TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/5 W103 2207339-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.11.2018
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Entscheidungsdatum

05.11.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

W103 2207339-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerde vonXXXX, geb. XXXX, StA. Ukraine, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.09.2018, Zl. 1172767106-171241046, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie §§ 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 46 und 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine volljährige Staatsbürgerin der Ukraine, gelangte im Besitz eines Schengen-Visums in das Bundesgebiet und stellte am 03.11.2017 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes, zu welchem sie am gleichen Tag vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt wurde. Dabei gab die Beschwerdeführerin im Wesentlichen an, sie gehöre dem christlich-orthodoxen Glauben sowie der Volksgruppe der Ukrainer an.

Zum Fluchtgrund führte die BF folgendes aus:

"Ich lebte in einem Gebiet im Osten der Ukraine, wo im Jahr 2014 Krieg ausgebrochen ist. Ein Teil der Ukraine wollte sich von der Ukraine loslösen. Es kam zu Bombenangriffen und wir mussten in Kellerabteilen um unser Leben zittern. Ich bin dann während eines längeren Waffenstillstandes nach Kharkiv gefahren und habe mir dort ein Arbeitsvisum für Polen besorgt. Zu dem Zeiptunkt war das der einfachste Weg die Ukraine zu verlassen. Ich konnte aber in Polen nicht länger bleiben, weil mein Visum abgelaufen war und ich für die Verlängerung in die Heimat zurückkehren hätte müssen. Das war mir aber zu riskant. Für diesen Krieg im Osten werden wir - als Bewohner dieser Region verantwortlich dafür gemacht, weil man uns als Separatisten betrachtet.

[...]

Meine Sicherheit ist nicht gewährleistet."

Nach Zulassung ihres Verfahrens wurde die Beschwerdeführerin am 23.03.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die russische Sprache niederschriftlich zu den Gründen ihrer Antragstellung einvernommen und gab dabei folgendes an:

...(...)...

"

"LA: Was ist Ihre Muttersprache? Sprechen Sie noch weitere Sprachen?

VP: Meine Muttersprache ist Russisch und außerdem spreche ich Ukrainisch.

LA: Haben Sie im Verfahren bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht?

VP: Ja, habe ich.

LA: Wurden Ihnen Ihre Angaben jeweils rückübersetzt und korrekt protokolliert?

VP: Ja, es wurde rückübersetzt und korrekt protokolliert.

LA: Können Sie irgendwelche Dokumente (Integrationsunterlagen,Teilnahmebetätigungen...) vorlegen, die Sie bislang noch nicht in Vorlage gebracht haben?

VP: Nein.

LA: Welche Staatsangehörigkeit haben Sie?

VP: Die Staatsangehörigkeit der Ukraine.

LA: Welcher Volksgruppe und welcher Religionsgemeinschaft gehören Sie an?

VP: Ich gehöre der Volksgruppe der Ukrainer an und bin orthodoxe Christin.

LA: Sind Sie nun zum ersten Mal im Ausland?

VP: Ja.

LA: Vorhalt, Sie haben bei der Erstbefragung gesagt, dass Sie in Polen waren. Was sagen Sie dazu?

VP: Ja, ich war davor in Polen, aber es war am Weg nach Österreich. Ich habe ein polnisches Visum gehabt.

LA: Welche Angehörigen haben Sie noch im Heimatland?

VP: Mein Bruder und mein Sohn sind dort.

Die Daten sind vom Sohn: XXXX geb. und vom Bruder: XXXX geb.

LA: Hatten Sie seit der Ausreise Kontakt zu Ihrer Familie?

VP: Ja, über Skype. Mit dem Bruder nicht, nur mit dem Sohn. Mein Bruder befindet sich auf dem Gebiet der LNR, Volksrepublik Lugansk. Ich habe keinen Kontakt zu ihm.

LA: Was berichtet Ihr Sohn über die Situation im Heimatland?

VP: Das was ich auch im Fernseher sehe, also nichts besonders gutes.

LA: Wie ist Ihr Familienstand?

VP: Ich bin geschieden.

LA: Bitte beschreiben Sie kurz Ihre Lebenssituation in Österreich!

VP: Ich bin in einer Pension in XXXX untergebracht. Ich werde vielleicht arbeiten, mir wurde Arbeit bei der Diakonie angeboten. Nachgefragt, ich habe jetzt keine Bestätigungen, ich war bis jetzt nur einmal dort, das war am Dienstag. Ich sollte heute auch hingehen, aber da ich die Einvernahme habe, konnte ich nicht.

Das nächste Mal bin ich am 30. März dort. Nachgefragt, ich kann noch nichts dazu sagen, ich weiß nicht welches Arbeitsverhältnis ich haben werde. Man hat mir nur gesagt, dass ich 16. Stunden im Monat arbeiten darf und nicht mehr als 100 Euro im Monat verdienen darf.

Anm: VP wird aufgefordert sämtliche Bestätigungen nachzureichen.

LA: Haben Sie auch hier in Österreich Verwandte?

VP: Nein und im Ausland habe ich überhaupt keine Verwandten.

LA: Womit beschäftigen Sie sich in Österreich? Mit wem haben Sie Kontakt?

VP: Mit der Diakonie habe ich Kontakt und mit den Bewohnern der Pension.

LA: Wo wohnen Sie derzeit in Österreich?

VP: Ich wohne in einer Pension in XXXX.

LA: Wovon leben Sie bzw. wie bestreiten Sie hier in Österreich Ihren Lebensunterhalt?

VP: Ich bin in Grundversorgung.

LA: Besuchen Sie in Österreich Kurse, Schule, Vereine oder die Universität?

VP: Nein.

LA: Besuchen Sie auch schon einen Deutschkurs?

VP: Das habe ich vor. Jetzt besuche ich keinen.

LA: Haben Sie in Ihrem Heimatland, in Österreich oder in einem anderen Land strafbare Handlungen begangen bzw. sind Sie vorbestraft oder waren Sie schon einmal in Haft?

VP: Nein.

LA: Welche Schulbildung haben Sie absolviert?

VP: Ich habe 10 Klassen Mittelschule, danach 2 Jahre Fachschule und anschließend die Hochschule für Management absolviert.

LA: Was haben Sie im Heimatland beruflich gemacht?

VP: Ich war Hauptbuchhalterin.

LA: Waren Sie in Ihrem Heimatland politisch tätig oder gehörten Sie einer politischen Partei an?

VP: Ich war Mitglied der Kommunistischen Partei, aber ich habe keine Bestätigung darüber. Das war in der Sowjetunion und danach war ich Mitglied der Regierungspartei. Ich habe auch zu dem keine Bestätigung.

LA: Hatten Sie persönlich jemals Probleme mit den Behörden (oder staatsähnlichen Institutionen) Ihres Heimatlandes?

VP: Nein.

LA: An welcher Adresse haben Sie unmittelbar vor der Ausreise gelebt?

VP: Ich habe in XXXX gewohnt.

LA: Haben Sie an dieser Adresse auch die letzten Tage vor der Ausreise verbracht?

VP: Ja.

LA: Wann haben Sie Ihr Heimatland verlassen?

VP: Das war Mitte April 2015. Jetzt kann ich nichts genau dazu angeben.

Es war der 14. oder 16. April.

LA: War Österreich Ihr eigentliches Reiseziel?

VP: Ich habe es geplant gehabt, nach Österreich zu kommen.

LA: Wie viel mussten Sie für die Reise insgesamt (bis Österreich) bezahlen?

VP: An das kann ich mich nicht mehr erinnern, das war im Jahr 2015. Bezahlt habe ich in Dollar. Ich kann mich nicht erinnern wie viel es genau war.

LA: Wie konnten Sie die Reise nach Österreich finanzieren?

VP: Ich habe mein Leben lang gearbeitet. Das konnte ich durch die Ersparnisse.

LA: Wo war Ihr Sohn als Sie ausgereist sind?

VP: Er war in der Ukraine. Er hat ein kleines Kind und er hat mit seiner Familie unsere Gegend verlassen, weil bei uns Krieg war. Das tat er bereits 2014, während der Bombenangriffe.

LA: Ist Ihr Sohn sicher dort?

VP: Ich denke schon, ich hoffe es zumindest.

LA: Aus welchem Grund verließen Sie Ihr Heimatland? Schildern Sie dies bitte möglichst lebensnah, d.h. mit sämtlichen Details und Informationen, sodass die Behörde Ihr Vorbringen nachvollziehen kann! Nehmen Sie sich dafür ruhig Zeit!

VP: 2014 begann Krieg bei uns. Wir wurden Bombardiert und wir haben uns in Bombenschutzkeller verstecken müssen. Es gab viele zerstörte Häuser in unserer Stadt. Eine der Gründe ist, dass wir überhaupt keine Arbeit dort haben. Das was dort jetzt passiert, ist schwer zu ertragen. Wenn ich in meine Heimatstadt zurückkehre, kann ich dann nicht mehr in die Ukraine, weil dort jetzt die sogenannte Lugansker Volksrepublik ist. Ich werde in der Ukraine sicherlich verfolgt. Ich muss ja arbeiten, um Leben zu können und alle Personen die bei uns arbeiten, werden in der Ukraine auf der Website MIROTVORETS in eine Liste eingetragen, die Personen aus dieser Liste werden verfolgt. Nachgefragt, ich werde arbeiten müssen, es gibt aber keine Möglichkeit dort bei einer privaten Firma oder Organisation eine Arbeit zu finden. So werde ich bei den Behörden dort arbeiten müssen und aus diesem Grund wird man mich in der Ukraine verfolgen. Soweit mir bekannt ist, sind meine ehemaligen Kollegen, die jetzt bei den Behörden der Republik arbeiten, auf diese Website eingetragen und haben Angst in die Ukraine zu fahren.

LA: Können Sie sich vorstellen etwas anderes zu arbeiten?

VP: Es gibt keine Arbeit bei uns und die einzige Möglichkeit ist bei den Behörden zu arbeiten und wie gesagt, alle die bei den Behörden arbeiten werden verfolgt. Das sind die Behörden der Lugansker Volksrepublik. Außerdem ist die Lage dort nicht stabil und ziemlich unsicher.

LA: Was war jetzt der konkrete Grund, dass Sie ausgereist sind?

VP: Waffenschüsse, keine Arbeit. Im Jahr 2015 war gerad die schlimmste Zeit, also der Höhepunkt vom Konflikt.

LA: Sie haben bei der Erstbefragung gesagt, dass Sie nach Kharkiv gegangen sind, warum sind Sie nicht dort geblieben?

VP: Ich habe dort Unterlagen ausstellen lassen, also Formalitäten erledigt, ich habe dort nicht gewohnt. Nachgefragt, in Kharkiv war es zwar Sicher aber nicht möglich eine Arbeit zu finden. Außerdem ist die Politik bei uns nicht ohne, man wird als Separatist und Terrorist bezeichnet, nur aus dem Grund, dass man aus diesem Gebiet kommt.

LA: Warum vermuten Sie, dass Sie als Separatist bezeichnet werden, gab es Vorfälle in der Richtung?

VP: Das war weil ich aus diesem Gebiet herkomme, das kam vom Kontakt zu den Menschen. Die Menschen werden einberufen und sterben an dieser Antiterroroperation und die Angehörigen sind wütend und für sie bin ich eine Separatistin, weil ich aus der Gegend stamme.

LA: Kann man das so zusammenfassen, dass Sie Ihre Heimat ausschließlich wegen der allgemeinen Sicherheitslage und wegen der Arbeit verlassen haben?

VP: Ja.

LA: Haben Sie somit alle Ihre Gründe für die Asylantragstellung genannt?

VP: Das sind alle Gründe, mehr kann ich nicht dazu angeben.

LA: Haben Sie jemals erwogen, an einen anderen Ort in Ihrem Heimatland zu ziehen, um der Gefahr zu entgehen?

VP: Ich möchte nur sage, dass ich in der Westukraine sehr nahe Verwandte habe. Sie haben den Kontakt zu mir abgebrochen.

LA: Welche Befürchtungen haben Sie für den Fall einer Rückkehr in Ihr Heimatland?

VP: Es werden bestimmt diese Beschimpfungen wieder kommen und ich werde auch keine Arbeit finden und somit keine Existenzgrundlage haben.

LA: Würde Ihnen im Fall der Rückkehr etwas von Seiten der staatlichen Behörden drohen?

VP: Wie soll ich das wissen, ich weiß es nicht.

LA: Stehen Sie zurzeit auf der Liste dieser Website?

VP: Nein. Ich habe ja nicht auf dem Gebiet der Lugansker Volksrepublik gearbeitet.

LA: Ist Ihnen persönlich konkret etwas zugestoßen?

VP: Es gab verbale Beschimpfungen. Sogar hier in Österreich wurde ich von hier aufhältigen Ukrainer als Separatistin beschimpft, obwohl ich genauso eine ukrainische Staatsangehörige bin wie sie es auch sind.

LA: Wie stehen Sie persönlich zum Separatismus?

VP: Ich bin keine Separatistin und heiße es auch nicht gut. Ich bin zur Geisel der Umstände in meinem Land geworden. Es ist auch nicht richtig so, all die als Separatisten zu bezeichnen, die dort geblieben sind.

[LIB: Frist für eine Stellungnahme = eine Woche]

LA: Möchten Sie noch weitere Angaben machen? Konnten Sie zum Verfahren alles umfassend vorbringen und gibt es zur Einvernahme irgendwelche Einwände?

VP: Ich möchte keine weiteren Angaben machen. Ich konnte alles umfassend vorbringen. Ich habe keine Einwände.

LA: Wie haben Sie den Dolmetscher verstanden?

VP: Sehr gut.

Anmerkung: Die gesamte Niederschrift wird wortwörtlich rückübersetzt.

LA: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Einwendungen gegen die Niederschrift selbst, wurde alles richtig und vollständig protokolliert?

VP: Ich habe keine Einwendungen, es wurde alles richtig protokolliert."

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 11.09.2018 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der beschwerdeführenden Partei auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und den Antrag gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.) Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen und wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt IV. bis V.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführerin zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Die Behörde stellte die Staatsbürgerschaft, Identität, Volksgruppenzugehörigkeit sowie Religion der Beschwerdeführerin fest und legte ihrer Entscheidung ausführliche Feststellungen zur aktuellen Situation in deren Herkunftsstaat zu Grunde. Begründend wurde im Wesentlichen erwogen, dass sich die von der Beschwerdeführerin angegebenen Gründe für das Verlassen ihres Herkunftsstaates als nicht glaubhaft bzw. nicht aslyrelevant erwiesen hätten. Es habe nicht festgestellt werden können, dass diese in der Ukraine asylrelevanter Verfolgung oder Gefährdung durch staatliche Organe oder Privatpersonen ausgesetzt gewesen wäre bzw. dies künftig der Fall sein würde.

Zur Beweiswürdigung wurde Folgendes angeführt:

"Betreffend die Feststellungen zu Ihrer Person:

Die Feststellungen zu Ihrer Identität ergeben sich aus dem von Ihnen vorgelegten Identitätsdokument - internationaler Reisepass aus der Ukraine im Original, mit Lichtbild - sowie aus Ihren diesbezüglich glaubhaften Angaben.

Die Feststellungen zu Ihrer Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit, Religion und zu Ihren familiären und sozialen Umständen beruhen auf Ihren glaubwürdigen Angaben.

Da Sie Schulbildung und Berufserfahrung aufweisen, waren die entsprechenden Feststellungen zu Ihrer Arbeitsfähigkeit zu treffen.

Die Feststellung zu Ihrem Gesundheitszustand ergibt sich aus Ihren eigenen Angaben, sowie dem Umstand, dass Sie im Verfahren trotz Aufforderung keine Befunde vorgelegt haben.

Sie gaben vor dem BFA an, dass Sie Probleme mit der Netzhaut auf Ihrem linken Auge haben. Es wurde daher festgestellt, dass Sie weitestgehend gesund sind, an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung leiden und keine medikamentösen Behandlungen benötigen.

Betreffend die Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen Ihres Herkunftsstaats und die Feststellungen zu Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr:

Als Grund für Ihren Antrag auf internationalen Schutz machten Sie geltend, dass Sie aufgrund der wirtschaftlichen Lage sowie der regionalen Sicherheitslage in der Ukraine Ihr Heimatland verlassen hätten.

Es ist glaubhaft, dass Sie aus wirtschaftlichen Gründen bzw. aufgrund der regionalen Sicherheitslage die Ausreise angetreten haben.

Die darüber hinausgehend geltend gemachten Fluchtgründe waren für nicht glaubhaft zu befinden.

Soweit Sie behaupten, aufgrund der wirtschaftlichen Lage und der regionalen Sicherheitslage das Land verlassen zu haben, war Ihr Vorbringen auf Grundlage der Länderfeststellungen zum Konflikt in der Ostukraine im Jahr 2014 für glaubhaft zu befinden.

Soweit Ihnen der Vorwurf des Separatismus gemacht werden könnte, wie Sie in den Raum stellen, wenn Sie für Behörden tätig wären bzw. alleine aufgrund der Herkunft aus der Ostukraine, muss dem wie folgt entgegen getreten werden:

Sie waren Ihren eigenen Angaben zufolge nie für die Separatistenbehörden oder die Separatistenbewegung tätig, es besteht daher keine reale Grundlage, Sie als Separatistin anzusehen bzw. zu bezeichnen.

Sie sind folglich auch nicht - wie von Ihnen potentiell in den Raum gestellt wurde - in die Liste auf der Internetseite "MYROTVORETS" eingetragen.

Soweit Sie behaupten, nur im öffentlichen Sektor Arbeit finden zu können, wird auf die Länderfeststellungen verwiesen, denen zu entnehmen ist, dass Sie als ukrainische Staatsbürgerin sehr wohl auf dem gesamten Hoheitsgebiet der Ukraine Unterkunft nehmen und einer Berufstätigkeit - auch im privaten Sektor - nachgehen könnten. Zudem sind die Landesteile, die vom aktuellen Konflikt nicht betroffen sind, von Ihnen auf sicherem Wege erreichbar.

Den Länderinformationsblättern ist weiters nicht zu entnehmen, dass Bürger der Ostukraine in anderen Landesteilen der Ukraine einer massiven, allgemeinen Diskriminierung oder sonstigen Benachteiligung alleine aufgrund ihrer Herkunft aus der Ostukraine ausgesetzt wären.

Soweit Sie behaupten, in Österreich ebenfalls unter Landsleuten als Separatistin ausgegrenzt zu werden, ist anzumerken, dass Sie hier im Fall einer solchen Gefährdung Ihre Herkunft geheim hätten halten können. Da Sie dies aber offensichtlich nicht taten, ist für die Behörde klar ersichtlich, dass Sie sich durch diese Schutzbehauptung versuchen als Opfer dazustellen, ohne einer realen Bedrohungslage ausgesetzt gewesen zu sein.

Ihr diesbezügliches Vorbringen war daher zur Gänze als nicht glaubhaft zu werten.

Sie haben sich in Ihrem Heimatstaat nicht politisch engagiert und hatten auch nie persönlich Probleme mit den Behörden Ihres Heimatlandes.

Eine Gefährdungslage für den Fall der Rückkehr wurde somit nicht glaubhaft gemacht und es waren die entsprechenden Feststellungen zu Ihrer Rückkehrsituation zu treffen.

Die Feststellungen zur Sicherheitslage und der Möglichkeit, sich in der Ukraine niederzulassen, beruhen auf den Länderfeststellungen der Staatendokumentation.

Im Fall der Rückkehr sind Sie mit den kulturellen Rahmenbedingungen der Ukraine vertraut, da Sie Ihr ganzes Leben in der Ukraine verbracht haben. Sie selbst verfügen über gute Schulbildung und viel Berufserfahrung, was Ihnen im Fall der Rückkehr laut den Länderfeststellungen der Ukraine eine Berufstätigkeit wesentlich erleichtern wird. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass Ihre Familie Sie finanziell unterstützen kann und Ihnen Unterkunft bieten kann.

Die Feststellung zu den Erwerbsmöglichkeiten und der Grundversorgung in Ihrem Herkunftsland wurde auch anhand der Länderfeststellungen getroffen."

3. Mit Eingabe vom 04.10.2018 wurde durch die gewillkürte Vertretung der Beschwerdeführerin fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde erhoben, in welcher der dargestellte Bescheid vollumfänglich wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie inhaltlicher Rechtswidrigkeit angefochten wurde. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe ihre Heimat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung und mangels Fähigkeit ihres Heimatlandes, sie vor Übergriffen - sowohl von privater als auch von staatlicher Seite - zu schützen, verlassen, weshalb sie Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention sei.

Die BF habe im April 2015 ihre Heimat verlassen, als Asylgrund gab Sie an, die Bombardierung und das unerträgliche Leben in den Luftschutzkellern. Auch sei es ihr nicht möglich gewesen, bei einer privaten Firma zu arbeiten. Sie hätte also im öffentlichen Sektor arbeiten müssen. Dort würde man sie finden und dann verfolgen. Sie könne auch nicht zu den Verwandten in der Westukraine, da sie den Kontakt mit diesen abgebrochen hätte. Sie stehe derzeit auch nicht auf der Liste der Internetseite Mirotvorets, da sie nicht auf dem Gebiet der Lugansker Volksrepublik gearbeitet habe. Die Angaben der belangten Behörde, dass es der BF sehr wohl möglich sei, auf dem gesamten Hoheitsgebiet der Ukraine, sofern dies nicht von Konflikt betroffen sei, Unterkunft zu nehmen, und auch eine Berufstätigkeit auszuüben, werde entgegnet, dass die eingeschränkte Möglichkeit eine Arbeit zu bekommen bzw. auch nach dem Niederlassungsrecht, sich im westlichen Teil der Ukraine niederzulassen, eine rein-theoretische Sache sei.

Der Beschwerdeführerin stünde ein Status nach § 3 AsylG zu, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass sie im Falle einer Rückkehr einer individuellen Verfolgung ausgesetzt sei. Aus den Berichten ginge hervor, dass die Sicherheitslage in der Ukraine sehr schlecht wäre.

4. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 10.10.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

5. Am 11.10.18 langte die Auflösung der Vollmacht hinsichtlich der Vereins ZEIGE ein, sowie eine neue Vollmacht hinsichtlich des VMÖ.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Auf Grundlage des Verwaltungsakts der belangten Behörde und der in diesem Verfahren herangezogenen Hintergrundberichte zur aktuellen relevanten Lage in der Ukraine wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes Folgendes festgestellt:

1.1. Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Ukraine, sie gehört der ukrainischen Volksgruppe sowie dem christlich-orthodoxen Glauben an. Ihre Identität steht fest. Die Beschwerdeführerin reiste im November 2017 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und hält sich seit diesem Zeitpunkt ununterbrochen im Bundesgebiet auf. Die Beschwerdeführerin stammt aus dem Gebiet Oblast/Lugansk.

1.2. Nicht festgestellt werden kann, dass die Beschwerdeführerin in der Ukraine aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten bedroht wäre. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle Gefährdung der Beschwerdeführerin in der Ukraine festgestellt werden.

Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass die Beschwerdeführerin im Fall ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

Die Beschwerdeführerin leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, welche einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat entgegenstehen würden. In der Ukraine besteht eine ausreichende medizinische Grundversorgung.

Die unbescholtene Beschwerdeführerin verfügt in Österreich über kein schützenswertes Privat- oder Familienleben. Im Bundesgebiet verfügt die Beschwerdeführerin über keine familiären oder sonstigen engen sozialen Bezugspunkte. Die Beschwerdeführerin erbrachte bis dato keinen Nachweis über eine absolvierte Sprachprüfung in Deutsch. Sie ging bislang keiner Erwerbstätigkeit nach, bestreitet ihren Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Eine tiefgreifende Verwurzelung der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet konnte nicht erkannt werden. Eine die Beschwerdeführerin betreffende aufenthaltsbeendende Maßnahme würde keinen ungerechtfertigten Eingriff in deren gemäß Art. 8 EMRK geschützte Rechte auf Privat- und Familienleben darstellen.

1.3. Insbesondere zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zur medizinischen Versorgungssituation und zur Lage von Rückkehrern wird unter Heranziehung der erstinstanzlichen Länderfeststellungen Folgendes festgestellt:

1. Sicherheitslage

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch vom mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 07.06.2014 direkt zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische "Volksrepubliken" im Osten der Ukraine unterstützt (AA 7.2.2017).

Die ukrainische Regierung steht für einen klaren Europa-Kurs der Ukraine und ein enges Verhältnis zu den USA. Das 2014 von der Ukraine unterzeichnete und ratifizierte Assoziierungsabkommen mit der EU ist zum Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten und bildet die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU. Es sieht neben der gegenseitigen Marktöffnung die Übernahme rechtlicher und wirtschaftlicher EU-Standards durch die Ukraine vor. Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützt bis heute die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine (AA 2.2017c).

Die sogenannten "Freiwilligen-Bataillone" nehmen offiziell an der "Anti-Terror-Operation" der ukrainischen Streitkräfte teil. Sie sind nunmehr alle in die Nationalgarde eingegliedert und damit dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Offiziell werden sie nicht mehr an der Kontaktlinie eingesetzt, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, eventuell auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von allerdings teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).

Seit Ausbruch des Konflikts im Osten der Ukraine in den Regionen Lugansk und Donezk im April 2014 zählte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) 33.146 Opfer des Konflikts, davon

9.900 getötete und 23.246 verwundete Personen (inkl. Militär, Zivilbevölkerung und bewaffnete Gruppen). Der Konflikt wird von ausländischen Kämpfern und Waffen, die nach verschiedenen Angaben aus der Russischen Föderation in die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete (NGCA) gebracht werden, angeheizt. Zudem gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen sind betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Der bewaffnete Konflikt stellt einen Bruch des Internationalen Humanitären Rechts und der Menschenrechte dar. Der Konflikt wirkt sich auf die ganze Ukraine aus, da es viele Kriegsrückkehrern (vor allem Männer) gibt und die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) hoch ist. Viele Menschen haben Angehörige, die getötet oder entführt wurden oder weiterhin verschwunden sind. Laut der Special Monitoring Mission der OSZE sind täglich eine hohe Anzahl an Brüchen der Waffenruhe, die in den Minsker Abkommen vereinbart wurde, zu verzeichnen (ÖB 4.2017).

Russland kontrolliert das Gewaltniveau in der Ostukraine und intensiviert den Konflikt, wenn es russischen Interessen dient (USDOS 3.3.2017a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017c): Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 12.7.2017

1.1. Ostukraine

Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim durch Russland im März 2014 rissen pro-russische Separatisten in einigen Gebieten der Ost-Ukraine die Macht an sich und riefen, unterstützt von russischen Staatsangehörigen, die "Volksrepublik Donezk" und die "Volksrepublik Lugansk" aus. Der ukrainische Staat begann daraufhin eine sogenannte Antiterroroperation (ATO), um die staatliche Kontrolle wiederherzustellen. Bis August 2014 erzielten die ukrainischen Kräfte stetige Fortschritte, danach erlitten sie jedoch - bedingt durch militärische Unterstützung der Separatisten aus Russland - zum Teil schwerwiegende Verluste. Die trilaterale Kontaktgruppe mit Vertretern der Ukraine, Russlands und der OSZE bemüht sich darum, den militärischen Konflikt zu beenden. Das Minsker Protokoll vom 5. September 2014, das Minsker Memorandum vom 19. September 2014 und das Minsker Maßnahmenpaket vom 12. Februar 2015 sehen unter anderem eine Feuerpause, den Abzug schwerer Waffen, die Gewährung eines "Sonderstatus" für einige Teile der Ost-Ukraine, die Durchführung von Lokalwahlen und die vollständige Wiederherstellung der Kontrolle über die ukrainisch-russische Grenze vor. Die von der OSZE-Beobachtermission SMM überwachte Umsetzung, etwa des Truppenabzugs, erfolgt jedoch schleppend. Die Sicherheitslage im Osten des Landes bleibt volatil (AA 2.2017b).

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Lugansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Berichte der OSZE-Beobachtermission, von Amnesty International sowie weiteren NGOs lassen den Schluss zu, dass es nach Ausbruch des Konflikts im März 2014 in den von Separatisten kontrollierten Gebieten zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Dazu zählen extralegale Tötungen auf Befehl örtlicher Kommandeure ebenso wie Freiheitsberaubung, Erpressung, Raub, Entführung, Scheinhinrichtungen und Vergewaltigungen. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte spricht von einem "vollständigen Zusammenbruch von Recht und Ordnung", von einem "unter den Bewohnern vorherrschenden Gefühl der Angst, besonders ausgeprägt in der Region Lugansk", sowie einer durch "fortgesetzte Beschränkungen der Grundrechte, die die Isolation der in diesen Regionen lebenden Bevölkerung verschärft, sowie des Zugangs zu Informationen" gekennzeichneten Menschenrechtslage. Die Zivilbevölkerung ist der Willkür der Soldateska schutzlos ausgeliefert, Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit sind faktisch suspendiert. Nach UN-Angaben sind seit Beginn des bewaffneten Konflikts über 10.000 Menschen umgekommen. Es sind rund 1,7 Mio. Binnenflüchtlinge registriert und ca. 1,5 Mio. Menschen sind in Nachbarländer geflohen. Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt: Die Sicherheitslage hat sich verbessert, auch wenn Waffenstillstandsverletzungen an der Tagesordnung bleiben. Der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland) stockt jedoch trotz hochrangiger Unterstützung im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt neben den Lokalwahlen im besetzten Donbas der Dezentralisierungsprozess für den Donbas, den die Rada noch nicht abgeschlossen hat. In den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Lugansk wird die staatliche Ordnung erhalten oder wieder hergestellt, um Wiederaufbau sowie humanitäre Versorgung der Bevölkerung zu ermöglichen (AA 7.2.2017).

Die von Russland unterstützten Separatisten im Donbas verüben weiterhin Entführungen, Folter und unrechtmäßige Inhaftierung, rekrutieren Kindersoldaten, unterdrücken abweichende Meinungen und schränken humanitäre Hilfe ein. Trotzdem dies offiziell weiterhin abgestritten wird, kontrolliert Russland das Ausmaß der Gewalt in der Ostukraine und eskaliert den Konflikt nach eigenem politischen Gutdünken. Die separatistischen bewaffneten Gruppen werden weiterhin von Russland trainiert, bewaffnet, geführt und gegebenenfalls direkt im Einsatz unterstützt. Die Arbeit internationaler Beobachter wird dabei nach Kräften behindert. Geschätzte 70 Quadratkilometer landwirtschaftlicher Flächen in der Ostukraine wurden von den beiden Seiten vermint, speziell nahe der sogenannten Kontaktlinie. Diese Verminungen sind oft schlecht markiert und stellen eine Gefahr für Zivilisten dar. Bis zu 2.000 Zivilisten sollen im ostukrainischen Konfliktgebiet umgekommen sein, meist durch Artilleriebeschuss bewohnter Gebiete. Die Zahl derer, die durch Folter und andere Menschenrechtsverletzungen umgekommen sein dürften, geht in die Dutzende. 498 Personen (darunter 347 Zivilisten) bleiben vermisst. Die von Russland unterstützten Separatisten begingen systematisch zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Schläge, Zwangsarbeit, Folter, Erniedrigung, sexuelle Gewalt, Verschwindenlassen aber auch Tötungen) sowohl zur Aufrechterhaltung der Kontrolle als auch zur Bereicherung. Sie entführen regelmäßig Personen für politische Zwecke oder zur Erpressung von Lösegeld, besonders an Checkpoints. Es kommt zu willkürlichen Inhaftierungen von Zivilpersonen bei völligem Fehlen jeglicher rechtsstaatlicher Kontrolle. Diese Entführungen führen wegen ihrer willkürlichen Natur zu großer Angst unter der Zivilbevölkerung. Von einem "Kollaps von Recht und Ordnung" in den Separatistengebieten wird berichtet. Internationalen und nationalen Menschenrechtsbeobachtern wird die Einreise in die Separatistengebiete verweigert. Wenn Gruppen versuchen dort tätig zu werden, werden sie zum Ziel erheblicher Drangsale und Einschüchterung. Journalisten werden willkürlich inhaftiert und misshandelt. Die separatistischen bewaffneten Gruppen beeinflussen direkt die Medienberichterstattung in den selbsternannten Volksrepubliken. Freie (kritische) Meinungsäußerung ist nicht möglich. Da die separatistischen Machthaber die Einfuhr von humanitären Gütern durch ukrainische oder internationale Organisationen stark einschränken, sind die Anwohner der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk mit starken Preisanstiegen konfrontiert. An Medikamenten herrscht ein erheblicher Mangel. Das erschwert auch die Behandlung von HIV und Tuberkulose. Mehr als 6.000 HIV-positive Personen in der Region leiden unter dem Mangel an Medikamenten und Medizinern (USDOS 3.3.2017a).

In den ostukrainischen Konfliktgebieten begingen Berichten zufolge auch Regierungstruppen bzw. mit ihnen verbündete Gruppen Menschenrechtsverletzungen. Der ukrainische Geheimdienst (SBU) soll Personen geheim festhalten bzw. festgehalten haben (USDOS 3.3.2017a). Nach einem Bericht über illegale Haft und Folter, sowohl durch den ukrainischen SBU sowie durch prorussische Separatisten, reagierte im Juli 2016 der SBU mit der Entlassung von 13 Personen aus der Haft (die Illegalität der Haft wurde aber abgestritten). Von der separatistischen Seite ist nichts dergleichen berichtet, obwohl deren Vergehen viel zahlreicher waren (FH 1.2017; vgl. HRW 12.1.2017).

Trotz des Abkommens von Minsk ist in der Ostukraine immer noch kein tragfähiger Waffenstillstand zustande gekommen. Russland liefert weiterhin Waffen und stellt militärisches Personal als "Freiwillige". 2016 haben sich die lokalen Verwaltungen in den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk institutionell konsolidiert und der Aufbau russisch kontrollierter Staatsgebilde ist überwiegend abgeschlossen. Unabhängige politische Aktivitäten und politische Parteien sind jedoch verboten, NGOs arbeiten dort nicht, und eine freie Presse ist nicht vorhanden (FH 29.3.2017).

Nach wie vor kam es im Osten der Ukraine auf beiden Seiten zu sporadischen Verstößen gegen den vereinbarten Waffenstillstand. Sowohl die ukrainischen Streitkräfte als auch die pro-russischen Separatisten verübten Verletzungen des humanitären Völkerrechts, darunter Kriegsverbrechen wie Folter, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. In der Ukraine und den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk wurden Personen, die der Unterstützung der jeweils anderen Seite verdächtigt wurden, rechtswidrig inhaftiert, auch zum Zwecke des Gefangenenaustauschs. Sowohl seitens der ukrainischen Behörden als auch der separatistischen Kräfte im Osten der Ukraine kam es auf den von der jeweiligen Seite kontrollierten Gebieten zu rechtswidrigen Inhaftierungen. Zivilpersonen, die als Sympathisanten der anderen Seite galten, wurden als Geiseln für den Gefangenenaustausch benutzt. Wer für einen Gefangenenaustausch nicht in Frage kam, blieb häufig monatelang inoffiziell in Haft, ohne Rechtsbehelf oder Aussicht auf Freilassung. In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk setzten lokale "Ministerien für Staatssicherheit" die ihnen im Rahmen lokaler "Verordnungen" verliehenen Befugnisse dazu ein, Personen bis zu 30 Tage lang willkürlich zu inhaftieren und diese Haftdauer wiederholt zu verlängern. Die ukrainischen Behörden schränkten den Personenverkehr zwischen den von den Separatisten kontrollierten Regionen Donezk und Lugansk und den von der Ukraine kontrollierten Gebieten weiterhin stark ein (AI 22.2.2017).

In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk agieren lokale Sicherheitsdienste in einem vollkommenen rechtlichen Vakuum, wodurch die von ihnen festgenommenen Personen jeglicher Rechtssicherheit oder Beschwerdemöglichkeiten beraubt (HRW 12.1.2017).

In den von pro-russischen Kräften besetzten Gebieten im Osten der Ukraine kann in keinster Weise von einer freien, gar kritischen Presse die Rede sein. Die im Zuge der Annexion der Halbinsel Krim bzw. im Zuge der Kampfhandlungen im Osten bekanntgewordenen und nicht zuletzt durch OSZE-Beobachter wiederholt thematisierten Verschleppungen von Journalisten durch Separatisten sowie die Behinderung objektiver Berichterstattung gaben ebenfalls zu verstärkter Sorge Anlass (ÖB 4.2017).

Pro-russische Separatisten in der Ostukraine entführen, inhaftieren, schlagen und bedrohen Mitglieder der ukrainisch-orthodoxen Kirche Kiewer Patriarchats, Zeugen Jehovas und Angehörige protestantischer Kirchen. Auch antisemitische Rhetorik und Handlungen werden berichtet. Sie verwüsten oder beschlagnahmen weiterhin Kirchenvermögen und geben vor, nur "offizielle Kirchen" dürften tätig werden. Faktisch werden religiöse Gruppen außer der ukrainisch-orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats systematisch diskriminiert (USDOS 10.8.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336532/479204_de.html, Zugriff 1.6.2017

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FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/338537/481540_de.html, Zugriff 1.6.2017

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FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336975/479728_de.html, Zugriff 22.6.2017

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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/334769/476523_de.html, Zugriff 6.6.2017

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ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

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USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017

2. Allgemeine Menschenrechtslage

Der Grundrechtskatalog der Verfassung enthält neben den üblichen Abwehrrechten eine große Zahl von Zielbestimmungen (z. B. Wohnung, Arbeit, Erholung, Bildung). Die Ukraine ist Vertragsstaat der meisten Menschenrechtskonventionen. Extralegale Tötungen sind nach den Ereignissen auf dem Euromaidan zwischen November 2013 und Februar 2014 außerhalb der Konfliktgebiete im Osten des Landes nicht mehr bekannt geworden (AA 7.2.2017).

Die signifikantesten Menschenrechtsprobleme der Ukraine sind, neben konfliktbezogenen Missbrauchshandlungen in der Ostukraine, Korruption und damit verbundene Straflosigkeit, mangelnde Unterstützung von IDPs, Haftbedingungen, Diskriminierung und Missbrauchshandlungen durch Beamte des Staates und damit verbundene Straflosigkeit. Eine Reihe nationaler und internationaler Menschenrechtsgruppen arbeiten in der Regel ohne Beschränkungen durch die Regierung, untersuchen Menschenrechtsfälle und publizieren ihre Ergebnisse. Die Regierung ist kooperativ und lädt Menschenrechtsgruppen aktiv zu überwachenden Tätigkeiten, Mitarbeit bei Gesetzesentwürfen etc. ein. Nationale und internationale Menschenrechtsgruppen arbeiteten 2015 mit der Regierung beim Entwurf der Nationalen Menschenrechtsstrategie und dem diesbezüglichen Aktionsplan zusammen. Der Ombudsmann kritisierte aber die langsame Umsetzung der Strategie und den Widerstand bestimmter Ministerien dagegen, besonders wenn die Rechte von IDPs betroffen sind. Das wird auch von anderen Beobachtern bestätigt (USDOS 3.3.2017a).

Die Zivilgesellschaft ist weiterhin das stärkste Element in der ukrainischen demokratischen Transition. Sie spielt eine wichtige Rolle indem sie Reformen vorantreibt, durch die Phase der Gesetzwerdung begleitet, der Bevölkerung kommuniziert und ihre Umsetzung in der Praxis beobachtet. So geschehen im Falle der Antikorruptionsmaßnahmen oder durch Teilnahme an Kommissionen zur Auswahl neuer Beamter im Zuge der Reform des öffentlichen Dienstes usw. (FH 29.3.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

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FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/338537/481540_de.html, Zugriff 20.6.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 20.6.2017

3. Relevante Bevölkerungsgruppen

3.1. Frauen

Durch den bewaffneten Konflikt und die Menschenrechtsverletzungen kommt es vermehrt zu häuslicher Gewalt und Gender Based Violence (GBV), von der vor allem Frauen betroffen sind. Ein neues Gesetz, das häusliche Gewalt als Straftatbestand deklariert, wird 2017 erwartet. Es gibt nicht ausreichend psychosoziale und medizinische (Notfall-) Einrichtungen mit geschultem Personal. Aufgrund der fehlenden Rechtsstaatlichkeit in den separatistischen Teilen der Ostukraine sind dort Frauen besonders gefährdet Opfer von Missbrauch, Sexsklaverei und Human Trafficking zu werden (ÖB 4.2017).

Die Verfassung schreibt die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ausdrücklich vor. Auch im Übrigen gibt es keine rechtlichen Benachteiligungen. Nach ukrainischem Arbeitsrecht genießen Frauen die gleichen Rechte wie Männer. Tatsächlich werden sie jedoch häufig schlechter bezahlt und sind in Spitzenpositionen unterrepräsentiert. Die Ukraine ist n

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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