TE Vfgh Erkenntnis 2018/9/24 E3106/2018

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Veröffentlicht am 24.09.2018
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
BFA-VG §21 Abs7
EU-Grundrechte-Charta Art47 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch Abweisung des Antrags eines iranischen Staatsangehörigen auf internationalen Schutz und Erlassung einer Rückkehrentscheidung; keine hinreichende Klärung des Sachverhalts betreffend der Glaubwürdigkeit seiner Konvertierung zum Christentum

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfas-sungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art47 Abs2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskos-ten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am 17. Jänner 2017 einen Antrag auf internationa-len Schutz.

1.1. In der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am gleichen Tag gab der Beschwerdeführer an, bei einem vorherigen rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich mit dem Christentum in Berührung gekommen zu sein, sich im Iran weiter mit dieser Religion beschäftigt zu haben und schließlich – im Iran – zum Christentum konvertiert zu sein. Die iranische Religionspolizei habe eine Wohnung gestürmt, in der er sich mit anderen Gläubigen mit dem Christentum befasst habe. Ihm sei die Flucht gelungen. Im Falle einer Rückkehr fürchte er um sein Leben.

1.2. In der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 19. März 2018 gab der Beschwerdeführer an, Christ (Protestant – Baptist) zu sein. Er habe aus innerer Überzeugung die Religion gewechselt. Innerlich sei er Christ gewesen, bevor er nach seinem ersten – rechtmäßigen – Aufenthalt in Österreich in den Iran zurückgekehrt sei. Im Iran habe er sich in einer Hauskirche betätigt, die er insgesamt sechs- oder siebenmal besucht habe. Am 1. Jänner 2017 hätten Beamte in Zivilkleidung die Hauskirche gestürmt, ihm sei es aber mit ein paar anderen gelungen, zu fliehen. In der Folge habe er sich bei einem Freund versteckt, aber einen Anruf erhalten, dass Beamte die Wohnung seiner Eltern durchsucht und angedroht hätten, ihn lebendig zu verbrennen. Daraufhin sei er mit finanzieller Unterstützung seines Vaters geflüchtet.

Der Beschwerdeführer legte eine "Taufurkunde" vom 30. Juni 2017 des Bundes der Baptistengemeinde in Österreich vor.

2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit Bescheid vom 13. April 2017 den Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch eines subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I. und II.). Es erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichti-gungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und sprach aus, dass die Abschiebung in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für eine freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen bemessen (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs komme es bei der Beurteilung der Frage, ob tatsächlich eine Konversion vorliege, nicht auf den Formalakt der Taufe, sondern auf die innere Einstellung an. Die Ausführungen des Beschwerdeführers seien nicht fundiert und substantiiert, sein Vorbringen stelle vielmehr eine gedankliche Konstruktion dar. Es hätten keine inneren Beweggründe für eine Konversion zum Christentum und für die Konfessionswahl des Baptismus festgestellt werden können.

3. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht führte der Beschwerdeführer aus, die Behörde habe ihre Ermittlungspflicht verletzt. Er sei aufgrund seiner inneren Überzeugungen zum Christentum konvertiert und deshalb im Iran der Gefahr willkürlicher Verhaftung, Folterung, Misshandlung und auch der Todesstrafe ausgesetzt. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Behörde zum Schluss komme, er sei nur zum Schein konvertiert. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe nicht, weil Apostasie im ganzen Land einen Straftatbestand darstelle.

4. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Erkenntnis vom 25. Juni 2018 ab. Es führte begründend aus, dass der Beschwerdeführer im Iran keiner aktuellen, unmittelbaren, persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder Gefährdung ausgesetzt gewesen sei. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert sei. Die behaupteten Fluchtgründe seien nur abstrakt und unkonkret, geschildert worden, der Beschwerdeführer habe kein nachvollziehbares Vorbringen dargelegt, weshalb dieses als gedankliche Konstruktion zu qualifizieren sei.

4.1. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe in einer schlüssigen Art und Weise dargelegt, warum von einer Scheinkonversion auszugehen sei. Der Beschwerdeführer habe keine tiefergehende Beschäftigung mit den Glaubensinhalten des Christentums und vor allem nicht mit den Glaubensinhalten des Protestantismus dargebracht. Die Befragung vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe gezeigt, dass der Beschwerdeführer nicht auf Grund innerer Beweggründe tatsächlich zum christlichen Glauben konvertiert sei. Er habe nicht ausführlich begründen können, aus welchen Beweggründen er zum Christentum konvertiert sei. Sein Wissensstand zum Christentum im Allgemeinen und zum Protestantismus im Besonderen sei zudem bestenfalls als oberflächlich zu bezeichnen. Auch das Verwaltungsgericht gehe daher von einer Scheinkonversion aus.

4.2 Unter Verweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes führt das Bundesverwaltungsgericht weiters aus, dass zur Frage der Verfolgungsgefahr bei Iranern, die vom Islam zum Christentum konvertiert seien, maßgeblich sei, ob Asylwerber bei weiterer Ausführung des behaupteten inneren Entschlusses nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müssen, aus diesem Grunde mit Sanktionen belegt zu werden, die die Intensität einer Verfolgung erreichen.

Aus den Länderberichten gehe hervor, dass zum Christentum konvertierte iranische Staatsangehörige im Iran dann Gefahr liefen, dass sich die iranischen Sicherheitsbehörden und die Justiz mit ihnen befassten, wenn sie sich als Folge einer missionarischen Tätigkeit deutlich von der breiten Masse abheben (Kirchenführer, in der Öffentlichkeit besonders aktive Personen). Das Verhalten des Beschwerdeführers – dass er in Österreich in einer Freikirche getauft wurde und eine Kirche besucht habe – erweise sich nicht als derart markant, dass es geeignet erscheine, einen erhöhten Ermittlungsaufwand bei den iranischen Behörden hervorzurufen.

Es sei auszuschließen, dass der Beschwerdeführer, der nur zum Schein zum Christentum konvertiert sei, im Iran den christlichen Glauben ausüben werde. Umso mehr könne davon ausgegangen werden, dass er nicht im Sinne des Christentums missionarisch tätig sein werde. Eine asylrechtlich relevante Gefährdung drohe dem Beschwerdeführer auch im Falle seiner Rückkehr daher nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit.

Es liege sohin keine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers vor.

4.3. Das Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung begründet das Bundesverwaltungsgericht unter Verweis auf §21 Abs7 BFA-VG damit, dass der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt sei. Die Beschwerde sei der Beweiswürdigung der belangten Behörde nicht substantiiert entgegengetreten. Vielmehr wiederhole sie lediglich das Vorbringen des Beschwerdeführers nochmals.

5. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der der Beschwerdeführer eine Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Erkenntnisses beantragt.

6. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und das Bundesverwaltungsgericht haben die Verwaltungs- bzw Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift bzw Äußerung jedoch abgesehen.

II. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1. Für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht regelt §21 Abs7 BFA–VG den Entfall der mündlichen Verhandlung. Das Absehen von einer mündlichen Verhandlung steht – sofern zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden hat, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde – jedenfalls in jenen Fällen im Einklang mit Art47 Abs2 GRC, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen tatsachenwidrig ist (vgl VfSlg 19.632/2012).

Das Absehen von einer mündlichen Verhandlung, wenn diese zur Gewährleistung einer, den Anforderungen des Art47 Abs2 GRC an ein faires Verfahren ent-sprechenden Entscheidung des erkennenden Gerichtes geboten ist, stellt aber eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art47 Abs2 GRC dar (VfGH 13.3.2013, U1175/12 ua; 26.6.2013, U1257/2012; 22.9.2014, U2529/2013).

2. Eine solche Verletzung von Art47 Abs2 GRC ist dem Bundesverwaltungsgericht hier anzulasten:

Das Bundesverwaltungsgericht leitet die mangelnde innere Überzeugung des Beschwerdeführers, Christ sein zu wollen und damit seine Auffassung, hier sei von einer Scheinkonversion auszugehen, im Wesentlichen aus den rudimentären und vagen Antworten des Beschwerdeführers in der niederschriftlich festgehaltenen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auf die Fragen, warum er sich vom Islam losgelöst habe und warum die Hinwendung zum Christentum für ihn bedeutsam sei, her.

Für die Beurteilung, ob es sich bei der Konversion des Beschwerdeführers um eine Scheinkonversion handelt, kommt der Frage der inneren (Glaubens-)Überzeugung des Beschwerdeführers maßgebliche Bedeutung zu (vgl VfSlg 19.837/2013; VfGH 12.6.2013 U2087/2012; 22.9.2014, U2193/2013; 26.2.2018, E3296/2017). Für diese Beurteilung ist insbesondere der persönliche Eindruck des Beschwerdeführers wesentlich. Einen solchen Eindruck vermag vor dem Hintergrund des hier vorliegenden Falles aber nur eine Einvernahme in einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zu vermitteln.

Im vorliegenden Fall, in dem die Entscheidung über das Vorliegen eines Asylgrundes wesentlich von der Glaubwürdigkeit des Asylwerbers in Bezug auf seine innere Einstellung, nämlich hier seiner religiösen Überzeugung, abhängt, für deren Beurteilung der persönliche Eindruck maßgeblich ist, verlangt Art47 Abs2 GRC, dass sich das erkennende Gericht selbst unmittelbar in einer mündlichen Verhandlung diesen Eindruck verschafft (vgl in diesem Zusammenhang EGMR 29.10.1991, Fall Helmers, Appl 11.826/85, Rz 37 zum Gebot der öffentlichen mündlichen Verhandlung im Rechtsmittelverfahren; weiters mwN VfSlg 19.632/2012). Indem das erkennende Gericht im vorliegenden Fall die mündliche Verhandlung unterlassen hat, unterstellt es §21 Abs7 BFA-VG einen mit Art47 Abs2 GRC nicht zu vereinbarenden Inhalt und verletzt damit den Beschwerdeführer in seinem durch diese Bestimmung verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht.

III. Ergebnis

Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art47 Abs2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Verhandlung mündliche, Ermittlungsverfahren, EU-Recht, Glaubens- und Gewissensfreiheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:E3106.2018

Zuletzt aktualisiert am

14.01.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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