TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/20 W150 2169207-1

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Veröffentlicht am 20.11.2018
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Entscheidungsdatum

20.11.2018

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W150 2169209-1/4E

W150 2169207-1/4E

W150 2169211-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter über die Beschwerden der syrischen Staatsangehörigen (1.) Herrn XXXX, geboren amXXXX1953, (2.) Frau XXXX, geboren am XXXX1953 sowie (3.) XXXX, geboren am XXXX1999, gegen die Spruchteile I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.07.2017, Zlen. (1.) 1096081507 - 151836878, (2.) 1096081703 - 151837165 und (3.) 1096081801 - 151837777 zu Recht:

A)

Die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide werden gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die BF stellten am 22.11.2015 nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

2. Am 23.11.2015 wurden der Erstbeschwerdeführer (BF1), die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) und die - damals noch minderjährige - Drittbeschwerdeführerin (BF3) durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Erstbefragung unterzogen.

Zusammengefasst gab der BF1 an, dass er verheiratet sei und gemeinsam mit seiner Ehefrau (BF2) und seiner Tochter (BF3) nach Österreich gereist sei. Der BF1 bekenne sich zur muslimischen Religion (genauer: er sei Sunnite) und gehöre der Volksgruppe der Kurden an. In Syrien sei er zuletzt als Gemüsehändler tätig gewesen, er habe keine Ausbildung genossen und sei Analphabet. Der BF1 gab an, dass er neun Kinder habe, drei Söhne würden noch in Qamishli, Syrien, leben. Eine Tochter lebe im Irak, eine in Deutschland, eine in Norwegen und eine weitere in der Türkei. Einer seiner Söhne lebe seit April 2012 in Österreich. Syrien verlassen habe der BF1 mit der BF2 und der BF3 am 18.10.2015 mit dem Bus, sie hätten Syrien legal unter Verwendung eines Personalausweises verlassen. Nach der Ausreise in die Türkei hätten sich die BF dort für zwei Wochen aufgehalten und seien dann über Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien nach Österreich gereist. Befragt zu seinem Fluchtgrund gab der BF1 an, dass sie Syrien verlassen hätten, da zwei Monate vor der Befragung ihr Haus durch einen Bombenangriff zerstört worden sei. Im Zuge dieses Angriffes sei auch sein Gemüsegeschäft zerstört worden. Ca. ein Jahr vor der Befragung seien IS-Kämpfer (Terroristen) nach Qamishli gekommen und hätten auf der Straße Kurden getötet. Diese Kämpfer hätten auch immer wieder junge kurdische Mädchen mitgenommen und diese gezwungen, IS-Kämpfer zu heiraten. Er habe deswegen dauernd Angst um seine Tochter (die BF3) gehabt und die Familie hätte sich verstecken müssen. Bei einer Rückkehr werde der BF1 mit seiner Familie von den IS-Terroristen umgebracht. Vorgelegt wurde ein syrischer Personalausweis sowie ein Familienpass, einen Reisepass habe er nie besessen.

Die BF2 gab im Rahmen der Befragung an, dass sie verheiratet sei und mit dem BF1 und der BF3 nach Österreich gekommen sei. Auch sie bekenne sich zum muslimischen Glauben (sie sei Sunnitin) und gehöre der Volksgruppe der Kurden an. Sie habe keine Ausbildung absolviert und sei Analphabetin. In Syrien sei sie Hausfrau und Mutter gewesen. Die Angaben zu den Kindern der BF2 und auch die Ausführungen zur Ausreise aus Syrien deckten sich mit jenen des BF1. Zu ihren Fluchtgründen befragt gab die BF2 - zusätzlich zu den vom BF1 getätigten Angaben - an, dass die IS-Kämpfer zwei junge Frauen ermordet hätten, da diese keinen IS-Terroristen heiraten hätten wollen.

Die BF3 gab bei dieser Befragung an, dass sie ledig sei und sich ebenso wie ihre Eltern (der BF1 und die BF2) zum muslimischen Glauben bekenne und der kurdischen Volksgruppe angehöre. Sie habe von 2006 bis 2011 die Grundschule in Qamishli besucht. Die Angaben der BF3 zur Fluchtroute deckten sich mit jenen des BF1 und der BF2. Syrien verlassen habe die BF3, da sie ständig Angst vor den IS-Terroristen gehabt habe. Sie hätten viele Verwandte und Bekannte durch die IS-Kämpfer verloren. Das Leben in ihrem Dorf sei sehr gefährlich gewesen und sie habe die Schule nicht mehr besuchen können.

3. Am 19.06.2017 wurden die BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA") niederschriftlich einvernommen.

Der BF1 gab an, dass er einen Reisepass besitze und in der Erstbefragung nicht danach gefragt worden sei. Zwei seiner Brüder sowie vier Schwestern würden noch in Syrien leben. Seine Brüder seien Beamte, einer arbeite bei einem staatlichen Saatgutunternehmen und der zweite bei der Telekom. Die Schwestern würden von ihren Ehemännern versorgt. Die vom BF1 gemachten Angaben zu seinen Kindern glichen jenen in der Erstbefragung. Zu seiner Schulbildung befragt gab der BF1 an, dass er von 1959 bis 1965 in die Grundschule gegangen und nachfolgend von 1965 bis 1972 im Rahmen von Gelegenheitsjobs tätig gewesen sei. Danach habe er bis ca. 1983 für ein staatliches Mühlwerk gearbeitet, nachfolgend in einer Bäckerei als Geschäftsführer bis 1998. Danach habe er sich mit einem Minimarkt selbständig gemacht, welchen er bis zu seiner Ausreise betrieben habe. Gelebt habe er immer in Qamishli. Syrien verlassen habe er mit der BF2 und der BF3 am 26.10.2015. Der BF1 sei legal mit seinem Reisepass von Syrien in den Nordirak gereist und von dort legal in die Türkei. Die Weiterreise sei schlepperunterstützt erfolgt. Er sei in Syrien niemals inhaftiert worden oder habe Probleme mit den Behörden gehabt. Es bestünden keine aktuellen staatlichen Fahndungsmaßnahmen und er sei auch nicht politisch tätig gewesen. Probleme aufgrund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit habe er in Syrien nicht gehabt. Zu seinen Fluchtgründen gab der BF1 an, dass in Syrien Bürgerkrieg herrsche und es eines Tages nach dem Frühstück einen Anschlag gegeben habe. Am selben Tag sei sein Geschäft und das Gebäude in dem dieses sich befunden habe zerstört worden. Alle Bewohner des Dorfes seien Richtung Grenze geflohen. Er habe nie gesagt, dass syrische Mädchen IS-Kämpfer heiraten müssten. Seinen Grundwehrdienst habe der BF1 von 1972 bis 08.12.1975 abgeleistet, wo sein Militärbuch sei wisse er nicht. Eine Einberufung habe er nur einmalig im Jahre 1983 erhalten, da habe er noch einmal 20 Tage Wehrdienst abgeleistet, danach gab es keine Kontaktaufnahme seitens des syrischen Militärs mehr. Er habe auch keinen Kontakt mit Islamisten gehabt und sei nie konkret vom IS bedroht worden. Wenn kein Krieg mehr in Syrien herrsche, würde der BF1 dorthin zurückkehren.

Die BF2 gab vor dem BFA an, dass sie noch vier Brüder und drei Schwestern habe, die in Syrien leben würden. Eine weitere Schwester lebe in der Türkei und eine in Schweden. Ihre Brüder würden von der Landwirtschaft leben, sie besäßen Grundstücke, ihre Schwestern seien verheiratet. Die BF2 wisse nicht, wann sie geboren worden sei, sie sei auch niemals in die Schule gegangen. Mit 17 oder 18 Jahren habe sie geheiratet und sich von da an um die Kinder und den Haushalt gekümmert. Sie könne weder lesen noch schreiben. In Syrien habe sie immer in Qamishli gelebt. Aus Syrien ausgereist sei sie legal mit ihrem Reisepass und ihrem Personalausweis. Sie sei mit ihrem Mann mitgereist und schließe sich dessen Fluchtgründen an. Wenn in Syrien kein Krieg mehr herrsche, wolle sie zurückkehren.

Im Rahmen dieser Befragung vor dem BFA gab die BF3 an, dass sie mit ihren Eltern nach Österreich gereist sei und sich deren Fluchtgründen anschließe. Sie habe Angst um ihr Leben und wolle in Österreich weiter die Schule besuchen. Bei einer Rückkehr nach Syrien "passiere nichts".

4. Mit Bescheiden vom 05.07.2017 - zugestellt am 14.07.2017 - wies das BFA die Anträge der BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde den BF der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

Den BF1 betreffend wurde in dem ihn betreffenden Bescheid zu seiner Person und seinen Fluchtgründen durch das BFA Folgendes festgestellt:

Seine Identität stehe fest. Er sei mit der BF2 verheiratet und der Vater der BF3. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der BF1 in Syrien persönlich bedroht worden oder gefährdet sei. Er habe keine Gründe vorgebracht, die eine Asylgewährung möglich gemacht hätten. Begründet wurde dies damit, dass die Ausreise des BF1 aus subjektiv verspürter Furcht herrühre, doch aufgrund der vergangenen Zeitdauer und dem Umstand, dass dieser nie einer Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt gewesen sei, nicht mehr als gegenwärtige Gefahr angesprochen werden könne. Die BF hätten weiters Syrien legal verlassen. Außerdem habe der BF1 bei der Einvernahme vor dem BFA angegeben, dass er an einer freiwilligen Ausreise interessiert sei, wenn den Krieg in Syrien ein Ende fände. Der BF1 habe im gesamten Verfahren zu keiner Zeit eine persönliche bzw. individuelle Verfolgung plausibel und nachvollziehbar darlegen können, da eine solche de facto nicht vorgelegen habe.

Dem Bescheid die BF2 betreffend sind die Feststellungen zu ihrer Person und ihren Fluchtgründen wie folgt zu entnehmen:

Ihre Identität stehe fest. Sie sei syrische Staatsangehörige, gehöre der kurdischen Volksgruppe und der muslimischen Glaubensrichtung an. Die BF2 sei die Gattin des BF1, diesem sei der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden. Weiters habe die BF2 keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht, es habe nicht festgestellt werden können, dass ihr oder ihrem Gatten (BF1) eine asylrelevante Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung drohe. Die BF2 habe keine Probleme mit den syrischen Behörden gehabt und es würden aktuell keine Fahndungsmaßnahmen gegen sie oder den BF1 bestehen. Sie sei weder politisch tätig gewesen noch Mitglied einer politischen Partei.

Die BF3 betreffend wurde im Bescheid festgehalten, dass ihre Identität feststehe. Sie gehöre der Volksgruppe der Kurden und der muslimischen Glaubensrichtung an. Sie sei die Tochter des BF1 und der BF2, dem BF1 als Vater sei der Status eines subsidiär Schutzberechtigten verliehen worden. Die BF3 habe keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht und sich ausschließlich auf die Fluchtgründe ihres Vaters (BF1) berufen.

5. Gegen die oben angeführten Bescheide erhoben die BF fristgerecht am 10.08.2017 Beschwerde und begründeten diese zusammengefasst damit, dass der BF1 in Syrien ursprünglich Beamter in einem staatlichen Mühlwerk gewesen sei und er seine Arbeit verloren habe, da ihm eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt worden sei. Er habe viele Rechte verloren und sei mit dem Tod bedroht worden. Weiters seien das Haus und das Geschäft des BF1 im Krieg bei einem Bombenanschlag zerstört worden und die Enkel der BF1 und BF2 und auch die BF3 seien von Rekrutierungen durch die kurdischen Streitkräfte bedroht gewesen und hätten sich ständig verstecken müssen, weswegen die BF fliehen hätten müssen. Es werde eine Person pro Haushalt durch die kurdischen Milizen rekrutiert. Es wurde auf Berichte verwiesen, aus denen hervorgehen solle, dass Frauen Zwangsrekrutierungen insbesondere durch kurdische Milizen unterworfen seien. Weiters wurde vorgebracht, dass auch der BF1 durch eine Zwangsrekrutierung bedroht sei, da das offizielle Höchstalter für eine Rekrutierung prinzipiell aufgehoben sei. Die BF3 sei selbst nicht dazu befragt worden, wieso der BF1 als ihr Vater so Angst um sie habe, anderenfalls hätte auch sie Angaben zu einer drohenden Zwangsrekrutierung machen können. Der BF1 habe auch angegeben, für ein staatliches Mühlwerk gearbeitet zu haben, er sei dort als Beamter tätig gewesen. Aufgrund der Unterstellung einer oppositionellen Haltung gegenüber der Regierung habe er seine Arbeit sowie viele seiner Rechte verloren und sei mit dem Tod bedroht worden. Auch hier hätte die Behörde näher nachfragen müssen. Auch der BF1 sei von einer Zwangsrekrutierung bedroht.

6. Die belangte Behörde legte, datiert mit 25.08.2017 - eingelangt am 30.08.2017 -, die Beschwerden - ohne von der Möglichkeit von Beschwerdevorentscheidungen Gebrauch zu machen - dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der erhobenen Anträge auf internationalen Schutz vom 22.11.2015 der Einvernahmen der BF durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des BFA, der Beschwerde gegen die angefochtenen Bescheide des BFA vom 05.07.2017, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, in das Zentrale Melderegister, Fremdeninformationssystem, Strafregister und Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zu den BF:

Die BF tragen die im Spruch angeführten Namen und sind zu den dort jeweils angegebenen Daten geboren. Sie sind syrische Staatsangehörige sunnitischen Glaubens, gehören der kurdischen Volksgruppe an und stammen aus Qamishli, wo sie auch bis zu ihrer Ausreise gelebt haben. Dieser Ort in der syrischen Provinz Hasaka bzw. der Provinz Qamishli der kurdischen Demokratischen Föderation Nordsyrien (Rojava) nach deren Verwaltungsgliederung, befindet sich - bis auf den Bereich des Flughafens, welcher unter der Kontrolle der syrischen Regierung steht - unter der Kontrolle der Milizen der YPG.

Der BF1 ist mit der BF2 sowohl traditionell als auch standesamtlich registriert im Herkunftsstaat seit 1975 verheiratet und diese sind die Eltern der - bei der Antragstellung minderjährigen und nunmehr volljährigen - BF3.

Die BF sind Ende Oktober 2015 legal aus Syrien über den Irak in die Türkei ausgereist.

Die BF haben Syrien jedenfalls aufgrund der Bürgerkriegssituation bzw. der daraus resultierenden unsicheren Lage verlassen und deswegen bereits durch das BFA subsidiären Schutz erhalten und leben in Österreich.

Den BF droht in Syrien mit hinreichender Wahrscheinlichkeit keine Verfolgung auf Grund ihrer ethnischen, religiösen oder auch Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe bzw. wegen ihrer politischen Gesinnung durch die syrische Regierung bzw. den syrischen Staat oder die Demokratischen Föderation Nordsyrien bzw. deren Miliz YPG.

Insbesondere droht dem BF1 keine Verfolgung aufgrund der Tatsache, dass er bis 1983 für ein staatliches Mühlwerk als Beamter tätig gewesen ist. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der BF1 bei einer Rückkehr nach Syrien zum Militärdienst bzw. zum Reservemilitärdienst einberufen wird.

Der BF3 droht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit keine Zwangsrekrutierung durch kurdische Streitkräfte. Es kommt in Syrien zu keiner flächendeckenden Zwangsrekrutierung kurdischer Mädchen bzw. Frauen und auch zu keiner dies betreffenden Reflexverfolgung von Familienmitgliedern aufgrund einer Entziehung der Rekrutierung durch eine Flucht aus Syrien.

Die BF sind in Österreich unbescholten.

1.2. Zur im vorliegenden Fall relevanten Situation in Syrien:

1.2.1. Politische Lage

Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit über 50 Jahren, seit Hafez al-Assad 1963 mit fünf anderen Offizieren einen Staatsstreich durchführte und sich dann 1971 als der Herrscher Syriens ernannte. Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad diese Position. Seit dieser Zeit haben Vater und Sohn keine politische Opposition geduldet. Jegliche Versuche eine politische Alternative zu schaffen wurden sofort unterbunden, auch mit Gewalt (USCIRF 26.4.2017). 2014 wurden Präsidentschaftswahlen abgehalten, welche zur Wiederwahl von Präsident Assad führten (USDOS 3.3.2017). Bei dieser Wahl gab es erstmals seit Jahrzehnten zwei weitere mögliche, jedoch relativ unbekannte, Kandidaten. Die Präsidentschaftswahl wurde nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten abgehalten, wodurch ein großer Teil der syrischen Bevölkerung nicht an der Wahl teilnehmen konnte. Die Wahl wurde als undemokratisch bezeichnet. Die syrische Opposition bezeichnete sie als "Farce" (Haaretz 4.6.2014; vgl. USDOS 13.4.2016).

Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat (USDOS 3.3.2017). Am 13.4.2016 fanden in Syrien Parlamentswahlen statt. Das Parlament wird im Vier-Jahres-Rhythmus gewählt, und so waren dies bereits die zweiten Parlamentswahlen, welche in Kriegszeiten stattfanden (Reuters 13.4.2016; vgl. France24 17.4.2017). Die in Syrien regierende Baath-Partei gewann gemeinsam mit ihren Verbündeten unter dem Namen der Koalition der "Nationalen Einheit" 200 der 250 Parlamentssitze. Die syrische Opposition bezeichnete auch diese Wahl, welche erneut nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten stattfand, als "Farce". Jeder der 200 Kandidaten auf der Liste der "Nationalen Einheit" bekam einen Parlamentssitz. Die Vereinten Nationen gaben an, die Wahl nicht anzuerkennen (France24 17.4.2016). Die Verfassungsreform von 2012 lockerte die Regelungen bezüglich der politischen Partizipation anderer Parteien. In der Praxis unterhält die Regierung jedoch noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernstzunehmenden Konkurrenten zur Regierung Assads entwickeln könnten (FH 1.2017)

Seit 2011 tobt die Gewalt in Syrien. Aus anfangs friedlichen Demonstrationen ist ein komplexer Bürgerkrieg geworden, mit unzähligen Milizen und Fronten. Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weit verbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 10.8.2016). Die Arabische Republik Syrien existiert formal noch, ist de facto jedoch in vom Regime, von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) und von anderen Rebellen-Fraktionen oder dem sogenannten Islamischen Staat (IS) kontrollierte Gebiete aufgeteilt (BS 2016). Der IS übernahm seit 2014 vermehrt die Kontrolle von Gebieten in Deir ez-Zour und Raqqa, außerdem in anderen Regionen des Landes und rief daraufhin ein "islamisches Kalifat" mit der Hauptstadt Raqqa aus (USDOS 3.3.2017). Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung nur ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer, die noch nicht aus Syrien geflohen sind, leben (Reuters 13.4.2016). Verschiedene oppositionelle Gruppen mit unterschiedlichen Ideologien und Zielen kontrollieren verschiedene Teile des Landes. Vielfach errichten diese Gruppierungen Regierungsstrukturen bzw. errichten sie wieder, inklusive irregulär aufgebauter Gerichte (USDOS 3.3.2017). Seit 2016 hat die Regierung große Gebietsgewinne gemacht, jedoch steht noch beinahe die Hälfte des syrischen Territoriums nicht unter der Kontrolle der syrischen Regierung. Alleine das Gebiet, welches unter kurdischer Kontrolle steht wird auf etwa ein Viertel des syrischen Staatsgebietes geschätzt (DS 23.12.2017; vgl. Standard 29.12.2017).

Russland, der Iran, die libanesische Hisbollah-Miliz und schiitische Milizen aus dem Irak unterstützen das syrische Regime militärisch, materiell und politisch. Seit 2015 schickte Russland auch Truppen und Ausrüstung nach Syrien und begann außerdem Luftangriffe von syrischen Militärbasen aus durchzuführen. Während Russland hauptsächlich auf von Rebellen kontrollierte Gebiete abgezielt, führt die von den USA geführte internationale Koalition Luftangriffe gegen den IS durch (FH 27.1.2016; vgl. AI 24.2.2016).

Im Norden Syriens gibt es Gebiete, welche unter kurdischer Kontrolle stehen und von den Kurden Rojava genannt werden (Spiegel 16.8.2017). 2011 soll der damalige irakische Präsident Jalal Talabani ein Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), deren Mitglieder die PYD gründeten, vermittelt haben: Im September 2011 stellte der iranische Arm der PKK, die Partei für ein Freies Leben in Kurdistan (Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê - PJAK), ihren bewaffneten Kampf gegen den Iran ein. Etwa zur selben Zeit wurde die PYD in Syrien neu belebt. Informationen zahlreicher Aktivisten zufolge wurden bis zu zweihundert PKK-Kämpfer aus der Türkei und dem Irak sowie Waffen iranischer Provenienz nach Syrien geschmuggelt. Aus diesem Grundstock entwickelten sich die Volksverteidigungseinheiten (YPG). Ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel begann die PYD, die kurdische Bevölkerung davon abzuhalten, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine "zweite Front" in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Baath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden ?Afrin, ?Ain al-?Arab (Kobanî) und die Dschazira von PYD und YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (ES BFA 8.2017). Im März 2016 wurde die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte. Afrin steht zwar unter kurdischer Kontrolle, ist jedoch nicht mit dem Rest des kurdischen Gebietes verbunden (ICC 4.5.2017; vgl. IRIN 15.9.2017). Das von der PYD in den kurdischen Gebieten etablierte System wird von der PYD als "demokratische Autonomie" bzw. "demokratischer Konföderalismus" bezeichnet. "Demokratischer Konföderalismus" strebt danach, die lokale Verwaltung durch Räte zu stärken, von Straßen- und Nachbarschaftsräten über Bezirks- und Dorfräte bis hin zu Stadt- und Regionalräten. "Demokratischer Konföderalismus" muss somit als Form der Selbstverwaltung verstanden werden, in der Autonomie organisiert wird. Die Realität sieht allerdings anders aus. Tatsächlich werden in "Rojava" Entscheidungen weder von den zahlreichen (lokalen) Räten getroffen, noch von Salih Muslim und Asya Abdullah in ihrer Funktion als Co-Vorsitzende der PYD, stattdessen liegt die Macht bei der militärischen Führung im Kandilgebirge, die regelmäßig hochrangige Parteikader nach Syrien entsendet (ES BFA 8.2017 und ICC 4.5.2017). In den kurdischen Gebieten haben die Bürger durch die PYD auch Zugang zu Leistungen, wobei die Partei unter anderem die Bereitstellung von Leistungen nutzt, um ihre Macht zu legitimieren. Die Erbringung öffentlicher Leistungen variiert jedoch. In Gebieten, in denen die PYD neben Behörden der Regierung existiert, haben sich zahlreiche Institutionen entwickelt und dadurch wurden Parallelstrukturen geschaffen. In Gebieten in denen die PYD mehr Kontrolle besitzt, bleibt die Macht in der Hand der PYD zentralisiert, trotz den Behauptungen der PYD die Macht auf die lokale Ebene zu dezentralisieren (CHH 8.12.2016).

Noch sind die beiden größeren von Kurden kontrollierten Gebietsteile voneinander getrennt, das Ziel der Kurden ist es jedoch entlang der türkischen Grenze ein zusammenhängendes Gebiet unter ihre Kontrolle zu bringen (Spiegel 16.8.2016). Der Ton zwischen Assad und den an der Seite der USA kämpfenden syrischen Kurden hat sich in jüngster Zeit erheblich verschärft. Assad bezeichnete sie zuletzt als "Verräter". Das von kurdischen Kämpfern dominierte Militärbündnis der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) konterte, Assads Regierung entlasse "Terroristen" aus dem Gefängnis, damit diese "das Blut von Syrern jeglicher Couleur vergießen" könnten (Standard 29.12.2017).

1.2.2. Sicherheitslage

Der im März 2011 begonnene Aufstand gegen das Regime ist in eine komplexe militärische Auseinandersetzung umgeschlagen, die grundsätzlich alle Städte und Regionen betrifft. Nahezu täglich werden landesweit Tote und Verletzte gemeldet. Die staatlichen Strukturen sind in zahlreichen Orten zerfallen und das allgemeine Gewaltrisiko ist sehr hoch (AA 27.12.2017).

Grob gesagt stehen auf der Seite der syrischen Regierung Russland, der Iran, die libanesische Hisbollah und schiitische Milizen, die vom Iran im Irak, in Afghanistan und im Jemen rekrutiert werden. Auf der Seite der diversen Gruppierungen, die zur bewaffneten Opposition bzw. zu den Rebellen gehören, stehen die Türkei, die Golfstaaten, die USA und Jordanien, wobei diese Akteure die Konfliktparteien auf unterschiedliche Arten unterstützen. Zudem sind auch die Kurden in Nordsyrien und der sogenannte Islamische Staat (IS) am Konflikt beteiligt (BBC 7.4.2017).

Mitte September des Jahres 2016 wurde von den USA und Russland, nach monatelangen Gesprächen, eine Waffenruhe ausgehandelt. Diese sollte ermöglichen, dass humanitäre Hilfe die Kampfgebiete erreichen kann; ausserdem sollte den Luftangriffen des syrischen Regimes auf die Opposition Einhalt geboten werden. Die Waffenruhe sollte sieben Tage bestehen und galt für das syrische Regime und die Rebellen, jedoch nicht für die terroristischen Gruppierungen "Islamischer Staat" (IS) und Jabhat Fatah ash-Sham (CNN 12.9.2016). Es soll in verschiedenen Gebieten mehr als 300 Verstöße gegen die Waffenruhe gegeben haben. Nach ungefähr einer Woche wurde die Waffenruhe von der syrischen Armee bzw. vom syrischen Regime für beendet erklärt. In dieser Zeit konnten keine humanitären Hilfslieferungen die Kampfgebiete erreichen (Zeit 19.9.2016).

1.2.3. Gebiete unter kurdischer Kontrolle

Im von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) kontrollierten Gebiet wurde die "Verfassung von Rojava" erstellt, welche als "sozialer Vertrag" zwischen den Bürgern der kurdischen Gebiete beschrieben wird und eine parlamentarische Demokratie mit Pluralismus und gleichen Rechten für Männer und Frauen vorsieht (BTI 2016). Es wurden Komitees gegründet, die die Erhaltung des "sozialen Friedens" zum Ziel haben und Straftaten unter diesem Gesichtspunkt regeln (FT 23.12.2015). Die von der PYD geführte Verwaltung umfasst neben einer eigenen Polizei auch Gerichte, Gefängnisse, Ministerien und Gesetze. Für die Militärgerichtsbarkeit sind die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) verantwortlich (AI 12.7.2017). Die Erbringung öffentlicher Dienste variiert in den kurdisch kontrollierten Gebieten. In Gebieten, in denen die PYD neben Behörden der Regierung existiert, haben sich zahlreiche Institutionen entwickelt und dadurch Parallelstrukturen geschaffen. Zum Beispiel fordert die PYD die Bevölkerung dazu auf sich bei den Institutionen der PYD zu registrieren, gleichzeitig müssen sich Bürger jedoch auch bei den örtlichen staatlichen Gerichten um offizielle Dokumente bemühen, da Dokumente der PYD vom syrischen Staat nicht anerkannt werden (CHH 8.12.2017).

1.2.4. Wehr - und Reservedienst

Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst

Seit Jahren versuchen immer mehr Männer die Rekrutierung zu vermeiden, indem sie beispielsweise das Land verlassen oder lokalen bewaffneten Gruppen beitreten, die das Regime unterstützen. Jenen, die den Militärdienst verweigern, oder auch ihren Familienangehörigen, können Konsequenzen drohen. Es ist schwer zu sagen, in welchem Ausmaß die Rekrutierung durch die syrische Armee in verschiedenen Gebieten Syriens, die unter der Kontrolle verschiedener Akteure stehen, tatsächlich durchgesetzt wird, und wie dies geschieht. In der syrischen Armee herrscht zunehmende Willkür und die Situation kann sich von einer Person zur anderen unterscheiden (FIS 23.8.2016).

Die Rekrutierung von männlichen Syrern findet nach wie unvermindert statt (DRC/DIS 8.2017). Für männliche syrischen Staatsbürger und Palästinenser, welche in Syrien leben, ist ein Wehrdienst von 18 oder 21 Monaten ab dem Alter von 18 Jahren verpflichtend, außerdem gibt es einen freiwilligen Militärdienst. Frauen können ebenfalls freiwillig einen Militärdienst ableisten (CIA 5.12.2017; vgl. FIS 23.8.2016; vgl. BFA 8.2017). Diejenigen männlichen palästinensischen Flüchtlinge, im Alter von 18 bis 42 Jahren, welche vor 1956 bei der General Administration for Palestine Arab Refugees (GAPAR) registriert waren, und deren Nachkommen müssen den verpflichtenden Wehrdienst bei der Palästinensischen Befreiungsarmee (PLA), einer Einheit der syrischen Streitkräfte, ableisten. Für diese Palästinenser gelten die gleichen Voraussetzungen für den Wehrdienst wie für Syrer (BFA 8.2017).

Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit, oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsatz verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. "Rekrut" ist der niedrigste Rang, und die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (BFA 8.2017).

Normalerweise werden Einberufungsbefehle schriftlich mit der Post zugestellt, zur Zeit wird jedoch eher auf persönlichem Wege zum verpflichtenden Militärdienst rekrutiert, um ein Untertauchen der potentiellen Rekruten möglichst zu verhindern. Zu diesem Zweck werden Mitarbeiter des Rekrutierungsbüros zum Haus der Wehrpflichtigen geschickt. Wenn der Gesuchte zu Hause ist, wird er direkt mitgenommen. Wenn er nicht zu Hause ist, wird der Familie mitgeteilt, dass er sich bei der nächsten Kaserne zu melden habe. Es gibt immer wieder Razzien, wie zum Beispiel Anfang Mai 2017, als bei einem Fußballspiel in Tartus alle Männer beim Verlassen des Stadions versammelt und zum Dienst verpflichtet wurden. Einige Zeit zuvor gab es einen weiteren Vorfall, bei dem vor einem Einkaufszentrum in Damaskus alle wehrfähigen Männer eingesammelt und rekrutiert wurden. Auch ein "Herauspflücken" bei einem der zahlreichen Checkpoints ist weit verbreitet. Die Altersgrenze ist auf beiden Enden des Altersspektrums nur theoretisch und jeder Mann in einem im weitesten Sinne wehrfähigen Alter, kann rekrutiert werden (BFA 8.2017; vgl. FIS 23.8.2016; vgl. Syria Direct 7.12.2017). Berichten zufolge besteht aber auch für - teils relativ junge - Minderjährige die Gefahr, in Zusammenhang mit der Wehrpflicht an Checkpoints aufgehalten zu werden und dabei Repressalien ausgesetzt zu sein (UNHCR 30.11.2016). Wenn eine persönliche Benachrichtigung nicht möglich ist, können Männer, die das wehrfähige Alter erreichen, auch durch Durchsagen im staatlichen Fernsehen, Radio oder der Zeitung zum Wehrdienst aufgerufen werden (DIS 26.2.2015).

Die syrische Armee hat durch Todesfälle, Desertionen und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen (FIS 23.8.2016; vgl. ISW 8.3.2017). Viele weigern sich, der Armee beizutreten. Die regulären Rekrutierungsmethoden werden in Syrien noch immer angewendet, weil das Regime zeigen will, dass sich nichts verändert hat, und das Land nicht in totaler Anarchie versinkt. Es gibt auch Männer im kampffähigen Alter, die frei in Syrien leben. Dem Regime liegt nicht daran, alle wehrtauglichen Personen in die Flucht zu treiben. Es werden nämlich auch künftig motivierte Kämpfer benötigt (FIS 23.8.2016).

Bei der Einreise nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder andere Einreisepunkte in Gebiete, die vom syrischen Regime kontrolliert werden, wird bei Männern im wehrfähigen Alter überprüft, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Selbst wenn sie ihren Militärdienst bereits absolviert haben, kommt es vor, dass Männer im wehrfähigen Alter erneut zwangsrekrutiert werden (IRB 19.1.2016; vgl. Zeit 10.12.2017).

Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten haben und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, und auch nicht aus anderen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in SYP leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2000 USD oder das Äquivalent in SYP nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet. Außerdem kann basierend auf einem Beschluss des Finanzministers das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Person, die sich weigert den Betrag zu bezahlen, konfisziert werden (SANA 8.11.2017; vgl. SLJ 10.11.2017; vgl. PAR 15.11.2017)

Zusatzinformationen zum Reservedienst

Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, und wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Erreichen des 42. Lebensjahres in den aktiven Dienst einberufen werden. Vor dem Ausbruch des Konflikts bestand der Reservedienst im Allgemeinen nur aus mehreren Wochen oder Monaten Ausbildung zur Auffrischung der im Militär erforderlichen Fähigkeiten, und die Regierung berief Reservisten nur selten ein. Seit 2011 hat sich das jedoch geändert. Es liegen außerdem einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Manche Personen werden zum Reservedienst einberufen, andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt (BFA 8.2017). Bei der Einberufung von Reservisten ist das Alter weniger entscheidend als der Beruf oder die Ausbildung einer Person, sowie Rang und Position während des bereits abgeleisteten Militärdienstes oder die Einheit, in der gedient wurde (DIS 26.2.2015; vgl. DRC/DIS 8.2017). Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert (BFA 8.2017). Reservisten können je nach Gebiet und Fall auch im Alter von 50 bis 60 Jahren zum aktiven Dienst einberufen werden. Sie werden z.B. mittels Brief, den die Polizei persönlich zustellt, oder an Checkpoints rekrutiert (FIS 23.8.2016).

Das Militärbuch zeigt lediglich Informationen über den verpflichtenden Wehrdienst und nicht, ob eine Person Reservist ist oder nicht. Männer können ihren Dienst-/Reservedienststatus bei der Militärbehörde überprüfen. Die meisten würden dies jedoch nur auf informellem Weg tun, um zu vermeiden, sofort rekrutiert zu werden. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird (BFA 8.2017).

Befreiung und Aufschub

Es gibt verschiedene Gründe, um vom Militärdienst befreit zu werden. Der einzige Sohn einer Familie, Studenten oder Versorger der Familie können vom Wehrdienst befreit werden oder diesen aufschieben. Außerdem sind Männer mit Doppelstaatsbürgerschaft, die den Wehrdienst bereits in einem anderen Land abgeleistet haben, üblicherweise vom Wehrdienst befreit (FIS 23.8.2016; vgl. DIS 26.2.2015). Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, die Situation in der Praxis ist jedoch anders. Präsident al-Assad versucht den Druck in Bezug auf den Wehrdienst zu erhöhen, und es gibt nun weniger Befreiungen und Aufschübe beim Wehrdienst. Generell werden die Regelungen nun strenger durchgesetzt, außerdem gibt es Gerüchte, dass Personen trotz einer Befreiung oder eines Aufschubs rekrutiert werden. Was die Regelungen zur Befreiung oder zum Aufschub des Wehrdienstes betrifft, so hat man als einziger Sohn der Familie noch die besten Chancen. Das Risiko der Willkür ist jedoch immer gegeben (BFA 8.2017; vgl. DRC/DIS 8.2017).

Unbestätigte Berichte legen nahe, dass der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit über den Wegfall von Aufschubgründen informiert ist, und diese auch digital überprüft werden. Zuvor mussten Studenten den Status ihres Studiums selbst dem Militär melden, in den letzten zwei Jahren wird der Status von Studenten aktiv überprüft. Generell werden Universitäten nun strenger überwacht und von diesen wird nun verlangt, dass sie das Militär über die Anwesenheit bzw. Abwesenheiten der Studenten informieren. Kürzlich gab es eine Änderung bezüglich des Aufschubs aufgrund eines Lehramts-Studiums. Zuvor war es möglich, einen Aufschub des Wehrdienstes zu erwirken, wenn man ein Lehramts-Masterstudium begann, unabhängig davon welches Bachelor-Studium man zuvor absolviert hatte. Dieser Aufschubgrund funktioniert nun nur noch, wenn man auch den Bachelorabschluss im Lehramtsstudium gemacht hat (BFA 8.2017).

Es gibt Beispiele, dass Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann, sondern schlicht Willkür darstellt. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis sich vom Wehrdienst freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt, im Zuge des aktuellen Konfliktes - manchmal sogar Jahre danach - trotzdem eingezogen zu werden (BFA 8.2017).

Es gibt ein Gesetz, das syrischen Männern, die mehr als fünf Jahre außerhalb des Landes gelebt haben, gegen Zahlung eines Bußgeldes die Befreiung vom Militärdienst ermöglicht. Diese Gebühr wurde von 5.000 USD auf 8.000 USD erhöht (BFA 8.2017).

Christliche und muslimische religiöse Führer können weiterhin den Kriegsdienst verweigern, wobei muslimische Führer eine Abgabe bezahlen müssen, um vom Kriegsdienst befreit zu werden (USDOS 15.8.2017). Zunehmend zieht die Regierung, wie berichtet wird, zuvor "geschützte" Personen wie Studenten, Beamte und Häftlinge zum Militärdienst ein (BFA 8.2017; vgl. UNHCR 3.11.2017). Von Staatsangestellten wird erwartet, dass sie dem Staat zur Verfügung stehen. Um sich ein "Pool" von potentiell zur Verfügung Stehenden zu sichern, wurde ein Dekret bezüglich Staatsangestellte und Wehrdienst erlassen: Laut Legislativdekret Nr. 33 von 2014 wird das Dienstverhältnis von Staatsangestellten beendet, wenn sie sich der Einberufung zum Wehr- oder Reservedienst entziehen (BFA 8.2017). Hierzu gab es bereits Ende 2016 ein Dekret, welches jedoch nicht umfassend durchgesetzt wurde. Im November 2017 gab es eine erneute Direktive des Premierministers Imad Khamis, laut der "die Anstellung von jenen beendet werden soll, die den verpflichtenden Wehrdienst oder den Reservedienst vermeiden". Dieser Direktive folgten bereits Entlassungen, wobei nicht bekannt ist, in welchem Ausmaß sie stattfinden (Syria Direct 7.12.2017). Gerade auch in alawitischen Gebieten gibt es eine Verbindung zwischen Staatsangestellten und der Notwendigkeit der Erfüllung bürgerlicher Pflichten (BFA 8.2017).

Entlassungen

Es liegen aktuell keine Informationen zu Entlassungen von Soldaten aus dem Militärdienst vor, es ist jedoch möglich, dass dies trotzdem vorkommt. Viele Männer haben Angst, nicht mehr aus dem Dienst entlassen zu werden, wenn sie einmal eingezogen werden. Manche Männer, die den verpflichtenden Wehrdienst bereits abgeleistet haben, werden wieder zum Dienst einberufen, oder der Dienst mancher Männer wird einfach verlängert (BFA 8.2017; vgl. FIS 23.8.2016; vgl. DIS 26.2.2015). Es gibt Männer in der Armee, die seit dem Beginn der Revolution 2011 in der Armee sind. Mittlerweile ist Desertion häufig der einzige Ausweg (FIS 23.8.2016; vgl. DIS 26.2.2015).

Amnestien

Seit 2011 hat der syrische Präsident für Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen, Wehrdienstverweigerer und Deserteure eine Serie von Amnestien erlassen, die Straffreiheit vorsahen, wenn sie sich innerhalb einer bestimmten Frist zum Militärdienst melden. Am 17. Februar 2016 veröffentlichte der Präsident das Gesetzesdekret Nr. 8, mit dem Deserteure innerhalb und außerhalb von Syrien sowie Wehrdienstverweigerer und Reservisten eine Amnestie erhalten. Es gibt keine Informationen darüber, wie viele Personen die Amnestie genutzt haben. In manchen Fällen wurden Personen aus der Haft entlassen, wobei die Regierung jedoch danach eine erneute Welle von Verhaftungen durchführte. In diesem Zusammenhang ist nicht klar, aus welchem Grund bestimmte Personen freigelassen werden und ob die Amnestie jenen hilft, die davon profitieren sollten [also Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren, Anm.], oder anderen Personen. Menschenrechtsorganisationen und Beobachter haben diese Amnestien wiederholt als intransparent und unzureichend kritisiert. Ihrer Ansicht nach profitierten davon nicht die vorgeblich angesprochenen Personengruppen (BFA 8.2017; vgl. FIS 23.8.2016; vgl. Reuters 20.7.2016).

Wehrdienstverweigerung / Desertion

Besonders aus dem Jahr 2012 gibt es Berichte von desertierten syrischen Soldaten, welche gezwungen wurden, auf unbewaffnete Zivilisten und Protestierende, darunter Frauen und Kinder, zu schießen. Falls sie sich weigerten, wären sie Gefahr gelaufen, erschossen zu werden (AI 6.2012).

Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft, die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz, je nach den Umständen, mit Gefängnisstrafen von bis zu 5 Jahren bestraft. Nach Verbüßen der Strafe muss der Wehrdienstverweigerer weiterhin den regulären Wehrdienst ableisten. Bei einer Wehrdienstverweigerung hat man die Möglichkeit sich zu verstecken und das Haus nicht mehr zu verlassen, das Land zu verlassen, sich durch Bestechung freizukaufen oder einer anderen Gruppierung beizutreten. Bezüglich Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während die einen eine Foltergarantie und Todesurteil sehen, sagen andere, dass Verweigerer sofort eingezogen werden (BFA 8.2017). Die Konsequenzen hängen jedoch vom Profil und den Beziehungen der Person ab. Wenn es eine Verbindung zu einer oppositionellen Gruppe gibt, wären die Konsequenzen ernster (DIS 26.2.2015).

Wenn jemand den Wehrdienst verweigert und geflohen ist, gibt es die Möglichkeit seinen Status zu "regularisieren", wobei möglicherweise auch ein signifikanter Betrag zu entrichten ist (gerüchteweise bis zu 8.000 USD). Eine solche "Regularisierung" schützt allerdings nicht automatisch vor Repressalien oder einer zukünftigen Rekrutierung. Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen "terroristische" Bedrohungen zu schützen (BFA 8.2017).

Desertion wird gemäß dem Militärstrafgesetz von 1950 in Friedenszeiten mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich ziehen. Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (so genannte externe Desertion), unterliegen Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt. Desertion im Angesicht des Feindes ist mit lebenslanger Haftstrafe zu bestrafen. In schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt (BFA 8.2017).

In vielen Fällen erwartet Deserteure der Tod. Möglicherweise werden sie inhaftiert, befragt und gefoltert, wobei die Behandlung eines Deserteurs auch davon abhängt wer er ist, welcher Konfession er angehört, wie wohlhabend er ist etc. Die große Sorge vieler ist hierbei auch, dass dies nicht nur den Tod des Deserteurs oder die Vergeltung gegen ihn, sondern auch Maßnahmen gegen seine Familie nach sich ziehen kann. Die gängige Vorgehensweise ist, Deserteure nicht zurück an die Front zu schicken, sondern sie zu töten. Berichten zufolge werden sie an Ort und Stelle erschossen. Theoretisch ist ein Militärgerichtsverfahren vorgesehen und Deserteure könnten auch inhaftiert und dann strafrechtlich verfolgt werden. Außergerichtliche Tötungen passieren dennoch (BFA 8.2017; vgl. FIS 23.8.2017). Für ‚desertierte', vormals bei der Armee arbeitende Zivilisten gelten dieselben Konsequenzen wie für einen Deserteur. Solche Personen werden als Verräter angesehen, weil sie über Informationen über die Armee verfügen (FIS 23.8.2016).

Im Gegensatz zum Beginn des Konfliktes haben sich mittlerweile die Gründe für Desertion geändert: Nun desertieren Soldaten, weil sie kampfmüde sind und dem andauernden Krieg entkommen wollen (BFA 8.2017).

Auch Familien von Deserteuren oder Wehrdienstverweigerern haben mit Konsequenzen zu rechnen. Eine Familie kann von der Regierung unter Druck gesetzt werden, wenn der Deserteur dadurch vielleicht gefunden werden kann. Familienmitglieder (auch weibliche) können festgenommen werden, um den Deserteur dazu zu bringen, sich zu stellen. Manchmal wird ein Bruder oder der Vater eines Deserteurs ersatzweise zur Armee rekrutiert (FIS 23.8.2016; vgl. BFA 8.2017).

In Gebieten, welche durch sogenannte Versöhnungsabkommen wieder unter die Kontrolle des Regimes gebracht wurden, werden häufig Vereinbarungen bzgl. Wehrdienst getroffen. Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt, sondern stattdessen bei der Polizei eingesetzt werden. Berichten zufolge wurden solche Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen, was jedoch schwer zu beweisen ist (BFA 8.2017).

1.2.5. Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG/YPJ)

Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG) sind der bewaffnete Flügel der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) (FIS 23.8.2016). Bis 2014 war der Militärdienst bei der YPG freiwillig. Seit 2014 gibt es jedoch in den Gebieten unter Kontrolle der PYD eine gesetzliche Verordnung zum verpflichtenden Wehrdienst. Jede Familie ist dazu verpflichtet, ein Familienmitglied im Alter von 18 bis 30 Jahren als "Freiwilligen" für einen sechsmonatigen Wehrdienst bei der YPG aufzubieten. Wird dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, kommt es zu Zwangsrekrutierungen, sowohl von Erwachsenen als auch von Minderjährigen, oder zu rechtlichen Konsequenzen (KurdWatch 30.6.2016; vgl. SEM 21.12.2015). In Artikel 2 und 3 des Wehrpflichtgesetzes wird zunächst der Personenkreis definiert, auf den sich das Gesetz bezieht. So heißt es in Artikel 2: "Die Pflicht zur Selbstverteidigung ist eine gesellschaftliche und moralische Pflicht der gesamten Bevölkerung. Aufgrund dessen obliegt es jeder in der Region ansässigen Familie, einen Angehörigen für die Ausübung der Pflicht zur Selbstverteidigung zu stellen."

Artikel 3 führt weiter aus: "Die Bestimmungen dieses Gesetzes gelten für alle männlichen Personen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren. Frauen können sich freiwillig zur Selbstverteidigung verpflichten."

Der Wehrdienst beträgt gemäß Artikel 4 sechs Monate, die in der Regel innerhalb von höchstens einem Jahr abzuleisten sind. Laut Artikel 5 sind Personen, deren Familien "einen Märtyrer aus den Reihen der Volksverteidigungseinheiten, des Asayis [Sicherheitsdienstes] oder der kurdischen Volksbefreiungsbewegung zu beklagen haben" sowie Einzelkinder von der Wehrpflicht befreit. Ferner sind Menschen freigestellt, die die Wehrpflicht aus gesundheitlichen Gründen nicht ausüben können, und darüber ein ärztliches Attest vorweisen können (KurdWatch 5.2015).

Das Grundproblem dieses Gesetzes besteht zum einen darin, dass es nicht von einer dazu legitimierten staatlichen Instanz beschlossen wurde, sondern von einem von der PYD eingesetzten Gremium. Beim bewaffneten Arm der PYD, den YPG, handelt es sich nicht um eine quasistaatliche Armee, sondern um eine Parteimiliz. Zum anderen sieht das Gesetz keine Möglichkeit der Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen vor (KurdWatch 5.2015).

Die YPG unternimmt umfangreiche Rekrutierungskampagnen - auch aufgrund der Schlacht um Raqqa. Die YPG verkündete kürzlich eine Amnestie für Wehrdienstverweigerer, laut welcher diese die zusätzliche Dienstzeit von üblicherweise 3 Monaten, die als Bestrafung definiert ist, nicht ableisten müssen, sondern nur die reguläre Wehrdienstdauer. Berichten zufolge kommt es in den kurdischen Gebieten zu Zwangsrekrutierungen von Männern und Jungen (BFA 8.2017). Mehrfach ist es zu Fällen gekommen, in denen Männer von der YPG rekrutiert werden, die älter als 30 Jahre waren. Dabei handelte es sich um Personen, die PYD-kritisch politisch aktiv waren, und die mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Rekrutierung abgestraft werden sollten (ES EZKS 3.11.2017).

Während einer Fact Finding Mission der Staatendokumentation des BFA gaben zwei Quellen an, dass es keine Beweise für Zwangsrekrutierungen von Frauen durch die kurdischen Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) gibt, es jedoch einzelne Fälle der Zwangsrekrutierung von Frauen in kleineren lokalen kurdischen Milizen, die gegen den IS kämpfen, geben kann (BFA 8.2017). Laut Eva Savelsberg vom Europäischen Zentrum für Kurdische Studien sind jedoch auch Frauen und Mädchen von Zwangsrekrutierungen betroffen:

KurdWatch und das Europäische Zentrum für Kurdische Studien haben mehrere Fälle recherchiert, in denen minderjährige Mädchen rekrutiert bzw. zwangsrekrutiert wurden. Darüber hinaus sind Fälle bekannt, in denen kurdische Frauen, die der YPG zunächst freiwillig beitraten, daran gehindert wurden, die YPG wieder zu verlassen (ES EZKS 3.11.2017).

Organisationen wie Human Rights Watch, den Vereinten Nationen und KurdWatch zufolge rekrutiert die YPG sogar Kinder, einige nicht älter als zwölf Jahre, um sie im Kampf einzusetzen. Nurman Ibrahim Khalifa etwa wurde von der YPG entführt, als sie dreizehn Jahre alt war, und in ein PKK-kontrolliertes Lager in Irakisch-Kurdistan verschleppt. Während ihres Zwangsaufenthaltes dort wurde sie Zeugin, wie eine achtzehnjährige Frau nach mehreren Fluchtversuchen aus dem Lager öffentlich von einer PKK-Funktionärin hingerichtet wurde. Der tote Körper der Frau wurde in den nahe gelegenen Fluss geworfen. Derartige Brutalität ist eher die Regel als die Ausnahme; Zwangsrekrutierungen sind seit ihrer Einführung zu einem der Hauptgründe junger, kurdischer Männer geworden, aus den kurdischen Regionen zu fliehen. Dies trifft nicht auf junge Araber zu: Im Gegensatz zu Kurden sind sie nicht von Zwangsrekrutierungen betroffen. Wenn Araber in den kurdischen Gebieten rekrutiert werden, dann vom syrischen Regime (ES BFA 8.2017).

Die syrische Regierung zog sich 2012 weitgehend aus der Jazira Region im Nordosten Syriens zurück, hat ihre Kontrolle jedoch in zwei urbanen Zentren der Region, Hassakah und Teilen von Qamishli, aufrechterhalten. Die PYD kontrolliert den Großteil der Jazira, abgesehen von diesen beiden urbanen Zentren. Die Regierung hat in der Jazira jedoch noch immer essentielle Machtstrukturen inne, weshalb in dieser Region ein duales Sicherheitsarrangement herrscht. Die administrativen Strukturen der Regierung und der PYD überschneiden sich, zumindest in Bezug auf Überwachung und die Militarisierung der lokalen Bevölkerung. So kann es jungen Männern in der Jazira-Region passieren, dass sie von beiden Seiten zum verpflichtenden Wehrdienst einberufen werden, weil keine der beiden Gruppierungen die offiziellen Militärdienstdokumente der jeweils anderen anerkennt (BFA 8.2017).

1.2.6. Allgemeine Menschenrechtslage

Das Syrian Observatory for Human Rights dokumentierte 331.765 Todesfälle seit dem Beginn der Revolution im Jahr 2011 bis zum 15. Juli 2017, schätzt jedoch dass etwa 475.000 Personen getötet wurden (SOHR 16.7.2017).

Ein Charakteristikum des Bürgerkriegs in Syrien ist, dass in ganz Syrien bestimmte Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Diese Zuschreibung basiert oft nur auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in oder Herkunft aus einem bestimmten Gebiet, das als "regierungsfreundlich" oder "regierungsfeindlich" gilt (UNHCR 11.2015).

Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Ein Dekret erlaubt die Bildung anderer politischer Parteien, jedoch nicht auf Basis von Religion, Stammeszugehörigkeit oder regionalen Interessen. Gleichzeitig zeigt die Regierung außerdem wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien. Sie schikaniert und inhaftiert Mitglieder der Communist Union Party, der Communist Action Party, der Arab Social Union und islamistischer Parteien (USDOS 3.3.2017).

Die syrische Regierung, regierungstreue Einheiten und Sicherheitskräfte führen weiterhin willkürliche Verhaftungen, Verschwindenlassen und Folter an Häftlingen durch, von denen viele in der Haft umkommen bzw. getötet werden. Das Regime und seine Verbündeten führten willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten durch. Sie führten Angriffe mit Fassbomben, Artillerie, Mörsern und Luftangriffe auf zivile Wohngebiete, Schulen, Märkte und medizinische Einrichtungen durch, was zu zivilen Opfern führte (UKFCO 21.4.2016, AI 22.2.2017 und USDOS 3.3.2017).

Die staatlichen Sicherheitskräfte halten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen sind unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllen (AI 22.2.2017; vgl. SD 18.10.2017). Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod der Insassen. Es fehlt an Nahrung, Trinkwasser, Platz, Hygiene und Zugang zu medizinischer Versorgung. (USDOS 3.3.2017).

Syrische Kinder sind auch hinsichtlich Kinderehen gefährdet (USDOS 27.6.2017; vgl. UNOCHA 31.7.2017).

Lang anhaltende Belagerungen durch Regierungskräfte führen dazu, dass der eingeschlossenen Zivilbevölkerung Lebensmittel, ärztliche Betreuung und andere lebenswichtige Dinge vorenthalten werden. Außerdem werden Zivilisten beschossen bzw. angegriffen (AI 22.2.2017). Bezüglich der von Rebellen kontrollierten Bevölkerungszentren setzte die Regierung auf die Strategie, diese vor die Wahl zu stellen, aufzugeben oder zu (ver)hungern, indem sie Hilfslieferungen einschränkte und tausende Zivilisten aus zurückeroberten Gebieten vertrieb (FH 1.2017). Auch Rebellengruppen belagern Gebiete (USDOS 3.3.2017).

Auch aufständische Gruppen begingen schwere Menschenrechtsverletzungen wie Festnahmen, Folter und Exekutionen von wahrgenommenen politischen Andersdenkenden und Rivalen, wobei das Verhalten jedoch zwischen den unterschiedlichen Rebellengruppen variiert (FH 1.2017).

Der IS ist für systematische und weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, welche auch auf Zivilisten abzielen. Auch Jabhat Fatah ash-Sham [ehemals Jabhat al-Nusra] und einige andere extremistische Gruppen begehen Menschenrechtsverletzungen (UKFCO 21.4.2016; vgl. USDOS 3.3.2017).

Sexuelle Versklavung und Zwangsheiraten sind zentrale Elemente der Ideologie des IS. Mädchen und Frauen werden zur Heirat mit Kämpfern gezwungen. Frauen und Mädchen, die Minderheiten angehören, werden sexuell versklavt (USDOS 27.6.2017). Frauen erleben in vom IS gehaltenen Gebieten willkürliche und schwere Bestrafungen, inklusive Hinrichtungen durch Steinigung. Frauen und Männer werden bestraft, wenn sie sich nicht den Vorstellungen des IS entsprechend kleiden (USDOS 3.3.2017).

IS-Kämpfer sind für Exekutionen von gefangengenommenen Zivilpersonen, Regierungssoldaten, Angehörigen rivalisierender bewaffneter Gruppen sowie Medienschaffenden und verantwortlich. In den vom IS kontrollierten Gebieten hat der IS seine strikte Auslegung des islamischen Rechts eingeführt. Es kommt dort häufig zu öffentlichen Hinrichtungen. Unter den Opfern befinden sich Menschen, denen Abfall vom Glauben, Ehebruch, Schmuggel oder Diebstahl zur Last gelegt wird, sowie Menschen, die wegen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung angeklagt wurden (AI 22.2.2017; vgl. USDOS 3.3.2017).

1.2.7. Rückkehr

Laut der International Organization for Migration (IOM) sind zwischen Januar und Juli 2017 602.759 vertriebene Syrer in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt. 93 Prozent davon sind Binnenvertriebene gewesen und 7 Prozent kehrten aus der Türkei, dem Libanon, Jordanien und dem Irak nach Syrien zurück.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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