Entscheidungsdatum
07.11.2018Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W192 2179103-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , StA. Georgien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.11.2017, Zahl 1172479100-171229208, zu Recht erkannt:
A) I. Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z. 3, 57 AsylG 2005 i. d. g. F., § 9 BFA-VG i. d. g. F. und §§ 52, 55 Abs. 1a FPG und § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG i. d. g. F. als unbegründet abgewiesen.
II. Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird als unzulässig zurückgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
1. Die Beschwerdeführerin, eine georgische Staatsangehörige, stellte nach illegaler Einreise am 31.10.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, zu welchem sie am Tag der Antragstellung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich erstbefragt wurde. Die Beschwerdeführerin gab an, sie gehöre der georgischen Volksgruppe an, sei islamischen Glaubens, verfüge über Hochschulbildung, sei ausgebildete Geschichtslehrerin und zuletzt als Kassiererin tätiggewesen. Im Herkunftsstaat hielten sich ihre Eltern, ihr jüngerer Bruder sowie ihr Verlobter auf. Sie habe ihren Herkunftsstaat auf dem Luftweg verlassen, ihr georgisches Reisedokument habe sie nach Ankunft in Österreich entsorgt. Zu ihrem Fluchtgrund führte die Beschwerdeführerin an, seit 2006 eine Beziehung mit einem namentlichen genannten Mann zu führen, welcher christlichen Glaubens sei. Etwa drei Wochen zuvor habe ihr Vater von dieser Beziehung erfahren und, ebenso wie ihr Bruder, aus diesem Grund die Absicht gehabt, die Beschwerdeführerin zu töten. Ihre Mutter hätte die Beschwerdeführerin diesbezüglich gewarnt. Die Beschwerdeführerin habe sich anschließend zwei Wochen lang bei ihrem Verlobten versteckt. Aus Angst, dass ihr etwas zustoßen könnte, habe ihr Verlobter entschieden, dass sie nach Österreich fliehen solle.
Am 15.11.2017 wurde die Beschwerdeführerin nach Zulassung ihres Verfahrens niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Die Beschwerdeführerin gab eingangs an, gesund zu sein und sich zur Durchführung der Einvernahme in der Lage zu fühlen. Die Beschwerdeführerin habe im Vorfeld ihrer Ausreise gemeinsam mit ihren Eltern und ihrem Bruder in ihrem Elternhaus in einem näher bezeichneten Dorf gelebt, ihre Familie habe durch den Verkauf von Obst und Gemüse ein Einkommen erzielt. Die Beschwerdeführerin sei ausgebildete Lehrerin für Geschichte, habe jedoch in diesem Berufsfeld nicht gearbeitet, sondern sei bis zum Jahr 2015 als Kassiererin für eine Stromfirma tätig gewesen. Im Anschluss sei sie kurzfristig arbeitslos gewesen und habe in der Folge von ihrer Familie angebautes Gemüse und Obst auf einem Bazar verkauft. Die Beschwerdeführerin sei Muslimin und gehöre der Volksgruppe der Kisten an. Die Beschwerdeführerin sei keine strenggläubige Muslimin, sie habe keine Moschee besucht und kein Kopftuch getragen. Ihre Eltern seien in etwa so gläubig wie sie und gingen kaum in die Moschee, ihr Bruder sei ein wenig gläubiger. Die Möglichkeit in einen anderen Teil Georgiens zu ziehen und dort als Lehrerin zu arbeiten hätte die Beschwerdeführerin nicht gehabt, da ihre Eltern dies nicht erlauben würden. Zuletzt hätte ihr in ihrem Heimatort eine Arbeit als Lehrerin in einem Kindergarten in Aussicht gestanden. Derzeit habe sie weder zu ihrer Familie, noch zu ihrem Freund Kontakt. Ihr Vater und ihr Bruder würden "schlecht" reagieren, wenn sie vom Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich erfahren würden, da es bei den Kisten nicht gestattet wäre, als Frau alleine irgendwo hin zu gehen. Es wäre ihr nicht möglich, mit ihrem Freund etwa nach Tiflis zu ziehen, da ihr Freund Christ wäre; bei ihnen gebe es die Todesstrafe, wenn man einen Christen heirate und ihre Eltern würden dies nie verzeihen.
Zum Grund ihrer Antragstellung auf internationalen Schutz in Österreich führte die Beschwerdeführerin aus, sie sei von ihrem Vater weggelaufen, habe in Österreich keine Arbeit finden können, spreche kein Deutsch und habe keine finanziellen Mittel. Ihr Vater habe von ihrer Beziehung mit ihrem Freund erfahren, wofür es harte Strafen gebe. Auch wenn sie in ihrem Dorf in Zukunft heiraten würde, würde sich herausstellen, dass sie keine Jungfrau mehr sei und es würde sie die Todesstrafe erwarten. Bei ihnen gelte es als Schande für die gesamte Familie, wenn man bereits vor der Ehe Geschlechtsverkehr habe. Ihr Bruder habe von der Beziehung erfahren, eventuell habe dieser ein Telefongespräch mit ihrem Freund mitgehört. Ihr Vater und ihr Bruder hätten sie mit einem Messer bedroht und ihr gesagt, dass sie die Wahrheit sagen müsse, ansonsten würde sie Strafe/Todesstrafe erwarten. Aus diesem Grund sei sie weggelaufen. Ihr Vater habe sie, nachdem sie die Beziehung zugegeben hätte, im Keller eingesperrt. Ihre Mutter habe sie dann rausgelassen und ihr gesagt, dass sie weglaufen solle. Ihre Mutter habe ihr einen kleinen Koffer mitgegeben, in dem sich lediglich etwas Gewand zum Wechseln befunden hätte. Sie sei danach nicht mehr nach Hause zurückgekehrt und hätte sich nicht noch einmal mit ihrer Mutter getroffen. Auf Vorhalt, wie sie diesfalls zu ihrem bei der Ausreise mitgeführten Reisepass gelangt sei, erklärte die Beschwerdeführerin, dass sich in dem Koffer, welchen sie von ihrer Mutter erhalten hätte, zudem ihre kleine Handtasche mit ihrem Reisepass darin befunden hätte. Anschließend sei sie zwei Wochen mit ihrem Freund in einer näher bezeichneten georgischen Stadt aufhältig gewesen und habe in diesem Zeitraum das Haus aus Angst nicht verlassen. Sie habe sich angesichts der Todesdrohungen nicht an die georgischen Behörden gewandt, da dies