TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/13 W237 2151902-1

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Veröffentlicht am 13.11.2018
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Entscheidungsdatum

13.11.2018

Norm

AsylG 2005 §34 Abs4
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs1

Spruch

W237 2151902-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Martin WERNER über die Beschwerde des XXXX , XXXX , StA. Somalia, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3, 1170 Wien, gegen Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 03.03.2017, Zl. 1113098502/160600865, zu Recht:

A)

Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 57/2018, iVm § 34 Abs. 4 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 56/2018, aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste illegal nach Österreich ein und stellte am 28.04.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei gab er an, Staatsangehöriger von Somalia zu sein. Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt.

In weiterer Folge wurde der Beschwerdeführer am 07.02.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die somalische Sprache niederschriftlich einvernommen und über seine Fluchtgründe näher befragt. Er gab dabei an, ledig zu sein und keine Kinder zu haben.

2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit Bescheid vom 03.03.2017 den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016, ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 leg.cit. den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 leg.cit. eine bis zum 02.03.2018 befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.).

3. Der Beschwerdeführer erhob gegen Spruchpunkt I. des angeführten Bescheids Beschwerde, welche am 29.03.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte.

3.1. Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 03.04.2017 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt.

3.2. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte für den 12.11.2018 eine mündliche Verhandlung an. Nach Mitteilung durch die Rechtsvertreterin an diesem Tag, dass der Beschwerdeführer ein am XXXX geborenes Kind habe, welches selbst einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, wurde die Verhandlung kurzfristig abberaumt. Die Rechtsvertreterin übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht in der Folge die entsprechende Geburtsurkunde vom 16.10.2018, die Beurkundung der Anerkennung der Vaterschaft vom selben Tag sowie den Antrag auf internationalen Schutz vom 16.10.2018.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Somalia und stellte am 28.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Verfahrensgang bezüglich dieses Antrags wird wie unter Pkt. I. dargelegt festgestellt; zum Entscheidungszeitpunkt ist die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheids vom 03.03.2017, mit dem das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abwies, beim Bundesverwaltungsgericht anhängig.

Am XXXX wurde die Tochter des Beschwerdeführers im Bundesgebiet geboren; bei der Kindesmutter handelt es sich um eine somalische Staatsangehörige, die Tochter besitzt ebenso die somalische Staatsangehörigkeit. Für sie wurde durch die Kindesmutter als gesetzliche Vertreterin am 16.10.2018 ein Antrag auf internationalen Schutz im Wege des asylrechtlichen Familienverfahrens gestellt. Über diesen Antrag erging zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung noch kein verfahrensabschließender Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl.

2. Beweiswürdigung:

Die obigen Feststellungen lassen sich aus dem Verfahrensakt betreffend den Beschwerdeführer treffen. Dass am XXXX die Tochter des Beschwerdeführers im Bundesgebiet geboren wurde, ergibt sich unzweifelhaft aus der Mitteilung seiner Rechtsvertreterin am 12.11.2018 in Verbindung mit der unter einem vorgelegten Geburtsurkunde vom 16.10.2018. Die somalische Staatsangehörigkeit der Tochter war aufgrund der entsprechenden Staatsangehörigkeit ihrer beiden Eltern festzustellen; die Identität der Kindesmutter ist sowohl aus der Geburtsurkunde als auch aus dem Antrag auf internationalen Schutz vom 16.10.2018 ersichtlich. Dass an diesem Tag für die Tochter des Beschwerdeführers ein Antrag auf internationalen Schutz im Wege des Familienverfahrens nach § 34 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 56/2018 (im Folgenden: AsylG 2005), ergibt sich aus dem dem Bundesverwaltungsgericht übermittelten, ausgefüllten Antragsformular sowie einem aktuellen Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister. Diesem ist - in Übereinstimmung mit den Angaben der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers - zu entnehmen, dass das Verfahren über den Antrag der Tochter des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zum Entscheidungszeitpunkt noch nicht abgeschlossen ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG entscheiden die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 6 BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idF BGBl. I Nr. 22/2018, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt in der vorliegenden Rechtssache Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 57/2018 (im Folgenden: VwGVG), geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 1 VwGVG trat dieses Bundesgesetz mit 1. Jänner 2014 in Kraft. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Der angefochtene Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 08.03.2017 persönlich zugestellt. Die am 29.03.2017 der belangten Behörde per Fax übermittelte Beschwerde ist somit gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG rechtzeitig.

Zu A)

3.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichts entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

Bei einer Aufhebung eines Bescheids gemäß § 28 Abs. 1 iVm Abs. 5 VwGVG handelt es sich um eine materielle Erledigung in Form eines Erkenntnisses (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, § 28 VwGVG, Anm. 17; vgl. auch VwGH 04.08.2016, Ra 2016/21/0162), die von einer Erledigung in Beschlussform nach § 28 Abs. 3 2. Satz und Abs. 4 VwGVG zu unterscheiden ist.

3.2. § 34 AsylG 2005 lautet:

"Familienverfahren im Inland

§ 34. (1) Stellt ein Familienangehöriger von

1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

3. einem Asylwerber

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist und

3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist;

3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und

4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:

1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;

2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;

3. im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 NAG)."

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist Familienangehöriger wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits im Herkunftsland bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

3.2.1. Nach den erläuternden Bemerkungen zu § 34 AsylG 2005 (RV 952 BlgNR 22. GP, 54) sind die Asylverfahren einer Familie "unter einem" zu führen, wobei jeder Antrag auf internationalen Schutz gesondert zu prüfen ist. Jener Schutzumfang, der das stärkste Recht gewährt, ist auf alle Familienmitglieder anzuwenden. Das gemeinsame Führen der Verfahren hat den Vorteil, dass möglichst zeitgleich über die Berechtigungen, die Österreich einer Familie gewährt, abgesprochen wird. Diese Vereinfachung und Straffung der Verfahren wird auch im Berufungsverfahren (nunmehr: Beschwerdeverfahren) fortgesetzt.

3.2.2. Der Beschwerdeführer ist der Vater seiner in Österreich am XXXX geborenen Tochter und damit ihr Familienangehöriger iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005.

Folglich ist der Ausgang seines Beschwerdeverfahrens insofern vom Schicksal des beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl anhängigen Asylverfahrens betreffend seine minderjährige Tochter abhängig, als sein Antrag auf internationalen Schutz betreffend die Frage der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht rechtskräftig abgewiesen werden kann, wenn seiner Tochter der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen wäre.

Der angefochtene Bescheid war daher zu beheben, damit das Asylverfahren des Beschwerdeführers "unter einem" mit dem beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl anhängigen Verfahren betreffend seine Familienangehörige geführt werden kann (vgl. VfGH 18.09.2015, E 1174/2014).

3.3. Diese Behebung des angefochtenen Bescheids erfolgt nicht auf der verfahrensrechtlichen Grundlage des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG, weil die Behörde in der vorliegenden Fallkonstellation nicht notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat (anders BVwG 10.10.2017, W170 2164801-1 ua.). Die Aufhebung hat vielmehr auf Basis des § 28 Abs. 1 VwGVG zu erfolgen; mag eine neuerliche Entscheidung der Verwaltungsbehörde über den Gegenstand bei dieser Erledigungsart auch regelmäßig nicht mehr in Betracht kommen, kann im Einzelfall über den zugrundeliegenden (sodann unerledigten) Antrag dennoch abermals zu entscheiden sein (s. Fister/Fuchs/Sachs,

Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, § 28 VwGVG, Anm. 17 mwN). Dies ist auch vorliegend der Fall: Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird den bezüglich der Frage der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten neuerlich als unerledigt aushaftenden Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz "unter einem" mit dem Antrag seiner minderjährigen Tochter zu führen und die Rechtssachen sämtlicher Familienangehöriger gemeinsam zu erledigen haben.

Zu B)

1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2. Im gegenständlichen Fall kommt der Frage der Auslegung der Bestimmung des § 34 Abs. 4 AsylG 2005 in Hinblick auf die gegebene Verfahrenskonstellation grundsätzliche Bedeutung zu:

2.1. Gegenstand der vorliegenden Entscheidung ist die verfahrensrechtliche Problematik, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über die Beschwerde eines Asylwerbers das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz eines Familienangehörigen dieser Person im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl anhängig ist.

§ 34 Abs. 4 AsylG 2005 sieht vor, dass Verfahren von Familienangehörigen "unter einem zu führen" sind. Diese Regelung interpretiert der Verfassungsgerichtshof dahingehend, dass das Asylverfahren eines vor dem Bundesverwaltungsgericht Beschwerde führenden Fremden ab dem Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz eines Familienangehörigen dieses Fremden "zwingend gemeinsam" mit dem Familienangehörigen "als Familienverfahren durchzuführen" sei. Der Verfassungsgerichtshof geht folglich davon aus, dass das Bundesverwaltungsgericht bei einer solchen Verfahrenskonstellation den angefochtenen Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl "aufzuheben und die Durchführung eines Familienverfahrens mit [dem oder den vor der Behörde anhängigen Familienangehörigen] anzuordnen" habe (vgl. VfGH 18.09.2015, E 1174/2014).

Mangels anderslautender höchstgerichtlicher Judikatur folgt das Bundesverwaltungsgericht mit der vorliegenden Entscheidung der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und hebt den Bescheid - unter Hinweis, dass der nunmehr neuerlich als unerledigt aushaftende Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl "unter einem" mit dem Antrag seiner Tochter zu führen und die Rechtssachen sämtlicher Familienangehöriger gemeinsam zu erledigen sein werden - auf Basis des § 28 Abs. 1 VwGVG auf (ebenso zuletzt BVwG 29.01.2018, W226 2118493-1; 07.09.2017, W103 2167875-1; 02.08.2017, L507 2126192-1; sowie 06.06.2017, L521 2131503-1, wo die Revision zur gegenständlichen Frage ebenfalls zugelassen wurde).

2.2. Diese Rechtsprechung begegnet allerdings Bedenken: Wie in der Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 31.03.2017 gegen das zur selben Verfahrenskonstellation ergangene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.02.2017, W237 2127749-1 ua., aufgezeigt, steht die gewählte Vorgehensweise in vielen Fällen mit der Zielsetzung des Gesetzgebers "der Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband" im Sinne einer "Vereinfachung und Straffung der Verfahren" (RV 952 BlgNR 22. GP, 54) in Konflikt. Dies zeigt sich gerade im gegenständlichen Fall, in dem die Beschwerde eines erwachsenen Familienangehörigen mit eigenen Fluchtgründen beim Bundesverwaltungsgericht anhängig, seine Rechtssache nunmehr aber lediglich wegen eines nachgeborenen Kindes - für welches (derzeit) keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht werden - neuerlich von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden ist (vgl. die Ausführungen zur Zulässigkeit der Revision in BVwG 13.03.2018, W237 2127749-1 ua.).

2.2.1. Dieses Ergebnis ließe sich vermeiden, wenn man § 34 Abs. 4 AsylG 2005 dahingehend interpretierte, dass sich die verfahrensrechtliche Anordnung zur gemeinsamen Führung von Asylverfahren von Familienangehörigen bloß an die Verwaltungsbehörde richtet. Dies hätte zur Folge, dass das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden von Familienangehörigen, über deren Anträge auf internationalen Schutz im Wege des Familienverfahrens im Sinne des § 34 Abs. 4 AsylG 2005 durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl entschieden wurde, inhaltlich behandeln könnte, ohne dass auf einen im Beschwerdeverfahren gestellten Antrag auf internationalen Schutz eines (weiteren) Familienangehörigen und damit dessen Verfahrensanhängigkeit beim Bundesamt Rücksicht zu nehmen wäre; erst wenn dieser Familienangehörige eine Beschwerde gegen den ihn betreffenden Bescheid während des noch offenen Beschwerdeverfahrens der übrigen Familienangehörigen erheben würde, hätte das Bundesverwaltungsgericht sein Beschwerdeverfahren gemeinsam mit jenem seiner Angehörigen "unter einem zu führen" (s. in diesem Sinne auch die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 31.03.2017 gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.02.2017, W237 2127749-1 ua.). Für diese Auslegung spräche auch der Wortlaut des § 34 Abs. 5 AsylG 2005, wonach die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 "sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht" gelten; dem Wortlaut dieser Regelung kann durchaus entnommen werden, dass der Gesetzgeber eine Differenzierung auch der in Rede stehenden Verfahrensbestimmung in § 34 Abs. 4 AsylG 2005 zwischen dem Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und jenem vor dem Verwaltungsgericht vor Augen hatte.

2.2.1.1. Einer solchen Lösung stünde allerdings zum einen die klare Judikatur des Verfassungsgerichtshofes entgegen (s. Pkt. 2.1.).

2.2.1.2. Des Weiteren führte sie in gewissen Fällen ebenso zu Konstellationen, die im Ergebnis der vom Gesetzgeber beabsichtigten "Vereinfachung und Straffung der Verfahren" zuwider laufen würden:

Wiese das Bundesverwaltungsgericht nämlich Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamts, mit denen Anträge auf internationalen Schutz vollinhaltlich abgewiesen und Rückkehrentscheidungen verfügt werden, ab und würde das Bundesamt erst danach einem Familienangehörigen der Beschwerdeführer einen Schutzstatus zuerkennen, müssten diese erst erneut Anträge auf internationalen Schutz stellen, um denselben Schutz zu erhalten. Statt das Verfahren aller Familienangehörigen "unter einem" zu führen, damit allen in einem Verfahren derselbe Schutzstatus zuerkannt werden könnte, wären die Verfahren getrennt geführt und im Falle der vor dem Bundesverwaltungsgericht erfolglosen Beschwerdeführer sogar verdoppelt.

Fraglich scheint daher, ob in einem solchen Fall die Anhängigkeit des Verfahrens eines Familienangehörigen beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dazu führen würde, dass bei einer (vollinhaltlichen) Abweisung der Beschwerden der vor dem Bundesverwaltungsgericht anhängigen Familienmitglieder deren Rückkehrentscheidung aufgrund von Art. 8 EMRK vorübergehend unzulässig sein müsste. Andernfalls wären diese während des noch laufenden Verfahrens ihres Familienangehörigen von einer Abschiebung bedroht und würden sich - nach Ablauf der zweiwöchigen Frist zu freiwilligen Ausreise - illegal im Bundesgebiet aufhalten (mit allen rechtlichen Konsequenzen). Im Fall der Durchführung der Abschiebung wäre eine neuerliche Antragstellung durch die abgewiesenen Beschwerdeführer und anschließende Schutzgewährung im Familienverfahren vorerst vereitelt.

2.2.2. Eine andere Möglichkeit zur Führung von Familienverfahren "unter einem" bestünde freilich darin, im Falle der BFA-Verfahrensanhängigkeit eines Familienangehörigen von Beschwerdeführern mit der Entscheidung über deren Beschwerden zuzuwarten, bis das Verfahren durch das Bundesamt mittels Bescheid beendet und (womöglich) eine Beschwerde durch den Familienangehörigen erhoben wird.

Dies erachtet das Bundesverwaltungsgericht allerdings schon deshalb als unzulässig, weil es verpflichtet ist, über Beschwerden in Asylsachen innerhalb der (jeweiligen) Frist des § 21 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 56/2018, zu entscheiden, und keine Einwirkungsmöglichkeit auf die Verfahrensdauer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat. Außerdem müsste das Bundesverwaltungsgericht nach der Entscheidung des Bundesamts über den nachträglichen Antrag des Familienangehörigen noch den Ablauf der Rechtsmittelfrist samt Einrechnung der Tage eines gewöhnlichen Postwegs abwarten, um festzustellen, ob dieser Familienangehörige überhaupt eine Beschwerde gegen diese Entscheidung erhebt - was schon deshalb schwierig scheint, weil das Bundesverwaltungsgericht gar nicht weiß, wann die Entscheidung des Bundesamts über den Antrag des Familienangehörigen ergeht (diesbezüglich ist dem Gesetz auch keine Pflicht des Bundesamts zur Mitteilung einer solchen Entscheidung an das Bundesverwaltungsgericht zu entnehmen).

2.2.3. Denkbar ist für das Bundesverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang allenfalls, das Verfahren über die Beschwerde auszusetzen, wenn im Beschwerdeverfahren ein Familienangehöriger eines Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einen Antrag auf internationalen Schutz stellt. Der Vorteil dieses Lösungsansatzes läge darin, keine (gravierende) Judikaturdivergenz zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 18.09.2015, E 1174/2014, zu erzeugen, zumal eine rechtskräftige Entscheidung über die Beschwerden ohne Führung eines Familienverfahrens mit jenem Familienangehörigen, der erst später seinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, nicht erfolgen würde. Zudem erhielte auch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Beschluss über die Beschwerdeverfahrensaussetzung und bekäme damit - anders als im Falle des bloß faktischen Zuwartens durch das Bundesverwaltungsgericht - ein Signal zur vorrangigen Erledigung des Antrags des Familienangehörigen.

Zu bedenken ist dabei allerdings, dass eine Aussetzung gemäß der Bestimmung des (im Wege des § 17 VwGVG anwendbaren) § 38 AVG nur im Falle des Vorliegens einer Vorfrage in Betracht kommt. Ob dies im vorliegenden Problemzusammenhang nach der bisherigen Dogmatik zu § 38 AVG bejaht werden kann, scheint dem Bundesverwaltungsgericht mangels Rechtsprechung nicht klar, zumal mit der Entscheidung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl samt anschließender Beschwerde die Rechtssache des maßgeblichen Familienangehörigen gerade nicht rechtskräftig entschieden wird und freilich auch keine Bindung für das Bundesverwaltungsgericht eintritt (vgl. Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10, 2014, 194). Außerdem stellt § 34 Abs. 4 AsylG 2005 ja gerade eine besondere Verfahrensregelung zur Führung eines gemeinsamen Familienverfahrens "unter einem" dar, die einer "Unterbrechung des Verfahrens" entgegen stehen dürfte (in diesem Sinne VwGH 07.05.2015, Ra 2015/18/0043).

2.3. Die durch den Verfassungsgerichtshof vorgegebene Vorgehensweise mag zwar - wie im vorliegenden Fall - nicht immer verfahrensökonomisch sein, das gesetzgeberische Ziel der gemeinsamen Verfahrensführung eines Familienverbands iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 wird damit aber jedenfalls gewährleistet. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt auch nicht, dass die Aufhebung des bekämpften Bescheids eines Familienmitglieds (bloß) deshalb, weil ein Kind im Beschwerdeverfahren geboren wurde und einen Antrag stellte, unzweckmäßig erscheint. Wie bereits in der Begründung der Zulässigkeit der Revision in der Entscheidung BVwG 15.03.2018, W237 2127749-1 ua., aufgezeigt, liegt im gegenständlichen Fall gerade eine Konstellation vor, in der durchaus denkbar ist, dass das noch beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit seinem Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz anhängige Familienmitglied einen tragenden Fluchtgrund vorbringt (zB wenn die in Österreich geborene Tochter in Somalia von Zwangsbeschneidung bedroht wäre), weshalb sich eine Zusammenführung der Verfahren vor dem Bundesamt als durchaus sinnvoll erweisen könnte (s. auch die Revisionsbegründung zu BVwG 15.03.2018, W237 2136657-1)

3. Jedenfalls ist eine Lösung der der dargelegten verfahrensrechtlichen Problematik durch den Verwaltungsgerichtshof bislang noch nicht aufgezeigt, weshalb eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt. Diese geht auch insoweit über die gegenständliche Rechtssache hinaus, als die vorliegende Fallkonstellation durchwegs häufig in Asylverfahren auftritt.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Familienangehöriger, Familienverfahren,
Revision zulässig

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W237.2151902.1.00

Zuletzt aktualisiert am

14.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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