Entscheidungsdatum
19.11.2018Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W108 2160842-1/10E
W108 2160841-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. BRAUCHART als Einzelrichterin über die Beschwerde 1. der XXXX , geb. XXXX , und 2. der XXXX , geb. XXXX , beide Staatsangehörigkeit Syrien, 2. vertreten durch 1., beide vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Wissam BARBAR, gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.01.2017, 1. Zl. 1096782110-151869539, 2. Zl. 1136748008-161618231, wegen Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.02.2018 zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX sowie XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG jeweils nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang, Sachverhalt und Vorbringen:
1. Die Erstbeschwerdeführerin, eine syrische Staatsangehörige, ist die Mutter der minderjährigen (im Jahr XXXX in Österreich geborenen) ledigen Zweitbeschwerdeführerin, dessen Vater der in Österreich asylberechtigte syrische Staatsangehörige XXXX , geb. XXXX , ist, dem der Asylstatus mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26.06.2014, W108 1424123-1/5E, zuerkannt wurde. In dieser Entscheidung wurde die Verfolgung des XXXX durch das syrische Regime wegen seiner gegen das syrische Regime gerichteten politischen Gesinnung als glaubhaft beurteilt. XXXX hatte in seinem Asylverfahren angegeben, ein Gegner der syrischen Regierung zu sein, nach dem deshalb bereits in Syrien gesucht worden sei. Er habe in Syrien an Demonstrationen gegen das Regime teilgenommen, gegen das Regime aufgerufen und die Hinrichtung des syrischen Präsidenten gefordert. Überdies habe er den Militärdienst in Syrien nach Erhalt eines Einberufungsbefehls verweigert. Der syrische Sicherheitsdienst sei mehrmals in Syrien bei ihm zu Hause gewesen, um ihn mitzunehmen. In Österreich habe er regelmäßig an Kundgebungen gegen die syrische Regierung teilgenommen.
Die Erstbeschwerdeführerin stellte am 23.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (im Folgenden: Antrag bzw. Asylantrag und AsylG). Für die Zweitbeschwerdeführerin wurde der Antrag am 01.12.2016 gestellt.
Zu diesen Anträgen erstattete die Erstbeschwerdeführerin, auch als gesetzliche Vertreterin der Zweitbeschwerdeführerin, im behördlichen Verfahren folgendes Vorbringen:
Sie gehöre der kurdischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an. Sie stamme aus der syrischen Provinz Hasaka, XXXX , Dorf XXXX , und habe Syrien illegal verlassen. Sie werde in Syrien verfolgt. Der "Islamische Staat" (IS, Daesh) sei in die Nähe ihres Dorfes gekommen. Die Sicherheitslage in Syrien sei wegen des Krieges sehr kritisch gewesen. Es sei gekämpft und Mädchen seien in Hasaka entführt worden. Sie habe ihr Studium nicht mehr fortsetzen können. Durch die Kämpfe zwischen verschiedenen bewaffneten Gruppen sei die Verbindung zwischen Hasaka und ihrem Dorf unterbrochen worden. In XXXX sei es zu keinen Entführungen gekommen. Sie selbst habe immer wieder Schießereien gehört. Persönlich sei sie nie - mit Entführung - bedroht worden. Probleme mit der Polizei, weiteren (Sicherheits-)Behörden, dem Militär oder Gerichten habe sie nicht gehabt. Im Fall einer Rückkehr nach Syrien fürchte sie um ihr Leben. Sie sei der Entführungsgefahr ausgesetzt. Ihr drohe der Tod. Ihre Tochter habe keine eigenen Fluchtgründe. Ihr Antrag auf ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG solle sich auf ihr Asylverfahren beziehen. Der Vater ihrer Tochter, den sie heiraten werde, sei in Österreich als Flüchtling anerkannt.
2. Mit den nunmehr vor dem Bundesverwaltungsgericht bekämpften Bescheiden wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) die Anträge der beschwerdeführenden Parteien hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (jeweils Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieser Bescheide wurde den beschwerdeführenden Parteien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihnen unter Spruchpunkt III. dieser Bescheide gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.
Aus der Begründung der angefochtenen Bescheide geht hervor, dass die belangte Behörde die Angaben der Erstbeschwerdeführerin zu Grunde legte, aber als nicht asylrelevant qualifizierte, und zwar im Wesentlichen mit der Begründung, dass eine individuelle Verfolgungssituation nicht gegeben sei und die drohenden Gefahren der allgemein schwierigen Lage in Syrien zuzuschreiben seien (weshalb den beschwerdeführenden Parteien der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde). Die Erstbeschwerdeführerin sei aufgrund der Kriegssituation in Syrien ausgereist und habe Syrien verlassen, weil sie ihr Studium nicht habe fortsetzen können. Es hätten sich in der Einvernahme keinerlei Bedrohungsszenarien gegen ihre Person ergeben, die Erstbeschwerdeführerin sei in Syrien keiner konkreten, gegen ihre Person gerichteten Verfolgung ausgesetzt gewesen. Eine Entführung sei ihr gegenüber nie angedroht worden, sie selbst habe Entführungen auch nie persönlich miterlebt. Die angespannte Lage der Frauen in Syrien werde keineswegs verkannt. Wäre die Erstbeschwerdeführerin einer konkreten Verfolgung wegen ihrer etwaigen Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen ausgesetzt gewesen, hätte sie die Frage nach einer solchen nicht dezidiert verneint. Außerdem könne der Aspekt, dass die allgemeine Lage in Syrien so schlecht sei und sie deshalb geflohen sei, nicht als persönliche Bedrohung oder Verfolgung gewertet werden.
In dem die Zweitbeschwerdeführerin betreffenden Bescheid wurde Folgendes ausgeführt:
Die Identität der Zweitbeschwerdeführerin stehe fest. Sie sei die Tochter der Erstbeschwerdeführerin und des XXXX , geboren am XXXX . Zwischen den Eltern der Zweitbeschwerdeführerin habe kein Eheverhältnis im Herkunftsstaat bestanden, die Eltern hätten sich erst in Österreich kennengelernt. Nach vorheriger Manuduktion habe die Erstbeschwerdeführerin, als gesetzliche Vertreterin, für die Zweitbeschwerdeführerin einen Antrag auf ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG gestellt. Deshalb und aufgrund des § 2 Abs. 1 Ziffer 22 AsylG sei nur das Asylverfahren der Erstbeschwerdeführerin zu berücksichtigen. Deren Antrag auf internationalen Schutz sei jedoch abgewiesen worden. Nicht festgestellt werden könne, dass die Zweitbeschwerdeführerin begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) in Syrien zu gewärtigen habe oder eine derartige Verfolgung zukünftig zu befürchten hätte.
3. Gegen Spruchpunkt I. der Bescheide (Versagung des Asylstatus) erhoben die beschwerdeführenden Parteien fristgerecht Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG, in welcher sie im Wesentlichen ausführten, dass die Erstbeschwerdeführerin, nachdem sie nach Österreich gekommen sei, den Vater der gemeinsamen Tochter, den anerkannten Flüchtling XXXX , geheiratet habe. Die Vaterschaft sei durch das Standesamt beurkundet worden. Die Zweitbeschwerdeführerin habe somit das Recht auf Asyl gemäß § 34 AsylG. Die Erstbeschwerdeführerin habe Syrien verlassen, da auf Grund des Krieges immer wieder Kämpfe ausgetragen worden seien und sie Angst gehabt hätte, als gebildete Studierende, so wie viele andere Mädchen, entführt zu werden. Die Lage der Frau in Syrien sei prekär, Frauen seien in Syrien schweren geschlechterspezifischen Verfolgungen und Unterdrückungsmaßnahmen, insbesondere durch den IS, ausgesetzt, die der Verfolgung einer sozialen Gruppe gleichkämen. Sie würden laut UNHCR als Personen mit Risikoprofil eingestuft. Auch die Lage der Kurden in Syrien sei weiterhin prekär und auch die Kurden würden laut UNHCR weiterhin als Gruppe mit Risikoprofil identifiziert. Die kurdische Minderheit leide schon seit langem unter ihrer Unterdrückung und werde auch weiterhin auf aggressive Weise zur Assimilation gedrängt. Auf Grund der zusätzlichen Verfolgung, stünden Kurden noch mehr zwischen den Fronten und würden von mehreren Seiten bedroht. Der Bescheid sei mangelhaft, der Erstbeschwerdeführerin komme der Flüchtlingsstatus gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention zu.
4. Die belangte Behörde machte von der Möglichkeit der Beschwerdevorentscheidung nicht Gebrauch und legte die Beschwerde samt den bezughabenden Akten der Verwaltungsverfahren dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
5. Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache der beschwerdeführenden Parteien eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher sich die Erstbeschwerdeführerin und die Zweitbeschwerdeführerin persönlich beteiligten und XXXX (der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin und Vater der Zweitbeschwerdeführerin) als Zeuge vernommen wurde.
Die Erstbeschwerdeführerin sagte in der Beschwerdeverhandlung zur Bedrohungssituation aus, sie habe den Vater ihrer Tochter in Österreich nach islamischen Recht geheiratet. Die Ehe sei in Österreich nicht registriert. Die in der Beschwerde genannten Flucht- und Asylgründe seien noch aufrecht, aufgrund der geänderten Lage in Syrien hätten sich jedoch weitere Gründe ergeben. Zwar stehe ihr Herkunftsgebiet nunmehr unter der Kontrolle der Kurden und seien islamistische Gruppierungen nicht mehr in diesem Gebiet, jedoch drohe ihr nunmehr Verfolgung durch die Kurden, weil sie, obwohl sie nicht verheiratet sei, ein Kind habe. Wenn sie nach Syrien zurückkehre, gelte sie als Sünderin. Ihre Familie akzeptiere sie nicht mehr, da sie in Österreich geheiratet habe, ohne ihre Eltern zuvor um Erlaubnis gefragt zu haben. Sie hießen ihre Verehelichung nicht gut. Überdies würde sie von der kurdischen Armee einberufen werden. Sie wolle aber nicht kämpfen, weil sie gegen den Krieg sei. Sie sei in einem Alter, in dem man rekrutiert werden könne. Die Kurden rekrutierten Männer und Frauen. Die kurdischen Einheiten hätten vor 7-8 Monaten ihre 13-jährige Schwester mitgenommen und an der Waffe ausgebildet. Sodann sei ihr Bruder aus dem Irak zurückgekehrt, damit die Schwester wieder freigelassen werde. Für die Freilassung der Schwester hätten ihre Eltern auch Geld bezahlt. Ihr Bruder sei jetzt beim kurdischen Militär als Soldat statt ihrer Schwester. Sie müsse jedoch aufgrund ihres Alters zusätzlich zu ihrem Bruder bei den kurdischen Einheiten kämpfen. Ihre Eltern hätten ihr berichtet, dass sie einrücken müsse. Die kurdischen Streitkräfte würden alle aus der Nachbarschaft nehmen. Ihre Familie sei bei den kurdischen Einheiten bekannt. Sie wüssten, dass sie im Ausland sei. Personen der kurdischen Volksverteidigungskräfte seien mehrmals bei ihr zu Hause gewesen, hätten nach ihr gefragt und gesagt, dass sie einrücken müsse. Zuletzt hätte die kurdische nationale Volksarmee vor 15 oder 20 Tagen, nachdem die türkischen Einheiten nach Afrin einmarschiert seien, nach ihr bei ihren Eltern gefragt, weil sie zu wenig Soldaten hätten. Als ihr Bruder zurückgekommen sei, sei er noch am selben Tag eingezogen worden, das würde ihr bei einer Rückkehr auch passieren. Wegen der türkischen Invasion und wegen des Mangels an männlichen kurdischen Soldaten würden nunmehr mehrere Familienmitglieder, auch unter Gewaltanwendung, rekrutiert. Es gebe viele Mädchen, die zwangsweise genommen worden seien, und ganze Einheiten von Soldatinnen. Sie habe das bisher nicht vorgebracht, weil sie bei der Ausreise größere Angst davor gehabt habe, vom IS festgenommen und entführt zu werden. Dieser Grund sei für sie maßgeblicher gewesen als die Angst vor der Einziehung zur kurdischen Armee. Damals hätten mehrere Faktoren dafür gesprochen, dass sie nicht sofort zum Militär gehen müsse, die Kurden seien nicht so unter Druck gewesen, aber jetzt sei die Lage für die Kurden sehr schwierig geworden und sei so, dass alle Kurden für die kurdische Verteidigungsarmee kämpfen müssten. Die Lage, ihre Gefährdungssituation, habe sich geändert.
Der Zeuge sagte aus, er sei der Vater der Zweitbeschwerdeführerin und habe die Erstbeschwerdeführerin in Österreich nach islamischen Ritus geehelicht. Er habe die Vaterschaft anerkannt. Die Ehe und die Zweitbeschwerdeführerin seien in Syrien nicht registriert. Er wolle das auch nicht, weil er Angst vor dem syrischen Regime habe. Er wolle vermeiden, dass die syrischen Behörden seinen Aufenthaltsort erfahren. Denn er sei in Österreich asylberechtigt und werde in Syrien als bekannter Regimegegner noch immer gesucht. Er habe an Demonstrationen gegen das Regime teilgenommen und gegen das Regime aufgerufen. Überdies habe er den Militärdienst in Syrien nach Erhalt eines Einberufungsbefehls verweigert. Der syrische Sicherheitsdienst sei mehrmals in Syrien bei ihm zu Hause gewesen, um ihn mitzunehmen. Er stehe auf einer Fahndungsliste der syrischen Regierung. Die Zweitbeschwerdeführerin, die seinen Namen trage, würde wegen ihm in Syrien dadurch massive Probleme bekommen. Es sei zu befürchten, dass sie von der Regierung angehalten werde, bis er nach Syrien zurückkehre, dass sie als Druckmittel verwendet werde. Das Gleiche gelte für die Erstbeschwerdeführerin, weil sie die Mutter seines Kindes sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
1.1. hinsichtlich der Lage in Syrien:
Politische Lage
In der Praxis unterhält die syrische Regierung noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernstzunehmenden Konkurrenten zur Regierung Assads entwickeln könnten. Seit 2011 tobt die Gewalt in Syrien. Aus anfangs friedlichen Demonstrationen ist ein komplexer Bürgerkrieg geworden, mit unzähligen Milizen und Fronten. Die Arabische Republik Syrien existiert formal noch, ist de facto jedoch in vom Regime, von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) und von anderen Rebellen-Fraktionen oder dem sogenannten Islamischen Staat (IS) kontrollierte Gebiete aufgeteilt. Im Norden Syriens gibt es Gebiete, welche unter kurdischer Kontrolle stehen und von den Kurden Rojava genannt werden. 2011 soll der damalige irakische Präsident Jalal Talabani ein Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), deren Mitglieder die PYD gründeten, vermittelt haben: Im September 2011 stellte der iranische Arm der PKK, die Partei für ein Freies Leben in Kurdistan (Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê - PJAK), ihren bewaffneten Kampf gegen den Iran ein. Etwa zur selben Zeit wurde die PYD in Syrien neu belebt. Informationen zahlreicher Aktivisten zufolge wurden bis zu zweihundert PKK-Kämpfer aus der Türkei und dem Irak sowie Waffen iranischer Provenienz nach Syrien geschmuggelt. Aus diesem Grundstock entwickelten sich die Volksverteidigungseinheiten (YPG). Ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel begann die PYD, die kurdische Bevölkerung davon abzuhalten, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine "zweite Front" in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Baath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrin,? Ain al-Arab (Kobanî) und die Dschazira von PYD und YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre. Im März 2016 wurde die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte. Afrin steht zwar unter kurdischer Kontrolle, ist jedoch nicht mit dem Rest des kurdischen Gebietes verbunden. Das von der PYD in den kurdischen Gebieten etablierte System wird von der PYD als "demokratische Autonomie" bzw. "demokratischer Konföderalismus" bezeichnet. "Demokratischer Konföderalismus" strebt danach, die lokale Verwaltung durch Räte zu stärken, von Straßen- und Nachbarschaftsräten über Bezirks- und Dorfräte bis hin zu Stadt- und Regionalräten. "Demokratischer Konföderalismus" muss somit als Form der Selbstverwaltung verstanden werden, in der Autonomie organisiert wird. Die Realität sieht allerdings anders aus. Tatsächlich werden in "Rojava" Entscheidungen weder von den zahlreichen (lokalen) Räten getroffen, noch von Salih Muslim und Asya Abdullah in ihrer Funktion als Co-Vorsitzende der PYD, stattdessen liegt die Macht bei der militärischen Führung im Kandilgebirge, die regelmäßig hochrangige Parteikader nach Syrien entsendet. In den kurdischen Gebieten haben die Bürger durch die PYD auch Zugang zu Leistungen, wobei die Partei unter anderem die Bereitstellung von Leistungen nutzt, um ihre Macht zu legitimieren. Die Erbringung öffentlicher Leistungen variiert jedoch. In Gebieten, in denen die PYD neben Behörden der Regierung existiert, haben sich zahlreiche Institutionen entwickelt und dadurch wurden Parallelstrukturen geschaffen. In Gebieten in denen die PYD mehr Kontrolle besitzt, bleibt die Macht in der Hand der PYD zentralisiert, trotz den Behauptungen der PYD die Macht auf die lokale Ebene zu dezentralisieren.
Noch sind die beiden größeren von Kurden kontrollierten Gebietsteile voneinander getrennt, das Ziel der Kurden ist es jedoch entlang der türkischen Grenze ein zusammenhängendes Gebiet unter ihre Kontrolle zu bringen. Der Ton zwischen Assad und den an der Seite der USA kämpfenden syrischen Kurden hat sich in jüngster Zeit erheblich verschärft. Assad bezeichnete sie zuletzt als "Verräter". Das von kurdischen Kämpfern dominierte Militärbündnis der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) konterte, Assads Regierung entlasse "Terroristen" aus dem Gefängnis, damit diese "das Blut von Syrern jeglicher Couleur vergießen" könnten.
Im Laufe des Konflikts wird die kurdische Bevölkerung vor allem durch ISIS und Al-Nusra-Front als Unterstützer der YPG wahrgenommen, die beträchtliche Teile des Gebiets im Norden Syriens, das zuvor in der Hand von ISIS war, unter ihre Kontrolle gebracht hat. Extremistische Gruppen betrachten Berichten zufolge Kurden als "Ungläubige". Berichten zufolge hat ISIS in dem Bemühen, seine Herrschaft zu installieren und zu konsolidieren, vorsätzlich Zivilpersonen aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Meinung und/oder religiösen oder ethnischen Identität angegriffen, u. a. durch willkürliche Überfälle auf (Minderheits-)Regionen, Massenhinrichtungen und Zwangsvertreibungen. ISIS führte eine Offensive im Gebiet Kobane/Ain al-Arab durch. Vor allem Kämpfer der kurdischen YPG, des bewaffneten Arms der PYD, verteidigen das Gebiet, welches für beide strategisch wichtig ist.
Die türkische Armee eroberte zusammen mit ihr verbündeten Rebellengruppen kurdische Gebiete im Nordwesten Syriens (insbesondere auch Afrin) gegen den erbitterten Widerstand der YPG, wobei der Großteil der kurdischen Bevölkerung floh. Die YPG droht mit Angriffen gegen die türkische Armee.
Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG)
Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG) sind der bewaffnete Flügel der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD). Bis 2014 war der Militärdienst bei der YPG freiwillig. Seit 2014 gibt es jedoch in den Gebieten, welche die PYD beherrscht, eine gesetzliche Verpflichtung zum Wehrdienst. Jede Familie ist dazu verpflichtet, ein Familienmitglied im Alter von 18 bis 30 Jahren als "Freiwilligen" für einen sechsmonatigen Wehrdienst bei der YPG aufzubieten. Wird dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, kommt es zu Zwangsrekrutierungen (auch von Minderjährigen) oder zu rechtlichen Konsequenzen. Dieses Gesetz wurde nicht von einer dazu legitimierten staatlichen Instanz beschlossen, sondern von einem von der PYD eingesetzten Gremium. Die Volksverteidigungseinheiten unterstehen direkt dem Befehl der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), ihre Führung besteht, ebenso wie diejenige der PYD, aus PKK-Kadern und PKK-Kommandanten Beim bewaffneten Arm der PYD, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), handelt es sich nicht um eine quasi-staatliche Armee, sondern um eine Parteimiliz. Das Gesetz sieht keine Möglichkeit der Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen vor.
Zwangsrekrutierungen durch die YPG
Die Sicherheitskräfte der PYD haben nach Berichten eine unbekannte Zahl von Männern und Frauen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren an Checkpoints und an ihren Wohnsitzen in kurdischen Gebieten festgenommen und sie gezwungen, für die YPG zu kämpfen.
Berichten zufolge haben YPG und ihr interner Sicherheitsdienst Asayish tatsächliche und vermeintliche Gegner von PYD/YPG, darunter Mitglieder kurdischer Oppositionsparteien, Journalisten und Bürgerjournalisten sowie politische Aktivisten und Protestierende, gezielt bedroht, eingeschüchtert, entführt, inhaftiert und körperlich misshandelt.
Es wurde gemeldet, dass YPG und Asayish in den Gebieten, die de facto unter ihrer Kontrolle stehen, Zwangsrekrutierungen und Rekrutierungen von Minderjährigen vornehmen.
Die Weigerung, den YPG beizutreten, kann Berichten zufolge schwerwiegende Konsequenzen haben, einschließlich Entführung, Inhaftierung und Misshandlung der inhaftierten Personen sowie Zwangsrekrutierung, da die Verweigerung des Kampfes als Ausdruck der Unterstützung von ISIS oder als Opposition zu PYD/YPG interpretiert werden kann. Es wurden einige Fälle gemeldet, in denen die Familienangehörigen von Personen, die sich der Zwangsrekrutierung widersetzten oder aus anderem Grund verdächtigt wurden, mit ISIS in Verbindung zu stehen, von den YPG ins Visier genommen wurden.
Laut Aussage eines syrischen Aktivisten, einem Mitbegründer der Oppositionsorganisation "Raqqa is Being Slaughtered Silently", vor dem UN-Menschenrechtsrat würden die SDF Zwangsrekrutierungen durchführen.
Ein Bericht des UN-Menschenrechtsrats vom August 2017 geht von tausenden Zwangsrekrutierungen hauptsächlich von Männern und Buben durch die SDF aus, und erwähnt eine fortgesetzte Untersuchung dazu. Personen, die sich der Rekrutierung widersetzten, würden verhaftet.
Der renommierte internationale Think Tank International Crisis Group berichtet von vermehrten Aktivitäten der YPG, auch nicht-kurdische Kämpfer für die SDF zu rekrutieren, um die Truppenknappheit zu beheben. So gäbe es jetzt auch YPG- und SDF-Kämpfer, die gegen den IS, aber nicht unbedingt für die PKK eingestellt seien.
