TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/30 W231 2187968-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.10.2018
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Entscheidungsdatum

30.10.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
AVG §66 Abs4
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W231 2187978-1/14E

W231 2187984-1/12E

W231 2187968-1/9E

W231 2187975-1/9E

W231 2187951-1/8E

W231 2187972-1/9E

W231 2187981-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

I. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Birgit HAVRANEK über die Beschwerden von 1. XXXX , geb. am XXXX (BF1), 2. XXXX , geb. am XXXX (BF2), 3 mj. XXXX , geb. am XXXX (BF3), 4. mj. XXXX , geb. am XXXX (BF4), 5. mj. XXXX , geb. am XXXX (BF5), 6. mj. XXXX , geb. am XXXX (BF6), 7. mj. XXXX , geb. am XXXX (BF7), alle StA. Afghanistan, die mj. Beschwerdeführer vertreten durch ihre Eltern XXXX und XXXX , alle vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.02.2018, 1. Zl. XXXX , 2. Zl. XXXX , 3. Zl. XXXX , 4. Zl. XXXX , 5. Zl. XXXX , 6. Zl. XXXX , 7. Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.06.2018, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide werden gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Den Beschwerden gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und mj. XXXX , mj. XXXX , mj. XXXX , mj.

XXXX und mj. XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005, XXXX und XXXX , gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs. 2 Asylgesetz 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

Gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 wird 1. XXXX , 2. XXXX , 3. mj. XXXX , 4. mj. XXXX , 5. mj. XXXX , 6. mj. XXXX und 7. mj. XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 30.10.2019 erteilt.

Den Beschwerden wird hinsichtlich der Spruchpunkte III. - VI. der angefochtenen Bescheide stattgegeben und diese gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG iVm § 66 Abs. 4 AVG ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Die Beschwerdeführer reisten spätestens am 15.05.2016 in das Bundesgebiet ein und stellten Anträge auf internationalen Schutz in Österreich.

I.2. Der Erstbeschwerdeführer (künftig BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (künftig BF2) gaben anlässlich ihrer Erstbefragung am 15.05.2016 zu ihren Fluchtgründen befragt im Wesentlichen an, dass BF1 als LKW-Fahrer Öllieferungen für die Armee getätigt habe. Er und seine Familie seien deshalb von den Taliban bedroht worden. Dies seien auch die Fluchtgründe der minderjährigen Kinder, BF4 bis BF7.

Der Drittbeschwerdeführer (künftig BF3) ist der minderjährige Bruder von BF1. Auch er stützte seine Fluchtgründe anlässlich seiner Erstbefragung am 17.05.2016 auf die Bedrohung von BF1.

I.3. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Amstetten vom 21.10.2016 wurde BF1 die Obsorge für BF3 übertragen.

I.4. Am 07.07.2017 wurden BF1, BF2 und BF3 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich (in Folge: BFA) niederschriftlich einvernommen.

BF1 und BF2 brachten zu ihren Fluchtgründen auf das Wesentlichste zusammengefasst vor, BF1 sei auf Grund seiner Tätigkeit, nämlich der Lieferung von Treibstoff in verschiedene Provinzen, mehrmals von den Taliban bedroht worden. Er sei unterwegs auf einer Transportstrecke von ihnen auch gefangen genommen und gefoltert worden. Außerdem sei er mit einem Messer und einer Waffe verletzt worden. Sie hätten ihm vorgeworfen, dass er für die Amerikaner arbeite und er sei aufgefordert worden, seine Arbeitstätigkeit zu beenden.

BF3 brachte zu seinen Fluchtgründen befragt vor, dass die Taliban BF1 und seine ganze Familie, somit auch BF3, bedroht hätten.

BF4 bis BF7 hätten keine eigenen Fluchtgründe.

I.5. Das BFA wies mit den angefochtenen Bescheiden vom 14.02.2018, Zl. XXXX (BF1), Zl. XXXX (BF2), Zl. XXXX (BF3), Zl. XXXX (BF4), Zl. XXXX (BF5), Zl. XXXX (BF6), Zl. XXXX (BF7), die gegenständlichen Anträge aller Beschwerdeführer auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 jeweils ab (jeweils Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan jeweils ab (jeweils Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (jeweils Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen (jeweils Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (jeweils Spruchpunkt V.) und dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für ihre freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (jeweils Spruchpunkt VI.).

Begründend heißt es, dass BF1 eine aktuelle Furcht vor Verfolgung in Afghanistan nicht glaubhaft habe machen können. Die Angaben von BF1 zu seinem Fluchtvorbringen seien vage und widersprüchlich. BF2 bis BF7 hätten keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht, sondern sich auf das Vorbringen von BF1 bezogen. Eine westliche Gesinnung habe bei BF2 nicht festgestellt werden können. Außerdem bestehe auch eine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative für die Beschwerdeführer in Kabul. Auf Grund der Arbeitsfähigkeit von BF1 sowie dem familiären Netzwerk der Beschwerdeführer könnten sie ihren Lebensunterhalt in Afghanistan bestreiten. Zuletzt kommt das BFA zu dem Schluss, dass die öffentlichen Interessen an der Außerlandesbringung der Beschwerdeführer gegenüber ihren privaten Interessen am Verbleib in Österreich überwiegen und ein Eingriff in ihre durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte daher als gerechtfertigt anzusehen sei.

I.6. Mit Verfahrensanordnung wurde den Beschwerdeführern ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht amtswegig zur Seite gestellt.

I.7. Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, fristgerecht eingebrachten Beschwerden. Die Beschwerdeführer fochten die Bescheide wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung infolge unrichtiger Beweiswürdigung bzw. Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung des Sachverhalts an.

