Entscheidungsdatum
13.11.2018Norm
AsylG 2005 §5Spruch
W175 2158250-2/4E
Beschluss
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Neumann als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX, geboren am XXXX, nigerianische Staatsangehörige, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.09.2018, Zahl: 1142070610/ 180521170, beschlossen:
A) Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG stattgegeben
und der bekämpfte Bescheid behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin (in Folge: BF), eine Staatsangehörige aus Nigeria, stellte am 03.02.2017 den ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, welcher nach einem entsprechenden Ermittlungsverfahren mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: BFA) vom 05.05.2017 wegen festgestellter Zuständigkeit Italiens gemäß § 5
Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen wurde; zugleich wurde ihre Außerlandesbringung angeordnet beziehungsweise ihre Abschiebung nach Italien als zulässig erachtet. Die dagegen fristgerecht eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (in Folge: BVwG) vom 22.08.2017 als unbegründet abgewiesen. Am 02.10.2017 wurde die BF nach Italien überstellt.
In weiterer Folge reiste die BF erneut nach Österreich und stellte hier am 05.06.2018 den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Hierbei gab sie an, der Einvernahme ohne (gesundheitliche) Probleme folgen zu können. Sie habe sich von 02.10.2017 bis zum 05.10.2017 in Italien aufgehalten, dort jedoch keinen Asylantrag eingebracht. Die italienischen Behörden hätten die BF nicht behalten wollen und sie wieder weggeschickt. Die BF wolle in Österreich bleiben.
Aufgrund der beiden Eurodac-Treffer mit Italien (IT2 ... vom
15.12.2016 sowie IT1 ... vom 03.10.2017) stellte das BFA am
06.06.2018 ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 18
Abs. 1 lit. b der Dublin III-VO an Italien und stimmte Italien mit Schreiben vom 20.06.2018 zu, die BF gemäß der genannten Bestimmung wiederaufzunehmen.
Aus einem Aktenvermerk des BFA vom 27.06.2018 geht hervor, dass geplant sei, die BF aufgrund des Verdachts auf Menschenhandel von der BS West in eine geeignete Opferschutzeinrichtung zur Unterbringung zu verlegen.
Mit Schreiben einer Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels vom 10.07.2018 wurde zusammengefasst vorgebracht, dass die BF nunmehr seit 22.06.2018 von der genannten Interventionsstelle betreut werde sowie psychosoziale als auch juristische Prozessbegleitung erhalte. Am 06.07.2018 habe am Landeskriminalamt in Wien eine erste Einvernahme zum Verdacht des Menschenhandels nach § 104a StGB stattgefunden und im Zuge dessen sei sie als besonders schutzbedürftiges Opfer nach § 66a StPO eingestuft worden. Sie sei gezielt angeworben und zunächst in Italien und später auch in Österreich zur Prostitution gezwungen worden. Sie habe eine Anzeige erstattet und es laufe ein Ermittlungsverfahren in Österreich, in dem sie eine wichtige Zeugin sei. Die Voraussetzungen für die Erteilung des Aufenthaltstitels "besonderer Schutz" nach § 57 AsylG seien somit gegeben, weshalb dieser Aufenthaltstitel für die BF beantragt werde. Eine Kopie des beantragten Aufenthaltstitels wurde dem Schreiben beigefügt.
Am 07.09.2018 wurde die BF von einer Einvernahmeleiterin und einer weiteren Referentin des BFA (zwecks Einschulung) in Anwesenheit einer weiblichen Dolmetscherin, einer Rechtsberaterin sowie einer Mitarbeiterin von LEFÖ als Vertreterin nach durchgeführter Rechtsberatung vor dem BFA einvernommen. Hierbei gab sie zunächst an, sich psychisch und physisch in der Lage zu fühlen, die Befragung zu absolvieren. Sie sei zur Zeit nicht in ärztlicher Behandlung und leide auch an keiner Krankheit. Sie habe im Bereich der EU keine Verwandten. Über Vorhalt der beabsichtigten Überstellung nach Italien räumte sie ein, dass ihr dort im Oktober 2017 von Leuten im Lager gesagt worden sei, dass sie dort keinen Platz mehr habe. Man habe sie weggeschickt und ihr gesagt, dass sie sich selber zurechtfinden solle. Eine "Madame", mit welcher sie nur über Whatsapp Kontakt gehabt habe, habe ihr dann gesagt, dass sie nach Österreich kommen solle. Diese "Madame" - sie lebe in Wien - habe von der BF verlangt, in Österreich als Prostituierte zu arbeiten, um ihre Schulden abzuarbeiten. Die BF habe die "Madame" durch deren Schwester kennengelernt, noch bevor sie aus der Heimat ausgereist sei. Seit die BF der "Madame" mitgeteilt habe, dass sie ihr nicht den gesamten offenen Betrag an Schulden zurückzahlen könne, sei sie von ihr bedroht worden. Seit die "Madame" wisse, dass die BF bei LEFÖ sei, sei sie wieder mit dem Tod bedroht worden; auch ihre in Nigeria lebende Familie sei bedroht beziehungsweise von der Schwester der "Madame" aufgesucht worden. Die BF sei damals fast jede Nacht ins Spital gebracht worden, weil sie so unter Depressionen gelitten habe. Sie habe der Polizei bereits alles erzählt.
Mit Eingabe vom 19.09.2018 übermittelte das BM.I ein Schreiben der Landespolizeidirektion Wien an das BFA, worin festgehalten wird, dass im Fall der BF die Voraussetzungen zur Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz zur weiteren Gewährleistung der Strafverfolgung beziehungsweise zur Durchsetzung von allfälligen zivilrechtlichen Ansprüchen vorliegen würden.
Mit Eingabe vom 21.09.2018 wurde sowohl eine Stellungnahme der ARGE als auch eine Stellungnahme von LEFÖ für die BF eingebracht:
In der Stellungnahme der ARGE wurde auf den Art. 11 der Richtlinie 2011/36/EU verwiesen und ausgeführt, dass die BF eindeutig Opfer von Menschenhandel geworden und selbst in Italien nicht sicher vor den Menschenhändlern sei, zumal sie auch dort von diesen aufgefunden und unter Druck gesetzt worden sei. Sie habe bereits Anzeige erstattet und sei von der Polizei einvernommen worden; es sei auch ein Strafverfahren eingeleitet worden. Die Anwesenheit der BF in Österreich sei aufgrund des hier geführten Verfahrens erforderlich. Die BF befinde sich im Opferschutzprogramm und werde von LEFÖ-IFB betreut. Ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz sei bereits gestellt worden. Eine Abschiebung nach Italien hätte die große Gefahr, neuerlich Opfer von Menschenhandel zu werden, und demnach einen Verstoß gegen Art. 4 EMRK sowie gegen Art. 3 EMRK zur Folge. Die Voraussetzungen für einen Selbsteintritt Österreichs in das Verfahren gem. Art. 17 der Dublin III-VO würden vorliegen, weshalb das Verfahren in Österreich zuzulassen sei.
In der Stellungnahme von LEFÖ wurde ausgeführt, dass in Österreich ein strafrechtliches Verfahren anhängig sei, in dem die BF sowohl als Opfer als auch als wichtige Zeugin geführt werde. Gegen die im Verfahren Beschuldigte, die bereits durch das Landeskriminalamt Wien habe identifiziert werden können, sei zwischenzeitlich ein Haftbefehl erlassen worden; die Täterin sei derzeit aber flüchtig. Die BF brauche jedenfalls den Schutz der österreichischen Behörden und auch weiterhin intensive Betreuung und Beratung durch die Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels. Zudem wurde auch in dieser Stellungnahme darauf verwiesen, dass die BF einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gestellt habe.
Mit Bescheid vom 30.09.2018 wurde der Antrag der BF auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b der Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die BF gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).
