TE OGH 2018/11/21 3Ob88/18i

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Veröffentlicht am 21.11.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** GmbH, *****, vertreten durch die Sparlinek Piermayr Prossliner Rechtsanwälte KG in Linz, gegen die beklagte Partei I***** d.o.o., *****, vertreten durch Dr. Roland Grilc ua, Rechtsanwälte in Klagenfurt am Wörthersee, wegen 16.596,21 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 12. Februar 2018, GZ 3 R 2/18m-31, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 31. Oktober 2017, GZ 38 Cg 153/16m-27, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Gegenstand des Rechtsstreits ist ein Regressanspruch der Klägerin für einen Teilbetrag der ihr selbst als Haftungspflichtige für mehrere auf ihren Baustellen tätige ausländische Unternehmen (darunter die Beklagte) vorgeschriebenen Abzugssteuer gemäß § 99 EStG. Die Klägerin erhob gegen den Haftungsbescheid im Umfang des nun eingeklagten Betrags (der sich nur auf Umsätze der Beklagten bezieht) kein Rechtsmittel, weil ein solches ihrer Ansicht nach keine Erfolgsaussichten gehabt hätte. Der Bescheid ist (in diesem Umfang) rechtskräftig. Die Beklagte war nicht Partei in dem gegen die Klägerin geführten Verwaltungsverfahren, das insoweit mit der Erlassung des
– von der Klägerin ohne vorherige Rücksprache mit der Beklagten akzeptierten – Haftungsbescheids endete.

Die Klägerin stützte ihren Anspruch gegen die Beklagte insbesondere auf § 1358 ABGB, aber auch auf eine Haftung aus dem schriftlichen (Werk-)Vertrag der Streitteile, in dem die Beklagte ausdrücklich zusagte, ihre Verpflichtungen zur Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge sowie der Steuern und Abgaben zu erfüllen.

Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, die Klägerin hätte den Bescheid erfolgreich bekämpfen können, weil die Arbeiten aufgrund des zwischen den Streitteilen geschlossenen Werkvertrags durch die Mitarbeiter der Beklagten keine Arbeitskräfteüberlassung (sondern eine
– ordnungsgemäß angemeldete – Entsendung von Arbeitern) dargestellt habe.

Das Erstgericht gab der Klage statt.

Da die Klägerin im Umfang des Klagebegehrens Steuerschulden der Beklagten beglichen habe und die Streitteile Gesamtschuldner im Sinn der §§ 6, 7 BAO seien, stehe der Klägerin ein Regressanspruch nach § 1358 ABGB zu, der ausreichend begründet sei, wenn sie eine solche Steuerschuld bezahlt habe. Das Vorbringen der Beklagten zur unterbliebenen Bekämpfung des Bescheids im Rechtsmittelweg sei zu wenig konkret.

Das Berufungsgericht hob das Urteil zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

Eine Bindung an rechtskräftige Bescheide der Verwaltungsbehörden bestehe nach der Rechtsprechung nur in Bezug auf den Spruch über den Bescheidgegenstand, nicht hingegen auch betreffend die auf einen bestimmten Sachverhalt gestützte Beurteilung der Rechtsfrage. Dritte, die am Verwaltungsverfahren nicht beteiligt waren, könnten nur durch die Gestaltungs- oder Tatbestandswirkung eines Bescheids gebunden sein. Im Schadenersatzrecht bestehe eine Obliegenheit des Geschädigten, den Schaden durch Erheben von Rechtsmitteln gering zu halten; verletze der Geschädigte schuldhaft diese Obliegenheit, dann sei zu prüfen, ob ein Rechtsmittel Erfolg gehabt hätte, weil dies nur dann kausal für einen Teil des Schadens sei. Der (hier zumindest implizit erhobene) Einwand der Beklagten, die Klägerin habe einen den Regressanspruch mindernden oder gegen ihn aufrechenbaren Schadenersatzanspruch zu vertreten, weil sie die Interessen der Beklagten im Abgabenverfahren verletzte, sei grundsätzlich zulässig. Hier habe die Klägerin unstrittig die Bezahlung der Abzugssteuer akzeptiert, ohne dies mit der Beklagten zu besprechen. Nach den Kriterien für eine Qualifikation als Arbeitskräfteüberlassung (im Sinn der die Abzugssteuer auslösenden Bestimmungen) sei in Anbetracht der Regelungen des zwischen den Streitteilen geschlossenen Vertrags eine Beschwerde gegen den der Regressforderung zugrundeliegenden Haftungsbescheid nicht als von vornherein aussichtslos einzustufen.

Im fortzusetzenden Verfahren sei daher zunächst zu klären, ob die Kriterien für eine grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung erfüllt (gewesen) seien. Erst dann könne beurteilt werden, ob und wieweit der Regressanspruch zu mindern sei, weil die Erhebung einer Beschwerde gegen den Haftungsbescheid zu dessen Aufhebung geführt hätte.

Das Berufungsgericht ließ den Rekurs gegen seine Entscheidung zu, weil keine eindeutige höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, inwieweit Umstände, die die Richtigkeit einer durch Bescheid dem Grunde und der Höhe nach festgestellten Steuerpflicht aus der Gestellung von Arbeitskräften zur inländischen Arbeitsausübung tangieren, von einer Beklagten, die keine Möglichkeit hatte, dem Finanzverfahren beizutreten, im Regressverfahren noch releviert werden könnten.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zur Klarstellung zulässig. Er ist allerdings nicht berechtigt.

1. Die Klägerin stützt ihren Regressanspruch für den gegen sie ergangenen, in diesem Umfang unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Haftungsbescheid des Finanzamts auf § 1358 ABGB.

Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte, ist die Haftung des Steuerschuldners sowie des dafür Haftenden im Bereich der Einkünfte bei beschränkter Einkommensteuerpflicht (§ 98 EStG 1988) ähnlich geregelt wie im Bereich der Lohnsteuer (§§ 82, 83 EStG 1988) und der KESt (§§ 93 ff EStG 1988). Der Arbeitgeber, von dem Nachzahlungen der Lohnsteuer eingefordert wurden, ist befugt, vom Arbeitnehmer den Ersatz der bezahlten Schuld gemäß § 1358 ABGB zu fordern (RIS-Justiz RS003266); auch der Bank wird für den Fall einer Nachforderung von KESt ein aus § 1358 ABGB erfließendes Regressrecht gegen den Anleger als Steuerschuldner zuerkannt (6 Ob 237/04b). Nach ständiger Rechtsprechung geht die Bestimmung des § 1358 ABGB – entgegen ihrem Wortlaut – weit über die Regelung des Bürgenregresses hinaus und findet ganz allgemein auf jeden Anwendung, der eine fremde Schuld begleicht, für die er persönlich oder mit bestimmten Vermögensstücken haftet (RIS-Justiz RS0112742). Der Begriff „fremde Schuld“ erfasst grundsätzlich eine fremde Schuld, für die eine Einstehungsverpflichtung besteht; der Regressanspruch setzt kein Verschulden des Regresspflichtigen voraus, da § 1358 ABGB allein an den Tatbestand der Zahlung anknüpft (RIS-Justiz RS0112742 [T2]).

2. Gemäß § 1361 ABGB kann der (Haupt-)Schuldner gegen den Regressanspruch des Zahlers (Bürgen), der ohne Einverständnis mit ihm dem Gläubiger leistete, alles einwenden, was dieser gegen den Gläubiger hätte einwenden können. Der Bürge hat daher im eigenen Interesse (im Sinn einer Obliegenheit) vor Zahlung an den Gläubiger das Einvernehmen des Hauptschuldners zu suchen (W. Faber in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1361 Rz 2; P. Bydlinski in KBB5 § 1361 Rz 1; G. Neumayer/Th. Rabl in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 1361 Rz 1). Auch dieser Grundsatz ist nicht auf das Verhältnis zwischen Hauptschuldner und Bürgen beschränkt, sondern er gilt allgemein für den Regressanspruch nach § 1358 ABGB.

3. Nach ständiger Rechtsprechung umfasst die Bindung der Gerichte an die Bescheide der Verwaltungsbehörden nicht die auf einen bestimmten Sachverhalt gestützte Beurteilung der Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0036981 [T9]; vgl auch RS0036981 [T14]). Dritte, die am Verwaltungsverfahren nicht beteiligt waren, können
– abgesehen von einer Rechtskrafterstreckung, etwa bei Rechtsnachfolge – nur durch die Gestaltungs- oder Tatbestandswirkung eines Bescheids gebunden sein (RIS-Justiz RS0121545 [T1]; RS0036981 [T18]; vgl auch RS0074953).

Die vom Berufungsgericht zitierte Rechtsprechung zu einem möglichen Schadenersatzanspruch des Regresspflichtigen (Haupt-)Schuldners, der aus einer Verletzung seiner Interessen bei der Zahlung an den Gläubiger – durch unterlassene Einwände gegen die Zahlungspflicht – abgeleitet wird (RIS-Justiz RS0017528), ist für den vorliegenden Fall, in dem die Klägerin unbestritten mit der Beklagten kein Einverständnis vor Zahlung (Akzeptanz des Bescheids in diesem Umfang) gesucht hat, somit nicht maßgebend. Der Einwand der Beklagten, die Klägerin hätte (auch) gegen den hier geltend gemachten Betrag des Haftungsbescheids erfolgreich ein Rechtsmittel erheben können, ergibt sich nämlich schon aus der gegenüber der Beklagten fehlenden Bindungswirkung des Haftungsbescheids sowie aus § 1361 ABGB.

Ein „konkreteres“ Vorbringen der Beklagten zu einem (hier vom Berufungsgericht als von den Einwänden mitumfasst angesehenen) Schadenersatzanspruch sowie dessen Bezifferung oder eine ausdrücklich erhobene „Gegenforderung“ aus diesem Titel, wie von der Rekurswerberin als fehlend beanstandet, war daher nicht erforderlich.

4. Im Verfahren über den Regressanspruch des Zahlers gegen den Hauptschuldner ist – bei einem entsprechenden Einwand, wie im vorliegenden Fall – zu prüfen, inwieweit eine Obliegenheitsverletzung des Regressberechtigten vorliegt, die seinem Anspruch entgegen gehalten werden kann. Dabei wird – wie vom Berufungsgericht dem Erstgericht aufgetragen – im vorliegenden Fall auf der Tatsachenebene zu klären sein, ob auf den Baustellen der Klägerin die für eine Abzugssteuer erforderlichen Merkmale einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung durch die Beklagte vorlagen; dies um die Frage beurteilen zu können, ob die Voraussetzungen für eine Steuerpflicht der Beklagten vorlagen oder ob bei Überprüfung der diesbezüglichen – auch die Klägerin als Mithaftende treffenden – Zahlungspflicht im Rechtsmittelweg ein solcher Tatbestand nicht angenommen worden wäre.

Dies steht mit der von der Rekurswerberin zitierten Rechtsprechung, wonach eine inhaltliche Überprüfung rechtskräftiger Bescheide der Verwaltungsbehörden durch das Gericht nicht stattzufinden hat (RIS-Justiz RS0036981; vgl auch RS0036975), nicht im Widerspruch; ist doch die Berechtigung des Einwands der zu Unrecht unterlassenen Bekämpfung des Haftungsbescheids (im Sinn einer Obliegenheitsverletzung) für die Beurteilung der Regresspflicht der Beklagten gegenüber der Klägerin selbständig zu prüfen und bildet hier eine Vorfrage. Dabei ist allerdings Folgendes zu beachten: Das Unterlassen eines aussichtslosen Rechtsmittels wäre der Klägerin von der Beklagten im Verfahren über den Regressanspruch nicht als Obliegenheitsverletzung entgegenzuhalten; während der Regressanspruch zur Gänze entfiele, falls sich herausstellen sollte, dass die Voraussetzungen für eine Steuerpflicht tatsächlich nicht vorlagen.

5. Die Klägerin hat den gegen sie ergangenen Haftungsbescheid lediglich im Umfang der die Beklagte betreffenden Abzugssteuer nicht bekämpft, während sie gegen den (weit größeren) anderen Teil der ihr darin auferlegten Verpflichtung Beschwerde erhob (und diese insbesondere auf insoweit nicht vorliegende Arbeitskräfteüberlassung stützte; s Beilage ./B). Die Rekurswerberin, die mit Hinweis auf Unterlagen aus dem gegen ihren Geschäftsführer geführten Verwaltungsstrafverfahren einen Verstoß gegen die Selbstergänzungspflicht im Sinn des § 496 Abs 3 ZPO (dazu RIS-Justiz RS0108072) behauptet, führt nicht an, inwiefern dem Berufungsgericht daraus eine Beurteilung der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels im Verfahren über den Haftungsbescheid möglich gewesen sein sollte; eine aufzugreifende Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens zeigt sie damit nicht auf.

6. Die vom Berufungsgericht aufgrund einer zutreffenden Rechtsansicht angeordnete Ergänzung der Tatsachengrundlage ist vom Obersten Gerichtshof nicht weiter zu hinterfragen (vgl RIS-Justiz RS0042179 [T17]).

7. Zu dem von der Beklagten in ihrer Rekursbeantwortung angeregten Vorabentscheidungsersuchen ist anzumerken, dass eine Zahlungspflicht der Beklagten im bisherigen Verfahrensstadium noch nicht feststeht, weshalb sich die Frage einer Europarechtskonformität der Bestimmungen über die Abzugssteuer (§§ 98 ff EStG) derzeit nicht stellt. Im Übrigen hat der EuGH in seiner Entscheidung vom 19. Juni 2014, C-53/13 und C-80/13, Strojírny Prost?jov, a.s. und ACO Industries Tábor s.r.o.) zu einem vergleichbaren Fall ausgeführt, dass die Notwendigkeit, die Eintreibung der Einkommensteuer zu gewährleisten, einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen kann, der eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen kann (ErwGr 46 mwN).

8. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Textnummer

E123725

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0030OB00088.18I.1121.000

Im RIS seit

16.01.2019

Zuletzt aktualisiert am

28.08.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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