Entscheidungsdatum
21.11.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W256 2199713-1/6E
W256 2199723-1/4E
W256 2199716-1/4E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Caroline KIMM als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1. XXXX, geboren am XXXX, 2. XXXX, geboren am XXXX und 3. XXXX, geboren am XXXX, alle StA. Somalia, alle vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29. Mai 2018, 1. Zl. XXXX,
2. Zl. XXXX, 3. Zl. XXXX:
A) Die angefochtenen Bescheide werden betreffend Spruchpunkt I.
gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheiten zur Erlassung von neuen Bescheiden an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind seit 16. Oktober 2016 miteinander verheiratet. Sie sind Eltern der am XXXX geborenen Drittbeschwerdeführerin.
Die Erstbeschwerdeführerin stellte am 16. April 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Dabei führte sie im Rahmen ihrer am selben Tag erfolgten Erstbefragung - wie auch bei ihrer Befragung vor der belangten Behörde am 21. Juni 2016 - zu ihren Fluchtgründen befragt im Wesentlichen aus, sie habe Schande über ihre Familie gebracht, weil sie sich gegen eine Zwangsverheiratung gestellt habe und sie überdies vergewaltigt worden sei.
Der Zweitbeschwerdeführer stellte am 21. Juni 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005. Dabei führte er im Rahmen seiner Erstbefragung - wie auch bei seiner Befragung vor der belangten Behörde am 7. September 2016 - zu seinen Fluchtgründen befragt im Wesentlichen aus, ihm drohe im Falle einer Rückkehr nach Somalia Verfolgung durch die Al-Shabab.
Am 18. Mai 2018 stellten die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer als gesetzliche Vertreter für ihre am XXXX geborene Tochter, die Drittbeschwerdeführerin, einen Antrag auf internationalen Schutz (und zwar "auf Gewährung desselben Schutzes - nämlich Zuerkennung des Asylberechtigten") nach dem AsylG 2005.
Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten jeweils ab (Spruchpunkt I.), der Status der subsidiär Schutzberechtigten wurde ihnen dagegen jeweils zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung jeweils erteilt (Spruchpunkt III). Begründend führte die belangte Behörde - soweit hier wesentlich zu Spruchpunkt I. - aus, die geltend gemachten Fluchtgründe der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers seien nicht glaubhaft. Da insofern weder der Erstbeschwerdeführerin, noch dem Zweitbeschwerdeführer Asyl zuzuerkennen gewesen sei, komme auch in Bezug auf die Drittbeschwerdeführerin eine solche Zuerkennung im Familienverfahren nicht in Betracht.
Gegen Spruchpunkt I. dieser Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde der Beschwerdeführer. Die belangte Behörde sei zu Unrecht von der Unglaubwürdigkeit der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers in Bezug auf ihre Fluchtgeschichte ausgegangen. Im Übrigen habe die belangte Behörde es aber auch unterlassen, die Erstbeschwerdeführerin und den Zweitbeschwerdeführer als gesetzliche Vertretung zu den eigenen Fluchtgründen der Drittbeschwerdeführerin zu befragen. Der Drittbeschwerdeführerin drohe im Falle einer Rückkehr nach Somalia Verfolgung als Mädchen, insbesondere im Hinblick auf eine Genitalverstümmelung und habe sich die belangte Behörde damit in keiner Weise auseinandergesetzt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A)
Zur Drittbeschwerdeführerin:
Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt nach § 28 Abs. 2 Ziffer 2 voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
In seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Zl. Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. jüngst auch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Jänner 2017, Zl. Ra 2016/12/0109, Rz 18ff.).
Der angefochtene Bescheid ist in Bezug auf die Drittbeschwerdeführerin mangelhaft:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Im vorliegenden Fall haben die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer auch für ihre minderjährige Tochter, die Drittbeschwerdeführerin und damit für eine Familienangehörige im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
§ 34 Abs. 4 AsylG 2005 ordnet ausdrücklich an, dass jeder Antrag eines Familienangehörigen gesondert zu prüfen und über jeden mit gesondertem Bescheid abzusprechen ist.
Daraus folgt aber, dass für jeden Familienangehörigen allfällige eigene Fluchtgründe zu ermitteln sind. Nur wenn solche - nach einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren - nicht hervorkommen, ist dem Familienangehörigen jener Schutz zu gewähren, der bereits einem anderen Familienangehörigen gewährt wurde (siehe dazu u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. März 2015, Ra 2014/19/0063 m.v.w.H sowie jüngst das Erkenntnis des Verwaltungsgerichthofes vom 15. Oktober 2018, Ra 2018/14/0143).
Im vorliegenden Fall hat sich die belangte Behörde mit den eigenen Fluchtgründen der Drittbeschwerdeführerin in keiner Weise auseinandergesetzt. Jedenfalls kann weder den vorlegten Verwaltungsakten, noch den angefochtenen Bescheiden entnommen werden, dass die belangte Behörde diesbezügliche Erhebungen, wie insbesondere eine Einvernahme der Eltern der Drittbeschwerdeführerin, in irgendeiner Form durchgeführt hat.
Vor dem Hintergrund der obigen Rechtslage wäre die belangte Behörde aber verpflichtet gewesen, sich mit dem Antrag der Drittbeschwerdeführerin, insbesondere mit ihren eigenen Fluchtgründen, gesondert auseinanderzusetzen. Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass - wie auch in der Beschwerde letztlich vorgebracht - gerade Mädchen in Somalia eine asylrelevante Verfolgung aufgrund einer Genitalverstümmelung drohen kann (siehe dazu die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Juni 2017, Ra 2017/01/0039 und vom 1. März 2018, Ra 2017/19/0545 u.v.m.).
Da sich die belangte Behörde mit den Fluchtgründen der Drittbeschwerdeführerin gar nicht auseinandergesetzt hat und der maßgebliche Sachverhalt somit nicht feststeht, war im Hinblick auf diese besonders gravierenden Ermittlungslücken eine Zurückverweisung erforderlich und auch gerechtfertigt (vgl. dazu den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Oktober 2015, Zl. Ra 2015/09/0088).
Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren angehalten, sich mit den Fluchtgründen der Drittbeschwerdeführerin (eingehend) auseinanderzusetzen und dazu konkrete Ermittlungsschritte, sei es durch eine gezielte Befragung der Eltern der Drittbeschwerdeführerin, durch Einholung von entsprechenden Länderberichten oder durch weitere sich daraus ergebender Maßnahmen, zu setzen.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Denn die belangte Behörde ist als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig. Überdies soll eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind daher im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Folglich war das Verfahren betreffend die Drittbeschwerdeführerin zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Zur Erstbeschwerdeführerin und zum Zweitbeschwerdeführer:
Wie bereits oben ausgeführt wurde, handelt es sich bei der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweitbeschwerdeführer um Familienangehörige der Drittbeschwerdeführerin im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005. Da das die Drittbeschwerdeführerin betreffende Verfahren hinsichtlich der Gewährung des Status einer Asylberechtigten wieder bei der belangten Behörde anhängig ist und gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 Verfahren von Familienangehörigen "unter einem" zu führen sind, waren die die Erstbeschwerdeführerin und den Zweitbeschwerdeführer betreffenden Bescheide ebenso an die belangte Behörde zurückzuverweisen (siehe dazu die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Juni 2011, 2011/23/0098; vom 25. November 2009, 2007/01/1153; sowie vom 26. Juni 2007, 2007/20/0281, ua).
Eine mündliche Verhandlung konnte im vorliegenden Fall gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass die angefochtenen Bescheide "aufzuheben" waren. Dieser Tatbestand ist auch auf Beschlüsse zur Aufhebung und Zurückverweisung anwendbar (vgl. zur gleichartigen früheren Rechtslage Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 22).
Zu Spruchpunkt B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommt, wenn die Verwaltungsbehörde bloß ungeeignete Ermittlungen gesetzt hat, entspricht der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Familienangehöriger,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W256.2199723.1.00Zuletzt aktualisiert am
15.01.2019