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10/07 Verfassungs- und VerwaltungsgerichtsbarkeitNorm
B-VG Art140 Abs1 Z1 litdLeitsatz
Zurückweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung einer Bestimmung der Strafprozessordnung betreffend den Ausschluss des Rechts auf eine Kopie einer kontradiktorischen Vernehmung im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren mangels Vorliegens einer entschiedenen RechtssacheSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag begehrt der Antragsteller, den dritten Satz des §165 Abs5a Strafprozeßordnung 1975 ("StPO"), BGBl 631/1975, idF BGBl I 26/2016 als verfassungswidrig aufzuheben.
II. Rechtslage
Die §§51, 52, 53, 54 und 165 Strafprozeßordnung 1975 ("StPO"), BGBl 631/1975, idF BGBl I 32/2018 lauten (die angefochtene Wortfolge – idF BGBl I 26/2016 – ist hervorgehoben):
"Akteneinsicht
§51. (1) Der Beschuldigte ist berechtigt, in die der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft und dem Gericht vorliegenden Ergebnisse des Ermittlungs- und des Hauptverfahrens Einsicht zu nehmen. Das Recht auf Akteneinsicht berechtigt auch dazu, Beweisgegenstände in Augenschein zu nehmen, soweit dies ohne Nachteil für die Ermittlungen möglich ist.
(2) Soweit die im §162 angeführte Gefahr besteht, ist es zulässig, personenbezogene Daten und andere Umstände, die Rückschlüsse auf die Identität oder die höchstpersönlichen Lebensumstände der gefährdeten Person zulassen, von der Akteneinsicht auszunehmen und Kopien auszufolgen, in denen diese Umstände unkenntlich gemacht wurden. Im Übrigen darf Akteneinsicht nur vor Beendigung des Ermittlungsverfahrens und nur insoweit beschränkt werden, als besondere Umstände befürchten lassen, dass durch eine sofortige Kenntnisnahme von bestimmten Aktenstücken der Zweck der Ermittlungen gefährdet wäre. Befindet sich der Beschuldigte jedoch in Haft, so ist eine Beschränkung der Akteneinsicht hinsichtlich solcher Aktenstücke, die für die Beurteilung des Tatverdachts oder der Haftgründe von Bedeutung sein können, ab Verhängung der Untersuchungshaft unzulässig.
(3) Einfache Auskünfte können auch mündlich erteilt werden. Hiefür gelten die Bestimmungen über Akteneinsicht sinngemäß.
§52. (1) Soweit dem Beschuldigten Akteneinsicht zusteht, sind ihm auf Antrag und gegen Gebühr Kopien (Ablichtungen oder andere Wiedergaben des Akteninhalts) auszufolgen oder ist ihm nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten zu gestatten, Kopien selbst herzustellen, sofern dieses Recht nicht durch einen Verteidiger ausgeübt wird (§57 Abs2). Ton- oder Bildaufnahmen, deren Besitz allgemein verboten ist, oder die Inhalte betreffen, die gemäß §51 Abs2 erster Satz der Akteneinsicht nicht unterliegen, sind davon ausgenommen; betrifft deren Inhalt schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen anderer Beteiligter des Verfahrens oder Dritter, so ist dem Beschuldigten die Pflicht zur Geheimhaltung dieser Aufnahmen aufzuerlegen (§301 Abs2 StGB). Sofern dies zur Gewährleistung der Datensicherheit erforderlich ist, sind dem Beschuldigten die Kopien auf von den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung gestellten Datenträgern gegen den Ersatz deren Anschaffungskosten zu übergeben.
(2) In folgenden Fällen hat der Beschuldigte keine Gebühren nach Abs1 zu entrichten:
1. wenn und so lange ihm Verfahrenshilfe bewilligt wurde,
2. wenn er sich in Haft befindet, bis zur ersten Haftverhandlung oder zur früher stattfindenden Hauptverhandlung hinsichtlich aller Aktenstücke, die für die Beurteilung des Tatverdachts oder der Haftgründe von Bedeutung sein können,
3. für Befunde und Gutachten von Sachverständigen, Behörden, Dienststellen und Anstalten.
