TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/21 W264 2178767-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.11.2018
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Entscheidungsdatum

21.11.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W264 2178767-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Islamische Republik Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.10.2017, Zahl: 1071437806-150587025, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß

§ 3 Abs 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit

kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer XXXX ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, reiste schlepperunterstützt unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am 30.5.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung führte der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) zu seiner Person und zu seinem Fluchtgrund aus. Er habe Afghanistan vor 1 1/2 Jahren verlassen, weil die afghanische Polizei bei ihm zuhause christliche Bücher aufgefunden habe. Die Polizei habe ihn so stark geschlagen, dass einige Backenzähne ausgeschlagen wurden und mit dem Gewehrkolben auf gegen das Haupt des BF geschlagen. Er sei daher in den Iran geflüchtet. Er sei Hazara und habe eine Ehefrau und zwei unmündige minderjährige Kinder. Er habe die Wahrheit gesagt und habe keine weiteren Fluchtgründe. Als Religionszugehörigkeit gab er "keine" an und bezeichnete sich als "Analphabet".

2. Der BF wurde am 14.2.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Im Wesentlichen gab er unter anderem an, im Herkunftsstaat eine Koranschule besucht zu haben und wenn er dort eine Antwort nicht wusste, sei er aufgrund seiner Krankheit so geschlagen worden, dass er in die Hose uriniert habe. Danach sei er nicht mehr zur Schule gegangen, er habe an der Koranschule kein Interesse mehr gehabt. Im Iran habe er in einem Steinbruch in als Nachtwächter gearbeitet.

Er habe von einem Mann namens XXXX ein Buch über die christliche Lehre bekommen. Er habe zu diesem Zeitpunkt "keinen Glauben oder einen Glauben an eine Religion" gehabt und habe nicht lesen können, sodass er nicht gewusst habe, was in diesem Buch steht, so der BF. Der BF habe das Buch einem Freund namens XXXX gezeigt, welcher unter dem Vorwand eine Nachricht, eine SMS oder so, erhalten zu haben, wegging. Der BF wisse nicht, ob dies ein Vorwand des XXXX gewesen sei oder die Wahrheit. Zwei Tage darauf seien Soldaten gekommen. Entweder habe ihn dieser Freund XXXX oder dessen Familie verraten, so der BF. Man habe das Buch bei ihm zuhause gefunden und sei er aufgefordert worden, mit auf die Kommandantur zu kommen. Dort sei er geschlagen und inhaftiert worden. Man wollte wissen, woher er das Buch habe, wieviele Menschen in seiner Gruppierung wären. Man hätte ihn einen "Ungläubigen" genannt und geschlagen. Zunächt habe er XXXX nicht preisgeben wollen und behauptet, das Buch gefunden zu haben. Jedoch habe er unter Folter den Namen des XXXX verraten.

Fünf Nächte habe er dort zugebracht und sei er unter dem Vorwand einer Folterung zugeführt zu werden nach draußen gebracht worden, wo sein Vater und der Onkel mit einem Fahrzeug samt Fahrer auf ihn gewartet hätten, sodass er flüchten konnte. Der Kommandant sei bestochen worden. Am nächsten Tag sei er mit dem Fahrer nach Kandarhar gefahren und nach einem Fahrzeugwechsel weiter nach Nimroz. Dies sei sein Fluchtgrund. Auf die Frage was ihn erwarte, wenn er zurückkehre, gab er an: "Das ist in den Händen Gottes, aber ich kann in Afghanistan nicht leben. Ich werde dort hundertprozentig umgebracht werden".

Seit er in Österreich sei interessiere er sich für das Christentum. Im Iran und in Afghanistan habe er das Christentum nicht gekannt. Im Zeltlager in XXXX habe er gleich nach Kirchen gesucht. Es habe ihn interessiert und habe er Hoffnung und einen Weg für sich finden wollen. Er sei ohne Religion verloren gewesen und habe nach etwas Neuem gesucht. Er habe hier die Ruhe und den Frieden gesehen und habe gesagt, dass es Gottes Ruhe und Frieden hier sei.

3. Der BF legte der belangten Behörde folgende Dokumente vor:

a. Taufurkunde der ELAIA Christengemeinden, wonach der BF am XXXX2016 in XXXX in der XXXX getauft wurde

b. EEG-Befund des Nervenklinikums XXXX vom 19.6.2015 wegen Überweisungsgrund: "Epilepsie unklarer Zuordnung"; Zusammenfassung:

leicht abnormes EEG mit leichten Allgemeinveränderungen, kein Herdbefund, keine epileptische Aktivität"

c. Ambulanzbefund des Nervenklinikums XXXX vom 19.6.2015, woraus hervorgeht, dass der BF angab seit seinem 12. Lebensjahr in Afghanistan an Epilepsie zu leiden und vor vier Jahren der letzte Anfall stattgefunden habe

d. Bestätigung des Sektionsleiters des Vereins XXXX, wonach der BF seit Dezember 2016 das XXXXtraining besucht

e. Ambulanzbericht des Psychiatrischen Ambulanzzentrums des XXXX vom 13.9.2017. Diagnose: "Bekannte Epilepsie, Mittelgradige depressive Episode"

f. Bestätigung des XXXX XXXX XXXX vom 26.9.2017, wonach der BF seit zwei Jahren in diesem Verein trainiert und ehrenamtlich und unentgeltlich für den Verein nötige Arbeiten erledigt

g. Bestätigung der XXXX vom 25.9.2017, wonach der BF das Sprachcafè im Ausmaß von 40 Wochenstunden im Zeitraum Feber 2016 bis Mai 2017 besuchte

h. Bestätigung des Pastors XXXX, XXXX XXXX, vom 27.9.2017, wonach der BF seit Juni 2015 die Veranstaltungen der XXXX XXXX besucht und im März 2016 getauft und seither Mitglied der Gemeinde ist

i. Bestätigung der XXXX vom 26.9.2017, wonach der BF an diversen Deutschkursen und Bibelkreisen teilgenommen hat

j. Teilnahmebestätigung der XXXX vom 17.5.2017 betreffend Deutschkurs A2/1

k. Bestätigung der XXXX vom 18.1.2017 betreffend Deutschkurs A2

l. Bestätigung der XXXX XXXX XXXX, undatiert, über erfolgreiche Absolvierung eines Deutschkurses samt Teilnahmebestätigung

m. Teilnahmebestätigungen XXXX vom 1.10.2015, 17.12.2015 und vom 7.6.2016 über Deutschkurs Stufe 1 und Alphabetisierungskurse

n. Bestätigung der XXXX vom 15.3.2016 über Teilnahme am Deutschkurs A1 und Teilnahmebestätigung vom 28.6.2016

o. ÖSD Zertifikate A1 und A2 in Scheckkartenformat

p. Meldung über Austritt aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft am 3.10.2017, ausgestellt von Magistrat XXXX, XXXX

q. Niederschrift über Austritt aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft vom 3.10.2017, ausgestellt von Magistrat XXXX,

XXXX

4. Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid der belangten Behörde vom 27.10.2017 wurde

-

mit Spruchpunkt I der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen;

-

mit Spruchpunkt II gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen;

-

mit Spruchpunkt III ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungwürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz (FPG) 2005 eine Rückkehrentscheidung erlassen und nach § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist;

-

mit Spruchpunkt IV wurde gemäß § 55 Abs 1 bis Abs 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung Diakonie & XXXX, mit dem Schriftsatz vom 23.11.2017 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und wurde begründend im Beschwerdeschriftsatz näher ausgeführt.

6. Die belangte Behörde legte den bezughabenden Akt samt Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor und langte dieser am 5.12.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

7. Die belangte Behörde entschuldigte sich für die öffentliche mündliche Verhandlung wurde am 3.5.2018. Der nunmehrige Rechtsvertreter Rechtsanwalt Dr. XXXX gab mit Schriftsatz vom 26.4.2018 seine Vollmacht (Vertretungs- und Zustellvollmacht) bekannt.

8. Die öffentliche mündliche Verhandlung wurde am 3.5.2018 im Beisein des Mag. XXXX für Rechtsanwalt Dr. XXXX, und eines Dolmetsch für die Sprache Dari durchgeführt.

Der BF wurde nach seiner körperlichen Verfassung sowie nach allenfalls bestehenden chronischen Erkrankungen und Medikamenteneinnahmen befragt und gab er dazu an: "Ich bemühe mich, ich bin psychisch nicht in einer normalen Situation, ich habe große Schmerzen gehabt. Seit einer Woche ist es besser geworden. Ich vergesse auch viel. Die Schmerzen waren auf der linken Seite im Bauchbereich. Ich konnte nichts essen. Vier Monate lang konnte ich nur Reis essen. Ich war mehrmals beim Arzt und habe Medikamente bekommen, aber diese waren zu schwer für mich. Ich hatte Schmerzen, Durchfall. Die Medikamente nehme ich jetzt nicht mehr, nur noch welche für die Psyche".

Die vom BF vorgelegten Beweismittel sind Folgende:

* jene, welches oben unter 3.a., 3.b., 3.c., 3.d., 3.e., 3.f., 3.g.,

3. h., 3.i., 3.j., 3.k., 3.l., 3.m., 3.n., 3.p., genannt sind

* Teilnahmebestätigung der XXXX vom 6.11.2017 betreffend Deutschkurs B1/1

* Ambulanzbefund, Psychiatrisches Ambulanzzentrum des XXXX vom 3.11.2017, woraus als Diagnose hervorgeht: "mittelgradige depressive Episode, bekannte Epilepsie"

* ÖSD-Zertifikat A1 (84 Punkte von 100), "gut bestanden" vom 14.3.2017

* ÖSD-Zertifikat A2 (62 Punkte von 100), "bestanden" vom 8.8.2017

* Empfehlungsschreiben Dris. XXXX vom 10.4.2018

* Mitteilung des Herrn XXXX vom 18.4.2018, wonach ein Herr "A. H."

(eine dem Namen und dem Geburtsdatum nach vom BF verschiedene Person) konvertiert sei

In der öffentlichen mündlichen Verhandlung wurde der BF nach Hinweis auf die Mitwirkungspflicht und auf die Voraussetzungen seines Aussageverweigerungsrecht hingewiesen nach seinem Sozialleben in Afghanistan in Bezug auf Freunde, Bekannte und Aktivitäten befragt.

Es folgt ein Auszug aus dem Verhandlungsprotokoll.

R steht für Richterin, RV steht für Rechtsvertreter, Z steht für Zeuge.

BF: Meine Eltern leben in Afghanistan, in der Provinz Ghazni, Jagori. Ich habe keinen Kontakt mehr zu ihnen. Befragt warum, gebe ich an: Sie haben mich "Haq" [verstoßen] gemacht.

R: Warum haben Ihre Eltern Haq gemacht?

BF: Darüber habe ich auch erzählt. Die afghanische Regierung hat bei mir ein Buch gefunden und ich war in Haft.

R: Was war das für ein Buch?

BF: Es war eine Bibel.

Nach Aufforderung in Ruhe in freier Erzählung nochmals die Gründe, warum er das Herkunftsland verlassen und einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, zu erzählen, führte der BF aus:

"In Afghanistan habe ich psychische Probleme und Epilepsie gehabt. Ich wurde immer zu einem Mullah gebracht, immer mittwochs. Am Freitag haben sie für mich gebetet und haben geglaubt, dass ich "Jyn" habe. [das bedeutet: von einem Geist belegt]. Ich wurde von den anderen Jugendlichen ausgelacht, dass ich verrückt bin und mein Jyn auch die anderen angreifen würde. Ich habe mit großen Schwierigkeiten und Schmerzen in dieser Gesellschaft gelebt. Ich habe zu meiner Mutter gesagt, dass ich krank bin, mich bitte nicht mehr zum Mullah zu bringen und ich würde auch an den Mullah nicht glauben. Der Mullah schrieb für mich ein "Tawiz" und ich glaubte an dieses nicht, es half mir auch nicht. Die Eltern haben dann miteinander gesprochen und haben mich zu einem Arzt namens Nasrat gebracht. In Afghanistan gab es nicht so etwas wie Psychiater. Dieser Nasrat hat alles Mögliche mit mir gemacht. Er hat eine Apotheke gehabt, man hat alles von ihm bekommen, wenn man psychisch krank war, Sportverletzungen hatte oder auch wenn die Buben beschnitten wurden. Er war ein Arzt für alles.

R: Waren Sie nie in einem Krankenhaus das für Ihre Erkrankung spezialisiert war?

BF: Nein. Ich habe 7 unterschiedliche Medikamente bekommen. Fünf oder sechs Jahre habe ich die Medikamente genommen. Als ich Österreich erreicht habe, wurde mir gesagt, dass ich diese Medikamente - bis auf eines - nicht mehr nehmen soll. In Österreich habe ich dann die anderen Medikamente erhalten und es ist mir besser geworden. Ich war sehr traurig in Afghanistan und es ist mir extrem schlecht gegangen. Jemand namens XXXX war manchmal unterwegs und ist immer wieder an unserem Haus vorbeigegangen. Er hat gewusst, dass ich krank bin. Er hat gefragt wie es mir geht und ich sagte, dass ich sehr traurig sei und keine Hoffnung mehr hätte. Er hat mir ein Buch gegeben.

R: In welcher Sprache war das Buch?

BF: Farsi. Drei oder vier Mal haben wir uns zusammengesetzt und er hat dieses Buch gelesen. Auf Nachfrage: Ich habe das Buch nicht gelesen, ich war Analphabet. ER hat mir daraus vorgelesen. Dann ist er einige Zeit nicht mehr gekommen. Ich bin zu einem Freund gegangen. Ich wusste nicht, dass das Buch die Bibel war. Ich habe meinen Freund gebeten mir vorzulesen, da ich Analphabet bin. Als er das Buch gesehen hat, hat er einen Schock bekommen. Er hat gesagt, dass er heute keine Zeit hätte und er das nächste Mal lesen würde. Ich weiß nicht was genau passiert ist, ob er einen Anruf bekommen hat. Ich weiß nicht ob es am nächsten Tag oder einen Tag darauf war, die Polizei ist zu uns gekommen. Es war die staatliche Polizei. Meine Mutter hat gefragt was los sei und sie sagten, dass sie den Befehl hätten mich festzunehmen. Ich wurde von der Polizei mitgenommen und zum Kommandanten gebracht. Es wurde nicht viel geschlagen, habe nur ein paar Watschen bekommen. Sie haben mich inhaftiert und ich bin im Gefängnis gelandet. Ich war vier oder fünf Nächte dort.

R: Was hat man Ihnen vorgehalten?

BF: Mir wurde gesagt, dass ich ungläubig geworden bin ("Kafer") und die Strafe für mich die Todesstrafe wäre.

R: Hat man Ihnen angeboten, dass Sie sich wieder zum alten Glauben zurückbekehren können?

BF: Nein. In Afghanistan gibt es dafür nur die Todesstrafe. In Haft wurde ich sehr viel geschlagen, dass ich die Wahrheit sagen muss. Sie wollten wissen, zu welcher Gruppe ich gehöre und wie viele Mitglieder wir hätten usw. Sie haben mir nicht geglaubt und ich wurde immer wieder sehr viel geschlagen. Sie wollten wissen, wer noch zu unserer Gruppe gehören würde. Ich kann ihnen auch jetzt die Spuren zeigen. Sie haben mir die Zähne gebrochen, die Zähne sind alle kaputt und am Unterkiefer gibt es auch noch Spuren.

R: Was haben Sie denen gesagt, was sie Ihnen nicht geglaubt haben?

BF: Ich habe die Wahrheit gesagt, dass ich Analphabet bin und ich nicht wüsste, um welches Buch es sich gehandelt hat. Aber sie wollten unbedingt wissen, wo ich den Unterricht erhalte und wer die anderen Mitglieder sind. Ich wurde so viel geschlagen, dass ich bewusstlos geworden bin. Am nächsten Tag, als sie mich nochmals schlagen wollten, habe ich ihnen gesagt, von wem ich das Buch erhalten habe und ich nicht wusste, dass es die Bibel war. Mein Vater hat mit seinem ehemaligen Mitkämpfer namens Ehsani gesprochen und mit Hilfe von diesem Mann bin ich aus dem Gefängnis rausgekommen. Mein Onkel mütterlicherseits hat mir geholfen und bin ich dann in den Iran gegangen.

R: Warum sind Sie aus dem Iran weggegangen, da waren Sie ja schon in Sicherheit?

BF: Im Iran habe ich keine Freiheit gehabt, dort war es für mich wie im Gefängnis.

R: Erzählen Sie mir von der Zeit im Gefängnis. Beschreiben Sie mir den Haftraum, in dem Sie sich aufgehalten haben.

BF: Das war wie eine Ruine. Es war ein Lehmhaus, ganz alt, die Türen auch total alt.

R: Im Länderbericht über Afghanistan steht zu lesen, dass in Afghanistan noch kein einziger Mensch hingerichtet wurde, weil er zum christlichen Glauben übergetreten wäre. Wie erklären Sie sich das?

BF: Ich weiß es nicht. Ich weiß aber, dass man für so etwas Strafe kriegt, und die Strafe dafür ist die Todesstrafe.

R: Es gibt in Kabul sogar ein christliches Krankenhaus, was sagen Sie dazu?

BF: Ich war selber nicht in Kabul, aber ich glaube, dass viele ausländische Christen, etwa aus Deutschland, leben in Kabul, ich meine damit die ausländischen Kräfte.

R: Hat man von Ihnen verlangt, dass Sie die Konversion widerrufen?

BF: Nein.

R: Sie haben gesagt, Sie wären Analphabet und nicht wussten, dass es die Bibel ist. Wussten Sie nicht, um welches Buch es sich gehandelt hat, aus dem Ihnen Ihr Freund vorlas?

BF: Nein, ich konnte es ja nicht lesen.

R: Was stand in dem Buch, was hat er Ihnen vorgelesen?

BF: Er hat immer über die Liebe gesprochen und es hat mir sehr gut gefallen.

R: Das müssen Sie mir konkretisieren, über welche Liebe wurde gesprochen?

BF: Die Liebe zwischen den Menschen und über die Beziehung Mensch zu Gott.

R: Haben Sie in Afghanistan, bevor die Polizei gekommen ist, mit jemandem über das Buch gesprochen und darüber, dass sie sich mit Ihrem Freund darüber unterhalten?

BF: Ich habe mich nur mit meinem Freund darüber unterhalten, sonst mit niemandem.

R: Wenn Sie also nicht von der Polizei mitgenommen worden wäre, würden Sie noch immer im Geheimen mit Ihrem Freund über dieses Buch sprechen und sich mit niemandem sonst darüber unterhalten?

BF: Ja.

R: Wenn Sie nach Afghanistan zurück müssten, würden Sie mit jemand anderem, den Sie z.B. auf der Straße treffen, über dieses Buch sprechen?

BF: Ich kann nicht in Afghanistan leben, auf keinen Fall möchte ich zurückkehren.

R wiederholt die Frage.

BF: So wie es jetzt in Afghanistan ausschaut, dass man über das Christentum nicht reden darf: in dem Fall nein. Wenn die Situation dort anders wäre, dann ja.

R: Wie würden Sie sich dabei fühlen, wenn Sie in Afghanistan wären und wissen, dass Sie mit niemandem über dieses Buch und über das, was Sie in Österreich gemacht haben, sprechen dürfen?

BF: Ich würde sehr traurig sein und hoffnungslos.

R: Beschreiben Sie ‚hoffnungslos' - was kann ich mir darunter vorstellen, würden Sie sich etwas antun?

BF: Für mich bedeutet hoffnungslos, dass ich nicht erzählen kann, was ich erzählen möchte, das bedeutet für mich Tod.

R: Was möchten Sie erzählen?

BF: Ich meine, dass ich nicht über das Christentum mit den Menschen reden kann, die Leute hassen es dort. Wenn jemand konvertiert ist, möchten andere nicht einmal mit ihm gemeinsam essen.

R: Reden Sie jetzt mit mir über das Christentum. Was gibt es, was sich für Sie persönlich geändert hat, seit Sie sich für das Christentum interessieren?

BF: Ich habe mich vorher sehr schwach und krank gefühlt. Ich habe keine Hoffnung gehabt, dass ich alleine irgendwo gehen kann. Als ich an Christus geglaubt habe und Christ geworden bin, hat sich alles wahnsinnig geändert. Alles, was in meinem Herzen war und wofür ich gebetet habe, ist auch passiert. Ich habe mich sehr viel entwickelt, z. B. beim Lernen, beim Sport treiben.

R: Was hat sich für Sie innerlich geändert, von innen heraus?

BF: Ich bin sehr freundlich geworden. Für mich bedeutet diese Religion Liebe und Freundschaft. Ich habe gelernt, dank dem Christentum, wie ich leben soll.

R: Wie leben Sie jetzt?

BF: Ich bin befreit von meinen Sünden.

R: Wieso sind Sie befreit von Ihren Sünden? Was haben Sie getan, dass Sie davon befreit sind?

BF: Ich selbst habe keine Sünden gehabt, der Mensch ist mit Sünden geboren.

R: Was macht ein Mensch, damit er sich von den Sünden befreit?

BF: Liebe, Freundlichsein, nicht hinter dem Rücken anderer Menschen schlecht reden, nicht lügen.

R: Wissen Sie den Namen des Sakramentes, das es dafür gibt?

BF: Protestant.

R: Sie haben mir vorhin Ihre Ehefrau verschwiegen, lebt Sie noch in Afghanistan?

BF: Nein, sie ist im Iran. Ich habe noch Kontakt zu ihr.

R: Wie kann eine Afghanin alleine in den Iran gehen?

BF: Sie lebt bei ihrem Bruder.

R: Wie oft haben Sie Kontakt zu ihr?

BF. Zwei- oder dreimal pro Woche per Internet.

R: Wann haben Sie zuletzt Kontakt gehabt?

BF: Gestern.

R: Haben Sie Ihrer Frau erzählt, dass Sie sich für den christlichen Glauben interessieren?

BF: Ja.

R: Was sagt sie dazu?

BF: Sie sagt, dass das mein Leben wäre, ich kann für mein Leben selbst entscheiden.

R: Was haben Sie in Österreich gemacht, etwas, was ganz wichtig für Sie ist?

BF: Es ist ein Vorfall passiert. Ich war stark alkoholisiert, ich weiß nicht, ob ich es getan habe oder jemand anderer.

R: Was wirft man Ihnen vor, was haben Sie getan?

BF: Ich habe mit jemandem, einem Mann, Sex gehabt. Ich habe mein Gesicht verloren, weil dieser Vorfall passiert ist.

RV: Das höre ich heute das erste Mal.

R: Kam deshalb die Polizei?

BF: Nein.

R: Haben Sie das zuvor schon jemandem erzählt oder ist es heute das erste Mal, dass Sie darüber sprechen? Das weiß nicht einmal Ihr Rechtsanwalt.

BF: Ich habe es auch in der Kirche erzählt, sie wollten es aber nicht detailliert wissen.

R: Haben Sie es auch Ihrem Rechtsanwalt erzählt?

BF: Nicht detailliert. Ich war stark alkoholisiert und es ist passiert.

Auf Befragen gibt der RV an: Es handelt sich um einen Akt des Herrn Dr. XXXX. Gestern kam der BF spontan in die Kanzlei und brachte ohne Beisein eines Dolmetschers vor, dass es einen Vorfall im Rahmen einer Alkoholisierung gegeben habe und führte er dazu nichts näher aus. Auf Befragen der Richterin, ob mit dem BF in der Kanzlei vorher mit einem Dolmetsch an seiner Seite gesprochen wurde, gibt der Vertreter an: "Da habe ich im Akt nichts vermerkt. Am 25.4.2018 war er das erste Mal in der Kanzlei."

R: Haben Sie ein Problem damit, mit mir als Frau darüber zu sprechen?

BF: Wir sind alle Menschen, das macht mir nichts aus.

R: Was hat sich noch dramatisch für Ihr Leben verändert, seit Sie in Österreich sind?

BF: Schlechtes nichts, Dankbarkeit, mein Leben hat sich geändert. Als ich Österreich erreicht habe, habe ich keine Religion gehabt. Ich habe Recherchen über das Christentum gemacht und jetzt glaube ich an Christus und bin Christ geworden, ich bin konvertiert.

R: Welcher Religionsgemeinschaft gehören Sie jetzt an?

Bf. Ich bin Protestant.

R: Wie heißt die Kirche, in die Sie gehen?

BF: Früher war es XXXX, die Adresse der neuen Kirche weiß ich noch nicht.

R: Wissen Sie den deutschen Namen der neuen Kirche?

BF: Nein.

R: Wissen Sie den deutschen Namen der Glaubensgemeinschaft, bei der Sie jetzt sind?

BF: Ich gehöre zu den Protestanten.

R: Wissen sie den Namen der Gemeinde, auf Dari oder Arabisch, in der Sie jetzt sind?

BF: Es ist draufgeschrieben, dass es eine Kirche für alle persisch-sprechenden Leute ist.

R: Wann waren Sie zuletzt in dem Gotteshaus?

BF: Am Sonntag.

R: Um welche Uhrzeit?

BF: Halb fünf.

R: War da eine Messe?

BF: Ja.

R: Erzählen Sie mir über diese Messe, haben Sie ein Gebet gesprochen?

BF: Wir haben gesungen, aber ich kann das nicht. Dort wird auch armenisch gesprochen.

R: Können Sie mir ein Gebet sprechen, das Sie dort beten?

BF: Auf Deutsch kann ich es nicht.

R: Dann sagen Sie es mir in Ihrer Muttersprache, der Dolmetscher wird für Sie übersetzen.

BF: Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme, dein Wille geschehe. Wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Führe uns nicht in Versuchung, und deine Kraft und Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

R: Haben Sie auch eine Bibel?

BF: Ja. (ohne Übersetzung auf Deutsch)

R: Darf ich Ihre Bibel einmal sehen?

Der BF überreicht der RI die Bibel, welche von der RI, nach Nachfrage, fotografiert wird.

R: Warum haben Sie einiges in der Bibel unterstrichen?

BF: Das sind Teile, die ich sehr gerne habe.

R: Was sind Ihre Lieblingsteile, was fällt Ihnen als erstes ein?

BF: Auf Grund meiner Krankheit vergesse ich sehr viel und kann daher nicht auswendig sagen, was mir besonders gefällt.

Befragt nach dem Post-it und dessen Bedeutung gibt der BF an, dass ihm jemand in der Kirche dieses gegeben hat und ihm geraten hat, diese Stellen zu lesen. Er habe sie aber nicht gefunden.

R: Das ist aus dem Buch Maleachi, Kapitel 3, Vers 6 bis 12.

R: Erzählen Sie mir, im Vergleich zu Ihrem alten Glauben, welche wichtige Personen oder Götter gibt es in Ihrem neuen christlichen Glauben?

BF: Es sind extrem viele Namen, Ich weiß nicht was damit gemeint ist.

R: Nennen Sie mir die drei wichtigsten Namen.

BF: Josef und Ibrahim.

R: Wer sind Josef und Ibrahim?

BF: Ich glaube, Josef ist der Sohn von Ibarhim. Nein, nicht.

R: Was glauben Sie?

BF: Ich habe vieles auf Grund meiner Krankheit vergessen.

R: Sie haben vorhin ein Gebet gesprochen. Zu wem haben Sie da gebetet?

BF: Zu Gott im Himmel, zu Christus.

R: Es gibt im Christentum drei Personen, wenn man von Gott spricht. Einer ist Gott, wer sind die beiden anderen?

BF: Ich verstehe nicht was damit gemeint ist. Die Frage habe ich nicht verstanden.

R: Wer ist der Heilige Geist?

BF: Vater, Sohn und Heiliger Geist.

R: Wer ist der Heilige Geist?

BF: Der Heilige Geist wird von Gott geschickt.

R: Wie sieht er auf einem Bild aus, wie wird er dargestellt?

BF: So wie ein Bild.

R: Welches Fest gibt es, bei dem man den Heiligen Geist feiert?

BF: Zu Pfingsten. Das sind 50 Tage und 7 Wochen, nachdem Jesus in den Himmel geht.

R: Wie nennt man das, wenn Jesus in den Himmel geht?

BF: Auferstehen vom Tod.

R: Haben Sie Ihren Eltern erzählt, dass Sie sich zum christlichen Glauben hingezogen fühlen?

BF: Ich habe keinen Kontakt mehr mit ihnen.

R: Und was war vorher, Sie hatten ja noch Kontakt mit Ihrer Mutter?

BF: Ich war in Afghanistan noch in Kontakt mit meiner Mutter.

R: Warum haben Ihre Eltern Sie dann verstoßen und "Haq" gemacht?

BF: Wenn man Kafer wird, weil man nicht mehr an den Islam glaubt, bedeutet es eine große Schande für die Familie und deshalb hat sie mich verstoßen.

R: Wusste Ihre Familie, dass Sie nicht mehr an den Islam glauben?

BF: Ja, ich habe diesbezüglich mit meinen Eltern gesprochen.

R: Wann war das?

BF: Immer, als sie mich zu einem Mullah schicken wollten. Ich sagte, dass ich kein Interesse hätte, zum Mullah zu gehen.

R: Was hat Ihr Vater gesagt?

BF: Er hatte ein schlechtes Verhältnis zu mir deshalb. Aus dem Gefängnis hat er mich in Zusammenwirken mit meinem Onkel nur gerettet, um das Gesicht zu wahren.

R: Möchten Sie mir zu Ihrem Vater sonst noch etwas Besonderes erzählen?

BF: Nein.

R: Haben Sie alles zu Ihrer Flucht vorgebracht?

BF: Ja.

R: Haben Sie den Dolmetsch immer verstanden?

BF: Ja.

R: Haben Sie in Österreich auch einmal einen Epilepsieanfall gehabt?

BF: Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, einmal als ich geschlafen habe.

R: Sind Sie in regelmäßiger ärztlicher Behandlung?

BF: Ich bin jetzt beim praktischen Arzt in Behandlung, aber nicht bei einem Psychiater.

R: Wann waren Sie das letzte Mal beim praktischen Arzt in der Ordination?

BF: Vorige Woche.

R: Haben Sie Ihre Medikamente alle vom praktischen Arzt?

BF: Ja.

R: Sie haben eine Allergie erwähnt, um welche handelt es sich?

BF: Gegen Essen.

R: Welcher Art, was dürfen Sie nicht essen?

BF: Das weiß ich noch nicht, ich kann z.B. nichts Saures essen.

R: Essen Sie auch Schweinefleisch?

BF: Ja.

R: Welche Speise aus Schweinefleisch essen Sie am liebsten?

BF: Gegrilltes.

R: Wurden Sie in Afghanistan aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit jemals bedroht oder verfolgt?

BF: Nein.

R: Wurden Sie in Afghanistan aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit jemals bedroht oder verfolgt?

BF: Nein.

R: Waren Sie in Afghanistan einmal Mitglied einer Partei oder sonst politisch tätig?

BF: Nein.

R: Waren Sie in Afghanistan jemals in Haft?

BF: Ja.

R: War das der Vorfall von dem Sie vorhin gesprochen haben?

BF: Ja.

R: Sind Sie in Afghanistan vorbestraft oder werden sie mit einer staatlichen Fahndungsmaßnahmen wie Haftbefehl, Strafanzeige, Steckbrief gesucht?

BF: Nein. Auf Befragen nach Strafanzeige: Nur wegen der Geschichte die ich erzählt habe, sonst nicht.

R: Es gibt also eine Anzeige gegen Sie, wo der Staat Sie persönlich verfolgt. Ist das richtig?

BF: Schwer zu sagen, hundertprozentig kann ich das nicht bestätigen.

R: Hatten Sie in Afghanistan jemals Probleme mit Behörden, der Polizei oder einem Gericht?

BF: Außer dem heute Vorgetragenen, nein.

R: Nahmen Sie in Afghanistan an bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen aktiv teil?

BF: Nein

R: Wurden Sie in Afghanistan jemals von irgendjemandem bedroht oder verfolgt (Blutfehde, Racheakte oder dergleichen)?

BF: Nein.

R: Was befürchten Sie für Ihr Leben, wenn Sie nach Afghanistan zurückkehren müssten?

BF: Auf mich wartet nur der Tod.

R: Wenn Sie nach Mazar e Sharif, Kabul oder Herat zurückkehren würden, würden Sie dort erzählen, dass Sie sich hier in Österreich für den christlichen Glauben interessieren?

BF: Aus Angst, nein.

R: Haben Sie Familienangehörige in Österreich?

BF: Nein.

R an RV: Haben Sie Fragen?

RV: Wer ist Jesus?

BF: Das ist Gott.

RV: Welche Eltern hat Jesus?

BF: Sein Vater im Himmel ist Gott, auf Erden ist Maria die Mutter und Josef der Vater. - 14 -

RV: Wie viel kosteten die Medikamente, die Sie in Afghanistan vom Apotheker gekauft haben?

BF: Mein Vater kaufte sie, ich weiß es nicht.

Beantragt wurde die zeugenschaftliche Einvernahme des Pastors XXXX, fremd zum Beschwerdeführer, wahrheitserinnert und an die strafrechtlichen Folgen einer Falschaussage hingewiesen:

R: Sie sind Pastor in welcher Gemeinde?

Z: Ich bin Pastor in der XXXX-Gemeinde in XXXX. Ich bin beauftragt von dieser Gemeinde [Anm: der Zeuge legte als Beweis darüber eine schriftliche Beauftragung seiner Person durch die XXXX Gemeinschaft XXXX vor. Auf der Rückseite dieser Bestätigung befindet sich die Ordinationsbestätigung der Gemeinde in England und ist diese auf Persisch.]

R: Wie lange kennen Sie den BF schon?

Z: Seit ungefähr 2015, glaublich Juni. Er war im Zeltlager in XXXX. Er ist in meine Gemeinde gekommen. Ich bin gemeinsam mit einem zweiten Pastor zuständig. Zunächst habe ich mit dem BF nicht einzeln gesprochen, danach haben wir immer wieder miteinander gesprochen. Zu seinen Beweggründen hat er erzählt, dass er in seiner Heimat Interesse am Christentum entwickelt hat und Analphabet war. In der XXXX-Gemeinde gibt es Alphabetisierungs- und Deutschkurse. Es soll dabei nicht nur über den Glauben, sondern auch über Integration und Kultur gesprochen werden. Alle Predigten werden in Persisch und Deutsch vorbereitet. Wir wollen keine Insel der Seligen sein, sondern ein Teil der österreichischen Gesellschaft. Ich bin selbst Österreicher und meine Frau auch. Wir wollen daher, dass die Mitglieder ein Teil der Gesellschaft werden. Zunächst war es schwer dem BF Unterlagen zu geben. Es wurden Texte gesprochen und vorgelesen und am Handy hatte er die Bibel heruntergeladen.

R: Was war Ihr Eindruck, als Sie mit ihm gesprochen haben?

Z: Es gibt bei uns in der XXXX-Gemeinde ein Leitungsteam, und wir haben den BF von Anfang an als tüchtigen Mann, der immer die Wahrheit erzählt, wahrgenommen. Der Tag, an dem ich mit ganzem Herzen überzeugt wurde von ihm, war, als er über sein bisheriges Leben und die Bibel erzählt und dabei geweint hat. Wir sehen auch nicht nur was wir in der Gemeinde von ihm sehen, sondern auch, wie er mit Menschen umgeht; wir betrachten das ganze Leben. Aus ideologischer Sicht sehe ich seine Überzeugung so: das Christentum hat mit dem Islam Übereinstimmungen und auch die gleichen Schlüsselworte, aber ist das Christentum eine zweiseitige Sprache, eine Beziehung mit Gott und wenn jemand die Gebete spricht, dann merkt man, ob es islamisch oder christlich gemeint ist. Man merkt dann, ob derjenige im neuen oder im alten Glauben denkt und ob es zu einer Änderung im Herzen gekommen ist. Für mich ist das leichter zu verstehen und zu sehen, da der BF und ich aus dem gleichen Kulturkreis kommen und auch die gleiche Sprache sprechen.

R: Hat Ihnen der BF gesagt, was er als Christ für sein Leben befürchtet, wenn er nach Hause zurückkehren müsste?

Z: Ich lege Ihnen einen Zettel vor, auf dem ich den Bruder eines Leiters unserer Gemeinde niedergeschrieben habe. Dieser ist einer der Märtyrer im Iran, er wurde getötet mit 70 Messerstichen. Ihm wurde mit einem Krampen das Herz herausgerissen, weil er Christ war und unter Muslimen gearbeitet hat [Anm: Als Beilage ./E zur Verhandlungsschrift genommen]. Ein anderes Beispiel ist das eines assurischen Ehepaares, welches als Christen geboren war, (assurische Volksgruppe, eine der beiden verbliebenen christlichen Gemeinschaften im Iran): diese fassten je 10 Jahre Gefängnis aus.

In Afghanistan ist es noch schwerer.

Von der inzwischen im Iran geschlossenen Pfingstgemeinde wurden Missionare nach Afghanistan entsendet. In Afghanistan wird im Verborgenen das Christsein gelebt, sehr leise und nur maximal eine Familie, oft wird per Skype gearbeitet, jegliche christliche Unterlagen dürfen nicht verwendet werden. Das Problem ist, dass man in Afghanistan als Christ in das Gefängnis kommt. Problematisch ist insbesondere die Gesellschaft, die Bevölkerung richtet selbst und wenn ein Moslem einen Christ tötet, dann wird dies nicht bestraft. Es wird nicht gesagt, dass man wegen Konversion eingesperrt wird, sondern wird immer mit "gegen nationale Sicherheit" argumentiert. Nachzulesen ist das alles in "Mohabat NEWS".

Auf Befragung des RV: Die Taufvorbereitungen dauern bei uns immer sechs Monate bis ein Jahr, manchmal taufen wir denjenigen auch nicht, wenn wir sehen, dass sein Leben mit der Bibel nicht übereinstimmt. Ich habe sogar solche abgelehnt, die Casinojetons verkauft haben. Oder solche, die Probleme mit der Polizei bekommen, dann sagen wir, das ist nicht mit der Bibel vereinbar. Wir sprechen dann mit ihnen oder verweigern sogar die Taufe. Im letzten Jahr habe ich drei Personen die Taufe verweigert.

RV: Hat sich nach der Taufe des BF seine Beziehung zur Gemeinde verändert?

Z: Nein, sie wurde sogar besser. Er war immer da, bis auf die Zeit im Krankenhaus. Wenn es zeitliche Probleme gibt, ruft er an.

RV: Welche Veranstaltungen organisieren Sie außerhalb der Messe, an denen der BF auch teilnimmt?

Z: Es gibt immer zwei- oder dreitägige Veranstaltungen. Auch bei Schulungen ist der BF dabei. Er ist immer da. Ich kann wirklich sagen, dass die Kirchengemeinde für uns und auch für ihn ein zweites Zuhause ist.

R: Wollen Sie noch etwas fragen?

BF: Nein.

Zum Länderbericht brachte der Rechtsvertreter vor: "Es wird darauf verwiesen, dass die Konversion in Afghanistan als Apostasie angesehen wird. Diese kann sogar mit dem Tode bestraft werden, zumindest aber mit langen und qualvollen Freiheitsstrafen. Im Falle der Rückkehr des BF nach Afghanistan ist auch zu beachten, dass er keine adäquate medizinische Versorgung erhalten wird und er dadurch höchstwahrscheinlich auch arbeitsunfähig sein wird. Er gerät dann in eine existenzbedrohende Situation. Es wird beantragt der Beschwerde, wie in der Beschwerdeschrift ausgeführt, stattzugeben".

Der Rechtsvertretung wurde in der Verhandlung mitgeteilt, dass für den Fall, dass bis zur Zustellung der Entscheidung eine neue Fassung des Länderberichts der Staatendokumentation herauskommen sollte, eine allfällige Stellungnahme hiezu dem Gericht ohne Aufforderung zu übermitteln ist.

9. Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass die erkennende Richterin zur Abklärung, ob es bei Erklärung des Austritts zwischen der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich und der im Herkunftsstaat ansässigen Islamischen Glaubensgemeinschaft einen etwaigen Informationsfluss gibt, wurde - in einem anderen Beschwerdeverfahren - im Mai 2018 eine Anfrage an die Staatendokumentation gestellt: [...] "ob es Ihnen bekannt ist, ob in Österreich vorgenommene Religionsaustritte seitens der Islamisch-Schiitischen Glaubensgemeinschaft in den Herkunftsstaat [Anm: im damaligen Fall: Iran] gemeldet werden". Die Rückmeldung vom 14.7.2018, Aktenzahl: BMI-BA123001/0538-FA-B/III/2018, ergab, dass die seitens der von den Bezirksverwaltungsbehörden informierte Islamischen Schiitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (Schia) keine Informationen über Austritte weitergibt.

10. Den BF anbelangend übermittelte die belangte Behörde mit E-Mail vom 21.9.2018 einen Abschlussbericht der LPD Oberösterreich, PI XXXX, vom 18.9.2018, XXXX, wonach der BF wegen dem Verdacht auf versuchte schwere Körperverletzung am 7.9.2018 der Staatsanwaltschaft XXXX angezeigt wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Das BVwG geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgebenden Sachverhalt aus:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und zu seinen Fluchtgründen wird festgestellt:

1.1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Seine Muttersprache ist Dari. Der Beschwerdeführer hat keine Angehörigen im Bundesgebiet. Der Beschwerdeführer ist traditionell verheiratet und lebt seine Ehefrau außerhalb Österreichs.

1.1.2. Er reiste schlepperunterstützt unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am 30.5.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes den Antrag auf internationalen Schutz.

1.1.3. Der Beschwerdeführer gab am 1.6.2015 bei der Erstbefragung nach dem Asylgesetz durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes vor der PI XXXX an, "keine" Religionszugehörigkeit zu haben.

1.1.4. Der Beschwerdeführer ist in Österreich unbescholten, lebt von der Grundversorgung.

1.1.5. Der Beschwerdeführer besuchte seit Juni 2015 die Veranstaltungen der XXXX XXXX (Persische Gemeinde XXXX, Kelisaye XXXX). Der Beschwerdeführer wurde am XXXX2016 in der XXXX XXXX getauft. Der Beschwerdeführer hat am 3.10.2017 den Austritt aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft bei der hierfür zuständigen Behörde gemeldet.

1.1.6. Der Beschwerdeführer weist Wissen um die christliche Religion auf.

1.1.7. Der Beschwerdeführer ist während seines Aufenthaltes in Österreich aus freier persönlicher Überzeugung zum Christentum konvertiert und würde seinen Glauben aus Angst im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat verheimlichen.

1.2. Zur Situation in Afghanistan wird festgestellt:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 letzte Kurzinformation eingefügt am 11.09.2018:

Politische Lage

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28. Februar 2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.3.2018; vgl. TS 28.2.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 7.3.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.3.2018; vgl. TD 7.3.2018, NZZ 28.2.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.4.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen.

Am 19.5.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.5.2018).

Am 7.6.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.6.2018 - 20.6.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich am 4.6.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 7.6.2018, RFL/RL 5.6.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 5.6.2018). Die Taliban selbst gingen am 9.6.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.6.2018; vgl. TH 10.6.2018, Tolonews 9.6.2018).

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der err

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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