TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/28 W115 2166850-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.11.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

28.11.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W115 2166836-1/15E

W115 2166855-1/15E

W115 2166851-1/15E

W115 2166850-1/15E

W115 2166852-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

I. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian DÖLLINGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian DÖLLINGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom

XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am

XXXX zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

III. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian DÖLLINGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom

XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am

XXXX zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

IV. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian DÖLLINGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom

XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am

XXXX zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

V. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian DÖLLINGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin reiste gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Zweitbeschwerdeführer, und ihren drei gemeinsamen minderjährigen Kindern, der Drittbeschwerdeführerin, dem Viertbeschwerdeführer und der Fünftbeschwerdeführerin unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer am XXXX für sich und ihre minderjährigen Kinder die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

1.1. Im Verlauf der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX gaben die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi übereinstimmend zusammengefasst an, dass sie und ihre Kinder afghanische Staatsangehörige seien, der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensrichtung des Islams angehören würden.

Befragt zu ihren Fluchtgründen gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie im Iran geboren sei und sie dort gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren Kindern legal als Flüchtlinge gelebt habe. Vor ca. sieben Monaten sei ihr Ehemann festgenommen und nach Afghanistan abgeschoben worden. Nach ca. ein bis zwei Monaten sei er wieder illegal in den Iran zurückgekehrt. In weiterer Folge sei das Leben für sie und ihre Familie im Iran immer schwieriger geworden. Aufgrund dieser Umstände hätten sie beschlossen den Iran zu verlassen. In Afghanistan würde sie nicht leben können, da sie und ihre Kinder im Iran geboren seien. Befragt zu ihren sonstigen Familienangehörigen gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass ihre Eltern bereits gestorben seien. Brüder oder Schwestern bzw. sonstige Verwandte habe sie keine. Befragt zu ihrer Schul- und Berufsausbildung gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie im Iran von ihrem Vater zuhause unterrichtet worden wäre. Über eine Berufsausbildung verfüge sie nicht. Abschließend gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass ihre Kinder keine eigenen Fluchtgründe haben würden.

Befragt zu seinen Fluchtgründen gab der Zweitbeschwerdeführer an, dass er im Alter von zehn Jahren mit seiner Familie in den Iran geflüchtet sei, wo er legal als Flüchtling gelebt habe. Vor ca. sieben Monaten sei ihm seine Flüchtlingskarte nicht mehr verlängert worden und er sei festgenommen und nach Afghanistan abgeschoben worden. Ihm sei gesagt worden, dass er bei einer Rückkehr fünf Jahre lang eingesperrt werden würde. Nach einem Monat in Afghanistan sei er illegal in den Iran zurückgekehrt und gemeinsam mit seiner Ehefrau und seinen Kindern geflüchtet. Nach Afghanistan könne er nicht zurück, da er dort niemanden habe und als Hazara verfolgt werden würde. Befragt zu seinen sonstigen Familienangehörigen gab der Zweitbeschwerdeführer an, dass seine Eltern schon gestorben seien. Im Iran habe er noch einen Bruder und in Afghanistan lebe eine Schwester von ihm. Befragt zu seiner Schul- und Berufsausbildung gab der Zweitbeschwerdeführer an, Analphabet zu sein und im Iran als Bauer und Bauarbeiter gearbeitet zu haben.

Übereinstimmend gaben die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer an, dass sie vor zwei Monaten gemeinsam mit ihren Kindern schlepperunterstützt den Iran verlassen hätten. Über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien und Kroatien seien sie bis nach Österreich gebracht worden.

1.2. Am XXXX wurden von den Beschwerdeführern ein Befund vom XXXX hinsichtlich einer Schilddrüsenuntersuchung betreffend die Erstbeschwerdeführerin, ein Röntgenbefund der Lendenwirbelsäule vom XXXX betreffend den Zweitbeschwerdeführer sowie eine Schulbesuchsbestätigung lautend auf die Drittbeschwerdeführerin in Vorlage gebracht.

1.3. Nach Zulassung des Verfahrens durch Ausfolgung von Aufenthaltsberechtigungskarten wurden die Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer und die minderjährige Drittbeschwerdeführerin am XXXX vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Kurzbezeichnung BFA; in der Folge belangte Behörde genannt) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari und eines Rechtsberaters niederschriftlich einvernommen.

Die Erstbeschwerdeführerin gab für sich und ihre minderjährigen Kinder (Anmerkung: die Drittbeschwerdeführerin, den Viertbeschwerdeführer und die Fünftbeschwerdeführerin) im Wesentlichen zusammengefasst an, dass ihre bisherigen Angaben der Wahrheit entsprechen würden. Sie sei gesund und würde keine Medikamente nehmen. Sie und ihre Kinder seien afghanische Staatsangehörige und würden der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensrichtung des Islams angehören. Sie und ihre Kinder seien im Iran geboren worden. Dort habe sie auch ihren Ehemann (Anmerkung: den Zweitbeschwerdeführer) geheiratet. Befragt zu ihren Familienverhältnissen gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass ihre Eltern aus Afghanistan, aus der Provinz Daikundi, stammen würden. Ihre Eltern hätten Afghanistan bereits vor langer Zeit verlassen und würden nicht mehr am Leben sein. Sonstige Verwandte habe sie weder in Afghanistan noch im Iran. Befragt zu ihrer Schul- und Berufsausbildung gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie keine Schule besucht habe, sondern zuhause von ihrem Vater unterrichtet worden sei. Danach habe sie ca. 16 Jahre als Schneiderin gearbeitet. Befragt zu ihren Fluchtgründen gab die Erstbeschwerdeführerin zusammengefasst an, dass sie noch nie in Afghanistan gewesen sei. Im Iran seien ihr und ihrer Familie von der iranischen Polizei die Flüchtlingskarten abgenommen worden und ihr Ehemann sei auch festgenommen worden. Im Iran hätten sie keine Rechte gehabt und ihre Kinder hätten auch nicht die Schule besuchen dürfen. Sie seien daher zuhause unterrichtet worden. Aus diesen Gründen hätte sie gemeinsam mit ihrem Ehemann und den Kindern den Iran verlassen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte sie von den Taliban getötet zu werden, da sie der Volksgruppe der Hazara angehöre und Schiitin sei. Darüber hinaus hätten die Frauen in Afghanistan keine Rechte. Befragt zu ihrer aktuellen Situation in Österreich gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie einen Deutschkurs besuche und bereits ein wenig Deutsch könne. Sie habe auch schon österreichische Freunde gefunden und besuche diese auch. Weiters gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass ihre Kinder keine eigenen Fluchtgründe hätten.

Der Zweitbeschwerdeführer gab im Wesentlichen zusammengefasst an, dass seine bisherigen Angaben der Wahrheit entsprechen würden. Er sei gesund und würde keine Medikamente nehmen. Er sei afghanischer Staatsangehöriger und würde der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensrichtung des Islams angehören. Er sei in Afghanistan in einem Dorf in der Provinz Daikundi geboren worden. Im Alter von zehn Jahren habe er gemeinsam mit seiner Mutter und seinem Bruder Afghanistan verlassen und sie seien in den Iran gezogen. Sein Vater sei bereits in Afghanistan verstorben als der Zweitbeschwerdeführer fünf Jahre alt gewesen sei. Darüber hinaus habe er noch zwei Brüder gehabt, welche ebenfalls schon in Afghanistan gestorben seien. In Afghanistan habe er noch eine Schwester, die dort verheiratet sei. Zu dieser habe er aber seit 30 Jahren keinen Kontakt mehr. Auch würden sich noch Cousins väterlicher- und mütterlicherseits in Afghanistan aufhalten. Ein Kontakt zu diesen habe aber niemals bestanden. Mittlerweile sei auch seine Mutter gestorben. Im Iran halte sich nur mehr sein Bruder auf. Er und seine Ehefrau (Anmerkung: die Erstbeschwerdeführerin) hätten im Iran geheiratet. Auch seine Kinder (Anmerkung: die Drittbeschwerdeführerin, der Viertbeschwerdeführer sowie die Fünftbeschwerdeführerin) seien dort geboren. Befragt zu seinen Fluchtgründen gab der Zweitbeschwerdeführer zusammengefasst an, dass seine Familie damals Afghanistan wegen des Krieges gegen die Russen verlassen hätte müssen. Den Iran hätten er und seine Familie verlassen, da ihr Aufenthaltsstatus als Flüchtlinge nicht mehr verlängert worden sei. Deswegen sei er im Jahr XXXX von der iranischen Polizei verhaftet und nach Afghanistan abgeschoben worden. Dort habe er sich einen Monat aufgehalten und sei dann wieder in den Iran eingereist um in weiterer Folge diesen gemeinsam mit seiner Ehefrau und seinen Kindern wieder zu verlassen. Befragt zu seiner Schul- und Berufsausbildung gab der Zweitbeschwerdeführer an, dass er nie eine Schule besucht habe. Im Iran habe er als Kind Tiere gehütet und sei später 17 Jahre lang als Bauarbeiter tätig gewesen. In Österreich besuche er einen Deutschkurs. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte er, dass er und seine Familie aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara von den Taliban oder vom IS getötet werden würden.

Die minderjährige Drittbeschwerdeführerin gab im Beisein ihrer gesetzlichen Vertreterin (Anmerkung: die Erstbeschwerdeführerin) im Wesentlichen zusammengefasst an, dass sie im Moment Windpocken habe, aber ansonsten gesund sei und keine Medikamente nehme. Sie sei im Iran geboren, afghanische Staatsangehörige und würde der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensrichtung des Islams angehören. Sie sei ledig und habe keine Kinder. Sie selbst sei noch niemals in Afghanistan gewesen. Sie wisse nur aus Erzählungen ihres Vaters (Anmerkung: des Zweitbeschwerdeführers), dass dieser im Alter von zehn Jahren Afghanistan wegen des Krieges habe verlassen müssen. Befragt zu ihrer Schul- und Berufsausbildung gab die Drittbeschwerdeführerin an, dass sie im Iran keine Möglichkeit gehabt hätte, eine Schule zu besuchen. Aus diesem Grund habe sie zuhause gelernt. Befragt, warum sie und ihre Familie den Iran verlassen hätten, gab die Drittbeschwerdeführerin an, dass sie dort nicht wie ein normaler Mensch leben hätte können. Sie hätte immer zuhause bleiben müssen und habe das Haus nicht verlassen können.

Weiters wurden den Beschwerdeführern von der belangten Behörde Länderfeststellungen zu Afghanistan vorgehalten und ihnen die Möglichkeit eingeräumt, dazu binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen.

Im Zuge der Einvernahme wurden von der Erstbeschwerdeführerin ein Blutbefund und ein Befundbericht hinsichtlich Schilddrüsenparameter vom XXXX sowie ein Befund hinsichtlich einer nuklearmedizinischen Schilddrüsenuntersuchung vom XXXX in Vorlage gebracht. Weiters wurden von den Beschwerdeführern im Anschluss an die Einvernahmen integrationsbescheinigende Unterlagen vorgelegt.

1.4. Mit Schreiben vom XXXX wurde von den Beschwerdeführern zu den im Rahmen der Einvernahme vom XXXX vorgehaltenen Länderfeststellungen im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, dass der Erst- und der Drittbeschwerdeführerin bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der dortigen aktuellen Situation für Frauen eine asylrelevante Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention drohen würde. Darüber hinaus würden die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten vorliegen, da die Beschwerdeführer aus ihrer Heimat entwurzelt seien und in Afghanistan über keine Familienangehörigen mehr verfügen würden, die sie bei einer Rückkehr unterstützen könnten. In Zusammenhang mit der prekären Sicherheitslage sei davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in eine ausweglose Lage geraten würden und somit eine Verletzung der durch Art. 2 bzw. 3 EMRK geschützten Rechte vorliegen würde.

1.5. Mit den angefochtenen Bescheiden wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. wurde ihnen gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihnen unter Spruchpunkt III. gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

1.6. Mit Verfahrensanordnung der belangten Behörde vom XXXX wurde den Beschwerdeführern gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren amtswegig eine Rechtsberatung zur Seite gestellt.

2. Gegen Spruchpunkt I. der im Spruch genannten Bescheide wurde von den Beschwerdeführern fristgerecht eine gemeinsame Beschwerde erhoben und der Beweisführung sowie der rechtlichen Beurteilung der belangten Behörde substantiiert entgegengetreten. Zudem wurde die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung beantragt.

3. Die gegenständlichen Beschwerden samt Verwaltungsakte langten der Aktenlage nach am XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein. Im Rahmen der Beschwerdevorlage wurde von der belangten Behörde auf die Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht verzichtet.

3.1. Am XXXX und XXXX wurden von den Beschwerdeführern weitere integrationsbescheinigende Unterlagen in Vorlage gebracht.

3.2. Mit Schriftsatz vom XXXX wurde unter Vorlage der diesbezüglichen Vertretungsvollmachten bekanntgegeben, dass die Beschwerdeführer im weiteren Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Rechtsanwalt XXXX vertreten werden.

3.3. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte in der Folge eine mündliche Verhandlung an und übermittelte gleichzeitig aktuelle Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan. Eine Stellungnahme zu den Länderfeststellungen wurde vorab nicht erstattet.

3.4. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX brachten die Beschwerdeführer nach Erläuterung des bisherigen Verfahrensganges und des Akteninhaltes im Beisein ihres bevollmächtigten Vertreters sowie eines Dolmetschers für die Sprache Dari auf richterliche Befragung im Wesentlichen zusammengefasst vor, dass ihre bisherigen Angaben der Wahrheit entsprechen würden. Befragt zu ihrem Gesundheitszustand gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie keine Medikamente einnehmen würde, aber Probleme mit ihrer Schilddrüse habe. Der Zweitbeschwerdeführer führte in diesem Zusammenhang aus, dass er an Blasenkrebs leide und deswegen in Behandlung sei. Er nehme ständig Medikamente ein. Übereinstimmend gaben die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer an der heutigen Verhandlung folgen zu können. Es würden keine Hinderungsgründe aus gesundheitlicher Sicht vorliegen. Die Drittbeschwerdeführerin gab an ganz gesund zu sein. In weiterer Folge gaben die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer übereinstimmend an, dass sie und ihre Kinder (Anmerkung: die Drittbeschwerdeführerin, der Viertbeschwerdeführer und die Fünftbeschwerdeführerin) der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensrichtung des Islams angehören würden. Ihre Muttersprache sei Dari. Sie würden weiters noch Farsi und Deutsch sprechen. Die Erstbeschwerdeführerin gab an, dass ihre Eltern in Afghanistan in der Provinz Daikundi gelebt hätten und dann in den Iran gezogen seien. Ihre Eltern seien bereits verstorben und sie habe nunmehr weder im Iran noch in Afghanistan Verwandte. Der Zweitbeschwerdeführer gab an, dass er in Afghanistan in einem Dorf in der Provinz Daikundi geboren worden sei. Im Alter von ca. 10 Jahren habe er gemeinsam mit seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder Afghanistan verlassen und sie seien in den Iran gegangen. Sein Vater sei bereits zu diesem Zeitpunkt nicht mehr am Leben gewesen. Zum jetzigen Zeitpunkt lebe nur mehr sein jüngerer Bruder gemeinsam mit seiner Familie im Iran. In Afghanistan lebe noch eine Schwester von ihm, die dort geheiratet habe. Wo genau sie sich aufhalten würde, wisse er jedoch nicht. Weiters habe er noch einen Cousin väterlicherseits in Afghanistan gehabt. Es wisse jedoch nicht, ob dieser noch am Leben sei. Übereinstimmend gaben die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer an, dass sie ihre Ehe im Iran geschlossen hätten und auch alle ihre Kinder dort geboren worden seien. Befragt zu ihrer Schul- und Berufsausbildung gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie im Iran von ihrem Vater zuhause unterrichtet worden sei. Eine Schule habe sie nicht besucht. Danach habe sie als Schneiderin gearbeitet. Vom Zweitbeschwerdeführer wurde in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass er weder in Afghanistan noch im Iran in die Schule gegangen sei. Er habe auch keine Berufsausbildung absolviert. Im Iran habe er im Baubereich und in der Landwirtschaft gearbeitet. Befragt zu ihrer Schulausbildung gab die Drittbeschwerdeführerin an, dass sie im Iran zuhause von einer Privatlehrerin unterrichtet worden sei. Zu ihren Familienverhältnissen in Österreich befragt, gaben die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer zusammengefasst übereinstimmend an, dass sie zusammen mit ihren Kindern hier leben würden. Sonstige Verwandte von ihnen würden sich in Österreich nicht aufhalten.

Zu ihrer Situation in Österreich befragt, gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie bemüht sei hier eine Arbeit zu finden. Sie wolle den Pflichtschulabschluss nachholen und strebe danach einen Lehrabschluss an, um den Beruf der Köchin ausüben zu können. Deswegen sei sie auch zum AMS gegangen und habe sich informiert. Sie habe auch einen vom AMS angebotenen Kurs absolviert, in dem sie über verschiedenste Berufsmöglichkeiten informiert worden sei. Weiters besuche sie an den Vormittagen einen Pflichtschulabschlusskurs (Anmerkung: In diesem Zusammenhang wurden vom bevollmächtigten Vertreter eine Teilnahmebestätigung für den Zeitraum von XXXX bis XXXX hinsichtlich der Absolvierung des Kurses "Vorbereitung für den Einstieg in den Pflichtschulabschluss", ein Zertifikat hinsichtlich der Teilnahme an einem Seminar " XXXX " in der Zeit vom XXXX sowie eine Besuchsbestätigung hinsichtlich der Teilnahme am Vorbereitungskurs für den externen Pflichtschulabschluss vom XXXX in Vorlage gebracht.). In diesem Zusammenhang gab die Erstbeschwerdeführerin ergänzend an, dass sie auch Behördenwege oder Arztbesuche alleine absolviere. In ihrer Freizeit gehe sie mit ihren Kindern spazieren oder spiele mit ihnen Badminton. Weiters lese sie gerne Bücher oder treffe sich mit Freunden. Sie und ihre Familie hätten schon viele österreichische Freunde gefunden. Weiters besuche sie im Rahmen ihrer Ausbildung auch ein Lerncafe und würde sich dort mit den Leuten unterhalten und gemeinsam lernen. Befragt zur Erziehung ihrer Kinder gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass es ihr sehr wichtig sei, dass sie einen Beruf erlernen würden. Diesbezüglich würden ihre Kinder selbst entscheiden können, welche Schule sie besuchen bzw. welchen Beruf sie erlernen wollen würden. Sie sei sehr am schulischen Fortkommen ihrer Kinder interessiert und besuche auch regelmäßig die Elternsprechtage. Befragt zu ihrer Ehe gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie sich in ihrer Ehe als gleichberechtigt neben ihrem Ehemann (Anmerkung: dem Zweitbeschwerdeführer) sehe. Sie würden sich bei der Erziehung der Kinder und im Haushalt gegenseitig helfen. Weiters sei sie überwiegend für die Verwaltung des Familieneinkommens zuständig und würde die anfallenden Einkäufe erledigen. Abschließend wurde von der Erstbeschwerdeführerin angegeben, dass ihr hier in Österreich ermöglicht worden sei, ein freies und selbstbestimmtes Leben zu führen. Erst hier habe sie erfahren, was Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann bedeute. Dadurch sei es ihr möglich, sich hier eine Zukunft aufzubauen.

Zu seiner Situation in Österreich befragt, gab der Zweitbeschwerdeführer zusammengefasst an, dass er in Österreich seit XXXX berufstätig sei (In diesem Zusammenhang wurden vom bevollmächtigten Vertreter eine Arbeitsbestätigung und eine Lohn-/Gehaltsverrechnung vorgelegt, aus denen hervorgeht, dass der Zweitbeschwerdeführer seit XXXX bei der Firma XXXX als Arbeiter tätig ist.). Neben dieser Arbeit helfe er seiner Ehefrau (Anmerkung: der Erstbeschwerdeführerin) bei der Hausarbeit und lerne für den Führerschein.

Zu ihrer Situation in Österreich befragt, gab die Drittbeschwerdeführerin an, dass sie zurzeit die HTL für Bautechnik besuche. Sie wolle die Matura machen und anschließend Architektur studieren. Als sie nach Österreich gekommen sei, sei sie im Jahr XXXX in die dritte Klasse der Hauptschule eingestiegen und habe in weiterer Folge die vierte Klasse Hauptschule auch abgeschlossen. Danach habe sie die Polytechnische Schule erfolgreich absolviert (Anmerkung: In diesem Zusammenhang wurde vom bevollmächtigten Vertreter das Jahres- und Abschlusszeugnis für das Schuljahr XXXX über den Besuch der Polytechnischen Schule durch die Drittbeschwerdeführerin in Vorlage gebracht.). Ihr Wunsch sei es, als Architektin zu arbeiten und ihr eigenes Geld zu verdienen. Später wolle sie einen Mann heiraten den sie liebe und eine Familie gründen. Aber auch im Falle einer Heirat wolle sie berufstätig bleiben. Sie genieße in Österreich, dass sie hier lernen könne was sie wolle. Sie könne zur Schule gehen und auch ihre Meinung frei äußern. Es herrsche hier eine Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern. In ihrer Freizeit würde sie gerne mit dem Fahrrad fahren sowie Badminton und Volleyball spielen. Auch sehe sie sich gerne Filme an und treffe sich mit ihren Freundinnen zum Einkaufen. Einmal sei sie auch alleine nach Linz gefahren und habe ihre dort lebenden Freundinnen besucht und bei diesen übernachtet. Wenn sie mit ihren Freundinnen zusammen sei, würde sie ihr Kopftuch auch immer öfters ablegen.

In weiterer Folge wurden ergänzend zu den mit der Ladung übermittelten Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan durch den verfahrensführenden Richter aufgrund der in der heutigen Verhandlung von der Erst- und der Drittbeschwerdeführerin geschilderten Lebensweise in Österreich folgende Unterlagen in das Verfahren eingebracht:

? Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, in der Fassung vom 11.09.2018

? UNHCR-eligibility guidelines for assessing the international protection needs of asylum-seekers from afghanistan, 30.08.2018

? UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016

Nach Erörterung dieser Unterlagen und der mit der Ladung übermittelten Länderfeststellungen, gab der bevollmächtigte Vertreter der Beschwerdeführer dazu an, dass auf eine Stellungnahme verzichtet werde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt aus:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer tragen die im Spruch genannten Namen und sind

am XXXX (Erstbeschwerdeführerin), am XXXX (Zweitbeschwerdeführer),

am XXXX (Drittbeschwerdeführerin), am XXXX (Viertbeschwerdeführer) sowie am XXXX (Fünftbeschwerdeführerin) geboren. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind die Eltern der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin, des minderjährigen Viertbeschwerdeführers und der minderjährigen Fünftbeschwerdeführerin. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer haben bevor sie nach Österreich eingereist sind, im Iran geheiratet.

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, gehören der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensrichtung des Islams an. Die Eltern der Erstbeschwerdeführerin haben in Afghanistan in einem Dorf in der Provinz Daikundi gelebt und sind anschließend in den Iran gezogen. Die Erstbeschwerdeführerin ist im Iran geboren. Ihre Eltern sind bereits verstorben und sie hat weder im Iran noch in Afghanistan weitere Verwandte. Der Zweitbeschwerdeführer ist in Afghanistan in einem Dorf in der Provinz Daikundi geboren. Im Alter von ca. zehn Jahren hat er gemeinsam mit seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder Afghanistan verlassen und ist in den Iran gezogen. Sein Vater war zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben. Seine Mutter ist im Iran verstorben. Der Zweitbeschwerdeführer hat weiters noch eine Schwester in Afghanistan, deren Aufenthalt ihm jedoch unbekannt ist. Sein jüngerer Bruder lebt nach wie vor im Iran. Die Drittbeschwerdeführerin, der Viertbeschwerdeführer sowie die Fünftbeschwerdeführerin sind im Iran geboren.

Die Muttersprache der Beschwerdeführer ist Dari. Weiters sprechen sie auch Farsi und Deutsch. Die Erstbeschwerdeführerin hat im Iran keine Schule besucht, ist aber von ihrem Vater zuhause unterrichtet worden. Sie hat im Iran als Schneiderin gearbeitet. Der Zweitbeschwerdeführer verfügt über keine Schul- und Berufsausbildung. Er hat im Iran im Baubereich und in der Landwirtschaft gearbeitet. Die Drittbeschwerdeführerin hat im Iran keine Schule besucht, sondern ist zuhause von einer Privatlehrerin unterrichtet worden.

Die Beschwerdeführer sind strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zur Situation der Erst- und der Drittbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan:

Bei der Erstbeschwerdeführerin handelt es sich um eine selbstständige Frau, die in ihrer Wertehaltung und ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Sie lebt in Österreich nicht nach der konservativ-afghanischen Tradition und lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab. Die Erstbeschwerdeführerin spricht bereits sehr gut Deutsch und ist bestrebt ihre Kenntnisse der deutschen Sprache weiter zu verbessern. Sie beabsichtigt eine Ausbildung zur Köchin (inkl. Lehrabschluss) zu absolvieren, um in Österreich berufliche und wirtschaftliche Selbstständigkeit zu erlangen. In dieser Hinsicht ist die Erstbeschwerdeführerin bereits aus eigenem Antrieb aktiv geworden und hat u.a. einen vom Arbeitsmarktservice (AMS) angebotenen Kurs zur Berufsvorbereitung besucht. Derzeit besucht die Erstbeschwerdeführerin einen Kurs für die Vorbereitung auf den externen Pflichtschulabschluss. Sie bewältigt ihren Alltag in Österreich selbstständig und sieht sich als gleichberechtigt neben ihrem Ehemann an. So werden wichtige Entscheidungen in finanzieller Hinsicht bzw. im Zusammenhang mit der Erziehung der Kinder gemeinsam getroffen. Die Erstbeschwerdeführerin will ihre Kinder frei von Zwängen erziehen und ist sehr darum bemüht, dass ihre Kinder in Österreich eine gute Schul- und Berufsausbildung erhalten, damit sie ein selbstbestimmtes Leben nach ihren eigenen Vorstellungen führen können. In dieser Hinsicht werden ihre Kinder aktiv von ihr unterstützt. So besucht die Erstbeschwerdeführerin regelmäßig die Elternsprechtage in der Schule ihrer Kinder. Weiters geht die Erstbeschwerdeführerin alleine einkaufen bzw. absolviert falls erforderlich Behördenwege und Arztbesuche selbstständig. Außerdem besucht sie regelmäßig ein Lerncafe. Die von ihr angenommene Lebensweise ist zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden. Die Erstbeschwerdeführerin lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und kann sich nicht vorstellen, nach der konservativ-afghanischen Tradition zu leben. Die persönliche Haltung der Erstbeschwerdeführerin über die grundsätzliche Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft steht im eindeutigen Widerspruch zu den in Afghanistan bislang vorherrschenden gesellschaftlich-religiösen Zwängen, denen Frauen dort mehrheitlich unterworfen sind. Sie würde im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan von dem dortigen konservativen Umfeld als eine am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte Frau angesehen werden.

Bei der Drittbeschwerdeführerin handelt es sich um eine junge selbstständige Frau, die in ihrer Wertehaltung und ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Sie lebt in Österreich nicht nach der konservativ-afghanischen Tradition und lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab. Die Drittbeschwerdeführerin kleidet sich nach westlicher Mode und auf das Tragen des Kopftuches wird mehr und mehr verzichtet. Sie spricht bereits sehr gut Deutsch und besucht derzeit eine HTL für Bautechnik. Nach der Matura beabsichtigt die Drittbeschwerdeführerin Architektur zu studieren und Architektin zu werden, um in Österreich berufliche und wirtschaftliche Selbstständigkeit zu erlangen. Die Drittbeschwerdeführerin beabsichtigt auch im Falle einer Eheschließung weiterhin berufstätig zu bleiben. In ihrer Freizeit ist die Drittbeschwerdeführerin gerne mit ihrem Fahrrad unterwegs und spielt Badminton bzw. Volleyball. Auch sieht sie sich gerne Filme an und trifft sich mit ihren Freundinnen zum Einkaufen. Einmal ist sie auch alleine nach Linz gefahren und hat ihre dort lebenden Freundinnen besucht und bei diesen übernachtet. Die von der Drittbeschwerdeführerin angenommene Lebensweise ist zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden. Sie lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und kann sich nicht vorstellen, nach der konservativ-afghanischen Tradition zu leben. Die persönliche Haltung der Drittbeschwerdeführerin über die grundsätzliche Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft steht im eindeutigen Widerspruch zu den in Afghanistan bislang vorherrschenden gesellschaftlich-religiösen Zwängen, denen Frauen dort mehrheitlich unterworfen sind. Sie würde im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan von dem dortigen konservativen Umfeld als am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte Frau angesehen werden.

Der Erst- und der Drittbeschwerdeführerin drohen bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund ihrer Wertehaltung eine Verfolgung aus religiösen und/oder politischen Gründen. Vom afghanischen Staat können sie keinen effektiven Schutz erwarten.

Es besteht keine innerstaatliche Fluchtalternative.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer:

Aufgrund der mit der Ladung übermittelten Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan und den in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zusätzlich in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführer getroffen:

1.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, in der Fassung vom 11.09.2018:

Politische Lage (Verfassung):

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Sicherheitslage (Allgemein):

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östliche Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009-31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).

Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre vierteljährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u. a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert - ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände (Engl. "explosive remnants of war", Anm.) 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte) - ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräfte zurückzuführen (UNAMA 2.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).

Rechtsschutz/Justizwesen:

Gemäß Artikel 116 der Verfassung ist die Justiz ein unabhängiges Organ der Islamischen Republik Afghanistan. Die Judikative besteht aus dem Obersten Gerichtshof (Stera Mahkama, Anm.), den Berufungsgerichten und den Hauptgerichten, deren Gewalten gesetzlich geregelt sind. (Casolino 2011). Die wichtigste religiöse Institution des Landes ist der Ulema-Rat (Afghan Ulama Council - AUC, Shura-e ulama-e afghanistan, Anm.), eine nationale Versammlung von Religionsgelehrten, die u.a. den Präsidenten in islamrechtlichen Angelegenheiten berät und Einfluss auf die Rechtsformulierung und die Auslegung des existierenden Rechts hat (USDOS 15.8.2017; vgl. AB 7.6.2017, AP o.D.).

Das afghanische Justizwesen beruht sowohl auf dem islamischen [Anm.:

Scharia] als auch auf dem nationalen Recht; letzteres wurzelt in den deutschen und ägyptischen Systemen (NYT 26.12.2015; vgl. AP o.D.).

Die rechtliche Praxis in Afghanistan ist komplex: Einerseits sieht die Verfassung das Gesetzlichkeitsprinzip und die Wahrung der völkerrechtlichen Abkommen, einschließlich Menschenrechtsverträge, vor, andererseits formuliert sie einen unwiderruflichen Scharia-Vorbehalt. Ein Beispiel dieser Komplexität ist das neue Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist (AP o.D.; vgl. vertrauliche Quelle 10.4.2018). Die Organe der afghanischen Rechtsprechung sind durch die Verfassung dazu ermächtigt, sowohl das formelle als auch das islamische Recht anzuwenden (AP o.D.).

Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist in der Verfassung verankert, wird aber in der Praxis selten umgesetzt. Die Umsetzung der rechtlichen Bestimmungen ist innerhalb des Landes uneinheitlich. Dem Gesetz nach gilt für alle Bürger/innen die Unschuldsvermutung und Angeklagte haben das Recht, beim Prozess anwesend zu sein und Rechtsmittel einzulegen; jedoch werden diese Rechte nicht immer respektiert. Bürger/innen sind bzgl. ihrer Verfassungsrechte oft im Unklaren und es ist selten, dass Staatsanwälte die Beschuldigten über die gegen sie erhobenen Anklagen genau informieren. Die Beschuldigten sind dazu berechtigt, sich von einem Pflichtverteidiger vertreten und beraten zu lassen; jedoch wird dieses Recht aufgrund eines Mangels an Strafverteidigern uneinheitlich umgesetzt (USDOS 20.4.2018). In Afghanistan existieren keine Strafverteidiger nach dem westlichen Modell; traditionell dienten diese nur als Mittelsmänner zwischen der anklagenden Behörde, dem Angeklagten und dem Gericht. Seit 2008 ändert sich diese Tendenz und es existieren Strafverteidiger, die innerhalb des Justizministeriums und auch außerhalb tätig sind (NYT 26.12.2015). Der Zugriff der Anwälte auf Verfahrensdokumente ist oft beschränkt (USDOS 3.3.2017) und ihre Stellungnahmen werden während der Verfahren kaum beachtet (NYT 26.12.2015). Berichten zufolge zeigt sich die Richterschaft jedoch langsam respektvoller und toleranter gegenüber Strafverteidigern (USDOS 20.4.2018).

Gemäß einem Bericht der New York Times über die Entwicklung des afghanischen Justizwesens wurden im Land zahlreiche Fortbildungskurse für Rechtsgelehrte durch verschiedene westliche Institutionen durchgeführt. Die Fortbildenden wurden in einigen Fällen mit bedeutenden Aspekten der afghanischen Kultur (z. B. Respekt vor älteren Menschen), welche manchmal mit der westlichen Orientierung der Fortbildenden kollidierten, konfrontiert. Auch haben Strafverteidiger und Richter verschiedene Ausbildungshintergründe: Während Strafverteidiger rechts- und politikwissenschaftliche Fakultäten besuchen, studiert der Großteil der Richter Theologie und islamisches Recht (NYT 26.12.2015).

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan üblicherweise akzeptiert wird, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang; oft werden die Bestimmungen des islamischen Rechts zugunsten des Gewohnheitsrechts missachtet, welches den Konsens innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten soll (USIP 3.2015; vgl. USIP o.D.). Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht. Dazu zählen unter anderem das Frauenrecht, Strafrecht und

-verfahren, die Verbindlichkeit von Rechten gemäß internationalem Recht und der gesamte Bereich der Grundrechte (USIP o.D.).

Laut dem allgemeinen Islamvorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Trotz großer legislativer Fortschritte in den vergangenen 14 Jahren gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia, Gewohnheits-/Stammesrecht) (AA 9.2016; vgl. USIP o.D., NYT 26.12.2015, WP 31.5.2015, AA 5.2018). Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so ist nicht festgelegt, welches Gesetz im Fall eines Konflikts zwischen dem traditionellen islamischen Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und eine fehlende Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (AA 5.2018).

Das kodifizierte Recht wird unterschiedlich eingehalten, wobei Gerichte gesetzliche Vorschriften oft zugunsten der Scharia oder lokaler Gepflogenheiten missachteten. Bei Angelegenheiten, wo keine klar definierte Rechtssetzung angewendet werden kann, setzen Richter und lokale Schuras das Gewohnheitsrecht (welches auch nicht einheitlich ist, Anm.) durch (USDOS 20.4.2018).

Gemäß dem "Survey of the Afghan People" der Asia Foundation (AF) nutzten in den Jahren 2016 und 2017 ca. 20.4% der befragten Afghan/innen nationale und lokale Rechtsinstitutionen als Schlichtungsmechanismen. 43.2% benutzten Schuras und Jirgas, währed 21.4% sich an die Huquq-Abteilung [Anm.: "Rechte"-Abteilung] des Justizministeriums wandten. Im Vergleich zur städtischen Bevölkerung bevorzugten Bewohner ruraler Zentren lokale Rechtsschlichtungsmechanismen wie Schuras und Jirgas (AF 11.2017; vgl. USIP o.D., USDOS 20.4.2018). Die mangelnde Präsenz eines formellen Rechtssystems in ruralen Gebieten führt zur Nutzung lokaler Schlichtungsmechanismen. Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, da die Zentralregierung dort am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten - wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben - schwächer ausgeprägt ist (USDOS 3.3.2017; vgl. USDOS 20.4.2018). In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles auf der Scharia basierendes Rechtssystem um (USDOS 20.4.2018).

Die Unabhängigkeit des Justizwesens ist gesetzlich festgelegt; jedoch wird die afghanische Judikative durch Unterfinanzierung, Unterbesetzung, inadäquate Ausbildung, Unwirksamkeit und Korruption unterminiert (USDOS 20.4.2018). Rechtsstaatliche (Verfahrens-)Prinzipien werden nicht konsequent angewandt (AA 9.2016). Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an der Fähigkeit die hohe Anzahl an neuen und novellierten Gesetzen einzugliedern und durchzuführen. Der Zugang zu Gesetzestexten wird zwar besser, ihre geringe Verfügbarkeit stellt aber für einige Richter/innen und Staatsanwälte immer noch eine Behinderung dar. Die Zahl der Richter/innen, welche ein Rechtsstudium absolviert haben, erhöht sich weiterhin (USDOS 3.3.2017). Im Jahr 2017 wurde die Zahl der Richter/innen landesweit auf 1.000 geschätzt (CRS 13.12.2017), davon waren rund 260 Richterinnen (CRS 13.12.2017; vgl. AT 29.3.2017). Hauptsächlich in unsicheren Gebieten herrscht ein verbreiteter Mangel an Richtern und Richterinnen. Nachdem das Justizministerium neue Richterinnen ohne angemessene Sicherheitsmaßnahmen in unsichere Provinzen versetzen wollte und diese protestierten, beschloss die Behörde, die Richterinnen in sicherere Provinzen zu schicken (USDOS 20.4.2018). Im Jahr 2015 wurde von Präsident Ghani eine führende Anwältin, Anisa Rasooli, als erste Frau zur Richterin des Obersten Gerichtshofs ernannt, jedoch wurde ihr Amtsantritt durch das Unterhaus [Anm.: "wolesi jirga"] verhindert (AB 12.11.2017; vgl. AT 29.3.2017). Auch existiert in Afghanistan die "Afghan Women Judges Association", ein von Richterinnen geführter Verband, wodurch die Rechte der Bevölkerung, hauptsächlich der Frauen, vertreten werden sollen (TSC o.D.).

Korruption stellt weiterhin ein Problem innerhalb des Gerichtswesens dar (USDOS 20.4.2017; vgl. FH 11.4.2018); Richter/innen und Anwält/innen sind oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffnete Gruppen (FH 11.4.2018), um Entlassungen oder Reduzierungen von Haftstrafen zu erwirken (USDOS 20.4.2017). Wegen der Langsamkeit, der Korruption, der Ineffizienz und der politischen Prägung des afghanischen Justizwesens hat die Bevölkerung wenig Vertrauen in die Judikative (BTI 2018). Im Juni 2016 errichtete Präsident Ghani das "Anti-Corruption Justice Center" (ACJC), um innerhalb des Rechtssystems gegen korrupte Minister/innen, Richter/innen und Gouverneure/innen vorzugehen, die meist vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt waren (AB 17.11.2017; vgl. Reuters 12.11.2016). Der afghanische Generalprokurator Farid Hamidi engagiert sich landesweit für den Aufbau des gesellschaftlichen Vertrauens in das öffentliche Justizwesen (BTI 2018). Seit 1.1.2018 ist Afghanistan für drei Jahre Mitglied des Human Rights Council (HRC) der Vereinten Nationen. Mit Unterstützung der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) und des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) arbeitet die afghanische Regierung an der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der Rechte von Frauen, Kindern, Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen sowie Zuschreibung von Verantwortlichkeit (HRC 21.2.2018).

Haftbedingungen:

Das General Directorate of Prisons and Detention Centers (GDPDC), ein Teil des Innenministeriums (MoI), ist verantwortlich für alle zivil geführten Gefängnisse, sowohl für weibliche als auch männliche Häftlinge, inklusive des nationalen Gefängniskomplexes in Pul-e Charkhi. Das Juvenile Rehabilitation Directorate (JRD) des Justizministeriums ist verantwortlich für alle Jugendrehabilitationszentren. Das National Directorate of Security (NDS) unter den Afghan National Security Forces (ANDSF) ist für Kurzzeit-Haftanstalten auf Provinz- und Bezirksebene verantwortlich. Das Verteidigungsministerium (MoD) betreibt die afghanischen nationalen Haftanstalten in Parw

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten