TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/9 W253 2134625-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.11.2018
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Entscheidungsdatum

09.11.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W253 2134625-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Jörg C. BINDER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX alias XXXX[l1], geb. XXXX alias XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.05.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und stellte am 09.10.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Zuge seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 10.10.2015 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er sei am XXXX in Baghlan, Afghanistan, geboren, gehöre der Volksgruppe der Hazara an, sei schiitischer Muslim und habe sieben Jahre die Grundschule in seinem Heimatort besucht. Er leide an keinen Beschwerden oder Krankheiten und nehme keine Medikamente. Der Beschwerdeführer gab die finanzielle Situation seiner Familie mit "mittel" an. Vor ungefähr eineinhalb Monaten hätten der Beschwerdeführer und seine Familie Afghanistan verlassen. Der Beschwerdeführer habe seine Familie anschließend in Teheran, im Iran, zurückgelassen. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, sein Vater sei der Dorfälteste gewesen und sein Onkel sei dessen Stellvertreter gewesen. Als die Taliban gekommen seien, hätten sie ihnen alles weggenommen und viele Leute getötet. Sein Onkel und sein Vater seien von den Taliban festgenommen worden, weshalb die Familie des Beschwerdeführers und ein paar Bekannte in den Iran geflüchtet seien. Bei einer Rückkehr in seine Heimat befürchte der Beschwerdeführer von den Taliban getötet zu werden.

3. Am 30.05.2016 stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Verfahrensanordnung fest, dass der Beschwerdeführer spätestens am

XXXX geboren wurde.

4. In seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 24.08.2016 führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen ergänzend aus, er sei immer gesund gewesen und stamme aus der Provinz Baghlan, Distrikt XXXX, Dorf XXXX, wo er mit seinen Eltern, seinen drei Brüdern und seinen fünf Schwestern gelebt habe. Der Beschwerdeführer habe seine Familie unterwegs zwischen dem Iran und der Türkei verloren. In Afghanistan habe der Beschwerdeführer drei Tanten mütterlicherseits. Diese würden in Herat bzw. Mazar-e Sharif leben, wobei der Beschwerdeführer nicht wisse, wo seine dritte Tante sei. Ebenso wisse er nicht, wo sich sein Onkel mütterlicherseits aufhalte. Zudem habe er zwei Tanten väterlicherseits, wovon eine in Kabul lebe, und einen Onkel väterlicherseits im Iran.

In Afghanistan seien ihre Lebensumstände schlecht gewesen. Der Beschwerdeführer habe mit seinem Vater in der familieneigenen Landwirtschaft gearbeitet. Er habe keinen Beruf erlernt, aber neun Jahre die Grundschule besucht. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, es habe Krieg geherrscht, keine Sicherheit und überall Tote gegeben. Sein Onkel mütterlicherseits sei in XXXX ums Leben gekommen, woraufhin alle geflüchtet seien. Ein persönlich betreffendes Gefährdungsszenario könne der Beschwerdeführer nicht schildern; man habe sich nicht frei bewegen können. Vor zwei Jahren sei sein Vater von den Taliban festgenommen worden und über Freunde wieder freigekommen. Seinem Vater sei vorgeworfen worden, er würde für die Regierung arbeiten. Die Regierungsleute seien gekommen und hätten gegen die Taliban gekämpft, woraufhin sein Vater freigekommen sei. Auf Vorhalt, dass er zuvor noch gesagt habe, sein Vater wäre durch Freunde freigekommen, gab der Beschwerdeführer an, er wisse nicht genau, wie es gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe Afghanistan verlassen, weil dort Krieg gewesen sei. Der unmittelbare Auslöser für die Flucht sei ein Angriff auf die Familie seines Onkels mütterlicherseits gewesen. Diese hätte die Familie des Beschwerdeführers kontaktiert und um Hilfe gebeten. Sein Vater habe ihnen geholfen und sei dann nicht mehr zurückgekehrt. Daraufhin hätten seine Schwester, seine Brüder und seine Mutter Afghanistan verlassen. In Österreich habe der Beschwerdeführer keine Verwandten oder soziale Kontakte.

5. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ihm wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Der Begründung des im Spruch bezeichneten Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers unglaubhaft sei und er seinen Lebensunterhalt in Kabul bestreiten könne.

Gleichzeitig wurde dem Beschwerdeführer mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

6. Mit Schreiben vom 01.09.2016 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen sämtliche Spruchpunkte des gegenständlichen Bescheides und brachte zusammenfassend vor, er habe Afghanistan aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara sowie seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie verlassen. Sein Vater sei als Bürgermeister des Dorfes XXXX vor ungefähr zwei Jahren von den Taliban entführt und für eine Nacht unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten worden. Regierungsfreundliche Truppen hätten das Taliban-Quartier gestürmt, weshalb seinem Vater die Flucht aus der Gefangenschaft der Taliban gelungen sei. Etwa ein Jahr später, im Sommer 2015, sei der Vater des Beschwerdeführers mit anderen regierungstreuen Familienangehörigen nach vorangegangenem Angriff und tätlicher Auseinandersetzung von den Taliban wieder entführt worden. Er sei bis zum heutigen Tag verschollen. Aus Angst als Sohn des regierungstreuen Bürgermeisters ebenfalls Opfer eines Racheangriffs durch die Taliban zu werden, habe der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Mutter und seinen Geschwistern beschlossen Afghanistan zu verlassen. Jedoch habe der Beschwerdeführer vor der Einreise in die Türkei seine Mutter und seine Geschwister verloren.

Der Beschwerdeführer monierte, die von der belangten Behörde herangezogenen Länderfeststellungen seien einseitig und unvollständig. Sie würden sich nicht ausreichend mit dem konkreten Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers befassen. Sowohl in der Erstbefragung als auch in der behördlichen Einvernahme habe der Beschwerdeführer seine asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie geltend gemacht. Zudem sei der Beschwerdeführer als junger Mann in Afghanistan gefährdet, Opfer von Entführung und Zwangsrekrutierung zu werden. Die belangte Behörde habe es weiters unterlassen, genauere Ermittlungen zur Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative Kabul durchzuführen. Der Beschwerdeführer kenne den derzeitigen Aufenthaltsort seiner Verwandten nicht. Auf eine finanzielle Unterstützung der Verwandten könne er nicht hoffen, da diese selbst ohne regelmäßige Einkommensquelle täglich ums Überleben kämpfen würden. In Österreich besuche der Beschwerdeführer seit vier Wochen einmal wöchentlich einen Deutschkurs.

7. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 12.09.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 20.10.2016 wurde die Rechtssache der Gerichtsabteilung W119 abgenommen und der Gerichtsabteilung W253 neu zugewiesen.

8. Am 15.05.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner Vertreterin und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt und ihm Gelegenheit gegeben wurde, diese umfassend darzulegen. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil. Der Beschwerdeführer brachte neu vor, dass er einmal mit einem Messer bedroht worden sei, weil ihn jemand vergewaltigen hätte wollen. Zudem sei er von den paschtunischen Nachbarn zu verschiedenen Arbeiten gezwungen und bedroht worden; er sei jeden Tag geschlagen und bedroht worden. Der schlimmste Vorfall sei gewesen, als Leute in das Haus seines Onkels mütterlicherseits gekommen seien und seinen Onkel getötet hätten. Nach dem Erhalt des negativen Bescheides sei es dem Beschwerdeführer schlecht gegangen; er leide an Vergesslichkeit. Die Beschwerdeführervertreterin legte diverse Länderberichte (ACCORD-Anfragebeantwortung a-10266-v2 vom 30.08.2017, Information des irischen Flüchtlingsinformationszentrums vom 25.01.2018, BBC-News Artikel sowie Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31.01.2018, Gutachten zur Sicherheitslage von Dr. Sarajuddin Rasuly [W107 2163759-1/12Z] vom 29.01.2018, Chronologie der Angriffe in Kabul bis April 2018, Thomas Ruttig: More violent, more widespread: Trends in Afghan security in 2017) vor und beantragte die Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens hinsichtlich der Kognitionsfähigkeit/Einvernahmefähigkeit des Beschwerdeführers.

9. Mit am 17.05.2018 eingelangtem Schreiben übermittelte der Beschwerdeführer drei Kursteilnahmebestätigungen und legte die Stellungnahme zur Sicherheitslage für die Zivilbevölkerung allgemein und für Rückkehrende aus dem westlichen Ausland im Besonderen von Amnesty International für das VwG Wiesbaden vom 05.02.2018 vor.

Mit Telefax vom 23.05.2018 übermittelte der Beschwerdeführer eine weitere Integrationsbestätigung.

10. Mit Beschluss vom XXXX wurde Univ. Prof. Dr. med. Georg PAKESCH, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, zum Sachverständigen bestellt und mit der Erstattung eines Gutachtens betreffend Aussagetüchtigkeit/Vernehmungsfähigkeit des Beschwerdeführers beauftragt.

In seinem psychiatrisch-neurologischem Gutachten vom 29.08.2018 führte der Sachverständige im Wesentlichen zusammengefasst aus, dass sich aus psychiatrischer Sicht Hinweise auf das Vorliegen einer Anpassungsstörung mit längerdauernder depressiver Reaktion finden würden. Hierbei handle es sich um einen Zustand von subjektiven Leiden und emotionaler Beeinträchtigung, der während eines Anpassungsprozesses, nach entscheidenden Lebensveränderungen und nach belastenden Lebensereignissen auftreten könne. Im gegenständlichen Fall sei die psychische Symptomatik als leicht ausgeprägt zu bezeichnen und beinhalte depressive Stimmungslage, negativ getönte Befindlichkeit, Belastungsgefühle, Angstgefühle vor einer Rückführung und eine berichtete Durchschlafstörung. Zum Zeitpunkt der Untersuchung sei keine Symptomatik explorierbar gewesen, die gemäß den diagnostischen Kriterien der WHO einer posttraumatischen Belastungsstörung entsprächen würde. Bei der fassbaren Anpassungsstörung handle es sich an sich um eine vorübergehende Störung. Es wäre zur Unterstützung und Bewältigung der derzeitigen belastenden Lebenssituation eine psychologische Behandlung empfehlenswert. Bei Anhalten oder Verschlechterung der Schlafstörung, eventuell auch eine nervenärztliche Behandlung mit Einstellung auf ein schlafanstoßendes Antidepressivum, wie z.B. Trittico oder Einstellung auf eine Schlafmedikation, wie z.B. Zolpidem. Die Behandlungsdauer sei derzeit nicht abschätzbar. Beim Beschwerdeführer sei keine psychische Störung fassbar, die direkt auf Erlebnisse im Zusammenhang mit der Flucht zu sehen wäre. Die derzeit fassbare psychische Symptomatik sei am ehesten im Zusammenhang mit derzeitigen Belastungsfaktoren durch die Migrationssituation zu sehen. Es sei beim Beschwerdeführer keine psychische Erkrankung in einem Ausmaß fassbar, dass dadurch die Wiedergabefähigkeit eingeschränkt wäre und er außer Lage gesetzt wäre Erlebtes wiederzugeben. Es sei auch keine psychische Erkrankung fassbar, die eine beschränkte Wahrnehmungsfähigkeit beinhalten, die Gedächtnisleistungen bzw. die Erinnerungsfähigkeit beeinträchtigen würde oder die den Beschwerdeführer außer Lage setzen würde schlüssige und widerspruchsfreie Angaben zu tätigen. Der Beschwerdeführer sei zeitlich, örtlich und situativ und zur Person voll orientiert. Die fassbare Anpassungsstörung beinhalte keine wesentliche Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit. Es sei auch keine psychische Erkrankung fassbar, die seine Arbeitsfähigkeit für Tätigkeiten entsprechend seinem Ausbildungsniveau beeinträchtigen würde. Für die weitere Zukunft seien keine störungsspezifischen Einschränkungen zu erwarten.

11. In seiner Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme vom 18.09.2018 führte der Beschwerdeführer unter Verweis auf einen Zeitschriftenartikel von Jean-Francois Trani vom März 2016 im Wesentlichen aus, Personen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen seien in vielen Lebenssituationen von sozialer Stigmatisierung betroffen. Aufgrund der Beeinträchtigung seiner psychischen Gesundheit sei der Beschwerdeführer in hohem Ausmaß gefährdet Opfer von Übergriffen seitens Dritter zu werden, gegen die ausreichender staatlicher Schutz nicht ansatzweise zur Verfügung stehe. Unter Berücksichtigung einschlägiger Ausführungen länderkundiger Sachverständiger gehe hervor, dass in der aktuellen Situation bei einer Rückkehr nach Afghanistan, dem Beschwerdeführer nicht nur jegliche Lebensgrundlage entzogen, sondern aller Voraussicht nach ein Überleben nicht möglich wäre. Auch die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender würden auf das erhöhte Risikoprofil von Personen mit psychischen Erkrankungen hinweisen. Im Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom April 2017 werde die fehlende Kapazität zur Behandlung von psychischen Erkrankungen in Afghanistan kritisiert. Die aktuellen UNHCR-Richtlinien würden eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul derzeit ausschließen.

12. Am 25.09.2018 wurden dem Beschwerdeführer diverse Länderberichte zur Stellungnahme übermittelt. [l2]

In der am 02.10.2018 eingelangten Stellungnahme führte der Beschwerdeführer zusammenfassend aus, die Kosten für Medikamente müssten vom Patienten getragen werden, unabhängig davon, ob er sich in einem privaten oder öffentlichen Krankenhaus behandeln lasse. Es wäre dem Beschwerdeführer unzumutbar, für die von ihm benötigten Medikamente aufzukommen - ganz abgesehen von einer notwendigen Therapie. Der Beschwerdeführer verfüge zudem über keinerlei soziales Netzwerk in Afghanistan. Zu seinen drei Tanten mütterlicherseits habe der Beschwerdeführer keinen Kontakt. Abschließend führte er noch die schlechte Sicherheitslage in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif ins Treffen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung und Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Stellungnahmen des Beschwerdeführers, des psychiatrisch-neurologischen Gutachtens vom 29.08.2018, der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

1.1. Zum Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 09.10.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Am 30.05.2016 stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Verfahrensanordnung fest, dass der Beschwerdeführer spätestens am XXXX geboren wurde. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ihm wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.). Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 01.09.2016 fristgerecht Beschwerde, woraufhin am 15.05.2018 vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner Vertreterin und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari stattfand, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt und ihm Gelegenheit gegeben wurde, diese umfassend darzulegen. Mit Beschluss vom XXXX wurde Univ. Prof. Dr. med. Georg PAKESCH, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, zum Sachverständigen bestellt und mit der Erstattung eines Gutachtens betreffend Aussagetüchtigkeit/Vernehmungsfähigkeit des Beschwerdeführers beauftragt.

1.2. Zum Beschwerdeführer:

Der volljährige Beschwerdeführer führt den Namen XXXX alias XXXX, ist afghanischer Staatsangehöriger und wurde am XXXX in der Provinz Baghlan, im Distrikt XXXX[l3], im Dorf XXXX, in Afghanistan geboren und ist ebendort aufgewachsen. Er gehört der Volksgruppe der Hazara an, ist schiitischer Muslim und seine Muttersprache ist Dari. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos.

Die Kernfamilie des Beschwerdeführers besteht aus seinen Eltern, seinen drei Brüdern und fünf Schwestern. Der Beschwerdeführer hat seine Mutter und seine Geschwister auf der Flucht zwischen dem Iran und der Türkei aus den Augen verloren und hat seither keinen Kontakt mehr zu ihnen. Ebenso kann der Aufenthaltsort seines Vaters nicht festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer hat neun Klassen der staatlichen Schule in seinem Heimatdorf besucht und seinem Vater in der familieneigenen Landwirtschaft geholfen. Sein Vater war der Dorfälteste.

Der Beschwerdeführer leidet an einer leicht ausgeprägten Anpassungsstörung mit längerdauernder depressiver Reaktion. Er ist zeitlich, örtlich und situativ und zur Person voll orientiert. Weder seine Wiedergabefähigkeit noch seine Wahrnehmungsfähigkeit ist beschränkt. Er nimmt derzeit keine Medikamente ein und befindet sich nicht in ärztlicher Behandlung. Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig und - abgesehen von der eben genannten leicht ausgeprägten Anpassungsstörung - gesund.

Im Heimatdorf des Beschwerdeführers leben keine Familienangehörigen mehr. Er verfügt in Afghanistan über drei Tanten, die zum Zeitpunkt der Einvernahme vor der belangten Behörde in Kabul, Mazar-e Sharif bzw. Herat gelebt haben. Deren derzeitiger Aufenthaltsort kann nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer steht mit seinen Verwandten in Afghanistan nicht in Kontakt. In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine nahen Angehörigen.

Der Beschwerdeführer ist mit der afghanischen Tradition und Lebensweise vertraut.

Der Beschwerdeführer spricht Deutsch auf dem Niveau A1 und hat an Deutschkursen auf eben genannten Sprachniveau teilgenommen, wobei er die Prüfung noch nicht absolviert hat. Ebenso hat er am Basisbildungskurs beim Roten Kreuz teilgenommen. Der Beschwerdeführer besucht jeden Mittwoch das Fußballtraining der Hobby-Fußballmannschaft XXXX. Er geht keiner Beschäftigung nach, lebt von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Es können keine substanziellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens (wie z.B. intensive Freundschaften, Beziehungen, Lebensgemeinschaften, Kinder) festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Vater des Beschwerdeführers von den Taliban entführt wurde. Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass der Onkel des Beschwerdeführers getötet wurde.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan einer individuellen konkreten Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt war. Weiters kann nicht festgestellt werden, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan gefährdet ist, physischer Gewalt oder Verfolgung ausgesetzt zu sein.

Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr, als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Muslim in Afghanistan einer konkret gegen ihn gerichteten psychischen und/oder psychischen Gewalt im Sinne des Beschwerdevorbringens ausgesetzt ist.

1.4. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan (Herat, Mazar-e Sharif) Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Insgesamt kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Herat oder Mazar-e Sharif ausschließen, konnten ebenfalls nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer leidet an keinen dermaßen schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen, die einer Rückführung in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden. Er kann dort seine Existenz - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage ist, in Herat oder Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Mazar-e Sharif sowie Herat sind über die dort vorhandenen Flughäfen sicher erreichbar.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht von seiner Familie unterstützt werden kann.

1.5. Zur Situation im Herkunftsstaat:

Das Bundesverwaltungsgericht trifft aufgrund der im Beschwerdeverfahren eingebrachten aktuellen Erkenntnisquellen folgende entscheidungsrelevante Feststellungen:

1.5.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 11.09.2018 (in Folge kurz "LIB") und dem Dossier der Staatendokumentation "Grundlagen der Stammes- und Clanstrukturen" (in Folge kurz "Stammes und Clanstrukturen Juli 2016"):

1.5.1.1. Zur Sicherheitslage in Afghanistan im Allgemeinen:

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (LIB S 27). Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB S. 31).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert; auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen. Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (LIB S. 31).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben. Dies deutet auf einen Rückgang von drei Prozent im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nichtziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (LIB S. 37 f).

Im Jänner 2018 waren 56,3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14,5% der Distrikte kontrollierten bzw unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29,2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB S. 38).

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte) zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (LIB S. 41).

Die Fähigkeiten und der Einfluss des IS sind seit seiner Erscheinung im Jahr 2015 zurückgegangen. Operationen durch die ANDSF und die US-Amerikaner, Druck durch die Taliban und Schwierigkeiten die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, störten das Wachstum des IS und verringerten dessen Operationskapazitäten. Trotz erheblicher Verluste von Territorium, Kämpfern und hochrangigen Führern, bleibt der IS nach wie vor eine Gefährdung für die Sicherheit in Afghanistan und in der Region. Er ist dazu in der Lage, öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) in städtischen Zentren zu verüben. Der IS hat sich nämlich in den vergangenen Monaten zu einer Anzahl tödlicher Angriffe in unterschiedlichen Teilen des Landes bekannt - inklusive der Hauptstadt. Dies schürte die Angst, der IS könne an Kraft gewinnen. Auch haben örtliche IS-Gruppen die Verantwortung für Angriffe auf Schiiten im ganzen Land übernommen (LIB S. 42).

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die Afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (LIB S. 30).

1.5.1.2. Neuste Ereignisse:

Am 11.09.2018 kamen nach einem Selbstmordanschlag während einer Demonstration im Distrikt Mohamad Dara der Provinz Nangarhar mindestens acht Menschen ums Leben und weitere 35 wurden verletzt. Kurz zuvor wurde am Vormittag des 11.09.2018 ein Anschlag mit zwei Bomben vor der Mädchenschule "Malika Omaira" in Jalalabad verübt, bei dem ein Schüler einer nahegelegenen Jungenschule ums Leben kam und weitere vier Schüler verletzt wurden, statt. Davor gab es vor der Mädchenschule "Biba Hawa" im naheliegenden Distrikt Behsud eine weitere Explosion, die keine Opfer forderte, weil die Schülerinnen noch nicht zum Unterricht erschienen waren. Weder die Taliban noch der IS/ISKP bekannten sich zu den Anschlägen, obwohl beide Gruppierungen in der Provinz Nangarhar aktiv sind (LIB S. 12).

Am Montag, dem 10.09.2018, eroberten die Taliban die Hauptstadt des Kham Aab Distrikts in der Provinz Jawzjan nachdem es zu schweren Zusammenstößen zwischen den Taliban und den afghanischen Sicherheitskräften gekommen war. Sowohl die afghanischen Streitkräfte als auch die Taliban erlitten Verluste (LIB S. 12).

Am Sonntag, dem 09.09.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt der Provinz Sar-i Pul, wo nach wie vor ua mit Einsatz der Luftwaffe gekämpft wird. Quellen zufolge haben die Taliban das Gebiet Balghali im Zentrum der Provinzhauptstadt eingenommen und unter ihre Kontrolle gebracht. Sar-i-Pul-Stadt gehört zu den zehn Provinzhauptstädten, die Quellen zufolge das höchste Risiko tragen, von den Taliban eingenommen zu werden. Dazu zählen auch Farah-Stadt, Faizabad in Badakhshan, Ghazni-Stadt, Tarinkot in Uruzgan, Kunduz-Stadt, Maimana in Faryab und Pul-i-Khumri in Baghlan. Weiteren Quellen zufolge sind auch die Städte Lashkar Gar in Helmand und Gardez in Paktia von einer Kontrollübernahme durch die Taliban bedroht (LIB S. 12).

Bei einem Selbstmordanschlag im Kabuler Stadtteil Taimani kamen am 09.09.2018 mindestens sieben Menschen ums Leben und ungefähr 24 weitere wurden verletzt. Der Anschlag, zu dem sich der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte, fand während eines Festzugs zu Ehren des verstorbenen Mudschahedin-Kämpfers Ahmad Shah Massoud statt (LIB S. 13).

Am Mittwoch, dem 05.09.2018, kamen bei einem Doppelanschlag auf einen Wrestling-Klub im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi mindestens 20 Personen ums Leben und ungefähr 70 weitere wurden verletzt. Zuerst sprengte sich innerhalb des Sportvereins ein Attentäter in die Luft, kurz darauf explodierte eine Autobombe in der sich vor dem Klub versammelnden Menge. Der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte sich zum Anschlag (LIB S. 13).

Am 20.08.2018 entführten die Taliban 170 Passagiere dreier Busse, die über die Takhar-Kunduz-Autobahn auf der Reise nach Kabul waren. Es wurden insgesamt 149 Personen freigelassen, während sich die restlichen 21 weiterhin in der Gewalt der Taliban befinden. Grund für die Entführung war die Suche nach Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte bzw Beamten. Die Entführung erfolgte nach dem von Präsident Ashraf Ghani angekündigten Waffenstillstand, der vom 20.08.2018 bis 19.11.2018 gehen sollte und jedoch von den Taliban zurückgewiesen wurde (LIB S. 15).

Ein Selbstmordattentäter sprengte sich am Nachmittag des 15.08.2018 in einem privaten Bildungszentrum im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi, dessen Bewohner mehrheitlich Schiiten sind, in die Luft. Die Detonation hatte 34 Tote und 56 Verletzte zur Folge. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Vorfall (LIB S 15). Am selben Tag verübten die Taliban einen Angriff auf einen Militärposten in der nördlichen Provinz Baghlan, wobei ca 40 Sicherheitskräfte getötet wurden (LIB S. 16).

Auch im Distrikt Ghormach der Provinz Faryab wurde gekämpft: Die Taliban griffen zwischen 12.08.2018 und 13.08.2018 einen Stützpunkt des afghanischen Militärs, bekannt als Camp Chinaya, an und töteten ca 17 Mitglieder der Sicherheitskräfte (LIB S. 16).

Am 03.08.2018 kamen bei einem Selbstmordanschlag innerhalb der schiitischen Moschee Khawaja Hassan in Gardez-Stadt in der Provinz Paktia, 39 Personen ums Leben und weitere 80 wurden verletzt. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag (LIB S. 16).

Am 22.07.2018 fand ein Selbstmordanschlag vor dem Haupteingangstor des Kabuler Flughafens statt. Es kamen ca 23 Personen ums Leben und 107 wurden verletzt. Der Islamische Staat (IS) reklamierte den Anschlag für sich (LIB S. 16).

1.5.1.3. Zur Sicherheitslage in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers, Baghlan:

Baghlan liegt in Nordostafghanistan und gilt als eine der industriellen Provinzen Afghanistans. Sie befindet sich auf der Route der Autobahn Kabul-Nord, welche neun Provinzen miteinander verbindet. Ihre Hauptstadt heißt Pul-i-Khumri und ist als Wirtschaftszentrum bekannt. Die Provinz besteht aus folgenden Distrikten: Andarab, Baghlan-e-Jadid/Baghlan-e Markazi, Burka, Dahana-e-Ghori, Dehsalah/Banu, Doshi, Fereng Wa Gharu, Guzargah-e-Nur, Khenjan, Khost Wa Fereng, Nahrin, Pul-e-Hasar, Pul-e-Khumri, Tala Wa Barfak/Barfak, Jalga/Khwajahejran (UN OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o.D.). Im Nordosten grenzt Baghlan an die Provinzen Panjsher, Takhar und Kunduz, im Westen an Samangan und Bamyan, im Süden grenzt sie an die Provinz Parwan. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 943.394 geschätzt. Durch das von der Weltbank finanzierte Trans-Hindukush Road Connectivity Project soll bis 2022 u.a. die Baghlan-Bamiyan-Straße, auch "B2B-Road" genannt, durch eine Förderung von 170 Millionen USD gebaut werden. Mit Stand November 2017 wird in der Provinz Baghlan Opium angebaut (LIB S. 66).

Im Februar 2017 galt Baghlan als eine der am schwersten umkämpften Provinzen des Landes. Die Sicherheitslage hatte sich seit Anfang 2016 verschlechtert, nachdem die Taliban anfingen, koordinierte Angriffe in Schlüsseldistrikten in der Nähe der Hauptstadt auszuführen. Dies führte zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften. Quellen zufolge versuchen regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen ihre Aktivitäten in einigen Schlüsselprovinzen des Nordens und Nordostens zu verstärken. Nichtsdestotrotz gehen die afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräfte mit Anti-Terrorismus-Operationen gegen diese Gruppierungen vor. Als einer der Gründe für die sich verschlechternde Sicherheitslage wird vom Gouverneur der Provinz die Korruption angegeben, die er gleichzeitig zu bekämpfen versprach. Auch zählt Baghlan zu jenen Provinzen, in denen eine hohe Anzahl an Zivilisten aufgrund explosiver Kampfmittelrückstände und indirekter Waffeneinwirkung ums Leben kam (LIB S. 67).

Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.04.2018 wurden in der Provinz 102 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden von UNAMA 222 zivile Opfer (66 getötete Zivilisten und 156 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von Blindgängern/Landminen und gezielten Tötungen. Dies bedeutet einen Rückgang von 38% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB S. 67 f).

In Baghlan werden militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden der Provinz von Aufständischen zu befreien. Bei diesen Militäroperationen werden Aufständische und in manchen Fällen auch ihre Anführer getötet (LIB S. 68).