(3) Dem Verfahrenshilfeverteidiger sind unverzüglich Kopien des Aktes von Amts wegen, im Haftfall durch das Gericht zuzustellen. Gleiches gilt für die Fälle des Abs2 Z2 und 3. Der Verteidiger des in Haft befindlichen Beschuldigten kann beantragen, dass ihm durch die Staatsanwaltschaft Kopien der in Abs2 Z2 und 3 angeführten Aktenstücke auch in weiterer Folge von Amts wegen übermittelt werden.
Verfahren bei Akteneinsicht
§53. (1) Einsicht in den jeweiligen Akt kann im Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft und bis zur Erstattung des Abschlussberichts (§100 Abs2 Z4) auch bei der Kriminalpolizei begehrt werden, im Hauptverfahren bei Gericht. Solange der Beschuldigte in Untersuchungshaft angehalten wird, hat ihm auf Antrag auch das Gericht Akteneinsicht in die im §52 Abs2 Z2 angeführten Aktenstücke zu gewähren.
(2) Soweit Akteneinsicht zusteht, ist sie grundsätzlich während der Amtsstunden in den jeweiligen Amtsräumen zu ermöglichen. Im Rahmen der technischen Möglichkeiten kann sie auch über Bildschirm oder im Wege elektronischer Datenübertragung gewährt werden.
Verbot der Veröffentlichung
§54. Der Beschuldigte und sein Verteidiger sind berechtigt, Informationen, die sie im Verfahren in nicht öffentlicher Verhandlung oder im Zuge einer nicht öffentlichen Beweisaufnahme oder durch Akteneinsicht erlangt haben, im Interesse der Verteidigung und anderer überwiegender Interessen zu verwerten. Es ist ihnen jedoch untersagt, solche Informationen, soweit sie personenbezogene Daten anderer Beteiligter des Verfahrens oder Dritter enthalten und nicht in öffentlicher Verhandlung vorgekommen sind oder sonst öffentlich bekannt wurden, in einem Medienwerk oder sonst auf eine Weise zu veröffentlichen, dass die Mitteilung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wird, wenn dadurch schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen (§1 Abs1 DSG) anderer Beteiligter des Verfahrens oder Dritter, die gegenüber dem öffentlichen Informationsinteresse überwiegen, verletzt würden.
[…]
Kontradiktorische Vernehmung des Beschuldigten oder eines Zeugen
§165. (1) Eine kontradiktorische Vernehmung sowie die Ton- oder Bildaufnahme einer solchen Vernehmung des Beschuldigten oder eines Zeugen ist zulässig, wenn zu besorgen ist, dass die Vernehmung in einer Hauptverhandlung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht möglich sein werde.
(2) Die kontradiktorische Vernehmung hat das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft in sinngemäßer Anwendung der Bestimmungen der §§249 und 250 durchzuführen (§104). Das Gericht hat der Staatsanwaltschaft, dem Beschuldigten, dem Opfer, dem Privatbeteiligten und deren Vertretern Gelegenheit zu geben, sich an der Vernehmung zu beteiligen und Fragen zu stellen.
(3) Bei der Vernehmung eines besonders schutzbedürftigen Opfers (§66a) oder sonst eines Zeugen, auf den die in §66a erwähnten Kriterien zutreffen, oder sonst im Interesse der Wahrheitsfindung ist auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder von Amts wegen die Gelegenheit zur Beteiligung derart zu beschränken, dass die Beteiligten des Verfahrens (Abs2) und ihre Vertreter die Vernehmung unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung mitverfolgen und ihr Fragerecht ausüben können, ohne bei der Befragung anwesend zu sein. Insbesondere beim Vorliegen besonderer Schutzbedürftigkeit kann ein Sachverständiger mit der Befragung beauftragt werden. In jedem Fall ist dafür Sorge zu tragen, dass eine Begegnung des Zeugen mit dem Beschuldigten und anderen Verfahrensbeteiligten möglichst unterbleibt.
(4) Einen minderjährigen Zeugen, der durch die dem Beschuldigten zur Last gelegte Straftat in seiner Geschlechtssphäre verletzt worden sein könnte, hat das Gericht in jedem Fall auf die in Abs3 beschriebene Art und Weise zu vernehmen, die übrigen besonders schutzbedürftigen Opfer (§66a) und die in §156 Abs1 Z1 und 2 erwähnten Zeugen über ihren Antrag oder jenen der Staatsanwaltschaft.
