TE Bvwg Beschluss 2018/11/13 W228 2194085-1

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Veröffentlicht am 13.11.2018
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Entscheidungsdatum

13.11.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W228 2194008-1/4E

W228 2194085-1/4E

W228 2194090-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER über die Beschwerden des XXXX , geboren am XXXX (BF1), der XXXX , geboren am XXXX (BF2) und der XXXX , geboren am XXXX (BF3), alle Staatsangehörigkeit Afghanistan, BF1 und BF2 vertreten durch den Rechtsanwalt Mag. XXXX , BF3 vertreten durch die Mutter XXXX als gesetzliche Vertreterin, diese wiederum vertreten durch den Rechtsanwalt Mag. XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.03.2018, Zlen: XXXX ; XXXX , sowie XXXX beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerden werden die angefochtenen Bescheide

behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang

Der BF1 und die BF2 sind illegal in die Republik Österreich eingereist und haben am 29.12.2015 gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz gestellt.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 30.12.2015 gab der BF1 zu seinem Fluchtgrund an, dass die Taliban in Afghanistan viel Macht hätten und die Schiiten umbringen würden. Zudem sei die Familie seiner Frau gegen die Ehe gewesen.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 30.12.2015 gab die BF2 an, dass sie ohne Erlaubnis ihres Vaters geheiratet habe. Ihr Vater habe ihrem Mann mit dem Umbringen gedroht.

Am 22.06.2016 wurde durch die BF2 als gesetzliche Vertreterin ein Antrag auf internationalen Schutz für die BF3, am XXXX geborenes Kind des BF1 und der BF2, gestellt.

Der BF1 wurde am 05.02.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, dass er in Afghanistan geboren, aber im Iran aufgewachsen sei. Der Vater des BF1 habe, als der BF1 noch ein Kind gewesen sei, gemeinsam mit der ganzen Familie Afghanistan wegen dem Einmarsch der Taliban verlassen und sei in den Iran gegangen. Des Weiteren hätten der BF1 und die BF2 ohne Erlaubnis ihrer Eltern geheiratet und würde dies im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan ein Problem darstellen. Der Schwiegervater des BF1 habe die Ehe nicht akzeptiert. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan würde der Schwiegervater des BF1 den BF1 und seine Familie schnell finden. Er sei ein Mullah und habe viele Bekanntschaften. Für das was sie getan hätten, würden sie getötet werden.

Die BF2 wurde am 05.02.2018 ebenfalls beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dabei gab sie an, dass sie aus der Provinz Parwan stamme und als kleines Kind gemeinsam mit ihrer Familie Afghanistan verlassen habe und in den Iran gegangen sei. Zu ihrem Fluchtgrund führte die BF2 aus, dass sie gegen den Willen ihres Vaters geheiratet habe. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan würde sie sicher umgebracht werden. Da ihr Vater Kommandant und Mullah sei, fahre er immer zwischen dem Iran und Afghanistan hin und her. Sie habe keine freien Entscheidungen treffen können. Sie habe ein Kopftuch tragen müssen, habe immer zuhause bleiben müssen und habe sich nicht weiterbilden dürfen. Wenn sie nach Kabul zurückgeschickt werden würde, könnte sie sich nicht frei bewegen. In Afghanistan gebe es keine Gesetze und Rechte für Frauen. Sie würden dort wie Tiere behandelt werden. Die BF2 führte weiters zu ihrem Leben in Österreich aus, dass sie Deutschkurse besuche, einkaufen und spazieren gehe und ihr ein Freund Radfahren und Schwimmen beibringe. Sie würde gerne eine Ausbildung machen und als Frisörin oder Kosmetikerin bzw. Visagistin arbeiten. Sie könne nicht nach Afghanistan zurückkehren, weil sie sich dort nicht frei bewegen könnte.

Mit nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 30.03.2018 wurden die Anträge des BF1, der BF2 und der BF3 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde jeweils Feststellungen zu den Personen der BF, zu deren Fluchtgrund, zur Situation im Falle der Rückkehr und zur Situation im Herkunftsstaat. Es wurde ausgeführt, dass eine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan nicht glaubhaft gemacht werden habe können. Es seien auch keine Gründe hervorgekommen, die eine Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden.

Gegen verfahrensgegenständlich angefochtene Bescheide vom 30.03.2018 erhoben der BF1, die BF2 und die BF3 mit Schriftsatz der rechtsfreundlichen Vertretung vom 24.04.2018 Beschwerde. Begründend wurde ausgeführt, dass die belangte Behörde kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt habe. Sie habe insbesondere die westliche Orientierung der BF2, welche auch durch ihr Auftreten augenscheinlich sei, nicht richtig gewürdigt. Sie wäre verpflichtet gewesen, die Situation der BF2 und BF3 als afghanische Frauen zu ermitteln. Die tolerante und weltoffene Einstellung der BF2 sei insbesondere auch daran zu erkennen, dass sie ihre Kinder westlich und frei erziehen wolle. Sie wäre daher im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt. Selbst für den Fall, dass kein Asyl zuerkannt werden sollte, so wäre zumindest subsidiärer Schutz zu gewähren, zumal die Sicherheitslage in Afghanistan schlecht sei. Es wurde auf Berichte zur Lage in Afghanistan verwiesen und wurde ausgeführt, dass die Familie, die bisher im Iran gelebt habe, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in eine ausweglose Lage geraten würde.

Die Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten langten am 30.04.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF1 und die BF2 sind illegal in die Republik Österreich eingereist und haben am 29.12.2015 gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz gestellt.

Am 22.06.2016 wurde durch die BF2 als gesetzliche Vertreterin ein Antrag auf internationalen Schutz für die BF3, am XXXX geborenes Kind des BF1 und der BF2, gestellt.

Die belangte Behörde hat es in den gegenständlich angefochtenen Bescheiden unterlassen, konkrete Feststellungen hinsichtlich der individuellen Situation der BF, insbesondere der minderjährigen BF3 im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan zu treffen. Sie hat insbesondere keine ausreichenden Feststellungen hinsichtlich der Situation von Kindern bzw. Minderjährigen in Afghanistan getroffen.

Die belangte Behörde hat es zudem unterlassen, die individuelle Situation der BF2 als Frau in Afghanistan zu erörtern. Sie hat es unterlassen festzustellen, inwieweit bei der BF2 eine verfahrensrelevante fundierte westliche Gesinnung oder ein relevanter westlicher Lebensstil abzuleiten ist.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus den Verfahrensakten, insbesondere aus den Bescheiden vom 30.03.2018.

3. Rechtliche Beurteilung:

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 2013/33 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl I Nr. 10/2013 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Die zentrale Regelung zur Frage der Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte bildet § 28 VwGVG.

"§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist."

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Zu A) Zurückverweisung der Beschwerde:

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat oder, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat oder, wenn die Verwaltungsbehörde Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Das Bundesamt hat betreffend mehrerer wesentlicher Verfahrensfragen den entscheidungsrelevanten Sachverhalt nicht bzw. nicht ausreichend ermittelt, hat verfahrenswesentliche Feststellungen nicht getroffen und entsprechende Länderfeststellungen den gegenständlichen Bescheiden nicht zu Grunde gelegt.

Auch unter Verweis auf die jüngste Entscheidung des VfGH (etwa E 3507/2017-15 vom 27. Februar 2018) ist festzuhalten, dass die im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen Länderberichte unter anderem nur allgemeine Ausführungen zur Situation von Kindern in Afghanistan enthalten. Aus den in den gegenständlichen Bescheiden zu Grunde gelegten Länderfeststellungen geht insbesondere hervor, dass die Menschenrechtssituation von Kindern in Afghanistan insgesamt Anlass zur Sorge gebe. So wird ausgeführt, dass körperliche Züchtigungen und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei verbreitet seien und der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in weiten Teilen Afghanistans nach wie vor ein großes Problem sei. Der sexuelle Missbrauch von Jungen sei weit verbreitet, eine polizeiliche Aufklärung finde nicht statt. Die Länderberichte nennen Kinderarbeit als Problem. Die Regierung zeige auch nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien. Rund 22% der Kinder in Afghanistan würden einer Arbeit nachzugehen haben. Betreffend die Ausbildungssituation wären Defizite zu erkennen. Den gegenständlichen Länderinformationen ist insbesondere weiters auch zu entnehmen, dass viele Kinder in Afghanistan unterernährt seien und ca. 10% der Kinder vor ihrem fünften Lebensjahr sterben würden.

In seiner Begründung, insbesondere zur Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten, setzt sich das BFA jedoch nicht weiter mit der Situation von Minderjährigen in Afghanistan insgesamt und diesbezüglich auch nicht mit den in den angefochtenen Bescheiden zitierten Länderberichten auseinander, bzw. würdigt auf die Informationen der den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegten Länderfeststellungen aufbauend, nicht ausreichend die individuelle konkrete Situation der Familie bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan. Vielmehr beschränkt sich das BFA in diesem Zusammenhang auf eine allgemeine Ausführung, dass die BF nicht zu befürchten hätten, dass sie nach ihrer Rückkehr in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage geraten könnten. Dafür, dass die BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wären, würde es keine hinreichenden Anhaltspunkte geben.

Insofern geht das BFA aber auf die Minderjährigkeit der BF3 nicht ausreichend ein. Es unterlässt jegliche vertiefende bzw. individuelle Auseinandersetzung mit den in den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegten kinderspezifischen Länderberichten und der Frage, ob der BF3, im Zeitpunkt der Entscheidung des BFA knapp zwei Jahre alt, im Falle einer Rückkehr eine Verletzung ihrer gemäß Art. 2 und Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte droht (vgl. hiezu jüngst VfGH 21.9.2017, E 2130/2017 ua.; 11.10.2017 E 1734/2017 ua.; 11.10.2017 1803/2017 ua.). Die Entscheidung betreffend die minderjährige BF3 ist somit begründungslos ergangen.

Weiters ist festzuhalten, dass auch hinsichtlich des von der BF2 im Zuge der Befragung vor dem BFA erstatteten Vorbringens wesentliche verfahrensrelevante Abklärungen unterlassen worden sind. So führte die BF2 unter anderem während ihrer Einvernahme vor dem BFA am 05.02.2018 aus, dass sie in Österreich als Frau frei sei, selbständig entscheiden könne und nicht unterdrückt werden würde. Sie wolle hier ein selbstbestimmtes Leben führen, was ihr in Afghanistan nicht möglich gewesen sei. In Afghanistan dürfen Frauen keine freien Entscheidungen treffen, sich nicht fortbilden und nicht allein auf die Straße gehen. Es ist jedoch seitens des BFA verabsäumt worden, mit der BF2 diesbezüglich ihre individuelle Situation in Afghanistan näher zu erläutern.

Die BF2 führte in der Einvernahme am 05.02.2018 weiters aus, dass sie in Österreich an einem Deutschkurs teilnehme, die Kleidung tragen könne, die sie wolle, sich schminken könne und kein Kopftuch tragen müsse. Sie könne hingehen, wohin und wann sie wolle, könne sich mit weiblichen und männlichen Freunden treffen, allein einkaufen gehen und sie habe männliche Freunde, die ihr das Schwimmen und Radfahren beibringen würden. Sie wolle als Frisörin oder Visagistin arbeiten und wünsche sich, dass auch ihre Tochter später freie Entscheidungen treffen könne. Die belangte Behörde hat sich jedoch nicht näher mit diesem Vorbringen auseinandergesetzt.

Wie auch in der Beschwerde ausgeführt wurde, hätten betreffend die BF2 auch bereits mehrere während der Einvernahme erkennbare äußere Erscheinungsmerkmale auf eine möglicherweise bestehende westliche Orientierung hingewiesen. Weitere diesbezügliche Nachfragen bzw. Abklärungen wurden im gegenständlichen Verfahren jedoch nicht vorgenommen. So wurde im gegenständlichen Verfahren etwa auch nicht auf Basis konkreter Feststellungen zur aktuellen Lebensweise der BF2 - unter Heranziehung aktueller Länderberichte - die zu erwartende Reaktion in Afghanistan auf eine von ihr angestrebte Lebensweise geprüft (etwa VwGH, Zlen Ra 2014/20/0017 und 0018-9, 28.05.2014). Wenn das BFA in Hinblick auf die Ausführungen der BF2 hinsichtlich der Unterdrückungen der Frauen in Afghanistan sich auf die herangezogenen Länderfeststellungen beruft, wonach sich die Situation der Frauen nach der Herrschaft der Taliban erheblich verbessert hat, so übersieht das BFA, dass die BF2 in der mit ihr aufgenommenen Niederschrift von massiven Problemen als Frau in Afghanistan gesprochen hat. Ihren Ausführungen nach gehe es dabei um die allgemeine Sicherheit der Frauen; so gab sie an, dass es in Afghanistan keine Gesetze und Rechte für Frauen gebe und sie dort wie nutzlose Tiere behandelt würden. Wenn eine Frau weglaufe, werde sie gesteinigt. Wenn in den vom BFA herangezogenen Länderfeststellungen zu entnehmen ist, dass die Verteidigung der Rechte der Frauen in einem Land, indem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt ist und von der traditionellen Stammeskultur bestimmt ist, nur eingeschränkt möglich sei bzw. staatliche Akteure nicht gewillt seien die Rechte der Frauen zu schützen, Richter durch die Gemeinschaft unter Druck gesetzt werden würden Täter freizulassen, so übersieht das BFA, dass dieses bei offensichtlichen Zweifeln an dieser Situation aufgrund seiner Ermittlungspflicht noch entsprechende Nachforschungen und Nachfragen in Verfahren zu tätigen gehabt hätte.

Bereits im erstinstanzlichen Verfahren ist zu ermitteln und festzuhalten, inwieweit aus solchen Aussagen der BF2, aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes und eines Ausbildungswunsches eine verfahrensrelevante fundierte westliche Gesinnung oder ein relevanter westlicher Lebensstil abzuleiten ist. Das Unterlassen jeglicher weiteren hierauf bezogenen Abklärungstätigkeit stellt im gegenständlichen Verfahren einen weiteren wesentlichen Verfahrensmangel dar.

Aufgrund des gänzlichen diesbezüglichen Unterlassens von weiteren Nachfragen, kann nicht nachvollzogen werden, auf welchen Grundlagen die Aussagen der BF2, dass diese in Afghanistan nicht frei hätte leben können, seitens des BFA als unglaubwürdig beurteilt worden sind.

Der von der Verwaltungsbehörde diesbezüglich ermittelte Sachverhalt ist somit auch in dieser Hinsicht grundlegend ergänzungsbedürftig.

Das BFA wird somit die oben angeführten Ermittlungen nachzuholen haben.

Die Vornahme solcherart verfahrenswesentlicher Abklärungen kann nicht gänzlich zur erstmaligen bzw. vollständigen Ermittlung im Beschwerdeverfahren an das BVwG delegiert werden. Eine solcherart gänzliche erstmalige Vornahme in den angeführten Punkten verfahrenswesentlich durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine solcherart auch darauf aufbauende erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann jedenfalls nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dies insbesondere auch unter besonderer Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist und eine sämtliche verfahrensrelevanten Aspekte abdeckende Prüfung des Antrages nicht erst beim BVwG beginnen und zugleich enden soll.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt als bloß ansatzweise ermittelt erweist, sodass grundlegende und geeignete Ermittlungen und darauf aufbauende Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteiverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.

Auf Grundlage der neuen Ermittlungsergebnisse wird das BFA nach Vornahme von entsprechenden Abklärungen und unter Zugrundelegung von aktuellen, die oben angeführten Punkte abklärenden Länderfeststellungen, neue Bescheide zu erlassen haben.

Das Bundesverwaltungsgericht hat daher die angefochtenen Bescheide mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

In der Beurteilung durch das Bundesverwaltungsgericht wurde ausgeführt, dass im erstbehördlichen Verfahren notwendige Ermittlungen unterlassen wurden. Betreffend die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG im gegenständlichen Fall liegt keine grundsätzliche Rechtsfrage vor, vielmehr orientiert sich der vorliegende Beschluss an der aktuellen Rechtsprechung (26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 und 24.02.2016, Zl. Ra 2015/08/0209) des Verwaltungsgerichtshofes zur Anwendung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Familienverfahren,
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W228.2194085.1.00

Zuletzt aktualisiert am

16.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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