nach ihren Bräuchen nicht erlaubt sei und auch nichts ändern würde. Würde sie sich in Georgien befinden, würde sie von ihrer Familie gefunden werden. Ihr Freund habe nicht gemeinsam mit ihr ausreisen können, da dessen Mutter krank wäre. Weitere Fluchtgründe habe sie nicht; sie sei vor ihrem Vater und Bruder weggelaufen. Außer ihrem Freund und ihrer Familie wisse niemand von der Beziehung. Die Beschwerdeführerin habe nie persönliche Schwierigkeiten mit den Behörden ihres Heimatlandes gehabt. Die Beschwerdeführerin bestätigte die mit ihr erörterten Länderfeststellungen zu Georgien und wiederholte, dass sie keine Probleme mit ihrem Herkunftsstaat, sondern lediglich mit ihrer Familie gehabt habe. Desweiteren wurde der Beschwerdeführerin der zusammengefasste Inhalt eines Aufsatzes von SANIKIDZE mit dem Titel "Islamic Resurgence in the Modern Caucasian Region: Global and Local Islam in the Pankisi Gorge" vorgehalten. Auf Vorhalt, dass es sich beim Vorbringen der Beschwerdeführerin um eine nicht asylrelevante Bedrohung durch die eigene Familie handeln würde und aufgrund der Einstufung Georgiens als sicherer Herkunftsstaat für sie die Möglichkeit bestanden hätte, sich an die dortigen Sicherheitsbehörden zu wenden, meinte die Beschwerdeführerin, dass es doch kein größeres Problem als die Bedrohung des eigenen Lebens geben würde. Sie ersuche darum, lediglich so lange in Österreich bleiben zu dürfen, bis sich die vor ihrer Ausreise eskalierte Situation wieder beruhigt hätte.
Die Beschwerdeführerin besuche einen Deutschkurs, darüber hinaus weise sie in Österreich keine integrative Verfestigung auf und habe hier keine Familienangehörigen.
2. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass deren Abschiebung nach Georgien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VI.) und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt werde.
Die Behörde stellte die Staatsangehörigkeit, Religion und Volksgruppenzugehörigkeit sowie - aufgrund des in Vorlage gebrachten Führerscheins - die Identität der Beschwerdeführerin fest. Eine persönliche Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Einrichtungen Georgiens habe nicht festgestellt werden können und sei durch die Beschwerdeführerin auch nicht behauptet worden. Eine persönliche Verfolgung durch Privatpersonen habe sie nicht glaubhaft machen können; es sei nicht glaubhaft, dass ihr Ermordung durch ihren Vater oder ihren Bruder drohe.
Im Rahmen der Beweiswürdigung wurde die Unglaubwürdigkeit des vorgebrachten Fluchtgrundes zunächst damit begründet, dass nicht ersichtlich sei, weshalb sich die Beschwerdeführerin unter Berufung auf die Traditionen ihrer kistischen Herkunft in Bezug auf die behauptete Bedrohung nicht an die Polizei gewandt hätte, zumal der Verstoß gegen jene Traditionen nicht als schwerwiegender erachtet werden könne als die ihr - ihren Angaben zufolge - andernfalls drohende Ermordung. Andererseits habe die Beschwerdeführerin bereits in der Vergangenheit sowohl durch die Beziehung mit einem Christen als auch durch ihren nunmehrigen Aufenthalt in Österreich gegen besagte Traditionen verstoßen; insofern sei es auch nicht verständlich, weshalb die Beschwerdeführerin ein gemeinsames Leben mit ihrem Freund außerhalb des Einflussbereiches ihrer Familie unter Berufung auf die entgegengesetzten Traditionen kategorisch ausschließe. Seitens der Behörde herangezogene Informationsquellen über die Kisten im Pankisi-Tal würden zwar zum Teil die seitens der Beschwerdeführerin beschriebenen Traditionen der Kisten bestätigen; dass jedoch außerehelicher Geschlechtsverkehr einer 32-jährigen, noch nicht versprochenen oder verheirateten, Frau mit dem Tod bestraft werde, finde in besagtem Berichtsmaterial keine Bestätigung. Auch die traditionelle Bindung zum Dorf bzw. Tal, welche sie an einem Umzug nach Tiflis gehindert hätte, sei nicht belegt, im Übrigen habe die Beschwerdeführerin auch selbst während ihres Studiums in einer anderen Region Georgiens gelebt. Da sie die Traditionen ihrer Familie ohnedies gebrochen hätte, sei nicht ersichtlich, weshalb ihr ein künftiges Leben in einem anderen Teil Georgiens abseits ihrer Familie nicht möglich sein sollte, zumal die Beschwerdeführerin auch angegeben hätte, dass weder ihrer Familie der Name ihres Freundes vertraut wäre, noch sei diese Beziehung über den Kreis ihrer Herkunftsfamilie hinaus bekannt. Der Beschwerdeführerin wäre eine standesamtliche Eheschließung mit ihren Freund möglich gewesen. Im Übrigen sei die Glaubwürdigkeit der vorgebrachten Bedrohungssituation zusätzlich durch näher dargestellte Divergenzen zwischen den Schildrungen der Beschwerdeführerin anlässlich der der Erstbefragung und jenen vor dem Bundesamt erschüttert. Die Beschwerdeführerin stamme aus einem sicheren Herkunftsstaat und es wäre ihr möglich und zumutbar, sich im Falle einer Bedrohung durch Privatpersonen der Schutzmechanismen ihres Herkunftsstaates zu bedienen, zumal die dortigen Behörden schutzwillig und schutzfähig wären. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die Beschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt wäre oder dass sonstige einer Rückkehr oder Rückführung entgegenstehenden Gründe vorliegen würden. Die Beschwerdeführerin sei ledig und kinderlos, sie leide an keinen schwerwiegenden Erkrankungen, verfüge über Schulbildung sowie Berufserfahrung und habe verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte ein Georgien. Ihr werde eine Bestreitung ihres Lebensunterhalts in Georgien - wie schon vor ihrer Ausreise - möglich sein und es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführerin ihre Lebensgrundlage im Herkunftsstaat gänzlich entzogen oder sie im Fall einer Rückkehr in eine existenzbedrohende Notlage gedrängt wäre.
Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach § 57 AsylG seien nicht gegeben. Die erst seit einem Monat im Bundesgebiet aufhältige Beschwerdeführerin verfüge über keine verwandtschaftlichen, sonstigen sozialen oder wirtschaftlichen Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet und es hätten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden können. Da die Beschwerdeführerin aus einem sicheren Herkunftsstaat im Sinne des § 19 BFA-VG stammen würde und dieser keine reale menschenrechtsrelevante Gefahr im Herkunftsstaat drohe, sei es dieser zumutbar, den Ausgang ihres Asylverfahrens im Herkunftsstaat abzuwarten, weshalb einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung abzuerkennen und damit einhergehend keine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren gewesen wäre.
3. Gegen diesen, der Beschwerdeführerin am 24.11.2017 zugestellten, Bescheid brachte die Beschwerdeführerin durch ihre nunmehrige Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 04.12.2017 fristgerecht Beschwerde ein, in welcher unter anderem beantragt wurde, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Begründend wurde ausgeführt, dass die belangte Behörde es unterlassen hätte, auf das konkrete individuelle Vorbringen einzugehen und die Gesamtbeurteilung anhand der verfügbaren herkunftsstaatspezifischen Informationen und entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorzunehmen.
Mit Eingaben vom 14.08.2018 sowie vom 09.10.2018 wurden Unterlagen über zwei stationäre Krankenhausaufenthalte der Beschwerdeführerin mit der Entlassungs-Diagnose einer rez. depressiven Episode, ggw. schwer F32.3, übermittelt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die volljährige Beschwerdeführerin führt die im Spruch angeführten Personalien, ist Staatsangehörige von Georgien, Angehörige der kistischen Volksgruppe sowie der muslimischen Glaubensrichtung. Die Beschwerdeführerin hat im Herkunftsstaat ein Universitätsstudium absolviert, ist ausgebildete Lehrerin für Geschichte und war langjährig als Kassiererin für eine Stromfirma berufstätig. Sie hat - mit Ausnahme ihrer vierjährigen Studienzeit - in ihrem Herkunftsdorf im Pankisi-Tal zusammen mit ihren Eltern und ihrem jüngeren Bruder gelebt. Die Beschwerdeführerin hat nach illegaler Einreise ins Bundesgebiet am 31.10.2017 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt und hält sich seit diesem Zeitpunkt im Bundegebiet auf.
Die Beschwerdeführerin hat den Herkunftsstaat verlassen, um in Europa bessere Lebensbedingungen vorzufinden. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin aufgrund einer vor ihrer Familie verheimlichten Beziehung mit einem Christen seitens ihres Vaters und ihres Bruders mit dem Tod bedroht worden ist oder dass ihr in Bezug auf eine derartige Bedrohung, so sie tatsächlich stattgefunden hätte, eine Inanspruchnahme der staatlichen Schutzmechanismen Georgiens nicht möglich wäre. Es kann auch sonst nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Georgien aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.
Es besteht für die Beschwerdeführerin als ledige gesunde leistungsfähige Frau im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf im Falle einer Rückkehr nach Georgien keine reale Bedrohungssituation für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit; ihr steht die Möglichkeit offen, sich - alternativ zu ihrem Heimatdorf - in einem anderen Landesteil Georgiens, etwa der Hauptstadt Tiflis, niederzulassen. Die Beschwerdeführerin leidet an keinen Erkrankungen im physischen Bereich; im psychischen Bereich wurde zuletzt eine gegenwärtig schwere Episode einer rez. depressiven Störung diagnostiziert und eine medikamentöse Behandlung eingeleitet. In Georgien besteht eine ausreichende medizinische Grundversorgung, sodass ihr eine diesbezügliche Behandlung auch im Herkunftsstaat möglich sein wird. Diese liefe auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Neben ihrer Herkunftsfamilie (Eltern und Bruder) hält sich in Georgien unverändert der Freund der Beschwerdeführerin auf.
Die unbescholtene Beschwerdeführerin bestreitet ihren Lebensunterhalt aktuell im Rahmen der Grundversorgung und geht keiner Erwerbstätigkeit oder ehrenamtlichen Tätigkeit nach. Sie hat einen Deutschkurs besucht, jedoch keinen Nachweis über bereits vorhandene Deutschkenntnisse oder anderweitige Integrationsbemühungen vorgelegt. Sie hat im Bundegebiet keine Familienangehörigen oder sonstigen engen sozialen Bindungen.
1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:
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KI vom 15.11.2017, Gemeinde- und Bürgermeisterwahlen (relevant für Abschnitt 2/ Politische Lage)
Am 21.10. und 12.11.2017 fanden Gemeinde- und Bürgermeisterwahlen statt. In der ersten Runde am 21.10.2017 gewann die Regierungspartei, Georgischer Traum, in allen Wahlkreisen und sicherte sich 63 von 64 Bürgermeisterämter, darunter in der Hauptstadt Tiflis (RFE/RL 12.11.2017). Das Parteienbündnis des Georgischen Traums erhielt landesweit im Durchschnitt 55,7% der Wählerstimmen. Die führende Oppositionspartei, die Vereinte Nationale Bewegung, erhielt als zweitstärkste Kraft 17,1%. Die Wahlbeteiligung fiel mit 45,6% verhältnismäßig schwach aus (GA 23.10.2017). Bei der Bügermeisterstichwahl am 12.11.2017 gewannen in fünf der sechs ausstehenden Städte ebenfalls die Kandidaten des Georgischen Traums. Nur in Ozurgeti siegte ein unabhängiger Kandidat (Civil.ge 13.11.2017).
Laut der OSCE-Wahlbeobachtungsmission untergrub zwischen den beiden Wahlrunden die hohe Zahl von Beschwerden, die aus verfahrensrechtlichen oder formalistischen Gründen abgewiesen wurden, das Recht der Kandidaten und Wähler auf wirksame Rechtsmittel und somit das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Streitbeilegung. Der Wahltag verlief reibungslos und professionell, wobei die Stimmabgabe, die Auszählung und das Wahlermittlungsverfahren von Beobachtern positiv beurteilt wurden, obwohl Hinweise auf mögliche Einschüchterungen und Druck auf die Wähler Anlass zur Besorgnis gaben (OSCE 13.11.2017).
Quellen:
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Civil.ge (13.11.2017): GDDG Wins Most Mayoral Runoff Races, http://www.civil.ge/eng/article.php?id=30622, Zugriff 15.11.2017
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Georgien Aktuelle (23.10.2017): Regierungsbündnis "Georgischer Traum" setzt sich bei Regionalwahlen durch, http://georgien-aktuell.info/de/politik/innenpolitik/article/13321-regionalwahlen, Zugriff 15.11.2017
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OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-Operation in Europe/ Office for Democratic Institutions and Human Rights (13.11.2017):
Election Observation Mission Georgia, Local Elections, Second Round, 12 November 2017,
http://www.osce.org/odihr/elections/georgia/356146?download=true, Zugriff 15.11.2017
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Radio Free Europe/Radio Liberty (12.11.2017): Georgians In Six Municipalities Vote In Local Election Runoffs, https://www.rferl.org/a/georgia-local-elections-second-round/28849358.html, Zugriff 15.11.2017
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KI vom 30.3.2017, Visafreiheit (relevant für Abschnitt 19/ Bewegungsfreiheit)
Für Georgien ist am 28.3.2017 der visumfreie Reiseverkehr mit der Europäischen Union in Kraft getreten. Nach den neuen Regeln dürfen georgische Bürger die Länder des Schengen-Abkommens bis zu 90 Tage ohne ein Visum besuchen. Vorangegangen waren mehrjährige Verhandlungen (DW 28.3.2017). Die Einreise georgischer Staatsbürger in die Europäische Union ist auch nach der neuen Regelung an bestimmte Auflagen gebunden, wie an das Vorhandensein eines biometrischen Passes und den Nachweis ausreichender finanzieller Mittel für den Aufenthalt im Mitgliedstaat der EU, nachgewiesen etwa durch Kreditkarten oder Bargeld (GS o.D.).
Der georgische Innenminister, Giorgi Mghebrishvili, kündigte am 27.3.2017 an, dass die georgischen Grenzbeamten georgische Reisende in den Schengenraum detailliert befragen werden, um einen Missbrauch des Visaregimes und folglich dessen mögliche Suspendierung durch die EU zu verhindern. Bei Überschreitung des Aufenthaltes, der auf 90 Tage innerhalb von 180 Tagen beschränkt ist, würden laut Innenminister die EU-Mitgliedsstaaten proaktiv informiert werden. Überdies gab Mghebrishvili bekannt, dass Georgien am 4.4.2017 ein Partnerschaftsabkommen mit EUROPOL unterzeichnen werde (Civil.ge 28.3.2017).
Quellen:
* Civil.ge (28.3.2017): Government Speaks on Safeguards against Visa-Waiver Abuse, http://www.civil.ge/eng/article.php?id=29970, Zugriff 30.3.2017
* DW - Deutsche Welle (28.3.2017): Georgier dürfen ohne Visum in die EU reisen,
http://www.dw.com/de/georgier-d%C3%BCrfen-ohne-visum-in-die-eu-reisen/a-38164800, Zugriff 30.3.2017
* GS - Georgienseite (o.D.): Visafreiheit für georgische Staatsangehörige,
http://www.georgienseite.de/startseite/magazin-georgien-nachrichten-bilder-galerien/georgien-nachrichten-news-tbilissi-magazin/informationen-der-deutschen-botschaft/, Zugriff 30.3.2017
Politische Lage
In Georgien leben mit Stand 1.1.2016 laut georgischem Statistikamt 3,72 Mio. Menschen. 2014 waren es noch rund 4,49 Mio. Menschen auf
69.700 km² (GeoStat 2017).
Georgien ist eine demokratische Republik. Das politische System hat sich durch die Verfassungsreform 2013 von einer semi-präsidentiellen zu einer parlamentarischen Demokratie gewandelt, (AA 11.2016a). Staatspräsident ist seit 17.11.2013 Giorgi Margvelashvili (RFE/RL 17.11.2013). Regierungschef ist seit dem überraschenden Rücktritt von Irakli Garibaschwili Giorgi Kvirikashvili (seit 29.12.2015) (RFE/RL 29.12.2015). Beide gehören der Partei bzw. dem Parteienbündnis "Georgischer Traum" an.
Georgien besitzt ein Einkammerparlament mit 150 Sitzen, das durch eine Kombination aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht für vier Jahre gewählt wird. Am 8.10. und 30.10.2016 fanden Parlamentswahlen in Georgien statt. Die bislang regierende Partei, "Georgischer Traum", sicherte sich die Verfassungsmehrheit, indem sie 115 der 150 Sitze im Parlament gewann. Die "Vereinigte Nationale Bewegung" (UNM) des Expräsidenten Mikheil Saakashvili errang 27 und die "Allianz der Patrioten Georgiens" (APG) sechs Sitze (RFE/RL 1.11.2016). Mit der APG, die im ersten Wahlgang am 8.10.2016 knapp die Fünf-Prozent-Hürde schaffte, ist erstmals eine pro-russische Partei im Parlament vertreten. In der notwendigen Stichwahl am 30.10.2016 in 50 Wahlkreisen, die nach dem Mehrheitswahlrecht bestimmt werden, gewann der "Georgische Traum" 48 Wahlkreise (Standard 31.10.2016). Die übrigen zwei Sitze gingen jeweils an einen unabhängigen Kandidaten und einen Vertreter der "Partei der Industriellen" (VK 31.10.2016).
Die Wahlbeobachtungsmission der OSZE bewertete gemeinsam mit anderen internationalen Beobachtern die Stichwahl als kompetitiv und in einer Weise administriert, die die Rechte der Kandidaten und Wähler respektierte. Allerdings wurde das Prinzip der Transparenz sowie das Recht auf angemessene Rechtsmittel bei der Untersuchung und Beurteilung von Disputen durch die Wahlkommissionen und Gerichte oft nicht respektiert (OSCE/ODIHR u.a. 30.10.2016). Transparency International - Georgia beurteilte den Wahlgang als ruhig. Obgleich 70 relativ ernsthafte prozedurale Verstöße festgestellt wurden, hatten diese keinen entscheidenden Einfluss auf den Wahlausgang (TI-G 31.10.2016).
Die Opposition warf dem Regierungslager Wahlmanipulationen vor. Unter anderem sollen Wähler unter Druck gesetzt und Stimmen gekauft worden (Standard 31.10.2016, vgl. CK 31.10.2016).
Bei der Präsidentschaftswahl im Oktober 2013 konnte sich der Kandidat von "Georgischer Traum", Georgi Margwelaschwili, mit klarer Mehrheit bereits im ersten Wahldurchgang gegen den Wunschkandidaten des amtierenden Präsidenten Michail Saakaschwili (Vereinte Nationale Bewegung), durchsetzen. Saakaschwili, zuletzt umstritten, durfte nach zwei Amtszeiten laut Verfassung nicht mehr zur Wahl antreten. Diese Wahl brachte den ersten demokratischen Machtwechsel an der georgischen Staatsspitze seit dem Zerfall der Sowjetunion (FAZ 27.10.2013).
Die Regierungspartei "Georgischer Traum" sicherte sich infolge eines überwältigenden Sieges bei den Gemeinderatswahlen im Sommer 2014 die Kontrolle über die lokalen Selbstverwaltungskörperschaften. Medien und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) berichteten, dass es im Vorwahlkampf angeblich Druck auf oppositionelle Kandidaten gab, ihre Kandidatur zurückzuziehen. Überdies sei es zu Störungen von Versammlungen der Opposition und zu etlichen Vorfällen von Gewalt gegen Wahlaktivisten gekommen. Obschon diese den Behörden bekannt waren, blieb eine amtliche Verfolgung aus (HRW 29.1.2015).
Am 27.6.2014 unterzeichneten die EU und Georgien ein Assoziierungsabkommen. Das Abkommen soll Georgien in den Binnenmarkt integrieren, wobei die Prioritäten in der Zusammenarbeit in Bereichen wie Außen- und Sicherheitspolitik sowie Justiz und Sicherheit liegen. Russland sah sich hierdurch veranlasst, seinen Druck auf die Regierung in Tiflis zu erhöhen. Am 24. November 2014 unterzeichneten Russland und das abtrünnige georgische Gebiet Abchasien eine Vereinbarung über eine "strategische Partnerschaft", mit der Moskau seine militärische und wirtschaftliche Kontrolle in Abchasien erheblich ausweitete (EP 5.12.2014).
Die EU würdigte im Juni 2016 im Rahmen ihrer Globalen Strategie zur Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik die Rolle Georgiens als friedliche und stabile Demokratie in der Region. Am 1.7.2016 trat das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Georgien in Kraft, wodurch laut der EU die politische Assoziierung und wirtschaftliche Integration zwischen Georgien und der Union merkbar gestärkt werden. Georgien hat seine Demokratie und Rechtsstaatlichkeit konsolidiert und die Respektierung der Menschenrechte, der Grundfreiheiten sowie der Anti-Diskriminierung gestärkt (EC 25.11.2016).
Quellen:
-
AA - Auswärtiges Amt (11.2016a): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Georgien/Innenpolitik_node.html, Zugriff 20.3.2017
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CK - Caucasian Knot (31.10.2016): In Georgia, "UNM" Party claims mass violations at elections,
http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/37376/, Zugriff 21.2.2017
-
Der Standard (31.10.2016): Regierungspartei kann Georgien im Alleingang regieren,
http://derstandard.at/2000046738001/Wahlsieg-von-Regierungspartei-in-Georgien-in-zweiter-Runde-bestaetigt, Zugriff 21.2.2017
-
EC - European Commission (25.11.2016): Association Implementation Report on Georgia [SWD (2016) 423 final], https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/1_en_jswd_georgia.pdf, Zugriff 21.2.2017
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EP - Europäisches Parlament (5.12.2014): Assoziierungsabkommen EU-Georgien,
http://www.europarl.europa.eu/EPRS/EPRS-AaG-542175-EU-Georgia-Association-Agreement-DE.pdf, Zugriff 21.2.2017
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FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (27.10.2013): Georgi Margwelaschwili gewinnt mit klarer Mehrheit, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/praesidentschaftswahl-in-georgien-georgi-margwelaschwili-gewinnt-mit-klarer-mehrheit-12636443.html, Zugriff 21.2.2017
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GeoStat - National Statistics Office of Georgia (2017):
population,
http://www.geostat.ge/index.php?action=page&p_id=473&lang=eng, Zugriff 21.2.2017
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HRW - Human Rights Watch (29.1.2015): World Report 2015 - Georgia, http://www.ecoi.net/local_link/295489/430521_de.html, Zugriff 21.2.2017
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IFES - International Foundation for Electoral Systems (9.3.2015a):
Election Guide, Democracy Assistance & Elections News - Georgia, http://www.electionguide.org/elections/id/2287/, Zugriff 10.11.2015
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OSCE/ODIHR u.a. - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights, European Parliament, OSCE Parliamentary Assembly, Parliamentary Assembly of the Council of Europe (30.10.2016): International Election Observation Mission, Georgia - Parliamentary Elections, Second Round
-
Statement of Preliminary Findings and Conclusions, Preliminary Conclusions,
http://www.osce.org/odihr/elections/georgia/278146?download=true, Zugriff 21.2.2017
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RFE/RL - Radio Free Europe / Radio Liberty (17.11.2013):
Margvelashvili Sworn In As Georgia's New President, http://www.rferl.org/content/georgia-president-inauguration/25170650.html, Zugriff 21.2.2017
-
RFE/RL - Radio Free Europe / Radio Liberty (29.12.2015): Giorgi Kvirikashvili Confirmed As Georgia's New Premier, http://www.rferl.org/content/georgian-parliament-vote-kvirikashvili-government-december-29/27454801.html, Zugriff 21.2.2017
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RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (1.11.2016): Georgia's Ruling Party Wins Constitutional Majority, http://www.rferl.org/a/georgia-elections-second-round-georgian-dream-super-majority/28085474.html, Zugriff 21.2.2017
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TI-G - Transparency International - Georgia (31.10.2016):
Assessment of the 2016 Parliamentary runoff elections, http://www.transparency.ge/en/blog/assessment-2016-parliamentary-runoff-elections, Zugriff 21.2.2017
-
Vestnik Kavkaza (31.10.2016): Georgian Dream wins 48 districts out of 50,
http://vestnikkavkaza.net/news/Georgian-Dream-wins-48-districts-out-of-50.html, Zugriff 21.2.2017
Sicherheitslage
Die Lage in Georgien ist - mit Ausnahme der Konfliktgebiete Abchasien und Südossetien - insgesamt ruhig. Beide genannte Gebiete befinden sich nicht unter der Kontrolle der Regierung in Tiflis. In den Gebieten und an ihren Verwaltungsgrenzen sind russische Truppen stationiert (AA 20.3.2017a).
Im Zuge der Auflösung der UdSSR erhöhten sich die Spannungen innerhalb Georgiens in den Gebieten Abchasien und Südossetien, als der autonome Status der Provinzen von georgischen Nationalisten in Frage gestellt wurde. Nach der georgischen Unabhängigkeit führten heftige Auseinandersetzungen mit der Zentralregierung 1992 zu Unabhängigkeitserklärungen Südossetiens und Abchasiens, die aber von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wurden. Der Einfluss des nördlichen Nachbarlandes wuchs kontinuierlich, unter anderem durch Ausgabe russischer Pässe an die abchasische und südossetische Bevölkerung. Nach zahlreichen blutigen Zwischenfällen und Provokationen aller Seiten eskalierte der Konflikt um Südossetien am 7. August 2008 nach einem Vorstoß georgischer Truppen in die südossetische Hauptstadt Tskhinvali zu einem georgisch-russischen Krieg, der nach fünf Tagen durch einen von der EU vermittelten Waffenstillstand beendet wurde. Am 26. August 2008 erkannte Russland Abchasien und Südossetien, einseitig und unter Verletzung des völkerrechtlichen Prinzips der territorialen Integrität Georgiens, als unabhängige Staaten an und schloss wenig später mit diesen Freundschaftsverträge ab, die auch die Stationierung russischer Truppen in den Gebieten vorsehen. Infolge des Krieges wurden nach Schätzungen internationaler Hilfsorganisationen bis zu 138.000 Personen vorübergehend zu Vertriebenen und Flüchtlingen. Etwa 30.000 Georgier aus Südossetien konnten bis heute nicht in ihre Heimat zurückkehren. Die zivile EU-Beobachtermission EUMM nahm Anfang Oktober 2008 in Georgien ihre Arbeit auf. Das OSZE-Mandat lief Ende 2008 aus, UNOMIG endete im Juni 2009. EUMM ist damit die einzige verbliebene internationale Präsenz zur Stabilisierung in Georgien (AA 11.2016b).
Ein wichtiges diplomatisches Instrument zur Deeskalation des Konflikts sind die sogenannten "Geneva International Discussions - GID" (Genfer Internationale Gespräche). Diese finden seit 2008 unter Beteiligung der involvierten Konfliktparteien unter dem gemeinsamen Vorsitz von Vertretern der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der OSZE statt. Aus den Genfer Gesprächen resultierte der "Incident Prevention and Response Mechanism (IPRM)" sowie die Involvierung der EUMM, sodass die lokalen Sicherheitsbehörden der Konfliktparteien vor Ort in Kontakt treten können bzw. ihnen die Möglichkeit zum Dialog eröffnet wird (OSCE 6.11.2014).
Abchasien und Südossetien bleiben außerhalb der Kontrolle der Zentralregierung und werden von mehreren tausend russischen Truppen und Grenzpolizisten unterstützt. Russische Grenzschutzbeamte beschränken die Bewegung der örtlichen Bevölkerung. Die Behörden beschränken die Rechte, vor allem von ethnischen Georgiern, am politischen Prozess teilzuhaben, in Eigentumsfragen oder bei der Registrierung von Unternehmen. Überdies ist die Reisefreiheit eingeschränkt. Die südossetischen Behörden verweigern den meisten ethnischen Georgien, die während und nach dem Krieg von 2008 vertrieben wurden, nach Südossetien zurückzukehren. Die Behörden erlauben den meisten internationalen Organisationen keinen regelmäßigen Zugang zu Südossetien, um humanitäre Hilfe zu leisten. Die Russische "Grenzziehung" der administrativen Grenzen der besetzten Gebiete setzte sich während des Jahres fort, trennte die Bewohner aus ihren Gemeinden und untergrub ihren Lebensunterhalt (USDOS 3.3.2017).
Die Vereinten Nationen zeigten sich Ende Jänner 2017 besorgt darüber, dass die angekündigten Schließungen von Grenzübertrittsstellen seitens der abchasischen Behörden negative Konsequenzen für die Bevölkerung beidseits der administrativen Grenze haben werden. Für die Menschen in Abchasien wird es schwieriger sein, auf grundlegende Dienstleistungen wie Gesundheitswesen und Bildung in Georgien zurückzugreifen und an Wirtschaftsaktivitäten und gesellschaftlichen Veranstaltungen jenseits der Grenze teilzunehmen. Auch wird der Zugang zu Schulbildung für Kinder mit georgischer Muttersprache, die aus Abchasien kommend die Grenze nach Georgien überqueren, behindert (UN 26.1.2017).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (20.3.2017a): Georgien, Reise- und Sicherheitshinweise,
http://www.auswaertiges-amt.de/sid_8108DEE44ECFAF67827A2F89BA2ACDB3/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/GeorgienSicherheit_node.html, Zugriff 20.3.2017
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AA - Auswärtiges Amt (11.2016b): Staatsaufbau/Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Georgien/Innenpolitik_node.html, Zugriff 20.3.2017
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OSCE - Organization for Security and Co-operation in Europe (6.11.2014): Geneva International Discussions remain unique and indispensable forum, Co-chairs tell OSCE Permanent Council, http://www.osce.org/cio/126442, Zugriff 21.2.2017
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UN - United Nations in Georgia (27.1.2017): Statement of Niels Scott, Resident Coordinator, on behalf of the United Nations Country Team regarding announced closure of crossing points along the Inguri River,
http://www.ungeorgia.ge/eng/news_center/media_releases?info_id=507, Zugriff 22.2.2017
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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016,
http://www.ecoi.net/local_link/337143/466903_en.html, 17.3.2017
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Rechtsschutz / Justizwesen
Georgien unternimmt Anstrengungen, sich bei der Rechtsreform und der Wahrung der Menschen- und Minderheitenrechte den Standards des Europarats anzupassen. 1996 wurde ein Verfassungsgericht eingerichtet, 1997 die Todesstrafe abgeschafft und 2007 die Abschaffung der Todesstrafe in der Verfassung verankert. In den Jahren seit der "Rosenrevolution" 2003/2004 hat Georgien anerkennenswerte Fortschritte bei der Polizeireform, dem erfolgreichen Kampf gegen die "Kleine Korruption" (Korruption im alltäglichen Umgang), der Reform der Steuergesetzgebung und der Verbesserung der Investitionsbedingungen erzielt. Im Rahmen der Justizreform wurde der Instanzenzug neu geregelt und eine radikale Verjüngung der Richterschaft durchgesetzt (AA 11.2016b).
Fortschritte sind insbesondere im Justizwesen und Strafvollzug zu erkennen, wo inzwischen eine unmenschliche Behandlung (auch Folter), die in der Vergangenheit durchaus systemisch vorhanden war, in aller Regel nicht mehr festgestellt werden kann. Der Aufbau eines unabhängigen und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handelnden Justizwesens gehört zu den wichtigsten Zielen der aktuellen Regierung. Zwei Reformwellen wurden bereits durchgeführt, die dritte Reformwelle steht seit einiger Zeit bevor. Sie betrifft insbesondere die unparteiische Zuteilung von Rechtsfällen an Richter und die Ernennung von Richtern aufgrund von Qualifikation und Eignung in einem transparenten Verfahren. Sehr aktive NGOs und der unabhängige Ombudsmann beobachten diesen Prozess aufmerksam (AA 10.11.2016).
Das dritte Paket an Gesetzesänderungen, das den anhaltenden Mangel an Transparenz im Justiz-Management bereinigen soll, wozu auch die Rechenschaftspflicht des Hohen Rates der Justiz sowie die zufällige Zuweisung von Fällen gehören, konnte laut Europäischer Kommission zwar Fortschritte verzeichnen, ist jedoch noch nicht vollständig angenommen worden. Die Begründungen für das Abhalten von geschlossenen oder öffentlichen Anhörungen werden nicht immer richtig kommuniziert. Die Transparenz bei der Zuteilung von Fällen, bei der Auswahl der Richteranwärter und der Gerichtsverwalter ist nicht vollständig gewährleistet. Der Umgang mit Disziplinarverfahren erfordert eine Stärkung. Die Mehrheit der Richter hat keine dauerhafte Amtszeit und die umstrittene dreijährige Probezeit für Richter besteht weiterhin. Die Justiz ist immer noch ernsthaft unterbesetzt und der Aktenrückstand steigt (EC 25.11.2016).
Kritisch betrachtet werden muss weiterhin die starke Neigung von Politikern, Richtern bei Gerichtsentscheidungen in brisanten Fällen eine vorrangig politische Motivation zu unterstellen und ggf. gesetzliche Änderungen vorzuschlagen. Politisch motivierte Strafverfolgung war bis 2012 erkennbar und erfolgte in der Regel durch Vorwürfe von Korruption, Amtsmissbrauch oder Steuervergehen. Nach dem Regierungswechsel wurden 190 in Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft als politische Gefangene erklärte Häftlinge entlassen. Seit 2012 laufende Ermittlungen und teilweise schon mit rechtskräftigen Urteilen abgeschlossene Strafverfahren gegen hochrangige Mitglieder und nachgeordnete Mitarbeiter der ehemaligen Regierung werden aus Sicht des [deutschen] Auswärtigen Amtes nicht als politisch motiviert eingeschätzt, sondern sind Teil der erforderlichen juristischen Aufarbeitung der rechtswidrigen bzw. strafrechtlich relevanten Handlungen der Vorgängerregierung. Die Tatsache, dass Gerichte hierbei nicht immer den Anträgen der Staatsanwaltschaft folgen, zeigt eine wachsende Unabhängigkeit der Justiz und deutliche Grenzen für eine etwaige politische Zielsetzung der Verfahren (AA 10.11.2016).
Freedom House bewertete Anfang 2016 die Einmischung der Regierung und der Legislative in die Justiz weiterhin als erhebliches Problem, obwohl sich die gerichtliche Transparenz und die Rechenschaftspflicht in den letzten Jahren verbessert haben, letztere zum Teil aufgrund des verstärkten Medienzugangs zu den Gerichtssälen. Menschenrechtsorganisationen haben konsequent die Praxis der Staatsanwaltschaft kritisiert, wiederholt neue Anklagen gegen Gefangene einzureichen, um ihre Zeit in der Untersuchungshaft zu verlängern, eine Vorgehensweise, die durch eine Diskrepanz zwischen dem Strafgesetzbuch und der Verfassung möglich gemacht wird. Im September 2015 allerdings befand das Verfassungsgericht im Fall des ehem. Bürgermeisters von Tiflis, Ugulava, diese Praxis der Verlängerung der Untersuchungshaft als verfassungswidrig, weil die verfassungsmäßige Grenze von neun Monaten nicht überschritten werden darf. Ugulava gehörte zu zahlreichen ehemaligen UNM-Vertretern, die seit 2012 mit Strafprozessen konfrontiert wurden, was Fragen über den politischen Einflussnahme auf den Staatsanwalt aufwarf (FH 27.1.2016).
Während viele der Richter bemerkenswerte Anstrengungen unternahmen, ihr Niveau dadurch zu verbessern, indem sie ihren Entscheidungen mehr Substanz verliehen, besonders bei hochkarätigen Fällen, bleibt die Staatsanwaltschaft das schwächste Glied im Justizbereich. Bis 2012 war die Staatsanwaltschaft ein Teil der Exekutive, und die Gerichte waren bis zu einem gewissen Grad von der Exekutive abhängig. Die Staatsanwälte haben sich mittlerweile daran gewöhnt, ihren Vorbringen eine adäquate Qualität zu verleihen. Nur bei wenigen Gelegenheiten scheinen sie zurückhaltend zu sein. Nach der Trennung der Staatsanwaltschaft vom Justizministerium wurde allerdings keine Aufsichtsbehörde für die Staatsanwaltschaft institutionalisiert. Dieser Umstand beschädigt potentiell den Ruf des gesamten Justizsystems. Die Staatsanwaltschaft hat mehr als 4.000 Anträge von Opfern angeblicher Folter, unmenschlicher Behandlung oder Zwang erhalten, sowie von Personen, welche gezwungen wurden, ihr Eigentum während der Herrschaft von Mikheil Saakaschwili aufzugeben. Seit 2012 stellt der Umfang der Strafverfahren gegen die ehemalige Führung eine Herausforderung für die aktuelle Regierung dar. Ihr wird vorgeworfen, politisch motivierte Untersuchungen einzuleiten bzw. Gerichtsprozesse zu führen. Gleichzeitig wird die Staatsanwaltschaft oft kritisiert, weil sie nicht die Fälle von Beamten untersucht hat, die ihre Befugnisse überschritten haben, oder von Polizisten, die gegen das Gesetz verstoßen haben oder von Menschen, die behaupten, im Gefängnis misshandelt worden zu sein. Als Reaktion auf diese Situation hat die Staatsanwaltschaft ihre Absicht bekundet, eine neue Abteilung zu schaffen, die im Rahmen von Gerichtsverfahren begangene Straftaten untersuchen wird (BTI 1.2016).
Das georgische Strafrecht mit dem ursprünglichen Ansatz einer "zero tolerance policy" zeigte eine enorm hohe Verurteilungsrate von 99%, mitunter wegen konstruierter Straftaten, sowie hohe Haftstrafen. Mit dem Regierungswechsel 2012/13 erfolgte eine kontinuierliche Liberalisierung des Strafrechts durch Reduzierung der Strafmaße, aber auch eine erkennbar geringere Verurteilungsrate; diese ist auf eine stärkere Emanzipierung der Richterschaft von den Anträgen der Staatsanwaltschaft zurückzuführen, aber auch auf eine Stärkung der Rechte der Verteidigung im Strafprozess (AA 10.11.2016).
Am 12.1.2016 präsentierte der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muižnieks, seine Beobachtungen zur Menschenrechtslage in Georgien. Mehrere Gesprächspartner wiesen auf die Mängel bei der Auswahl, Ernennung und Versetzung von Richtern hin. Versetzungen und Beförderungen von Richtern scheinen nicht durch spezifische Regeln und Kriterien reguliert zu sein, was die diesbezüglichen Entscheidungen als willkürlich erscheinen lässt und folglich das öffentliche Vertrauen in die Justiz untergräbt. Der Menschenrechtskommissar empfahl die diesbezügliche Umsetzung der Empfehlungen der Venediger Kommission und des Direktorats für Menschenrechte des Europarats (DHR) aus dem Jahr 2014. Überdies empfahl er, dass die Gerichtsfälle nach dem Zufallsprinzip den Richtern zugeteilt werden. Denn es gab Befürchtungen, dass prominente Fälle Richtern zugeteilt wurden, die als loyal zur Regierung gelten. Überdies sah der Menschenrechtskommissar die geltende dreijährige Probezeit für Richter als bedenklich an, weil letztere hierdurch anfälliger gegenüber einer möglichen Druckausübung sind. Auch in diesem Punkt empfahl Muižnieks die Umsetzung der Empfehlungen der Venediger Kommission und des DHR, welche die Abschaffung der Probezeit für Richter vorsahen. Dem Menschenrechtskommissar wurden Berichte zuteil, wonach es wiederholt zu Drohungen und Einschüchterungen von Verfassungsrichtern kam. So beispielsweise im Fall "Ugulava [ehem. Bürgermeister von Tiflis] gegen das Parlament Georgiens". Richter und deren Familienmitglieder wurden von Bürgern bedrängt, die sich vor den Privathäusern der Richter versammelten und u.a. mit physischer Gewalt drohten (CoE-CommHR 12.1.2016).
Am 21.7.2016 erklärte der Vorsitzende des Verfassungsgerichts, dass einige Richter des Gerichtshofes von den Behörden unter Druck gesetzt worden seien, in mehreren hochkarätigen Fällen Urteile zu verschieben oder zugunsten Angeklagten zu entscheiden. Staatsanwälte haben am 1.8.2016 darauf reagiert und eine Untersuchung zu den Vorwürfen eingeleitet (AI 22.2.2017).
Quellen:
* AA - Auswärtiges Amt (10.11.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien
* AA - Auswärtiges Amt (11.2016b): Staatsaufbau/Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Georgien/Innenpolitik_node.html, Zugriff 20.3.2017
* AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 -