Entscheidungsdatum
15.11.2018Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W176 2173725-1/7E
W176 2173727-1/7E
W176 2173726-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. NEWALD über die Beschwerde von (1.) XXXX ), geboren am XXXX .1966, (2.) XXXX , geboren am XXXX .1967, sowie (3.) XXXX , geboren am XXXX .1995, alle syrische Staatsangehörige, alle vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen die Spruchpunkte I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 16.10.2017,
(1.) Zl. 1085744607-152070075, (2.) Zl. 1085745506-152070164, bzw.
(3.) Zl. 1096985407-151882101, nach Durchführung einer öffentlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. Nr. 33/2013 (VwGVG), als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
1.1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin, ein Ehepaar, reisten am XXXX .12.2015 (nach Asylgewährung an ihren Sohn XXXX ) mittels - an der österreichischen Vertretungsbehörde in Istanbul ausgestellter - Visa in das Bundesgebiet ein und brachten am XXXX .12.2015 Anträge auf internationalen Schutz ein; diese begründeten sie bei ihrer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 29.12.2015 sowie bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am XXXX .09.2017 im Wesentlichen damit, dass sie syrische Staatsangehörige kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit seien, aus dem Bezirk XXXX , Provinz Hasaka, stammten und Verfolgung durch den "Islamischen Staat" (IS) befürchteten; auch herrsche in Syrien Krieg. Die Zweitbeschwerdeführerin gab überdies an, die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG) hätten wollen, dass ihre Söhne mitkämpfen, was der Erstbeschwerdeführer und sie aber abgelehnt hätten.
2. Die Drittbeschwerdeführerin, die (volljährige) Tochter des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin, war im November 2015 illegal nach Österreich eingereist und hatte am XXXX .11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht, zu dem sie bei ihrer Erstbefragung am XXXX .11.2015 und ihrer Einvernahme vor dem BFA am XXXX .09.2017 im Wesentlichen Folgendes ausführte: In Syrien herrsche Krieg, das Land werde von Terrorgruppen beherrscht. Diese hätten sie bedroht und ihnen gesagt, dass sie mit ihnen kämpfen müssten. Sie hätten große Angst vor dem IS gehabt. Auch hätten die YPG-Leute gefragt, ob sie mitkämpfen wolle; sie habe das verneint und sei dann in die Türkei gegangen.
3. Mit den angefochtenen Bescheiden wies das BFA die Anträge der beschwerdeführenden Parteien auf internationalen Schutz jeweils hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005), ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihnen gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status von subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 befristete Aufenthaltsberechtigungen (Spruchpunkt III.).
Die Abweisung der Anträge im Asylpunkt begründete das BFA damit, dass eine Verfolgung der beschwerdeführenden Parteien aus asylrelevanten Gründen nicht habe festgestellt werden können. Zur Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten verwies es auf die allgemeine Lage in Syrien.
Gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG wurde den beschwerdeführenden Parteien ein Rechtsberater zur Seite gestellt.
4. Jeweils gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide richtet sich die fristgerecht eingebrachte (von den beschwerdeführenden Parteien gemeinsam erhobene) Beschwerde, in der zusammengefasst Folgendes vorbracht wird: Die Fluchtgründe der - der kurdischen Volksgruppe angehörenden - beschwerdeführenden Parteien bestünden in der Furcht, im Bürgerkrieg zwischen die Fronten zu geraten, in der Verfolgung aus politischen Gründen wegen ihrer Herkunft und der ihnen unterstellten politischen Gesinnung sowie wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, auch aufgrund der Gefahr geschlechtsspezifischer Verfolgung. Sie hätten eine politische Verfolgung durch das syrische Regime angeführt, dies aufgrund ihrer Eigenschaft als Kurden und ihrer Herkunft aus einer Gegend, die vom IS kontrolliert worden sei. Auch seien die Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen durch das Erstarken der verschiedenen islamistischen Terrorgruppierungen in Syrien in Gefahr, in der Ausübung fundamentaler Menschenrechte eingeschränkt zu sein; aufgrund ihrer westlichen Lebensausrichtung sei ihnen eine Rückkehr nach Syrien unzumutbar.
5. In der Folge legte das BFA die Beschwerde samt den Bezug habenden Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht zu Entscheidung vor.
6. Am 09.11.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche Beschwerdeverhandlung statt, in der die beschwerdeführenden Parteien abermals zu ihren Fluchtgründen einvernommen wurden. Der Beschwerdevertreter brachte vor, dass einerseits - in Hinblick auf die Flucht zahlreicher Familienangehöriger vor dem Militärdienst, der Herkunft der beschwerdeführenden Parteien und ihrer illegalen Ausreise - die Gefahr einer Verfolgung durch das syrische Regime und andererseits eine Gefährdung durch die kurdischen Milizen bestehe; die Länderberichte zeigten, dass derartige Zwangsrekrutierungen seitens der YPG stattfänden und dass eine Verweigerung der Teilnahme als Opposition ausgelegt werde. Überdies hätte dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin abgeleitet von ihrem Sohn XXXX Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden müssen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1.1. Die beschwerdeführenden Parteien sind syrische Staatsangehörige sunnitisch-muslimischen Glaubens und gehören der kurdischen Volksgruppe an. Sie stammen aus dem - 10 km von der syrisch-türkischen Grenze und 30 km von der syrisch-irakischen Grenze entfernt gelegenen Dorf XXXX und haben Syrien verlassen, indem sie die syrisch-türkische Grenze illegal überquerten.
XXXX ist der Sohn des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin und ist am XXXX .1998 geboren.
1.2. Die beschwerdeführenden Parteien haben im Falle einer Rückkehr nach Syrien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten.
1.2. Zur maßgebliche Lage in Syrien:
Politische Lage
Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit über 50 Jahren, seit Hafez al-Assad 1963 mit fünf anderen Offizieren einen Staatsstreich durchführte und sich dann 1971 als der Herrscher Syriens ernannte. Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad diese Position. Seit dieser Zeit haben Vater und Sohn keine politische Opposition geduldet. Jegliche Versuche eine politische Alternative zu schaffen wurden sofort unterbunden, auch mit Gewalt (USCIRF 26.4.2017). 2014 wurden Präsidentschaftswahlen abgehalten, welche zur Wiederwahl von Präsident Assad führten (USDOS 3.3.2017). Bei dieser Wahl gab es erstmals seit Jahrzehnten zwei weitere mögliche, jedoch relativ unbekannte, Kandidaten. Die Präsidentschaftswahl wurde nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten abgehalten, wodurch ein großer Teil der syrischen Bevölkerung nicht an der Wahl teilnehmen konnte. Die Wahl wurde als undemokratisch bezeichnet. Die syrische Opposition bezeichnete sie als "Farce" (Haaretz 4.6.2014; vgl. USDOS 13.4.2016).
Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat (USDOS 3.3.2017). Am 13.4.2016 fanden in Syrien Parlamentswahlen statt. Das Parlament wird im Vier-Jahres-Rhythmus gewählt, und so waren dies bereits die zweiten Parlamentswahlen, welche in Kriegszeiten stattfanden (Reuters 13.4.2016; vgl. France24 17.4.2017). Die in Syrien regierende Baath-Partei gewann gemeinsam mit ihren Verbündeten unter dem Namen der Koalition der "Nationalen Einheit" 200 der 250 Parlamentssitze. Die syrische Opposition bezeichnete auch diese Wahl, welche erneut nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten stattfand, als "Farce". Jeder der 200 Kandidaten auf der Liste der "Nationalen Einheit" bekam einen Parlamentssitz. Die Vereinten Nationen gaben an, die Wahl nicht anzuerkennen (France24 17.4.2016). Die Verfassungsreform von 2012 lockerte die Regelungen bezüglich der politischen Partizipation anderer Parteien. In der Praxis unterhält die Regierung jedoch noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernstzunehmenden Konkurrenten zur Regierung Assads entwickeln könnten (FH 1.2017)
Seit 2011 tobt die Gewalt in Syrien. Aus anfangs friedlichen Demonstrationen ist ein komplexer Bürgerkrieg geworden, mit unzähligen Milizen und Fronten. Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weit verbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 10.8.2016). Die Arabische Republik Syrien existiert formal noch, ist de facto jedoch in vom Regime, von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) und von anderen Rebellen-Fraktionen oder dem sogenannten Islamischen Staat (IS) kontrollierte Gebiete aufgeteilt (BS 2016). Der IS übernahm seit 2014 vermehrt die Kontrolle von Gebieten in Deir ez-Zour und Raqqa, außerdem in anderen Regionen des Landes und rief daraufhin ein "islamisches Kalifat" mit der Hauptstadt Raqqa aus (USDOS 3.3.2017). Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung nur ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer, die noch nicht aus Syrien geflohen sind, leben (Reuters 13.4.2016). Verschiedene oppositionelle Gruppen mit unterschiedlichen Ideologien und Zielen kontrollieren verschiedene Teile des Landes. Vielfach errichten diese Gruppierungen Regierungsstrukturen bzw. errichten sie wieder, inklusive irregulär aufgebauter Gerichte (USDOS 3.3.2017). Seit 2016 hat die Regierung große Gebietsgewinne gemacht, jedoch steht noch beinahe die Hälfte des syrischen Territoriums nicht unter der Kontrolle der syrischen Regierung. Alleine das Gebiet, welches unter kurdischer Kontrolle steht wird auf etwa ein viertel des syrischen Staatsgebietes geschätzt (DS 23.12.2017; vgl. Standard 29.12.2017).
Russland, der Iran, die libanesische Hisbollah-Miliz und schiitische Milizen aus dem Irak unterstützen das syrische Regime militärisch, materiell und politisch. Seit 2015 schickte Russland auch Truppen und Ausrüstung nach Syrien und begann außerdem Luftangriffe von syrischen Militärbasen aus durchzuführen. Während Russland hauptsächlich auf von Rebellen kontrollierte Gebiete abgezielt, führt die von den USA geführte internationale Koalition Luftangriffe gegen den IS durch (FH 27.1.2016; vgl. AI 24.2.2016).
Im Norden Syriens gibt es Gebiete, welche unter kurdischer Kontrolle stehen und von den Kurden Rojava genannt werden (Spiegel 16.8.2017). 2011 soll der damalige irakische Präsident Jalal Talabani ein Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), deren Mitglieder die PYD gründeten, vermittelt haben: Im September 2011 stellte der iranische Arm der PKK, die Partei für ein Freies Leben in Kurdistan (Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê - PJAK), ihren bewaffneten Kampf gegen den Iran ein. Etwa zur selben Zeit wurde die PYD in Syrien neu belebt. Informationen zahlreicher Aktivisten zufolge wurden bis zu zweihundert PKK-Kämpfer aus der Türkei und dem Irak sowie Waffen iranischer Provenienz nach Syrien geschmuggelt. Aus diesem Grundstock entwickelten sich die Volksverteidigungseinheiten (YPG). Ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel begann die PYD, die kurdische Bevölkerung davon abzuhalten, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine "zweite Front" in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Baath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden ?Afrin, ?Ain al-?Arab (Kobanî) und die Dschazira von PYD und YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (ES BFA 8.2017). Im März 2016 wurde die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte. Afrin steht zwar unter kurdischer Kontrolle, ist jedoch nicht mit dem Rest des kurdischen Gebietes verbunden (ICC 4.5.2017; vgl. IRIN 15.9.2017). Das von der PYD in den kurdischen Gebieten etablierte System wird von der PYD als "demokratische Autonomie" bzw. "demokratischer Konföderalismus" bezeichnet. "Demokratischer Konföderalismus" strebt danach, die lokale Verwaltung durch Räte zu stärken, von Straßen- und Nachbarschaftsräten über Bezirks- und Dorfräte bis hin zu Stadt- und Regionalräten. "Demokratischer Konföderalismus" muss somit als Form der Selbstverwaltung verstanden werden, in der Autonomie organisiert wird. Die Realität sieht allerdings anders aus. Tatsächlich werden in "Rojava" Entscheidungen weder von den zahlreichen (lokalen) Räten getroffen, noch von Salih Muslim und Asya Abdullah in ihrer Funktion als Co-Vorsitzende der PYD, stattdessen liegt die Macht bei der militärischen Führung im Kandilgebirge, die regelmäßig hochrangige Parteikader nach Syrien entsendet (ES BFA 8.2017 und ICC 4.5.2017). In den kurdischen Gebieten haben die Bürger durch die PYD auch Zugang zu Leistungen, wobei die Partei unter anderem die Bereitstellung von Leistungen nutzt, um ihre Macht zu legitimieren. Die Erbringung öffentlicher Leistungen variiert jedoch. In Gebieten, in denen die PYD neben Behörden der Regierung existiert, haben sich zahlreiche Institutionen entwickelt und dadurch wurden Parallelstrukturen geschaffen. In Gebieten in denen die PYD mehr Kontrolle besitzt, bleibt die Macht in der Hand der PYD zentralisiert, trotz den Behauptungen der PYD die Macht auf die lokale Ebene zu dezentralisieren (CHH 8.12.2016).
Noch sind die beiden größeren von Kurden kontrollierten Gebietsteile voneinander getrennt, das Ziel der Kurden ist es jedoch entlang der türkischen Grenze ein zusammenhängendes Gebiet unter ihre Kontrolle zu bringen (Spiegel 16.8.2016). Der Ton zwischen Assad und den an der Seite der USA kämpfenden syrischen Kurden hat sich in jüngster Zeit erheblich verschärft. Assad bezeichnete sie zuletzt als "Verräter". Das von kurdischen Kämpfern dominierte Militärbündnis der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) konterte, Assads Regierung entlasse "Terroristen" aus dem Gefängnis, damit diese "das Blut von Syrern jeglicher Couleur vergießen" könnten (Standard 29.12.2017).
Die Bevölkerung besteht überwiegend aus Arabern (hauptsächlich Syrer, Palästinenser und Iraker). Ethnische Minderheiten sind Kurden, Armenier, Turkmenen und Tscherkessen (AA 8.2016). Dazu kommen die chaldäischen und assyrischen Christen (Chaldeans 1999).
Innerhalb der Minderheiten gibt es eine Spaltung zwischen Gegnern und Befürwortern des syrischen Regimes (BBC 24.12.2012; vgl. MRG 12.7.2016; zu Christen vgl. z.B. DS 21.2.2014).
Frauen
Außerhalb der Gebiete, die unter der Kontrolle des Regimes stehen, unterscheiden sich die Bedingungen für Frauen sehr stark voneinander. Von extremer Diskriminierung, sexueller Versklavung und erdrückenden Verhaltens- und Kleidungsvorschriften in Gebieten des IS, zu formaler Gleichberechtigung in den Gebieten unter der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD), wo Regierungssitze immer von einer Frau und einem Mann besetzt sind und Frauen in der Politik und im Militärdienst gut vertreten sind (FH 1.2017).
