TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/6 W211 2168634-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.11.2018
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Entscheidungsdatum

06.11.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W211 2168634-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a SIMMA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Somalia, gegen Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX zu Recht:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX

gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die beschwerdeführende Partei, eine weibliche Staatsangehörige Somalias, stellte am XXXX .2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich und gab im Rahmen ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX .2016 zusammengefasst an, aus XXXX in Gedo zu stammen, den Midgan anzugehören und Somalia wegen der Islamisten verlassen zu haben. Diese hätten den Vater getötet und die Mutter sowie vier Geschwister entführt.

2. Am XXXX .2017 wurde die beschwerdeführende Partei von der belangten Behörde unter Beiziehung ihrer Vertretung und einer Dolmetscherin für die somalische Sprache einvernommen und gab dabei soweit wesentlich an, dass ihr Bruder wegen einer Website und Drohungen durch die Al Shabaab nach Kenia gegangen sei; ihr Vater sei von Al Shabaab umgebracht worden, weil er der Kollaboration mit der Regierung verdächtigt worden sei. Sie habe eine Weile bei einer Tante gelebt, die sie habe beschneiden lassen und sie nicht gut behandelt habe. Ihre Mutter habe dann heimlich Zigaretten geschmuggelt und verkauft. Al Shabaab habe ihr Haus eines Abends angegriffen und die beschwerdeführende Partei sowie einen Freund, der sie besucht habe, mitgenommen und bedroht. Bei einem Angriff auf die Al Shabaab sei es der beschwerdeführenden Partei gelungen zu fliehen.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der beschwerdeführenden Partei bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihr gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG erteilt (Spruchpunkt III.). Die belangte Behörde ging davon aus, dass die Angaben der beschwerdeführenden Partei zum Fluchtgrund glaubhaft seien, jedoch nur eine Verfolgung durch Private, auch nicht konkret gegen sie gerichtet, darstellen würden.

4. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides wurde rechtzeitig Beschwerde eingebracht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur beschwerdeführenden Partei:

1.1.1. Die beschwerdeführende Partei ist eine weibliche Staatsangehörige Somalias. Sie stellte am XXXX .2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

1.1.2 Die beschwerdeführende Partei stammt aus XXXX in Gedo in Somalia und gehört dem Clan der Madhibaan an.

1.1.3. Die beschwerdeführende Partei ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur relevanten Situation in Somalia wird festgestellt wie folgt:

Al Shabaab begeht Morde, entführt Menschen, begeht Vergewaltigungen und vollzieht unmenschliche und grausame Bestrafungen; Bürgerrechte und Bewegungsfreiheit werden eingeschränkt. Al Shabaab rekrutiert Kindersoldaten (USDOS 13.4.2016; vgl. HRW 27.1.2016; BS 2016). Da auf dem Gebiet der al Shabaab eine strikte Interpretation der Scharia zur Anwendung gebracht wird, kommt es dort zu Folter und körperlichen Strafen, wenn die Interpretation nicht eingehalten wird (UKHO 3.2.2015; vgl. EASO 2.2016; AI 24.2.2016). Außerdem richtet al Shabaab regelmäßig und ohne ordentliches Verfahren Menschen unter dem Vorwurf hin, diese hätten mit der Regierung, einer internationalen Organisation oder einer westlichen Hilfsorganisation zusammengearbeitet oder spioniert (AA 1.12.2015; vgl. AI 24.2.2016). Moralgesetze verbieten das Rauchen, das öffentliche Einnehmen von Khat, weltliche Musik und das Tanzen (BS 2016), Filme, und Sport (EASO 2.2016); Verschleierung und Männerhaarschnitte werden vorgeschrieben (BS 2016). Die Rekrutierung von Kindersoldaten und Zwangsehen haben bei al Shabaab laut einem UN-Bericht zugenommen (EASO 2.2016).

Aufgrund der anhaltend schlechten Sicherheitslage sowie mangels Kompetenz der staatlichen Sicherheitskräfte und Justiz muss der staatliche Schutz in Süd-/Zentralsomalia als schwach bis nicht gegeben gesehen werden (ÖB 10.2015). Der Regierung gelingt es nicht, Zivilisten Schutz zukommen zu lassen (HRW 27.1.2016).

1.3. Festgestellt wird, dass der Vater der beschwerdeführenden Partei wegen einer unterstellten Kollaboration mit der Regierung 2014 von Al Shabaab getötet wurde. Die beschwerdeführende Partei selbst wurde im Oktober 2015 von Al Shabaab mitgenommen und ca. drei Nächte eingesperrt. Es wurde ihr der Vorwurf eines "unislamischen Verhaltens" gemacht sowie moniert, dass ihre Mutter Zigaretten geschmuggelt und verkauft hat. Die beschwerdeführende Partei entzog sich einer weiteren Bestrafung durch ihre Flucht vor der Al Shabaab und durch ihre Ausreise.

Damit besteht für die beschwerdeführende Partei die Gefahr, im Falle einer Rückkehr in ihren Heimatort in Gedo durch Al Shabaab wegen ihres früheren Verhaltens und ihrer Flucht bedroht und bestraft zu werden.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Aufgrund der im Verfahren unterlassenen Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments bzw. sonstigen Bescheinigungsmittels konnte die Identität der beschwerdeführenden Partei nicht festgestellt werden.

Das Datum der Antragstellung und Ausführungen zum Verfahrenslauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.

2.2. Die Feststellungen zur Herkunft und zur Clanzugehörigkeit beruhen auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben der beschwerdeführenden Partei im Verfahren und wurden außerdem bereits durch die belangte Behörde getroffen (vgl. S. 10 des angefochtenen Bescheids). Das Bundesverwaltungsgericht hat keinen Grund, an diesen Angaben zu zweifeln.

Dass die beschwerdeführende Partei strafgerichtlich unbescholten ist, ergibt sich aus einem Auszug aus dem Strafregister vom XXXX .2018.

2.3. Die Feststellungen zu 1.2. beruhen auf den im angefochtenen Bescheid rezipierten Länderinformationen, die nicht bestritten wurden. Sie fußen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation aus 2017 und beruhen auf den folgenden

Detailquellen:

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (1.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

-

AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/319738/445108_en.html, Zugriff 22.3.2016

-

BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,

https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 24.3.2016

-

EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1457606427_easo-somalia-security-feb-2016.pdf, Zugriff 22.3.2016

-

HRW - Human Rights Watch (27.1.2016): World Report 2016 - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/318350/443530_en.html, Zugriff 22.3.2016

-

UKHO - UK Home Office (3.2.2015): Country Information and Guidance

-

Somalia: Women fearing gender-based harm / violence, http://www.refworld.org/docid/54d1daef4.html, Zugriff 14.4.2016

-

USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252727, Zugriff 14.4.2016

-

ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (10.2015):

Asylländerbericht Somalia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1729_1445329855_soma-oeb-bericht-2015-10.pdf, Zugriff 25.2.2016

Das Bundesverwaltungsgericht hat keinen Grund, an der Ausgewogenheit und Verlässlichkeit der Länderinformationen zu zweifeln.

Zwischenzeitlich wurden diese Länderinformationen jedoch aktualisiert; das Länderinformationsblatt zur Gänze am 12.01.2018; die Versorgungssituation zuletzt am 17.09.2018. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich nach einer Einschau in die aktualisierten Länderberichte jedoch davon versichern, dass sich die relevante Situation nicht geändert, insbesondere nicht verbessert, hat (vgl. dazu die S. 83 des LIB 2018 betreffend Al Shabaab und S. 56 LIB 2018 betreffend die Schutzfähigkeit).

2.4. Zur Feststellung unter 1.3., die der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden soll, ist vorab zu sagen, dass die belangte Behörde das fluchtrelevante Vorbringen der beschwerdeführenden Partei (so wohl insbesondere die Kontakte und Probleme mit Al Shabaab) für glaubhaft hielt und dies auch im Rahmen der Feststellungen (S. 10 des angefochtenen Bescheids) und der Beweiswürdigung (S. 39 des angefochtenen Bescheids) anführte. Das Bundesverwaltungsgericht hat keinen Grund, an dieser Einschätzung zu zweifeln.

Die Feststellung, dass sich daraus eine Gefährdung für die beschwerdeführende Partei ergibt, fußt auf den relevanten Länderberichten und den konkreten Angaben der beschwerdeführenden Partei: So gab diese an, dass ihr Vater einer Kollaboration mit der Regierung verdächtigt wurde (siehe S. 7 des Einvernahmeprotokolls vom XXXX .2017), die Mutter beim Zigarettenschmuggeln erwischt worden sei - ein an sich von der Al Shabaab zensiertes Verhalten (S. 8 des Protokolls) -, und auch sie selbst eines nach der Miliz unsittlichen Verhaltens mit einem befreundeten Jungen verdächtig wurde (S. 8 des Protokolls). Somit kann der Einschätzung der belangten Behörde, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass die beschwerdeführende Partei als Einzelperson einer Verfolgung unterliegen würde, nicht gefolgt werden und finden sich ausreichende Anknüpfungspunkte für eine konkrete Gefährdung der beschwerdeführenden Partei selbst wegen eines (unterstellten) Verhaltens ihrer Eltern und ihrer selbst.

In Hinblick auf die drohende Gefährdung ist zu sagen, dass aus den Länderberichten, die auch von der Behörde rezipiert wurden, kurz, aber deutlich hervorgeht, dass Al Shabaab drakonische Strafen über Personen verhängen kann, und es auch tut, die einer Kollaboration mit der Regierung verdächtigt werden bzw. sich an die Vorgaben der Miliz nicht halten.

Die Länderberichte geben darüber hinaus, in den nicht von der Behörde rezipierten Teilen, Auskunft darüber, dass in den Gebieten unter Al Shabaab Kontrolle die Unterstützung der Regierung und Äußerungen gegen die Miliz ausreichen, um als Verräter verurteilt und hingerichtet zu werden (S. 75 des LIB aus 2017). In einer Art Umkehrschluss formuliert das LIB für jene Gebiete, die unter AMISOM Kontrolle stehen, dass es für Personen, die in einem städtischen Gebiet leben, das von AMISOM und/oder der Regierung kontrolliert wird, und die weder mit der Regierung noch der internationalen Gemeinschaft in Verbindung stehen, diese unterstützen, oder von denen angenommen wird, dass sie diese unterstützen, unwahrscheinlich ist, dass sie für Al Shabaab von Interesse sind (ebda.). Das trifft auf die beschwerdeführende Partei jedoch nicht zu, deren Eltern der Kollaboration und eines unislamischen Verhaltens verdächtigt wurden und die selbst bereits einmal aufgefallen ist. Die belangte Behörde nutzte dieses LIB der Staatendokumentation im angefochtenen Bescheid; das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass auch die gerade eben ergänzten Teile bekannt waren und sind.

Aus all diesen Faktoren ergibt sich für das Bundesverwaltungsgericht eine ausreichend drohende Gefährdung durch die Miliz, um eine entsprechende Feststellung zu treffen.

3. Rechtliche Beurteilung:

A) Spruchpunkt I.:

3.1. Rechtsgrundlagen

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einer Fremden, die in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihr im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb ihres Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

3.1.2. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation der Asylwerberin unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre der Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH, 05.08.2015, Ra 2015/18/0024 und auch VwGH, 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (vgl. VwGH, 26.02.1997, Zl. 95/01/0454), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH, 18.04.1996, Zl. 95/20/0239), sondern erfordert eine Prognose. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob die Asylwerberin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Besteht für die Asylwerberin die Möglichkeit, in einem Gebiet ihres Heimatstaates, in dem sie keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt.

3.1.3. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat zurechenbar sein (vgl. VwGH, 18.02.1999, Zl. 98/20/0468). Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz dann zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat der Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. unter vielen anderen mwN VwGH, 20.05.2015, Ra 2015/20/0030 und 08.09.2015, Ra 2015/18/0010).

3.2. Anwendung der Rechtsgrundlagen auf die gegenständliche Beschwerde:

3.2.1. Damit ist die beschwerdeführende Partei eine Frau, deren Vater 2014 von Al Shabaab wegen des Verdachts einer Kollaboration mit der Regierung getötet wurde, deren Mutter der Al Shabaab wegen Zigarettenschmuggels bereits aufgefallen ist und die selbst im Oktober 2015 von Al Shabaab mitgenommen, eines "unislamischen Verhaltens" verdächtigt und der eine Bestrafung angedroht wurde, der sie sich durch Flucht entzogen hatte.

Dieser Sachverhalt wird nun vom Bundesverwaltungsgericht dahingehend anders gewürdigt, als von der belangten Behörde, als dass sich daraus für dieses eine ausreichend aktuelle und wahrscheinliche Verfolgungsgefahr der beschwerdeführenden Partei durch die Miliz wegen einer ihr auch nur unterstellten oppositionellen politischen und religiösen Gesinnung ergibt.

Selbst wenn davon ausgegangen werden soll, dass es sich bei der Miliz um einen privaten Akteur in Somalia handelt (wobei das für Gebiete, die von der Al Shabaab kontrolliert werden, eher fraglich scheint, vgl. auch zB LIB 2017, S. 30), so kann nach ständiger Rechtsprechung des VwGH, die oben unter 3.1.3. dargestellt ist, auch bei privaten Akteuren asylrelevante Verfolgungsgefahr dann entstehen, wenn diese Verfolgungsgefahr entweder auch auf einem Konventionsgrund beruht und kein staatlicher Schutz dagegen besteht, oder staatlicher Schutz dagegen aus Konventionsgründen nicht zur Verfügung steht oder verweigert wird. Im Falle der Al Shabaab findet eine allfällige Verfolgung gegenständlich (und zumeist) wegen einer auch nur unterstellten oppositionellen politischen und/oder religiösen Gesinnung - und damit wegen eines bzw. zweier Konventionsgründe - statt.

Eine Schutzfähigkeit somalischer Sicherheitsbehörden ist nach den relevanten Länderberichten nicht gegeben.

Daher ist entgegen der Ansicht der Behörde gegenständlich von einer asylrelevanten aktuellen Verfolgungsgefahr auszugehen.

3.2.2. Eine Prüfung der innerstaatlichen Fluchtalternative kann vor dem Hintergrund entfallen, dass die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Widerspruch zum gewährten subsidiären Schutz stehen würde, weil § 11 AsylG 2005 die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).

3.2.3. Da sich im Verfahren auch keine Hinweise auf Ausschlussgründe des § 6 AsylG ergeben haben, ist der beschwerdeführenden Partei nach dem oben Gesagten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist diese Entscheidung mit der Aussage zu verbinden, dass ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz nach dem 15.11.2015 gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 2016/24 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall Anwendung finden.

4. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012, kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint; im Übrigen gilt § 24 VwGVG. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteienantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen. Im vorliegenden Fall geht der Sachverhalt eindeutig aus den Akten hervor und lässt die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Gegenständlich wird der Beweiswürdigung der belangten Behörde zur Glaubhaftigkeit des Vorbringens gefolgt; der Sachverhalt jedoch rechtlich anders beurteilt.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei der erheblichen Rechtsfrage betreffend die Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchpunkt A. wiedergegeben.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung, politische Gesinnung,
Schutzunfähigkeit, Schutzunwilligkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W211.2168634.1.00

Zuletzt aktualisiert am

16.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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