KurdWatch berichtete 2016 (es wurde nur 2016 recherchiert, da KurdWatch seine Tätigkeit am 8.9.2016 einstellen musste) über Zwangsrekrutierungen, bei welchen junge Männer bestimmter Jahrgänge von der YPG eingezogen wurden. Bei den folgenden Beispielen handelt es sich um Fälle, wo ganze Gruppen von Männern betroffen waren.
Es wurde über den Kanton Kobani berichtet, wo der Legislativrat [der PYD] alle Männer der Jahrgänge von 1986 bis 1998 aufforderte, sich bei der Rekrutierungsstelle einzufinden:
Laut KurdWatch kam es in der Umgebung von Afrin zu einer Razzia der Asayish [Sicherheitsdienst der PYD], um junger Männer für die Rekrutierung habhaft zu werden.
KurdWatch berichtet auch über Zwangsrekrutierungen von jungen Männern an der Straße zwischen Qamishli und Tall Hamis durch die Militärpolizei der syrischen Streitkräfte.
KurdWatch beichtet über Zwangsrekrutierungen in Tall Tamr.
KurdWatch berichtet von einem Erlass des Verteidigungsausschusses für Kobani bzgl. eines Aufrufes an Männer der Jahrgänge 1986 bis 1998, sich bei der Rekrutierungsstelle der PYD zu melden. Ansonsten würden juristische Konsequenzen drohen.
KurdWatch berichtet die Zwangsrekrutierung von ca. 50 Personen und von ca. 100 Männern für die YPG in Qamishli.
KurdWatch berichtet von Zwangsrekrutierungen für die YPG in und um al Ma?bada (Girkê Legê).
KurdWatch berichtet von Zwangsrekrutierungen für die YPG in Qamishli und Afrin.
Auch das amerikanische Außenministerium [Anm.: Berichten zufolge kooperiert das US-Militär mit der YPG im Kampf gegen den IS] berichtet von Zwangsrekrutierungen an Checkpoints - und zwar sowohl von Frauen als auch von Männern:
Rekrutierung von Minderjährigen (minderjährigen Buben und Mädchen)
Neben Erwachsenen wurden vermehrt Minderjährige ab zwölf Jahren rekrutiert. Teilweise erfolgte die Rekrutierung unter Zwang, teilweise schlossen sich die Kinder und Jugendlichen den Volksverteidigungseinheiten freiwillig, jedoch gegen den erklärten Willen ihrer Eltern an.
KurdWatch berichtete auch über Zwangsrekrutierungen von zwei Mädchen für die YPG im Gebiet ?Ain al-?Arab (Kobanî) im März 2016.
KurdWatch berichtete im Mai 2015 von einer Reihe von (Zwangs-)Rekrutierungen besonders von Mädchen im Jahr 2014 und Anfang 2015 und darüber, dass die Rekrutierten (Minderjährigen) von den Volksverteidigungseinheiten auch in Kampfhandlungen eingesetzt werden: So wurde etwa eine Dreizehnjährige von Mitgliedern der PYD entführt und in ein Militärcamp der PKK in Irakisch-Kurdistan verschleppt. Dort sollte sie zur Guerillakämpferin ausgebildet werden. Es gelang ihr gemeinsam mit einem weiteren minderjährigen Mädchen die Flucht. In einem Interview mit KurdWatch berichtete sie, dass hunderte Minderjährige in den Bergen Irakisch-Kurdistans in PKK-Lagern festgehalten werden. Die Kinder und Jugendlichen werden nur unzureichend verpflegt und müssen schwere Arbeiten verrichten. Fluchtversuche sind an der Tagesordnung. Sofern sie entdeckt werden, werden sie mit der Verlegung in andere Lager, mit Arrest, Folter und in einigen Fällen mit dem Tod bestraft: "Als ich in die Berge kam, hatte ein Mädchen bereits sieben Mal versucht zu fliehen, und beim achten Mal wurde sie erneut gefangen genommen. Wir wurden alle zusammengeholt. Den ganzen Abend gab es eine Versammlung. Sie wurde auf eine Bühne gestellt und ihr wurde gesagt, dass eine PKK-Kugel zu gut sei für sie und sie wurde erschossen und in den Fluss geworfen."
Mitarbeiter des Asayis in ?Ain al-?Arab (Kobanî) haben eine Sechzehnjährige rekrutiert. Der Vater des Mädchens erklärte gegenüber KurdWatch: "Als wir beim Asayis ihre Rückkehr gefordert haben, wurde meine Frau geschlagen, als Ehrenlose und Verräterin beschimpft und dann rausgeworfen." Das Mädchen soll sich nach Angaben des Asayis selbst für den Militärdienst entschieden haben und sich in einem Lager der Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) der PYD aufhalten.
Dass Minderjährige von den Volksverteidigungseinheiten auch in Kampfhandlungen eingesetzt werden, wurde deutlich als im Rahmen des Massenbegräbnisses für getötete Kämpfer der YPG wurde auch ein Fünfzehnjähriger beigesetzt wurde.
KurdWatch ist zudem ein Fall bekannt, in dem eine Fünfzehnjährige nur wenige Tage nach ihrer Zwangsrekrutierung und ohne jede militärische Ausbildung nach ?Ain al-?Arab gebracht wurde. Dort wurde sie im Kampf gegen den Islamischen Staat eingesetzt. Eine Woche später wurde sie nach Irakisch-Kurdistan gebracht, von wo sie fliehen konnte.
Bekannt sind darüber hinaus zahlreiche Fälle, in denen Minderjährige an Kontrollpunkten der YPG eingesetzt werden.
Die beschriebenen Fälle von Rekrutierungen Minderjähriger verstoßen sowohl gegen Selbstverpflichtungen der Volksverteidigungseinheiten als auch gegen internationales Recht. Die Vielzahl der skizzierten Fälle, insbesondere die große Anzahl von Minderjährigen in den Ausbildungslagern von PKK und YPG in Irakisch-Kurdistan, macht deutlich, dass es sich bei der Rekrutierung von Minderjährigen nicht um Einzelfälle handelt
Das US-Außenministerium berichtet unter Berufung auf Human Rights Watch über die minderjährigen Kämpfer u.a. bei der YPG und über die Demobilisierung von Kindersoldaten. Das US Department of State weist jedoch auch darauf hin, dass es weiterhin Berichte über die Zwangsrekrutierung von Kindern durch YPG und Asayish [Sicherheitsdienst der PYD] gäbe.
Rekrutierung von Frauen
Die YPJ ist die Fraueneinheit der YPG (laut dem renommierten internationalen Think Tank International Crisis Group heißt die Fraueneinheit "Yekîneyên Parastina Jin" (YPJ) - "Frauen-Schutzeinheiten") und ist auch bei Kampfeinsätzen aktiv. Frauen haben als Kämpferinnen eine jahrzehntelange Tradition in der kurdischen Bevölkerung, wenn auch eher in der Türkei und dem Irak als in Syrien.
Die SDF [Syrian Democratic Forces - oppositionelles Militärbündnis gegen den IS mit US-Unterstützung] besteht aus 50.000 KämpferInnen, darunter 23.000 AraberInnen.
In einem Artikel vom Juni 2016 erwähnt KurdWatch, dass auch Frauen und Mädchen von Zwangsrekrutierungen im Kurdengebiet betroffen seien. KurdWatch wertet den Rückgriff auf Zwangsrekrutierungen als Hinweis auf mangelnden Rückhalt der PYD in der kurdischen Bevölkerung Syriens. Die Hälfte der YPG-Mitglieder würde aus der Türkei stammen.