Frauen in Syrien haben eine relativ lange Historie der Emanzipation und vor dem Konflikt war Syrien eines der vergleichsweise fortschrittlicheren Länder der Arabischen Welt in Bezug auf Frauenrechte. Die Situation von Frauen verschlechtert sich durch den andauernden Konflikt dramatisch, weil Frauen Opfer unterschiedlicher Gewalthandlungen der verschiedenen Konfliktparteien werden. Aufgrund der Kampfhandlungen (orig. shelling) zögern Familien, Frauen und Mädchen das Verlassen des Hauses zu erlauben. Sie nehmen diese aus der Schule, was zur Minderung der Rolle von Frauen und zu ihrer Isolation in der Gesellschaft führt (BFA 8.2017).
In oppositionellen Gebieten, welche von radikalislamistischen Gruppen kontrolliert werden (z.B. in Idlib oder umkämpften Gebieten östlich von Damaskus), sind Frauen besonders eingeschränkt. Es ist schwer für sie, für einfache Erledigungen das Haus zu verlassen. Außerdem ist es schwierig für sie zu arbeiten, weil sie unter Druck stehen, zu heiraten. Dies hängt jedoch von der Region ab (BFA 8.2017).
Extremistische Gruppierungen wie der sogenannte Islamische Staat (IS) oder Jabhat Fatah ash-Sham setzen Frauen in den von ihnen kontrollierten Gebieten diskriminierenden Beschränkungen aus. Solche Beschränkungen sind z.B. strikte Kleidervorschriften, Einschränkungen bei der Teilnahme am öffentlichen Leben, bei der Bewegungsfreiheit und beim Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt. In Gebieten, die der IS kontrolliert(e), wurde ein Dokument veröffentlicht, welches Frauen unter Androhung der Todesstrafe die Befolgung von 16 Punkten vorschreibt. Die Punkte waren unter anderem, das Haus nicht ohne einen männlichen nahen Verwandten (mahram) zu verlassen, weite Kleidung, ein Kopftuch und einen Gesichtsschleier zu tragen, Friseursalons zu schließen, in der Öffentlichkeit nicht auf Stühlen zu sitzen und keine männlichen Ärzte aufzusuchen (USDOS 3.3.2017; vgl. BFA 8.2017). In Raqqa gründete der IS die "al-Khansaa"-Brigade, welche hauptsächlich aus nicht-syrischen Frauen besteht und die Regeln des IS bei anderen Frauen durchsetzten soll (USDOS 3.3.2017). Familien werden auch gezwungen ihre Töchter an IS-Kämpfer zu verheiraten. Jabhat Fatah ash-Sham [Anm.: vormals Jabhat al-Nusra] ist Frauen gegenüber etwas weniger restriktiv, die Situation ist jedoch ähnlich. Generell wird die Lage junger unverheirateter Frauen in Syrien allgemein, im Speziellen jedoch in den von radikalislamistischen Gruppierungen kontrollierten Gebieten, als prekär bezeichnet (BFA 8.2017).
Syrien ist ein multireligiöses und multiethnisches Land mit einer muslimischen Mehrheit und mehreren religiösen Minderheiten. Die unterschiedlichen religiösen Gemeinschaften haben seit Langem das Recht, bestimmte Angelegenheiten des Familienrechtes entsprechend ihren jeweiligen religiösen Vorschriften zu regeln. Das Syrische Personenstandsgesetz von 1953 regelt das Familienrecht, mit Gesetzesnovellen von 1975, 2003 und 2010, und basiert vorwiegend auf islamischen Rechtsquellen wie der Hanafitischen Rechtslehre. Das syrische Personenstandsgesetz gilt für alle Syrer, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit. Es erlaubt jedoch drusischen, jüdischen oder christlichen Gemeinden eine beschränkte juristische Autonomie in Personenstandsangelegenheiten wie Verlobung, Bedingungen bei der Eheschließung, Eheschließung, Gehorsam der Ehefrau, Unterhalt für Ehefrauen und Kinder, Annullierung und Scheidung, Mitgift, Pflege und seit 2010 Erbe und Nachlass. Das Syrische Personenstandsrecht und die Scharia-Gerichte, die dieses Recht anwenden, haben jedoch klaren Vorrang gegenüber den nicht-muslimischen Gerichten. Es gilt als das "generelle Gesetz", während beispielsweise christliche Gesetze "spezielle Gesetze", also Ausnahmen vom generellen Gesetz sind. Nicht nur die verschiedenen Religionsgruppen, sondern sogar unterschiedliche Konfessionen haben eine eigene Gesetzgebung in gewissen personenstandsrechtlichen Angelegenheiten. So gibt es z.B. drei orthodoxe, ein katholisches und ein evangelisches Personenstandsgesetz [bezüglich der genannten Angelegenheiten, Anm.] (Eijk 2013).
Viele Abschnitte des Familien- und Strafrechtes diskriminieren Frauen, darunter das Personenstandsgesetz und das Staatsbürgerschaftsrecht (USDOS 3.3.2017; vgl. Eijk 2013). Eine christliche oder jüdische Frau kann einen muslimischen Mann heiraten, eine muslimische Frau kann jedoch laut Gesetz keinen nicht-muslimischen Mann heiraten. Wenn ein nicht-muslimischer Mann eine muslimische Frau heiraten möchte, müsste er zum Islam konvertieren. Eine christliche oder jüdische Ehefrau eines muslimischen Mannes muss zwar nicht konvertieren, kann jedoch nichts von ihrem Mann erben und ihre Kinder werden automatisch Muslime. Gemischtreligiöse Ehen sind in Syrien selten, existieren aber. Sie werden aber häufig geheim geschlossen oder nicht offiziell registriert, weil sie von der Gesellschaft verurteilt werden (Eijk 2013; vgl. USDOS 15.8.2017). Eine Ehe zwischen einer muslimischen Frau und einem nicht-muslimischen Mann ist ungültig und wäre laut Gesetz nicht-existent, selbst wenn die Ehe bereits vollzogen wurde (Eijk 2013).
Das laut syrischem Personenstandsgesetz heiratsfähige Alter ist bei Männern 18 Jahre und bei Frauen 17 Jahre. Eine Frau, die jünger als 17 Jahre ist, braucht die Zustimmung ihres gesetzlichen Vormundes. Bei einer Frau, die 17 Jahre oder älter ist, wird das Gericht den Vormund nach seiner Meinung fragen, kann die Frau jedoch auch gegen den Willen des Vormundes, aber mit Zustimmung des Gerichtes, verheiraten (Eijk 2013).
Ehen sollten in oder durch ein Gericht geschlossen werden. Ehen, die außerhalb des Gerichts geschlossen werden, können jedoch auch als gültig angesehen werden, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt werden. Diese Ehen werden oft als "traditionelle Ehen" oder "'urfi-Ehen" bezeichnet. 'Urfi-Ehen werden nicht immer registriert, es scheint sogar so, dass Personen 'urfi-Ehen nur dann registrieren, wenn es einen rechtlichen Grund dafür gibt, z.B. durch aus der Ehe entstandene Kinder. Andere Gründe für eine traditionelle Ehe können sein, dass das Paar unterschiedlichen islamischen Konfessionen angehört, dass es gegen die Wünsche der Familie heiratet, oder weil es sich um eine polygame Ehe handelt (mit oder ohne dem Wissen der ersten Ehefrau), die grundsätzlich im syrischen Personenstandsrecht erlaubt, jedoch strukturell beschränkt ist. Ein weiterer Grund ist, dass Männer, die in der Armee dienen, eine Genehmigung der Armee für eine Eheschließung benötigen. Ein Mann kann auch einer solchen Ehe zustimmen, um dem unehelichen Kind seiner Frau einen Vater und somit einen Familiennamen zu geben. Selbst wenn nicht alle Bedingungen erfüllt werden, tendieren Richter dazu 'urfi-Ehen zu registrieren, speziell wenn bereits Kinder in die Ehe geboren wurden. Wenn eine 'urfi-Ehe registriert ist, wird sie als rechtsgültige Ehe angesehen (Eijk 2013). Neben Männern, die in der Armee dienen und eine Genehmigung der Armee zur Eheschließung benötigen, benötigen auch Paare, bei denen ein Partner ausländischer Staatsbürger ist, eine Genehmigung, in diesem Fall von den Sicherheitsbehörden (Eijk 2013).
Das Datum der Eheschließung wird bei einer nachträglichen Registrierung vom Gericht bestimmt. Wenn das Gericht die traditionelle Eheschließung als gültig anerkennt ist das Datum der traditionellen Eheschließung das Datum der Eheschließung und nicht das Datum der Registrierung. Da es auch möglich ist Kinder ex post facto zu registrieren (oftmals gleichzeitig mit der Registrierung der Ehe) und Kinder im Kontext einer Ehe geboren werden sollten, sollte das Hochzeitsdatum hierbei jedenfalls vor dem Geburtsdatum der Kinder liegen. Daher würde es laut der Expertin für syrisches Ehe- und Familienrecht Esther van Eijk, Sinn machen, dass das Gericht das Datum der traditionellen Eheschließung als das "echte Hochzeitsdatum" festlegt (Eijk 4.1.2018). Stellvertreterehen und die Registrierung einer Ehe durch einen Stellvertreter sind möglich, selbst wenn beide Ehepartner von einem Stellvertreter repräsentiert werden (Eijk 2.1.2018).
Für Kinder, die in eine bestehende Ehe geboren werden, gilt automatisch der Ehemann als Vater der Kinder (Eijk 2013).
Das syrische Personenstandsrecht erkennt auf Basis des islamischen Rechts drei Arten der Scheidung an: einseitige Scheidung oder Verstoßung durch den Ehemann (talaq), Scheidung mit gegenseitigem Einverständnis (mukhala'a) und gerichtliche Scheidung (tafriq) (Eijk 2013).
Die einseitige Verstoßung der Ehefrau durch den Ehemann ist die gängige Version der Scheidung, wobei der Ehemann die Scheidung verbal oder schriftlich aussprechen kann. In einer Wartezeit von etwa drei Monaten kann er seine Ehefrau noch zurücknehmen. Wenn der Ehemann jedoch zum dritten Mal die Scheidung ausspricht gilt diese als final. Die Scheidung kann vor einem Richter oder außerhalb des Gerichtes ausgesprochen und im Nachhinein beim Gericht registriert werden. Diese relativ verbreitete Art der Scheidung führt jedoch zu Fällen von Frauen die das Gericht aufsuchen müssen, um zu erfahren, ob sich ihre Ehemänner von ihnen scheiden haben lassen (Eijk 2013).
Die einvernehmliche Scheidung wird häufig von der Frau initiiert und beinhaltet oftmals eine Vereinbarung, laut der der Ehemann sein Einverständnis für die Scheidung gibt und die Ehefrau im Gegenzug teilweise oder gänzlich auf Unterhalt verzichtet. Der entsprechende Vertrag kann im Gericht geschlossen werden, oder außerhalb des Gerichtes geschlossen und ex post facto registriert werden. Jedenfalls muss die Ehefrau beim Gericht erscheinen und ihren Verzicht auf Unterhalt bekanntgeben (Eijk 2013).
Es gibt unterschiedliche Gründe auf Basis derer eine gerichtliche Scheidung beantragt werden kann. Scheidung aufgrund von Krankheit oder Mangel (orig. defect) des Ehemannes, Abwesenheit oder Verschwinden des Ehemannes, Unterlassen der Unterhaltszahlungen des Ehemannes oder aufgrund von Eheproblemen. Bei dieser Art der Scheidung müssen jedoch bestimmte Beweise vorgelegt werden. Wenn beispielsweise eine Ehefrau aufgrund von Abwesenheit ihres Ehemannes die Scheidung einreichen will, muss sie diesbezüglich zweimal in drei verschiedenen nationalen Zeitungen eine Anzeige stellen (Eijk 2013; vgl. Emory o.D.).
Eine Ehe, die in einer Kirche geschlossen wird, wird vom Staat als gültige Ehe anerkannt. Nach der Zeremonie sendet die Kirche die Unterlagen an das Zivilregisterbüro (Eijk 2013).
Laut christlichem Familienrecht ist die Ehe ein Sakrament und es ist daher sehr schwierig sich scheiden zu lassen. Die katholische Kirche erkennt Scheidung nicht an, lediglich die Annullierung ist unter bestimmten Bedingungen möglich. Dies führt teilweise zu drastischen Maßnahmen wie einer Konversion zum Islam eines Ehepartners, um eine Scheidung zu erwirken (Eijk 2013; vgl. BFA 8.2017), wobei die erste Ehefrau noch immer an den Ehemann gebunden ist (BFA 8.2017). Das Islamische Recht sieht nach einer Scheidung zwei Konzepte des Sorgerechtes für Kinder vor. Erstens die Vormundschaft (wilaya), welche immer der Vater innehat, und zweitens die physische Obhut/Obsorge (hadana). Im Falle einer Scheidung kann die Mutter die physische Obsorge über die Kinder erhalten, bis diese ein bestimmtes Alter erreichen, wobei die Altersgrenze hierbei von der Konfession abhängt (BFA 8.2017; vgl. Eijk 2013). Laut Syrischem Personenstandsrecht liegt diese Altersgrenze für Mädchen bei 15 und für Buben bei 13 Jahren (Eijk 2013; vgl. USDOS 15.8.2017). Die Gesetze bezüglich Vormundschaft (wilaya) sind laut syrischem Personenstandsrecht für alle Religionen/Konfessionen anzuwenden, zur Obsorge (hadana) haben jedoch die jüdischen und christlichen Gemeinden eigene Regelungen (Eijk 2013). In manchen Fällen werden Scharia-Gerichte gegenüber nicht-islamischen Gerichten bevorzugt, in der Hoffnung vorteilhaftere Urteile zu erreichen. Zum Beispiel gibt es Fälle, in denen christliche Männer zum Islam konvertiert sind und vor Scharia-Gerichten das volle Sorgerecht, also Obsorge und Vormundschaft, für ihre Kinder eingefordert haben (Eijk 2013). Frauen können das Obsorgerecht auch verlieren. Etwa wenn die Mutter Christin, der Vater aber Muslim ist, könnte der Vater im Falle einer Scheidung argumentieren, dass die Mutter die Kinder nicht richtig erziehen kann. Dies kann auch der Fall sein, wenn die Mutter erneut eine Ehe eingeht. In den muslimischen, christlichen und drusischen Konfessionen kann es für eine Frau sehr schwer sein, die Obsorge über Kinder zu erhalten. Selbst wenn die Mutter die Obsorge innehat, besitzt der Vater stets die Vormundschaft über die Kinder und somit Entscheidungsgewalt über ihre Ausbildung oder Reisebewegungen der Kinder. Minderjährige Kinder können nicht ohne schriftliche Genehmigung ihres Vaters ins Ausland reisen, selbst wenn sie sich in Begleitung ihrer Mutter befinden. Wenn der Vater neben der Vormundschaft auch die Obsorge über die Kinder hat, bleiben diese nach einer Scheidung sehr wahrscheinlich bei dessen Familie. Auch nach dem Tod des Vaters geht die Vormundschaft nicht auf die Mutter, sondern auf die Familie des Vaters über. Kinder können so als Druckmittel benutzt werden, um die Frau dazu zu bringen, sich nicht scheiden zu lassen oder auf Unterhaltszahlungen zu verzichten. Im Falle einer Scheidung zeigen die Gerichtsdokumente der Scheidungsverhandlung, wem das Obsorgerecht zugesprochen wurde. Ein gesondertes Dokument über den Zuspruch der Obsorge ist nicht bekannt (BFA 8.2017).