Im Bescheid wurde zusammengefasst festgehalten, dass aus den Angaben der BF keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden seien, dass diese tatsächlich konkret Gefahr liefe, in Italien Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihr eine Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnte. Die Behörde sehe keinen Grund, weshalb der BF die italienische Polizei bei Bedarf nicht helfen sollte. Sie habe jederzeit die Möglichkeit, sich bei Bedarf auch in Italien an die dortigen Polizeibehörden zu wenden. Im Fall der BF bestehe seit 17.07.2018 ein anhängiges Verfahren beim BFA in Hinblick auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels besonderer Schutz gem. § 57 AsylG. Aufgrund der Stellungnahme von der Landespolizeidirektion Wien vom 14.09.2018 stehe fest, dass bei der Staatsanwaltschaft Wien ein anhängiges strafrechtliches Verfahren in Bezug auf Menschenhandel/Frauenhandel bestehe und gegen die von der BF Beschuldigte eine Festnahmeanordnung erlassen worden sei. Diesbezüglich sei zunächst auf ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, der in einem anderen Fall ausgeführt habe, dass mit der Richtlinie 2011/36/EU vom 05.04.2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer auch ein europaweiter rechtlicher Rahmen für ein integriertes, ganzheitliches und menschenbasiertes Vorgehen bei der Bekämpfung des Menschenhandels in den Mitgliedstaaten geschaffen worden sei, der somit auch in Italien gelte. Unter weiterem Verweis auf ein Erkenntnis des BVwG (vom 08.06.2017, W205 21539181-/3E) wurde ausgeführt, dass in einem Fall wie dem vorliegenden eine amtswegige Prüfung im Hinblick auf eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht stattzufinden habe. Auch § 10 Abs. 1 AsylG nehme hinsichtlich der amtswegigen Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 nicht auf § 5 AsylG Bezug. In diesem Zusammenhang habe auch der VwGH im Erkennntnis vom 14.09.2016, Ra 2016/18/007 klargestellt, dass im Fall der Zurückweisung eines Antrags auf internationalen Schutz gem. § 5 AsylG aufgrund der feststellten Zuständigkeit eines anderen Staates eine amtswegige Prüfung zur Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. § 57 AsylG mangels Erwähnung dieser Fallkonstellation in § 58 Abs. 1 AsylG 2005 nicht erfolgen müsse. Zusammengefasst habe die BF die Möglichkeit, sich im Falle einer Rückkehr nach Italien bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen gegenüber dem italienischen Staat auf die Bestimmung der Richtlinie 2011/36/EU zu berufen, denn als EU-Mitgliedstaat sei Italien Normadressat dieser Regelungen und sohin verpflichtet, diese im Fall des Vorliegens der Voraussetzungen anzuwenden. Zudem sei auf die Bestimmung des
§ 58 Abs. 13 AsylG zu verweisen. In Hinblick auf das erwähnte und bei der Staatsanwaltschaft anhängige Verfahren bezüglich Menschenhandel sei anzumerken, dass die BF ein persönliches Interesse in Hinblick auf die Durchführung dieses Verfahrens in Österreich habe. Nachdem allerdings ein derartiges Verfahren ebenfalls in Italien durchgeführt werden könne, relativiere sich dieses persönliche Interesse beträchtlich. § 58 AsylG, aber auch die sonstigen Bestimmungen im Zusammenhang mit einem Aufenthaltstitel besonderer Schutz und den damit zusammenhängenden Verfahren würden keine aufschiebende Wirkung vorsehen. Im Fall der BF würden sich keine besonders gewichtigen und zu ihren Gunsten zu wertenden Sachverhalte in Hinblick auf ein iSd Art. 8 EMRK relevantes Familien- und Privatleben in Österreich ergeben.
Gegen den oben genannten Bescheid des BFA wurde am 22.10.2018 fristgerecht Beschwerde erhoben und zusammengefasst vorgebracht, dass Österreich zum Schutz von Opfern von Menschenhandel verpflichtet sei und das BFA in Hinblick auf das Vorbringen der BF diesbezüglich ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren in Bezug auf eine Verletzung von Art. 3 EMRK geführt habe. Die BF habe - sowohl im Rahmen ihrer Einvernahme vor dem BFA als auch im Zuge ihrer Antragstellung gem. § 57 AsylG - angegeben, auch bereits in Italien Opfer von Menschenhandel geworden beziehungsweise zur Prostitution gezwungen worden zu sein. Die belangte Behörde habe diesbezüglich festgestellt, dass betreffend die BF ein Strafverfahren in Bezug auf Frauenhandel anhängig sei. Dennoch habe sie sich nicht ausreichend damit auseinandergesetzt, was dies für die BF im Fall einer Außerlandesbringung nach Italien bedeuten würde und habe keine diesbezüglichen Länderfeststellungen eingeholt, was als grob mangelhaft erscheine und sämtlichen völkerrechtlichen Abkommen und verbindlichen europäischen Rechtsakten, zu deren Umsetzung Österreich verpflichtet sei, widersprechen würde. Wenn die belangte Behörde in ihrer Beweiswürdigung anmerke, dass die BF jederzeit staatlichen Schutz durch die italienischen Behörden erlangen hätte können, so sei dem entgegenzuhalten, dass die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid eben keine Feststellungen über den effektiven Schutz für von Zwangsprostitution betroffenen Frauen treffe. Im gegenständlichen Fall handle es sich um eine junge Frau, die Opfer von Menschenhandel, Zwangsprostitution, Ausbeutung und Missbrauch geworden sei. Bei Opfern von Menschenhandel liege jedenfalls ein Eingriff nach Art. 4 EMRK vor. Trotzdem seien im vorliegenden Fall keine individuellen Garantien seitens der italienischen Behörden für adäquaten Opferschutz, die Unterbringung und medizinische Versorgung der BF eingeholt worden und habe kein ausreichender Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten stattgefunden. Es bestehe daher bei einer Überstellung nach Italien die begründete Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC sowie Art. 3 EMRK und sei eine Überstellung demnach unzulässig. Die Behörde hätte jedenfalls ihrer Verantwortung in Hinblick auf Opferschutz nachkommen und eine Einzelfallzusicherung einholen müssen.
Mit Beschluss des BVwG vom 30.10.2018 wurde der Beschwerde gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu A) Stattgebung der Beschwerde:
II.1. Mit 1.1.2014 sind das BVwG (BVwGG) sowie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - Verfahrensgesetz (BFA-VG) in Kraft getreten.
Das Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist im vorliegenden Fall in der Fassung nach dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 24/2016 anzuwenden. Die maßgeblichen Bestimmungen lauten:
"§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-VO zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.
(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-VO dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.
(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet."
§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idF BGBl. I Nr. 24/2016 lautet:
"§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."
Die maßgeblichen Bestimmungen der Dublin III-VO lauten:
Gemäß Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen eines Mitgliedstaats stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.
Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO normiert, dass sich für den Fall, dass sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen lässt, der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde für dessen Prüfung zuständig ist.
Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedsstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass die Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtscharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedsstaat oder an den ersten Mitgliedsstaats, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.
Gemäß Art. 3 Abs. 3 der Dublin III-VO behält jeder Mitgliedstaat das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.
In Kapitel 3 beziehungsweise den Artikeln 7 ff der Dublin III-VO werden die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats sowie deren Rangfolge aufgezählt.
Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO lautet: "Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Art. 22 Abs. 3 genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts."
Art. 18 Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats
(1) Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:
a) einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen;
b) einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;
c) einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;
d) einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.
(2) Der zuständige Mitgliedstaat prüft in allen dem Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstaben a und b unterliegenden Fällen den gestellten Antrag auf internationalen Schutz oder schließt seine Prüfung ab.
Hat der zuständige Mitgliedstaat in den in den Anwendungsbereich von Absatz 1 Buchstabe c fallenden Fällen die Prüfung nicht fortgeführt, nachdem der Antragsteller den Antrag zurückgezogen hat, bevor eine Entscheidung in der Sache in erster Instanz ergangen ist, stellt dieser Mitgliedstaat sicher, dass der Antragsteller berechtigt ist, zu beantragen, dass die Prüfung seines Antrags abgeschlossen wird, oder einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, der nicht als Folgeantrag im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU behandelt wird.
In diesen Fällen gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Prüfung des Antrags abgeschlossen wird. In den in den Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstabe d fallenden Fällen, in denen der Antrag nur in erster Instanz abgelehnt worden ist, stellt der zuständige Mitgliedstaat sicher, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat oder hatte, einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 der Richtlinie 2013/32/EU einzulegen.
II.2. Im gegenständlichen Verfahren ging das BFA unter der Annahme, dass die BF am 15.12.2016 in Italien erkennungsdienstlich behandelt wurde und dort sodann am 03.10.2017 einen Asylantrag stellte sowie aufgrund der Zustimmung Italiens vom 20.06.2018 zur Wiederaufnahme der BF zunächst zurecht von der Zuständigkeit Italiens zur Führung des Asylverfahrens der BF bzw. von der diesbezüglichen Unzuständigkeit Österreichs aus. Allerdings erweist sich der angefochtene Bescheid in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt als mangelhaft, weshalb eine Behebung und Zurückverweisung nach § 21 Abs. 3, 2. Satz BFA-VG zu erfolgen hatte.
Dies aus folgenden Erwägungen:
Im vorliegenden Fall wurde die BF bereits vom Landeskriminalamt Wien zum Verdacht des Menschenhandels nach § 104a StGB einvernommen und im Zuge dessen auch als besonders schutzbedürftiges Opfer nach § 66a StPO eingestuft. In Österreich ist bereits ein strafrechtliches Verfahren anhängig, in dem die BF sowohl als Opfer als auch als wichtige Zeugin geführt wird; gegen die im Verfahren Beschuldigte wurde zwischenzeitlich ein Haftbefehl erlassen. Die BF ist in einer Schutzeinrichtung von LEFÖ untergebracht, wo sie auch eine psychosoziale und juristische Prozessbegleitung erhält.
Aus dem Akteninhalt ist demnach ersichtlich, dass sich bei der BF der - nunmehr durch das in Österreich geführte Verfahren begründete - Verdacht ergeben hat, dass sie Opfer von Menschenhandel geworden ist. Am 16.07.2018 wurde von der BF ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "besonderer Schutz" gem. § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG gestellt, für deren Erteilung laut Ansicht der Landespolizeidirektion Wien auch die Voraussetzungen vorliegen würden (dies ergibt sich eindeutig aus dem im Verfahrensgang erwähnten Schreiben der Landespolizeidirektion Wien vom 14.09.2018; AS 257).
Nichtsdestotrotz hat sich die erstinstanzliche Behörde mit diesem wesentlichen Aspekt bei der Beurteilung des Antrages der BF auf internationalen Schutz nicht hinreichend auseinandergesetzt. Soweit im angefochtenen Bescheid auf ein Erkenntnis des VwGH vom 14.09.2016, Ra 2016/18/0077 verwiesen wurde, ist hiezu auszuführen, dass es bei dem dort zugrunde liegenden Fall um eine BF ging, die in Italien (und nicht wie im vorliegenden Fall in Österreich) Opfer von Menschenhandel beziehungsweise grenzüberschreitendem Prostitutionshandel geworden ist und (anders als im vorliegenden Fall, in dem noch vor der Erlassung der nunmehr bekämpften Entscheidung ein Strafverfahren gegen die von der BF genannte Beschuldigte anhängig war) ein Strafverfahren oder ein Verfahren zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche im Zusammenhang mit den vorgebrachten strafbaren Handlungen im Zeitpunkt der damaligen Entscheidung des BVwG nicht begonnen worden war, weshalb in jenem dem erwähnten Erkenntnis des VwGH zugrunde liegenden Fall bereits die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG nach dessen Abs. 3 nicht vorlagen bzw. die Voraussetzungen für eine inländische Zuständigkeit nicht gegeben waren und zu Recht auf den staatlichen Schutz in Italien (nicht zuletzt durch die auch in Italien geltende RL 2011/36/EU vom 05.04.2011) verwiesen wurde.
Im vorliegenden Fall spricht jedoch - wie dargelegt - viel dafür, dass die BF in Österreich tatsächlich Opfer von Menschenhandel beziehungsweise grenzüberschreitender Prostitution wurde. Sie hat in Österreich Anzeige gegen die Frauenhändler erstattet, ist von der Polizei einvernommen worden und es wurde ein Strafverfahren eingeleitet. Unter Berücksichtigung all dieser Erwägungen sind die oben wiedergegebenen Überlegungen in der Beweiswürdigung des BFA, wonach die BF jedenfalls die Möglichkeit habe, sich in Italien an die dortigen (wohl nicht örtlich zuständigen) Polizeibehörden zu wenden und eine drohende Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte im Falle einer Überstellung nach Italien nicht ersichtlich sei, nicht ausreichend.
Art. 4 EMRK verbietet Menschenhandel als solchen. Der EGMR hat in seiner Entscheidung Rantsev gg. Zypern und Russland, Urteil vom 7.1.2010, Bsw.Nr. 25965/04 dargelegt, dass die Staaten verpflichtet sind, einen rechtlichen und administrativen Rahmen zu seiner Bekämpfung zu schaffen und (potentielle) Opfer zu schützen. Bestehen Gründe für die Annahme, eine bestimmte Person sei Opfer von Menschenhandel oder in Gefahr Opfer zu werden, so müssen die Behörden operative Maßnahmen zu ihrem Schutz treffen und eine Untersuchung durchführen.
Die Beschwerde verweist jeweils zutreffend darauf, dass bei Opfern von Menschenhandel ein Eingriff nach Art. 4 EMRK vorliegt und diesbezüglich auch weitere Übereinkommen und Richtlinien gelten, die bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen zu einem Selbsteintritt Österreichs gemäß Art. 17 Dublin III-VO führen können.
Im vorliegenden Fall kann zum Entscheidungszeitpunkt des BVwG aufgrund der mangelnden Sachverhaltserhebungen durch die erstinstanzliche Behörde nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, ob bei der BF eine reale Gefährdung ihrer insbesondere durch Art. 4 EMRK gewährleisteten Rechte im Falle ihrer Überstellung nach Italien beziehungsweise ob die Voraussetzungen für einen Selbsteintritt Österreichs nach Art. 17 Dublin III-VO vorliegen. Die BF hat am 17.07.2018 den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "besonderer Schutz" gemäß
§ 57 Abs. 1 Z 2 AsylG persönlich beim BFA abgegeben und ist über einen solchen Antrag gemäß § 57 Abs. 3 AsylG binnen sechs Wochen zu entscheiden, wobei vor einer allfälligen Erteilung eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion eingeholt werden muss (diese stammt im vorliegenden Fall vom 14.09.2018 und langte am 19.09.2018 beim BFA ein) und bis zum Einlangen dieser Stellungnahme der sechswöchige Fristenlauf gehemmt ist. Das Ergebnis über den eingebrachten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "besonderer Schutz" ist im vorliegenden Fall nach Ansicht des erkennenden Gerichts untrennbar mit der gegenständlich angefochtenen Entscheidung verbunden. Im konkreten Fall der BF wäre daher unter Einbeziehung der vorherigen Erwägungen und aufgezeigten Unterschiede zum Erkenntnis des VwGH vom 14.09.2016, Ra 2016/18/0077 eine vorangehende Klärung der Frage notwendig, ob der BF ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG erteilt wird (wobei erneut auf die Stellungnahme der Landespolizeidirektion Wien vom 14.09.2018 verwiesen wird, wonach die Voraussetzungen dafür vorliegen beziehungsweise keine Bedenken gegen den Aufenthaltstitel bestehen würden). Auch wenn gemäß § 58 Abs. 13 AsylG ein Antrag gem. § 57 AsylG kein Aufenthalts- oder Bleiberecht begründet, ist nicht auszuschließen, dass unter Berücksichtigung der zur alten Rechtslage ergangenen höchstgerichtlichen Judikatur des VwGH (VwSlg 17777 A/2009) ein allgemeines Recht abgeleitet werden kann, die Entscheidung über einen Antrag nach § 57 AsylG im Inland abzuwarten (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, Kommentar (Wien-Graz 2016), § 57 AsylG 2005, K5).
Wie dargelegt, wurde im gegenständlichen Fall der entscheidungsrelevante Sachverhalt trotz bestehender Möglichkeit nicht ausreichend ermittelt, weshalb zwingend nach § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG vorzugehen war.
Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG unterbleiben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im Übrigen trifft § 21 Abs. 3 BFA-VG eine klare, im Sinne einer eindeutigen, Regelung (vgl. OGH 22.03.1992, 5Ob105/90), weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.
Schlagworte
Aufenthaltstitel, Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W175.2158250.2.00Zuletzt aktualisiert am
16.01.2019