TE Bvwg Beschluss 2018/11/12 I404 2208861-1

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Veröffentlicht am 12.11.2018
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Entscheidungsdatum

12.11.2018

Norm

AsylG 2005 §10
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

I404 2208861-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Alexandra JUNKER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. am XXXX, Sta. GAMBIA, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Wien (BAW) vom 11.10.2018, Zl. 1187928001-180397029, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Am 10.07.2018 wurde der Beschwerdeführer vom LG für Strafsachen Wien, GZ. XXXX wegen §§ 28a (1) 5. Fall, 28a (2) Z 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten, davon 20 Monaten bedingt auf eine Probezeit von 3 Jahren, rechtskräftig verurteilt.

2. Mit Schreiben vom 26.04.2018 wurde dem Beschwerdeführer die Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme zugestellt und Fragen zu Familienangehörigen in Österreich und seiner letzten Wohnanschrift in Österreich etc. gestellt. Er hat sich zu diesem Schreiben nicht geäußert.

3. Mit dem hier bekämpften Bescheid hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt I.). Sie erklärte seine Abschiebung nach Gambia für zulässig (Spruchpunkt II.). Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde wurde gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt III.). Weiter verhängte sie über ihn ein befristetes Einreiseverbot in der Dauer von 7 Jahren (Spruchpunkt IV.). Im Bescheid wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer über einen Aufenthaltstitel für Italien verfügt. Die belangte Behörde stellte weiter fest, dass der Beschwerdeführer in Österreich weder familiäre noch beruflich Bindungen habe. Feststellungen zu seinem Privat- und Familienleben in Italien oder einem anderen Mitgliedsstaat wurden nicht getroffen.

4. Mit Schriftsatz seines Rechtsvertreters vom 25.10.2018 erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und begründete dies unter anderem damit, dass die belangte Behörde jede Ermittlungstätigkeit unterlassen habe. Der Beschwerdeführer möge freiwillig nach Italien ausreisen, wo er über einen gültigen Aufenthaltstitel besitze. Die belangte Behörde habe es verabsäumt das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers in Italien sowie in anderen Schengen-Staaten zu prüfen. Wäre der Beschwerdeführer dazu befragt worden, hätte er angegeben, dass er Familienangehörige in anderen EU-Mitgliedsstaaten habe und er hätte auch persönlich einvernommen werden müssen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes komme der Verschaffung eines persönlichen Eindruckes bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen besondere Bedeutung zu. Außerdem verkenne die belangte Behörde auch die Rechtslage, wenn sie davon ausgehe, dass die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich sei. So sei die belangte Behörde ausschließlich aufgrund einer einzigen strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers zu dieser Annahme gelangt, habe dabei aber die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers in Italien und den weiteren Schengenstaaten übersehen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu Spruchpunkt A) 1. Aufhebung und Zurückverweisung (Spruchpunkt I.):

1.1. Die §§ 28 Abs. 1 bis 3 und 31 VwGVG lauten wie folgt:

Erkenntnisse und Beschlüsse

Erkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

...

Beschlüsse

§ 31. (1) Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss.

(2) An seine Beschlüsse ist das Verwaltungsgericht insoweit gebunden, als sie nicht nur verfahrensleitend sind.

(3) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind § 29 Abs. 1 zweiter Satz, 2a, 2b, 4 und 5 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

1.2. § 52 Abs. 1, 6 und 8 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), in der geltenden Fassung lauten wie folgt:

Rückkehrentscheidung

§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.

(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

1.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Voraussetzungen, unter denen das Verwaltungsgericht von der in § 28 Abs. 3 VwGVG festgelegten Befugnis zur Aufhebung und Zurückverweisung Gebrauch machen darf, im Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, näher präzisiert.

Danach hat die meritorische Entscheidungspflicht des Verwaltungsgerichts Vorrang und bildet die Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme, deren Inanspruchnahme begründungspflichtig ist und die strikt auf den ihr gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist. Zur Aufhebung und Zurückverweisung ist das Verwaltungsgericht bei "krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken" befugt, was insbesondere dann der Fall ist, wenn die Verwaltungsbehörde "jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen", "lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt" oder "bloß ansatzweise ermittelt" hat oder wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Behörde "Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer ‚Delegierung' der Entscheidung)".

1.4. Mit der bekämpften Entscheidung hat die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 FPG erlassen und ausgesprochen, dass eine Abschiebung nach Gambia zulässig ist und über ihn ein auf 7 Jahre befristetes Einreiseverbot verhängt. Gleichzeitig hat sie festgestellt, dass der Beschwerdeführer über einen Aufenthaltstitel für Italien verfügt.

In der Beschwerde wird insbesondere geltend gemacht, dass die belangte Behörde es verabsäumt hat, das Privat- und Familienleben in Italien oder anderen Schengenstaaten zu prüfen. Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer im Recht:

1.5. Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH darf die bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung zu beurteilende Frage nach dem Eingriff in das Privat- oder Familienleben des Drittstaatsangehörigen nicht allein im Hinblick auf seine Verhältnisse in Österreich beurteilt werden, sondern ist auch die Situation in den anderen Mitgliedstaaten in den Blick zu nehmen (vgl. VwGH vom 03.07.2018, Ro 2018/21/0007).

Die belangte Behörde hat trotz ihres Wissens, dass der Beschwerdeführer über einen Aufenthaltstitel für Italien verfügt, keinerlei Ermittlungen zur Frage des Familien-, und Privatlebens des Beschwerdeführers in anderen Mitgliedsstaaten insbesondere Italien getätigt. Weder im Bescheid noch aus dem sonstigen Akteninhalt geht demnach hervor, ob und welche privaten und familiären Interessen der Beschwerdeführer in anderen Mitgliedstaaten insbesondere in Italien hat. Die belangte Behörde hat es unterlassen, den Beschwerdeführer dazu zu befragen. Auch im schriftlich eingeräumten Parteiengehör wurden dazu keine Fragen gestellt.

Weiters ist auch auf die Rechtsprechung des VwGH hinzuweisen, wonach es im Kontext des § 52 Abs. 6 FrPolG 2005 nicht schlichtweg auf eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ankommt, sondern darauf, ob angesichts einer solchen Gefährdung die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen aus dem Bundesgebiet erforderlich ist (vgl. VwGH vom 03.07.2018, Ro 2018/21/0007). Auch dies erfordert daher eine Abwägung der Interessen des Beschwerdeführers und dafür die Feststellung der diesbezüglichen vorhandenen privaten und familiären Bindungen des Beschwerdeführers in Italien.

1.7. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die belangte Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit hinsichtlich seiner privaten und familiären Interessen im gesamten Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten unterlassen hat. Insofern hat die belangte Behörde nur ansatzweise ermittelt und liegen daher die Voraussetzungen nach der Rechtsprechung des VwGH für ein Vorgehen nach § 28 Abs. 3 VwGVG vor.

Insbesondere ist in diesem Zusammenhang auch anzuführen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Notwenigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes die Feststellungen der belangten Behörde zu ergänzen, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erforderlich macht (vgl. VwGH vom 26.04.2017, Zl. Ra 2016/19/0290). Auch unter Effizienzgesichtspunkten gebietet sich daher eine Heranziehung des § 28 Abs. 3 VwGVG, zumal die Verwaltungsbehörde die erforderlichen Ermittlungsschritte und damit die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes im Sinne des Gesetzes zumindest mit der gleichen Raschheit und mit nicht höheren Kosten als das Verwaltungsgericht bewerkstelligen wird können. Angesichts der oben angeführten Verhandlungspflicht des BVwG bei einer Sachentscheidung ist daher nicht anzunehmen, dass die zur Erforschung der materiellen Wahrheit ergänzenden Ermittlungen unter Wahrung des Parteiengehörs durch das Verwaltungsgericht selbst mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wären.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

2. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist.

Weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid zu beheben war, konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

B) Zur Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aufenthaltstitel, Begründungspflicht, Beweiswürdigung,
Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
Mitgliedstaat, persönliche und soziale Bindungen,
Rückkehrentscheidung, strafrechtliche Verurteilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:I404.2208861.1.00

Zuletzt aktualisiert am

16.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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