Berichten zufolge waren im August 2017 die Taliban im Nordwesten der Provinz aktiv. Anfang 2017 fiel der Distrikt Tala Wa Barfak an die Taliban; später wurde er jedoch von den Regierungsmächten wieder eingenommen. In Baghlan stellen Kohlenbergwerke, nach der Drogenproduktion, eine der Haupteinnahmequellen der Taliban dar, nachdem im Jahr 2017 einige Bergwerke der Provinz unter Kontrolle aufständischer Gruppierungen gekommen war. Berichtet wurde von Vorfällen, in denen die Gruppierung Check-Points errichtete, um Geld von Kohle-transportierenden Fahrzeugen einzuheben. Informationen eines hochrangigen Beamten zufolge war noch im Mai 2017 die Präsenz des IS im Norden Afghanistans schwach; ihm zufolge existierten keine Informationen zu der Anwesenheit des IS in der Provinz Baghlan. Im Zeitraum 01.01.2017 - 15.07.2017 wurde im Süden der Provinz Baghlan Gewalt gegen die Zivilbevölkerung durch den IS gemeldet, während zwischen dem 16.07.2017 und dem 31.01.2018 keine Vorfälle registriert wurden (LIB S. 68).

1.5.1.4. Zur Sicherheitslage in der Stadt Herat, der Hauptstadt der Provinz Herat:

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat. In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt (LIB S. 107).

In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken. Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine Alternative zum Mohnanbau werden. Anfang Jänner 2018 wurde ein Labor zur Kontrolle der Safran-Qualität in Herat errichtet. Die Safran-Produktion garantierte zB auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz. Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. Insgesamt wurden 2017 in der Provinz min 8 Tonnen Safran produziert; im Vorjahr 2016 waren es 6.5 Tonnen. Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (LIB S. 107).

Im Dezember 2017 wurden verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat (LIB S. 107).

Mitte März 2018 wurde der Bau der TAPI-Leitung in Afghanistan eingeweiht. Dabei handelt es sich um eine 1.800 Km lange Pipeline für Erdgas, die Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan und Indien 30 Jahre lang mit 33 Billionen m³ turkmenischem Erdgas versorgen soll. Die geplante Leitung wird sich entlang der Herat-Kandahar-Autobahn erstrecken. Somit wird sie durch Gegenden, auf die die Taliban einen starken Einfluss haben, verlaufen. Jedoch erklärten die Taliban, TAPI sei ein "wichtiges Projekt" und sie würden es unterstützen. Im Rahmen des TAPI-Projekts haben sich 70 Taliban bereit erklärt, an den Friedensprozessen teilzunehmen. Um Sicherheit für die Umsetzung des TAPI-Projekts zu gewähren, sind tausende Sicherheitskräfte entsandt worden (LIB S. 107 f).

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat. Die Provinz ist u.a. ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern. Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (LIB S. 108).

Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.04.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB S. 108 f).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt; dabei wurden Taliban getötet. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (LIB S. 109).

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Dem Iran wird von verschiedenen Quellen nachgesagt, afghanische Talibankämpfer auszubilden und zu finanzieren. Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an. Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, das TAPI-Projekt zu unterstützen und sich am Friedensprozess zu beteiligen. Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen (LIB S. 110).

Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden. ACLED registrierte für den Zeitraum 01.01.2017 - 15.07.2017 IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Herat (LIB S. 110).

1.5.1.4. Zur Sicherheitslage in der Stadt Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh:

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz grenzt im Norden an Tadschikistan und Usbekistan. Die Provinz Samangan liegt sowohl östlich als auch südlich von Balkh. Die Provinzen Kunduz und Samangan liegen im Osten, Jawzjan im Westen und Sar-e Pul im Süden. Balkh grenzt an drei zentralasiatische Staaten: Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (LIB S. 70).

Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.:

Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar. In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen (LIB S. 70 f).

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (LIB S. 71).

Nach monatelangen Diskussionen hat Ende März 2018 der ehemalige Gouverneur der Provinz Balkh Atta Noor seinen Rücktritt akzeptiert und so ein Patt mit dem Präsidenten Ghani beendet. Er ernannte den Parlamentsabgeordneten Mohammad Ishaq Rahgozar als seinen Nachfolger zum Provinzgouverneur. Der neue Gouverneur versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Sicherheit im Norden des Landes zu garantieren (LIB S. 71).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften, oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (LIB S. 71).

In der Provinz befindet sich ua das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North), sowie auch das Camp Shaheen (LIB S. 71).

Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.04.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68 % im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen. Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt. Dabei werden Taliban getötet und manchmal auch ihre Anführer. Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt (LIB S. 71 f).

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen. Im Zeitraum 01.01.2017 - 15.07.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.07.2017 - 31.01.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (LIB S. 73).

1.5.1.5. Zur Lage der Hazara:

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus. Sie besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat bekannt ist (LIB S. 284, Stammes und Clanstrukturen Juli 2016 S. 17). Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden (LIB S. 284).

Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara hat sich die Lage grundsätzlich gebessert; vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet. Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht. Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert. So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist (LIB S. 285).

Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit einem Anteil von etwa 10 % in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (LIB S. 286).

Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf; soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (LIB S. 285 f).

1.5.1.6. Zur Lage von Schiiten in Afghanistan:

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15 % geschätzt. Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara. Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan leben einige schiitische Belutschen. Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran (LIB S. 275).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen. Obwohl einige schiitischen Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demographischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiere; auch vernachlässige die Regierung in mehrheitlich schiitischen Gebieten die Sicherheit. Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (LIB S. 275).

Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen ua der Taliban und des IS (LIB S. 276).

1.5.1.7. Älteste:

In jedem traditionellen Dorf gibt es einen Dorfvorstand genannt Arbab oder Mir, der ein Ältester ist. Diese Stellung wird normalerweise vererbt. Die wahre Macht hat jedoch der Landbesitzer inne, der Khan oder auch Mir genannt wird. Diese feudalen Großgrundbesitzer kontrollieren den größten Teil des fruchtbaren Landes in den Tälern (Stammes und Clanstrukturen Juli 2016 S. 68 f).

Wie bei den meisten Völkern im Nahen Osten und in Zentralasien wird den Ältesten, den Frauen und Kindern jeweils eine besondere gesellschaftliche Rolle zugewiesen. In einer traditionellen Hazara-Familie werden die Ältesten respektiert und nehmen bei den Mahlzeiten einen Ehrenplatz ein. Sie sind in der Gesellschaft wichtig und angesehen. Die Rolle der Ältesten hat sich jedoch in den letzten Jahrzehnten, genauso wie auch bei anderen afghanischen Volksgruppen, gewandelt. Als die traditionelle Lebensweise verschwand, Krieg und Kampf zunahmen und sich die Hazara in die Städte oder in Flüchtlingslager begaben, mussten die Familien feststellen, dass die Älteren nicht mehr in der Lage waren, die Führungsrolle auszufüllen, die sie einst hatten. Viele Ältere sind Analphabeten und kennen sich mit den Umständen im neuen Afghanistan nicht aus. Daher hat die jüngere Generation in der Hazara-Gemeinschaft die Führungsrolle übernommen. Diese politischen Führer oder lokalen Kommandanten, sind jüngere Männer mit Zugang zu Waffen, Geld und anderen Mitteln, die so zu den Führern eines Großteils der Hazara-Gemeinschaften wurden (Stammes und Clanstrukturen Juli 2016 S. 77).

1.5.1.8. Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge:

Wegen des Konflikts wurden im Jahr 2017 insgesamt 475.433 Menschen in Afghanistan neu zu Binnenvertriebenen (IDPs). Im Zeitraum 2012 bis 2017 wurden insgesamt 1.728.157 Menschen im Land zu Binnenvertriebenen. Zwischen 01.01.2018 und 15.05.2018 wurden 101.000 IDPs registriert. 23 % davon sind erwachsene Männer, 21 % erwachsene Frauen und 55 % minderjährige Kinder (LIB S. 317).

Vertriebene Bevölkerungsgruppen befinden sich häufig in schwer zugänglichen und unsicheren Gebieten, was die afghanischen Regierungsbehörden und Hilfsorganisationen bei der Beurteilung der Lage bzw bei Hilfeleistungen behindert. Ungefähr 30 % der 2018 vertriebenen Personen waren mit Stand 21.03.2018 in schwer zugänglichen Gebieten angesiedelt (LIB S. 317). Mit Stand Dezember 2017 lebten 54 % der Binnenvertriebenen in den afghanischen Provinzhauptstädten. Dies führte zu weiterem Druck auf die bereits überlasteten Dienstleistungen sowie die Infrastruktur sowie zu einem zunehmenden Kampf um die Ressourcen zwischen den Neuankömmlingen und der einheimischen Bevölkerung (LIB S. 318).

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung gegenüber vulnerablen Personen - inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran - ist beschränkt und auf Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Regierung hat einen Exekutivausschuss für Vertriebene und Rückkehrer sowie einen politischen Rahmen und einen Aktionsplan eingerichtet, um die erfolgreiche Integration von Rückkehrern und Binnenvertriebenen zu fördern. Im Rahmen der humanitären Hilfe wurden IDPs je nach Region und klimatischen Bedingungen unterschiedlich unterstützt, darunter Nahrungspakete, Non-Food-Items (NFI), grundlegende Gesundheitsdienstleistungen, Hygienekits usw (LIB S. 318 f).

1.5.1.9. Grundversorgung und Wirtschaft:

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu. Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich sechs Prozent prognostiziert. Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1,4 % aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3,4 bzw 1,8 %. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3 % zurückgingen und die Importe um 8 % stiegen (LIB S. 321).

1.5.1.10. Meldewesen:

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, ebenso wenig "gelbe Seiten" oder Datenbanken mit Telefonnummerneinträgen. Dennoch gibt es Mittel und Wege, um Familienmitglieder ausfindig zu machen. Das Dorf, aus dem jemand stammt, ist der naheliegende Ort, um eine Suche zu starten. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick (LIB S. 314 f).

1.5.1.11. Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit:

In den Jahren 2016 bis 2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013 bis 2014 bei 22,6 % gelegen hatte, um 1 %. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40 % der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80 % davon sind

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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