TE Vfgh Erkenntnis 2018/11/26 E3812/2017

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Veröffentlicht am 26.11.2018
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22, §35

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Versagung eines Einreisetitels wegen Unterlassung der Ermittlungstätigkeit zur Frage der Eheschließung der Beschwerdeführerin mit einem in Österreich subsidiär schutzberechtigten afghanischen Staatsangehörigen

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin die jeweils mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten zu Handen ihres Rechtsvertreters binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Vorbringen und Vorverfahren

1.       Die Beschwerdeführerin ist afghanische Staatsangehörige und stellte am 31. März 2016 bei der österreichischen Botschaft Islamabad (im Folgenden: ÖB Islamabad) einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß §35 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) iVm §26 Fremdenpolizeigesetz (FPG). Sie bringt vor, die Ehefrau einer namentlich bezeichneten Bezugsperson zu sein, die seit 22. April 2015 in Österreich subsidiär schutzberechtigt ist.

2.       In einer Stellungnahme (Prognoseentscheidung) vom 20. September 2016 führt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) aus, dass das von der Beschwerdeführerin behauptete Familienverhältnis nicht bestehe, weil die Bezugsperson im Rahmen ihrer Erstbefragung angegeben habe, dass ihre Ehefrau im August 2011 14 Jahre alt gewesen sei. Daraus ergebe sich, dass die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der vermeintlichen Eheschließung im Jahr 2010 13 Jahre alt gewesen sei. Es liege sohin eine Kinderehe vor, die dem österreichischen ordre public widerspreche. Im Übrigen behaupte die Beschwerdeführerin – entgegen den Angaben der Bezugsperson – im August 2011 19 Jahre alt gewesen zu sein. Die vorgelegten Dokumente seien nicht geeignet, das Familienverhältnis zu beweisen: Schon im Asylverfahren der Bezugsperson habe ein Sachverständiger festgestellt, dass es sich bei den vorgelegten Dokumenten um Fälschungen handle. Die Beschwerdeführerin entgegnet in ihrer Stellungnahme vom 10. Oktober 2016, dass die Bezugsperson zum Zeitpunkt der Ersteinvernahme nachweislich an psychischen Störungen gelitten habe und aus diesem Grund womöglich falsche Angaben zum Alter der Beschwerdeführerin gemacht habe. Außerdem legt die Beschwerdeführerin einen Beleg dafür vor, dass sie dem BFA Hochzeitsfotos sowie ein Hochzeitsvideo übermittelt hat. Diese Beweismittel sollten belegen, dass die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Eheschließung 18 Jahre alt gewesen sei. In seiner Stellungnahme vom 29. November 2016 geht das BFA weiterhin davon aus, dass die Beschwerdeführerin keine Familienangehörige iSd §35 Abs5 AsylG 2005 sei. Zu den Hochzeitsfotos führt das BFA aus, dass die Personen auf den Fotos nicht erkennbar seien; das Hochzeitsvideo stamme aus 2007, wohingegen die angebliche Eheschließung erst 2010 stattgefunden hätte.

3.       Mit Bescheid der ÖB Islamabad vom 16. Dezember 2016 wurde der Antrag abgewiesen. Begründend wird auf die oben erwähnten Stellungnahmen des BFA verwiesen, wonach es nicht wahrscheinlich sei, dass der Beschwerdeführerin derselbe Schutz wie ihrer Bezugsperson im Bundesgebiet zuerkannt würde.

4.       In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde brachte die Beschwerdeführerin vor, dass sie seit 1. August 2010 mit der Bezugsperson verheiratet sei. Es habe bereits vor der Ausreise der Bezugsperson im Jahr 2011 ein gemeinsames Familienleben in Afghanistan bestanden. Die Beschwerdeführerin habe dem BFA ein Hochzeitsvideo sowie Hochzeitsfotos vorgelegt, auf denen erkennbar sei, dass die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Eheschließung älter als 14 Jahre alt gewesen sei. Aus den Fremdenpässen der Bezugsperson sei erkennbar, dass sie Österreich seit 2011 nicht verlassen habe, sodass feststehe, dass das Video bzw die Fotos jedenfalls vor 2011 aufgenommen worden seien. Die Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung der ÖB Islamabad vom 30. Jänner 2017 als unbegründet abgewiesen. Die ÖB Islamabad führte aus, dass sie an die Prognoseentscheidung des BFA gebunden sei. Im vorliegenden Fall teile die ÖB Islamabad – unabhängig von dieser Bindungswirkung – ohnehin die Einschätzung des BFA, dass die Beschwerdeführerin keine Familienangehörige der Bezugsperson sei.

5.       Am 30. Jänner 2017 beantragte die Beschwerdeführerin die Vorlage ihrer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Mit Erkenntnis vom 15. September 2017 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ab:

"Wie bereits festgestellt[,] war [in der] nunmehr angefochtenen Entscheidung unter Verweis auf die Stellungnahmen des BFA schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt worden, dass als Beweismittel das Antragsformular sowie Beilagen, der Verfahrens[akt] der angeführten Bezugsperson, eine Stellungnahme zum Parteiengehör vom 10.10.2016 sowie eine CD mit Fotos einer Hochzeitsfeier berücksichtigt worden waren. Das BFA legte nachvollziehbar da[r], dass bereits die allgemeinen Voraussetzungen für eine positive Entscheidung im Familienverfahren nicht vorliegen, weil im gegenständlichen Fall widersprüchliche Angaben die Eigenschaft als Familienangehörige nicht erkennen lassen. Im vorliegenden Fall hatten sich für das BFA gravierende Zweifel am tatsächlichen Bestehen des behaupteten und relevanten (im Sinn von §35 Abs5 AsylG) Familienverhältnisses ergeben, da aufgrund des aufliegenden Erkenntnisses über bedenkliche Urkunden aus dem Herkunftsstaat der Verfahrenspartei, wonach es möglich sei, jegliches Dokument mit jedem nur erdenklichen Inhalt, auch entgegen der wahren Tatsachen auch widerrechtlich zu erlangen, aus Sicht des BFA keineswegs davon ausgegangen werden könne, dass das behauptete Familienverhältnis als erwiesen (im Sinn eines vollen Beweises) anzunehmen sei. Verwiesen wurde insbesondere darauf, dass ein Sachverständiger bereits im Verfahren der Bezugsperson im März 2015 festgestellt hatte, dass es sich bei der von der Bezugsperson vorgelegten Heiratsurkunde um ein Gefälligkeitsdokument handelt. Das BFA hatte weiters dargelegt, dass die vorgelegte Hochzeits-CD die Eheleute nicht erkennbar zeigt und dass das angebliche Hochzeitsvideo bereist im Jahr 2007 erstellt worden war, obwohl die Hochzeit [behauptetermaßen] 2010 stattgefunden haben soll. Die vorgelegten, undatierten Fotos stellen einen unbrauchbaren Beweis dar, dass die Eheschließung bereits vor der illegalen Ausreise der Bezugsperson stattgefunden hat. Den Ausführungen in der Beschwerde, wonach der Beschwerdeführerin der Zweifel an den Beweismitteln nicht vorgeworfen werden könne und ihr Ehemann zeugenschaftlich einzuvernehmen gewesen wäre, ist klar darauf zu verweisen, dass dem erkennenden Gericht bereits aufgrund des Ergebnisses des rechtkräftig abgeschlossenen Asylverfahrens des angeblichen Ehemannes der Beschwerdeführerin hinreichend Angaben von diesem vorliegen und die vorgelegten Beweismittel in Zusammenschau mit den widersprüchlichen Angaben der Beschwerdeführerin und ihrem angeblichen Ehemann vom BFA und in der Folge von der belangten Behörde schlüssig und hinreichend gewürdigt wurden. Es ergibt sich dadurch auch für das erkennende Gericht vor dem Hintergrund der widersprüchlichen Angaben der Beschwerdeführerin und der Bezugsperson weder aus dem Ermittlungsverfahren noch aus den niederschriftlichen Angaben, dass die Eigenschaft als Familienangehöriger im Sinn von §35 AsylG besteht."

6.       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 BVG über die Beseitigung rassischer Diskriminierung, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

7.       Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

II.      Rechtslage

1.       Das Asylgesetz 2005 StF BGBl 100/2005 idF BGBl I 84/2017 lautet auszugsweise wie folgt:

"Begriffsbestimmungen

§2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

[…]

22. Familienangehöriger: wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat;

[…]

Anträge auf Einreise bei Vertretungsbehörden

§35. (1) Der Familienangehörige gemäß Abs5 eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß §34 Abs1 Z1 iVm §2 Abs1 Z13 einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei einer mit konsularischen Aufgaben betrauten österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland (Vertretungsbehörde) stellen. Erfolgt die Antragstellung auf Erteilung eines Einreisetitels mehr als drei Monate nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sind die Voraussetzungen gemäß §60 Abs2 Z1 bis 3 zu erfüllen.

(2) Der Familienangehörige gemäß Abs5 eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß §34 Abs1 Z2 iVm §2 Abs1 Z13 frühestens drei Jahre nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei der Vertretungsbehörde stellen, sofern die Voraussetzungen gemäß §60 Abs2 Z1 bis 3 erfüllt sind. Diesfalls ist die Einreise zu gewähren, es sei denn, es wäre auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen oder in drei Monaten nicht mehr vorliegen werden. Darüber hinaus gilt Abs4.

(2a) Handelt es sich beim Antragsteller um den Elternteil eines unbegleiteten Minderjährigen, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, gelten die Voraussetzungen gemäß §60 Abs2 Z1 bis 3 als erfüllt.

(3) Wird ein Antrag nach Abs1 oder Abs2 gestellt, hat die Vertretungsbehörde dafür Sorge zu tragen, dass der Fremde ein in einer ihm verständlichen Sprache gehaltenes Befragungsformular ausfüllt; Gestaltung und Text dieses Formulars hat der Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres und nach Anhörung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (§63) so festzulegen, dass das Ausfüllen des Formulars der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts dient. Außerdem hat die Vertretungsbehörde auf die Vollständigkeit des Antrages im Hinblick auf den Nachweis der Voraussetzungen gemäß §60 Abs2 Z1 bis 3 hinzuwirken und den Inhalt der ihr vorgelegten Dokumente aktenkundig zu machen. Der Antrag auf Einreise ist unverzüglich dem Bundesamt zuzuleiten.

(4) Die Vertretungsbehörde hat dem Fremden aufgrund eines Antrags auf Erteilung eines Einreisetitels nach Abs1 oder 2 ohne weiteres ein Visum zur Einreise zu erteilen (§26 FPG), wenn das Bundesamt mitgeteilt hat, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist. Eine derartige Mitteilung darf das Bundesamt nur erteilen, wenn

1. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§§7 und 9),

2. das zu befassende Bundesministerium für Inneres mitgeteilt hat, dass eine Einreise den öffentlichen Interessen nach Art8 Abs2 EMRK nicht widerspricht und

3. im Falle eines Antrages nach Abs1 letzter Satz oder Abs2 die Voraussetzungen des §60 Abs2 Z1 bis 3 erfüllt sind, es sei denn, die Stattgebung des Antrages ist gemäß §9 Abs2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art8 EMRK geboten.

Bis zum Einlangen dieser Mitteilung ist die Frist gemäß §11 Abs5 FPG gehemmt. Die Vertretungsbehörde hat den Fremden über den weiteren Verfahrensablauf in Österreich gemäß §17 Abs1 und 2 zu informieren.

(5) Nach dieser Bestimmung ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat."

2.       Das Fremdenpolizeigesetz 2005 StF BGBl 100/2005 idF BGBl I 84/2017 lautet auszugsweise wie folgt:

"1. Hauptstück

Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen

Anwendungsbereich

§1. (1) Dieses Bundesgesetz regelt die Ausübung der Fremdenpolizei, die Erteilung von Einreisetiteln, die Zurückweisung, die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen, die Abschiebung, die Duldung, die Vollstreckung von Rückführungsentscheidungen von EWR-Staaten und die Ausstellung von Dokumenten für Fremde.

(2) Auf Asylwerber (§2 Abs1 Z14 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl I Nr 100) sind die §§27a und 41 bis 43 nicht anzuwenden. Auf Fremde, denen der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, sind darüber hinaus die §§39 und 76 nicht anzuwenden.

[…]

Begriffsbestimmungen

§2. (1) Einreisetitel sind Visa gemäß dem Visakodex, nationale Visa (Visa D) gemäß §20 Abs1 und die Besondere Bewilligung gemäß §27a.

[…]

2. Abschnitt

Besondere Verfahrensregeln für das 3. bis 6. und das 12. bis 15. Hauptstück

Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden in

Visaangelegenheiten

§11. (1) In Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden haben Antragsteller unter Anleitung der Behörde die für die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes erforderlichen Urkunden und Beweismittel selbst vorzulegen; in Verfahren zur Erteilung eines Visums D ist Art19 Visakodex sinngemäß anzuwenden. In Verfahren zur Erteilung eines Visums gemäß §20 Abs1 Z9 sind Art9 Abs1 erster Satz und Art14 Abs6 Visakodex sinngemäß anzuwenden. Der Antragssteller hat über Verlangen der Vertretungsbehörde vor dieser persönlich zu erscheinen, erforderlichenfalls in Begleitung eines Dolmetschers (§39a AVG). §10 Abs1 letzter Satz AVG gilt nur für in Österreich zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Personen. Die Vertretungsbehörde hat nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Eine Entscheidung, die dem Standpunkt des Antragstellers nicht vollinhaltlich Rechnung trägt, darf erst ergehen, wenn die Partei Gelegenheit zur Behebung von Formgebrechen und zu einer abschließenden Stellungnahme hatte.

(2) Partei in Verfahren vor der Vertretungsbehörde ist ausschließlich der Antragssteller.

(3) Die Ausfertigung bedarf der Bezeichnung der Behörde, des Datums der Entscheidung und der Unterschrift des Genehmigenden; an die Stelle der Unterschrift kann das Siegel der Republik Österreich gesetzt werden, sofern die Identität des Genehmigenden im Akt nachvollziehbar ist. Die Zustellung hat durch Übergabe in der Vertretungsbehörde oder, soweit die internationale Übung dies zulässt, auf postalischem oder elektronischem Wege zu erfolgen; ist dies nicht möglich, so ist die Zustellung durch Kundmachung an der Amtstafel der Vertretungsbehörde vorzunehmen.

(4) Vollinhaltlich ablehnende Entscheidungen gemäß Abs1 betreffend Visa D sind schriftlich in einer Weise auszufertigen, dass der Betroffene deren Inhalt und Wirkung nachvollziehen kann. Dem Betroffenen sind die Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit, die der ihn betreffenden Entscheidung zugrunde liegen, genau und umfassend mitzuteilen, es sei denn, dass Gründe der Sicherheit der Republik Österreich dieser Mitteilung entgegenstehen. In der schriftlichen Ausfertigung der Begründung sind auch die Rechtsmittelinstanz und die Rechtsmittelfrist anzugeben.

(5) Für die Berechnung von Beginn, Lauf und Ende von Fristen (§33 AVG) gelten die Wochenend- und Feiertagsregelungen im Empfangsstaat.

(6) Kann dem Antrag auf Erteilung eines Visums D auf Grund zwingender außenpolitischer Rücksichten oder aus Gründen der nationalen Sicherheit nicht stattgegeben werden, so ist die Vertretungsbehörde ermächtigt, sich auf den Hinweis des Vorliegens zwingender Versagungsgründe zu beschränken. Der maßgebliche Sachverhalt muss auch in diesen Fällen im Akt nachvollziehbar sein.

(7) Der Fremde hat im Antrag auf Erteilung eines Visums D den jeweiligen Zweck und die beabsichtigte Dauer der Reise und des Aufenthaltes bekannt zu geben. Der Antrag ist zurückzuweisen, sofern der Antragsteller, ausgenommen die Fälle des §22 Abs3, trotz Aufforderung und Setzung einer Nachfrist kein gültiges Reisedokument oder gegebenenfalls kein Gesundheitszeugnis vorlegt oder wenn der Antragsteller trotz entsprechenden Verlangens nicht persönlich vor der Behörde erschienen ist, obwohl in der Ladung auf diese Rechtsfolge hingewiesen wurde.

(8) Minderjährige Fremde, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, können bei Zustimmung des gesetzlichen Vertreters die Erteilung eines Visums selbst beantragen.

(9) Für Entscheidungen über die Erteilung eines Visums für Saisoniers (§2 Abs4 Z13) ist Art23 Abs1 bis 3 Visakodex sinngemäß anzuwenden.

Beschwerden gegen Bescheide österreichischer Vertretungsbehörden in

Visaangelegenheiten

§11a. (1) Der Beschwerdeführer hat der Beschwerde gegen einen Bescheid einer österreichischen Vertretungsbehörde sämtliche von ihm im Verfahren vor der belangten Vertretungsbehörde vorgelegten Unterlagen samt Übersetzung in die deutsche Sprache anzuschließen.

(2) Beschwerdeverfahren sind ohne mündliche Verhandlung durchzuführen. Es dürfen dabei keine neuen Tatsachen oder Beweise vorgebracht werden.

(3) Sämtliche Auslagen der belangten Vertretungsbehörde und des Bundesverwaltungsgerichtes für Dolmetscher und Übersetzer sowie für die Überprüfung von Verdolmetschungen und Übersetzungen sind Barauslagen im Sinn des §76 AVG.

(4) Die Zustellung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes hat über die Vertretungsbehörde zu erfolgen. §11 Abs3 gilt.

[…]

Visa zur Einbeziehung in das Familienverfahren nach dem AsylG 2005

§26. Teilt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß §35 Abs4 AsylG 2005 mit, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist, ist dem Familienangehörigen gemäß §35 Abs5 AsylG 2005 ohne Weiteres zur einmaligen Einreise ein Visum mit viermonatiger Gültigkeitsdauer zu erteilen."

III.    Erwägungen

1.       Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2.       Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1.    Unter Verweis auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes führt das Bundesverwaltungsgericht zunächst aus, dass es nicht an die Mitteilung des BFA gebunden sei, die Einschätzung des BFA jedoch teile: Die Angaben der Beschwerdeführerin und der Bezugsperson sowie die vorgelegten Urkunden seien in vielen Punkten widersprüchlich. Das BFA habe nachvollziehbar dargelegt, dass den vorgelegten Dokumenten keine Beweiskraft zukomme. Im Rahmen des Asylverfahrens der Bezugsperson habe ein Sachverständiger festgestellt, dass die Heiratsurkunde ein Gefälligkeitsdokument sei. Das BFA habe ausgeführt, dass die Eheleute auf dem vorgelegten Hochzeitsvideo nicht erkennbar seien und dass das Video aus 2007 stamme, obwohl die Hochzeit angeblich 2010 stattgefunden hätte. Die vorgelegten Fotos seien undatiert und daher als Beweismittel unbrauchbar. Es könne daher nicht festgestellt werden, ob zwischen der Beschwerdeführerin und der Bezugsperson eine in Afghanistan rechtsgültig geschlossene Ehe bestehe.

2.2.    Obwohl das Bundesverwaltungsgericht formelhaft darlegt, nicht an die Prognoseentscheidung des BFA gebunden zu sein, erschöpft sich die Begründung der angefochtenen Entscheidung in einer Wiedergabe eben dieser Prognoseentscheidung. Das Bundesverwaltungsgericht würdigt die Stellungnahme des BFA als "schlüssig und nachvollziehbar", anstatt die von der Beschwerdeführerin vorgelegten und von der Behörde erörterten Beweise selbst abzuwägen. Aus der Darlegung der Beweiswürdigung geht nicht hervor, dass sich das Bundesverwaltungsgericht selbst mit den Beweismitteln auseinandergesetzt hat. Das Bundesverwaltungsgericht hat es somit auch unterlassen, die gebotenen Ermittlungen vorzunehmen, um in der Sache selbst entscheiden zu können. Indem es auf die Begründung des verwaltungsbehördlichen Bescheides verweist, verkennt es die Natur seiner Entscheidungsbefugnis und belastet das angefochtene Erkenntnis mit Willkür (vgl VfGH 23.11.2015, E1510-1511/2015, VfGH 18.2.2016, E1526/2015, VfGH 21.9.2017, E983/2017 ua).

IV.      Ergebnis

1.       Die Beschwerdeführerin ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.

2.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:E3812.2017

Zuletzt aktualisiert am

17.01.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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