(5) Vor der Vernehmung hat das Gericht den Zeugen überdies darüber zu informieren, dass das Protokoll in der Hauptverhandlung verlesen und Ton- oder Bildaufnahmen der Vernehmung vorgeführt werden können, auch wenn er im weiteren Verfahren die Aussage verweigern sollte. Soweit ein Sachverständiger mit der Durchführung der Befragung beauftragt wurde (Abs3), obliegt diesem die Vornahme dieser Information und jener nach §161 Abs1. Auf das Alter und den Zustand des Zeugen ist dabei Rücksicht zu nehmen. Die Informationen und darüber abgegebene Erklärungen sind zu protokollieren.
(5a) Erfolgt die Vernehmung unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung, so ist die Aufnahme in jedem Fall unverzüglich in Vollschrift zu übertragen und als Protokoll zum Akt zu nehmen. Im Fall einer Vernehmung eines Zeugen, der durch die dem Beschuldigten zur Last gelegte Straftat in seiner Geschlechtssphäre verletzt worden sein könnte, ist die Aufnahme durch das Gericht (§31 Abs1) zu verwahren und nach Einbringen der Anklage dem zuständigen Gericht zu übermitteln. Entgegen §52 Abs1 besteht in diesem Fall kein Recht auf Ausfolgung einer Kopie.
(6) Im Übrigen sind die Bestimmungen dieses Abschnitts sinngemäß anzuwenden."
III. Sachverhalt und Antragsvorbringen
1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Gegen den Antragsteller im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verbrechens nach §§207 Abs1, 15 Abs1 StGB, des Vergehens nach §207a Abs1 Z2 und 3 zweiter Satz StGB sowie des Vergehens nach §§212 Abs1 Z1, 15 Abs1 StGB bei der Staatsanwaltschaft Linz anhängig. Am 23. Mai 2018 fand im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens eine kontradiktorische Vernehmung der Opfer statt. Am 9. Juli 2018 beantragte der Antragsteller bei der Staatsanwaltschaft Linz die Ausfolgung zweier Kopien der dabei angefertigten Aufnahmen. Gestützt auf §165 Abs5a StPO lehnte die Staatsanwaltschaft dieses Ersuchen ab.
Gegen die Verwehrung der Ausfolgung einer Kopie erhob der Antragsteller Einspruch wegen Rechtsverletzung gemäß §106 StPO, den das Landesgericht Linz mit Beschluss vom 12. August 2018 mit folgender Begründung abwies:
"Im vorliegenden Fall sind die beiden vernommenen Zeugen, die Geschwister […] und […], als besonders schutzbedürftige (mutmaßliche) Opfer des Beschuldigten im Sinne des §66 a Abs1 Ziffer 1 und 3 StPO anzusehen. Es besteht der Verdacht, dass sie durch die dem Beschuldigten zur Last gelegten Straftaten in ihrer Geschlechtssphäre verletzt worden sein könnten. Nachdem §165 Abs5a StPO vorsieht, dass in diesem Fall – entgegen §52 Abs1 StPO – kein Recht auf Ausfolgung der Aufnahme über die kontradiktorische Einvernahme besteht, ist der Beschuldigte durch die Entscheidung der Staatsanwaltschaft in keinem subjektiven Recht verletzt worden, da die Anklagebehörde die Ausfolgung berechtigterweise verweigerte."
Gegen diesen Beschluss erhob der Antragsteller eine – offenkundig zulässige – Beschwerde an das Oberlandesgericht Linz und stellte rechtzeitig den vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag.
2. Der Antragsteller legt die Bedenken, die ihn zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof veranlasst haben, wie folgt dar (ohne die Hervorhebungen im Original):
"Art6 EMRK gewährt das Recht auf effektive Verteidigung. Dieses ist durch die Einschränkung des §165 Abs5a dritter Satz StPO nicht gewährleistet (vor allem nicht effektiv).
Durch die Beschränkung, die Besichtigung auf DVD gespeicherte Vernehmungen durch den Beschuldigten, die Verteidigung oder einen privat zugezogenen SV immer nur beim verfahrensführenden Gericht zu gestatten, ist die Effektivität der Verteidigung substantiell beeinträchtigt.
Es darf als notorisch angesehen werden, dass Verteidiger selten die Möglichkeit haben tagelang bei Gericht Akteneinsicht zu nehmen. Überdies ist eine massive Verteuerung der Verteidigung dadurch gegeben, dass der Verteidiger oder der privat beigezogene SV immer zum (unter Umständen weit entfernten) Gericht fahren muss um (Teile der) die DVD – nur in den Amtsstunden anzusehen.
Diese Beschränkung die man an sich unter dem Schutz des möglichen Opfers noch als zulässig ansehen könnte, ist unverhältnismäßig. Die Strafbestimmung des §54 StPO scheint einen ausreichenden Schutz des möglichen Opfers zu gewährleisten. Es ist auch nicht bekannt, dass diese Strafbestimmung sich im täglichen Rechtsleben als ineffektiv herausgestellt hätte.
Zur Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen darf auch auf die E des VfGH 2012/12/13, G137/11 verwiesen werden.
'2.8. Auch das (gegebenenfalls durchsetzbare) Abspielen der Filmdokumente im Rahmen der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung ist nicht geeignet, die durch Art6 EMRK garantierte angemessene Vorbereitung der Verteidigung zur möglichen Verdachtsentkräftung - ohne Nachteil gegenüber der Strafverfolgungsbehörde - zu gewährleisten.'
Offenbar ist zwar nunmehr die Waffengleichheit hergestellt (auch die StA bekommt keine DVD der Kopie) die Effektivität der Verteidigung ist aber unangemessen behindert. Es ist für die Verteidigung überaus einschränkend, diese DVD auch bei der Vorbereitung nicht ständig zur Verfügung zu haben (auch außerhalb der Amtsstunden, an Wochenenden und am Abend)."
IV. Zur Zulässigkeit
1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.
Voraussetzung eines Parteiantrages auf Normenkontrolle ist – entsprechend der Formulierung des Art140 Abs1 Z1 litd B-VG – die Einbringung eines Rechtsmittels in einer "in erster Instanz entschiedenen Rechtssache", somit eines Rechtsmittels gegen eine die Rechtssache erledigende Entscheidung erster Instanz (vgl VfSlg 20.001/2015; VfGH 25.2.2016, G659/2015).
2. Der vorliegende Antrag wird aus Anlass einer Beschwerde gegen einen Beschluss des Landesgerichtes Linz gestellt, mit dem ein Einspruch wegen Rechtsverletzung gemäß §106 StPO abgewiesen wurde.
Im Hinblick auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren ist (nur) dann vom Vorliegen einer "in erster Instanz entschiedenen Rechtssache" und damit von der Zulässigkeit eines Parteiantrages auszugehen, wenn der betreffende Akt nicht (mehr) durch Rechtsmittel gegen das auf Grund einer Anklage im Hauptverfahren ergehende (kondemnierende) Urteil angefochten werden kann (VfSlg 20.001/2015; VfGH 7.10.2015, G372/2015; 22.9.2016, G176/2016).
Ein solcher Fall liegt hier nicht vor: Der Beschuldigte bzw Angeklagte hat die Möglichkeit, auch während der Hauptverhandlung einen Antrag auf Ausfolgung einer Kopie der Aufnahme der kontradiktorischen Vernehmung – allenfalls in Verbindung mit einem Vertagungsantrag – zu stellen und die Verweigerung dieses Begehrens im Rahmen einer Nichtigkeitsbeschwerde gegen das kondemnierende Urteil (gestützt auf §281 Abs1 Z4 StPO) geltend zu machen (VfGH 5.12.2016, G236/2016; Achammer, WK-StPO [2009] §53 Rz 38; Haißl, in Schmölzer/Mühlbacher [Hrsg.] StPO, Band 1 [2013] §51 Rz 27).
V. Ergebnis
3. Dem Antragsteller fehlt daher mangels Vorliegens einer "in erster Instanz entschiedenen Rechtssache" iSd Art140 Abs1 Z1 litd B-VG die Legitimation zur Antragstellung. Der Antrag ist somit zurückzuweisen.
4. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
VfGH / Parteiantrag, Strafrecht, Strafprozessrecht, Staatsanwaltschaft, Ermittlungsverfahren, VfGH / LegitimationEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2018:G243.2018Zuletzt aktualisiert am
14.01.2019