Opposition/Zuschreibung einer oppositionellen Gesinnung
Bestimmte Personen werden aufgrund ihrer politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen oder ihnen wird auf andere Weise Schaden zugefügt. Aber die Konfliktparteien wenden Berichten zufolge breitere Auslegungen an, wen sie als der gegnerischen Seite zugehörig betrachten. Diese basieren z.B. auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in einem bestimmten Gebiet, das als "regierungsfreundlich" oder "regierungsfeindlich" gilt.
Die syrische Regierung duldet abweichende ("oppositionelle") Meinungen nicht und geht gegen (vermeintliche) "Oppositionelle" (auch bloße Andersdenkende/Regimekritiker) und deren Familienangehörige, auch gegen Frauen und Kinder, vor. Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts in Syrien ist der Umstand, dass - auch - die syrische Regierung als Konfliktpartei oftmals größeren Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellt. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit.
Personen, die tatsächlich oder vermeintlich regierungsfeindliche Ansichten haben
Es liegen schon seit längerem Berichte darüber vor, dass die syrische Regierung politischen Dissens durch Einschüchterung, Überwachung und Inhaftierung von politischen Aktivisten, Journalisten, Schriftstellern und Intellektuellen unterdrückt. Auf die im März 2011 aufkommenden Protestbewegungen und die sich anschließenden bewaffneten Aufstände, reagierten die Regierung und regierungsfreundliche Kräfte, wie aus Berichten hervorgeht, mit massiver Unterdrückung und Gewalt. Die Regierung wendet, wie berichtet wird, bei der Beurteilung von politischem Dissens sehr breite Kriterien an: jegliche Kritik, Opposition oder sogar unzureichende Loyalität der Regierung gegenüber, wie auch immer ausgedrückt - friedlich oder gewalttätig, organisiert oder spontan, im Rahmen einer politischen Partei, bewaffneten Gruppe oder individuell, virtuell im Internet oder im bewaffneten Konflikt - führte Berichten zufolge zu schweren Vergeltungsmaßnahmen für die betreffenden Personen. Es wurde berichtet, dass zahlreiche Protestteilnehmer, Aktivisten, Wehrdienstentzieher, Deserteure, Laienjournalisten, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, Ärzte und andere Personen, denen regierungsfeindliche Haltungen zugeschrieben wurden, willkürlich verhaftet, in incommunicado Haft genommen, gefoltert oder anderen Misshandlungen ausgesetzt, oder Opfer von extralegalen oder Massenhinrichtungen wurden. Gegen zahlreiche Personen wurden Berichten zufolge Strafverfahren gemäß dem Terrorbekämpfungsgesetz (Gesetz Nr. 19 vom 2. Juli 2012) durchgeführt. Das Gesetz sieht schwere Strafen - von langjährigen Haftstrafen bis hin zur Todesstrafe - für Personen vor, bei denen festgestellt wird, dass sie "terroristische" Handlungen begangen haben. "Terrorismus" ist vage und mit sehr weiten Begriffen in den Gesetzen definiert, die viel Raum für Strafverfolgung wegen zahlreicher unterschiedlicher Aktivitäten bieten, einschließlich Teilnahme an Protesten, Äußerungen in sozialen Medien, Bereitstellung humanitärer Hilfsdienste, Schmuggeln von Arzneimitteln und Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen. Berichten ist zu entnehmen, dass die meisten Häftlinge nie förmlich angeklagt werden. Gegen tausende Zivilisten wurden Berichten zufolge von Strafgerichten, dem Antiterrorismus-Gericht in Damaskus und militärischen Feldgerichten Strafverfahren durchgeführt, die gegen die internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren verstoßen. In der Regel gingen den Verfahren monatelange Untersuchungshaft in Einrichtungen der Sicherheitsdienste und erzwungene Geständnisse voraus. Es wird berichtet, dass die Strafen für jene Personen, die vor Gericht gestellt und verurteilt wurden, auch dann hart, wenn die fraglichen Aktivitäten selbst friedlich waren. Wie aus Berichten hervorgeht, überwacht die Regierung Korrespondenz, Online-Aktivitäten und politische Zusammenkünfte. Die Regierung hört Berichten zufolge mit Hilfe von entsprechender Ausrüstung Gespräche ab, installiert Spysoftware auf den Computern von Aktivisten, blockiert Textnachrichten und ortet Mobil- und Satellitentelefone. Aus Berichten geht hervor, dass die Online-Überwachung zu willkürlichen Verhaftungen, incommunicado Haft, Folter und Tötungen von zahlreichen politischen Dissidenten, Aktivisten, Laienjournalisten und anderen Personen geführt hat. Zahllose Personen wurden Berichten zufolge inhaftiert, nachdem sie über soziale Medien Fotos oder Videos, die regierungskritische Proteste oder Aufstände unterstützen, weitergeleitet, positiv bewertet oder kommentiert hatten. Wie berichtet wird, hackt die seit April 2011 bestehende so genannte Syrische Elektronische Armee mit stillschweigender Zustimmung der Regierung Websites und Seiten sozialer Medien von oppositionellen Gruppen, von bestimmten westlichen Medien und Menschenrechtsorganisationen und blockiert sie oder überflutet sie mit regierungsfreundlichen Inhalten. Wie aus Berichten hervorgeht, wurden nach Ausbruch der regierungskritischen Proteste im März 2011 Syrer, die im Ausland an solchen Protesten teilnahmen, durch Mitarbeiter syrischer Botschaften und durch andere Personen, die mutmaßlich im Auftrag der syrischen Regierung handelten, kontrolliert, eingeschüchtert und teilweise körperlich angegriffen. Berichten zufolge wurden die in Syrien gebliebenen Angehörigen von syrischen Staatsangehörigen, die sich an Protesten oder damit verbundenen Aktivitäten im Ausland beteiligt hatten, Befragungen unterzogen, durch telefonische Anrufe, E-Mails und Facebook-Nachrichten bedroht, sie wurden verhaftet, misshandelt oder sogar getötet. In Deutschland wurden vier Mitarbeiter der syrischen Botschaft, die mutmaßlich Aktivitäten syrischer Oppositionsmitglieder überwachten, ausgewiesen. Wie berichtet wird, befürchten im Exil lebende Syrer von Landsleuten, die aus eigener Initiative oder als Informanten im Auftrag der syrischen Regierung handeln, überwacht, bedroht oder in sozialen Medien als "regierungsfeindlich" dargestellt zu werden.
(Arabische) Sunniten werden im Allgemeinen und insbesondere, wenn sie aus Gebieten stammen, die bekanntermaßen mit der Opposition sympathisieren oder unter der de facto Kontrolle bewaffneter oppositioneller Gruppen stehen, als regierungsfeindlich wahrgenommen. Aus diesem Grund waren ihre Wohngebiete von Beschießungen, Artilleriefeuer und Militärangriffen betroffen und von der Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Grundbedarfsgütern abgeschnitten. Darüber hinaus wurden Sunniten von Streitkräften der Regierung aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Verbindung mit sunnitischen Islamisten oder Salafisten bzw. ganz allgemein bewaffneten oppositionellen Gruppen willkürlich verhaftet, in Isolationshaft genommen, gefoltert und auf andere Weisen misshandelt sowie extralegal und standrechtlich hingerichtet. Der unabhängigen UN-Untersuchungskommission zufolge besteht "in von der Regierung kontrollierten Gebieten für sunnitische Männer aus Unruhegebieten das größte Risiko, an Kontrollstellen oder bei Hausdurchsuchungen inhaftiert zu werden, da sie als wahrscheinliche Sympathisanten oder Unterstützer von oppositionellen bewaffneten Gruppen gelten. Diese Gemeinschaft ist insbesondere in Hinblick auf Zwangsverschleppung, Folter und andere Menschenrechtsverletzungen während Inhaftierungen gefährdet.
Berichten ist zu entnehmen, dass Zivilpersonen, die aus Gebieten stammen oder in Gebieten wohnen, in denen es zu Protesten der Bevölkerung kam und/oder in denen bewaffnete oppositionelle Gruppen in Erscheinung treten oder (zeitweise) die Kontrolle übernommen haben, im Allgemeinen mit der Opposition in Verbindung gebracht werden und daher von der Regierung als regierungsfeindlich angesehen werden. Es gehört Berichten zufolge zu einer umfassenden Politik, Zivilisten aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, ihrer Anwesenheit in einem Gebiet oder ihrer Herkunft aus einem Gebiet, das als regierungsfeindlich und/oder als Unterstützer oppositioneller bewaffneter Gruppen betrachtet wird, ins Visier zu nehmen.
Die tatsächlich oder vermeintlich oppositionellen Ansichten einer Person werden häufig auch Personen in ihrem Umfeld, wie Familienmitgliedern, Nachbarn und Kollegen zugeschrieben. Die Familienangehörigen (beispielsweise Ehegatten, Kinder, Geschwister, Eltern und auch entferntere Verwandt) von (tatsächlichen oder vermeintlichen) Protestteilnehmern, Aktivisten, Mitgliedern von Oppositionsparteien oder bewaffneten oppositionellen Gruppen, Überläufern und Wehrdienstentziehern und anderen Personen wurden Berichten zufolge willkürlich verhaftet, in incommunicado Haft genommen, gefoltert und in sonstiger Weise - einschließlich unter Anwendung sexueller Gewalt - misshandelt sowie auch willkürlich hingerichtet. Verläuft die Fahndung nach einem Regierungsgegner bzw. einer Person, die für einen Regierungsgegner gehalten wird, erfolglos, gehen die Sicherheitskräfte Berichten zufolge dazu über, die Familienangehörigen der betreffenden Person festzunehmen oder zu misshandeln. Dies geschieht entweder, um Vergeltung zu üben für die Aktivitäten bzw. den Loyalitätsbruch der gesuchten Person oder um Informationen über ihren Aufenthaltsort zu gewinnen und/oder mit der Absicht, die betreffende Person dazu zu bewegen, sich zu stellen bzw. die gegen sie erhobenen Anschuldigungen zu gestehen. Wie aus Berichten hervorgeht, wurden weibliche Verwandte verhaftet und als "Tauschobjekte" für Gefangenenaustausch mit regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen verwendet. Darüber hinaus liegen Berichte vor, dass sogar Nachbarn, Kollegen und Freunde verfolgt wurden.
Aus Angst, selbst inhaftiert und misshandelt zu werden, sehen Familienmitglieder, wie Berichten zu entnehmen ist, häufig davon ab, nach dem Aufenthaltsort von verhafteten Familienmitgliedern zu forschen oder sich über die Verhaftung zu beklagen. Wie aus Berichten hervorgeht, sehen sie sich stattdessen gezwungen, korrupten Staatsbediensteten Schmiergelder zu bezahlen, um Informationen über den Aufenthaltsort eines inhaftierten Angehörigen zu erhalten, seine Verlagerung von einer Haftanstalt des Sicherheitsdienstes in die zentrale Haftanstalt zu veranlassen oder für seine Freilassung zu sorgen - dabei besteht für sie keine Erfolgsgarantie. Amnestien durch den Präsidenten haben, wie berichtet wird, auch Richtern die Möglichkeit eröffnet, Bestechungsgelder von Familien entgegen zu nehmen, die die Freilassung eines inhaftierten Familienmitglieds erreichen möchten. In besonders schwerwiegenden Fällen wurden Berichten zufolge ganze Familien von Oppositionsmitgliedern oder Überläufern verhaftet oder extralegal hingerichtet, beispielsweise bei Hausdurchsuchungen.
Aufgrund verfügbarer Herkunftslandinformationen reicht allein der Verdacht, dass eine Person regierungskritische Ansichten hat oder mit einer Person in Verbindung steht, die solche Ansichten hat, für die Verfolgung aus.
Wehrdienstverweigerer, Deserteure und ihre Familienangehörigen
Die Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrates zu Syrien und das Syrian Human Rights Committee berichteten 2013 über Exekutionen von desertierten Soldaten, über Verhaftungen von Familienangehörigen von Deserteuren und über willkürliche Verhaftungen von Personen, die sich nicht ausweisen können und aus umkämpften Gebieten geflohen sind.
Syrische Oppositionelle oder Deserteure sind im mit Syrien verbündeten Libanon ebenfalls von Verhaftung bedroht. Sogar Familienangehörige von Deserteuren und Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, sind im Ausland in Gefahr.
Zivilisten, die für die Armee gearbeitet haben und die Armee verlassen haben, gelten als Verräter und werden wie Deserteure bestraft. Personen, die nach einem bewilligten Aufenthalt im Ausland nicht nach Syrien zurückkehren, werden als Wehrdienstverweigerer oder Deserteur eingestuft und dementsprechend bestraft.
Wenn die Personen, die vom syrischen Regime einberufen wurden, nicht freiwillig erscheinen, werden sie als Wehrdienstverweigerer gelistet und werden von den Behörden gesucht. Die Truppen der Regierung sind ausgedünnt und es mangelt an Militärs.
Wehrdienstentzieher, die sich nicht innerhalb von 30 Tagen nach Ablauf der festgelegten Frist zum Militärdienst melden, werden (in Friedenszeiten) mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft. Die Wehrdienstpflicht besteht dabei weiterhin fort. Wenn Personen sich innerhalb von 30 Tagen nach Ablauf der Frist freiwillig melden, wird die Strafe um 50 Prozent herabgesetzt. In Kriegszeiten wird Wehrdienstentziehung je nach den Umständen mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft. Nach Verbüßung der Strafe muss der Wehrdienstentzieher weiterhin den regulären Militärdienst ableisten.
Es wird berichtet, dass Wehrdienstentzieher in der Praxis festgenommen und unterschiedlich lange inhaftiert werden und danach in ihrer militärischen Einheit Dienst leisten müssen. Aus Berichten geht hervor, dass sie während der Haft dem Risiko der Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt sind. Die Regierung inhaftiert Berichten zufolge außerdem gezielt Familienmitglieder von Wehrdienstentziehern, um Druck auf Männer im wehrfähigen Alter auszuüben, in den Militärdienst zu treten. Wie aus Berichten hervorgeht, ist es unklar, auf welche Weise Personen über die Verpflichtung informiert werden, sich zum Militärdienst zu melden. Ferner ist unklar, wie viel Zeit vergeht, bis der Name einer Person, die dem Einberufungsbefehl nicht Folge leistet, an das Militär und an Personenkontrollstellen mit der Anweisung gemeldet wird, die betreffende Person aufgrund von Wehrdienstentziehung festzunehmen. Einzelne Berichte legen außerdem nahe, dass zumindest in manchen Fällen Personen nach ihrer Festnahme an Kontrollstellen in die Armee eingezogen wurden, ohne zuvor einen Einberufungsbescheid erhalten zu haben. Ungeachtet des genauen Zeitpunkts, zu dem eine Person gemäß anwendbarem syrischem Recht als wehrdienstpflichtig betrachtet wird (und sich daher strafbar macht, wenn sie dem Einberufungsbefehl nicht Folge leistet), kann nach Beobachtungen von UNHCR "eine Wehrdienstentziehung auch präventiv erfolgen, indem die betreffende Person noch vor Eintreffen des eigentlichen Erfassungs- oder Einberufungsbefehls handelt", indem sie zum Beispiel das Land verlässt.
Die syrische Regierung betrachtet, wie Berichten zu entnehmen ist, Wehrdienstentziehung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen "terroristische" Bedrohungen zu schützen.
Jenen, die den Wehrdienst verweigern, oder auch ihren Familienangehörigen, können Konsequenzen drohen.
Auch Familien von Deserteuren oder Wehrdienstverweigerern haben mit Konsequenzen zu rechnen. Eine Familie könnte von der Regierung unter Druck gesetzt werden, wenn der Deserteur dadurch vielleicht gefunden werden kann. Familienmitglieder (auch weibliche) können festgenommen werden, um den Deserteur dazu zu bringen, sich zu stellen.
Manchmal wird ein Bruder oder der Vater eines Deserteurs ersatzweise zur Armee rekrutiert.
Die Familien und besonders die Väter von Militärdienstverweigerern und Deserteuren werden üblicherweise schikaniert, um die Söhne zu zwingen, sich zu stellen. Die Behörden treten auch an bestimmte Gemeinschaften heran und verlangen, dass die Familien die Mitglieder, die für den Militärdienst gesucht werden, übergeben. Obwohl die Soldaten streng beaufsichtigt werden und ihre Familien bei Fahnenflucht mit Repressalien rechnen müssen, gibt es immer wieder Deserteure. Die meisten von ihnen seien Angehörige der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit. Das Regime verwendet weiterhin alle möglichen Druckmittel von bürokratischen Auflagen bis hin zu Gefängnis und Folter, um die syrischen Streitkräfte oder die paramilitärischen Verbände zu verstärken. Amnestien dienen im Endeffekt nicht dazu, den Wehrdienstverweigerern und Deserteuren eine Strafe zu ersparen, sondern ihrer habhaft zu werden, um sie zum Militärdienst und letztendlich zum Kampfeinsatz einziehen zu können. Auch Familienangehörige von Deserteuren, von Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, oder von Zivilisten, die bei der Armee gearbeitet haben, werden bestraft. Geschwister, Brüder und Schwestern, wie auch Mütter und Väter werden verhaftet. Neben Plünderung ihrer Häuser und Verhaftungen werden Familienangehörige von Deserteuren und Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, häufig aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Die Maßnahmen gegen die Familien von Deserteuren variieren in den verschiedenen Regionen. Väter oder Brüder werden rekrutiert, um den Deserteur in der Armee zu ersetzen. Desertiert jemand mit der Waffe, werden die Familienangehörigen verhaftet. Wenn sie sich nicht mehr in Syrien aufhalten, werden sie auf eine der Suchlisten gesetzt.
Wie Berichte belegen, griffen Regierungskräfte zum Beispiel bei Verhaftungskampagnen in Gebieten, in denen ihrer Wahrnehmung nach die Opposition unterstützt wurde, gezielt Angehörige von Deserteuren heraus. Das Eigentum von Deserteuren wurde, wie berichtet wird, durch Plünderung und Brandstiftung zerstört.
Personen, die im Ausland auf bestimmte Weise aktiv sind
Wie aus Berichten hervorgeht, betrachtet die Regierung bestimmte Aktivitäten von im Ausland lebenden Syrern als Ausdruck einer oppositionellen Einstellung, darunter Anträge auf Asyl, Teilnahme an regierungskritischen Protesten, Kontakte zu Oppositionsgruppen oder andere Ausdrucksformen der Kritik an der Regierung, einschließlich über soziale Medien.
Frauen
Die Situation von Frauen verschlechtert sich durch den fortgesetzten Konflikt dramatisch, da Frauen aufgrund ihres Geschlechts zunehmend Opfer unterschiedlicher Gewalthandlungen der verschiedenen Konfliktparteien werden. Berichten zufolge wurden Tausende von Frauen bei dem Beschuss ziviler Gebiete und durch Heckenschützen sowie im Rahmen von Überfällen und Massakern getötet. Andere werden inhaftiert, als Geisel genommen, gefoltert, sexueller und sonstiger Gewalt ausgesetzt, als menschliche Schutzschilde verwendet oder werden Opfer einer strengen Auslegung der Scharia. Zunehmend übernehmen Frauen die überwiegende oder ausschließliche Versorgung der Familie, da die männlichen Familienangehörigen verletzt, behindert, festgenommen, verschwunden, getötet oder aufgrund ihrer Beteiligung am Konflikt nicht vor Ort sind oder aus Angst vor Inhaftierung oder vor Massenhinrichtungen an Kontrollstellen nicht wagen, ihre Häuser zu verlassen. Diese Frauen und Mädchen sind besonderen Schwierigkeiten während ihrer Bemühungen ausgesetzt, ihr Leben neu aufzubauen und trotz erhöhtem Missbrauchs- und Ausbeutungsrisiko für ihre Familien zu sorgen.
Frauen sind Gewalt, Diskriminierung und starken Einschränkungen ihrer Rechte ausgesetzt. Es geschehen Vergewaltigungen durch Wächter und Sicherheitskräfte in Haftanstalten. Vergewaltigung ist zwar nach dem Gesetz strafbar, die Regierung vollstreckt dieses Gesetz jedoch nicht. Außerdem kann der Täter Straffreiheit erlangen, wenn er das Opfer heiratet, um so das soziale Stigma einer Vergewaltigung zu vermeiden.
Menschenrechtsorganisationen berichten außerdem von einem Anstieg sogenannter Ehrenmorde auf Grund der hohen Anzahl an Vergewaltigungen durch die Regierungseinheiten und sexuelle Versklavung und Ausbeutung durch Daesh.
Auch an Checkpoints, die von den verschiedenen bewaffneten Gruppen besetzt sind, sowie bei Hausdurchsuchungen durch Sicherheitskräfte kommt es zu Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen.
Die Anzahl an Kinderehen ist hoch, besonders bei vertriebenen und flüchtenden Familien, die junge Töchter verheiraten, um sie vor Vergewaltigung zu schützen oder eine Vergewaltigung zu vertuschen, oder aus wirtschaftlicher Not.
In Konfliktgebieten werden Frauen auch Opfer von Entführungen durch bewaffnete Gruppen, die ihre Gegner nicht militärisch besiegen konnten und Entführungen dazu nutzen, um die Gegenseite zur Kapitulation zu zwingen.
Extremistische Gruppen, wie Daesh oder Jabhat Fatah al-Sham, setzen Frauen in den von ihnen beherrschten Gebieten diskriminierenden Beschränkungen aus, zB strengen Kleidervorschriften, Einschränkungen bei der Teilnahme am öffentlichen Leben, bei der Bewegungsfreiheit und beim Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt. In Gebieten, die Daesh beherrscht, wurde ein Dokument veröffentlicht, dass Frauen unter Androhung der Todesstrafe die Befolgung von 16 Punkten vorschreibt, darunter, das Haus nicht ohne einen männlichen nahen Verwandten zu verlassen, weite Kleidung, ein Kopftuch und einen Gesichtsschleier zu tragen, Friseursalons zu schließen, in der Öffentlichkeit nicht auf Stühlen zu sitzen und keine männlichen Ärzte aufzusuchen. In Raqqa gründete Daesh die "al-Khansaa"-Brigade, die hauptsächlich aus nicht-syrischen Frauen besteht und die Regeln des Daesh bei Frauen durchsetzen soll.
Außerhalb der Gebiete, die unter der Kontrolle des Regimes stehen, unterscheiden sich die Bedingungen für Frauen sehr stark voneinander. Sie reichen von extremer Diskriminierung, sexueller Versklavung und erdrückenden Verhaltens- und Kleidungsvorschriften in Gebieten des Daesh zu formaler Gleichberechtigung in den Gebieten unter PYD, wo Regierungssitze immer von einer Frau und einem Mann besetzt sind und Frauen in der Politik und im Militärdienst gut vertreten sind.
Ethnische/religiöse Minderheiten
Auch unter den Minderheiten gibt es eine Spaltung zwischen Gegnern und Befürwortern des syrischen Regimes. Auch (bzw. gerade auch) Kurden zählen zu den (auch exilpolitisch tätigen) Regimegegnern. Das Regime geht verstärkt gegen christliche und alawitische Regimegegner vor, welche der Regime-Narrative von "der sunnitisch gesponserten Gewalt" widersprechen könnten. Die ChristInnen werden beschuldigt, auf Seiten des Regimes zu stehen. In noch stärkerem Ausmaß werden AlawitInnen kollektiv als verantwortlich für Taten des Regimes wahrgenommen, obwohl bereits unter Hafiz al-Assad aus ihren Reihen die bekanntesten RegimekritikerInnen stammten. Der Anstieg an interkonfessioneller Gewalt traf besonders AlawitInnen, DruzInnen, schiitische MuslimInnen und ChristInnen. Mitglieder religiöser Minderheiten sind Drohungen und Einschüchterungen, Entführungen, Folter und Hinrichtungen durch bewaffnete Oppositionsgruppen ausgesetzt, weil sie Unterstützer oder Angehörige der Regierung, seiner Streitkräfte und Milizen sind bzw. als solche wahrgenommen werden.
Experten drückten wiederholt ihre Besorgnis über die fortgesetzte Sicherheitsbedrohung für Minderheiten in Syrien aus, darunter für Alawiten, Armenier, Assyrer, Drusen, Ismailis und Kurden, die aufgrund ihrer religiösen oder ethnischen Identität getötet, verfolgt oder auf andere Weisen angegriffen werden - vorwiegend durch nichtstaatliche bewaffnete Gruppen, darunter die Al-Nusra-Front und der so genannte "Islamische Staat im Irak und der Levante". Gemäß der unabhängigen UN-Untersuchungskommission wurden Minderheiten in von ISIS kontrollierten Gebieten, in denen unterschiedliche ethnische und religiöse Gemeinschaften lebten, zur Assimilation oder Flucht gezwungen. Bereits im Juli 2013 wurden Kurden aus Städten in ArRaqqah durch ISIS zwangsvertrieben. Im November 2014 wurden die kurdischen Bewohner von Al Bab (Aleppo) vertrieben.
Menschenrechtsverletzungen
Die syrische Regierung, ihre Streitkräfte und regierungsfreundliche Kräfte begehen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, wie Mord, Vernichtung, Folter, Vergewaltigung, Zwangsverschleppungen, Angriffe auf die Zivilbevölkerung und andere unmenschliche Akte. Im Zuge mehrerer großer Militäroperationen von Regierungs- und regierungsfreundlichen Truppen verübten diese Massenmorde, auch an Frauen und Kindern. Der fortgesetzte Konflikt führte zu einigen der abscheulichsten Bedingungen für Menschenrechte und humanitäre Lage weltweit, darunter Ermordungen, Folter, willkürliche Haft, Verschwindenlassen, Verweigerung des Zugangs zu Justiz, schwere Einschränkungen der Meinungsfreiheit und die Verfolgung von Frauen und Minderheiten. Kinder wurden ermordet, gefoltert und der Gewalt durch alle Parteien ausgesetzt. Es kommt auch zu frühen Zwangsheiraten von Mädchen. Die meisten Menschenrechtsverletzungen und Brüche des humanitären Gesetzes wurden systematisch von syrischen Regierungskräften und ihren verbündeten Gruppen begangen.
Der bewaffnete Konflikt in Syrien ist Berichten zufolge weiterhin von weit verbreiteten und systematischen Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts gekennzeichnet, die in einem Klima der Straflosigkeit stattfinden. Die Unabhängige UN-Untersuchungskommission zu Syrien und Menschenrechtsorganisationen haben syrische Regierungskräfte der Begehung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschuldigt. Willkürliche und direkte Angriffe auf Zivilisten, Belagerungen und Verwehrung des Zugangs von humanitärer Hilfe sowie Angriffe auf medizinische Einrichtungen und Mitarbeiter haben sich Berichten zufolge als typisches Schema von Menschenrechtsverletzungen auf Seiten der syrischen Regierungskräfte erwiesen. Wie aus Berichten hervorgeht, haben syrische Regierungskräfte Waffen auf willkürliche Weise eingesetzt, darunter Artillerie, Luftangriffe, Fassbomben, Brandwaffen, Streumunition und chemische Waffen.
Aus den Berichten der unabhängigen UN-Untersuchungskommission und von Menschenrechtsorganisationen geht hervor, dass bewaffnete oppositionelle Gruppen Kriegsverbrechen in Form von Mord, Hinrichtung ohne Gerichtsverfahren, Folter, Geiselnahme, Rekrutierung von Kindern und deren Einsatz für Kampfhandlungen und für andere Zwecke sowie Angriffe auf Mitarbeiter medizinischer und religiöser Einrichtungen, Journalisten und geschützte Objekte begehen. Von der Regierung kontrollierte Ortschaften, einschließlich solcher Gebiete, die von religiösen Minderheiten bewohnt werden, sind Berichten zufolge häufig Ziel willkürlicher Mörser-, Raketen- und USBV-Angriffe durch bewaffnete oppositionelle Gruppen. Diese bewaffneten oppositionellen Gruppen haben Berichten zufolge Zivilgebiete, die als regierungsnah angesehen werden, belagert oder zeitweise von der Wasser- und/oder Stromversorgung abgeschnitten.
Ausreise aus Syrien
Die Art der Ausreise - ob offiziell oder inoffiziell -, für die Syrer sich entscheiden, hängt Berichten zufolge von verschiedenen Faktoren und Gründen ab, darunter vorhandene oder fehlende Papiere, Sicherheitserwägungen (einschließlich Sicherheit der Flugroute), finanzielle Lage der betroffenen Personen, Nähe eines bestimmten Grenzübergangs, usw. Da es für syrische Staatsbürger zunehmend schwierig wurde, offizielle Grenzübergänge der Nachbarstaaten zu benutzen, gab es Berichte, dass immer mehr Syrer gezwungen waren, Syrien auf gesetzeswidrige Weise zu verlassen. Wie berichtet wird, haben einige Männer aus Furcht vor Einziehung zum Wehrdienst Syrien innerhalb des knappen Zeitfensters ab Erhalt des Einberufungsbescheids bis zu dem Zeitpunkt, an dem ihre Namen an Grenzkontrollstellen geleitet wurden, über offizielle Grenzübergänge verlassen, oder Staatsbedienstete bestochen, ihre Namen vorübergehend aus der an Grenzkontrollstellen vorliegenden Liste gesuchter Personen zu entfernen.
Behandlung bei Rückkehr nach Syrien aus dem Ausland
Es liegen kaum konkrete Informationen über die Behandlung von Rückkehrern nach Syrien vor. Quellen zufolge werden Personen an der Grenzübergangsstelle (Landgrenze, Flughafen) bei ihrer Einreise untersucht, um festzustellen, ob sie im Zusammenhang mit sicherheitsbezogenen Vorfällen (wie Straftaten, tatsächliche oder vermeintliche regierungsfeindliche Aktivitäten oder Ansichten, Kontakte zu politischen Oppositionellen im Ausland, Einberufung etc.) gesucht werden. Personen, deren Profil irgendeinen Verdacht erregt, insbesondere aus den unter den Risikoprofilen unten beschriebenen Gründen, sind Berichten zufolge dem Risiko einer längeren incommunicado Haft und Folter ausgesetzt. Es wird