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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und Erlassung einer Rückkehrentscheidung eines nigerianischen Staatsangehörigen mangels aktueller LänderberichteSpruch
I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist nigerianischer Staatsangehöriger. Er stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 2. März 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheid vom 5. Mai 2014 wies das (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [im Folgenden: BFA]) den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt. Gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria gemäß §46 FPG zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
3. Zu seinen Fluchtgründen habe der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem BFA vorgebracht, dass er und sein Vater Mitglieder der "Lord Resistance Army" in Uganda gewesen seien. Sein Vater sei dann unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen. Die "Lord Resistance Army" habe den Tod des Vaters verschleiert. Der Beschwerdeführer habe befürchtet, dass auch sein Leben in Gefahr sei. Deshalb sei er geflüchtet.
4. Auf Grund eines durchgeführten Sprachgutachtens sei hervorgekommen, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei, dass der Beschwerdeführer in Uganda hauptsozialisiert sei, vielmehr stamme dieser aus Nigeria. Dem Beschwerdeführer seien daraufhin umfassende Länderfeststellungen zur Situation in Nigeria übermittelt worden. Ihm wurde eine zweiwöchige Frist für eine Stellungnahme hiezu und zum linguistischen Gutachten eingeräumt.
5. Die gegen den Bescheid des BFA vom 5. Mai 2014 erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 13. März 2018 als unbegründet ab.
6. Das Bundesverwaltungsgericht erhob im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis durch Einsicht in den Verwaltungsakt des BFA, insbesondere in die Vernehmungsprotokolle sowie in das Sprachgutachten vom 21. März 2014. Eine mündliche Verhandlung führte das Bundesverwaltungsgericht nicht durch.
7. In den Feststellungen zur Lage in Nigeria werden über knapp vier Seiten allgemeine Informationen zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers wiedergegeben. In seiner Beweiswürdigung führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass sich die vom BFA im Bescheid getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat aus den dort angegebenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen ergeben würden. Das BFA habe dabei Berichte verschiedener allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt. Diese Quellen würden dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegen und sich im Wesentlichen mit dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes decken, das sich aus der ständigen Beachtung der aktuellen Quellenlage ergeben würde. Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie des Umstandes, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener unabhängiger Quellen beruhten und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten würden, bestehe für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
8. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
II. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
A. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den festgestellten Herkunftsstaat Nigeria, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise richtet, begründet.
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
1.1. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
1.2. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
1.3. Wie der Verfassungsgerichtshof weiter zu dem aus dem Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander folgenden Willkürverbot in Zusammenhalt mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden rechtsstaatlichen Gebot der Begründung gerichtlicher Entscheidungen ausgesprochen hat, müssen die für die angefochtene Entscheidung maßgeblichen Erwägungen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof möglich ist (vgl jeweils mwN VfGH 2.5.2011, U2559/10; 7.3.2012, U2899/10; 13.12.2017, E940/2017).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. In seiner Beweiswürdigung führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass sich die Feststellungen zum Herkunftsstaat aus den vom BFA herangezogenen Berichten verschiedener allgemein anerkannter Institutionen ergäben. Diese Quellen würden dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegen. Zudem würden die Feststellungen auf dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes basieren, das sich aus der ständigen Beachtung der aktuellen Quellenlage (Einsicht in aktuelle Berichte zur Lage im Herkunftsstaat) ergebe.
2.2. Zwischen dem angefochtenen Bescheid des BFA und dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes liegt ein Zeitraum von beinahe vier Jahren. Das BFA legte seinem Bescheid vom 5. Mai 2014 Länderfeststellungen zugrunde, die zum Großteil aus den Jahren 2013 und 2014 stammen oder noch älter sind. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die im Asylverfahren herangezogenen Länderberichte hinreichend aktuell sein müssen; dies betrifft insbesondere Staaten mit sich rasch ändernder Sicherheitslage (vgl etwa VfSlg 19.466/2011, 19.642/2012; VfGH 11.6.2012, U2344/11; 21.9.2012, U1032/12; 26.6.2013, U2557/2012; 11.12.2013, U1159/2012; 5.3.2014, U36/2013; 11.3.2015, E1542/2014, 22.9.2016, E1641/2016 ua). Vor diesem Hintergrund kommt den vom Bundesverwaltungsgericht angestellten Ermittlungen bzw herangezogenen Länderfeststellungen in Bezug auf die Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers besondere Bedeutung zu (vgl VfSlg 18.646/2008, 19.129/2010, 19.642/2012).
2.3. Wenn das Bundesverwaltungsgericht anführt, dass die Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen würden, genügt dies den in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes aufgestellten Maßstäben nicht, wenn in der Entscheidung diese Quellen nicht angegeben werden. Auch die Aktualität der wiedergegebenen Länderberichte kann im vorliegenden Fall mangels Datumsangaben zu den jeweiligen Informationen nicht im Einzelnen nachvollzogen werden (vgl etwa VfGH 11.6.2018, E216/2018).
2.4. Vor dem Hintergrund der im angefochtenen Erkenntnis wiedergegebenen Länderinformationen geht das Bundesverwaltungsgericht in nicht nachvollziehbarer Weise davon aus, dass der Beschwerdeführer durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat nicht in Rechten nach Art2 und 3 EMRK verletzt werde. Das Bundesverwaltungsgericht trifft in diesem Zusammenhang Feststellungen auf Grund unzureichender Länderberichte. Aus den genannten Gründen ist dem Verfassungsgerichtshof eine nachprüfende Kontrolle des angefochtenen Erkenntnisses betreffend die Entscheidung über die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria nicht möglich.
B. Soweit sich die Beschwerde im Übrigen gegen die Abweisung des Antrages bezüglich der Zuerkennung des Asylstatus richtet, wird ihre Behandlung aus folgendem Grund abgelehnt:
3. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
4. Die vorliegende Beschwerde behauptet die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären die gerügten Rechtsverletzungen aber im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.
5. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, abzusehen.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2018:E1312.2018Zuletzt aktualisiert am
16.01.2019