Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 96/18/0235Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerden des R A, (geb. 5. September 1960), vertreten durch DDDr. Franz Langmayr, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Ertlgasse 4/12a, gegen 1. den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 1. April 1996, Zl. SD 165/96, betreffend Abweisung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist gegen den Aufenthaltsverbots-Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 18. Dezember 1995, und 2. den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 1. April 1996, Zl. SD 165/96, betreffend Zurückweisung der Berufung gegen den zitierten Aufenthaltsverbots-Bescheid, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 9.130,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 1. April 1996 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist betreffend den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 18. Dezember 1995, Zl. IV-553.929-FrB/95, mit dem gegen den Beschwerdeführer gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden war, gemäß § 71 Abs. 1 AVG abgewiesen.
Der besagte Aufenthaltsverbots-Bescheid vom 18. Dezember 1995 sei dem Beschwerdeführer am 18. Dezember 1995 am Ort der Amtshandlung persönlich übergeben worden. Die eigenhändige Unterschrift habe der Beschwerdeführer ohne Angabe von Gründen verweigert. Die Berufung gegen das Aufenthaltsverbot sei zusammen mit dem Wiedereinsetzungsantrag am 3. Jänner 1996, also einen Tag nach Ablauf der 14-tägigen Frist, eingebracht worden. Im Wiedereinsetzungsantrag werde geltend gemacht, dass diese Berufung vom 2. Jänner 1996 irrtümlich nicht einem an diesem Tag an die Erstbehörde abgefertigten Brief mit einem Informationsschreiben samt Kopie einer an den unabhängigen Verwaltungssenat gerichteten Beschwerde beigeschlossen worden wäre. Es wäre dies ein Versehen minderen Grades im internen Kanzleiablauf, da Derartiges bisher noch nicht passiert wäre. Der Wiedereinsetzungsantrag gehe (stillschweigend) davon aus, dass der Aufenthaltsverbots-Bescheid gültig zugestellt worden sei, da ihm sonst der Boden entzogen wäre. Was die Rechtswirksamkeit der Zustellung des Aufenthaltsverbots-Bescheides betreffe, der in der Berufung gegen das Aufenthaltsverbot entgegengetreten werde, werde auf die Begründung des diesbezüglichen Berufungsbescheides verwiesen (vgl. unten Pkt. I.2.), wo zum Ausdruck gebracht werde, dass die bloße Behauptung des Beschwerdeführers unmittelbar vor der Zustellung des Bescheides, dass er einen Rechtsanwalt, Dr. Prader, mit der Vertretung betraut habe, die Behörde nicht habe verpflichten können, diesem das Schriftstück zuzustellen, so lange der angebliche Vertreter nicht auch seine Vertretungserklärung der Behörde übermittelt habe. Im Übrigen habe der Beschwerdeführer in diesem Verfahren nicht Dr. Prader, sondern Dr. Gussenbauer mit der Vertretung betraut.
Gemäß § 71 Abs. 1 AVG sei auf Antrag der Partei gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft mache, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert gewesen sei, die Frist einzuhalten, und dass sie daran nur ein minderer Grad des Versehens treffe. Es sei davon auszugehen, dass ein den Parteienvertreter treffendes Ereignis für die vertretene Partei nur dann einen Wiedereinsetzungsgrund bilde, wenn es für den Parteienvertreter selbst unvorhersehbar bzw. unabwendbar sei. Die Tatumstände, die beim Beschwerdeführer selbst nicht als ein ihn ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Frist hinderndes unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis in Betracht kommen könnten - wie etwa ein auf einem Irrtum beruhendes Versehen hinsichtlich einer Rechtsmittelfrist -, würden dann nicht als Wiedereinsetzungsgrund gewertet, wenn sie sich in der Person des vom Beschwerdeführer mit seiner Vertretung beauftragten Rechtsanwaltes selbst ereigneten. Ein den Parteienvertreter treffendes Ereignis sei nämlich für die vertretene Partei nur dann ein Wiedereinsetzungsgrund, wenn dieses für den Parteienvertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar und unverschuldet sei, d.h. also, für den Parteienvertreter bloß ein minderer Grad des Versehens vorliege; das Verschulden des Parteienvertreters treffe die Partei.
Bediene sich der Parteienvertreter einer Kanzlei als Hilfsapparat, so müsse grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die Kanzlei so organisiert sei und betrieben werde, dass die vollständige und fristgerechte Erfüllung von im Zusammenhang mit einem Einschreiten des Rechtsanwaltes ergehenden Aufträgen von Behörden und Gerichten gesichert erscheine. Er habe dabei alle Vorsorgen zu treffen, die ihm nach dem Bevollmächtigungsvertrag oblägen. Insoweit er diese Vorsorgen nicht in der Art und in dem Maß getroffen habe, wie es von ihm je nach der gegebenen Situation zu erwarten gewesen sei, komme "ein Verschulden an einer späteren Fristversäumnis" in Betracht. Ein Rechtsanwalt verstoße danach auch dann gegen seine anwaltliche Sorgfaltspflicht, wenn er weder im Allgemeinen noch im Besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen habe, die im Fall des Versagens eines Mitarbeiters Fristversäumung auszuschließen geeignet seien. Ein Verschulden treffe den Rechtsanwalt in einem solchen Fall nur dann nicht, wenn dargetan werde, dass die Fristversäumung auf einem ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten des entsprechenden Kanzleiangestellten beruhe.
Im vorliegenden Fall habe der bevollmächtigte Parteienvertreter nicht einmal behauptet, dass der Fehler einem Kanzleibediensteten unterlaufen wäre. Aus dem am 2. Jänner 1996 sowohl an die Bundespolizeidirektion St. Pölten als auch an die Bundespolizeidirektion Wien übermittelten Schreiben gehe lediglich hervor, dass die Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat zur Kenntnisnahme übermittelt würde, und aus dem Kanzleivermerk auf dem vom Parteienvertreter unterfertigten Schreiben gehe lediglich hervor, dass die "Beschwerde in Kopie" beiläge. Seitens des Parteienvertreters sei nicht einmal behauptet worden, dass er einem Kanzleiangestellten den Auftrag erteilt hätte, entgegen dem Schreiben und dem Kanzleivermerk auch die Berufung in dem einen Briefumschlag an die Bundespolizeidirektion Wien mitzusenden. Seitens des Parteienvertreters sei nicht einmal dargestellt worden, ob der Fehler einem Kanzleiangestellten oder ihm selbst unterlaufen sei. Bei dieser Sachlage könne nicht davon gesprochen werden, dass dem Parteienvertreter nur ein minderer Grad des Versehens anzulasten sei.
2. Mit Bescheid vom selben Tag wies die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer gegen den Aufenthaltsverbots-Bescheid vom 18. Dezember 1995 am 3. Jänner 1996 eingebrachte Berufung gemäß § 63 Abs. 5 iVm § 66 Abs. 4 AVG als verspätet zurück. Die Berufungsfrist betrage im Verwaltungsverfahren zwei Wochen. Der angefochtene Bescheid sei dem Beschwerdeführer am 18. Dezember 1995 anlässlich einer Amtshandlung (Vernehmung) bei der Behörde ausgefolgt worden. Der Beschwerdeführer bestreite die Gültigkeit der Zustellung und verweise darauf, dass er (unmittelbar zuvor) bekannt gegeben hätte, er hätte einen Rechtsanwalt, Dr. Prader, bereits bevollmächtigt. Tatsächlich sei aber der Erstbehörde zum Zeitpunkt der Zustellung keine Erklärung des angeblich Bevollmächtigten über das Zustandekommen eines Bevollmächtigungsverhältnisses vorgelegen. Eine Abstandnahme von der Zustellung an die Partei und eine Zustellung an einen angeblichen Vertreter, von dem die Behörde nicht gewusst habe, ob er überhaupt die Vollmacht angenommen hätte, sei daher nicht in Betracht gekommen. Abgesehen davon sei eine diesbezügliche Erklärung Dr. Praders auch nie eingelangt, der Beschwerdeführer habe in der Folge vielmehr Rechtsanwalt Dr. Wilfried Gussenbauer als seinen Vertreter bevollmächtigt, sodass auch ex post angenommen werden müsse, dass ein Vollmachtsverhältnis überhaupt nicht zustande gekommen sei.
Die Zustellung sei daher am 18. Dezember 1995 gültig erfolgt. Der letzte Tag der Beschwerdefrist sei somit der 2. Jänner 1996 gewesen. Dem am 3. Jänner 1996 gestellte Wiedereinsetzungsantrag sei nicht stattgegeben worden. Die erst am 3. Jänner 1996 zur Post gegebene Berufung sei daher als verspätet zurückzuweisen, ohne dass die belangte Behörde in der Lage gewesen wäre, sich mit den Berufungsausführungen in der Sache selbst auseinander zu setzen.
3. Gegen die unter I.1. und I.2. genannten Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden, in denen die Aufhebung der angefochtenen Bescheide wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrt wird.
4. Die belangte Behörde legte die Akten der Verwaltungsverfahren vor und erstattete Gegenschriften, in denen sie die Abweisung der Beschwerden beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur Beratung und Beschlussfassung verbunden und hierüber erwogen:
1.1. Vorweg ist festzuhalten, dass - insoweit stimmen die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens überein - die Frist zur Erhebung einer Berufung gegen den Aufenthaltsverbots-Bescheid vom 18. Dezember 1995 versäumt wurde, somit die wesentliche Voraussetzung für die Zulässigkeit seines Wiedereinsetzungsantrages erfüllt ist (§ 71 Abs. 1 AVG).
1.2. Nach der vorliegend in Betracht kommenden Bestimmung des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei. Dabei stellt ein einem Rechtsanwalt widerfahrenes Ereignis einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Rechtsanwalt selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und ihn höchstens ein minderer Grad des Versehens trifft. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Zu beurteilen ist somit das Verhalten des Rechtsanwaltes selbst (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 1999, Zl. 98/18/0217). Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist Letzterem (und damit auch der Partei) wiederum nur dann als Verschulden anzulasten, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Angestellten unterlassen hat. Unterläuft einem Angestellten, dessen Zuverlässigkeit glaubhaft dargetan wird, erst nach der Unterfertigung eines fristgebundenen Schriftsatzes und nach Kontrolle desselben durch den bevollmächtigten Rechtsanwalt im Zuge der Kuvertierung oder Postaufgabe ein Fehler, so stellt dies ein unvorhergesehenes Ereignis dar. Die Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft diese rein manipulativen Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, ist dem Rechtsanwalt nicht zumutbar, will man nicht seine Sorgfaltspflicht überspannen. Ein Rechtsanwalt kann indes rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken ohne nähere Beaufsichtigung einer verlässlichen Kanzleikraft überlassen. Im Übrigen trifft ihn aber an Irrtümern seiner Angestellten bei Vernachlässigung der ihm zumutbaren Überwachungspflicht ein Verschulden. (Vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 3. April 1998, Zl. 97/19/0491.)
2. Auf dem Boden dieser Rechtslage ist das Vorbringen des Beschwerdeführers gegen den seinen Antrag auf Wiedereinsetzung abweisenden Bescheid nicht geeignet, eine Rechtswidrigkeit dieses Bescheides darzutun.
Entgegen der Beschwerde hat die Behörde - wie die Wiedergabe des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG im angefochtenen Bescheid zeigt (vgl. oben I.1.) - die genannte Regelung in der im Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheides geltenden Fassung angewendet.
Mit ihren Hinweisen, die Kanzlei des Vertreters des Beschwerdeführers sei - im Sinn des von der belangten Behörde angelegten Maßstabes - so organisiert gewesen und betrieben worden, dass die vollständige und fristgerechte Erfüllung von im Zusammenhang mit einem Einschreiten des Vertreters ergehenden Aufträgen von Behörden und Gerichten gesichert erscheine, und die verspätete Einbringung der Berufung sei (lediglich) durch ein "Versehen minderen Grades im internen Kanzleiablauf, wobei Derartiges bisher nicht passiert" sei, verursacht worden, und es habe in der Kanzlei des Vertreters des Beschwerdeführers "wirksame Kontrollen ... wohl gegeben ", im Beschwerdefall sei "die Wirksamkeit wegen des gegenständlichen Irrtums" aber nicht zum Tragen gekommen, ist für die Beschwerde nichts zu gewinnen. Zum Einen lässt sich diesem Vorbringen nicht die für die Zulässigkeit einer Wiedereinsetzung nach § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG von der hg. Rechtsprechung geforderte glaubhafte Dartuung der Zuverlässigkeit des vom besagten Vertreter im Rahmen des internen Kanzleiablaufs zum Kuvertieren des unter I.1. genannten Schreibens vom 2. Jänner 1996 herangezogenen Angestellten entnehmen, zum Anderen geben diese Hinweise auch sonst - weder allgemein noch bezogen auf das genannte Schreiben - in keiner Weise Aufschluss über den näheren Ablauf der in dieser Kanzlei bei der Erstellung und Expedierung von Poststücken eingeschlagenen Vorgangsweise, was der Beurteilung, dass vorliegend der Vertreter des Beschwerdeführers seiner ihm - im Sinn der vorzitierten hg. Rechtsprechung - zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht nachgekommen ist, entgegensteht.
Auf dem Boden des Gesagten hat der Beschwerdeführer somit nicht glaubhaft gemacht, dass er durch ein unvorhergesehenes und/oder unabwendbares Ereignis an der Einhaltung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen den Aufenthaltsverbots-Bescheid vom 18. Dezember 1995 verhindert war. Die von der belangten Behörde ausgesprochene Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages entspricht somit dem Gesetz (§ 71 Abs. 1 Z. 1 AVG).
3. Da die Berufung gegen den besagten Aufenthaltsverbots-Bescheid unbestritten nach Ablauf der zweiwöchigen Rechtsmittelfrist (§ 63 Abs. 5 AVG) erhoben wurde, steht auch die Zurückweisung der Berufung als verspätet mit dem Gesetz in Einklang.
4. Die vorliegenden Beschwerden erweisen sich somit als unbegründet und waren daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 2. September 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1996180211.X00Im RIS seit
03.04.2001