Den Beschwerdeführern drohe in Afghanistan auf Grund der Arbeit von BF1, konkret der Lieferung von Kraftstoff an die Amerikaner, eine Verfolgung durch die Taliban. Außerdem würden die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan in eine aussichtslose Lage geraten und es bestehe die reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

I.8. Die Beschwerden samt Verwaltungsakten langten am 02.03.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Gleichzeitig verzichtete das BFA auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung.

I.9. Am 07.03.2018 wurde dem Bundesverwaltungsgericht das Deutschzertifikat über das Sprachniveau A1 des BF1 vorgelegt.

I.10. Am 19.03.2018 langte die Vollmachtbekanntgabe der Beschwerdeführer an den MigrantInnenverein St. Marx ein.

I.11. Dem Bundesverwaltungsgericht wurde am 07.06.2018 eine Stellungnahme der Beschwerdeführer zur Verfolgungssituation von Frauen übermittelt. BF2 drohe wegen ihrer "westlichen Lebenseinstellung" auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe eine asylrelevante Verfolgung. Dazu wurde auf Judikatur und Länderberichte verwiesen. Überdies wurden auch Ausführungen zur Versorgungslage von Rückkehrern getätigt.

I.12. Am 11.06.2018 fand am Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein der Beschwerdeführer und ihrer Rechtsvertretung statt.

Auf die Verlesung des gesamten Akteninhalts sowie Akteneinsicht wurde verzichtet. Die Beschwerdeführer legten diverse Unterlagen zu ihren Integrationsbemühungen vor. Zusätzlich dazu wurde von der erkennenden Richterin ein Auszug aus einem Artikel von Pajhwok Afghan News über die Wiedereröffnung von drei geschlossenen Mädchenschulen in der Provinz Kapisa vom 26.03.2017 und ein Auszug aus einem Gutachten, welches in einem anderen Verfahren erstattet wurde, betreffend die Sicherheitsvorkehrungen auf US-Stützpunkten in das Verfahren eingebracht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

Auf Grundlage der Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz, der Erstbefragung nach dem Asylgesetz, der Einvernahmen, der angefochtenen Bescheide vom 14.02.2018, der Beschwerden dagegen, der Einsichtnahme in die Bezug habenden Verwaltungsakten und auf Grundlage der vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführten mündlichen Verhandlung am 11.06.2018, in der sich die erkennende Richterin einen persönlichen Eindruck von den Beschwerdeführern verschaffen konnte, sowie aller im Verwaltungs- und Gerichtsakt einliegenden Schriftstücke bzw. Nachweise werden folgende

Feststellungen getroffen und der Entscheidung zu Grunde gelegt:

II.1.1. Zur Identität und sozialem Hintergrund der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer führen den jeweils im Spruch angeführten Namen und sind afghanische Staatsangehörige. Sie sind der Volksgruppe der Tadschiken und dem sunnitischen Glauben zugehörig. Die Muttersprache der Beschwerdeführer ist Dari.

BF1 und BF2 haben in Afghanistan geheiratet und sind die leiblichen Eltern von BF4 bis BF7. BF3 ist der minderjährige Bruder von BF1. BF1 hat BF3 von klein auf zu sich genommen, BF3 ist bei BF1 gemeinsam mit BF4 bis BF7 aufgewachsen. Auch in Österreich obliegt BF1 die Obsorge für BF3.

Die Beschwerdeführer stammen aus dem Dorf XXXX , im Distrikt Hesse Awal-e Kohestan in der Provinz Kapisa. Vor ihrer Ausreise aus Afghanistan haben sie auch einige Monate in Kabul und in Mazar-e Sharif gelebt.

BF1 hat bis zur zweiten Klasse die Schule besucht und als Fernfahrer gearbeitet. BF2 hat keine Schul- oder Berufsausbildung absolviert und ist keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen. Sie hat sich im Herkunftsstaat um den Haushalt und die Kindererziehung gekümmert. BF3 war Schüler. BF4 bis BF7 wurden in Afghanistan geboren.

Die Beschwerdeführer verließen ihren Herkunftsstaat im Frühjahr 2016 und stellten gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz in Österreich.

Im Herkunftsstaat, konkret in der Provinz Kapisa, leben die betagten Eltern und die verheiratete Schwester des BF1. Außer BF3 hat BF1 noch einen weiteren Bruder, der in der Stadt Kabul lebt und dort eine Tankstelle betreibt. Außerdem besitzen BF1 und seine Brüder ein Haus und landwirtschaftliche Grundstücke in der Provinz Kapisa. BF1 steht in Kontakt zu seiner Familie.

Die Eltern von BF2 sind bereits verstorben. Ihre zwei Brüder und zwei Schwestern leben in der Stadt Kabul. Ihre Brüder arbeiten als Köche. BF2 hat keinen Kontakt zu ihren Familienangehörigen. Die Beschwerdeführer können von der Familie der BF2 keine Unterstützung bei einer Rückkehr erwarten.

II.1.2. Zum Leben der Beschwerdeführer in Österreich:

Die Beschwerdeführer stellten in Österreich am 15.05.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz und leben aktuell in Niederösterreich.

Die Beschwerdeführer haben in Österreich keine familiären Anknüpfungspunkte. Sie leben von der Grundversorgung und sind bislang keiner regelmäßigen Erwerbstätigkeit in Österreich nachgegangen.

BF1 besucht derzeit einen Deutschkurs für das Sprachniveau A2 und nimmt auch an einem weiteren Deutschkurs, der von Freiwilligen abgehalten wird, teil. Er hat die Prüfung für das Sprachniveau A1 erfolgreich absolviert. Er ist seit Juni 2017 im Rahmen von gemeinnützigen Hilfstätigkeiten am Bauhof seiner Wohnortgemeinde tätig. Für diese Tätigkeiten erhält BF1 eine geringfügige Entlohnung. In seiner Freizeit spielt er mit Freunden und Bekannten Fußball.

