Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** H*****, vertreten durch die Neumayer, Walter & Haslinger Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei A***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Mag. Mustafa Tuncer, Rechtsanwalt in Kufstein, wegen 51.821,31 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 25. April 2018, GZ 10 R 10/18y-56, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 23. November 2017, GZ 40 Cg 37/15z-52, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung nunmehr zu lauten hat:
„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 51.821,31 EUR samt 4 % Zinsen aus 57.117,42 EUR vom 2. 7. 2015 bis 29. 12. 2015, aus 53.135,29 EUR vom 30. 12. 2015 bis 31. 12. 2015 und aus 51.821,31 EUR seit 31. 12. 2015 zu zahlen, wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 30.662,22 EUR (darin 4.275,87 EUR USt und 5.007 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Kaufvertrag vom 28. September 2001 kaufte die Klägerin von der Beklagten zwei gebrauchte Lebensversicherungen („Secondhand-Polizzen“) zweier britischer Versicherungsgesellschaften, welche die Beklagte auf dem britischen Sekundärmarkt ankaufte. Die Klägerin zahlte der Beklagten für eine Secondhand-Polizze der S*****-Versicherungsgesellschaft (in der Folge: S*****) 24.884,41 GBP und für eine Secondhand-Polizze der P*****-Versicherungsgesellschaft (in der Folge: P*****) 21.765,78 GBP. Der Klägerin war der Kauf dieser gebrauchten Versicherungen in ihrer Wohnung von einem dritten Vermittler (der von der Beklagten dafür Provision erhielt) angeboten worden und sie gab ihre schriftliche Vertragserklärung in ihrer Wohnung ab; sie erhielt keine urkundliche Belehrung über ihr Rücktrittsrecht iSd § 3 Abs 1 KSchG.
Die Klägerin bezahlte in der Folge jährlich die ihr von den Versicherungsgesellschaften vorgeschriebenen Versicherungsprämien direkt an diese, und zwar zwischen 2003 und 2009 an die S***** insgesamt 4.999,59 GBP und zwischen 2002 und 2011 an die P***** insgesamt 7.539,75 GBP.
Von der S***** erhielt die Klägerin nach Ablauf der Versicherung im November 2010 insgesamt 25.956,77 GBP ausgezahlt, das sind um 3.927,23 GBP weniger als sie insgesamt auf diese Versicherung Zahlungen (Kaufpreis und Prämien) geleistet hatte. Von der P***** erhielt die Klägerin nach Ablauf deren Versicherung im November 2012 insgesamt 35.021,32 GBP, das sind um 5.715,79 GBP mehr als sie insgesamt auf diese Versicherung Zahlungen (Kaufpreis und Prämien) geleistet hatte. Saldiert erhielt die Klägerin aus beiden Versicherungen um 1.788,56 GBP mehr ausgezahlt als sie insgesamt (Kaufpreis und Prämien) in GBP eingezahlt hatte.
Am 31. März 2011, nach Ablauf der S*****-Versicherung (jedoch vor Ablauf der P*****-Versicherung), begehrte die – durch die auch im nunmehrigen Verfahren für sie auftretende Anwaltsgesellschaft vertretene – Klägerin von der Beklagten zu AZ 6 Cg 52/11z des Erstgerichts 51.173 EUR, die Differenz zwischen der tatsächlichen Auszahlung der S***** und einer ihr von der Beklagten angeblich verbindlich zugesagten Ablaufsleistung von 64.860 GBP. Neben der vertraglichen Zusage stützte sie ihr Klagebegehren auch darauf, dass die Vertragsklausel, wonach die „voraussichtlichen“ Ablaufsleistungen tatsächlich höher oder niedriger sein könnten als angegeben, nicht Vertragsbestandteil geworden sowie dass diese Klausel überraschend iSd § 864a ABGB und intransparent iSd § 6 KSchG sei. Erstgericht und Berufungsgericht wiesen diese Klage ab; die außerordentliche Revision der Klägerin wies der erkennende Senat am 23. Mai 2013 (bereits nach Ablauf der P*****-Versicherung) zurück (7 Ob 25/13x).
Am 9. Februar 2015 trat die Klägerin nach § 3 KSchG vom Kaufvertrag zurück.
Die Klägerin begehrte mit Klage vom 2. Juli 2015 zuletzt 51.821,31 EUR sA. Sie sei nach § 3 KSchG vom Kaufvertrag zurückgetreten und begehre Rückabwicklung in Ansehung beider Versicherungsverträge.
Die Beklagte wandte – soweit im Revisionsverfahren noch relevant – ein, dass aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Falls der Rücktritt sittenwidrig sei.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Rücktritt nach § 3 KSchG sei berechtigt und nicht sittenwidrig. Er führe zur Rückabwicklung ex tunc.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Der Klägerin stehe mangels Belehrung ein unbefristetes Rücktrittsrecht zu. Es ließ die ordentliche Revision zu, weil keine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zur Ausübung eines unbefristeten Rücktrittsrechts nach § 3 Abs 1 KSchG idFd ZivRÄG 2004 im Hinblick auf ausländische Second-Hand-Lebensversicherungspolizzen vorliege.
Die Revision der Beklagten strebt die Abänderung im klagsabweisenden Sinne an; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und berechtigt.
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
1.1. Vorweg ist klarzustellen, dass es sich hier um einen Kaufvertrag über Secondhand-Polizzen handelt und nicht um einen Lebensversicherungsvertrag. Die Interessenlage bei einem Kaufvertrag von Finanzprodukten und einem Lebensversicherungsvertrag ist nicht vergleichbar, dienen die Verträge doch ganz anderen Zielen und Bedürfnissen, sodass beim Käufer (Anleger) gegenüber dem Verkäufer nicht das gleiche Schutzbedürfnis besteht wie beim Versicherungsnehmer gegenüber dem Versicherer. Eine analoge Anwendung der zum Rücktrittsrecht des Versicherungsnehmers bestehenden Grundsätze auf den vorliegenden Kaufvertrag kommt daher nicht in Betracht. Es sind die Bestimmungen über das Haustürgeschäft anzuwenden.
1.2. § 3 Abs 1 letzter Satz KSchG in der zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses am 28. September 2001 geltenden Fassung lautete:
„Das Rücktrittsrecht erlischt spätestens einen Monat nach der vollständigen Erfüllung des Vertrags durch beide Vertragspartner, bei Versicherungsverträgen spätestens einen Monat nach dem Zustandekommen des Vertrags.“
1.3. Durch diese Bestimmung wurde die Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (ABl L 1985/372, 31; in der Folge: RL 85/577/EWG) umgesetzt, deren hier relevante Bestimmungen wie folgt lauteten:
„Artikel 4
Der Gewerbetreibende hat den Verbraucher bei Geschäften im Sinne des Artikels 1 schriftlich über sein Widerrufsrecht innerhalb der in Artikel 5 festgelegten Fristen zu belehren und dabei den Namen und die Anschrift einer Person anzugeben, der gegenüber das Widerrufsrecht ausgeübt werden kann.
Diese Belehrung ist zu datieren und hat Angaben zu enthalten, die eine Identifizierung des Vertrages ermöglichen.
Sie ist dem Verbraucher auszuhändigen
...
Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass ihre innerstaatlichen Rechtsvorschriften geeignete Maßnahmen zum Schutz des Verbrauchers vorsehen, wenn die in diesem Artikel vorgesehene Belehrung nicht erfolgt.
Artikel 5
(1) Der Verbraucher besitzt das Recht, von der eingegangenen Verpflichtung zurückzutreten, indem er dies innerhalb von mindestens sieben Tagen nach dem Zeitpunkt, zu dem ihm die in Artikel 4 genannte Belehrung erteilt wurde, entsprechend dem Verfahren und unter Beachtung der Bedingungen, die im einzelstaatlichen Recht festgelegt sind, anzeigt. Die Frist gilt als gewahrt, wenn die Anzeige vor Fristablauf abgesandt wird.
...“
2.1. Durch das ZivRÄG 2004, BGBl I 2003/91, wurde der letzte Satz des § 3 Abs 1 KSchG dahin geändert, dass dieser lautete:
„?Das Rücktrittsrecht erlischt bei Versicherungsverträgen spätestens einen Monat nach Zustandekommen des Vertrags.?“
2.2. Der damit normierte Entfall der Bestimmung, wonach das Rücktrittsrecht spätestens einen Monat nach der vollständigen Erfüllung des Vertrags erlischt, soll nach den Materialien (RV 173 BlgNR 23. GP 7 und insb 20 f) der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Rechnung tragen. Das Rücktrittsrecht nach Art 5 RL 85/577/EWG stehe nach EuGH 13. 12. 2001, Rs C-481/99, Heininger, unbefristet zu, wenn der Unternehmer den Verbraucher darüber nicht belehrt habe. Zwar habe sich der EuGH in diesem Urteil nicht mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die weitere Beschränkung nach dem früheren deutschen Haustürgeschäfts-Gesetz (Erlöschen nach dem Ablauf eines Monats nach beiderseitiger Erfüllung) dem Gemeinschaftsrecht entspreche; das BMJ verstehe seine Äußerungen darin aber so, dass der Rücktritt bei Nichtausfolgung einer Belehrung unbefristet zustehe. Dem so verstandenen Art 5 RL 85/577/EWG, der keine absolute Frist vorsehe, widerspreche aber § 3 Abs 1 letzter Satz KSchG, sodass die Befristung des Rücktrittsrechts aufzuheben sei.
2.3. § 41a Abs 16 KSchG idFd ZivRÄG 2004 lautet:
„Die §§ 3 und 31e in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 91/2003 treten mit 1. Jänner 2004 in Kraft.“
Nach den Materialen (RV 173 BlgNR 23. GP 24) ist dies dahin zu verstehen, dass unter anderem die Streichung des Entfalls des Rücktrittsrechts einen Monat nach der Vertragserfüllung auch auf Verträge Anwendung finden soll, die (wie hier) vor diesem Zeitpunkt abgeschlossen worden sind.
Dieser Auslegung ist der Oberste Gerichtshof zu 6 Ob 110/07f (Pkt 3.2. mwN) gefolgt.
3.1. In der Folge hat jedoch der EuGH am 10. 4. 2008, Rs C-412/06, Hamilton, zu einer nahezu gleichlautenden deutschen Bestimmung (§ 2 Abs 1 Satz 4 des Gesetzes über den Widerruf von Haustürgeschäften, dBGBl I 1986, 122) ausgesprochen, dass der nationale Gesetzgeber für den Fall einer fehlerhaften Belehrung des Verbrauchers über die Modalitäten der Ausübung des mit Art 5 Abs 1 RL 85/577/EWG eingeführten Widerrufsrechts vorsehen kann, dass dieses Recht nicht später als einen Monat nach vollständiger Erbringung der Leistungen aus einem langfristigen Darlehensvertrag durch die Vertragsparteien ausgeübt werden kann.
3.2. Obwohl damit den Änderungen des § 3 KSchG durch das ZivRÄG 2004 der Boden entzogen wurde (
vgl Klausberger in Keiler/Klauser, Österreichisches und Europäisches Verbraucherrecht, § 3 KSchG [2015] Rz 56), hat der österreichische Gesetzgeber in der Folge die Rechtslage vor dem ZivRÄG 2004 nicht wieder hergestellt (vgl Vonkilch, EuGH: Befristung des Rücktrittsrechts beim Haustürgeschäft trotz unterbliebener Belehrung zulässig, RdW 2008/710, 760).
3.3. Mit dem VRUG, BGBl I 2014/33 (zur Umsetzung der RL 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, ABl L 2011/304, 64), wurde schließlich § 3 Abs 1 KSchG unter anderem dahin geändert, dass bei Unterbleiben der Ausfolgung einer urkundlichen Belehrung dem Verbraucher das Rücktrittsrecht für eine Frist von zwölf Monaten und 14 Tagen ab Vertragsabschluss beziehungsweise Warenlieferung zusteht; wenn der Unternehmer die Urkundenausfolgung innerhalb von zwölf Monaten ab dem Fristbeginn nachholt, so endet die verlängerte Rücktrittsfrist 14 Tage nach dem Zeitpunkt, zu dem der Verbraucher die Urkunde erhält.
Diese Bestimmungen sind nach § 41a Abs 29 KSchG – im Einklang mit Art 28 Abs 2 RL 2011/83/EU – erst auf Verträge anzuwenden, die ab dem 13. Juni 2014 geschlossen werden.
4.1. Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass für den hier in Frage stehenden Vertrag vom 28. September 2001 das EU-Recht einer vom nationalen Recht vorgesehenen zeitlichen Begrenzung des Rücktrittsrechts auf einen Monat nach vollständiger Erfüllung des Vertrags durch beide Vertragspartner nicht entgegensteht, auch wenn der Verbraucherin – wie hier – keine schriftliche Belehrung über ihr Rücktrittsrecht nach § 3 KSchG erteilt wurde.
4.2. Die Anregung der Revision auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens bzw auf Unterbrechung des vorliegenden Verfahrens bis zur Erledigung anhängiger Verfahren war nicht aufzugreifen, weil zur Auslegung und Bedeutung der hier maßgeblichen unionsrechtlichen Grundlagen (hier RL 85/577/EWG) und zu den sich daran anknüpfenden rechtlichen Konsequenzen keine Zweifel bestehen (vgl RIS-Justiz RS0082949),
5. Die Parteien haben einen Kaufvertrag über zwei gebrauchte Lebensversicherungspolizzen abgeschlossen, der durch Zahlung des Kaufpreises auf Seite der Klägerin und Verschaffung der Polizzen sowie der versicherungsvertraglichen Position auf Seite der Beklagten vollständig erfüllt wurde. Überdies sind die Gegenstand des Kaufvertrags bildenden Versicherungsverträge 2010 und 2012, somit Jahre vor Erhebung der vorliegenden Klage abgelaufen und die vereinbarten Ablaufleistungen an die Klägerin ausbezahlt worden.
6.1. In der Rechtsprechung ist „widersprüchliches Verhalten“ (venire contra factum proprium) als Anwendungsfall des Rechtsmissbrauchs anerkannt (zB 7 Ob 236/05i; 1 Ob 318/99t). Darunter wird verstanden, dass der Berechtigte beim Verpflichteten durch sein Verhalten den Eindruck erweckt hat, ein ihm zustehendes Recht nicht (mehr) geltend zu machen, sodass ihm im Hinblick darauf eine spätere Berufung auf das Recht verwehrt wird. Der Berechtigte erweckt im Verpflichteten durch sein Verhalten Vertrauen auf das Bestehen einer bestimmten Sach- oder Rechtslage, weshalb die „Widersprüchlichkeit“ hier zwischen der objektiven Rechtslage und dem Verhalten des Berechtigten gesehen wird (vgl 2 Ob 214/11a mwN; RIS-Justiz RS0128483).
6.2. Hier hat die – bereits im Vorverfahren von Anfang an anwaltlich vertretene – Klägerin fast zehn Jahre nach vollständiger Erfüllung des Kaufvertrags zwischen den Parteien vorerst Ansprüche auf Erfüllung dieses Vertrags geltend gemacht und sich dabei ausdrücklich auf dessen Bestehen berufen; dieses Begehren hat sie bis zum Obersten Gerichtshof weiter verfolgt (7 Ob 25/13x). In der Folge hat die Klägerin auch nach Unterliegen mit diesem Begehren weitere mehr als eineinhalb Jahre zugewartet, bevor sie
– zudem mehr als zwei Jahre nach Ablauf und Abwicklung des letzten der beiden Gegenstand des Kaufvertrags bildenden Versicherungsverträge – den Rücktritt nach § 3 KSchG erklärte. Dieses Verhalten und diese Erklärungen stehen in eklatantem Widerspruch zu ihrem bisherigen Verhalten und ihren bisherigen Erklärungen. Es ist rechtsmissbräuchlich, rund 17 Jahre nach Erfüllung des Kaufvertrags, Jahre nach Abwicklung der zugrundeliegenden Versicherungsverträge und Feststellung, dass sich die Investitionen nicht wie gewünscht entwickelt haben, nun unter Berufung auf die Unterlassung einer entsprechenden Belehrung vom Kaufvertrag zurückzutreten. Es gehört nicht zu den Rechtsschutzzielen, die mit der Einräumung eines Rücktrittsrechts bei Haustürgeschäften verfolgt werden, dem Käufer eines Finanzprodukts bloß aufgrund fehlender Belehrung die Möglichkeit zu eröffnen, sich Jahre später ohne jeglichen Bezug zu den Umständen des Vertragsabschlusses von einem Anlagerisiko zu befreien, das er beim Kauf auf sich genommen hat (vgl ErwGr 4 und 5 RL 85/577/EWG; RIS-Justiz RS0079854).
6.3. Zusammengefasst ist es der Klägerin als Rechtsmissbrauch verwehrt, sich im Jahr 2015 auf das Unterbleiben der Belehrung nach § 3 KSchG zu berufen und den Vertragsrücktritt zu erklären, nachdem der Kaufvertrag im Jahr 2001 beiderseits vollständig erfüllt wurde, die Gegenstand des Kaufvertrags bildenden Versicherungsverträge abgelaufen und abgewickelt sind und sie selbst bereits auf Erfüllung des Vertrags gerichtete Ansprüche gerichtlich geltend gemacht hat.
7. Da die Beklagte bereits in erster Instanz auf die Sittenwidrigkeit dieses Verhaltens der Klägerin hinwies, ist die Rechtssache im klagsabweisenden Sinne spruchreif, ohne dass es weiterer Erörterungen mit der Klägerin bedurfte (vgl RIS Justiz RS0122365). Der Revision war daher Folge zu geben und es waren die Entscheidungen der Vorinstanzen im klagsabweisenden Sinn abzuändern. Eines Eingehens auf die anderen in der Revision ins Treffen geführten Argumente bedurfte es nicht.
8. Die zufolge gänzlichen Obsiegens der Beklagten neu zu fassende Kostenentscheidung gründet in Ansehung des erstinstanzlichen Verfahrens auf §§ 41, 54 Abs 1a ZPO und in Ansehung des Rechtsmittelverfahrens auf §§ 41, 50 ZPO.
8.1. Über Einwendung der Klägerin war bei den erstinstanzlichen Kosten zu berücksichtigen:
Die Mitteilung ON 10 war nur nach TP 1. I. lit a und lit c RAT zu honorieren.
Eine gesonderte Entlohnung mehrfacher Übermittlungsvorgänge im elektronischen Rechtsverkehr zu einer einzigen Eingabe (Urkundenvorlage mit ON 13) ist nicht vorgesehen (zumal auch der pauschale Honorarzuschlag nach § 23a RATG angesprochen wurde).
Erkennbar angesprochene Fahrtkosten des Geschäftsführers der Beklagten (vgl § 42 Abs 1 ZPO) zur Tagsatzung mit seiner Vernehmung ON 15 wurden weder in Höhe der Kosten öffentlicher Verkehrsmittel verzeichnet oder bescheinigt, noch wurde dargelegt oder bescheinigt, ob und inwieweit die angesprochenen Kosten notwendig oder günstiger als die öffentlicher Verkehrsmittel wären (vgl Obermaier, Kostenhandbuch³ Rz 1.122). Sie waren daher nicht zuzusprechen.
Der Schriftsatz ON 39 war hingegen keinem der Tatbestände der TP 1 zu subsumieren und daher nach TP 2. I.1. lit e RAT wie verzeichnet zu honorieren.
Weiters war zu berücksichtigen, dass es sich beim gemäß § 23a RATG für im elektronischen Rechtsverkehr eingebrachte Schriftsätze gebührenden Honorarzuschlag nicht um Barauslagenersatz handelt (vgl RIS-Justiz RS0126594 [T2]).
Insgesamt waren der Beklagten für das erstinstanzliche Verfahren 20.306,34 EUR (darin 3.384,39 EUR USt) zuzusprechen.
8.2. Die Kosten der Beklagten für das Rechtsmittelverfahren waren richtig verzeichnet und mit 5.255,32 EUR (darin 518,22 EUR USt und 2.146 EUR Gerichtsgebühren) für die Berufung und mit 5.100,56 EUR (darin 373,26 EUR USt und 2.861 EUR Gerichtsgebühren) für die Revision zu bestimmen.
Textnummer
E123719European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00133.18M.1121.000Im RIS seit
16.01.2019Zuletzt aktualisiert am
17.02.2020