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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Verhängung einer Strafe gegen eine russische Staatsangehörige wegen Zuwiderhandlung gegen Ausreiseverpflichtung nach Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz trotz Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den VwGHSpruch
I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführerin, eine russische Staatsangehörige, stellte am 10. Juli 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) vom 24. Januar 2017 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz abgewiesen, es wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und die Abschiebung wurde für zulässig erklärt. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin am 3. Februar 2017 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, welches die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10. Jänner 2018 mit Erkenntnis vom 21. Februar 2018 abwies. Es wurde eine Frist zur freiwilligen Ausreise von vierzehn Tagen festgelegt, die am 8. März 2018 endete.
2. Gegen dieses Erkenntnis erhob die Beschwerdeführerin am 3. April 2018 eine außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof und beantragte gemäß §30 Abs2 VwGG die Gewährung der aufschiebenden Wirkung. Der Verwaltungsgerichtshof erkannte der außerordentlichen Revision mit Beschluss vom 15. Mai 2018 die aufschiebende Wirkung zu.
3. Mit Straferkenntnis vom 10. April 2018 verhängte die Landespolizeidirektion Oberösterreich über die Beschwerdeführerin gemäß §120 Abs1b iVm §52 Abs8 FPG eine Geldstrafe in der Höhe von € 5.000 sowie im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 14 Tagen.
3.1. Anlässlich einer Aktenüberprüfung war festgestellt worden, dass die Beschwerdeführerin nicht ausgereist war, obwohl ihr Asylverfahren mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21. Februar 2018 negativ entschieden worden war und die gegenüber der Beschwerdeführerin ausgesprochene Rückkehrentscheidung rechtskräftig und durchsetzbar war. Die Frist für die freiwillige Ausreise war mit 8. März 2018 verstrichen.
3.2. Begründend führte die Behörde aus, dass die Beschwerdeführerin seit Abschluss des Asylverfahrens nicht freiwillig aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich ausgereist sei und auch nicht rückkehrwillig sei. Die Beschwerdeführerin verharre im Bundesgebiet und versuche die Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Die Nichtausreise stelle eine Verwaltungsübertretung dar, für die sie sich zu verantworten habe. Aufgrund der Aktenlage gehe die Behörde von Fahrlässigkeit aus. Aus dem negativen Abschluss des Asylverfahrens resultiere eine Ausreiseverpflichtung; die Beschwerdeführerin vertraue offenbar lediglich darauf nicht abgeschoben zu werden, ohne die rechtlichen Gegebenheiten anzuerkennen. Das Verhalten sei nicht zu tolerieren, denn es benachteilige Personen, die die Regelungen beachteten. Es könne der Beschwerdeführerin zugemutet werden, sich um die Beendigung des rechtswidrigen Zustandes zu bemühen. Von einem nur geringfügigen Verschulden könne nicht ausgegangen werden. Mit der Strafhöhe von € 5.000 sei nur die Mindeststrafe verhängt worden. Die verhängte Strafe erscheine schuld- und tatangemessen.
3.3. Die gegen den Bescheid der Landespolizeidirektion Oberösterreich erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 14. Juni 2018 als unbegründet ab. Begründend führte das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich im Wesentlichen aus:
3.4. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung sah das Landesverwaltungsgericht ab; eine solche sei nicht beantragt gewesen, der entscheidungswesentliche Sachverhalt sei hinreichend geklärt gewesen und im Verfahren seien nur Rechtsfragen aufgeworfen worden, zu deren Lösung eine mündliche Verhandlung nicht geboten sei.
3.5. Da der entscheidungsrelevante Sachverhalt unbestritten feststehe, könne auf eine detaillierte Beweiswürdigung verzichtet werden. Die Abweisung des Asylantrages der Beschwerdeführerin sei durch das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21. Februar 2018 erfolgt, wobei der Beschwerdeführerin eine vierzehntätige Frist zur freiwilligen Ausreise zugestanden worden sei. Die Durchsetzbarkeit sei sohin mit 8. März 2018 anzunehmen. Dass die Beschwerdeführerin gegen jene Entscheidung außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben habe, worin auch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt worden sei, sei nicht geeignet vom Nichtvorliegen des Tatbestandselementes einer rechtskräftigen und durchsetzbaren Rückkehrentscheidung auszugehen. Im Gegenteil untermauere dies vielmehr die Annahme, dass die Beschwerdeführerin aus von ihr zu vertretenden Gründen ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkomme. Der relevante Tatzeitraum ende mit der Erlassung des angefochtenen Straferkenntnisses, also am 10. April 2018. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof sei erst am 15. Mai 2018 erfolgt. Im Tatzeitraum sei also weiterhin von einer rechtskräftigen und durchsetzbaren Rückkehrentscheidung auszugehen.
3.6. Wenn die Beschwerdeführerin nun anführe, sie könne rechtlich und faktisch – mangels Reisedokumenten – nicht ausreisen, sei dem entgegenzuhalten, dass sie sich offensichtlich auch nicht um deren Erlangung bemüht habe, zumal sie ja – wie sich aus der Beschwerde wiederum klar ergebe – keinesfalls eine Rückkehr in ihr Heimatland antreten wolle, weil sie dies als ihr nicht zumutbar erachte. Selbst die Beschwerdeführerin behaupte nicht einmal die erforderlichen Schritte zur Erlangung von (Ersatz-)Reisedokumenten je eingeleitet zu haben. Von rechtzeitigen Schritten würde hier ohnehin nicht mehr zu reden sein.
3.7. Der Begriff der "unverzüglichen Ausreise" aus dem Bundesgebiet sei so zu verstehen, dass die Ausreise ohne unnötigen Aufschub zu erfolgen habe. Dies erfasse keinesfalls das Abwarten von allfällig erhobenen außerordentlichen Revisionen. Die Beschwerdeführerin habe außerdem die Rückkehrberatung offenbar wegen ihrer Ausreiseunwilligkeit nicht in Anspruch genommen. Dass hiefür von ihr nicht zu vertretende Gründe vorgelegen hätten, behaupte sie selbst nicht, wodurch auch jenes Tatbestandselement erfüllt sei. Die Einladung zu jenem Gespräch sei bereits lange vorher erfolgt; wäre der Beschwerdeführerin an einem derartigen Gespräch gelegen gewesen, hätte sie ein solches fraglos nachholen können.
3.8. Hinsichtlich ihres Privat- und Familienlebens führe die Beschwerdeführerin selbst keine diesbezüglichen Aspekte ins Treffen; auch seien solche nicht in dem erst kürzlich ergangenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes festgestellt worden, weshalb nicht vom Vorliegen eines Familienlebens in Österreich ausgegangen werden könne. Außerdem sei anzumerken, dass eine vertiefte Integration in Österreich nicht vorliege. Die Rückkehr werde vom Bundesverwaltungsgericht als zulässig und zumutbar erachtet. Es liege sohin jedenfalls ein Überwiegen der öffentlichen Interessen gegenüber den persönlichen und privaten Interessen der Beschwerdeführerin vor. Die objektive Tatseite sei somit als erfüllt anzusehen.
3.9. Im Hinblick auf das Verschulden führte das Landesverwaltungsgericht aus, die Beschwerdeführerin lasse jedenfalls die erforderliche und zumutbare Sorgfalt außer Acht, indem sie, sämtliche fremdenrechtliche Vorgaben ignorierend, im Bundesgebiet verharre. Ein gänzliches Nichtvorliegen des Verschuldens bzw die Annahme eines zu vernachlässigenden Grades – allenfalls auch gestützt auf Notstand – könne keine Berücksichtigung finden, weil die Beschwerdeführerin sämtliche zur Erlangung derartiger Dokumente erforderlichen Schritte bewusst unterlassen habe. Es liege an ihr, die Voraussetzungen für ein normkonformes Verhalten zu schaffen, nicht durch bloßes Verharren dieses normkonforme Verhalten zu untergraben. Im vorliegenden Fall könne wohl eher sogar von bedingtem Vorsatz gesprochen werden, da sie sich im Grunde ihres unrechtmäßigen Aufenthaltes habe bewusst sein müssen, jedenfalls aber nicht bereit gewesen sei, diesen zu beenden. Die subjektive Tatseite sei daher zu bejahen.
3.10. Zur Strafbemessung sei festzuhalten, dass die belangte Behörde ohnehin lediglich die gesetzliche Mindeststrafe verhängt habe und damit schon die bishe-rige Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin berücksichtigt habe. Dass die verhängte Geld- bzw Ersatzfreiheitsstrafe der Beschwerdeführerin als zu hoch erscheine, sei aus ihrer Sicht durchaus nachvollziehbar, jedoch entspreche sie den gesetzlichen Vorgaben, deren Verfassungswidrigkeit nicht erkannt werden könne. Von einem deutlichen Überwiegen der Milderungsgründe im Sinne des §20 VStG könne – der belangten Behörde folgend – im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden, weshalb auch die Strafzumessung zu bestätigen sei. Für ein gänzliches Absehen von Strafe mangele es jedenfalls am geringen Verschulden, weshalb §45 Abs1 Z4 VStG nicht zur Anwendung gebracht werden könne.
3.11. Der Beschwerdeführerin wurde gemäß §52 VwGVG ein Beitrag zu den Kosten des Verfahrens in Höhe von 20 % der verhängten Geldstrafe (€ 1.000) auferlegt. Die ordentliche Revision sei unzulässig.
4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B–VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 und Art14 EMRK behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
4.1. Der "angefochtene Bescheid" verletze die Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, weil objektive Willkür in der Beurteilung jener Rechtswirkungen vorliege, die mit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den Verwaltungsgerichtshof in einem weiteren, denselben Beschwerdeführer betreffenden Beschwerdeverfahren verbunden sind. Das Landesverwaltungsgericht begründe das angefochtene Erkenntnis damit, dass die Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung mit 8. März 2018 anzunehmen sei und der relevante Zeitraum mit Erlassung des bei ihm angefochtenen Straferkenntnisses, also am 10. April 2018, ende. Nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes sei im Tatzeitraum trotz der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof am 15. Mai 2018 weiterhin von einer rechtskräftigen und durchsetzbaren Rückkehrentscheidung auszugehen.
4.2. Damit verkenne das Landesverwaltungsgericht grundlegend die Wirkungen des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Mai 2018, mit welchem der Revision gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden sei. Gewiss könnten die Rechtswirkungen der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung erst mit Ergehen eines diesbezüglichen höchstgerichtlichen Beschlusses und nicht vorher eintreten; sie könnten insofern notwendigerweise nur "pro futuro" eintreten; die Frage sei indes, welche Wirkungen die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nach sich ziehe.
4.3. Das Landesverwaltungsgericht habe auf Grund der Sach- und Rechtslage zu entscheiden gehabt, die sich ihm zum Entscheidungszeitpunkt geboten habe, also am 20. Juni 2018, dem Zeitpunkt der Zustellung seines Erkenntnisses an die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin. Es habe also den Umstand zu berücksichtigen gehabt, dass der Verwaltungsgerichtshof dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung im verwaltungsgerichtlichen Revisionsverfahren gegen das Rückkehrentscheidungserkenntnis Folge gegeben hätte. Das bedeute, dass das Rückkehrentscheidungserkenntnis vorläufig keine Rechtswirkungen entfalten könne. Mit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den Verwaltungsgerichtshof im Revisionsverfahren über das Rückkehrentscheidungserkenntnis sei der Eintritt der Rechtswirkungen insgesamt hinausgeschoben worden; dieses Erkenntnis habe vorläufig überhaupt keine Rechtswirkungen zu entfalten vermocht. Auf Grund der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den Verwaltungsgerichtshof hätten bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die Revision im Rückkehrentscheidungsverfahren alle Maßnahmen, die sonst auf Grund des Rückkehrentscheidungserkenntnisses zulässig gewesen wären, zu unterbleiben, also auch die Bestrafung der Beschwerdeführerin wegen Nichtbefolgung der Ausreiseverpflichtung.
4.4. Mit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung im verwaltungsgerichtlichen Revisionsverfahren könnten auch Wirkungen verbunden sein, die nach Beendigung desselben weiterhin zu beachten seien. Im vorliegenden Fall bewirke die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den Verwaltungsgerichtshof u.a. auch, dass für das Verhalten, das bis zur Beendigung des verwaltungsgerichtlichen Revisionsverfahrens über die Revision gegen u.a. das Rückkehrentscheidungserkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes gesetzt worden sei, eine darauf gestützte verwaltungsrechtliche Bestrafung der Beschwerdeführerin ausgeschlossen sein solle. Ab Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung dürften auf das angefochtene Erkenntnis keine Sanktionen mehr gestützt werden; jede andere Rechtsauffassung führe dazu, dass der/die Fremde die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung im Ausland hätte abwarten müssen, um eine Verwaltungsstrafe abzuwenden; dass diese Auffassung verfehlt sei, liege auf der Hand. Sie sei mit dem durch das B–VG vorgezeichneten Rechtsschutzsystem nicht vereinbar; dieses verbiete es, den Rechtsschutzsuchenden generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen Entscheidung der Behörde zu belasten. Indem das belangte Gericht dies verkannt habe, verletze es die Beschwerdeführerin im einleitend genannten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht.
4.5. Gleichzeitig stellte die Beschwerdeführerin in der Beschwerde einen Antrag auf Verfahrenshilfe im Umfang der Gebühren.
4.6. Die Beschwerdeführerin beantrage daher, der Verfassungsgerichtshof möge das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes wegen Verletzung des gemäß ArtI Abs1 des BVG Rassendiskriminierung, BGBl 390/1973, und Art14 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Frem-den untereinander, hilfsweise auch anderer als der genannten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte aufheben, der Beschwerdeführerin Verfahrenshilfe im Umfang der Gebühren gewähren, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkennen und gemäß §88 VfGG dem Bund den Ersatz der Kosten des vorliegenden Beschwerdeverfahrens an die Beschwerdeführerin zu Handen ihrer Vertreterin auftragen.
5. Die Landespolizeidirektion Oberösterreich hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der den Beschwerdebehauptungen wie folgt entgegengetreten wird:
5.1. Es sei inhaltlich auf das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich zu verweisen, um unnötige Wiederholungen zu vermeiden. Dieses führe aus, dass der relevante Tatzeitraum mit der Erlassung des angefochtenen Straferkenntnisses der Landespolizeidirektion Oberösterreich ende, also am 10. April 2018. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof sei erst am 15. Mai 2018 erfolgt. Im Tatzeitraum sei also weiterhin von einer rechtskräftigen und durchsetzbaren Rückkehrentscheidung auszugehen und daher sei gemäß §120 Abs1b iVm §52 Abs8 FPG eine Geldstrafe von € 5.000, im Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 14 Tagen zu verhängen gewesen.
5.2. Dieser Rechtsansicht des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich schließe sich die Landespolizeidirektion Oberösterreich vollinhaltlich an, die Beschwerdeführerin sei keinesfalls in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt. Mit den weiteren Beschwerdepunkten habe sich das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich in der Begründung seines Erkenntnisses bereits derart ausführlich befasst, dass sich weitere Anmerkungen der Landespolizeidirektion Oberösterreich erübrigten. Die Landespolizeidirektion Oberösterreich stelle sohin die Anträge, der Verfassungsgerichtshof möge das angefochtene Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich "vom 7. August 2017" (gemeint wohl: 14. Juni 2018) vollinhaltlich bestätigen und feststellen, dass es zu keinerlei Verletzungen von verfassungsgesetzlich gewährleisteten Grundrechten gekommen sei. Er möge zudem den Schriftsatzaufwand gemäß "§88 VwGG" (gemeint wohl: §88 VfGG) zuerkennen.
6. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat die Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.
II. Rechtslage
Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
1. §120 Abs1b des Bundesgesetzes über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG), BGBl I 100/2005 idF BGBl I 145/2017, lautete:
"Rechtswidrige Einreise und rechtswidriger Aufenthalt
§120. […]
(1b) Wer als Fremder aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht unverzüglich seiner Pflicht zur Ausreise aus dem Bundesgebiet nachkommt, nachdem eine gegen ihn erlassene Rückkehrentscheidung rechtskräftig und durchsetzbar geworden ist, und ein Rückkehrberatungsgespräch gemäß §52a Abs2 BFA-VG in Anspruch genommen oder bis zum Eintritt der Rechtskraft und Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht in Anspruch genommen hat, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von 5 000 bis 15 000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen zu bestrafen. Als Tatort gilt der Ort der Betretung oder des letzten bekannten Aufenthaltes, bei Betretung in einem öffentlichen Beförderungsmittel die nächstgelegene Ausstiegsstelle, an der das Verlassen des öffentlichen Beförderungsmittels gemäß dem Fahrplan des Beförderungsunternehmens möglich ist. […]"
2. §52 Abs8 des Bundesgesetzes über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG), BGBl I 100/2005 idF BGBl I 145/2017, lautet:
"Rückkehrentscheidung
§52. […]
(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des §16 Abs4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist §28 Abs2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl I Nr 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält. […]"
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Ein solcher Fehler ist dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich im vorliegenden Fall unterlaufen:
3.1. Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes verletzt eine Strafe wegen Verletzung des Aufenthaltsverbotes, die zwischen dem Zeitpunkt der Durchsetzbarkeit der letztinstanzlichen Ausweisungsentscheidung und jenem der Zuerkennung einer aufschiebenden Wirkung durch den Verfassungsgerichtshof (VfSlg 15.508/1999) oder den Verwaltungsgerichtshof (VfGH 30.9.1999, B309/99) verhängt wird, das Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973).
3.2. Der Verfassungsgerichtshof ging in VfSlg 15.508/1999 davon aus, die Rechtswirkungen der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung könnten erst mit Ergehen eines diesbezüglichen höchstgerichtlichen Beschlusses und niemals vorher eintreten, und sie könnten insofern notwendigerweise nur "pro futuro" eintreten. Die Frage sei indes, welche Wirkungen die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nach sich ziehe. Die damalige Berufungsbehörde habe auf Grund der Sach- und Rechtslage zu entscheiden, die sich ihr im Entscheidungszeitpunkt, dem Zeitpunkt der Zustellung ihres Berufungsbescheides an den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, geboten habe. In dem Fall, dass einem Antrag auf aufschiebende Wirkung im verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren gegen den Ausweisungsbescheid Folge gegeben worden sei, sei dies zu berücksichtigen. Das bedeute, dass der Ausweisungsbescheid vorläufig überhaupt keine Rechtswirkungen zu äußern vermöge. Der Eintritt der Rechtswirkungen des Ausweisungsbescheides sei mit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den Verfassungsgerichtshof im Beschwerdeverfahren insgesamt hinausgeschoben worden; der Bescheid habe vorläufig überhaupt keine Rechtswirkungen zu entfalten vermocht (siehe hiezu auch VfSlg 14.448/1996).
3.3. Auf Grund der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den Verfassungsgerichtshof hätten bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes über die Beschwerde im Ausweisungsverfahren alle Maßnahmen, die sonst auf Grund des Ausweisungsbescheides zulässig gewesen seien, zu unterbleiben (unter Verweis auf VfSlg 14.448/1996 betreffend Asylverfahren). Die Bestrafung des Beschwerdeführers wegen unerlaubten Aufenthaltes im Bundesgebiet sei eine solche Maßnahme (VfSlg 15.508/1999).
3.4. Der Verfassungsgerichtshof nahm in VfSlg 15.508/1999 weiter an, die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung im verfassungsgerichtlichen Verfahren bewirke unter anderem auch, dass für das Verhalten, das bis zur Beendigung des verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens gegen den Ausweisungsbescheid gesetzt worden sei, eine darauf gestützte verwaltungsrechtliche Bestrafung des Beschwerdeführers ausgeschlossen sein sollte. Ab Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung dürften auf den angefochtenen Bescheid keine Sanktionen mehr gestützt werden. Jede andere Rechtsauffassung würde in der Tat dazu führen, dass der Fremde die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung im Ausland hätte abwarten müssen, um eine Verwaltungsstrafe abzuwenden. Es liege auf der Hand, dass diese Auffassung verfehlt sei. Sie sei mit dem durch das B-VG vorgezeichneten Rechtsschutzsystem nicht vereinbar; dieses verbiete es, den Rechtsschutzsuchenden generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen Entscheidung der Behörde zu belasten (unter Verweis auf VfSlg 11.196/1986, 12.683/1991, 13.003/1992, 13.305/1992, 14.374/1995, 14.548/1996, 14.671/1996, 14.765/1997).
3.5. Nichts anderes ist – insbesondere auch vor dem Hintergrund der Vergleichbarkeit der Regelung des §30 Abs2 VwGG mit §85 Abs2 VfGG und der Begründung des Verfassungsgerichtshofes in VfSlg 15.508/1999 – für den Fall der Zuerkennung einer aufschiebenden Wirkung im Verfahren der außerordentlichen Revision durch den Verwaltungsgerichtshof anzunehmen (VfGH 30.9.1999, B309/99; vgl VwGH 26.1.2012, 2010/21/0444; VwGH 19.2.2015, Ra 2014/21/0055).
3.6. Vor diesem Hintergrund hätte das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die Beschwerde gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Oberösterreich nicht abweisen dürfen. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich verkennt im Einzelnen, dass das angefochtene Erkenntnis auf Grund der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den Verwaltungsgerichtshof vorläufig keine Rechtswirkungen zu äußern vermochte und alle der Verwirklichung des Erkenntnisses dienenden Maßnahmen hätten unterbleiben müssen (vgl VfSlg 9734/1983).
3.7. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat seine Entscheidung durch die Beurteilung jener Rechtswirkungen, die mit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den Verwaltungsgerichtshof in einem weiteren, dieselbe Beschwerdeführerin betreffenden Verfahren verbunden sind, mit (objektiver) Willkür belastet (VfGH 30.9.1999, B309/99; vgl auch VfSlg 15.508/1999 unter Verweis auf VfSlg 14.996/1997 sowie auf VfSlg 13.836/1994, 14.191/1995, 14.369/1995, 14.393/1995).
IV. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil die Beschwerdeführerin Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.
4. Dem Antrag der belangten Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht auf Zuerkennung von Kosten als Ersatz des Vorlage- und Schriftsatzaufwandes ist schon deshalb nicht zu entsprechen, weil dies im VfGG nicht vorgesehen ist und eine sinngemäße Anwendung des §48 Abs2 VwGG im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nicht in Betracht kommt (zB VfSlg 7315/1974, 9488/1982, 10.003/1984, 17.600/2005 mwN).
Schlagworte
Fremdenrecht, Asylrecht, Wirkung aufschiebende, Rechtsschutz, Bindung (der Gerichte), RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2018:E3009.2018Zuletzt aktualisiert am
17.01.2019