Entscheidungsdatum
05.11.2018Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13Spruch
W226 2204246-1/9E
W226 2204389-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX und
2.) XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.08.2018,
1.) Zl. 1165682004-170996014 und 2.) Zl. 1165682102-170996035, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerden gegen Spruchpunkte I.-III. werden als unbegründet abgewiesen. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 2 Wochen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die Erstbeschwerdeführerin (BF1) ist die Mutter des Zweitbeschwerdeführers (BF2). Am 27.08.2017 stellten die beiden nunmehrigen Beschwerdeführer die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz, wobei BF1 bereits am 28.08.2017 erstbefragt wurde.
Die BF1 schilderte dabei eine Ausreise aus dem Herkunftsstaat in die Ukraine. Sie seien mit dem Zug von XXXX nach XXXX gereist, die Ausreise sei legal erfolgt. Sie seien in weiterer Folge aus der Ukraine mit einem Schengenvisum legal nach Österreich gekommen, die Einreise sei am XXXX erfolgt, danach hätten sie sich in einem Haus des angeblichen Schleppers im Bundesgebiet aufgehalten, bis sie nunmehr den Antrag gestellt hätten.
Eine Abfrage ergab, dass die Beschwerdeführer mit einem italienischen Schengenvisum, ausgestellt am XXXX , und gültig vom XXXX bis XXXX legal in die Europäische Union eingereist sind.
Die BF1 schilderte in weiterer Folge, dass ihr Ehemann, der Vater des BF2, bereits im Jahr XXXX verstorben sei, in der Russischen Föderation würden sich noch ein weiterer Sohn von ihr, ein Bruder und zwei Schwestern, aufhalten. Den Entschluss für die Ausreise hätte sie im Juni 2017 gefasst, auf die Frage, wer die Kosten der Reise bezahlt habe, schilderte die BF1, dass ihr Schwager das bezahlt habe. Der Fluchtgrund wurde von der BF1 dahingehend geschildert, dass sie nach dem Tod ihres Mannes bei einem Schwager und dessen Familie gelebt habe. Auch ihre beiden Söhne hätten bei diesem Schwager gelebt. Vor dem heurigen Sommer hätte dieser Schwager gemeinsam mit seinen beiden Brüdern beschlossen, dass die beiden Söhne der BF zu einer Ausbidung zum IS nach Syrien geschickt werden sollten. Die drei Brüder des verstorbenen Ehemannes hätten anscheinend eine Verbindung zum IS. Als sie das erfahren habe, habe sie große Angst um die beiden Söhne bekommen. Ihre Schwager hätten gesagt, dass sie der BF1 die Kinder wegnehmen würden, sollte sie dagegen sein. Sie habe dann die beiden Söhne genommen und sei zur Schwester gefahren, wo sie sich bis zur Ausreise aus Russland aufgehalten habe. Der jüngere Sohn habe leider kein Visum erhalten und befinde sich zurzeit bei ihrer Schwester. Sie hoffe, dass auch der andere Sohn bald ein Visum bekomme und nachreisen könne. Sie selbst stamme aus Dagestan, auch die drei Brüder des verstorbenen Ehemannes würden in Dagestan leben.
Der BF2 schloss sich im Zuge der Erstbefragung im Wesentlichen den Angaben seiner Mutter an, diese habe beschlossen, dass sie von zu Hause fliehen müssten. Die BF1 habe ihm auch gesagt, dass der BF2 und sein Bruder dem Onkel nichts davon sagen dürften. Dieser Onkel wolle nämlich den BF2 und seinen Bruder nach Syrien schicken. Er aber wolle nicht nach Syrien, denn dort gebe es Krieg.
Im Zuge einer Einvernahme am 14.11.2017 schilderte die BF1, dass sie ein Visum für Italien bekommen habe, selbst aber nie in Italien gewesen sei. Sie befürchte, dass die Verwandten des verstorbenen Mannes wissen würden, dass sie sich in Italien befinde und dort würde man sie finden. Sie habe von der Schwester erfahren, dass die Verwandten wissen, dass sie nach Italien ausgereist sei. Deshalb sei sie auch nicht nach Italien gereist, weil ihre Schwester ihr das geschrieben habe.
In weiterer Folge wurden jeweils die Anträge auf internationalen Schutz vom 27.08.2017 gemäß § 5 Absatz 1 Asylgesetz als unzulässig zurückgewiesen und wurde Italien als zuständiger Staat für die Prüfung des Antrages festgestellt. Einer fristgerechten Beschwerde wurde mit Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.12.2017 keine Folge gegeben.
Da offensichtlich eine Überstellung der beiden Beschwerdeführer nach Italien nicht zeitgerecht möglich war, wurde in weiterer Folge das Verfahren der beiden Beschwerdeführer in Österreich zugelassen und erfolgte am 30.07.2018 eine Einvernahme der BF1 zu den Fluchtgründen.
Die BF1 verwies auf gesundheitliche Schwierigkeiten, vor 16 Jahren sei ihr die Gallenblase entfernt worden, sie habe seitdem immer wieder Bauchschmerzen. Sie habe auch Probleme mit der Brust. Auch mit den Augen habe sie Probleme, mit dem linken Auge sehe sie schwer, mit dem rechten Auge gar nicht. Diesbezüglich verwies die BF auf vorgelegte Dokumente bzw. auf Befunde, welche sie noch nachreichen würde. Sie stamme aus Dagestan, habe auch noch Kontakt zu ihren Schwestern und dem Bruder in Russland.
Die BF1 schilderte, niemals einer politischen Partei angehört zu haben, sei niemals erkennungsdienstlich behandelt worden, habe keine Vorstrafen und habe mit den staatlichen Organen keine Probleme.
Sie sei nur wegen der Verwandten des verstorbenen Mannes hier, denn diese hätten ihr die Kinder wegnehmen und sie nach Syrien zum Kämpfen schicken wollen. Nach dem Tod des eigenen Mannes habe sie seit XXXX beim Schwager gewohnt. Nunmehr habe sie erfahren, dass dieser ihre Kinder wegnehmen und nach Syrien schicken wollen. Das habe sie vor zwei Jahren erfahren.
Die Kinder hätten es ihr gesagt, denn die Brüder des verstorbenen Mannes seien gemeinsam mit den Söhnen zu Versammlungen gegangen. Als sie das alles erfahren habe, sei sie mit den beiden Söhnen zu ihrer Schwester gefahren und von dort sei sie dann ausgereist. Bei ihrer Schwester sei sie mehrere Monate aufhältig gewesen, die Brüder des verstorbenen Mannes hätten dauernd angerufen und gesagt, dass sie endlich zuückkommen sollen. Sie habe gesagt, dass sie mit den Söhnen nach den Ferien zurückkommen werde. Der Wohnort der Schwester sei eine Stunde mit dem Auto entfernt gewesen.
Eine Anzeige gegen die Brüder des verstorbenen Mannes habe sie nicht erstattet, denn die Verwandten des verstorbenen Mannes seien "sehr einflussreich" gewesen.
Es habe niemals konkrete Bedrohungen gegeben, es habe nie direkte Aussagen gegeben, dass die Kinder nach Syrien geschickt werden sollen. Die BF1 habe sich aber schlau gemacht, sie habe gelauscht und es sich nicht anmerken lassen, dass sie zugehört habe. Sie habe sich dann zur Schwester begeben und immer gesagt, dass sie nach den Ferien zurückkommen werde.
Auf die Frage, wo sich der zweite Sohn überhaupt aufhalte, gab die BF1 an, dass dieser kurz versteckt gewesen sei, momentan sei er bei der Schwester aufhältig, bei welcher sie sich vor der Ausreise aufgehalten habe. Die Verwandten hätten erfahren, dass der andere Sohn noch in Russland sei und hätten auch nach ihm gesucht. Sie hätten ihn auch bei der Schwester gesucht, aber er sei versteckt gewesen. Im letzten Jahr habe sich der andere Sohn in XXXX bei einem Verwandten aufgehalten, seit ein paar Tagen sei er wieder bei der Schwester. Der andere Sohn sei in Russland geblieben, weil er leider kein Visum bekommen habe, sie habe es fünf- bis sechsmal versucht, aber die Anträge auf Visum seien immer abgelehnt worden. Sie selbst könne sich nirgendwo in Russland verstecken, auch der andere Sohn könnte noch gefunden werden, aber die Verwandten würden glauben, dass sich der andere Sohn gar nicht mehr in Russland befindet.
Zu integrativen Aspekten verwies die BF darauf, dass sie im Lager in der Küche mitarbeite, familiäre Bindungen habe sie mit Ausnahme des BF2 nicht. Sie wolle hier in Österreich bleiben und den anderen Sohn nach Österreich nachbringen.
Die BF1 legte eine Vielzahl von Bestätigungen vor, wonach sie sich sehr oft in der Betreuungsstelle-Ost auf der dortigen Arztstation untersuchen ließ, auch diverse Voruntersuchungen und fachärztliche Untersuchungen wurden durchgeführt, auf diese wird im Rahmen der rechtlichen Beurteilung einzugehen sei.
Auch der BF2 wurde am 30.07.2018 zu den Fluchtgründen einvernommne. Dieser schilderte im Wesentlichen, dass er weiter mit dem Bruder in Kontakt stehe, sie hätten ein gutes Verhältnis. Er habe auch keinerlei Probleme mit den Behörden des Herkunftsstaates, den Asylantrag stelle er nur, weil ein Onkel väterlicherseits ihn irgendwohin schicken wolle. Wohin, das wisse er nicht. Seine Mutter habe es erfahren, deshalb seien sie dann ausgereist. Der Bruder lebe bei der Tante und es gehe ihm einigermaßen gut. Er wisse nicht, ob der Bruder in der Heimat gesucht werde.
2. Mit den nunmehr angefochtenen, im Familienverfahren ergangenen, Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 01.08.2018 wurden die Anträge auf internationalen Schutz der beschwerdeführenden Parteien in Spruchpunkt I. jeweils gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen. Gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG wurden die Anträge auf internationalen Schutz in Spruchpunkt II. jeweils hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen.
Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den beschwerdeführenden Parteien gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen die beschwerdeführenden Parteien jeweils eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen und unter einem gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass deren Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkte III.).
Einer Beschwerde wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 5 BFA-VG jeweils die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.) und keine Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt (Spruchpunkt V.).
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stellte die Identität und Staatsangehörigkeit der beschwerdeführenden Parteien fest und traf umfangreiche Feststellungen zur Lage in deren Herkunftsstaat.
Im Rahmen der Beweiswürdigung verwies die belangte Behörde darauf, dass das Vorbringen nicht glaubhaft sei. Hätte es tatsächlich bereits vor zwei Jahren das Vorhaben der drei Schwager der BF1 gegeben, deren beiden Söhne nach Syrien zu schicken, so sei davon auszugehen, dass dies bereits vor der nunmehrigen Ausreise aus Russland geschehen wäre. Der Wohnort der Schwester sei zudem nur eine Stunde mit dem Auto entfernt gewesen, es könne daher nicht nachvollzogen werden, warum die Schwager nicht einfach zur Schwester fahren und sich über den dortigen Aufenthalt erkundigen würden.
Die BF1 habe zudem mitgeteilt, dass sich der andere Sohn bis vor kurzem bei Verwandten in XXXX aufgehalten habe und nunmehr seit wenigen Tagen erneut bei der Schwester wohnhaft wäre. Unter der Behauptung, dass die drei Schwager sehr einflussreich seien und man die BF1 überall finden hätte können, wirke es als unglaubwürdig, dass man den anderen Sohn nicht habe finden können. Es könne auch nicht nachvollzogen werden, dass eine Mutter einen der beiden Söhne in einer solchen Situation zurücklassen würde, zumal die BF1 befürchte, dass man ihr die Kinder wegnehme und sie diese möglicherweise nie mehr wiedersehen würde. Die belangte Behörde gehe daher davon aus, dass der in Russland aufhältige Sohn sich gar nicht in einer lebensbedrohlichen Situation befinde. Wäre dies nämlich der Fall, könne davon ausgegangen werden, dass zumindest versucht worden wäre, den zweiten Sohn illegal mitzunehmen bzw. wäre dieser nicht zurückgelassen worden. Auch die Tatsache, dass die BF1 nicht einmal versucht habe, die Polizei zu kontaktieren, spreche gegen die Glaubwürdigkeit. Suspekt wirke auch, dass der andere Sohn sich im ca. 1.000 km von Dagestan entfernten XXXX aufgehalten hätte, die BF1 dies jedoch niemals selbst in Erwägung gezogen hätte. In XXXX geschehene Vorfälle seien nämlich nicht erwähnt worden. Es sei daher die Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative durchaus gegeben, sollte das Vorbringen entgegen der Einschätzung der erkennenden Behörde tatsächlich der Wahrheit entsprechen.
Die belangte Behörde verwies zu Spruchpunkt II. darauf, dass sich kein Behandlungsbedarf wegen einer lebensbedrohenden Erkrankung ergeben habe. Die Rückkehrentscheidung wurde dahingehend begründet, dass keine familiären Bindungen von den beiden Beschwerdeführern vorgebracht worden seien. Auch hätten sich keine Hinweise ergeben, dass ein Eingriff in das Privatleben gegeben wäre, bereits wegen der sehr kurzen Aufenthaltsdauer sei auch Artikel 8 EMRK nicht verletzt.
Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung wurde von der belangten Behörde dahingehend begründet, dass das Vorbringen offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht undd wurde daraus abgeleitet, dass gemäß § 55 Absatz 1a FPG die Verpflichtung zur unverzüglichen Ausreise bestehe.
Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, dabei beharren die beiden BF auf dem Wahrheitsgehalt ihres Vorbringens, sie seien in großer Gefahr, ausgehend von den Schwagern des verstorbenen Ehegatten/Vaters.
Mit Beschluss vom 29.08.2018 wurde den Beschwerden gemäß § 18 Absatz 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung durch das erkennende Gericht zuerkannt, am 02.10.2018 erfolgte die beantragte nochmalige Einvernahme im Zuge einer Beschwerdeverhandlung.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Anträge auf internationalen Schutz, der Einvernahmen der erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen die angefochtenen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.08.2018, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, Zentrale Fremdenregister, Strafregister und Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zu Grunde gelegt:
Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Russischen Föderation aus der Teilrepublik Dagestan und Angehörige der darginischen Volksgruppe sowie des islamischen Glaubens. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter des Zweitbeschwerdeführers. Im Herkunftsstaat halten sich nach wie vor die 2 Brüder und eine Schwester der Erstbeschwerdeführerin mit deren Familien auf, ebenso der Sohn/Bruder der beiden BF. Die BF1 verfügt über eine Ausbildung in Dagestan, hat bis zur Ausreise mit den beiden Söhnen dort leben können.
Die beschwerdeführenden Parteien stellten nach Einreise die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz und halten sich seither durchgehend im Bundesgebiet auf.
Die beschwerdeführenden Parteien waren in ihrem Herkunftsstaat in der Vergangenheit keiner Bedrohung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten ausgesetzt und drohen ihnen solche auch in Zukunft nicht.
Nicht festgestellt werden kann, dass die beschwerdeführenden Parteien im Fall ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würden oder von der Todesstrafe bedroht wären.
Der Gesundheitszustand der beschwerdeführenden Parteien steht einer Rückkehr in den Herkunftsstaat im Lichte von Art. 3 EMRK jeweils nicht entgegen.
Nicht festgestellt werden kann, dass eine ausgeprägte und verfestigte Integration der beschwerdeführenden Parteien in Österreich vorliegt. Diese leben von der Grundversorgung und sind nicht selbsterhaltungsfähig. Außerhalb ihrer Kernfamilie verfügen die beschwerdeführenden Parteien über keine familiäre oder sonstige enge soziale Bezugspunkte im Bundesgebiet. Die beschwerdeführenden Parteien haben sich - geringe - Kenntnisse der deutschen Sprache angeeignet, gingen jedoch keiner dauerhaften Erwerbstätigkeit oder ehrenamtlichen Tätigkeit nach und sind nicht Mitglieder in Vereinen.
Die beschwerdeführenden Parteien verfügen über kein schützenswertes Familien- und Privatleben in Österreich.
1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:
0. Politische Lage
Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH
1.2018) . Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).
Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und
Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5.2018b).
Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5.2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).
Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).
Quellen:
-
AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,
https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/
russischefoederation/201534. Zugriff 1.8.2018
-
CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/
publications/the-world-factbook/geos/rs.html. Zugriff 1.8.2018
-
EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file upload/1226 1489999668 easocoi-russia-stateactors-of-protection.pdf. Zugriff 1.8.2018
FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia,
-
https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html. Zugriff 1.8.2018
-
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland. Geschichte und Staat.
https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836. Zugriff 1.8.2018
-
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland. Gesellschaft.
https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/. Zugriff 1.8.2018
-
OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report. https://www.osce.org/odihr/elections/383577? download=true. Zugriff 29.8.2018
-
Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen".
https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin Das-russische-Volk-
schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen. Zugriff 1.8.2018
-
Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident.
https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident.
Zugriff
1.8.2018
-
Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin. https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html. Zugriff 1.8.2018
2.1. Tschetschenien
Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1.4 Millionen (GKS
25.1.2018) . wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben. die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation. die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen. bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien. teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich. und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95.3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an. ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1.9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen. des Weiteren leben einige Awar/innen. Nogaier/innen. Tabasar/innen. Türk/innen. Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).
In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen. das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).
Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).
Quellen:
-
AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
-
GKS - Staatliches Statistikamt (25.1.2018): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2018,
http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx. Zugriff 1.8.2018
-
ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation
-
Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In:
Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds.
http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/. Zugriff 1.8.2018
-
SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale. https:// www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf. Zugriff 1.8.2018
2.2. Dagestan
Dagestan ist mit ungefähr drei Millionen Einwohnern die größte kaukasische Teilrepublik und wegen seiner Lage am Kaspischen Meer für Russland strategisch wichtig. Dagestan ist das ethnisch vielfältigste Gebiet des Kaukasus (ACCORD 16.5.2018. vgl. IOM 6.2014). Im Unterschied zu den faktisch mono-ethnischen Republiken Tschetschenien und Inguschetien setzt sich die Bevölkerung Dagestans aus einer Vielzahl von Ethnien zusammen. In der Republik gibt es 60 verschiedene Nationalitäten. einschließlich der Vertreter der 30 alteingesessenen Ethnien. Alle sprechen unterschiedliche Sprachen. Dieser Umstand legt die Vielzahl der in Dagestan wirkenden Kräfte fest. begründet die Notwendigkeit eines Interessenausgleichs bei der Lösung entstehender Konflikte und stellt ein Hindernis für eine starke autoritäre Zentralmacht in der Republik dar. Allerdings findet dieser "Interessenausgleich" traditionellerweise nicht auf dem rechtlichen Wege statt. was in Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Clans münden kann (IOM 6.2014).
Dagestan ist hinsichtlich persönlicher Freiheiten bessergestellt als Tschetschenien, bleibt allerdings eine der ärmsten Regionen Russlands. In der die Sicherheitslage zwar angespannt ist. sich in jüngerer Zeit aber verbessert hat. War die weit überwiegende Anzahl von Gewaltopfern bei Auseinandersetzungen zwischen "Aufständischen" und Sicherheitskräften in den Jahren 2015 und 2016 in Dagestan zu verzeichnen. hat die Gewalt in den letzten Jahren abgenommen (AA 21.5.2018). Gründe für den Rückgang der Gewalt sind die konsequente Politik der Repression radikaler Elemente und das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte. aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak (ÖB Moskau 12.2017).
Was das politische Klima betrifft. gilt die Republik Dagestan im Vergleich zu Tschetschenien noch als relativ liberal. Die Zivilgesellschaft ist hier stärker vertreten als in Tschetschenien. Ebenso existiert - anders als in der Nachbarrepublik - zumindest eine begrenzte Pressefreiheit. Die ethnische Diversität stützt ein gewisses Maß an politischem Pluralismus und steht automatischen Herrschaftsverhältnissen entgegen. Im Jahr 2006 wurde Muchu Alijew vom Kreml als Präsident an die Spitze der Republik gesetzt. 2013 wurde er von Magomedsalam Magomedow ersetzt. Magomedow war vor allem mit Korruption und Vetternwirtschaft konfrontiert, die auch sein Vorgänger nicht lösen konnte. Anfang 2013 ersetzte der Kreml Magomedow durch Ramzan Abdulatipow, den in Moskau wohl bekanntesten Dagestaner. Abdulatipow galt dort als Experte für interethnische Beziehungen und religiöse Konflikte im Nordkaukasus. Abdulatipows Kampf gegen Korruption und Nepotismus führte zwar zum Austausch von Personal, doch die Strukturen, die dem Problem zugrunde liegen, wurden kaum angetastet. Es war auch nicht zu erwarten, dass sich ein Phänomen wie das Clan- und Seilschaftsprinzip, das für Dagestan so grundlegende gesellschaftlich-politische Bedeutung hat, ohne weiteres würde überwinden lassen. Dieses Prinzip wird nicht nur durch ethnische, sondern auch durch viele andere Zuordnungs- und Gemeinschaftskriterien bestimmt und prägt Politik wie Geschäftsleben der Republik auf entscheidende Weise. Zudem blieb der Kampf gegen den bewaffneten Untergrund oberste Priorität, was reformpolitische Programme in den Hintergrund rückte. Dabei zeugt die Praxis der Anti-Terror-Operationen in der Ära Abdulatipow von einer deutlichen Stärkung der "Siloviki", das heißt des Sicherheitspersonals. Zur Bekämpfung der Rebellen setzt der Sicherheitsapparat alte Methoden ein. Wie in Tschetschenien werden die Häuser von Verwandten der Untergrundkämpfer gesprengt, und verhaftete "Terrorverdächtige" können kaum ein faires Gerichtsverfahren erwarten. Auf Beschwerden von Bürgern über Willkür und Straflosigkeit der Sicherheitskräfte reagierte Abdulatipow mit dem Argument, Dagestan müsse sich "reinigen", was ein hohes Maß an Geduld erfordere (SWP 4.2015). Im Herbst 2017 setzte Präsident Putin ein neues Republiksoberhaupt ein. Mit dem Fraktionsvorsitzenden der Staatspartei Einiges Russland in der Staatsduma und ehemaligen hohen Polizeifunktionär Wladimir Wassiljew schreckte der Kreml die lokalen Eliten auf. Wassiljew ist keiner von ihnen, er war mit Blick auf das zuvor behutsam gepflegte Gleichgewicht der Ethnien wie eine Faust aufs Auge. Der Kreml hatte länger schon damit begonnen, ortsfremde Funktionäre in die Regionen zu entsenden. Im Nordkaukasus hatte er davon Abstand genommen. Immerhin dürfte Wassiljew für ethnische Fragen ein gewisses Gespür mitbringen. Er ist selbst halb Kasache, halb Russe. Wassiljew ist das Gegenmodell zu Kadyrows ungestümer Selbstherrlichkeit. Er ist ein altgedienter Funktionär und einer, der durch den Zugriff Moskaus auf Dagestan - und nicht in Abgrenzung von der Zentralmacht - Ordnung, Sicherheit und wirtschaftliche Prosperität herstellen soll. Mit Wassiljew tritt jemand mit wirklich direktem Draht zur Zentralmacht im Nordkaukasus auf. Das könnte ihn, zumindest für einige Zeit, zum starken Mann in der ganzen Region machen. Dafür allerdings benötigt er genauso die Akzeptanz der Einheimischen (NZZ 12.2.2018).
Anfang 2018 wurden in der Hauptstadt Dagestans, Machatschkala, der damalige Regierungschef [Abdussamad Gamidow], zwei seiner Stellvertreter und ein kurz vorher abgesetzter Minister von föderalen Kräften verhaftet und nach Moskau gebracht. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten eine organisierte kriminelle Gruppierung gebildet zur Ausbeutung der wirtschaftlich abgeschlagenen und am stärksten von allen russischen Regionen am Tropf des Zentralstaats hängenden Nordkaukasus-Republik. Kurz vorher waren bereits der Bürgermeister von Machatschkala und der Stadtarchitekt festgenommen worden (NZZ 12.2.2018).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
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ACCORD (16.5.2018): Themendossier Sicherheitslage in Dagestan & Zeitachse von Angriffen,
https://www.ecoi.net/de/laender/russische-foederation/themendossiers/sicherheitslage-in-
dagestan-zeitachse-von-angriffen/, Zugriff 2.8.2018
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IOM - International Organisation of Migration (6.2014):
Länderinformationsblatt Russische Föderation
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NZZ - Neue Zürcher Zeitung (12.2.2018): Durchgreifen in Dagestan:
Moskau räumt im Nordkaukasus auf, https://www.nzz.ch/international/moskau-raeumt-im-nordkaukasus-aufld.1356351, Zugriff 2.8.2018
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ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation
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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:
Russlands schwierigste Teilrepublik,
http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf.
Zugriff 2.8.2018
1. Sicherheitslage
Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).
Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global
Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).
Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (28.8.2018a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise,
https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0.
Zugriff
28.8.2018
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BmeiA (28.8.2018): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 28.8.2018
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Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden,
https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-
methoden.724.de.html?dram:article id=389824, Zugriff 29.8.2018
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EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (28.8.2018): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-undreisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html. Zugriff 28.8.2018
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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018d): Russland, Alltag,
https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170. Zugriff 28.8.2018
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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus,
https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf.
Zugriff
28.8.2018
3.1. Nordkaukasus
Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 21.5.2018). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben (SWP 4.2017).
Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen