TE Bvwg Beschluss 2018/11/13 W185 2188583-1

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Veröffentlicht am 13.11.2018
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Entscheidungsdatum

13.11.2018

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz1
B-VG Art.133 Abs4
FPG §61

Spruch

W185 2188583-1/12E

W185 2188585-1/9E

W185 2188582-1/10E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard PRÜNSTER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter XXXX und 3.) XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter XXXX , sämtliche StA. Russische Föderation, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.02.2018, Zlen. 1.) 1165861103-11003498, 2.) 1165858402-171003501 und 3.) 1165858903-171003510, beschlossen:

A) Den Beschwerden wird gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz

BFA-Verfahrensgesetz idgF (BFA-VG) stattgegeben und die bekämpften Bescheide werden behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der mj Zweitbeschwerdeführerin und des mj Drittbeschwerdeführers und stellte am 29.08.2017 für sich und ihre beiden Kinder die vorliegenden Anträge auf internationalen Schutz in Österreich.

Im Zuge der Erstbefragung vom 29.08.2017 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab die Erstbeschwerdeführerin zusammengefasst an, die Heimat gemeinsam mit ihren Kindern im August 2017 mit einem (von 15.08.2017 bis zum 06.09.2017) gültigen italienischen Visum verlassen zu haben und von Moskau aus direkt nach Österreich geflogen zu sein. Österreich sei ihr Zielland gewesen, da hier ihre Tante lebe. Ihre übrigen Familienmitglieder und ihr Ehemann würden sich in Tschetschenien aufhalten. Sie könne der Einvernahme ohne Probleme folgen und sei nicht schwanger. Andere EU-Länder habe sie nicht durchreist und demgemäß auch nirgendwo sonst um Asyl angesucht.

Aus der österreichischen Visa-Datenbank konnte erhoben werden, dass die Beschwerdeführer im Besitz vom 15.08.2017 bis 06.09.2017 gültige italienische Visa waren.

Am 13.09.2017 richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Aufnahmeersuchen gem. Art. 12 Abs. 2 bzw. 3 Dublin III-VO an Italien.

Mit Eingabe vom 30.10.2017 wurde ein Konvolut an medizinischen Unterlagen die Erstbeschwerdeführerin betreffend an das Bundesamt übermittelt. Es handelt sich hierbei um

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einen ärztlichen Befundbericht eines Facharztes für Neurologie vom 19.10.2017; Diagnose: "schubförmige Enc. diss. seit 12/16";

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einen Befund eines Diagnosezentrums vom 27.09.2017 mit folgendem Befund nach einem MRT des Gehirnschädels: "Multiple, MS typisch konfigurierte Plaques im Balken und perikallosalen Marklager der beiden Großgehirnhemisphären. Infratentoriell keine Auffälligkeiten. Empty Sella als anatomische Variante. Keine KM-Anreicherung";

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eine Ambulanzkarte eines Klinikums, Abteilung für Innere Medizin, über eine Behandlung am 24.10.2017; Diagnose: "Encephalitis disseminata, schubförmig"; der Erstbeschwerdeführerin wurde das Fortführen der MS-Schubtherapie für 5 Tage über den Hausarzt und die Vorstellung bei einem Neurologen empfohlen; es wurden Medikamente verordnet;

Mit Eingabe vom 17.11.2017 wurden dem Bundesamt weitere ärztliche Schreiben die Erstbeschwerdeführerin betreffend übermittelt. Es handelt sich hierbei um

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eine Verlaufskontrolle der MS-Ambulanz eines Krankenhauses vom 07.11.2017 mit der Hauptdiagnose "Encephalomyelitis disseminata" und den Nebendiagnosen "V.a. Depressio bzw. PTDS"

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einen Entlassungsbrief eines Krankenhauses, Abteilung für Neurologie, nach einem stationären Aufenthalt vom 10.11.2017 bis 16.11.2017 mit der Aufenthaltsdiagnose "Encephalomyelitis disseminata (ED 12/16)", den Dauerdiagnosen "Depressio, PTSD" und den St.p. Diagnosen "St.p. Sectio 2x"; es wurden eine entsprechende medikamentöse Therapie, regelmäßige neurologisch-fachärztliche Observanz sowie eine psychologische Betreuung empfohlen;

Mit Schreiben vom 21.11.2017 teilte die österreichische Dublin-Behörde Italien mit, dass auf Grund der nicht fristgerecht erfolgten Antwort gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO Verfristung eingetreten und Italien nunmehr für die Durchführung des gegenständlichen Asylverfahrens zuständig sei; dies beginnend mit dem 14.11.2017.

Am 14.12.2017 wurde die Erstbeschwerdeführerin, nach durchgeführter Rechtsberatung und in Anwesenheit einer Rechtsberaterin, einer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unterzogen. Hierbei gab diese im Wesentlichen an, sich psychisch und physisch in der Lage zu fühlen, die Befragung zu absolvieren. Sie leide jedoch seit 2015 an Multipler Sklerose und sei deshalb bereits in ihrer Heimat in Behandlung gewesen; auch in Österreich befinde sie sich deswegen in ärztlicher Behandlung. Am 07.11.2017 sei sie für eingige Tage in stationärer Behandlung in einem Krankenhaus gewesen. Die Ärzte hätten ihr erklärt, dass die Behandlung nicht unterbrochen werden dürfe, da sie diese Krankheit "für immer haben" werde. Sie nehme Medikamente und bekomme auch Spritzen. Sie müsse zum wiederholten Male eine MRT-Untersuchung machen. Außerdem seien sie und ihr Sohn im Lager in psychologischer Behandlung. Ihr Sohn habe Depressionen; ihre Tochter übergebe sich manchmal aus Nervosität. Die Kinder hätten gesehen, wie die Erstbeschwerdeführerin in der Heimat vom Ehemann/Vater zusammengeschlagen worden sei. Hinsichtlich ihrer familiären Verhältnisse gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sich ihr Bruder seit 2001 oder 2002 und ihre Tante seit 16 oder 17 Jahren in Österreich aufhalten würden; beide hätten einen Konventionspass. Den genannten Bruder würden die Beschwerdeführer ca zwei Mal pro Woche treffen; zudem telefoniere die Erstbeschwerdeführerin täglich mit ihm. Er gebe ihr jeden Monat 50 bis 100 Euro. Die Tante würden die Beschwerdeführer etwas unregelmäßiger treffen, aber die Erstbeschwerdeführerin telefoniere auch fast täglich mit dieser. Eine finanzielle Abhängigkeit von der Tante bestehe nicht. Die Genannte unterstütze die Beschwerdeführer aber regelmäßig mit Lebensmitteln und Kleidung. Über Vorhalt der beabsichtigten Überstellung nach Italien erklärte die Erstbeschwerdeführerin, das sie zu ihren Verwandten nach Österreich habe kommen wollen, da sie krank sei. Sollte sich ihre Krankheit verschlimmern, könnten sich die Verwandten um ihre mj Kinder kümmern. Sie sei bislang noch nicht in Italien gewesen, sondern direkt von Moskau nach Österreich geflogen.

Im Zuge der Einvernahme legte die Erstbeschwerdeführerin ein Konvolut an (im Wesentlichen bereits bekannten) Befunden und Überweisungen vor (AS 131 bis 272).

Mit Eingabe vom 14.12.2017 wurde ein Ambulanzbefund vom 09.11.2017 die mj Zweitbeschwerdeführerin betreffend vorgelegt, woraus die Diagnose "St.p. Gastroenteritis" ersichtlich ist; bei Verdacht auf psychische Belastung werde die Betreuung durch einen psychosozialen Dienst empfohlen (AS 77 ihres Verwaltungsaktes).

Am 21.12.2017 wurde die Erstbeschwerdeführerin einer Untersuchung durch eine allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige unterzogen, welche in ihrer "Gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren" vom 29.12.2017 zu dem Ergebnis gelangte, dass sich zum Zeitpunkt der Befundaufnahme eine depressive Störung finde, die entweder als Depressio mittelgradiger Episode, F32.1 oder als Anpassungsstörung, F43.2 als Reaktion auf eine Belastung (schwere Krankheit, Multiple Sklerose) diagnostiziert werden könne. Für eine posttraumatische Belastungsstörung fänden sich keine Kriterien. Es werde eine weiterführende antidepressive Therapie am jeweiligen Aufenthaltsort empfohlen. Bei einer Überstellung wäre eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Erstbeschwerdeführerin nicht sicher auszuschließen; eine akute suizidale Einengung finde sich derzeit jedoch nicht.

Am 11.01.2018 wurden auch die mj Zweitbeschwerdeführerin und der mj Drittbeschwerdeführer einer Untersuchung durch die oben angeführte Sachverständige unterzogen, welche in ihrer Stellungnahme vom 17.01.2018 zu dem Ergebnis gelangte, dass aus aktueller Sicht bei keinem der beiden Minderjährigen eine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung oder sonstige psychische Krankheitssymptome vorliegen würde. Beide seien unauffällig in Affekt, Verhalten, Kognition und Aufmerksamkeit. Es würden sich keinerlei Auffälligkeiten und keinerlei psychopathologische Phänomene finden. Die Sorge der Zweitbeschwerdeführerin um die Mutter sei adäquat, nachvollziehbar und in Art, Dauer und Intensität noch nicht krankheitswertig. Die Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer seien sicher "belastet", da ihre Mutter krank sei. Diese Belastung sei derzeit jedoch noch nicht von Krankheitswert. Medizinische oder therapeutische Maßnahmen wurden nicht konkret angeraten.

Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.02.2018 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien gemäß Art. 12 Abs. 2 oder 3 iVm Art. 22 Abs. 7 der Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.), sowie gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung der Beschwerdeführer angeordnet und festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Italien zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Zusammengefasst wurde in den Bescheiden festgehalten, dass nicht festgestellt werden könne, dass im Fall der Beschwerdeführer schwere psychische Störungen oder schwere bzw. ansteckende Krankheiten bestehen würden. Die Erstbeschwerdeführerin leide laut dem erstellten PSY-III-Gutachten an einer mittelgradigen depressiven Episode F32.1 oder einer Anpassungsstörung F43.2 als Reaktion auf eine schwere Erkrankung. Für das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung fänden sich keine Anhaltspunkte. Weiters sei bei der Erstbeschwerdeführerin Multiple Sklerose diagnostiziert worden. Hinsichtlich der mj Zweitbeschwerdeführerin und des mj Drittbeschwerdeführers wurde ausgeführt, dass die PSY-III-Untersuchung keine relevanten Beschwerden aufgezeigt hätten. Eine nachvollziehbare Belastung ergebe sich aufgrund der schweren Erkrankung der Mutter. Aus einem vorgelegten Befund ergebe sich, dass die Zweitbeschwerdeführerin an einer Gastroenteritis (Magen-Darmentzündung) leide. Unter Berücksichtigung der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation seien die Erkrankungen der Beschwerdeführer auch in Italien behandelbar. Vor der Überstellung würden die Beschwerdeführer nochmals untersucht und werde nochmalig mit den italienischen Behörden Kontakt aufgenommen, um eine lückenlose und unproblematische Überstellung zu gewährleisten. Bei Bedarf werde auch eine medizinische Anschlussversorgung veranlasst. Aus einer Anfragebeantwortung ergebe sich, dass in Italien auch die Krankeit Multiple Sklerose behandelbar sei. Bei Notwendigkeit begleite auch ein Arzt die Überstellung. Eine Asylantragstellung in Italien vorausgesetzt würde den Beschwerdeführern in Italien Grundversorgung inkl Unterbringung und (auch medizinischer) Versorgung zukommen; Familien würden nach Rückkehr gemeinsam untergebracht. Aus den Angaben der Erstbeschwerdeführerin seien keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden seien, dass die Beschwerdeführer tatsächlich konkret Gefahr liefen, in Italien Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass diesen eine Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnte. Mit den angeführten in Österreich aufhältigen Verwandten (Bruder und Tante der Erstbeschwerdeführerin) bestünden weder ein gemeinsamer Haushalt noch ein finanzielles oder ein sonstiges Abhängigkeitsverhältnis. Zwischen den Beschwerdeführern liege ein Familienverfahren vor; somit würden alle Beschwerdeführer dieselbe Entscheidung erhalten. Es sei daher davon auszugehen, dass die Anordnung der Außerlandesbringung nicht zu einer Verletzung der Dublin-III-VO sowie von Art. 7 GRC bzw. Art. 8 EMRK führe und die Zurückweisungsentscheidung daher unter diesen Aspekten zulässig sei. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG treffe zu; ein zwingender Grund für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts habe sich nicht ergeben.

Gegen die Bescheide wurden fristgerecht Beschwerden erhoben und erneut vorgebracht, dass die Erstbeschwerdeführerin an Encephalomyelitis Disseminata (Multiple Sklerose) erkrankt und sowohl physisch als auch psychisch sehr belastet sei und sie daher ohne Hilfe ihrer in Österreich lebenden Verwandten nicht zu Recht kommen könne. Ihr Bruder unterstütze sie finanziell und besuche sie gemeinsam mit der ebenfalls in Wien aufhältigen Tante zwei Mal in der Woche. Der Mann ihrer Tante begleite die Erstbeschwerdeführerin stets als Dolmetscher zu den erforderlichen Behandlungen ins Krankenhaus. Die Erstbeschwerdeführerin benötige regelmäßige Untersuchungen und Behandlungen, welche aus medizinischer Sicht nicht unterbrochen werden dürften. Während des damaligen zehntägigen stationären Aufenthaltes der Erstbeschwerdeführerin hätte sich deren Tante um die mj Kinder der Erstbeschwerdeführerin gekümmert. Die Erstbeschwerdeführerin sei besorgt, was nach einer Überstellung nach Italien passieren und wer sich dort um die mj Kinder kümmern würde, wenn die Erstbeschwerdeführerin krankheitsbedingt dazu nicht mehr in der Lage wäre. Einer im Verfahren bereits vorgelegten ärztlichen Bestätigung vom 22.02.2018 sei zu entnehmen, dass im vorliegenden Fall eine Überstellung nach Italien aus medizinischer Sicht nicht zumutbar sei. Es bleibe weiterhin fraglich, wie rasch die Erstbeschwerdeführerin nach der Überstellung nach Italien einer entsprechenden Therapie unterzogen werden könne, zumal die Ausstellung eines erforderlichen "codice fiscale" mehrere Wochen in Anspruch nehmen könne; eine Unterbrechung der Behandlung könne jedoch aus Sicht der Ärzte zu einer drastischen Verschlechterung der Erkrankung führen.

Der Beschwerde waren - neben bereits bekannten ärztlichen Schreiben und Laborbefunden - ein Schreiben über eine Verlaufskontrolle vom 22.02.2018 sowie eine ärztliche Bestätigung vom 22.02.2018 beigefügt, worin der behandelnde Arzt die Ansicht äußert, dass aufgrund der vorliegenden Erkrankung der Erstbeschwerdeführerin (Multiple Sklerose, Depression) eine Abschiebung nach Italien aus medizinischer Sicht nicht zu vertreten sei (AS 525f des Verwaltungsaktes der Erstbeschwerdeführerin).

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.03.2018 wurde den Beschwerden gemäß § 17 BFA-VG aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Mit Eingaben vom 30.05.2018, 11.09.2018, 02.10.2018 sowie 11.10.2018 wurden dem erkennenden Gericht weitere medizinische Unterlagen die Erstbeschwerdeführerin betreffend in Vorlage gebracht. Hierbei handelt es sich u.a. um

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einen Befund eines Diagnosezentrums vom 10.04.2018 über ein MRT des Gehirnschädels und der HWS mit folgendem Ergebnis:

"Größenabnahme eines vorbeschriebenen größeren Plaques perikallosal rechts von vormals 17 mm auf heute 14 mm. Daneben rechts frontal zwei kleine, neu aufgetretene Läsionen mit 2 bzw. 4 mm. Weiters eine größenprogrediente Läsion links okzipital mit heute 7 mm. Kontrastmittelaufnehmende Veränderungen liegen nicht vor. An der HWS weiterhin keine Plaques."

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ein Schreiben eines Krankenhauses vom 17.05.2018 betreffend eine Verlaufskontrolle der MS-Ambulanz mit der Diagnose "Encephalomyelitis disseminata" und den Nebendiagnosen "Reaktive Depressio bzw. V.a. PTDS"

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eine ärztliche Bestätigung vom 05.09.2018 und vom 01.10.2018, worin die behandelnde Ärztin anführt, dass aufgrund der vorliegenden schwerwiegenden Erkrankungen der Erstbeschwerdeführerin, nämlich einer schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose mit hoher Aktivität und rasch progredientem Verlauf sowie der Depression bzw. posttraumatischen Belastungsstörung, eine Abschiebung in ihr Herkunftsland aus medizinischer Sicht nicht zu vertreten wäre.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der mj Zweitbeschwerdeführerin und des mj Drittbeschwerdeführers und stellte am 29.08.2017 für sich und ihre beiden Kinder die vorliegenden Anträge auf internationalen Schutz in Österreich. Die Beschwerdeführer waren im Besitz eines vom 15.08.2017 bis zum 06.09.2017 gültigen italienischen Visums und sind direkt von Moskau nach Wien geflogen; in Italien waren die Beschwerdeführer nie. Am 13.09.2017 wurde ein Aufnahmeersuchen gem. Art. 12 Abs. 2 bzw. 3 Dublin III-VO an Italien gestellt. Die Zuständigkeit Italiens ergab sich letztlich aufgrund Verfristung. Mit schriftlicher Mitteilung vom 21.11.2017 wies das Bundesamt die italienische Dublin-Behörde auf diesen Umstand hin.

Die Erstbeschwerdeführerin leidet an einer schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose und erhält eine entsprechende medikamentöse Therapie. Weiters leidet die Erstbeschwerdeführerin an einer depressiven Störung [Depressio mittelgradige Episode, F32.1 bzw DD:

Anpassungsstörung, F43.2, als Reaktion auf eine Belastung (schwere Krankheit, Multiple Sklerose)]. Auch besteht der Verdacht auf Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Die mj Zweitbeschwerdeführerin und der mj Drittbeschwerdeführer sind durch schwere Erkrankung der Mutter belastet; laut Ausführungen der medizinischen Sachverständigen zum Zeitpunkt der Untersuchung (Anm: Jänner 2018) jedoch noch nicht krankheitswertig. Darüber hinaus wurde bei der mj Zweitbeschwerdeführerin die Diagnose "St.p. Gastroenteritis" gestellt und eine psychologische Betreuung angeraten.

In Österreich lebt seit vielen Jahren ein volljähriger Bruder der Erstbeschwerdeführerin mit Familie; diesem wurde der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Er besucht die Beschwerdeführer regelmäßig und unterstützt diese moralisch und in geringem Ausmaß auch finanziell. Ein gemeinsamer Haushalt mit den Beschwerdeführern liegt nicht vor.

Weiters befinden sich eine Tante der Erstbeschwerdeführerin mit Familie als anerkannter Flüchtling in Österreich. Es finden regelmäßige Treffen mit den Beschwerdeführern statt. Der Gatte der Tante begleitet die Erstbeschwerdeführerin zu Arztbesuchen und Kontrollterminen und dolmetscht für diese. Während eines neuntägigen stationären Aufenthalts der Erstbeschwerdeführerin haben die genannten Verwandten die mj Beschwerdeführer bei sich aufgenommen und diese versorgt.

2. Beweiswürdigung: Die festgestellten Tatsachen zur Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten mittels italienischer Visa und zur grundsätzlichen Zuständigkeit Italiens, ergeben sich aus den vorliegenden Verwaltungsakten.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführer basieren auf den unbedenklichen (oben angeführten) medizinischen Befunden.

Die Feststellungen zum Familienbezug der Beschwerdeführer zum Bruder, der Tante und dem Onkel der Erstbeschwerdeführerin und der Intensität desselben, ergeben sich aus der Aktenlage, insbesondere aus den diesbezüglichen Angaben der Erstbeschwerdeführerin.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBL I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenord-nung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß an-zuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegan-genen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt. In Asylverfahren tritt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an die Stelle des Bundesasylamtes (vgl § 75 Abs 18 AsylG 2005 idF BGBGl I 2013/144).

§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.

Zu A) Stattgebung der Beschwerden:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) lauten:

§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

...

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

...

§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF lautet:

§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes

im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen.

Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) lauten:

Art. 3 Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

Art. 7 Rangfolge der Kriterien

(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.

Art. 12 Ausstellung von Aufenthaltstiteln oder Visa

(1) Besitzt der Antragsteller einen gültigen Aufenthaltstitel, so ist der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel ausgestellt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

(2) Besitzt der Antragsteller ein gültiges Visum, so ist der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, es sei denn, dass das Visum im Auftrag eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen einer Vertretungsvereinbarung gemäß Artikel 8 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft erteilt wurde. In diesem Fall ist der vertretene Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

(3) Besitzt der Antragsteller mehrere gültige Aufenthaltstitel oder Visa verschiedener Mitgliedstaaten, so sind die Mitgliedstaaten für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz in folgender Reihenfolge zuständig:

a) der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der den zuletzt ablaufenden Aufenthaltstitel erteilt hat;

b) der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat, wenn es sich um gleichartige Visa handelt;

c) bei nicht gleichartigen Visa der Mitgliedstaat, der das Visum mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat.

(4) Besitzt der Antragsteller nur einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die weniger als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit weniger als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, so sind die Absätze 1, 2 und 3 anwendbar, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen hat.

Besitzt der Antragsteller einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die mehr als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit mehr als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, und hat er die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten nicht verlassen, so ist der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.

(5) Der Umstand, dass der Aufenthaltstitel oder das Visum aufgrund einer falschen oder missbräuchlich verwendeten Identität oder nach Vorlage von gefälschten, falschen oder ungültigen Dokumenten erteilt wurde, hindert nicht daran, dem Mitgliedstaat, der den Titel oder das Visum erteilt hat, die Zuständigkeit zuzuweisen. Der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel oder das Visum ausgestellt hat, ist nicht zuständig, wenn nachgewiesen werden kann, dass nach Ausstellung des Titels oder des Visums eine betrügerische Handlung vorgenommen wurde.

Art. 16 Abhängige Personen

(1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.

(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.

(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.

(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

Art. 17 Ermessensklauseln

(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.

Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.

(2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.

Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen.

Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen.

Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.

Art 22

...

(7) Wird innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß Absatz 1 bzw der Frist von einem Monat gemäß Absatz 6 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.

In den gegenständlichen Beschwerdefällen ging das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zwar zutreffend davon aus, dass eine Zuständigkeit Italiens zur Prüfung der in Rede stehenden Anträge auf internationalen Schutz in materieller Hinsicht in Art. 12 Abs. 2 bzw. 3 iVm Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO begründet ist, da die Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Antragstellung im Besitz eines gültigen italienischen Visums waren. Da die italienischen Behörden das Aufnahmegesuch des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nicht fristgerecht beantwortet haben, ergab sich letztlich eine Zuständigkeit Italiens aufgrund Verfristung. Anhaltspunkte dafür, dass die Zuständigkeit Italiens in der Zwischenzeit untergegangen sein könnte, bestehen nicht. Die grundsätzliche Zuständigkeit Italiens wird von den Beschwerdeführern auch nicht bestritten.

Angesichts der schweren Erkrankungen der Erstbeschwerdeführerin, des "Vorhandenseins" zweier (psychisch belasteter) minderjähriger Kinder und der bestehenden familiären und verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte in Österreich, wird im Falle der Wahrnehmung der Unzuständigkeit Österreichs eine mögliche Verletzung von Bestimmungen der EMRK in den Raum gestellt. Zur Frage eines allenfalls gebotenen Selbsteintritts Österreichs ist Folgendes festzuhalten:

Gemäß Art 3 Abs 1 Dublin III-VO wird ein Antrag auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Art 7 bis 15) Dublin III-VO bestimmt wird.

Ungeachtet dessen sieht Art 17 Abs 1 Dublin III-VO die Möglichkeit des Selbsteintritts eines Mitgliedstaates vor, auch wenn er nach den Kriterien der Dublin III-VO nicht für die Prüfung zuständig ist.

Da Art 17 Abs 1 Dublin III-VO keine inhaltlichen Vorgaben beinhaltet, liegt es primär an den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und im Ermessen des einzelnen Mitgliedstaates, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Selbsteintritt erfolgt (vgl etwa VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0192, mit Hinweis auf Filzwieser/Sprung, Dublin III-VO, Art 17 K2).

Nach der Rechtsprechung des VfGH (VfGH 17.6.2005, B 336/05; 15.10.2004, G 237/03) und des VwGH (VwGH 18.11.2015, Ra 2014/18/0139; 17.11.2015, Ra 2015/01/0114; 2.12.2014, Ra 2014/18/0100 u.a.) macht die grundrechtskonforme Interpretation des AsylG 2005 eine Bedachtnahme auf die - in Österreich in Verfassungsrang stehenden - Bestimmungen der EMRK erforderlich und ist das Selbsteintrittsrecht aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen zwingend auszuüben, sollte die innerstaatliche Überprüfung der Auswirkungen einer Überstellung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers bedroht wären.

In Hinblick auf die festgestellten Erkrankungen der Erstbeschwerdeführerin ist zunächst Folgendes auszuführen:

Gemäß Art 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach Italien nicht zulässig wäre, wenn durch die Überstellung eine existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin-VO zwingend auszuüben wäre: In diesem Zusammenhang ist vorerst auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die damals relevante Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93;

Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26;

Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04;

Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006;

Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).

Zusammenfassend führte der VfGH aus, dass sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. v. the United Kingdom).

Aus den Judikaturlinien des EGMR ergibt sich der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab. In seiner rezenten Entscheidung im Fall "Paposhvili vs. Belgium" hat der EGMR am 13.12.2016 seine Rechtsprechung dahingehend präzisiert, dass ein Betroffener auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben muss und auch die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks zu berücksichtigen sind. "Außergewöhnliche Umstände" würden bereits auch dann vorliegen, wenn stichhaltige Gründe dargelegt würden, dass eine schwer kranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung, einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führen würde.

Die Erstbeschwerdeführerin leidet an einer depressiven Störung (sowie möglicherweise auch an einer posttraumatischen Belastungsstörung) sowie an Multipler Sklerose mit hoher Aktivität und rasch progredientem Verlauf und somit zweifellos an schweren Erkrankungen. Sie befindet sich in medikamentöser Behandlung (Copaxone 40mg, Cipralex 10mg, Trittico 150mg) und in psychiatrisch/psychologischer Betreuung.

Für sich allein betrachtet sind die angeführten Erkrankungen der Erstbeschwerdeführerin nicht lebensbedrohlich und weisen noch nicht jene Schwere auf, die nach der Rechtsprechung des EGMR sowie des VfGH und des VwGH zu Art 3 EMRK eine Überstellung nach Italien als eine unmenschliche Behandlung erscheinen ließe, zumal (auch nach den Recherchen des Bundesamtes) Multiple Sklerose in Italien behandelbar ist und die erforderlichen Medikamente dort erhältlich sind. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang jedoch auch, dass die laufende Therapie wohl de facto für einige Zeit (bis zur Ausstellung des codice fiscale) unterbrochen wäre was zu einer Verschlechterung des Krankheitsverlaufes führen könnte. Aus Schreiben der behandelnden Ärztin vom 22.02.2018, vom 05.09.2018 und vom 01.10.2018 ergibt sich, dass eine Abschiebung der Beschwerdeführer in die Heimat bzw nach Italien eine massive Stresssituation für die Erstbeschwerdeführerin und für die mj Beschwerdeführer bedeuten und unweigerlich zu einer Verschlechterung des physischen und psychischen Zustandes führen würde, weshalb aufgrund der vorliegenden Erkrankungen (Multiple Sklerose; Depressio) eine Abschiebung nach Italien aus medizinischer Sicht nicht zu vertreten wäre (AS 525).

Im vorliegenden Fall ist auch zu beachten, dass sich ein Bruder der Erstbeschwerdeführerin mit Familie sowie eine Tante der Erstbeschwerdeführerin mit Familie als anerkannte Flüchtlinge legal in Österreich aufhalten, welche die Beschwerdeführer im täglichen Leben massiv unterstützen (Begleitung zu ärztlichen Untersuchungen; Übersetzungshilfe, Besuche, kleinere finanzielle Zuwendungen). Abgesehen davon, dass die Genannten der u.a. auch an einer Depression (und möglicherweise auch an PTSD) leidenden Erstbeschwerdeführerin und der ebenfalls psychisch belasteten minderjährigen Kinder ein stabiles soziales Umfeld bieten, zeigte sich die enge Beziehung bzw der Zusammenhalt bereits auch darin, dass während eines erforderlichen neuntägigen stationären Aufenthalts der Erstbeschwerdeführerin die minderjährigen Kinder bei der Tante untergebracht waren und von dieser betreut und versorgt wurden. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass die Erkrankung der Erstbeschwerdeführerin zweifellos auch in Hinkunft stationäre Aufenthalte erforderlich machen bzw letztlich dazu führen wird, dass sich die Erstbeschwerdeführerin aufgrund der unausweichlich zu erwartenden körperlichen Folgen der Erkrankung nicht mehr adäquat um ihre Kinder wird kümmern können. In Italien müssten die mj Beschwerdeführer in einem solchen Fall, da dort weder familiäre noch verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte bestehen, wohl behördlich untergebracht und versorgt werden, was zweifellos nicht dem (gegenständlich zu beachtenden) Kindeswohl entspricht. Vor diesem Hintergrund ginge mit einer Überstellung der Beschwerdeführer nach Italien und der Trennung von ihrem stabilen Umfeld in Österreich, eine Verletzung von Art 8 EMRK und letztlich auch von Art 3 EMRK einher, zumal aufgrund des Fehlens eines familiären bzw verwandtschaftlichen Auffangnetzes in Italien von einer gravierenden Verschlechterung der psychischen Verfassung sowohl der depressiven Erstbeschwerdeführerin als auch der ebenfalls psychisch belasteten minderjährigen Beschwerdeführer auszugehen ist.

Nach dem Gesagten war im konkretn Einzelfall in Hinblick auf die vorliegende Konstellation des Zusammentreffens mehrerer schwerer Erkrankungen bei der Erstbeschwerdeführerin, der angezeigten Beachtung des Kindeswohls sowie der Anwesenheit von Familienmitgliedern bzw Verwandten der Beschwerdeführer in Österreich, welche eine wesentliche Stütze für die Beschwerdeführer darstellen, zur Vermeidung von Grundrechtsverletzungen vom Selbsteintrittsrecht nach Art 17 Abs 1 Dublin III-VO zwingend Gebrauch zu machen, weswegen die angefochtenen Bescheide gemäß § 21 Abs 3 erster Satz BFA-VG zu beheben waren.

Eine mündliche Verhandlung konnte gem. § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG idgF unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Im Übrigen trifft § 21 Abs. 3 BFA-VG eine klare, im Sinne einer eindeutigen, Regelung (vgl. OGH 22.03.1992, 5Ob105/90), weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.

Schlagworte

gesundheitliche Beeinträchtigung, Selbsteintrittsrecht,
Überstellungsrisiko, Zulassungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W185.2188583.1.01

Zuletzt aktualisiert am

15.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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