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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
ABGB §6Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des Finanzamtes Graz-Umgebung in 8010 Graz, Adolf-Kolping-Gasse 7, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 24. Juli 2018, Zl. LVwG 41.22-1312/2018-7, betreffend Parteistellung gemäß § 111a ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Stadt Graz, Bau- und Anlagenbehörde, 8010 Graz, Tummelplatz 9; mitbeteiligte Partei: Ing. L F, G), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1 Mit Strafantrag vom 5. Oktober 2017 beantragte die Finanzpolizei für das revisionswerbende Finanzamt die Bestrafung der mitbeteiligten Partei gemäß § 33 Abs. 1 ASVG iVm § 111 ASVG. Eine Polizeiinspektion habe die Finanzpolizei davon informiert, auf der Baustelle des Mitbeteiligten den (dort erwerbstätigen) K.F. angetroffen zu haben. Da K.F. - wie eine Abfrage bei der Sozialversicherungsdatenbank ergeben habe - vom Mitbeteiligten nicht zur Sozialversicherung angemeldet worden sei, werde die Einleitung des Strafverfahrens und eine Geldstrafe in Höhe von € 730,-- beantragt. Die Finanzpolizei (das revisionswerbende Finanzamt) sei gemäß § 111a ASVG Partei des Verwaltungsstrafverfahrens und an diesem zu beteiligen.
2 Mit Straferkenntnis vom 12. Februar 2018 bestrafte die belangte Behörde den Mitbeteiligten wegen Verletzung der sozialversicherungsrechtlichen Meldepflicht des § 33 Abs. 1 ASVG mit einer Geldstrafe von € 730,--. Am selben Tag ersuchte die Finanzpolizei die belangte Behörde, den Verfahrensstand bekannt zu geben. Die belangte Behörde vertrat im E-Mail vom 14. März 2018 den Standpunkt, dass dem revisionswerbenden Finanzamt im Strafverfahren keine Parteistellung zukomme. Darauf beantragte das revisionswerbende Finanzamt am 21. März 2018 bei der belangten Behörde die Feststellung, dass ihr in dem genannten Verfahren Parteistellung gemäß § 111a ASVG zukomme. Das revisionswerbende Finanzamt habe nach Einlangen des Berichts der Polizeiinspektion eigene Ermittlungen in Form von Datenbankabfragen und einer Niederschrift mit dem betroffenen Arbeitnehmer durchgeführt. ISd § 111a ASVG müsse jegliches Aufdecken einer Tat nach den §§ 33, 111 ASVG durch die Finanzpolizei zur Parteistellung führen, unabhängig davon, ob sich der Tatverdacht bei einer Kontrolle vor Ort oder erst bei anschließenden Ermittlungen erhärte. Mit Bescheid vom 12. April 2018 wies die belangte Behörde den Antrag der revisionswerbenden Partei als unzulässig zurück. § 111a ASVG enthalte keine Ermächtigung zur Ausfertigung eines Feststellungsbescheides. Es sei kein öffentliches oder privates Interesse an der genannten Feststellung gegeben. Die konkret festzustellenden Rechtsfolgen zur Frage einer möglichen Parteistellung der Abgabenbehörden des Bundes im § 111a ASVG würden sich „direkt aus dem Gesetz selbst“ ergeben. Das revisionswerbende Finanzamt erhob Beschwerde. Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht die Beschwerde gemäß § 50 Abs. 1 iVm § 28 Abs. 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen und die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig erklärt.
3 Auf Grund eines anonymen Hinweises hätten Organe der Polizeiinspektion am 10. September 2017 eine Baustelle der mitbeteiligten Partei kontrolliert und dabei u.a. den ungarischen Staatsangehörigen K.F. angetroffen. An Ort und Stelle habe nicht ermittelt werden können, ob dieser ordnungsgemäß beschäftigt und zur Sozialversicherung angemeldet gewesen sei. Der Polizeibericht sei zur weiteren Veranlassung an die revisionswerbende Partei weitergeleitet worden. Diese habe weitere Ermittlungen (Sozialversicherungsdatenabfrage, Vernehmung des K.F.) vorgenommen und am 5. Oktober 2010 einen Strafantrag bei der belangten Behörde gestellt. Am 12. Februar 2018 habe die belangte Behörde gegen den Mitbeteiligten ein Straferkenntnis erlassen, das dem revisionswerbenden Finanzamt bislang nicht zugestellt worden sei.
4 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, dass eine Partei, gegenüber welcher keine Bescheiderlassung erfolgt sei, nach Abschluss des Verfahrens die Möglichkeit habe, die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides zu begehren. Unter den wiedergegebenen Voraussetzungen sei zur Klarstellung auch ein Feststellungsbescheid über die Parteistellung zulässig. § 111a ASVG räume den Abgabenbehörden des Bundes eine eingeschränkte Parteistellung in „Betretungsfällen“ ein, in denen sie Personen im Rahmen einer Kontrolle angetroffen (betreten) hätten, die nicht vor Arbeitsantritt zur Sozialversicherung gemeldet worden seien. Für ein „Betreten“ im Sinn der genannten Gesetzesbestimmung sei nicht nur erforderlich, dass die entsprechende Person „persönlich“ angetroffen werde, das persönliche Antreffen müsse zudem im Rahmen einer Kontrolle entweder bei der Tätigkeit oder zumindest im Betrieb und damit in einem gewissen Naheverhältnis mit deren (nicht gemeldeter) Tätigkeit erfolgen. Die bloße Durchführung von Ermittlungen (nachträgliche Befragungen des Arbeitsnehmers, Datenbankabfragen) würden kein „Betreten“ iSd § 111a ASVG darstellen und keine Parteistellung begründen. Eine Parteistellung der revisionserbenden Partei sei nicht gegeben, weshalb ihre Beschwerde abzuweisen sei. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle,
„ob den Abgabenbehörden des Bundes auch dann Parteistellung in den Verwaltungsstrafverfahren nach § 111 ASVG zukommt, wenn deren Prüforgane die nicht gemeldete Person zwar nicht bei einer Kontrolle angetroffen haben, aber Ermittlungen durchgeführt haben, im Zuge welcher sich der Verdacht einer entsprechenden Verwaltungsübertretung erhärtete“.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision. Die belangte Behörde und die mitbeteiligte Partei haben keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 Die Zulässigkeit der Revision begründet das revisionswerbende Finanzamt damit,
„dass auf Grund der Besonderheiten des ASVG-Strafverfahrens die Regelung zur Parteistellung der Abgabenbehörde im § 111a ASVG vom Gesetzgeber doch recht unklar gesetzt wurde und deshalb ... einer umfassende Klärung bedarf. Zu einem hohen Prozentsatz aller Verfahren basieren diese auf Ermittlungen, Amts- und Kontrollhandlungen der Finanzpolizei, die dermaßen vielschichtig sein können, dass zukünftig Klarheit darüber herrschen sollte, wann jeweils die Amtsparteistellung gegeben ist und wann nicht. Diese beinhaltet ... immerhin auch die Beschwerde- und Revisionslegitimation, weshalb eine Rechtsfrage von besonderer Bedeutung vorliegt, ... .“
7 In ihrer weiteren Begründung führt die Revision aus, das Verwaltungsgericht gehe von der unrichtigen Annahme aus, dass Dienstnehmer im Zuge einer Kontrolle (von Organen der Abgabenbehörden des Bundes) „angetroffen“ werden müssten. Das gegenständliche Delikt könne nur der Dienstgeber setzen, sodass eigentlich dieser „betreten“ werden müsste. Die „Betretung“ bzw. das „Ertappen“ eines Täters hänge maßgeblich von den Ermittlungsergebnissen ab. Der strittige Begriff („betreten“ iSd § 111a Abs. 1 ASVG) sei
„somit logisch gleich zu setzen mit dem Entstehen eines begründeten Verdachts gegen den potentiellen Dienstgeber. Und dieser Verdacht entsteht großteils eben nicht schon mit einer Kontrolle, da im Zuge einer solchen eine ‚Betretung‘ meist gar nicht möglich ist.“
8 In diesem Sinn sei eine „Betretung“ in vielerlei Form möglich, sei es durch eine Kontrolle vor Ort oder durch nachfolgende Beweisaufnahmen. Maßgeblich sei, dass die entsprechenden Amtshandlungen durch Organe der Abgabenbehörde erfolgten. Im vorliegenden Fall hätten erst Datenbankabfragen sowie die Einvernahme des Arbeitnehmers durch die Finanzpolizei einen ausreichend konkretisierten Verdacht ergeben, um die Strafanzeige verfassen zu können. Da die Übertretung erst durch die Finanzpolizei habe festgestellt werden können, müsse hierin ein „Betreten“ iSd § 111a Abs. 1 ASVG erblickt werden. Auch der im § 113 Abs. 2 ASVG verwendete Betretungsbegriff könne in dem eben dargelegten Sinn ausgelegt werden. Würde man den Begriff der Betretung hingegen so auslegen, wie dies das Verwaltungsgericht getan habe, so würde das zu einer schwierigen Einzelfallbetrachtung führen, wann nun Parteistellung der Abgabenbehörde gegeben sei. In den in der Praxis auftretenden Konstellationen (Antreffen von Personen mit bekannter oder nicht bekannter Identität; Antreffen von Personen, bei denen das Delikt schon in der Vergangenheit gesetzt worden und eigentlich abgeschlossen sei; Nichtantreffen von Dienstnehmern, weil diese gerade einen freien Tag hätten) würde die Parteistellung der Abgabebehörden zweifelhaft sein.
9 Die Revision ist aus den vom Verwaltungsgericht bzw. vom revisionswerbenden Finanzamt genannten Gründen zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.
10 Gemäß § 33 Abs. 1 ASVG haben die Dienstgeber jede von ihnen beschäftigte, nach dem ASVG in der Krankenversicherung pflichtversicherte Person (Vollversicherte und Teilversicherte) vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden und binnen sieben Tagen nach dem Ende der Pflichtversicherung abzumelden. Gemäß § 33 Abs. 1a ASVG kann der Dienstgeber die Anmeldeverpflichtung so erfüllen, dass er in zwei Schritten meldet, und zwar 1. vor Arbeitsantritt die Dienstgeberkontonummer, die Namen und Versicherungsnummern bzw. die Geburtsdaten der beschäftigten Personen sowie Ort und Tag der Beschäftigungsaufnahme (Mindestangaben-Anmeldung) und 2. die noch fehlenden Angaben innerhalb von sieben Tagen ab Beginn der Pflichtversicherung (vollständige Anmeldung).
11 Ordnungswidrig handelt gemäß § 111 Abs. 1 ASVG insbesondere, wer als Dienstgeber entgegen § 33 ASVG Meldungen oder Anzeigen nicht oder falsch oder nicht rechtzeitig erstattet.
12 § 111a ASVG lautete in der am 1. Jänner 2008 in Kraft getretenen Fassung BGBl. I Nr. 31/2007:
„Parteistellung im Verwaltungsstrafverfahren
§ 111a. Die Abgabenbehörden des Bundes, deren Prüforgane Personen betreten haben, die entgegen § 33 Abs. 1 nicht vor Arbeitsantritt zur Sozialversicherung angemeldet wurden, haben in den Verwaltungsstrafverfahren nach § 111 Parteistellung und sind berechtigt, gegen Entscheidungen Rechtsmittel und Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben. Verzichten sie auf die Parteistellung, so tritt der Versicherungsträger in diese Parteistellung ein. Der Verzicht ist gegenüber der Bezirksverwaltungsbehörde ausdrücklich zu erklären; diese hat den Versicherungsträger davon unverzüglich in Kenntnis zu setzen. Der Verzicht bewirkt die Unterbrechung aller in Betracht kommenden Verfahrensfristen.“
13 Die Gesetzesmaterialien (ErläutRV 77 BlgNR 23. GP, S 4) haben diese Bestimmung wie folgt begründet:
„Zu Art. 1 Z 11 bis 15 (§§ 111, 111a und 113 ASVG):
Im Zusammenhang mit dem neuen Anmeldungsregime (Stichwort: ‚Anmeldung vor Arbeitsantritt‘) soll auch die bei Verstößen gegen melderechtliche Vorschriften anzuwendende Bestimmung des § 111 ASVG modifiziert werden.
Einerseits soll diese Strafbestimmung textlich modernisiert werden (übersichtliche Aufzählung der Tatbestände, korrekte Formulierung der Subsidiaritätsklausel, Umbau der Satzstruktur zur Erhöhung des Verständlichkeitsgrades, geschlechtergerechter Sprachgebrauch), andererseits sollen die Krankenversicherungsträger und Prüfbehörden bezüglich der von den Bezirksverwaltungsbehörden zu ahndenden Ordnungswidrigkeiten im Betretungsfall jedenfalls anzeigepflichtig sein bzw. Parteistellung in dem nach einer Betretung eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahren haben. (...).“
14 In der für den vorliegenden Fall maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 113/2015 lautet § 111a ASVG samt Überschrift wie folgt:
„Parteistellung im Verwaltungsstrafverfahren
§ 111a. (1) Die Abgabenbehörden des Bundes, deren Prüforgane Personen betreten haben, die entgegen § 33 Abs. 1 nicht vor Arbeitsantritt zur Sozialversicherung angemeldet wurden, haben in den Verwaltungsstrafverfahren nach § 111 Parteistellung und sind berechtigt, gegen Entscheidungen Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht und Revision an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben. Verzichten sie auf die Parteistellung, so tritt der Versicherungsträger in diese Parteistellung ein. Der Verzicht ist gegenüber der Bezirksverwaltungsbehörde ausdrücklich zu erklären; diese hat den Versicherungsträger davon unverzüglich in Kenntnis zu setzen. Der Verzicht bewirkt die Unterbrechung aller in Betracht kommenden Verfahrensfristen.
(2) In den Verwaltungsstrafverfahren nach den §§ 111, 112 und 112a hat der Versicherungsträger, der die Ordnungswidrigkeit bei der Bezirksverwaltungsbehörde angezeigt hat, Parteistellung und ist berechtigt, gegen Entscheidungen Beschwerde beim Verwaltungsgericht und Revision an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben.“
15 Die Gesetzesmaterialien (ErläutRV 692 BlgNR 25. GP, S 11) begründen diese Fassung wie folgt:
„Zu Art. 2 Z 16 (§ 111a ASVG):
Nach derzeit geltender Rechtslage kommt dem Versicherungsträger, der eine Ordnungswidrigkeit nach den §§ 111, 112 und 112a ASVG angezeigt hat, keine Parteistellung im Verwaltungsstrafverfahren, keine Rechtsmittelbefugnis und keine Revisionsmöglichkeit an den Verwaltungsgerichtshof zu. Um in den Fällen, in denen die Ordnungswidrigkeit durch einen Versicherungsträger angezeigt wurde, die Interessen des Versicherungsträgers umfassend zu sichern, ist es notwendig, die Parteistellung der Krankenversicherungsträger ausdrücklich zu verankern und ihnen damit auch die Rechtsmittelbefugnis und ein Revisionsrecht an den Verwaltungsgerichtshof einzuräumen.“
16 § 111a Abs. 1 ASVG macht die Parteistellung der Abgabenbehörden des Bundes und deren Beschwerde- und Revisionslegitimation in Verwaltungsstrafverfahren nach § 111 ASVG davon abhängig, dass „deren Prüforgane Personen betreten haben, die entgegen § 33 Abs. 1 nicht vor Arbeitsantritt zur Sozialversicherung angemeldet wurden“.
17 Strittig ist die Auslegung dieser Wendung. Auch im öffentlichen Recht ist bei einer Interpretation nach jenen grundlegenden Regeln des Rechtsverständnisses vorzugehen, die im ABGB für den Bereich der Privatrechtsordnung normiert sind. § 6 ABGB verweist zunächst auf die Bedeutung des Wortlautes in seinem Zusammenhang. Dabei ist grundsätzlich zu fragen, welche Bedeutung einem Ausdruck nach dem allgemeinen Sprachgebrauch oder nach dem Sprachgebrauch des Gesetzgebers zukommt. Dafür müssen die objektiven, jedermann zugänglichen Kriterien des Verständnisses statt des subjektiven Verständnishorizonts der einzelnen Beteiligten im Vordergrund stehen. Es ist zunächst nach dem Wortsinn zu fragen (VwGH 23.8.2012, 2010/05/0204, mwN).
18 Das Tatbestandsmerkmal des Betretens einer Person (Dienstnehmer) durch eine andere Person (Prüforgan) setzt nach dem Wortsinn ein körperliches Zusammentreffen dieser beiden Personen (ein unmittelbares sinnliches Wahrnehmen der einen Person durch die andere) nach einem (behaupteten) Arbeitsantritt voraus. Das Prüforgan muss diese Person nach dem Arbeitsantritt während der Arbeitszeit bzw. während der die Arbeit unterbrechenden Ruhepausen angetroffen haben. Eine solche Begegnung zweier Personen hat mit dem Begriff eines „Ertappens auf frischen Tat“ nichts zu tun. Die Durchführung einer Arbeit (bzw. die Beschäftigung des Dienstnehmers bei einem Dienstgeber iSd § 4 Abs. 1 Z 1 ASVG und die daraus resultierende Meldepflicht iSd § 33 Abs. 1 ASVG) bildet nur ein Element des Verwaltungsstraftatbestandes des § 111 Abs. 1 ASVG. Die Abgabenbehörde des Bundes gewinnt durch die unmittelbare Wahrnehmung eines Sachverhaltselements einer (möglichen) Übertretung durch ihr Prüforgan ein die Führung des Verfahrens erleichterndes Naheverhältnis zum Gegenstand des Verwaltungsstrafverfahren nach § 111 ASVG. Dass der Gesetzgeber mit der Wendung „deren Prüforgane Personen betreten haben“ in § 111a Abs. 1 ASVG ein unmittelbares Zusammentreffen zweier Personen im oben umschriebenen Sinn zum Ausdruck bringen will, bestätigt er auch durch die daran anknüpfende Regelung des Beitragszuschlags in § 113 Abs. 2 ASVG in der Fassung BGBl. I Nr. 31/2007, in der ein pauschalierter Beitragszuschlag (Bearbeitungskosten des Sozialversicherungsträgers iHv € 500,-- sowie Kosten des Prüfeinsatzes iHv € 800,--) von einer „unmittelbaren Betretung iSd § 111a“ ASVG abhängig gemacht wird.
19 § 111a Abs. 1 ASVG bzw. die Wendung „deren Prüforgane Personen betreten haben“ ist somit nicht - die Grenzen des Wortsinns weit überschreitend - dahin zu verstehen, dass bereits die Vornahme von Ermittlungen durch die Finanzpolizei bzw. die Erstattung einer Anzeige durch die Finanzpolizei zur Parteistellung der Abgabenbehörde für Verwaltungsstrafverfahren nach § 111 ASVG führt, zumal § 111a Abs. 2 ASVG eine aus der Anzeigenerstattung resultierende Parteistellung dem Versicherungsträger vorbehält.
20 Ob die Beurteilung der aus dem (behaupteten) Arbeitsantritt resultierenden Verwaltungsstrafsache ergibt, dass die betretene Person tatsächlich eine Erwerbstätigkeit ausgeübt bzw. eine Arbeit angetreten hat, ob sie bei einem Dienstgeber als Dienstnehmer beschäftigt war, ob sie deswegen der Krankenversicherungspflicht unterlag, ob der Dienstgeber gegen seine Meldepflichten verstoßen hat etc., ist für die Parteistellung der Abgabenbehörde des Bundes nach § 111a Abs. 1 ASVG irrelevant. Vielmehr schafft allein die durch die Betretung iSd § 111a Abs. 1 ASVG bewirkte Parteistellung der Abgabenbehörde des Bundes die Voraussetzung dafür, bei der Klärung eben dieser Fragen mitzuwirken und die prozessualen Rechte wahrzunehmen.
21 Im vorliegenden Fall hat unstreitig keine Betretung in diesem Sinn stattgefunden. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob sich die Parteistellung der Abgabenbehörde des Bundes nur auf jenes ununterbrochene Beschäftigungsverhältnis (und die diesbezüglichen Meldepflichtverletzungen) bezieht, in dessen Verlauf die Betretung erfolgte, oder auch auf solche abgetrennte Beschäftigungsverhältnisse zwischen denselben Personen, die allenfalls davor oder danach bestanden haben.
22 Da das Verwaltungsgericht die Parteistellung des revisionswerbenden Finanzamtes in Ermangelung eines „Betretens“ zu Recht verneint hat (auch wenn der Feststellungsantrag nicht zurückzuweisen, sondern abzuweisen gewesen wäre), war die Revision gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 19. Dezember 2018
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RO2018080019.J00Im RIS seit
28.10.2020Zuletzt aktualisiert am
02.11.2020