Frauen, deren Ehemänner als vermisst gelten, können sich unter bestimmten Umständen weder scheiden lassen, noch gelten sie als Witwen, solange es keinen Beweis für den Tod des Ehemannes gibt. Wenn der Ehemann vermisst wird, bleibt er dennoch der Vormund der Ehefrau, und sie gilt rechtlich weiterhin als verheiratet. Gleichzeitig hat sie aber den Ernährer der Familie verloren und ist so von ihrer Verwandtschaft abhängig. Dies gilt auch für Frauen, deren Männer inhaftiert sind, und die nicht wissen, ob diese überhaupt noch am Leben sind. Es gibt keinen rechtlichen Schutzmechanismus, der diesem Problem entgegenwirken würde. Dies kann zur Vulnerabilität von Frauen führen und sie dem Risiko einer Ausbeutung aussetzen, welche auch von Verwandten ausgehen kann (BFA 8.2017).
Frauen können die syrische Staatsbürgerschaft nicht an ihre Kinder weitergeben, und es gibt keine Anzeichen, dass eine Änderung der diesbezüglichen Gesetzgebung überhaupt angedacht wird. Dass Frauen die Staatsbürgerschaft nicht weitergeben können, kann ein Problem sein, z.B. für Frauen, die einen ausländischen Kämpfer geheiratet haben und manchmal nicht einmal den echten Namen des Mannes kennen. Kinder aus einer solchen Ehe sind prima facie staatenlos. Das Gesetz erlaubt grundsätzlich die Weitergabe der Staatsbürgerschaft durch die Mutter, wenn das Kind in Syrien geboren wurde und der Vater "unbekannt" ist. In der Praxis wird betroffenen Kindern die Staatsbürgerschaft jedoch nicht immer zuerkannt. Wenn ein Kind im Ausland geboren wurde, kann es die syrische Staatsbürgerschaft nur erlangen, wenn der Vater syrischer Staatsbürger ist. Wenn eine Geburt nicht registriert wird, führt dies für das Kind zu bestimmten Einschränkungen im Zugang zu Leistungen, wie Abschlusszeugnissen, Zugang zu Universitäten, Zugang zu formaler Beschäftigung, Dokumenten und zivilem Schutz (BFA 8.2017). Eine Mutter kann ihrem Kind auch nicht ihren Nachnamen geben, ohne Nachnamen wird dem Kind keine Identitätskarte ausgestellt, und es wird nicht in die Schule gehen, ins Ausland reisen oder Eigentum besitzen können. Für eine unverheiratete Frau bleibt nur die Option das Kind bei einem Waisenhaus als Findling zurück zu lassen oder einen Mann zu finden, der sie heiratet und das Kind als sein eigenes anerkennt (Eijk 2013). Kinderehen gab es in Syrien bereits vor dem Konflikt. Im Zuge dessen steigt seither die Zahl an Früh- und Zwangsehen jedoch an, wobei sich die Dynamik und die Gründe für eine Ehe verändert haben (BFA 8.2017). Besonders bei vertriebenen und flüchtenden Familien ist die Anzahl der Kinderehen hoch (FH 1.2017), und junge Mädchen werden aus Gründen der Sicherheit verheiratet, oder um die Mädchen versorgt zu wissen. Dies kann jedoch zur Folge haben, dass manche dieser Ehen zu sexueller Ausbeutung führen. Auch aufeinanderfolgende Zeitehen werden immer häufiger und setzen besonders heranwachsende Mädchen dem Risiko von Vergewaltigung, frühen und ungewollten Schwangerschaften und Trauma aus (BFA 8.2017).
Vergewaltigungen sind weit verbreitet und die Regierung und deren Verbündete setzten Vergewaltigungen gegen Frauen, aber auch gegen Männer und Kinder ein, welche als der Opposition zugehörig wahrgenommen werden, um diese zu terrorisieren oder zu bestrafen. Das tatsächliche Ausmaß von sexueller Gewalt in Syrien lässt sich nur schwer einschätzen, weil viele Vergehen nicht angezeigt werden. Es passieren auch Vergewaltigungen durch Wächter und Sicherheitskräfte in Haftanstalten (USDOS 3.3.2017).
Frauen und Mädchen sind besonders im Kontext von Hausdurchsuchungen, an Checkpoints, in Haftanstalten, an Grenzübergängen und nach einer Entführung durch regierungstreue Einheiten von sexueller Gewalt betroffen, während Männer und Jungen vor allem während Verhören in Haftanstalten der Regierung von sexueller Gewalt betroffen sind (WILPF 11.2016 und BFA 8.2017).
Vergewaltigung außerhalb der Ehe ist zwar laut Gesetz strafbar, die Regierung vollstreckt dieses Gesetz jedoch nicht. Außerdem kann der Täter Straffreiheit erlangen, wenn er das Opfer heiratet, um so das soziale Stigma einer Vergewaltigung zu vermeiden (USDOS 3.3.2017). Die gesellschaftliche Tabuisierung von sexueller Gewalt führt zu einer Stigmatisierung von Frauen, die in Haft waren, zur Erniedrigung von Opfern, Familien und Gemeinschaften und zu einer hohen Dunkelziffer bezüglich der Fälle von sexueller Gewalt. Eltern oder Ehemänner verstoßen oftmals Frauen, die während der Haft vergewaltigt wurden oder eine Vergewaltigung auch nur vermutet wird. Es gibt Fälle von Frauen, die nach einer Vergewaltigung Opfer von Ehrenmorden werden. Berichten von NGOs zufolge kam es seit dem Ausbruch des Konfliktes zu einem starken Anstieg bei Ehrenmorden infolge weit verbreiteter Fälle von Vergewaltigungen durch Regierungseinheiten und Ausbeutung durch den IS (BFA 8.2017; vgl. USDOS 3.3.2017). Alleinstehende Frauen sind in Syrien aufgrund des Konfliktes einem besonderen Risiko von Gewalt oder Schikane ausgesetzt, jedoch hängt dies von der sozialen Schicht und der Position der Frau bzw. ihrer Familie ab. Man kann die gesellschaftliche Akzeptanz von alleinstehenden Frauen aber in keinem Fall mit europäischen Standards vergleichen, und Frauen sind potentiell Belästigungen ausgesetzt. In Syrien ist es fast undenkbar als Frau alleine zu leben, da eine Frau ohne Familie keine gesellschaftlichen und sozialen Schutzmechanismen besitzt. Beispielsweise würde nach einer Scheidung eine Frau in den meisten Fällen wieder zurück zu ihrer Familie ziehen. Vor dem Konflikt war es für Frauen unter bestimmten Umständen möglich alleine zu leben, z. B. für berufstätige Frauen in urbanen Gebieten (BFA 8.2017).
