Entscheidungsdatum
23.11.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W261 2189998-1/17E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, bevollmächtigt vertreten durch NOAH Sozialbetriebe gemeinnützige GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 26.01.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.09.2018 zu Recht:
A)
Der Beschwerde des XXXX wird stattgegeben und XXXX wird gemäß § 3 Abs. 1 und 2 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Gang des Verfahrens:
Der zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährige Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsbürger, reiste nach eigenen Angaben am 17.10.2015 irregulär in Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.
Am 18.10.2015 erfolgte die Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Anwesenheit eines Dolmetschers in der Sprache Dari. Dabei gab der BF an, afghanischer Staatsangehöriger und Moslem zu sein und der Volksgruppe der Usbeken anzugehören. Er sei am XXXX in der Provinz Faryab, Afghanistan, geboren. Seinen Fluchtgrund betreffend führte er aus, vor zwei Monaten seien zwei seiner Brüder von den Taliban getötet worden. Einer der beiden Brüder, der etwa 27 Jahre alte XXXX , sei ein berühmter Politiker gewesen. Der BF selbst sei ebenfalls von den Taliban bedroht worden. Daraufhin habe er sich in Kabul versteckt und sei dann geflüchtet. Die Partei seines Bruders in Afghanistan heiße Jumbush. Sein Leben sei wegen der Taliban in Gefahr.
Am 16.01.2018 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich (in der Folge BFA oder belangte Behörde), im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen an, zwei seiner Brüder seien für General Dostum und seine Partei Jumbushi politisch tätig gewesen. Bei einem Angriff der Taliban in Kunduz seien die beiden ums Leben gekommen. Der Vater des BF und seine älteren Brüder hätten beschlossen, an den Taliban Rache zu nehmen. Sie hätten sich bewaffnet und kämpften mit General Dostum gegen die Taliban. Der BF sei noch zu jung gewesen, um sich zu bewaffnen, er habe aber Briefe bzw. Plakate geschrieben, in denen er die Leute aufgefordert habe, für ihre Rechte einzutreten, sich zu bewaffnen und gegen die Taliban zu kämpfen. Diese Schreiben seien an die Leute in der Umgebung verteilt und auf Wände geklebt worden. Die Taliban hätten durch Plakate, die sie an die Moschee geschrieben hätten, verlautbart, dass die Familie von XXXX , des Vaters des BF, getötet werden solle. Die Taliban hätten auch beim BF zuhause angerufen und gesagt, sollten sie einen von ihnen erwischen, werden sie ihn töten. Die Mutter des BF habe nach der Tötung ihrer zwei Söhne Angst um ihre weiteren Kinder gehabt und habe dem BF daher aufgetragen, das Land zu verlassen. Die Eltern und Geschwister des BF würden weiterhin in Afghanistan leben. Der BF habe einmal pro Monat telefonischen Kontakt mit seiner Mutter. Er legte im Rahmen der Einvernahme eine Kopie seiner Tazkira, Integrationsunterlagen und Fotos seines Vaters vor, die seinen Kampf gegen die Taliban belegen sollten.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 26.01.2018 wies diese im Spruchpunkt I. den Antrag des BF auf internationalen Schutz ab. Im Spruchpunkt II. wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab. Im Spruchpunkt III. erteilte die belangte Behörde dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Sie erließ im Spruchpunkt IV. eine Rückkehrentscheidung und stellte im Spruchpunkt V. fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Im Spruchpunkt VI. legte die belangte Behörde die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
Begründend führte die belangte Behörde aus, dass das Fluchtvorbringen des BF nicht glaubhaft sei. Es könne nicht festgestellt werden, dass der BF in Afghanistan einer begründeten Furcht vor asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt gewesen sei beziehungsweise einer solchen gegenwärtig ausgesetzt wäre. Es würden daher die Voraussetzungen für die Gewährung internationalen Schutzes nicht vorliegen. Im Falle einer Rückkehr verfüge der BF in seinem Heimatland über tragfähige familiäre und soziale Bindungen, da seine gesamte Kernfamilie nach wie vor in seinem Herkunftsstaat lebe, und er auf deren Unterstützung zurückgreifen könne. Er habe acht Jahre lang die Schule besucht, zudem sei er gesund und befinde sich im erwerbsfähigen Alter, weshalb ihm zumutbar sei, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Zwar handle es sich bei Faryab um eine volatile Provinz, dem BF sei aber zumutbar, sich in einer sicheren Gegend wie Kabul niederzulassen. Damit sei dem BF auch kein subsidiärer Schutz zu gewähren. Die Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen würden nicht vorliegen, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen gewesen sei.
Mit Verfahrensanordnung vom 29.01.2018 stellte die belangte Behörde dem BF den Verein Menschenrechte Österreich amtswegig als Rechtsberater zur Seite. Mit Verfahrensanordnung vom selben Tag informierte die belangte Behörde den BF über die Verpflichtung zur Ausreise und über die Möglichkeit zur Inanspruchnahme einer Rückkehrhilfe. In einer weiteren Verfahrensanordnung vom 29.01.2018 wies die belangte Behörde den BF drauf hin, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.
Mit E-Mail vom 12.02.2018 übermittelte NOAH Sozialbetriebe gemeinnützige GmbH die Bestätigung über die Durchführung des Rückkehrberatungsgesprächs der Caritas mit dem BF am 08.02.2018.
Gegen den Bescheid vom 26.01.2018 brachte der BF, bevollmächtigt vertreten durch NOAH Sozialbetriebe gemeinnützige GmbH, fristgerecht mit Eingabe vom 05.03.2018 das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein. In der Beschwerdebegründung führte der BF aus, dass sein Vorbringen, anders als von der belangten Behörde behauptet, nicht widersprüchlich sei. Das BFA habe sich jedoch weder mit den räumlichen noch den politischen Gegebenheiten vertraut gemacht, noch Ermittlungen über die politische Arbeit der Familie des BF getroffen, oder sonstige Versuche unternommen, die Angaben des BF zu überprüfen. Der BF sei durch das Verteilen von Flugblättern gegen die Taliban selbst politisch aktiv gewesen, er wäre jedoch auch ohne sein eigenes Engagement allein aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe "Familie XXXX " und der Verwandtschaft zu seinem Vater und seinen Brüdern verfolgt und bedroht gewesen. Woher das BFA die Erkenntnis ziehe, dass seitens der Taliban kein sonderlich großes Interesse bestehe, den BF in anderen Provinzen zu finden, sei nicht nachvollziehbar. Um sich in Kabul eine neue Existenz aufbauen zu können, müsste er auf bestehende Netzwerke zurückgreifen. Da seine Familie in der Provinz Faryab lebe, müsste der BF bei Niederlassung in Kabul auf das Netzwerk der politischen Partei oder der usbekischen Volksgruppe zurückgreifen, und sich diesbezüglich wieder zu erkennen geben. Es sei jedoch bekannt, dass die Taliban gerade in Kabul über ein sehr gut organisiertes Netzwerk von Spitzeln verfügen, weshalb es dem BF auch in dieser Großstadt nicht möglich wäre unterzutauchen. Er sei gerade erst volljährig geworden, habe keine Arbeitserfahrung und keine Ausbildung. Er wäre in Kabul auf sich allein gestellt und völlig überfordert. Kabul sei derzeit absolut überfordert mit der großen Anzahl von Flüchtlingen. Die Sicherheitslage in Afghanistan sei sehr schlecht. Das BFA sei nicht darauf eingegangen, dass Personen, die in Afghanistan als "verwestlicht" angesehen werden, von Regierungsgegnern wie zum Beispiel den Taliban, Folter, Misshandlung oder gar der Tod drohen. Die belangte Behörde habe auch keine Feststellungen darüber getroffen, welche Situation einen usbekischen Jugendlichen erwarte, der alleine, ohne ein funktionierendes soziales Netzwerk nach Kabul geschickt werde. Weder die Hauptstadt noch irgendein anderer Teil Afghanistans seien sicher genug, dass dort ein Jugendlicher auf sich alleine gestellt überleben könne. Dies bereits ohne darüber hinaus die spezielle Situation des BF als politisch tätiger jugendlicher Usbeke berücksichtigen zu müssen. Dem BF wäre der Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen gewesen.
Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang mit Schreiben vom 20.03.2018 dem BVwG vor, wo dieser am 22.03.2018 einlangte.
Mit Schreiben vom 30.07.2018 gab der BF bekannt, mit 01.08.2018 eine Lehre als Bäcker zu beginnen, und aus diesem Grund seinen Wohnort zu wechseln, und das Vollmachtsverhältnis zu seiner bisherigen Rechtsvertretung aufzulösen. Dem Schreiben schloss er den Bescheid des AMS vom 23.07.2018 über die Beschäftigungsbewilligung als Lehrling für die berufliche Tätigkeit als Bäcker für die Zeit vom 01.08.2018 bis 31.10.2021 an.
Mit E-Mail vom 14.09.2018 übermittelte der BF durch die NOAH Sozialbetriebe gemeinnützige GmbH eine Stellungnahme und Beschwerdeergänzung. Darin brachte er vor, er wolle klarstellen, dass er keine Rachegelüste gegenüber den Taliban oder anderen empfinde, und diese somit nicht kausal für diverse künftige Bedrohungsszenarien im Heimatland seien. Auch sei die Tötung der Brüder nicht der Grund für die Teilnahme am politischen Leben der gesamten Familie gewesen, sondern sei die Familie bereits viel früher politisch aktiv gewesen, und sei gerade das der Grund für die Tötung der Brüder gewesen. Der BF selbst würde im Falle einer Rückkehr keine Kampfhandlungen aus Rache aufnehmen, er befürchte aber, dass seine Familie, seine Volksgruppe und die Partei dies im Falle seiner Präsenz von ihm erwarten würden. Der BF sei dahingehend sozialisiert worden, der Partei "General Dostum" und damit seiner Volksgruppe zu dienen, ohne über die genaue Politik dieser Partei, ihre Ziele und Anschauungen Bescheid zu wissen. Man habe ihm lediglich gesagt, die Volksgruppe der Usbeken werde durch General Dostum gestärkt und beschützt. In Österreich habe er versucht, die eigentlichen Ziele der Partei herauszufinden und habe festgestellt, dass er sich damit nicht identifizieren könne, schon allein deshalb, weil man diese Ziele nicht genau erfahre. Das einzige Argument, das für General Dostum spreche, sei für den BF der Umstand, dass ohne ihn ganz Afghanistan von den Taliban eingenommen wäre. Mittlerweile sehe der BF die Partei als Personenkult, wer gegen den General sei, gelte in der Partei als Verräter und werde hingerichtet. Der BF sei gegen Hinrichtungen, dürfte dies jedoch nicht sagen und sich seiner Familie mit dieser Kritik nicht anvertrauen. Weiters zähle der BF zu seinem engsten Freundeskreis in Österreich ein homosexuelles Pärchen, er habe auch weibliche Freunde und bewerte Menschen gleichwertig, ungeachtet ihrer Religion, ihres Geschlechts, ihrer Sexualität oder Volksgruppe. Er müsste diese Einstellung und Gedanken im Falle einer Rückkehr gänzlich verstecken und könnte sich, obwohl er seine Familie liebe und schätze, ihr nicht mehr öffnen. Ihm würde aufgrund dieser Einstellung auch Apostasie oder Blasphemie unterstellt werden. Da in Afghanistan Religion und Politik nicht zu trennen seien, werde seine politische Anschauung auch als religiöse Anschauung gewertet. Für den BF sei es nicht erforderlich, so oft zu beten, um ein guter Mensch zu sein, sondern eher, seine Töchter nicht zu verkaufen oder zu benachteiligen. Man würde in Afghanistan sagen, er sei ein schlechter Sunnit bzw. Muslim. Der BF biete dem Gericht die Telefonnummer seines Vaters und der Parteizentrale an, sofern er letztere bis zur Einvernahme eruieren könne. Die Nummer seines Vaters funktioniere gerade nicht. Sein Vater könne alle Angaben konkretisieren, und die Richtigkeit seiner Angaben untermauern. Der Kontakt mit seiner Familie sei vor drei Monaten abrupt abgebrochen. Ein ehemaliger Mitschüler habe ihm erzählt, es habe einen Angriff der Taliban auf die Gruppe des General Dostum gegeben. Der BF befürchte daher, seine Familie sei nicht mehr in dem Gebiet aufhältig. Ähnliches sei bereits in der Vergangenheit passiert, aber sie seien wieder zurückgekehrt. Der BF habe eine Lehre zum Bäcker begonnen, habe in Österreich einen verfestigten Freundeskreis und sei sehr gut integriert.
Am 18.09.2018 fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari und dem als Vertrauensperson anwesenden und in der Folge als Zeugen einvernommen Arbeitgeber des BF statt, zu der der BF persönlich gemeinsam mit seiner Rechtsvertreterin erschien. Die belangte Behörde nahm an der mündlichen Verhandlung entschuldigt nicht teil. Der BF gab dabei auf richterliche Befragung zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen das Gleiche an, was er bereits in seinen bisherigen Einvernahmen ausgesagt hatte und legte eine Reihe an Integrationsunterlagen vor.
Das BVwG legte dem BF in der mündlichen Verhandlung das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand 11.09.2018, die Arbeitsübersetzung des Landinfo Berichts "Afghanistan: Taliban's Intelligence and the intimidation capaign" ("Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne) vom 23.08.2017 sowie ein Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Beurteilung des Internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Afghanistan vom 30.08.2018 vor. Dem BF wurde die Bedeutung dieser Berichte erklärt, insbesondere, dass auf Grund dieser Berichte die Feststellungen zu seinem Herkunftsstaat getroffen werden, sowie deren Zustandekommen. Dem BF wurde eine Frist zur schriftlichen Stellungnahme eingeräumt. Der belangten Behörde wurden diese Dokumente und die Niederschrift der Beschwerdeverhandlung samt Zeugeneinvernahme ebenfalls übermittelt und eine Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt.
Das BVwG führte am 11.09.2018 eine Abfrage im Strafregister durch, wonach für den BF keine Verurteilungen aufscheinen. Laut Speicherauszug aus dem Betreuungssystem, den das BVwG ebenfalls 11.09.2018 abfragte, befindet sich der BF seit 01.08.2018 nicht mehr in der Grundversorgung.
Das BVwG stellte am 19.09.2018 eine Anfrage an die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl betreffend die Kämpfer des General Dostum, den Selbstmordanschlag der Taliban in Kunduz 2015, ob es öffentlich zugängliche Informationen über den Vater des BF als Kommandant der Kämpfer von General Dostum gebe, und ob die Taliban jüngst Teile der Provinz Faryab, insbesondere den Distrikt XXXX , eingenommen hätten.
Dem Ersuchen des BVwG entsprechend übermittelte die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl folgend die Anfragebeantwortung "AFGHANISTAN, Kämpfer von General Dostum, Provinz Faryab" vom 05.10.2018.
Das BVwG sandte diese Anfragebeantwortung mit Schreiben vom 12.10.2018 an die Parteien des Verfahrens mit der Möglichkeit, hierzu innerhalb einer bestimmten Frist eine Stellungnahme abzugeben.
Mit Eingabe vom 05.11.2018 gab der durch NOAH Sozialbetriebe GmbH vertretene BF eine Stellungnahme zur Anfragebeantwortung der Staatendokumentation ab und ergänzte die darin enthaltenen Antworten.
Die belangte Behörde übermittelte keine Stellungnahme.
Nach Aufforderung des BVwG an NOAH Sozialbetriebe GmbH um Bekanntgabe, ob eine gültige Vertretungsvollmacht für den BF bestehe und wenn ja, um Übermittlung einer solchen, übermittelte NOAH Sozialbetriebe mit Eingabe vom 15.11.2018 die gültige und vom BF unterzeichnete Vollmacht zur Vertretung in diesem Verfahren.
Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu Spruchpunkt A)
1. Feststellungen:
1.1 Zur Person des Beschwerdeführers
Der BF führt den Namen XXXX und ist im Dorf XXXX , Distrikt XXXX in der Provinz Faryab geboren. Zur Identifikation im Verfahren wird das Geburtsdatum mit XXXX festgelegt. Er ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Usbeken an und ist sunnitischer Moslem. Die Muttersprache des BF ist Usbekisch. Er spricht auch Dari und Deutsch auf Niveau B1.
Der BF ist ledig und hat keine Kinder.
Der BF besuchte acht Jahre lang die Schule und hat nicht gearbeitet.
Die Familie des BF besteht aus dem Vater XXXX , der Mutter XXXX , den Brüdern XXXX , XXXX , XXXX und XXXX sowie den Schwestern XXXX und XXXX . Zwei weitere Brüder, XXXX und XXXX , wurden 2015 getötet.
Die Familie des BF ist Eigentümer eines Hauses und von Grundstücken sowie zwei Geschäften. Die Familie bestritt den Lebensunterhalt durch die Erlöse der Geschäfte, die drei der Brüder führten, sowie aus der Landwirtschaft. Darüber hinaus ist der Vater des BF Kommandant der Milizen des General Dostum, auch zwei Brüder des BF waren politisch für die Partei des General Dostum tätig. Nach dem Tod der zwei Brüder schlossen sich auch die drei älteren Brüder den Milizen des General Dostum an.
Nach der Ausreise des BF lebte die Familie des BF weiterhin in Afghanistan. Der BF stand bis vor etwa 5 Monaten in regelmäßigem Kontakt zu seiner Mutter. Es kann nicht festgestellt werden, wo sich die Familie derzeit befindet.
Der BF reiste im Jahr 2015 aus Afghanistan aus und stellte am 17.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Der BF macht seit 01.08.2018 eine Lehre zum Bäcker. Davor schloss er die Übergangsstufe an einer AHS ab. Er absolvierte Deutschkurse, zuletzt auf Niveau B1. Er ist aktives Mitglied in einem Volleyballverein und hat viele österreichische Freunde.
Der BF lebte bis 31.07.2017 von der vorübergehenden Grundversorgung, seit 01.08.2018 ist er Lehrling und nicht mehr in der Grundversorgung. Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
2.2 Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
Zwei der Brüder und der Vater des BF waren in der Partei bzw. in den Milizen des General Dostum im Kampf gegen die Taliban tätig. Bei einem Selbstmordanschlag der Taliban in der Provinz Kunduz im Jahr 2015 kamen die beiden Brüder des BF ums Leben, und die Drohungen der Taliban gegen die Familie des BF nahmen zu. Der Vater und drei weitere Brüder des BF intensivierten ihre Tätigkeit für die Milizen des General Dostum im Kampf gegen die Taliban. Der BF, der zum damaligen Zeitpunkt noch zu jung war, um sich ebenfalls den Milizen des General Dostum anzuschließen, verfasste Briefe mit der Aufforderung an die Dorfbewohner, sich zu bewaffnen und gegen die Taliban zu kämpfen.
Dem BF wird zusammenfassend mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit infolge seiner Tätigkeit für General Dostum von den Taliban eine politische Gesinnung wider die Zielsetzungen dieser Rebellengruppen zugeschrieben. Der BF wurde aus den genannten Gründen als Teil seiner Familie bedroht und musste aus diesen Gründen seinen Heimatstaat verlassen. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan läuft der BF Gefahr, Bedrohungs- und Gewalthandlungen von Seiten der Aufständischen ausgesetzt zu sein. Der afghanische Staat ist derzeit nicht in der Lage, den BF irgendwo in Afghanistan hinreichend vor dieser Bedrohung durch die Taliban entsprechend zu schützen.
Nach seinen Angaben ist er in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft und hatte darüber hinaus nie Probleme mit Behörden. Er ist, obwohl er die Bewegung des General Dostum auch selbst unterstützte, kein Mitglied einer politischen Partei.
1.3 Zur Situation im Herkunftsstaat
Zur Lage in Afghanistan werden folgende im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 mit Stand vom 11.09.2018, im Landinfo Report Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne vom 23.08.2017 und in der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, AFGHANISTAN Kämpfer von General Dostum, Provinz Faryab vom 05.10.2018 enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus.
Faryab, die Herkunftsprovinz des BF, ist eine Provinz im Norden Afghanistans und teilt sich ihre nördliche Grenze mit Turkmenistan. Die Provinz grenzt im Südosten an Sar-e Pul, im Nordosten an Jawzjan, im Süden an die Provinz Ghor und im Westen an die Provinz Badghis. Die Hauptstadt ist Maimana/Maymana City. Faryab hat folgende Distrikte: Pashtun Kot/Pashtunkot, Almar, Qaysar, Khawaja Sahib Posh/ Khwajasabzposh, ShirinTagab/Shirintagab, Dawlat Abad/Dawlatabad, Bilchiragh/Bilcheragh, Gorzaiwan/Garziwan, Kohistan/Kohestan, Khan-e-Char Bagh, Maimana/Maymana, Qaramqol, Qorghan, Andkhoy und seit dem Jahr 2017 auch Ghormach. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.032.765 geschätzt. Faryab zählte 2017 zu den Provinzen mit der höchsten Opium-Produktion.
Faryab spielt für Aufständische eine wichtige Rolle, da sie durch diese Provinz Zugang zu anderen Provinzen in Nordafghanistan erhalten. Gemäß Khaama Press zählte Faryab im März 2018 zu den relativ volatilen Provinzen in den nördlichen Regionen des Landes, in der bewaffnete regierungsfeindliche Gruppen in einer Anzahl von Distrikten aktiv waren. Die meisten im Jahr 2017 registrierten Anschläge fanden - in absteigender Reihenfolge - in den Provinzen Nangarhar, Faryab, Helmand, Kandahar, Farah, Ghazni, Uruzgan, Logar, Jawzjan, Paktika und Kabul statt. In Faryab waren die sicherheitsrelevanten Vorfälle signifikanter als in anderen Provinzen. So gelten 3,16 % der Bevölkerung Faryabs als Binnenvertriebene. Auch zählt Faryab zu jenen Provinzen, in denen eine hohe Anzahl an Zivilisten aufgrund explosiver Kampfmittelrückstände und indirekter Waffeneinwirkung ums Leben kam. Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.04.2018 wurden in der Provinz 159 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 639 zivile Opfer in der Provinz Faryab (182 getötete Zivilisten und 457 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 7% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016.
Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte grundsätzlich vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden: das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus. Die Taliban haben hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet. Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans. Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten.
Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten", unter anderem Kollaborateure der afghanischen Regierung - praktisch jeder, der der Regierung in irgendeiner Weise hilft. Die Taliban bieten diesen Personen grundsätzlich die Möglichkeit an, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. Im Grunde steht jeder auf der schwarzen Liste, der (aus Sicht der Taliban) ein "Übeltäter" ist, und dessen Identität und Anschrift die Taliban ausfindig machen können.
Die Taliban haben ein Netzwerk an Spitzeln in Afghanistan, allein in der Stadt Kabul sind drei verschiedene Taliban Nachrichtendienste nebeneinander aktiv. Es heißt, dass die verschiedenen Nachrichtendienste der Taliban in Kabul über 1.500 Spione in allen 17 Stadtteilen haben. Selbst die, die umsiedeln, laufen Gefahr, auf dem Weg an den Straßensperren der Taliban festgehalten zu werden. Die Taliban behaupten, dass sie, dank ihrer Spione bei der Grenzpolizei am Flughafen Kabul und auch an vielen anderen Stellen, überwachen können, wer in das Land einreist. Sie geben an, regelmäßig Berichte darüber zu erhalten, wer neu ins Land einreist.
Die Taliban beobachten alle Fremden, die in den Dörfern und Kleinstädten unter ihrer Kontrolle ankommen genau, genauso wie die Dorfbewohner, die in Gebiete unter Regierungskontrolle reisen. Sie fürchten offensichtlich, ausspioniert zu werden und versuchen, die Rekrutierung von Informanten durch die Regierung zu beschränken. Wer in die Taliban-Gebiete ein- oder ausreist sollte die Reise überzeugend begründen können, möglichst belegt mit Nachweisen über Geschäftsabschlüsse, medizinische Behandlung etc. Wenn die Taliban einen Schuldigen suchen, der für die Regierung spioniert haben soll, ist jeder, der verdächtigt wird, sich an die Behörden gewandt zu haben, in großer Gefahr.
Es ist davon auszugehen, dass Sippenhaftung in Afghanistan ein weit verbreitetes Phänomen ist, und die Taliban neben Regierungsmitarbeitern, Sicherheitskräften und anderen, der Kollaboration oder "Spionage" bezichtigten Personen auch deren Angehörige gezielt verfolgen und bedrohen.
In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34.1 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht.
Schätzungen zufolge, sind: 40 % Paschtunen, rund 30 % Tadschiken, ca. 10 % Hazara und 9 % Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri.
Die usbekische Minderheit ist die viertgrößte Minderheit Afghanistans und macht etwa 9% der Bevölkerung aus. Usbeken sind Sunniten und siedeln sowohl im ländlichen Raum, wie auch in urbanen Zentren (Mazar-e Sharif, Kabul, Kandahar, Laschkargah u.a.), wo ihre Wirtschafts- und Lebensformen kaum Unterschiede zu Dari-sprachigen Gruppen aufweisen. In den Städten und in vielen ländlichen Gegenden beherrschen Usbeken neben dem Usbekischen in der Regel auch Dari auf nahezu muttersprachlichem Niveau. Heiratsbeziehungen zwischen Usbeken und Tadschiken sind keine Seltenheit. Der wohl berühmteste Führer der Usbeken ist Abdul Rashid Dostum; ein ehemaliger Warlord, der gleichzeitig der Anführer der usbekischen Minderheit in Afghanistan ist. Mittlerweile ist er erster Vizepräsident Afghanistans. Die usbekische Minderheit ist im nationalen Durchschnitt mit etwa 8 % in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert.
Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht. Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt. Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden. Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen.
Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst. Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft.
Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb- e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara).
Die Wurzeln von General Abdul Rashid Dostums Jombesh-e Melli-ye Islam liegen in den Bürgerkriegsjahren der 1980er und 1990er. Sie entstand, als sich Rebellen-Truppen unter anderem entlang ethnischer Trennlinien formierten. Jombesh wurde vor allem von ethnischen Usbeken und Turkmenen unterstützt und war bis zur Einnahme der Provinzhauptstadt Maimana durch die Taliban im Jahr 1998 dominante Kraft in der Region. 2001 unterstützten Jombesh-Kämpfer im Rahmen der Nordallianz die US-geführte Invasion gegen die Taliban und nahmen nach der Vertreibung der Taliban aus Faryab alte Fehden wieder auf, welche innerhalb der Nordallianz zwischen Jombesh und der tadschikisch dominierten Jamiat-e Islami ye Afghanistan bestanden. Nach 2001 waren die Milizen von Jombesh und Jamiat zwar noch aktiv, doch rückte der parteipolitische Aspekt zunehmend in den Vordergrund.
Nachdem die die Sicherheitslage betreffende Fragen nach 2011 wieder an Bedeutung gewannen, nahm der Einfluss des militärischen Flügels innerhalb von Jombesh wieder zu. In diesem Kontext ist verschiedenen Quellen zu entnehmen, dass Vertreter von Jombesh innerhalb der offiziellen lokalen Polizeieinheiten (Afghan Local Police, ALP, Anm.) tätig sind. Zudem existieren in der Provinz Faryab auch inoffizielle Milizen wie die "Arbaki" oder "khezesh-e mardomit', welche Jombesh nahestehen. Mehrere Quellen geben an, dass General Dostum über eigene Truppen verfügt. Eine Quelle spricht von einer gegenüber Dostum loyalen Jombesh-Miliz. Eine weitere Quelle gibt an, dass die Milizen der Kriegsherren der Nordallianz niemals entwaffnet wurden und somit immer weiterbestanden haben. Dostum selbst bestreitet die Existenz einer eigenen Privatarmee.
Faryab gehört zu den aktivsten Fronten im Kampf gegen die Taliban. Unter anderem kämpfen in der Provinz Faryab Dostum und Jombesh nahestehende Kommandeure gegen die Taliban. Dostum leitete 2015 und 2016 als Erster Vizepräsident Afghanistans drei militärische Operationen gegen die Taliban in Faryab persönlich, wobei sich sowohl offizielle Streitkräfte der ANSF (Afghan National Security Forces, Anm.) als auch inoffizielle regierungsfreundliche Milizen an den Operationen beteiligten. Abseits der Operationen in Faryab befehligte Dostum einer Quelle zufolge auch in den Provinzen Jowjzan und Sar-i-Pul Offensiven gegen die Taliban.
Eine Quelle gibt die "Usbekisierung" der Taliban als einen Grund für das persönliche Eingreifen Dostums in die Auseinandersetzungen in Faryab 2015 und 2016 an. Bislang konnte Jombesh ein Monopol auf die politische Vertretung der ethnischen Usbeken Afghanistans für sich beanspruchen. In den vergangenen Jahren gelang es den Taliban allerdings zunehmend, in den nördlichen Provinzen Afghanistans usbekische Kämpfer zu rekrutieren. Neben den bewaffneten Konflikten mit den Taliban kämpfen Jombesh nahestehende Kommandeure gelegentlich auch gegen Jamiat-Gruppierungen.
Die Taliban konnten im Laufe des Jahres 2017 die Kontrolle über die meisten Bezirke in der Provinz Faryab gewinnen konnten. Die Regierungskräfte und ihre Verbündeten haben inzwischen eine Gegenoffensive zur Bekämpfung der Taliban gestartet. So wurden beispielsweise im Juni 2018 in mehreren Provinzen Afghanistans von Regierungstruppen und ihren Verbündeten militärische Operationen durchgeführt - unter anderem in der Provinz Faryab und im Distrikt Andkhoy. Die Distrikte Bilcheragh und Ghormach befanden sich jeweils mit Stand August 2018 bzw. März 2018 unter voller Kontrolle der Taliban. Zwar behält die afghanische Regierung die Kontrolle über die restlichen Distriktzentren, dennoch bedrohen die Taliban abwechselnd die Distrikte Shirin Tagab, Khwaja Sabzposh, Dawlatabad, Pashtun Kot, Amar Qaisar, Kohistan, Garzivan und die Provinzhauptstadt Maimana. Während die Distrikte Andkhoy, Khan Chahr Bagh, Qurghan und Qaramqul im März 2018 als relativ ruhig eingeschätzt wurden, sind seit Mai 2018 Taliban-Kämpfer u.a. im Distrikt Andkhoy aktiver. Im März und im April 2018 fanden Kämpfe entlang der Fernstraße zwischen Maimana und Andkhoy statt. Faryab zählt zu den bedeutsamsten Fronten im derzeitigen Konflikt in Afghanistan und die Präsenz der Taliban ist in der Provinz sehr hoch.
Im Zeitraum von 01.01.-31.08.2015 fanden in der Provinz Kunduz 69 Selbstmordattentate, ED-Explosionen und andere Explosionen statt. Der Anschlag mit den meisten Todesopfern in der Provinz Kunduz im Jahr 2015 ereignete sich am 08.08.2015 im Bezirk Khan Abad (Khanabad). 29 Personen wurden hierbei getötet. Eine Quelle berichtet, dass der Anschlag von den Taliban verübt wurde, einer anderen Quelle zufolge hat sich niemand zu dem Anschlag bekannt.
Auch variieren die Aussagen zu den Opfern: Während Regierungsvertreter von getöteten Zivilisten sprechen, geben andere Quellen an, dass es sich bei den Getöteten um Vertreter lokaler, regierungsfreundlicher Milizen handelte. Gemäß den Quellen sollen vier Kommandeure ums Leben gekommen sein, unter ihnen der Dschihadist Qadeer.
Mehrere Quellen berichten über Anschlage auf Polizisten, bei denen auch Zivilisten in einstelliger Anzahl getötet wurden. Die Urheber der Anschläge werden nicht genannt.
Am 28.09.2015 nahmen die Taliban Kunduz-Stadt ein, die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz. Dieser militärische Erfolg hat erheblichen symbolischen Wert für die Taliban und wird von einer Quelle als eine große Peinlichkeit für die Regierung bezeichnet. Zuvor hatten die Taliban angrenzende Bezirke der Provinzhauptstadt eingenommen. Regierungstruppen konnten die Taliban in den darauffolgenden Wochen wieder aus der Stadt vertreiben, doch blieb die Lage instabil, weil die Taliban immer noch in Gebieten präsent sind, welche an die Provinz angrenzen.
Es konnten keine Berichte dazu gefunden werden, ob Anhänger des General Dostum 2015 bei Selbstmordanschlägen in Kunduz ums Leben kamen.
2. Beweiswürdigung
2.1 Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers
Die Feststellungen zur Identität des BF ergeben sich aus seinen Angaben vor der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG.
Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des BF (Name und Geburtsdatum) getroffen wurden, gelten diese ausschließlich für die Identifizierung der Person des BF im Asylverfahren.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Herkunft, insbesondere zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seinem Familienleben und zu den Lebensumständen des BF, stützen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF im Verfahren vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG. Dies gilt auch für die Feststellungen, wonach er in Afghanistan unbescholten ist und keine Probleme mit Behörden hatte.
Die Identität des BF steht mit für das Verfahren ausreichender Sicherheit fest. Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus dem aktuellen Strafregisterauszug vom 11.09.2018.
2.2 Zu den Feststellungen zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
Die Feststellungen zu den Gründen des BF für das Verlassen seines Heimatstaates stützen sich auf die vom BF vor der belangten Behörde und im Beschwerdeverfahren, insbesondere auf die in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 18.09.2018 getroffenen Aussagen.
Was die konkreten fluchtauslösenden Umstände anbelangt, erstattet der BF im Zuge des gesamten Verfahrens - sowohl in den Einvernahmen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als auch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung - im Wesentlichen widerspruchsfreie und gleichlautende Angaben. Insbesondere in der mündlichen Beschwerdeverhandlung zeichnete er in seinen Aussagen und seinem Antwortverhalten ein glaubhaftes Bild der geschilderten Vorfälle im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit und der Tätigkeit seiner Familie für General Dostum im Kampf gegen die Taliban. Das Vorbringen des BF war substantiiert, schlüssig und im Lichte der in den Feststellungen zu Afghanistan enthaltenen Ausführungen, wonach grundsätzlich Anfeindungen von Seiten der Taliban bei politischen Gegnern und "Regierungskollaborateuren" üblich sind, plausibel. Auch die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation bestätigt die Angaben des BF sowohl zu den Kämpfern des General Dostums gegen die Taliban, insbesondere in der Provinz Faryab, als auch zum jüngsten Kontrollgewinn der Taliban in der Provinz Faryab, insbesondere im Distrikt XXXX , sowie zur Verfolgung der Kämpfer von General Dostum bzw. deren Familienmitgliedern durch die Taliban. Der BF hat im gegenständlichen Verfahren zahlreiche Unterlagen, wie Ausweise und Fotos vorgelegt, die sein Vorbringen zusätzlich untermauern.
Im Gegensatz zu belangten Behörde kommt das erkennende Gericht daher im Rahmen der Beweiswürdigung zu dem Ergebnis, dass der BF als Person glaubwürdig und sein Vorbringen glaubhaft ist. Damit ist der BF, der den Taliban persönlich bekannt ist, in deren Visier geraten, indem er selbst Briefe gegen sie verfasste und indem er Mitglied der Familie XXXX ist, in welcher sowohl der Vater als auch mehrere Brüder aktiv politisch im Kampf für General Dostum und gegen die Taliban tätig waren und weiterhin sind. Zudem hat der Vater des BF als Kommandant der Gruppierung eine ranghohe Position und ist in der Region bekannt. Dadurch läuft der BF Gefahr, dass er in seinem Heimatstaat Bedrohungen durch die Taliban ausgesetzt war und weiterhin ist, die, wie in der rechtlichen Begründung näher ausgeführt wird, asylrelevant sind. Dass der afghanische Staat derzeit landesweit nicht in der Lage ist, den BF vor dieser Bedrohung hinreichend zu schützen, zeigt sich aus den Länderberichten, wonach die Taliban im gesamten Staatsgebiet wieder an Einfluss gewinnen und viele Teile des Landes unter ihrer Kontrolle haben und landesweit mit Spitzeln arbeiten.
Aus einer Gesamtschau der oben angeführten Angaben des BF im gesamten Verfahren ergibt sich, dass eine Bedrohung des BF aus asylrelevanten Gründen in seinem Herkunftsstaat glaubhaft gemacht werden konnte, bzw. maßgeblich wahrscheinlich ist. Auch wenn der BF glaubhaft angibt, dass sich in der Region niemand getraut hätte, sich vor ihn hinzustellen, und ihn von Angesicht zu Angesicht zu bedrohen, da jeder Angst vor seinem Vater hatte (vgl. S 15 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung), kann dennoch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der BF Opfer eines Hinterhaltes der Taliban werden kann, zumal er allein schon aufgrund der Tätigkeit seines Vaters und seiner Brüder als für die Taliban exponierte Person anzusehen ist.
Das erkennende Gericht kann keine groben Unstimmigkeiten im Fluchtvorbringen des BF erkennen. Dass im Rahmen der Anfragebeantwortung keine Berichte dazu gefunden werden konnten, ob Anhänger des General Dostum 2015 bei Selbstmordanschlägen in Kunduz ums Leben kamen, kann der Glaubhaftigkeit der Angaben des BF, wonach seine beiden Brüder in Kunduz von den Taliban getötet worden seien, keinen Abbruch tun, da das Vorbringen in der Gesamtschau durchaus nachvollziehbar und trotz mangelnder Belege glaubhaft ist, zumal die Brüder auch als zivile Opfer geführt worden sein könnten. Ebenso ist das Vorbringen zum Vater des BF einzuschätzen, auch wenn zu dessen Namen im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche der Staatendokumentation auf Deutsch und Englisch keine Informationen gefunden werden konnten. Der BF blieb bei der Befragung vor dem BVwG stets authentisch. Etwaige Unstimmigkeiten und Ungenauigkeiten werden auf die gesetzten Prioritäten und Wertigkeiten der afghanischen Kultur zurückgeführt.
Im gesamten Verfahren sind keine Gründe zu Tage getreten, welche die BF von der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ausschließen.
Zu dem vom BF vorgebrachten Fluchtgrund, wonach ihm in Afghanistan auch aufgrund seiner "westlichen Wertehaltung" und dem ihm in diesem Zusammenhang möglicherweise unterstellten Abfall vom islamischen Glauben Verfolgung droht, kann in Anbetracht der politischen Verfolgung von einer weiteren Ermittlungstätigkeit des BVwG Abstand genommen werden.
2.2. Zur Situation im Herkunftsstaat
Die getroffenen Feststellungen zum Herkunftsstaat stützen sich auf die der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegten Auszüge der Gesamtaktualisierung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation Afghanistan vom 29.06.2018 mit Stand vom 11.09.2018, auf die in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorgelegte Arbeitsübersetzung des Landinfo Reports: Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne, auf Auszüge der UNHCR-Richtlinien zur Beurteilung des Internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Afghanistan vom 30.08.2018 sowie auf die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 05.10.2018. Da die aktuellen Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darstellen, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der schlüssigen Sicherheitsdarstellungen im Herkunftsstaat zu zweifeln. Das BVwG übermittelte diese Länderinformationen allen Parteien des Verfahrens nachweislich mit der Möglichkeit, hierzu eine Stellungnahme im Rahmen des Parteiengehörs zu übermitteln. Während der BF diese Möglichkeit nutze, gab die belangte Behörde keine Stellungnahme dazu ab.
3. Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß den §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/011; VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; VwGH 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.04.1996, 95/20/0239; vgl. auch VwGH 16.02.2000, 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.
Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH 09.03.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; VwGH 15.03.2001, 99720/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183; VwGH 18.02.1999, 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).
Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des BF, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, begründet ist.
Durch seine im Verfahren getätigten plausiblen Angaben zu seinen Fluchtgründen, vor allem betreffend seine Tätigkeit für den General Dostum in Form von Verfassen von Briefen und Plakaten mit dem Aufruf zum Kampf gegen die Taliban, sowie als Familienmitglied eines ranghohen Kommandanten der Milizen des General Dostum und den damit verbundenen Kämpfen gegen die Taliban und der daraus resultierende Bedrohung und Verfolgung durch die Taliban, konnte der BF eine asylrelevante Verfolgungsgefahr der unterstellten politischen Gesinnung in seinem Herkunftsstaat Afghanistan glaubhaft machen.
Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist es für die Annahme einer asylrechtlich relevanten Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung ausreichend, dass eine staatsfeindliche politische Gesinnung zumindest unterstellt wird, und die Aussicht auf ein faires staatliches Verfahren zur Entkräftung dieser Unterstellung nicht zu erwarten ist (vgl. VwGH vom 30.09.1997, Zl. 96/0871). Im gegenständlichen Fall ging die Unterstellung einer politischen Gesinnung zwar nicht vom Staat aus, doch wäre eine solche Unterstellung seitens der Taliban, nämlich auf der Seite ihrer (politischen) Gegner zu stehen und sich damit gegen die Interessen der Taliban zu stellen, dennoch von Bedeutung (VwGH vom 28.11.2014, Ra 2014/01/0094). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat, oder ihm dieser Nachteil auf Grund einer von dritten Personen ausgehenden, vom Staat nicht ausreichend verhinderbaren Verfolgung mit derselben Wahrscheinlichkeit droht. In beiden Fällen ist es ihm nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes des Heimatstaates zu bedienen.
Nach den oben angeführten Länderberichten, insbesondere den notorischen aktuellen UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018, denen nach der Rechtsprechung des VwGH besondere Beachtung zu schenken ist, gehört der BF aufgrund seiner Tätigkeit zur Risikogruppe der "Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind, oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen."
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, 94/18/0263; VwGH 01.02.1995, 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).
Im vorliegenden Fall ist nicht hervorgekommen, dass es der afghanischen Zentralregierung möglich wäre, für die grundsätzliche Gewährleistung grundlegender Rechte und Freiheiten hinsichtlich des BF Sorge zu tragen. Er kann mit gewisser Wahrscheinlichkeit nicht damit rechnen, dass er angesichts des ihn betreffenden Risikos, Opfer von Übergriffen der Taliban zu werden, ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden kann. Dies gilt für das gesamte Gebiet seines Herkunftsstaates, zumal die Taliban laut den vorliegenden Länderberichten in Afghanistan über ein entsprechend gut ausgebautes Netzwerk verfügen. Angesichts der dargestellten Umstände kann im Fall des BF nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass er in Afghanistan den Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus der befürchteten Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat.
Es besteht weder eine innerstaatliche Fluchtalternative, die gegebene Gefahr liegt auch etwa in Kabul vor, noch ist ein in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannter Endigungs- und Asylausschlussgrund hervorgekommen.
Der BF ist im Bundesgebiet strafgerichtlich unbescholten.
Aus diesen Gründen war der Beschwerde des BF stattzugeben und ihm gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem BF damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Zu Spruchpunkt B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung, Schutzunfähigkeit, sozialeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W261.2189998.1.00Zuletzt aktualisiert am
17.01.2019