BF2 hat bisher einen zweimonatigen Deutschkurs für das Sprachniveau A0 und zwei Wochen lang einen Deutschkurs bei einer privaten Lehrerin besucht. Sie kann sich auf Deutsch vorstellen und ihren Namen schreiben. Darüber hinaus verfügt sie über keine Deutschkenntnisse. Sie kümmert sich in Österreich überwiegend um den Haushalt und ihre Kinder. Sie geht mit ihren drei Söhnen in den Park, wo diese mit Freunden aus dem Kindergarten Fußball spielen. Ansonsten beschränken sich ihre sozialen Kontakte auf freiwillige Helfer, mit denen sie seit kurzem Zeit verbringt, und die BF2 auch motivieren, die Sprache zu lernen und etwas mit ihnen zu unternehmen, wie z.B. Nordic Walking. BF2 und ihre Familie nehmen an örtlichen Festen, wie Feuerwehrfest und Kinderfesten, teil. BF2 ist am Beruf der Frisörin interessiert, hat aber noch keine konkreten Vorstellungen für ihre berufliche Zukunft oder konkrete Schritte unternommen, sich über eine diesbezügliche Ausbildung zu informieren.

BF3 besucht seit Ende des Schuljahres 2015/2016 die Neue Mittelschule mit dem Schwerpunkt Deutsch als Zweitsprache. BF7 geht seit September 2017 in die Volksschule. BF4 bis BF6 besuchen den Kindergarten.

Die Beschwerdeführer sind grundsätzlich gesund. Sie leiden an keiner chronischen psychischen oder physischen Erkrankung. Sie stehen nicht in ständiger medizinischer Behandlung. BF1 hat eine Pollen- und Gräserallergie.

Die Beschwerdeführer sind unbescholten, BF4 bis BF7 sind strafunmündig.

II.1.3. Zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer:

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer in Afghanistan wegen der Tätigkeit des BF1 als Fernfahrer für Benzintransporte konkreter psychischer oder physischer Gewalt seitens der Taliban ausgesetzt waren oder bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat einer solchen Bedrohung ausgesetzt sein würden. Das Fluchtvorbingen wird mangels Glaubwürdigkeit nicht festgestellt.

Die weiblichen Beschwerdeführerinnen (BF2 und BF7) wären im Herkunftsstaat auch allein aufgrund ihres Geschlechts keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt. Es kann auf Basis der unter Pkt. II.1.2. getroffenen Feststellungen nicht glaubhaft dargelegt werden, dass BF2 während ihres Aufenthalts in Österreich ein westliches Verhalten oder westliche Lebensführung so angenommen hat, dass es als Verletzung der sozialen Normen angesehen würde und ein solch wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden ist, dass es für sie eine Verfolgung im Herkunftsstaat bedeuten würde, dieses Verhalten unterdrücken zu müssen.

Die Beschwerdeführer haben vor ihrer Ausreise in der Provinz Kapisa gelebt. In Afghanistan besteht Schulpflicht, in Kapisa ist ein Schulangebot faktisch auch vorhanden und der Zugang zu diesem grundsätzlich möglich. Vor diesem Hintergrund besteht nicht die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung, wenn BF2 ihrer Tochter BF7 bei einer Rückkehr eine grundlegende Bildung zukommen lässt. BF1 und BF2 würden auch aktuell ihrer Tochter den Schulbesuch in Afghanistan gestatten.

BF7 ist eine unmündige Minderjährige von acht Jahren, die in Österreich die Volksschule besucht. Es kann nicht festgestellt werden, dass es BF7 unmöglich oder unzumutbar wäre, sich wieder in das afghanische Gesellschaftssystem zu integrieren.

Weiters konnte nicht festgestellt werden, dass BF3 bis BF7 auf Grund ihres Alters bzw. vor dem Hintergrund der Situation der Kinder in Afghanistan einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wären.

II.1.4. Zur Rückkehrsituation der Beschwerdeführer:

Es kann nicht festgestellt werden, dass BF1 und BF2 im Falle einer Rückkehr in die Stadt Kabul Gefahr liefen, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. BF1 ist in der Lage, in Kabul am Erwerbsleben teilzunehmen und für den notwendigsten Unterhalt für sich und BF2 zu sorgen. BF1 ist ein junger, arbeitsfähiger, gesunder Mann, der auch bereits über mehrjährige Berufserfahrung verfügt. Er hat bereits in Kabul gearbeitet, und ist mit den örtlichen Gegebenheiten und dem Arbeitsmarkt in dieser Stadt vertraut. Außerdem können BF1 und BF2 durch die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe zumindest übergangsweise das Auslangen finden. BF2 wurde auch bisher stets von männlichen Verwandten, zuletzt von ihrem Ehemann, versorgt.

Es kann aber nicht festgestellt werden, dass BF3 bis BF7 bei einer Rückkehr nach Afghanistan in die Stadt Kabul keinem realen Risiko ausgesetzt wären, in eine solche existenzbedrohende Notlage zu geraten. In Afghanistan sind vor allem Kinder besonders von Unterernährung betroffen. Ungefähr zehn Prozent der Kinder sterben vor ihrem fünften Geburtstag. Bei BF3 bis BF7 handelt es sich um (unmündige) Minderjährige, die im Familienverband mit ihren Eltern bzw. ihrem Obsorgeberechtigten leben und über kein eigenes Vermögen und keine eigene Möglichkeit der Existenzsicherung verfügen. Bei BF2 handelt es sich um eine Frau ohne Schul- und Berufsbildung und ohne Berufserfahrung, die aber auch bisher von männlichen Angehörigen (zunächst vom Vater, dann vom Ehemann) versorgt wurde. BF1 ist zwar ein junger, arbeitsfähiger, gesunder Mann, der auch bereits über Berufserfahren verfügt, und bei dem davon ausgegangen werden kann, dass er für sich selbst und BF2 sorgen kann. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass er dort auch eine siebenköpfige Familie ernähren kann, wobei besonders ins Gewicht fällt, dass BF4 bis BF7 noch Kleinkinder sind, die von Gefahren wie Unterernährung besonders betroffen sind.

In Afghanistan leben zwar noch die zwei Brüder und zwei Schwestern von BF2, zu denen allerdings kein Kontakt besteht. Ihre Brüder arbeiten als Köche, ihre wirtschaftlichen Verhältnisse gestalten sich nicht derart, dass sie einer siebenköpfigen Familie mit Kleinkindern finanzielle Hilfe und/oder Wohnraum zur Verfügung stellen können. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Angehörigen von BF2 die Beschwerdeführer beim Aufbau einer Existenzgrundlage unterstützen können.

Die betagten Eltern und die verheiratete Schwester von BF1 leben in Kapisa. Die Familie besitzt dort landwirtschaftliche Grundstücke. Es konnte nicht festgestellt werden, dass es über den Eigenbedarf hinausgehende Erträge aus der familieneigenen Landwirtschaft gibt, und dass diese ausreichend wären, um die Beschwerdeführer beim Aufbau einer Existenzgrundlage in Kabul zu unterstützen.

Ein Bruder von BF1 lebt in Kabul, wo er eine Tankstelle betreibt. Seine wirtschaftlichen Verhältnisse gestalten sich jedoch nicht derart, dass er einer siebenköpfigen Familie mit Kleinkindern finanzielle Hilfe und/oder Wohnraum zur Verfügung stellen kann. Auch die Einnahmen aus der Tankstelle genügen diesem Zweck nicht. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Angehörigen von BF1 die Beschwerdeführer beim Aufbau einer Existenzgrundlage in Afghanistan unterstützen können.

II.1.5. Zur Lage im Herkunftsstaat:

II.1.5.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 30.01.2018 [Schreibfehler teilweise korrigiert]:

KI vom 30.01.2018: Angriffe in Kabul (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)

Landesweit haben in den letzten Monaten Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (The Guardian; vgl. BBC 29.1.2018). Die Gewalt Aufständischer gegen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen hat in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban erhöhen ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (Asia Pacific 30.1.2018).

Im Stadtzentrum und im Diplomatenviertel wurden Dutzende Hindernisse, Kontrollpunkte und Sicherheitskameras errichtet. Lastwagen, die nach Kabul fahren, werden von Sicherheitskräften, Spürhunden und weiteren Scannern kontrolliert, um sicherzustellen, dass keine Sprengstoffe, Raketen oder Sprengstoffwesten transportiert werden. Die zeitaufwändigen Kontrollen führen zu langen Wartezeiten; sollten die korrekten Papiere nicht mitgeführt werden, so werden sie zum Umkehren gezwungen. Ebenso werden die Passagiere in Autos von der Polizei kontrolliert (Asia Pacific 30.1.2018).

Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie 29.1.2019

Am Montag den 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

Quellen zufolge operiert der IS in den Bergen der östlichen Provinz Nangarhar (The Guardian 29.1.2018); die Provinzhauptstadt Jalalabad wird als eine Festung des IS erachtet, dessen Kämpfer seit 2015 dort aktiv sind (BBC 24.1.2018). Nachdem der IS in Ostafghanistan unter anhaltenden militärischen Druck gekommen war, hatte dieser immer mehr Angriffe in den Städten für sich beansprucht. Nationale und Internationale Expert/innen sehen die Angriffe in den Städten als Überlappung zwischen dem IS und dem Haqqani-Netzwerk (einem extremen Arm der Taliban) (NYT 28.1.2018).

Angriff im Regierungs- und Diplomatenviertel in Kabul am 27.1.2018

Bei einem der schwersten Angriffe der letzten Monate tötete am Samstag den 27.1.2018 ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 28.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (The Guardian 27.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Der Vorfall ereignete sich im Regierungs- und Diplomatenviertel und wird als einer der schwersten seit dem Angriff vom Mai 2017 betrachtet, bei dem eine Bombe in der Nähe der deutschen Botschaft explodiert war und 150 Menschen getötet hatte (Reuters 28.1.2018).

Die Taliban verlautbarten in einer Aussendung, der jüngste Angriff sei eine Nachricht an den US-amerikanischen Präsidenten, der im letzten Jahr mehr Truppen nach Afghanistan entsendete und Luftangriffe sowie andere Hilfestellungen an die afghanischen Sicherheitskräfte verstärkte (Reuters 28.1.2018).

Angriff auf die NGO Save the Children am 24.1.2018

Am Morgen des 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden dabei getötet und zwölf weitere verletzt. Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich 50 Mitarbeiter/innen im Gebäude. Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018).

Der jüngste Angriff auf eine ausländische Hilfseinrichtung in Afghanistan unterstreicht die wachsende Gefahr, denen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in Afghanistan ausgesetzt sind (The Guardian 24.1.2018).

Das Gelände der NGO Save the Children befindet sich in jener Gegend von Jalalabad, in der sich auch andere Hilfsorganisationen sowie Regierungsgebäude befinden (BBC 24.1.2018). In einer Aussendung des IS werden die Autobombe und drei weitere Angriffe auf Institutionen der britischen, schwedischen und afghanischen Regierungen (Reuters 24.1.2018).

Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul am 20.1.2018

Der Angriff bewaffneter Männer auf das Luxushotel Intercontinental in Kabul, wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018).Fünf bewaffnete Männer mit Sprengstoffwesten hatten sich Zutritt zu dem Hotel verschafft (DW 21.1.2018). Die exakte Opferzahl ist unklar. Einem Regierungssprecher zufolge sollen 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet worden sein. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden(BBC 21.1.2018). Alle Fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

Wie die Angreifer die Sicherheitsvorkehrungen durchbrechen konnten, ist Teil von Untersuchungen. Erst seit zwei Wochen ist eine private Firma für die Sicherheit des Hotels verantwortlich. Das Intercontinental in Kabul ist trotz des Namens nicht Teil der weltweiten Hotelkette, sondern im Besitz der afghanischen Regierung. In diesem Hotel werden oftmals Hochzeiten, Konferenzen und politische Zusammentreffen abgehalten (BBC 21.1.2018). Zum Zeitpunkt des Angriffes war eine IT-Konferenz im Gange, an der mehr als 100 IT-Manager und Ingenieure teilgenommen hatten (Reuters 20.1.2018; vgl. NYT 21.1.2018).

Insgesamt handelte es sich um den zweiten Angriff auf das Hotel in den letzten acht Jahren (NYT 21.1.2018). Zu dem Angriff im Jahr 2011 hatten sich ebenso die Taliban bekannt (Reuters 20.1.2018).

Unter den Opfern waren ausländische Mitarbeiter/innen der afghanischen Fluggesellschaft Kam Air, u.a. aus Kirgisistan, Griechenland (DW 21.1.2018), der Ukraine und Venezuela. Die Fluglinie verbindet jene Gegenden Afghanistans, die auf dem Straßenweg schwer erreichbar sind (NYT 29.1.2018).

KI vom 21.12.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2017 (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil - der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierende Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vgl. SCR 30.11.2017).

Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilist/innen und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurück zu führen (SIGAR 30.10.2017).

Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT 11.12.2017).

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sich von einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindlichen Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen - in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahr eine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.9. - 15.11.2017) 3.995 sicherheitsrelevante Vorfälle; ein Rückgang von 4% gegenüber dem Vorjahreswert. Insgesamt wurden von 1.1.-15.11.2017 mehr als 21.105 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, was eine Erhöhung von 1% gegenüber dem Vorjahreswert andeutet. Laut UN sind mit 62% bewaffnete Zusammenstöße die Hauptursache aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs [Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen], die in 17% der sicherheitsrelevanten Vorfälle Ursache waren. Die östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von den südlichen Regionen - zusammen wurde in diesen beiden Regionen 56% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Gezielte Tötungen und Entführungen haben sich im Vergleich zum Vorjahreswert um 16% erhöht (UN GASC 20.12.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden vom 1.1.-30.11.2017 24.917 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan registriert (Stand: Dezember 2017) (INSO o.D.).

Zivilist/innen

Im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des letzten Jahres registrierte die UNAMA zwischen 1.1. und 30.9.2017 8.019 zivile Opfer (2.640 Tote und 5.379 Verletzte). Dies deutet insgesamt einen Rückgang von fast 6% gegenüber dem Vorjahreswert an (UNAMA 10.2017); konkret hat sich die Anzahl getöteter Zivilist/innen um 1% erhöht, während sich die Zahl verletzter Zivilist/innen um 9% verringert hat (UN GASC 20.12.2017).Wenngleich Bodenoffensiven auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer waren - führte der Rückgang der Anzahl von Bodenoffensiven zu einer deutlichen Verringerung von 15% bei zivilen Opfern. Viele Zivilist/innen fielen Selbstmordattentaten, sowie komplexen Angriffen und IEDs zum Opfer - speziell in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Kandahar und Faryab (UNAMA 10.2017).

Zivile Opfer, die regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben wurden, sind um 37% zurückgegangen: Von insgesamt 849 waren 228 Tote und 621 Verletzte zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden, um 7%: von den 1.150 zivilen Opfer starben 225, während 895 verletzt wurden. Die restlichen Opfer konnten keiner Tätergruppe zugeschrieben werden (UNAMA 10.2017).

High-profile Angriffe:

Am 31.10.2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der "Green Zone" der Hauptstadt Kabul in die Luft. Der angebliche Täter soll Quellen zufolge zwischen 12-13 Jahren alt gewesen sein. Mindestens vier Menschen starben bei dem Angriff und ein Dutzend weitere wurden verletzt. Dies war der erste Angriff in der "Green Zone" seit dem schweren Selbstmordattentat im Mai 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017). der IS bekannte sich zu diesem Vorfall Ende Oktober 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017; UN GASC 20.12.2017)

Am 20.10.2017 sprengte sich ein Angreifer in der Shia Imam Zamam Moschee in Kabul in die Luft; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet und 45 weitere verletzt. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017; UN GASC 20.12.2017). In dem Distrikt Solaina, in der westlichen Provinz Ghor, wurde ebenso eine Moschee angegriffen - in diesem Fall handelt es sich um eine sunnitische Moschee. Die tatsächliche Opferzahl ist umstritten: je nach Quellen sind zwischen 9 und 39 Menschen bei dem Angriff gestorben (Independent 20.10.2017; vgl. NYT 20.10.2017; al Jazeera 20.10.2017).

Am 19.10.2017 wurde im Rahmen eines landesweit koordinierten Angriffes der Taliban 58 afghanische Sicherheitskräfte getötet: ein militärisches Gelände, eine Polizeistationen und ein militärischer Stützpunkt in Kandahar wären beinahe überrannt worden (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017). Einige Tage vor diesem Angriff töteten ein Selbstmordattentäter und ein Schütze mindestens 41 Menschen, als sie ein Polizeiausbildungszentrum in der Provinzhauptstadt Gardez stürmten (Provinz Paktia) (BBC 21.10.2017). In der Woche davor wurden 14 Offiziere der Militärakademie auf dem Weg nach Hause getötet, als ein Selbstmordattentäter den Minibus in die Luft sprengte in dem sie unterwegs waren (NYT 20.10.2017). Die afghanische Armee und Polizei haben dieses Jahr schwere Verlusten aufgrund der Taliban erlitten (BBC 21.10.2017).

Am 7.11.2017 griffen als Polizisten verkleidete Personen/regierungsfeindliche Kräfte eine Fernsehstation "Shamshad TV" an; dabei wurde mindestens eine Person getötet und zwei Dutzend weitere verletzt. Die afghanischen Spezialkräfte konnten nach drei Stunden Kampf, die Angreifer überwältigen. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Guardian 7.11.2017; vgl. NYT 7.11.2017; UN GASC 20.12.2017).

Bei einem Selbstmordangriff im November 2017 wurden mindestens neun Menschen getötet und einige weitere verletzt; die Versammelten hatten einem Treffen beigewohnt, um den Gouverneur der Provinz Balkh - Atta Noor - zu unterstützen; auch hier bekannte sich der IS zu diesem Selbstmordattentat (Reuters 16.11.2017; vgl. UN GASC 20.12.2017)

Interreligiöse Angriffe

Serienartige gewalttätige Angriffe gegen religiöse Ziele, veranlassten die afghanische Regierung neue Maßnahmen zu ergreifen, um Anbetungsorte zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempeln vor Angriffen zu schützen (UN GASC 20.12.2017).

Seit 1.1.2016 wurden im Rahmen von Angriffen gegen Moscheen, Tempel und andere Anbetungsorte 737 zivile Opfer verzeichnet (242 Tote und 495 Verletzte); der Großteil von ihnen waren schiitische Muslime, die im Rahmen von Selbstmordattentaten getötet oder verletzt wurden. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017).

Im Jahr 2016 und 2017 registrierte die UN Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Seit 1.1.2016 wurden 27 gezielte Tötungen religiöser Personen registriert, wodurch 51 zivile Opfer zu beklagen waren (28 Tote und 23 Verletzte); der Großteil dieser Vorfälle wurde im Jahr 2017 verzeichnet und konnten großteils den Taliban zugeschrieben werden. Religiösen Führern ist es möglich, öffentliche Standpunkte durch ihre Predigten zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Informationen zur Stärke der ANDSF und ihrer Opferzahlen werden von den US-amerikanischen Kräften in Afghanistan (USFOR-A) geheim gehalten; im Bericht des US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR) werden Schätzungen angegeben:

Die Stärke der ANDSF ist in diesem Quartal zurückgegangen; laut USFOR-A Betrug die Stärke der ANDSF mit Stand August 2017 etwa 320.000 Mann - dies deutet einen Rückgang von 9.000 Mann gegenüber dem vorhergehenden Quartal an. Dennoch erhöhte sich der Wert um

3.500 Mann gegenüber dem Vorjahr (SIGAR 30.10.2017). Die Schwundquote der afghanischen Nationalpolizei war nach wie vor ein großes Anliegen; die Polizei litt unter hohen Opferzahlen (UN GASC 20.12.2017).

Im Rahmen eines Memorandum of Understanding (MoU) zwischen dem afghanischen Verteidigungs- und Innenministerium wurde die afghanische Grenzpolizei (Afghan Border Police) und die afghanische Polizei für zivile Ordnung (Afghan National Civil Order Police) dem Verteidigungsministerium übertragen (UN GASC 20.12.2017). Um sogenanntem "Geisterpersonal" vorzubeugen, werden seit 1.1.2017 Gehälter nur noch an jenes Personal im Innen- und Verteidigungsministerium ausbezahlt, welches ordnungsgemäß registriert wurde (SIGAR 30.10.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Taliban

Der UN zufolge versuchten die Taliban weiterhin von ihnen kontrolliertes Gebiet zu halten bzw. neue Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen - was zu einem massiven Ressourcenverbrauch der afghanischen Regierung führte, um den Status-Quo zu halten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive unternahmen die Taliban keine größeren Versuche, um eine der Provinzhauptstädte einzunehmen. Dennoch war es ihnen möglich kurzzeitig mehrere Distriktzentren einzunehmen (SIGAR 30.10.2017):

Die Taliban haben mehrere groß angelegte Operationen durchgeführt, um administrative Zentren einzunehmen und konnten dabei kurzzeitig den Distrikt Maruf in der Provinz Kandahar, den Distrikt Andar in Ghazni, den Distrikt Shib Koh in der Farah und den Distrikt Shahid-i Hasas in der Provinz Uruzgan überrennen. In allen Fällen gelang es den afghanischen Sicherheitskräften die Taliban zurück zu drängen - in manchen Fällen mit Hilfe von internationalen Luftangriffen. Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es, das Distriktzentrum von Ghorak in Kandahar unter ihre Kontrolle zu bringen - dieses war seit November 2016 unter Talibankontrolle (UN GASC 20.12.2017).

Im Rahmen von Sicherheitsoperationen wurden rund 30 Aufständische getötet; unter diesen befand sich - laut afghanischen Beamten - ebenso ein hochrangiger Führer des Haqqani-Netzwerkes (Tribune 24.11.2017; vgl. BS 24.11.2017). Das Haqqani-Netzwerk zählt zu den Alliierten der Taliban (Reuters 1.12.2017).

Aufständische des IS und der Taliban bekämpften sich in den Provinzen Nangarhar und Jawzjan (UN GASC 20.12.2017). Die tatsächliche Beziehung zwischen den beiden Gruppierungen ist wenig nachvollziehbar - in Einzelfällen schien es, als ob die Kämpfer der beiden Seiten miteinander kooperieren würden (Reuters 23.11.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Der IS war nach wie vor widerstandsfähig und bekannte sich zu mehreren Angriff auf die zivile Bevölkerung, aber auch auf militärische Ziele [Anm.: siehe High-Profile Angriffe] (UN GASC 20.12.2017). Unklar ist, ob jene Angriffe zu denen sich der IS bekannt hatte, auch tatsächlich von der Gruppierung ausgeführt wurden bzw. ob diese in Verbindung zur Führung in Mittleren Osten stehen. Der afghanische Geheimdienst geht davon aus, dass in Wahrheit manche der Angriffe tatsächlich von den Taliban oder dem Haqqani-Netzwerk ausgeführt wurden, und sich der IS opportunistischerweise dazu bekannt hatte. Wenngleich Luftangriffe die größten IS-Hochburgen in der östlichen Provinz Nangarhar zerstörten; hielt das die Gruppierungen nicht davon ab ihre Angriffe zu verstärken (Reuters 1.12.2017).

Sicherheitsbeamte gehen davon aus, dass der Islamische Staat in neun Provinzen in Afghanistan eine Präsenz besitzt: im Osten von Nangarhar und Kunar bis in den Norden nach Jawzjan, Faryab, Badakhshan und Ghor im zentralen Westen (Reuters 23.11.2017). In einem weiteren Artikel wird festgehalten, dass der IS in zwei Distrikten der Provinz Jawzjan Fuß gefasst hat (Reuters 1.12.2017).

Politische Entwicklungen

Der Präsidentenpalast in Kabul hat den Rücktritt des langjährigen Gouverneurs der Provinz Balkh, Atta Mohammad Noor, Anfang dieser Woche bekanntgegeben. Der Präsident habe den Rücktritt akzeptiert. Es wurde auch bereits ein Nachfolger benannt (NZZ 18.12.2017). In einer öffentlichen Stellungnahme wurde Mohammad Daud bereits als Nachfolger genannt (RFE/RL 18.12.2017). Noor meldete sich zunächst nicht zu Wort (NZZ 18.12.2017).

Wenngleich der Präsidentenpalast den Abgang Noors als "Rücktritt" verlautbarte, sprach dieser selbst von einer "Entlassung" - er werde diesen Schritt bekämpfen (RFE/RL 20.12.2017). Atta Noors Partei, die Jamiat-e Islami, protestierte und sprach von einer "unverantwortlichen, hastigen Entscheidung, die sich gegen die Sicherheit und Stabilität in Afghanistan sowie gegen die Prinzipien der Einheitsregierung" richte (NZZ 18.12.2017).

Die Ablösung des mächtigen Gouverneurs der nordafghanischen Provinz Balch droht Afghanistan in eine politische Krise zu stürzen (Handelsblatt 20.12.2017). Sogar der Außenminister Salahuddin Rabbani wollte nach Angaben eines Sprechers vorzeitig von einer Griechenlandreise zurückkehren (NZZ 18.12.2017).

Atta Noor ist seit dem Jahr 2004 Gouverneur der Provinz Balkh und gilt als Gegner des Präsidenten Ashraf Ghani, der mit dem Jamiat-Politiker Abdullah Abdullah die Einheitsregierung führt (NZZ 18.12.2017). Atta Noor ist außerdem ein enger Partner der deutschen Entwicklungshilfe und des deutschen Militärs im Norden von Afghanistan (Handelsblatt 20.12.2017).

In der Provinz Balkh ist ein militärischer Stützpunkt der Bundeswehr (Handelsblatt 20.12.2017).

KI vom 25.9.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2017 (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab - auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017).

Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderen gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017).

Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5%

erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs - improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen - nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1.-31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o.D.).

Zivilist/innen

Landesweit war der bewaffnete Konflikt weiterhin Ursache für Verluste in der afghanischen Zivilbevölkerung. Zwischen dem 1.1. und 30.6.2017 registrierte die UNAMA 5.243 zivile Opfer (1.662 Tote und 3.581 Verletzte). Dies bedeutet insgesamt einen Rückgang bei zivilen Opfern von fast einem 1% gegenüber dem Vorjahreswert. Dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan fielen zwischen 1.1.2009 und 30.6.2017 insgesamt 26.512 Zivilist/innen zum Opfer, während in diesem Zeitraum 48.931 verletzt wurden (UNAMA 7.2017).

Im ersten Halbjahr 2017 war ein Rückgang ziviler Opfer bei Bodenoffensiven zu verzeichnen, während sich die Zahl ziviler Opfer aufgrund von IEDs erhöht hat (UNAMA 7.2017).

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer - speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.048 registrierten zivilen Opfer (219 Tote und 829 Verletzte), resultierten 94% aus Selbstmordattentaten und Angriffen durch regierungsfeindliche Elemente. Nach der Hauptstadt Kabul verzeichneten die folgenden Provinzen die höchste Zahl ziviler Opfer: Helmand, Kandahar, Nangarhar, Uruzgan, Faryab, Herat, Laghman, Kunduz und Farah. Im ersten Halbjahr 2017 erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer in 15 von Afghanistans 34 Provinzen (UNAMA 7.2017)

High-profile Angriffe:

Der US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR), verzeichnete in seinem Bericht für das zweite Quartal des Jahres 2017 mehrere high-profil Angriffe; der Großteil dieser fiel in den Zeitraum des Ramadan (Ende Mai bis Ende Juni). Einige extremistische Organisationen, inklusive dem Islamischen Staat, behaupten dass Kämpfer, die während des Ramadan den Feind töten, bessere Muslime wären (SIGAR 31.7.2017).

Im Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) wurden von den Vereinten Nationen folgende High-profile Angriffe verzeichnet:

Ein Angriff auf die schiitische Moschee in der Stadt Herat, bei dem mehr als 90 Personen getötet wurden (UN GASC 21.9.2017; vgl.: BBC 2.8.2017). Zu diesem Attentat bekannte sich der ISIL-KP (BBC 2.8.2017). Taliban und selbsternannte ISIL-KP Anhänger verübten einen Angriff auf die Mirza Olang Region im Distrikt Sayyad in der Provinz Sar-e Pul; dabei kam es zu Zusammenstößen mit regierungsfreundlichen Milizen. Im Zuge dieser Kämpfe, die von 3.-5.August anhielten, wurden mindestens 36 Menschen getötet (UN GASC 21.9.2017). In Kabul wurde Ende August eine weitere schiitische Moschee angegriffen, dabei wurden mindestens 28 Zivilist/innen getötet; auch hierzu bekannte sich der ISIL-KP (UN GASC 21.9.2017; vgl.: NYT 25.8.2017).

Manche high-profile Angriffe waren gezielt gegen Mitarbeiter/innen der ANDSF und afghanischen Regierungsbeamte gerichtet; Zivilist/innen in stark bevölkerten Gebieten waren am stärksten von Angriffen dieser Art betroffen (SIGAR 31.7.2017).

"Green Zone" in Kabul

Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound - auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul - dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).

Eine erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll - in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vgl. Reuters 6.8.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Die Stärkung der ANDSF ist ein Hauptziel der Wiederaufbaubemühungen der USA in Afghanistan, damit diese selbst für Sicherheit sorgen können (SIGAR 20.6.2017). Die Stärke der afghanischen Nationalarmee (Afghan National Army - ANA) und der afghanischen Nationalpolizei (Afghan National Police - ANP), sowie die Leistungsbereitschaft der Einheiten, ist leicht gestiegen (SIGAR 31.7.2017).

Die ANDSF wehrten Angriffe der Taliban auf Schlüsseldistrikte und große Bevölkerungszentren ab. Luftangriffe der Koalitionskräfte trugen wesentlich zum Erfolg der ANDSF bei. Im Berichtszeitraum von SIGAR verdoppelte sich die Zahl der Luftangriffe gegenüber dem Vergleichswert für 2016 (SIGAR 31.7.2017).

Die Polizei wird oftmals von abgelegen Kontrollpunkten abgezogen und in andere Einsatzgebiete entsendet, wodurch die afghanische Polizei militarisiert wird und seltener für tatsächliche Polizeiarbeit eingesetzt wird. Dies erschwert es, die Loyalität der Bevölkerung zu gewinnen. Die internationalen Truppen sind stark auf die Hilfe der einheimischen Polizei und Truppen angewiesen (The Guardian 3.8.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Taliban

Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban - im Gegensatz zum Jahr 2016 - keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh. Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Die Operationen des ISIL-KP in Afghanistan sind weiterhin auf die östliche Region Afghanistans beschränkt - nichtsdestotrotz bekannte sich die Gruppierung landesweit zu acht nennenswerten Vorfällen, die im Berichtszeitraum von den UN registriert wurden. ISIL-KP verdichtete ihre Präsenz in der Provinz Kunar und setze ihre Operationen in Gegenden der Provinz Nangarhar fort, die von den ANDSF bereits geräumt worden waren. Angeblich wurden Aktivitäten des ISIL-KP in den nördlichen Provinzen Jawzjan und Sar-e Pul, und den westlichen Provinzen Herat und Ghor berichtet (UN GASC 21.9.2017).

Im sich zuspitzenden Kampf gegen den ISIL-KP können sowohl die ANDSF, als auch die Koalitionskräfte auf mehrere wichtige Erfolge im zweiten Quartal verweisen (SIGAR 31.7.2017): Im Juli wurde im Rahmen eines Luftangriffes in der Provinz Kunar der ISIL-KP-Emir, Abu Sayed, getötet. Im August wurden ein weiterer Emir des ISIL-KP, und drei hochrangige ISIL-KP-Führer durch einen Luftangriff getötet. Seit Juli 2016 wurden bereits drei Emire des ISIL-KP getötet (Reuters 13.8.2017); im April wurde Sheikh Abdul Hasib, gemeinsam mit 35 weiteren Kämpfern und anderen hochrangigen Führern in einer militärischen Operation in der Provinz Nangarhar getötet (WT 8.5.2017; vgl. SIGAR 31.7.2017). Ebenso in Nangarhar, wurde im Juni der ISIL-KP-Verantwortliche für mediale Produktionen, Jawad Khan, durch einen Luftangriff getötet (SIGAR 31.7.2017; vgl.: Tolonews 17.6.2017).

Politische Entwicklungen

Die Vereinten Nationen registrierten eine Stärkung der Nationalen Einheitsregierung. Präsident Ghani und CEO Abdullah einigten sich auf die Ernennung hochrangiger Posten - dies war in der Vergangenheit Grund für Streitigkeiten zwischen den beiden Führern gewesen (UN GASC 21.9.2017).

Die parlamentarische Bestätigung einiger war nach wie vor ausständig; derzeit üben daher einige Minister ihr Amt kommissarisch aus. Die unabhängige afghanische Wahlkommission (IEC) verlautbarte, dass die Parlaments- und Distriktratswahlen am 7. Juli 2018 abgehalten werden (UN GASC 21.9.2017).

KI vom 27.6.2017: Afghanische Flüchtlinge im Iran (betrifft: Abschnitt 23 Rückkehrer)

Aus gegebenem Anlass darf auf folgendes hingewiesen werden:

Informationen zur Situationen afghanischer Flüchtlinge im Iran können dem Länderinformationsblatt Iran entnommen werden (LIB Iran - Abschnitt 21/Flüchtlinge).

Länderkundliche Informationen, die Afghanistan als Herkunftsstaat betreffen, sind auch weiterhin dem Länderinformationsblatt Afghanistan zu entnehmen.

KI vom 22.6.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q2.2017 (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)

Den Vereinten Nationen zufolge war die Sicherheitslage in Afghanistan im Berichtszeitraum weiterhin volatil: zwischen 1.3. und 31.5.2017 wurden von den Vereinten Nationen 6.252 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 2% gegenüber dem Vorjahreswert. Bewaffnete Zusammenstöße machten mit 64% den Großteil registrierter Vorfälle aus, während IEDs [Anm.:

improvised explosive device] 16% der Vorfälle ausmachten - ge

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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