Der Zugang von alleinstehenden Frauen zu Dokumenten hängt von deren Bildungsgrad, individueller Situation und bisherigen Erfahrungen ab. Beispielsweise werden ältere Frauen, die immer zu Hause waren, mangels vorhandener Begleitperson und behördlicher Erfahrung nur schwer Zugang zu Dokumenten bekommen können (BFA 8.2017). Im Dezember 2017 hat das von Hay'at Tahrir ash-Sham gestützte Syrian Salvation Government (SSG) in der Provinz Idlib, die großteils von islamistischen Oppositionsgruppen kontrolliert wird, eine Entscheidung verkündet, laut welcher alle Witwen in ihrem Kontrollgebiet mit einem Shari'a-konformen männlichen Familienangehörigen wohnen müssen. Die Meldung warnt auch vor Bestrafung für "jeden der sich nicht nach dieser Regelung richtet", es ist jedoch noch unklar wie die Entscheidung umgesetzt wird (Syria Direct 14.12.2017).
Frauen in von der PYD kontrollierten Gebieten
Die Situation von kurdischen Frauen in den kurdischen Gebieten im Nordosten Syriens ist in Bezug auf Unabhängigkeit, Bewegungsfreiheit und die Vormundschaftsgesetze der selbsternannten Autonomieregierung besser. Frauen und Männer sind auch in der Regierung zu gleichen Teilen repräsentiert. Dies gilt jedoch ausdrücklich nur für kurdische Frauen in den kurdischen Gebieten, nicht jedoch für arabische Frauen in den kurdischen Gebieten oder für kurdische Frauen im Rest Syriens (BFA 8.2017). 2013 akzeptierte die kurdische Autonomieregierung wichtige Maßnahmen, um die Rechte von Frauen zu verbessern. So werden Ehrenmorde nun als strafbare Verbrechen angesehen, Zwangsehen und Eheschließungen von Minderjährigen wurden verboten und Männer, die mehr als eine Ehefrau haben, wurden von allen Organisationen und Komitees ausgeschlossen (TF 27.8.2017).
Im November 2014 beschloss die Autonomieregierung ein Dekret, dass die "Gleichheit zwischen Männern und Frauen in allen Sphären des öffentlichen und privaten Lebens" vorsieht. Demnach haben Frauen in den Augen des Gesetzes den gleichen Status wie Männer, auch zum Beispiel bezüglich Scheidung und Erbrecht. Polygamie, Ehrenmorde und andere Gewalt gegen Frauen wurden verboten (TF 27.8.2017).
Frauenkomitees, Frauenhäuser und Frauenzentren wurden eingerichtet, um Frauen in den Themen Politik, Wirtschaft, Kultur und Recht weiterzubilden, und ihnen die Möglichkeit zu geben über familiäre und soziale Probleme zu sprechen und Lösungen zu finden, wobei auch arabische und christliche Frauen die Zentren nutzen (TF 27.8.2017). Generell gilt jedoch, nicht nur in Bezug auf Frauen, dass sich Organisationen bei der PYD registrieren oder eine Lizenz beantragen müssen, womit die PYD eine gewisse Monopolstellung erreichen will. Organisationen, die dem nicht nachkommen, werden als illegal angesehen (CHH 8.12.2017). Die kurdische Selbstadministration schloss mehrere Organisationen, die sich auf Frauenförderung und Frauenbetreuung spezialisiert hatten (SNHR 25.11.2016).
Die Emanzipation der Frauen in Rojava ist ein laufender Prozess. Gemäß der Aussage von Janet Biehl via Toward Freedom sind dort patriarchale Traditionen tief eingebettet und mit Religion verbunden (TF 27.8.2017). Laut der syrischen Aktivistin Mahwash Sheiki entstanden diese Veränderungen jedoch nicht durch Veränderungen im sozioökonomischen System, sondern waren eine von der PYD-Spitze getroffene Entscheidung, nicht von der breiten Bevölkerung. Die Raten von Fällen von Gewalt gegen Frauen sind jedenfalls gesunken, wobei Polygamie, sexuelle Gewalt, Frühehen, Vergewaltigung etc. noch immer sensible Themen in Nordsyrien sind. Aufgrund des Bürgerkriegs lassen sich die längerfristigen Entwicklungen auch im Bezug auf Frauenrechte schwer einschätzen (Syria Untold 25.3.2017).
Wehr- und Reservedienst
Seit Jahren versuchen immer mehr Männer die Rekrutierung zu vermeiden, indem sie beispielsweise das Land verlassen oder lokalen bewaffneten Gruppen beitreten, die das Regime unterstützen. Jenen, die den Militärdienst verweigern, oder auch ihren Familienangehörigen, können Konsequenzen drohen. Es ist schwer zu sagen, in welchem Ausmaß die Rekrutierung durch die syrische Armee in verschiedenen Gebieten Syriens, die unter der Kontrolle verschiedener Akteure stehen, tatsächlich durchgesetzt wird, und wie dies geschieht. In der syrischen Armee herrscht zunehmende Willkür und die Situation kann sich von einer Person zur anderen unterscheiden.
Die Rekrutierung von männlichen Syrern findet nach wie unvermindert statt. Für männliche syrischen Staatsbürger und Palästinenser, welche in Syrien leben, ist ein Wehrdienst von 18 oder 21 Monaten ab dem Alter von 18 Jahren verpflichtend, außerdem gibt es einen freiwilligen Militärdienst. Frauen können ebenfalls freiwillig einen Militärdienst ableisten. Diejenigen männlichen palästinensischen Flüchtlinge, im Alter von 18 bis 42 Jahren, welche vor 1956 bei der General Administration for Palestine Arab Refugees registriert waren, und deren Nachkommen müssen den verpflichtenden Wehrdienst bei der Palästinensischen Befreiungsarmee (PLA), einer Einheit der syrischen Streitkräfte, ableisten. Für diese Palästinenser gelten die gleichen Voraussetzungen für den Wehrdienst wie für Syrer.
Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit, oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsatz verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. "Rekrut" ist der niedrigste Rang, und die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen.
Normalerweise werden Einberufungsbefehle schriftlich mit der Post zugestellt, zur Zeit wird jedoch eher auf persönlichem Wege zum verpflichtenden Militärdienst rekrutiert, um ein Untertauchen der potentiellen Rekruten möglichst zu verhindern. Zu diesem Zweck werden Mitarbeiter des Rekrutierungsbüros zum Haus der Wehrpflichtigen geschickt. Wenn der Gesuchte zu Hause ist, wird er direkt mitgenommen. Wenn er nicht zu Hause ist, wird der Familie mitgeteilt, dass er sich bei der nächsten Kaserne zu melden habe. Es gibt immer wieder Razzien, wie zum Beispiel Anfang Mai 2017, als bei einem Fußballspiel in Tartus alle Männer beim Verlassen des Stadions versammelt und zum Dienst verpflichtet wurden. Einige Zeit zuvor gab es einen weiteren Vorfall, bei dem vor einem Einkaufszentrum in Damaskus alle wehrfähigen Männer eingesammelt und rekrutiert wurden. Auch ein "Herauspflücken" bei einem der zahlreichen Checkpoints ist weit verbreitet. Die Altersgrenze ist auf beiden Enden des Altersspektrums nur theoretisch und jeder Mann in einem im weitesten Sinne wehrfähigen Alter, kann rekrutiert werden- Berichten zufolge besteht aber auch für - teils relativ junge - Minderjährige die Gefahr, in Zusammenhang mit der Wehrpflicht an Checkpoints aufgehalten zu werden und dabei Repressalien ausgesetzt zu sein. Wenn eine persönliche Benachrichtigung nicht möglich ist, können Männer, die das wehrfähige Alter erreichen, auch durch Durchsagen im staatlichen Fernsehen, Radio oder der Zeitung zum Wehrdienst aufgerufen werden.
Die syrische Armee hat durch Todesfälle, Desertionen und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen. Viele weigern sich, der Armee beizutreten. Die regulären Rekrutierungsmethoden werden in Syrien noch immer angewendet, weil das Regime zeigen will, dass sich nichts verändert hat, und das Land nicht in totaler Anarchie versinkt. Es gibt auch Männer im kampffähigen Alter, die frei in Syrien leben. Dem Regime liegt nicht daran, alle wehrtauglichen Personen in die Flucht zu treiben. Es werden nämlich auch künftig motivierte Kämpfer benötigt.
Bei der Einreise nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder andere Einreisepunkte in Gebiete, die vom syrischen Regime kontrolliert werden, wird bei Männern im wehrfähigen Alter überprüft, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Selbst wenn sie ihren Militärdienst bereits absolviert haben, kommt es vor, dass Männer im wehrfähigen Alter erneut zwangsrekrutiert werden.
Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten haben und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, und auch nicht aus anderen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in SYP leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2000 USD oder das Äquivalent in SYP nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet. Außerdem kann basierend auf einem Beschluss des Finanzministers das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Person, die sich weigert den Betrag zu bezahlen, konfisziert werden
Zusatzinformationen zum Reservedienst
Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, und wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Erreichen des 42. Lebensjahres in den aktiven Dienst einberufen werden. Vor dem Ausbruch des Konflikts bestand der Reservedienst im Allgemeinen nur aus mehreren Wochen oder Monaten Ausbildung zur Auffrischung der im Militär erforderlichen Fähigkeiten, und die Regierung berief Reservisten nur selten ein. Seit 2011 hat sich das jedoch geändert. Es liegen außerdem einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Manche Personen werden zum Reservedienst einberufen, andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Bei der Einberufung von Reservisten ist das Alter weniger entscheidend als der Beruf oder die Ausbildung einer Person, sowie Rang und Position während des bereits abgeleisteten Militärdienstes oder die Einheit, in der gedient wurde. Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert. Reservisten können je nach Gebiet und Fall auch im Alter von 50 bis 60 Jahren zum aktiven Dienst einberufen werden. Sie werden z.B. mittels Brief, den die Polizei persönlich zustellt, oder an Checkpoints rekrutiert.
Das Militärbuch zeigt lediglich Informationen über den verpflichtenden Wehrdienst und nicht, ob eine Person Reservist ist oder nicht. Männer können ihren Dienst-/Reservedienststatus bei der Militärbehörde überprüfen. Die meisten würden dies jedoch nur auf informellem Weg tun, um zu vermeiden, sofort rekrutiert zu werden. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird.
Befreiung und Aufschub
Es gibt verschiedene Gründe, um vom Militärdienst befreit zu werden. Der einzige Sohn einer Familie, Studenten oder Versorger der Familie können vom Wehrdienst befreit werden oder diesen aufschieben. Außerdem sind Männer mit Doppelstaatsbürgerschaft, die den Wehrdienst bereits in einem anderen Land abgeleistet haben, üblicherweise vom Wehrdienst befreit. Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, die Situation in der Praxis ist jedoch anders. Präsident al-Assad versucht den Druck in Bezug auf den Wehrdienst zu erhöhen, und es gibt nun weniger Befreiungen und Aufschübe beim Wehrdienst. Generell werden die Regelungen nun strenger durchgesetzt, außerdem gibt es Gerüchte, dass Personen trotz einer Befreiung oder eines Aufschubs rekrutiert werden. Was die Regelungen zur Befreiung oder zum Aufschub des Wehrdienstes betrifft, so hat man als einziger Sohn der Familie noch die besten Chancen. Das Risiko der Willkür ist jedoch immer gegeben.
Unbestätigte Berichte legen nahe, dass der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit über den Wegfall von Aufschubgründen informiert ist, und diese auch digital überprüft werden. Zuvor mussten Studenten den Status ihres Studiums selbst dem Militär melden, in den letzten zwei Jahren wird der Status von Studenten aktiv überprüft. Generell werden Universitäten nun strenger überwacht und von diesen wird nun verlangt, dass sie das Militär über die Anwesenheit bzw. Abwesenheiten der Studenten informieren. Kürzlich gab es eine Änderung bezüglich des Aufschubs aufgrund eines Lehramts-Studiums. Zuvor war es möglich, einen Aufschub des Wehrdienstes zu erwirken, wenn man ein Lehramts-Masterstudium begann, unabhängig davon welches Bachelor-Studium man zuvor absolviert hatte. Dieser Aufschubgrund funktioniert nun nur noch, wenn man auch den Bachelorabschluss im Lehramtsstudium gemacht hat.
Es gibt Beispiele, dass Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann, sondern schlicht Willkür darstellt. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis sich vom Wehrdienst freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt, im Zuge des aktuellen Konfliktes - manchmal sogar Jahre danach - trotzdem eingezogen zu werden (BFA 8.2017).
Es gibt ein Gesetz, das syrischen Männern, die mehr als fünf Jahre außerhalb des Landes gelebt haben, gegen Zahlung eines Bußgeldes die Befreiung vom Militärdienst ermöglicht. Diese Gebühr wurde von 5.000 USD auf 8.000 USD erhöht.
Christliche und muslimische religiöse Führer können weiterhin den Kriegsdienst verweigern, wobei muslimische Führer eine Abgabe bezahlen müssen, um vom Kriegsdienst befreit zu werden. Zunehmend zieht die Regierung, wie berichtet wird, zuvor "geschützte" Personen wie Studenten, Beamte und Häftlinge zum Militärdienst ein. Von Staatsangestellten wird erwartet, dass sie dem Staat zur Verfügung stehen. Um sich ein "Pool" von potentiell zur Verfügung Stehenden zu sichern, wurde ein Dekret bezüglich Staatsangestellte und Wehrdienst erlassen: Laut Legislativdekret Nr. 33 von 2014 wird das Dienstverhältnis von Staatsangestellten beendet, wenn sie sich der Einberufung zum Wehr- oder Reservedienst entziehen. Hierzu gab es bereits Ende 2016 ein Dekret, welches jedoch nicht umfassend durchgesetzt wurde. Im November 2017 gab es eine erneute Direktive des Premierministers Imad Khamis, laut der "die Anstellung von jenen beendet werden soll, die den verpflichtenden Wehrdienst oder den Reservedienst vermeiden". Dieser Direktive folgten bereits Entlassungen, wobei nicht bekannt ist, in welchem Ausmaß sie stattfinden. Gerade auch in alawitischen Gebieten gibt es eine Verbindung zwischen Staatsangestellten und der Notwendigkeit der Erfüllung bürgerlicher Pflichten.
Entlassungen
Es liegen aktuell keine Informationen zu Entlassungen von Soldaten aus dem Militärdienst vor, es ist jedoch möglich, dass dies trotzdem vorkommt. Viele Männer haben Angst, nicht mehr aus dem Dienst entlassen zu werden, wenn sie einmal eingezogen werden. Manche Männer, die den verpflichtenden Wehrdienst bereits abgeleistet haben, werden wieder zum Dienst einberufen, oder der Dienst mancher Männer wird einfach verlängert. Es gibt Männer in der Armee, die seit dem Beginn der Revolution 2011 in der Armee sind. Mittlerweile ist Desertion häufig der einzige Ausweg.
Amnestien
Seit 2011 hat der syrische Präsident für Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen, Wehrdienstverweigerer und Deserteure eine Serie von Amnestien erlassen, die Straffreiheit vorsahen, wenn sie sich innerhalb einer bestimmten Frist zum Militärdienst melden. Am 17. Februar 2016 veröffentlichte der Präsident das Gesetzesdekret Nr. 8, mit dem Deserteure innerhalb und außerhalb von Syrien sowie Wehrdienstverweigerer und Reservisten eine Amnestie erhalten. Es gibt keine Informationen darüber, wie viele Personen die Amnestie genutzt haben. In manchen Fällen wurden Personen aus der Haft entlassen, wobei die Regierung jedoch danach eine erneute Welle von Verhaftungen durchführte. In diesem Zusammenhang ist nicht klar, aus welchem Grund bestimmte Personen freigelassen werden und ob die Amnestie jenen hilft, die davon profitieren sollten [also Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren, Anm.], oder anderen Personen. Menschenrechtsorganisationen und Beobachter haben diese Amnestien wiederholt als intransparent und unzureichend kritisiert. Ihrer Ansicht nach profitierten davon nicht die vorgeblich angesprochenen Personengruppen.
Wehrdienstverweigerung / Desertion
Besonders aus dem Jahr 2012 gibt es Berichte von desertierten syrischen Soldaten, welche gezwungen wurden, auf unbewaffnete Zivilisten und Protestierende, darunter Frauen und Kinder, zu schießen. Falls sie sich weigerten, wären sie Gefahr gelaufen, erschossen zu werden.
Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft, die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz, je nach den Umständen, mit Gefängnisstrafen von bis zu 5 Jahren bestraft. Nach Verbüßen der Strafe muss der Wehrdienstverweigerer weiterhin den regulären Wehrdienst ableisten. Bei einer Wehrdienstverweigerung hat man die Möglichkeit sich zu verstecken und das Haus nicht mehr zu verlassen, das Land zu verlassen, sich durch Bestechung freizukaufen oder einer anderen Gruppierung beizutreten. Bezüglich Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während die einen eine Foltergarantie und Todesurteil sehen, sagen andere, dass Verweigerer sofort eingezogen werden. Die Konsequenzen hängen jedoch vom Profil und den Beziehungen der Person ab. Wenn es eine Verbindung zu einer oppositionellen Gruppe gibt, wären die Konsequenzen ernster.
Wenn jemand den Wehrdienst verweigert und geflohen ist, gibt es die Möglichkeit seinen Status zu "regularisieren", wobei möglicherweise auch ein signifikanter Betrag zu entrichten ist (gerüchteweise bis zu 8.000 USD). Eine solche "Regularisierung" schützt allerdings nicht automatisch vor Repressalien oder einer zukünftigen Rekrutierung. Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen "terroristische" Bedrohungen zu schützen.
Desertion wird gemäß dem Militärstrafgesetz von 1950 in Friedenszeiten mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich ziehen. Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (so genannte externe Desertion), unterliegen Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt. Desertion im Angesicht des Feindes ist mit lebenslanger Haftstrafe zu bestrafen. In schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt.
In vielen Fällen erwartet Deserteure der Tod. Möglicherweise werden sie inhaftiert, befragt und gefoltert, wobei die Behandlung eines Deserteurs auch davon abhängt wer er ist, welcher Konfession er angehört, wie wohlhabend er ist etc. Die große Sorge vieler ist hierbei auch, dass dies nicht nur den Tod des Deserteurs oder die Vergeltung gegen ihn, sondern auch Maßnahmen gegen seine Familie nach sich ziehen kann. Die gängige Vorgehensweise ist, Deserteure nicht zurück an die Front zu schicken, sondern sie zu töten. Berichten zufolge werden sie an Ort und Stelle erschossen. Theoretisch ist ein Militärgerichtsverfahren vorgesehen und Deserteure könnten auch inhaftiert und dann strafrechtlich verfolgt werden. Außergerichtliche Tötungen passieren dennoch. Für ‚desertierte', vormals bei der Armee arbeitende Zivilisten gelten dieselben Konsequenzen wie für einen Deserteur. Solche Personen werden als Verräter angesehen, weil sie über Informationen über die Armee verfügen.
Im Gegensatz zum Beginn des Konfliktes haben sich mittlerweile die Gründe für Desertion geändert: Nun desertieren Soldaten, weil sie kampfmüde sind und dem andauernden Krieg entkommen wollen.
Auch Familien von Deserteuren oder Wehrdienstverweigerern haben mit Konsequenzen zu rechnen. Eine Familie kann von der Regierung unter Druck gesetzt werden, wenn der Deserteur dadurch vielleicht gefunden werden kann. Familienmitglieder (auch weibliche) können festgenommen werden, um den Deserteur dazu zu bringen, sich zu stellen. Manchmal wird ein Bruder oder der Vater eines Deserteurs ersatzweise zur Armee rekrutiert.
In Gebieten, welche durch sogenannte Versöhnungsabkommen wieder unter die Kontrolle des Regimes gebracht wurden, werden häufig Vereinbarungen bzgl. Wehrdienst getroffen. Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt, sondern stattdessen bei der Polizei eingesetzt werden. Berichten zufolge wurden solche Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen, was jedoch schwer zu beweisen ist.
Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG/YPJ)
Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG) sind der bewaffnete Flügel der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) (FIS 23.8.2016). Bis 2014 war der Militärdienst bei der YPG freiwillig. Seit 2014 gibt es jedoch in den Gebieten unter Kontrolle der PYD eine gesetzliche Verordnung zum verpflichtenden Wehrdienst. Jede Familie ist dazu verpflichtet, ein Familienmitglied im Alter von 18 bis 30 Jahren als "Freiwilligen" für einen sechsmonatigen Wehrdienst bei der YPG aufzubieten. Wird dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, kommt es zu Zwangsrekrutierungen, sowohl von Erwachsenen als auch von Minderjährigen, oder zu rechtlichen Konsequenzen (KurdWatch 30.6.2016; vgl. SEM 21.12.2015). In Artikel 2 und 3 des Wehrpflichtgesetzes wird zunächst der Personenkreis definiert, auf den sich das Gesetz bezieht. So heißt es in Artikel 2: "Die Pflicht zur Selbstverteidigung ist eine gesellschaftliche und moralische Pflicht der gesamten Bevölkerung. Aufgrund dessen obliegt es jeder in der Region ansässigen Fam