TE Vwgh Erkenntnis 2018/12/12 Ra 2018/19/0560

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.12.2018
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1;
BFA-VG 2014 §21 Abs7;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §24;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des M A, vertreten durch Mag. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. August 2018, W196 2162619-1/6E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Somalias, stellte am 24. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Verfahren des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gab er zu seinen Fluchtgründen an, die Al-Shabaab habe ihn verdächtigt, ein Spion zu sein, und daher nach ihm gesucht. Wenn ihn die Al-Shabaab finde, werde er getötet werden. Auch gehöre er einem Minderheitenclan an, dessen Mitglieder "Diskriminierung" ausgesetzt seien.

2 Das BFA wies den Antrag mit Bescheid vom 7. Juni 2017 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Somalia zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers sei nicht glaubhaft. Ausgehend von der festgestellten Lage in Somalia sei dem arbeitsfähigen Revisionswerber auch der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen gewesen.

4 In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde brachte der Revisionswerber insbesondere vor, das BFA habe seiner Entscheidung keine aktuellen und die tatsächliche Situation in Somalia abbildenden Länderberichte zu Grunde gelegt. Insbesondere seien die Feststellungen zur Bedrohung, die von der Al-Shabaab ausgehe, nicht zutreffend bzw. unvollständig. Der Revisionswerber sei im Übrigen auch aufgrund seiner Clanzugehörigkeit einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt. Die Mitglieder der Minderheitenclans würden von Milizen der Mehrheitsclans angegriffen, wobei es zu "Tötung, Folter, Vergewaltigung, Entführung und Plünderung" komme. Somalia drohe aktuell aufgrund einer Dürre eine Hungersnot, wobei es schon jetzt infolge des Hungers zu Todesfällen komme. Dazu wurden in der Beschwerde Berichte zitiert, die dieses Vorbringen untermauern sollen.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das das Bundesverwaltungsgericht - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - die Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6 In seiner Begründung traf das Verwaltungsgericht aufgrund von ihm beigeschaffter aktueller Länderberichte ergänzende Feststellungen zur Lage in Somalia. Das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers erachtete es nicht als glaubhaft und führte aus, eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben können, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die erhobene Revision nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit seiner außerordentlichen Revision unter anderem vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von der (in der Revision näher genannten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es zu Unrecht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen habe. Die Durchführung einer Verhandlung sei schon aufgrund der vom Bundesverwaltungsgericht selbst erkannten Notwendigkeit der Einholung aktueller Länderberichte erforderlich gewesen.

9 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

10 Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

11 Seit seinem Erkenntnis vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017, 0018, judiziert der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung (vgl. dazu etwa VwGH 18.10.2018, Ra 2018/19/0284; 19.9.2017, Ra 2017/20/0203; 16.11.2016, Ra 2016/18/0233), dass für die Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG geklärt erscheint und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung daher unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich sind:

Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht muss die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.

12 Diese Voraussetzungen des Entfalls der mündlichen Verhandlung lagen im vorliegenden Fall nicht vor. Der Revisionswerber ist der Beweiswürdigung und den Feststellungen des BFA in seiner Beschwerde nicht bloß unsubstantiiert entgegengetreten. Das Bundesverwaltungsgericht erkannte das Erfordernis weiterer Erhebungen zur Lage im Herkunftsstaat des Revisionswerbers und zog - im Vergleich zum Bescheid des BFA - aktuellere Länderberichte heran. Auf dieser Grundlage wurden im angefochtenen Erkenntnis ergänzende Feststellungen - insbesondere zur Al-Shabaab, zur Lage der Minderheitenclans und zur Versorgungslage in Somalia unter Berücksichtigung der herrschenden Dürre - getroffen. Das Bundesverwaltungsgericht hat daher sowohl die Feststellungen als auch die Beweiswürdigung gegenüber den Ausführungen des BFA nicht bloß unwesentlich ergänzt. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits klargestellt, dass die vom Bundesverwaltungsgericht erkannte Notwendigkeit zur Situation im Herkunftsstaat eines Asylwerbers aktuelle Länderberichte einzuholen und die Feststellungen des BFA zu ergänzen, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erforderlich macht (vgl. VwGH 1.3.2018, Ra 2017/19/0418, mwN).

13 Demnach lagen die Voraussetzungen für die Abstandnahme von der Verhandlung nicht vor. Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und des - wie hier gegeben - Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. VwGH 28.6.2018, Ra 2018/19/0164; 15.3.2018, Ra 2017/20/0405, jeweils mwN).

14 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

15 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 12. Dezember 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018190560.L00.1

Im RIS seit

18.01.2019

Zuletzt aktualisiert am

21.05.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten