitäten isoliert al Shabaab mehrere Städte, die teils als Inseln im Gebiet der Gruppe aufscheinen (BFA 8.2017). AMISOM muss an vielen Einsatzorten von UNSOS aus der Luft versorgt werden, da die Überlandrouten nicht ausreichend abgesichert sind (UNSC 5.9.2017).

Es hat mehrere Fälle gegeben, wo internationale Truppen Gebiete in Bakool, Galgaduud, Hiiraan und Lower Shabelle ohne große Ankündigung geräumt haben. In der Folge ist al Shabaab unmittelbar in diese Gebiete zurückgekehrt und hat an der lokalen Bevölkerung zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Mord, Folter, Entführung, Vernichtung humanitärer Güter, Zwangsrekrutierung) begangen (SEMG 8.11.2017). Die Vergangenheit hat gezeigt, dass eben jene Orte, aus denen die ENDF oder AMISOM rasch abgezogen sind, am meisten unter dem Konflikt leiden. Sobald die Regierungskräfte abziehen, füllt nämlich al Shabaab das entstandene Vakuum auf.

Vergeltungsmaßnahmen gegen Zivilisten folgen umgehend. Es gibt regelmäßig Berichte darüber, dass AS mutmaßliche Kollaborateure hingerichtet hat. Die Menschen dort leben unter ständiger Bedrohung (BFA 8.2017).

Im September 2017 überrannte al Shabaab mehrere Stützpunkte der somalischen Armee, namentlich in Bulo Gaduud, Belet Xawo, Ceel Waaq und Bariire (19.12.2017 VOA).

Eine Infiltration von unter Kontrolle der Regierung stehenden Städten mittels größerer Kampfverbände der al Shabaab kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch AMISOM und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure der al Shabaab kommt in manchen Städten vor (BFA 8.2017). Al Shabaab ist dadurch nach wie vor in der Lage, auch auf die am schwersten bewachten Teile von Mogadischu oder anderer Städte tödliche Angriffe zu führen (AI 22.2.2017).

Die Unsicherheit in den von der Regierung kontrollierten Gebieten, einschließlich Mogadischu, sowie politische Machtkämpfe behindern Fortschritte im Bereich der Justiz und die Reform des Sicherheitssektors (ÖB 9.2016). Politische Anstrengungen zur Etablierung bzw. Stärkung von Bundesländern verstärkten Clankonflikte in manchen Bereichen (ÖB 9.2016; vgl. BS 2016, BFA 8.2017). Auch dabei kommen Zivilisten zu Schaden (HRW 12.1.2017).

Auch Regierungstruppen und Clanmilizen geraten regelmäßig aneinander. Dadurch werden viele Zivilisten schwerverletzt bzw. getötet. In solchen Fällen bleibt Zivilisten nichts andres übrig als die Flucht zu ergreifen, da weder Clan- noch staatlicher Schutz gegeben ist (ÖB 9.2016).

Gezielte Angriffe auf Zivilisten und zivile Infrastruktur mittels Selbstmordattentätern und anderen Sprengstoffanschlägen durch die al Shabaab haben weiterhin gravierende Folgen (HRW 12.1.2017). Zivilisten kommen im Kreuzfeuer, bei gezielten Attentaten, durch Sprengsätze oder Handgranaten und bei komplexen Anschlägen ums Leben oder werden verwundet (AI 22.2.2017). Generell hat al Shabaab vermehrt Gewalt gegen Zivilisten angewandt, nötigt oder bestraft in den Gebieten unter ihrer Kontrolle ganze Gemeinden. Aufgrund der durch die Dürre verstärkten Ressourcenknappheit hat al Shabaab Dörfern niedergebrannt und Älteste enthauptet, um ihre Steuerforderungen durchzusetzen - so z.B. im Raum Xaradheere im November 2016 (SEMG 8.11.2017). Im ersten Trimester 2017 wurden von al Shabaab 36 Personen entführt, davon wurden 15 später wieder freigelassen (UNSC 9.5.2017).

UNSOM hat für den Zeitraum 1.1.2016-14.10.2017 insgesamt 2.078 getötete zivile Opfer in Somalia dokumentiert; hinzu kommen 2.507 Verletzte. Für 60% der Opfer ist die al Shabaab verantwortlich (NHRC 10.12.2017a).

Für das Jahr 2016 berichtet das UN Mine Action Service von 267 durch Sprengstoffanschläge getötete und 727 verletzte Personen. Bei Kämpfen kamen zwischen Jänner und August 2016 492 Zivilisten ums Leben (USDOS 3.3.2017). Andererseits beruft sich die SEMG auf Zahlen von ACLED. Demnach seien im Zeitraum Jänner 2016 bis Mitte August 2017 bei 533 Zwischenfällen mit improvisierten Sprengsätzen insgesamt 1.432 Zivilisten zu Schaden gekommen, 931 davon wurden getötet (SEMG 8.11.2017). Das Rote Kreuz wiederum berichtet, dass im Jahr 2016 ca. 5.300 durch Waffen verletzte Personen in vom IKRK unterstützten Spitälern eine Behandlung erhalten haben; v.a. in Mogadischu, Baidoa und Kismayo (ICRC 23.5.2017). Es ist offenbar schwierig, die genaue Zahl festzustellen (AI 22.2.2017).

Im ersten Trimester 2017 wurden 646 Zivilisten getötet oder verletzt (UNSC 9.5.2017), im zweiten Trimester waren es 582 (ca. die Hälfte der letztgenannten Zahl ist al Shabaab zuzuschreiben, 12 Opfer der AMISOM, 41 den staatlichen Sicherheitskräften; bei durch die Dürre verschärften Ressourcenkonflikten kamen 175 Zivilisten zu Schaden) (UNSC 5.9.2017). Bei einer geschätzten Bevölkerung von rund 11 Millionen Einwohnern (CIA 6.11.2017) liegt die Quote getöteter Zivilisten: Gesamtbevölkerung für Gesamtsomalia im ersten Trimester 2017 bei ca. 1:17.000, im zweiten Trimester bei 1:18.900.

Auch wenn die Zahl von Gewalt gegen Zivilisten seit dem Jahr 2013 relativ konstant bleibt, so hat sich die Letalität - etwa aufgrund der Proliferation von destruktiveren Methoden - erhöht. Im Durchschnitt kommen bei jedem Vorfall also mehr Menschen zu Schaden (SEMG 8.11.2017). Absolutes Beispiel dieses Trends ist der Anschlag vom 14.10.2017 in Mogadischu, bei welchem mehr als 500 Menschen getötet wurden - wiewohl sich al Shabaab bislang nicht zu dem Anschlag bekannt hat (DS 2.12.2017).

Dahingegen ist bei den staatlichen Sicherheitskräften ein positiver Trend zu erkennen. Sie sind in keine größeren Angriffshandlungen gegen Zivilisten verwickelt (SEMG 8.11.2017).

Im zweiten Trimester 2017 kam es in ganz Somalia zu 16 Luftangriffen, die meisten davon in den Regionen Gedo (8), Lower Shabelle (4) und Lower Juba (3). Insgesamt kamen dabei 18 Zivilisten zu Schaden (UNSC 5.9.2017). Eine andere Quelle nennt als Gesamtzahl für die ersten beiden Trimester 2017 32 Luftangriffe durch Kenia, die USA und nicht identifizierte Kräfte (SEMG 8.11.2017). Insgesamt sollen alleine die USA im Jahr 2017 30 Luftschläge in Somalia durchgeführt haben (BBC 22.12.2017). Jedenfalls haben die USA ihre Angriffe verstärkt: Während sie im gesamten Jahr 2016 nur dreizehn Luftschläge führte, waren es alleine im Zeitraum Juni-September 2017 neun. Seit 2016 haben sich die Auswirkungen von Luftschlägen auf Zivilisten aufgrund gezielterer Angriffe verringert. Insgesamt wurden im Zeitraum Jänner 2016 bis Juni 2017 bei 58 Luftschlägen 36 zivile Opfer dokumentiert (SEMG 8.11.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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