TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/13 W251 2152490-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.11.2018
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Entscheidungsdatum

13.11.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W251 2152490-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Angelika SENFT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.03.2017, Zl. 1094181710 - 151741435, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte im November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am 10.11.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass sein Vater beim Verein, Jamiate Islami, gewesen sei. Obwohl sein Vater dort schon vor einiger Zeit nicht mehr Mitglied gewesen sei, sei seine ganze Familie von Unbekannten bedroht worden. Da das Leben aller Familienmitglieder in Gefahr gewesen sei, habe die ganze Familie Afghanistan verlassen.

3. Am 03.03.2017 fand eine Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) statt. Zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen an, dass sein Vater bei der Partei Hezbe Jamiat gewesen sei. Sie (Anm. BVwG: die Familie des Beschwerdeführers) seien mehrmals von den Taliban und auch von anderen Personen bedroht worden. Es seien sein Vater und sein Bruder bedroht worden, seinem Vater sei in die linke Hand geschossen worden. Danach sei sein Vater nochmals attackiert worden. Der Beschwerdeführer sei auf dem Weg von der Schule nach Hause mit einem Stock auf den Rücken geschlagen worden und nach seinem Vater gefragt worden. Es habe auch Probleme mit den drei Onkeln väterlicherseits gegeben. Einmal wegen Grundstücksstreitigkeiten und einmal, weil die Onkel Mitglieder in anderen Parteien gewesen seien.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab und erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht glaubhaft habe machen können. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Der Beschwerdeführer sei ein gesunder, arbeitsfähiger Mann, der noch über ein familiäres Unterstützungsnetz in Afghanistan verfüge und somit bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht in eine ausweglose Situation geraten würde. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würde.

5. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass das Ermittlungsverfahren mangelhaft sei, es würden Feststellungen zur Religionszugehörigkeit und Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers fehlen. Auch seien die getroffenen Länderfeststellungen mangelhaft. Die Sicherheitslage sei in Afghanistan schlecht, auch die Stadt Kabul sei nicht sicher. Da Angriffe der Taliban und von anderen Gruppierungen aufgrund des großen geografischen Einflussbereichs in ganz Afghanistan stattfinden können, bestehe in Afghanistan keine innerstaatliche Fluchtalternative. Die Taliban können den Beschwerdeführer in Afghanistan überall ausfindig machen. Auch die Versorgungslage habe sich in Afghanistan verschlechtert.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 11.10.2018 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

7. Mit Stellungnahme vom 23.10.2018 brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er mit seinem Onkel väterlicherseits verfeindet sei, sodass er von diesem keine Hilfe erwarten könne. Seine Verwandten mütterlicherseits seien lediglich moralisch, jedoch nicht gesetzlich verpflichtet ihm Hilfe und Unterstützung zu leisten. Bei einer Rückkehr sei er auf familiäre und soziale Netzwerke angewiesen. Seine Verwandten in Afghanistan seien jedoch nicht bereit ihn zu unterstützen. Alleinstehenden Männern sei nur unter speziellen Umständen und nur ohne besondere Vulnerabilität eine Rückkehr nach Afghanistan zumutbar. Kabul stelle grundsätzlich keine innerstaatliche Fluchtalternative dar. Eine Stellungnahem von Amnesty International habe ergeben, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan für Zivilisten verschlechtert habe. Der afghanische Staat sei nicht schutzfähig. Auf Grund der schlechten Sicherheitslage drohe dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr eine Verletzung seiner durch Art 3 EMRK geschützten Rechte. Aus einem Urteil des französischen Höchstgerichts ergebe sich zudem, dass bei einer bloßen Anwesenheit in der Stadt Kabul bei einer Rückkehr nach Kabul ein reales Risiko einer schwerwiegenden Bedrohung bestehe. Auch aus dem Gutachten von Stahlmann vom 28.03.2018 ergebe sich, dass bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit einer Verletzung der durch Art 3 EMRK gewährleisteten Rechte zu rechnen sei. Es bestehe in gesamten Staatsgebiet von Afghanistan die Gefahr einen ernsthaften Schaden hinsichtlich des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit zu erleiden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX. Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an, bekennt sich zum muslimisch-sunnitischen Glauben und spricht Dari als Muttersprache sowie Paschtu, Farsi, Englisch und etwas Hindi und Deutsch (AS 1; AS 41; Verhandlungsprotokoll vom 11.10.2018, OZ 14, S. 6; Lebenslauf - Beilage zu OZ 10).

Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Kabul, im Distrikt XXXX, im Dorf XXXX geboren und ist dort gemeinsam mit seinen Eltern und seinen sieben Brüdern aufgewachsen (OZ 14, S. 6, 8). Der Beschwerdeführer hat neun Jahre lang in Afghanistan eine Schule besucht. Der Beschwerdeführer hat dreieinhalb bis vier Jahre lang als Schweißer gearbeitet (OZ 14, S. 7). Der Beschwerdeführer wurde entsprechend der afghanischen Kultur und Tradition sozialisiert.

Das Heimatdorf des Beschwerdeführers ist 30 bis 35 Autominuten von der Stadt Kabul entfernt. Das Heimatdorf des Beschwerdeführers kann von der Stadt Kabul aus sicher erreicht werden (OZ 14, S. 8). Drei Onkel väterlicherseits des Beschwerdeführers leben ebenfalls in der Provinz Kabul im Distrikt XXXX (OZ 14, S. 9). Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer drei Onkel mütterlicherseits, zwei Tanten väterlicherseits und vier Tanten mütterlicherseits, die in der Stadt Kabul oder in anderen Distrikten der Provinz Kabul leben. Die Tanten und Onkeln des Beschwerdeführers haben jeweils eigene Familien, sodass der Beschwerdeführer zahlreiche Cousins und Cousinen in der Provinz Kabul hat (OZ 14, S. 10).

Die Familie des Beschwerdeführers besitzt im Distrikt XXXX ein Eigentumshaus und Grundstücke im Ausmaß von 40 Jerib (1 Jerib entspricht 0,1 Hektar) (OZ 14, S. 11).

Der Beschwerdeführer hat regelmäßig Kontakt zu seiner Familie in Afghanistan sowie zu seinen ehemaligen Mitschülern aus Afghanistan. Die ehemaligen Mitschüler des Beschwerdeführers leben in der Provinz Kabul, manche in der Stadt Kabul und manche im Distrikt XXXX (OZ 14, S. 17).

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Eltern und die sieben Brüder des Beschwerdeführers das Heimatdorf in Afghanistan oder Afghanistan verlassen haben.

Der Beschwerdeführer hat zumindest grundlegende Ortskenntnisse betreffend die Stadt Kabul, er ist schon öfter von seinem Heimatdorf nach Kabul zum Einkaufen gefahren (OZ 14, S. 8).

Der Beschwerdeführer ist unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und hält sich seit zumindest November 2015 durchgehend in Österreich auf (AS 1; Beilage ./I; OZ 14, S. 9).

Der Beschwerdeführer hat bereits einen Deutschkurs besucht. Der Beschwerdeführer macht derzeit seien Pflichtschulabschluss. Er hat fast alle Teilprüfungen, abgesehen von Mathematik, bereits abgelegt (OZ 14, S. 12). Der Beschwerdeführer ist anpassungsfähig.

Der Beschwerdeführer lebt von der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer geht keiner Erwerbstätigkeit nach. Der Beschwerdeführer arbeitet gelegentlich ehrenamtlich für die Gemeinde (OZ 14, S. 12-13). Der Beschwerdeführer konnte in Österreich freundschaftliche Kontakte zu Österreichern und Afghanen knüpfen, die er in seinem Wohnheim, beim Fußballspielen und in der Schule kennengelernt hat (OZ 14, S. 13) Der Beschwerdeführer verfügt weder über Verwandte noch über sonstige enge soziale Bindungen in Österreich.

Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten. Der Beschwerdeführer leidet an XXXX. Diese hatte er bereits in Afghanistan. Stressbedingt hat sich diese in Österreich verschlechtert, sodass diese an den XXXX neu aufgetreten ist bzw. sich ausgebreitet hat. Der Beschwerdeführer behandelt die XXXX in Österreich mit Salben, die er vom Arzt verschreiben bekommen hat (OZ 14, S. 14; Beilage zu OZ 2).

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten (Beilage ./I).

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.

1.2.1 Der Vater des Beschwerdeführers sowie die Onkel des Beschwerdeführers waren keine Mitglieder in einer Partei in Afghanistan.

Weder der Beschwerdeführer noch dessen Familie wurden in Afghanistan bedroht, angegriffen oder verletzt. Der Beschwerdeführer wurde weder von Mitgliedern der Taliban noch von Mitgliedern anderer Gruppierungen oder von anderen Personen kontaktiert, angegriffen oder bedroht.

Es gab in Afghanistan zwischen dem Vater des Beschwerdeführers und dessen Familie und zwischen den Onkeln des Beschwerdeführers keine Streitigkeiten um Erbschaften oder um Grundstücke oder aus anderen Gründen. Der Vater des Beschwerdeführers und die Onkel väterlicherseits des Beschwerdeführers sind nicht verfeindet.

Der Beschwerdeführer hat Afghanistan nicht aus Furcht vor Eingriffen in seine körperliche Integrität oder wegen Lebensgefahr, sondern aus anderen Gründen verlassen.

Dem Beschwerdeführer droht individuell und konkret im Falle der Rückkehr nach Afghanistan weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder durch andere Personen.

1.2.2. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Sunniten oder zur Volksgruppe der Tadschiken konkret und individuell physische oder psychische Gewalt in Afghanistan.

1.2.3. Darüber hinaus kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines in Österreich ausgeübten Lebensstils oder seinem Aufenthalt in einem europäischen Land in Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt wäre.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr in die Provinz Kabul in den Distrikt XXXX kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit. Der Beschwerdeführer verfügt in der Provinz Kabul, insbesondere im Distrikt XXXX, über sehr viele Familienangehörige und entferntere Verwandte. Er kann daher auf ein großes familiäres und soziales Netzwerk sowie auf das Haus seiner Eltern und die Grundstücke seiner Eltern zurückgreifen. Der Beschwerdeführer kann bei seinen Verwandten - zumindest vorrübergehend - Unterkunft und Verpflegung vorfinden.

Darüber hinaus ist es dem Beschwerdeführer auch möglich sich in den Städten Herat und Mazar-e Sharif niederzulassen. Die Wohnraum- und Versorgungslage ist in Herat und Mazar-e Sharif sehr angespannt. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif kann der Beschwerdeführer jedoch grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 mit Kurzinformation vom 11.09.2018 - LIB 11.09.2018, S. 27).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 11.09.2018, S. 27).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 11.09.2018, S. 30).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 11.09.2018, S. 38).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheits-operationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 11.09.2018, S. 31).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 11.09.2018, S. 31). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 11.09.2018, S. 32 ff, 36).

Provinz Kabul:

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt. In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander. Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB 11.09.2018, S. 52f).

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen, die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen. Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, die sich überwiegend in der Hauptstadt Kabul ereigneten (LIB 11.09.2018, S. 53). Im Heimatdistrikt des Beschwerdeführers, XXXX, ereigneten sich im Zeitraum vom 01.01.2017 bis 30.04.2018 keine sicherheitsrelevanten Vorfälle, sodass dieser Distrikt als sicher zu betrachten ist (LIB 11.09.2018, S. 54, siehe Abbildung).

Mazar-e Sharif:

Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst (LIB 11.09.2018, S. 71).

In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt sicher zu erreichen ist (LIB 11.09.2018, S. 71).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (LIB 11.09.2018, S. 72).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (LIB 11.09.2018, S. 61f).

Herat

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in 16 Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken (LIB 11.09.2018, S. 107).

Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat. In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand, sodass die Stadt sicher erreichbar ist (LIB 11.09.2018, S. 107, 228 f).

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz (LIB 11.09.2018, S. 107).

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Die Provinz Herat zählt zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat (LIB 11.09.2018, S. 108).

Nach zehn Jahren der Entminung sind nun 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher. In diesen Gegenden besteht keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (LIB 11.09.2018, S. 108).

Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB 11.09.2018, S. 109).

Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an. Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, sich am Friedensprozess zu beteiligen. Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen (LIB 11.09.2018, S. 110).

Medizinische Versorgung

Es gibt keine staatliche Krankenkasse und die privaten Anbieter sind überschaubar und teuer, somit für die einheimische Bevölkerung nicht erschwinglich. Eine begrenzte Zahl staatlich geförderter öffentlicher Krankenhäuser bieten kostenfreie medizinische Versorgung. Alle Staatsbürger haben Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Kosten für Medikamente in diesen Einrichtungen weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e-Sharif, Herat und Kandahar. Medikamente sind auf jedem Markt in Afghanistan erwerblich, Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produktes (LIB 11.09.2018, S. 206 ff).

Psychische Erkrankungen sind in öffentlichen und privaten Klinken grundsätzlich behandelbar. Die Behandlung in privaten Kliniken ist für Menschen mit durchschnittlichen Einkommen nicht leistbar. In öffentlichen Krankenhäusern müssen die Patienten nichts für ihre Aufnahme bezahlen. In Kabul gibt es zwei psychiatrische Einrichtungen: das Mental Health Hospital und die Universitätsklinik Aliabad. Zwar gibt es traditionelle Methoden bei denen psychisch Kranke in spirituellen Schreinen unmenschlich behandelt werden. Es gibt jedoch aktuelle Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und auch Aufklärung zu betreiben. Die Bundesregierung finanziert Projekte zur Verbesserung der Möglichkeiten psychiatrischer Behandlung und psychologischer Begleitung in Afghanistan (LIB 11.09.2018, S. 327 f). In Mazar-e Sharif gibt es ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus (LIB 11.09.2018, S. 327).

Wirtschaft

Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 11.09.2018, S. 321).

Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 11.09.2018, S. 321).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Sogar für gut ausgebildete und gut qualifizierte Personen ist es schwierig ohne ein Netzwerk einen Arbeitsplatz zu finden, wenn man nicht empfohlen wird oder dem Arbeitgeber nicht vorgestellt wird. Vetternwirtschaft ist gang und gebe. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Es gibt lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarktes. Der Arbeitsmarkt besteht Großteiles aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Viele bewerben sich, nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt für Hilfsarbeiter meist USD 4,3 und für angelernte Kräfte bis zu USD 14,5 pro Tag (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, Beilage ./III, S. 29 - 30).

In Kabul und in großen Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Es ist auch möglich an Stelle einer Wohnung ein Zimmer zu mieten. Dies ist billiger als eine Wohnung zu mieten. Heimkehrer mit Geld können Grund und Boden erwerben und langfristig ein eigenes Haus bauen. Vertriebene in Kabul, die keine Familienanbindung haben und kein Haus anmieten konnten, landen in Lagern, Zeltsiedlungen und provisorischen Hütten oder besetzen aufgelassene Regierungsgebäude. In Städten gibt es Hotels und Pensionen unterschiedlichster Preiskategorien. Für Tagelöhner, Jugendliche, Fahrer, unverheiratete Männer und andere Personen, ohne permanenten Wohnsitz in der jeweiligen Gegend, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität, sogenannte chai khana (Teehaus). Dabei handelt es sich um einfache große Zimmer in denen Tee und Essen aufgetischt wird. Der Preis für eine Übernachtung beträgt zwischen 0,4 und 1,4 USD. In Kabul und anderen großen Städten gibt es viele solche chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen um dort eingelassen zu werden (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, Beilage ./III, S. 31).

Rückkehrer:

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (LIB 11.09.2018, S. 334 f).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 11.09.2018, S. 335 f).

IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (LIB 11.09.2018, S. 336f).

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (LIB 11.09.2018, S. 337f).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB 11.09.2018, S. 338 f).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 11.09.2018, S. 339).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 11.09.2018, S. 339).

Ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben mehr als 34.1 Millionen Menschen. Es sind ca. 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt (LIB 11.09.2018, S. 282f).

Die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan, sie machen etwa 30% der afghanischen Gesellschaft aus. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit. Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (LIB 11.09.2018, S. 287f). Tadschiken sind allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit in Afghanistan weder psychischen noch physischen Bedrohungen ausgesetzt.

Religionen:

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB 11.09.2018, S. 272). Sunniten sind allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit in Afghanistan weder psychischen noch physischen Bedrohungen ausgesetzt

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt, durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Urkunden Beilage ./I bis ./IV und Beilage ./A (Konvolut ZMR, GVS, Strafregister Beilage ./I; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan vom 29.08.2018 mit Kurzinformation vom 11.09.2018, Beilage ./II; Bericht EASO, Afghanistan Netzwerke, Jänner 2018, Beilage ./III; ACCORD Anfragebeantwortung, Politische Bedeutung der Parteien Hezb-e Islami und Dschamiat-e Islami, Beilage ./IV; Betreuungsvereinbarung AMS vom 03.09.2018, Beilage ./A), sowie durch Einsichtnahme in die mit Stellungnahem vom 27.04.2017, 16.05.2017 und 21.06.2018 vorgelegten Urkunden (Arztbrief vom 21.04.2017; Empfehlungsschreiben vom 21.04.2017; Empfehlungsschreiben vom 25.04.2018;

Empfehlungsschreiben vom 03.05.2018; Teamfähigkeitszeugnis;

Bestätigung Deutschunterricht vom 24.02.2017;

Unterstützungsschreiben vom 30.04.2018; Teilnahmebestätigung, Basisbildung mit politischer Bildung vom 23.12.2016; Lebenslauf;

Besuchsbestätigung Pflichtschulabschlusslehrgang vom 27.06.2017;

Besuchsbestätigung Pflichtschulabschlusslehrgang vom 15.05.2018;

Fotos; Zeugnis Pflichtschulabschlussprüfung Kreativität und Gestaltung vom 19.12.2017; Zeugnis Pflichtschulabschlussprüfung, Deutsch, Kommunikation und Gesellschaft vom 20.12.2017; Zeugnis Pflichtschulabschlussprüfung, Englisch, Globalität und Transkulturalität vom 31.01.2018; Zeugnis Pflichtschulabschlussprüfung, Gesundheit und Soziales vom 19.12.2017; Zeugnis Pflichtschulabschlussprüfung, Natur und Technik vom 19.12.2017; Empfehlungsschreiben aus Dezember 2017).

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf (sein Aufwachsen sowie seine familiäre Situation in Afghanistan, seine Schulausbildung und Berufserfahrung) sowie zu den Eigentumsverhältnissen seiner Familie gründen sich auf seine diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben und aus dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Lebenslauf. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Dass der Beschwerdeführer noch über Verwandte und ehemalige Mitschüler in der Provinz Kabul verfügt ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers (OZ 14, S. 9-10, S. 17). Dass der Beschwerdeführer noch Kontakt zu seinen ehemaligen Mitschülern hat ergibt sich aus seinen eigenen Angaben (OZ 14, S. 17). Dass der Beschwerdeführer noch Kontakt zu seiner Familie und zu seinen Verwandten in Afghanistan hat ergibt sich zum einen daraus, dass die Fluchtgründe des Beschwerdeführers und auch die behauptete Feindschaft zu den Onkeln nicht glaubhaft ist (siehe Punkt II.2.2.). Es ist für das Gericht kein Grund ersichtlich, aus dem der Beschwerdeführer den Kontakt zu seiner Familie verlieren sollte. Zudem ist den Länderberichten zu entnehmen, dass nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihren Familien in Afghanistan verlieren. Die Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihren nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa geht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, dass sie keine lebenden Verwandten mehr haben bzw. keinen Kontakt mehr zu diesen haben. Der Faktor der geografischen Nähe verliert durch technologische Entwicklungen an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile universell geworden, digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten (Beilage ./II, S. 339). Da der Heimatort des Beschwerdeführers nur 30 Minuten Autofahrt von Kabul entfernt ist, und insbesondere in Städten digitale Kommunikation möglich ist, ist für das Gericht nicht plausibel, dass der Beschwerdeführer den Kontakt zu so vielen Familienmitgliedern gänzlich verloren haben soll. Zudem räumte der Beschwerdeführer ein, dass er zu seine ehemaligen Mitschülern Kontakt habe, sodass eine Kontaktaufnahme zu seinen Verwandten auch über seine ebenfalls in der Provinz Kabul lebenden Mitschüler möglich wäre. Die Angaben des Beschwerdeführers, keinen Kontakt mehr zu seinen in Afghanistan lebenden Verwandten zu haben, sind daher nicht nachvollziehbar. Das Gericht geht davon aus, dass es sich um eine Schutzbehauptung handelt und der Beschwerdeführer regelmäßig Kontakt zu seiner Familie und seinen Verwandten in Afghanistan hat.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer zumindest grundlegende Ortskenntnisse über Kabul verfügt, ergibt sich aus seiner Aussage, dass er zwar noch nicht in Kabul gelebt habe, aber schon mehrmals bereits in Kabul etwas gebraucht habe (OZ 14, S. 8).

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Eltern und die Geschwister des Beschwerdeführers das Heimatdorf sowie Afghanistan verlassen haben. Da die Fluchtgründe des Beschwerdeführers nicht glaubhaft sind (siehe Punkt II.2.2.) und das Heimatdorf des Beschwerdeführers in einem sicheren Distrikt liegt, ist für das Gericht kein Grund erkennbar, aus dem die Familie des Beschwerdeführers Afghanistan verlassen sollte, zumal der jüngste Bruder des Beschwerdeführers damals erst zwei Jahre alt war und eine entsprechende Reise für derart kleine Kinder mit vielen Gefahren verbunden ist.

Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich (insbesondere zur Aufenthaltsdauer, seinen Deutschkenntnissen, seinen fehlenden familiären Anknüpfungspunkten in Österreich, seinen sozialen Anknüpfungspunkten in Österreich und seiner Integration in Österreich) stützen sich auf die Aktenlage (vgl. insbesondere den Auszug aus dem Grundversorgungs-Informationssystem), auf die Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (OZ 14, S. 11ff) sowie auf die mit den Schriftsätzen vom 21.06.2018, vom 16.05.2017 und vom 27.04.2017 vorgelegten Unterlagen.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung, auf den vorgelegten Arztbrief vom 21.04.2017 und auf dem Umstand, dass im Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister (Strafregisterauszug vom 04.10.2018; Beilage ./I).

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

2.2.1. Soweit der Beschwerdeführer vorbrachte, ihm drohe Lebensgefahr durch die Taliban, den IS und durch andere Personen, weil sein Vater Mitglied in einer Partei gewesen sei bzw. weil es Streitigkeiten wegen politischer Ansichten bzw. wegen Grundstücken zwischen seinem Vater und seinen Onkeln gegeben habe, kommt seinem Vorbringen aus nachfolgenden Gründen keine Glaubhaftigkeit zu:

2.2.2. Zunächst ist festzuhalten, dass das Gericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und aufgrund des persönlichen Eindrucks des Beschwerdeführers davon ausgeht, dass ihm hinsichtlich seines Fluchtvorbringens keine Glaubwürdigkeit zukommt. Der Beschwerdeführer wurde zu Beginn der Verhandlung angehalten, sein Vorbringen gleichbleibend, konkret und nachvollziehbar zu gestalten. Diesen Anforderungen ist der Beschwerdeführer jedoch nicht gerecht geworden. Der Beschwerdeführer präsentierte sowohl beim Bundesamt als auch vor Gericht eine bloße Rahmengeschichte, die er selbst auf mehrfaches Nachfragen kaum mit Details ergänzen konnte. Die Angaben des Beschwerdeführers blieben gänzlich detaillos und vage. Der Beschwerdeführer gab auch ausweichende Antworten. Es ergaben sich viele Unplausibilitäten, die seine Angaben unglaubhaft scheinen lassen. Das Gericht verkennt zwar nicht, dass die behaupteten Vorfälle schon einige Zeit zurückliegen und deshalb Erinnerungslücken einer vollkommen detaillierten Erzählung entgegenstehen können. Dass der Beschwerdeführer die Ereignisse jedoch in einer derart oberflächlichen und nicht stringenten Weise wie in der mündlichen Verhandlung schildern würde, wäre allerdings nicht anzunehmen, hätten sich die Ereignisse tatsächlich so zugetragen und wären sie von fluchtauslösender Intensität. Die erzählte Geschichte erweckte für das Gericht daher den Eindruck, dass es sich lediglich um eine auswendig gelernte konstruierte Geschichte handelt.

Beim Bundesamt machte der Beschwerdeführer zu seiner Fluchtgründen nachstehende Angaben: "Mein Vater war in der Partei Ezbe Jamiat. Wir wurden mehrmals von den Taliban bedroht und auch von anderen Personen. Am Anfang hat mein Vater das nicht ernst genommen. Aber dann wurde mein Vater und meine Brüder attackiert. Mein Vater wurde auch verletzt, er wurde in die linke Hand geschossen. Er wurde dann auch ein zweites Mal attackiert. Daraufhin hat mein Vater entschieden, dass wir nicht mehr in Afghanistan leben können und wir sind deshalb geflüchtet. Die Sicherheitslage war auch schlecht. Wir haben auch Probleme mit meinen Onkeln (nachgefragt drei) väterlicherseits, weil die in einer anderen Partei waren. Deshalb haben wir uns entschlossen zu fliehen. Das ist alles." (AS 45).

Erst auf weitere Nachfragen gab der Beschwerdeführer an, dass er selber angegriffen worden sei. Auch diesbezüglich bleiben die Angaben des Beschwerdeführers jedoch vage und detaillos: "Ich war von der Schule nach Hause unterwegs, da ist ein Motorrad an mir vorbeigefahren und jemand hat mich mit einem Stock auf den Rücken geschlagen. Einer hat mich gefragt, wo sich mein Vater genau aufhält. Es waren dort andere Dorfbewohner, daraufhin sind die zwei Männer mit ihrem Motorrad geflüchtet." (AS 47)

Erst auf weitere Nachfragen gab der Beschwerdeführer auch an, dass zwischen seinem Vater und den Onkeln väterlicherseits auch Grundstücksstreitigkeiten bestanden haben. Auch diesbezüglich bleiben die Angaben des Beschwerdeführers vage und detaillos: "Weil sie in einer anderen Partei waren. Außerdem hat mein Vater eine Landwirtschaft gehabt, deswegen hat es auch Streitereien gegeben. Sie wollten auch einen Teil dieses Grundstücks haben." (AS 49).

Bereits aus diesen Angaben ist ersichtlich, dass der Beschwerdeführer bereits beim Bundesamt eine grobe, detaillose Rahmengeschichte präsentiert hat, die den Eindruck erweckt, dass es sich um eine auswendig gelernte Geschichte handelt. Die Angaben des Beschwerdeführers machen keinen glaubhaften Eindruck.

Auch in der Verhandlung machte der Beschwerdeführer keine konkreten und detailreichen Angaben, obwohl der Beschwerdeführer mehrfach aufgefordert wurde seine Fluchtgeschichte detailreich und umfassend darzulegen. Der Beschwerdeführer machte in der mündlichen Verhandlung in der freien Erzählung nachstehende Angaben: "Es war so, bevor wir angegriffen wurden, habe ich von nichts gewusst. Als ich auf dem Weg zur Schule war, wurde ich von unbekannten Personen angegriffen. Sie haben mich geschlagen und hatten Motorräder. Ich bin nach Hause gekommen und habe über den Vorfall erzählt. Dann hat mir mein Vater erzählt, dass er eben Mitglied bei der Partei ist und deswegen wurde ich angegriffen. Er sagte, dass wir auch gefährdet wären und dass ich ab heute nicht mehr zur Schule gehen darf. Dieses Problem gab es dann weiterhin. Es kam dann dazu, dass es auch Angriffe auf meinen Vater und meinen Bruder gab. Als es das letzte Mal einen angriff gab, waren mein Vater, mein Bruder und ich davon betroffen und nach diesem Vorfall haben wir Afghanistan verlassen."

(OZ 14, S. 15)

Auch hier konnte der Beschwerdeführer keine lebensnahen Details nennen und auch keine konkreten Angaben machen. Insbesondere ist es für das Gericht nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer die vermeintlichen Probleme mit den Onkeln väterlicherseits, Grundstücksstreitigkeiten oder konkrete Angaben zu den Angriffen auf ihn in der freien Erzählung nicht machte.

Aufgrund der insgesamt nicht glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers konnte auch nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Lebensgefahr oder ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch die Taliban, Mitglieder einer Partei, seine Onkel oder durch andere Personen drohen würde.

2.2.3. Zudem sind mehrere Widersprüche und Steigerungen in den Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen enthalten, die seine Angaben zu den Fluchtgründen gänzlich unglaubhaft scheinen lassen:

Der Beschwerdeführer gab beim Bundesamt an, dass auf dem Weg von der Schule nach Hause ein Motorrad an ihm vorbeigefahren sei (AS 47). In der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer zunächst in der freien Erzählung an, dass er auf dem Weg in die Schule gewesen sei (OZ 14, S. 15). Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer einmal angab auf dem Weg in die Schule zu sein und er einmal angab auf dem Weg nach Hause gewesen zu sein. Auf konkrete Befragung änderte der Beschwerdeführer seine Angaben in der mündlichen Verhandlung auch dahingehend ab, dass die Personen aufgetaucht wären, als er zur Schule ging und wieder nachhause ging (OZ 14, S. 15). Die Angaben des Beschwerdeführers sind nicht nachvollziehbar und nicht glaubhaft.

Der Beschwerdeführer gab beim Bundesamt an, dass ein Motorrad an ihm vorbeigefahren sei, jemand habe mit einem Stock auf seinen Rücken geschlagen. Es seien zwei Männer mit dem Motorrad geflüchtet (AS 47). In der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer an, dass es zwei Motorräder gewesen seien, auf jedem Motorrad seien zwei Personen gesessen, diese vier Personen haben ihn mitnehmen wollen (OZ 14, S. 15). Es ist nicht plausibel, dass der Beschwerdeführer einmal von zwei Personen spricht und er ein anderes Mal von vier Personen spricht. Auch, dass die Personen versucht hätten ihn mitzunehmen, hat der Beschwerdeführer erst in der mündlichen Verhandlung angegeben, sodass eine unglaubhafte Steigerung des Vorbringens des Beschwerdeführers vorliegt.

Das Gericht geht daher davon aus, dass es keinen Angriff auf den Beschwerdeführer gegeben hat.

Der Beschwerdeführer gab in der mündlichen Verhandlung an, dass der zweite Angriff auf seinen Bruder und seinen Vater ausgeübt worden wäre, er selber sei nicht dabei gewesen. Sein Vater und sein Bruder seien mit dem Auto vom Dorf nach Kabul gefahren. Es sei auf das Auto geschossen worden, es sei beiden jedoch nichts passiert. Beim dritten und letzten Angriff seien der Vater, der Bruder und der Beschwerdeführer mit dem Auto vom Dorf nach Kabul gefahren. Es sei wieder auf das Auto geschossen worden, dabei habe ein Schuss das linke Handgelenk seines Vaters getroffen (OZ 17). Beim Bundesamt gab der Beschwerdeführer dazu im Widerspruch an, dass sein Vater und sein Bruder attackiert worden seien, sein Vater sei verletzt worden, ihm sei in die linke Hand geschossen worden. Sein Vater dann auch ein zweites Mal attackiert worden. Daraufhin habe sein Vater beschlossen, dass die Familie nicht mehr in Afghanistan leben könne (AS 45). Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung angibt, dass die Schussverletzung dem Vater beim dritten und letzten Angriff zugefügt worden sei, während der Beschwerdeführer beim Bundesamt in der freien Erzählung lediglich zwei konkrete Angriffe nannte und beim ersten Angriff, bei dem auch nur der Bruder und der Vater anwesend gewesen wären, die Hand des Vaters durch einen Schuss verletzt worden sei. Eine Schussverletzung an der Hand des Vaters, insbesondere mehrere Schüsse auf ein Auto, in dem man selber sitzt, sind besonders einprägsame Ereignisse, die besonders gut in Erinnerung bleiben müssten. Es ist daher nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer diesbezüglich derart widersprüchliche Angaben macht. Das Gericht geht daher davon aus, dass es keine Angriffe auf den Beschwerdeführer oder dessen Familie gegeben hat.

Auch die Angaben des Beschwerdeführers zu den behaupteten Grundstücksstreitigkeiten waren nicht nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer wurde vom Gericht in der mündlichen Verhandlung auch gefragt, ob er die Probleme wegen der Grundstücke genauer erklären könne. Der Beschwerdeführer gab jedoch nur ausweichend an, dass es um eine Erbschaft gehe, es kaum Kontakt zu den Onkeln gab und es Probleme wegen den Grundstücken gebe. Würde es tatsächlich Streitigkeiten in der Familie wegen einer Erbschaft oder wegen Grundstücken geben, so wäre davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer Kenntnis davon haben müsste, da er Afghanistan verlassen hat als er bereits volljährig war. Das Gericht geht daher davon aus, dass er keine Grundstückstreitigkeiten oder Streitigkeiten um eine Erbschaft in der Familie des Beschwerdeführers gegeben hat.

Der Beschwerdeführer gab beim Bundesamt auch an, dass es Streitigkeiten mit den Onkeln väterlicherseits wegen der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Parteien gegeben habe. Einer der Onkel sei Mitglied der Partei Nejad-e Melli gewesen und zwei seien Mitglieder der Partei Hezb-e Islami gewesen (AS 49). In der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer an, dass ein Onkel kein Mitglied in einer Partei gewesen sei, ein Onkel sein Mitglied in der Partei Nejad-e Melli gewesen und ein Onkel sei Mitglied in der Partei Hezb-e Islami gewesen (OZ 14, S. 18). Es ist nicht plausibel, dass der Beschwerdeführer zu den Parteizugehörigkeiten der Onkel unterschiedliche Angaben macht, zumal dies auch wesentlicher Bestandteil seiner Fluchtgeschichte sei. Das Gericht geht daher davon aus, dass keiner der Onkel in einer Partei tätig war und, dass es auch keine Streitigkeiten zwischen dem Vater und den Onkeln gegeben hat.

Der Beschwerdeführer konnte auch nicht angeben, welche Funktion oder Position sein Vater in der Partei gehabt habe (OZ 14, S. 10-11). Die Angaben des Beschwerdeführers beschränken sich darauf, dass sein Vater Mitglied gewesen und mit ihnen zusammen gewesen sei. Diese vagen Angaben machen auf das Gericht jedoch den Eindruck, dass es sich um eine grobe Rahmengeschichte handelt, der keine tatsächlichen Ereignisse zu Grunde liegen. Wäre die Parteizugehörigkeit des Vaters des Beschwerdeführers Ursache für mehrere Angriffe mit Schusswaffen und für die Flucht aus der Heimat, wäre davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer diesbezüglich genauere und detailreichere Angaben machen könnte. Das Gericht geht daher davon aus, dass auch der Vater kein Mitglied in einer Partei gewesen ist und, dass es zu keinen Angriffen oder Bedrohungen der Familie des Beschwerdeführers in Afghanistan gekommen ist.

Aus den oben aufgezeigten Gründen geht das Gericht davon aus, dass der Beschwerdeführer Afghanistan nicht aus Furcht vor Eingriffen in seine körperliche Integrität oder wegen Lebensgefahr, sondern aus anderen Gründen verlassen hat.

2.2.4. Auch darüber hinaus vermochte der Beschwerdeführer eine individuelle und konkrete Betroffenheit von Verfolgung aufgrund seiner Eigenschaft als Tadschike und Sunnit nicht aufzuzeigen. Im Verfahren ist nicht hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer aus diesen Gründen in Afghanistan Probleme gehabt habe. Zudem sind ca. 90 % der Bevölkerung Sunniten, sodass auch aus diesem Grund keine Hinweise für eine Verfolgung ausschließlich aufgrund der Zugehörigkeit zu den Sunniten zu erkennen ist.

2.2.5. Aufgrund der Kürze seines Aufenthalts ist in Zusammenhang mit dem von ihm in der Beschwerdeverhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck nach Ansicht des Gerichts nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer eine westliche Lebenseinstellung in einer ihn in Afghanistan exponierenden Intensität übernommen hätte. Es ist auch nicht erkennbar, warum gerade der Beschwerdeführer gegenüber hunderttausend anderen Rückkehrern in eine derart exponierte Lage geraten soll, dass er auf Grund seines Lebensstils oder auf Grund seines Aufenthaltes in einem westlichen Land psychischer oder physischer Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt wäre.

Es ist weder den Angaben des Beschwerdeführers noch den beigezogenen Länderberichten zu entnehmen, dass Rückkehrer aus Europa in besondere Form von Gewalt und Bedrohung betroffen wären, sodass auch eine generelle (Gruppen-)Verfolgung von Rückkehrern aus Europa nicht festgestellt werden konnte.

2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat und zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

2.3.1. Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Der Beschwerdeführer verwies auch auf das Stahlmann-Gutachten vom März 2018, welches im Auftrag des Verwaltungsgerichtes Wiesbaden erstellt wurde. Zunächst ist zu beachten, dass der pauschale Verweis des Beschwerdeführers auf das Gutachten von Friederike Stahlmann nicht geeignet ist, eine konkrete und individuell den Beschwerdeführer treffende Bedrohung bzw. eine Verfolgung aufzuzeigen.

Das Gutachten kommt zum Schluss, dass alleine aufgrund der Anwesenheit einer Person in Afghanistan die Gefahr eines ernsthaften Schadens hinsichtlich ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit bestünde. Das Gesamtniveau der Gewalt würde sich aus einer Kombination von Gewaltformen (Gefahr ausgehend von Aufständischen, staatlichen Akteuren oder privaten Akteuren) konstituieren, dass grundsätzlich landesweit drohen würde. Jedoch ist zu beachten, dass im gegenständlichen Gutachten eine subjektive Quellenauswahl und -interpretation vorgenommen wurde und von regionalen Einzelfällen Rückschlüsse auf die Situation in Afghanistan landesweit geschlossen werden. Die Gutachterin trifft insbesondere zur Sicherheitslage in Afghanistan teilweise nur sehr allgemein gehaltene Aussagen - die einer rechtlichen Beurteilung gleichkommen - und lässt dabei vor allem regionale Unterschiede zwischen den einzelnen Provinzen vollkommen außer Acht. Außerdem sind die Schlussfolgerungen der Gutachterin, dass eine Ansiedlung in Kabul ohne familiäre oder soziale Unterstützung nicht möglich ist, aufgrund der zugrundeliegenden Quellen zu all

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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